Ich geh aus und du bleibst da - Wilhelm Speyer - E-Book

Ich geh aus und du bleibst da E-Book

Wilhelm Speyer

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Beschreibung

In der Welt der Modesalons und der Automobile, unter Angestellten und den Vertretern des 'neuen' und 'alten Geldes' spielt der unterhaltsame, glänzend geschriebene Großstadtroman aus dem Berlin der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: eine Mischung aus Liebesgeschichte, spannendem Kriminalfall und modernem Märchen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Gaby, erfolgreiches und selbstbewusstes 'Model' und Beraterin wohlhabender Kundinnen in einem renommierten Modesalon und liiert mit dem Fahrlehrer Georg. Als sich plötzlich nicht nur die Damen, sondern auch bestens situierte Herren für die attraktive junge Frau interessieren, löst das eine ganze Kette kompliziertester Verwicklungen aus. Die Hintergründe, unter anderem zur Zusammenarbeit Speyers mit Walter Benjamin bei der Konzeption dieses Romans, beleuchtet Sophia Ebert in ihrem nachwort 'Gaby, weshalb denn nicht? Wilhelm Speyer, Walter Benjamin und das Bild der neuen Frau.'

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Wilhelm Speyer

Ich geh aus und du bleibst da

Der Roman eines Mannequins

Mit einem Nachwort von Sophia Ebert

INHALT

Ich geh aus und du bleibst da

Gaby, weshalb denn nicht?Wilhelm Speyer, Walter Benjaminund das Bild der neuen Frau

Quellennachweis

Über den Autor

Über dieses Buch

Impressum

I

An einem Freitagabend im Januar trieben sich Georg und Walter in der Kaiserallee und auf dem Bayrischen Platz herum. Sie warteten auf den Beginn der Neun-Uhr-Vorstellung des Kinos.

Sie waren beide ganz außerordentlich schlechter Laune. So streifen Schulter an Schulter zwei verdrossene Tiger durch den Urwald. Allerdings gab es bei ihnen Unterschiede in der Haltung. Georg machte sich nicht das geringste daraus, seinen Unwillen über die mangelhafte Einrichtung des Weltalls zum Ausdruck zu bringen. Walter hingegen schwieg mit bedeutender Ironie.

Getrennt voneinander hatte jedes ihrer Mädchen dem Liebsten die Mitteilung gemacht, fast mit den gleichen Worten: «Ihr könnt euch heute allein amüsieren. Ich gehe für mich aus.»

Zwischen Christa und Walter gab es nun allerdings aus grundsätzlicher Gegnerschaft häufig Streit. Christa pflegte ihre freien Abende sommers und winters in Schwimmanstalten zu verbringen. Die Olympia-Siegerin in Amsterdam ließ ihr keine Ruhe. Christa war fest entschlossen, Deutschland einen großen diplomatischen Dienst zu erweisen und dereinst einmal Olympia-Siegerin im Brustschwimmen zu werden. Sie trainierte auf Strecken über vierhundert Meter. Walter war für Schwimmen nicht zu haben. Er tanzte gern. Dies aber wiederum war der einzige Sport, den Christa «öde» fand. Walter liebte das Kino, und er trank auch gern Schnaps oder Whisky in einer Bar. Über Christas Lippen kam kein Tropfen Alkohol. Sie schickte sogar im Restaurant süße Speisen zurück, die mit einer Weinsauce angerichtet waren, und was das Kino anbetraf, so fand sie, man solle sein Geld für Schwimm-, Box-, Fußball-, Hockey- und Schlittschuh-Schaukämpfe, für Sechs-Tage-Rennen und dergleichen sparen.

Heute übrigens ging sie «für sich aus» mit einer Acht-Zylinder-Limousine, deren automatisches Schnellganggetriebe sie interessierte. Es wurde Walter keineswegs mitgeteilt, wer eigentlich außer ihr noch in dem Acht-Zylinder mit dem interessanten Schnellganggetriebe sitzen würde, es wurde nur gesagt, ein Klubkamerad. In der letzten Zeit wurde den Herren überhaupt so wenig mitgeteilt. Fragen nach dergleichen Dingen waren ungehörig, dergleichen ging die Herren nichts an.

Obwohl Walter einen Druck im Magen verspürte, aus Furcht vor dem automatischen Schnellganggetriebe, so lachte er doch im Kino still vor sich hin, mit einem knabenhaften Feixen. Der hungrige Tiger konnte es nicht verbergen, daß er es komisch fand. Denn hier im Film wurde eine junge Dame von sechzehn Jahren gezeigt, die Sporthosen trug, ihre drei Wolfshunde mit Hetzschreien aufstachelte, in Begleitung dieser drei Hunde hin und wieder «für sich ausging» – kurzum, die sich in jeder Hinsicht als Mädchen ihrer Zeit gebärdete und die Männer am Knopf ihres Sattels in die Schlacht ihres keuschen Mädchen-Daseins schleifte.

Große Kunst, wie sie an den Abenden in den Berliner Kinos gezeigt zu werden pflegt, erhebt den Menschen zu seinen äußersten Möglichkeiten.

Um elf Uhr standen Georg und Walter hinten auf einem Autobus, der sie in die Nähe des Hotels Esplanade in der Bellevuestraße bringen sollte. Walter aber wußte nicht, welch ein bedeutendes Vorhaben der Film in Georgs Seele erzeugt hatte.

«Wenn die Mädchen so weitermachen, das kann in diesem Jahrhundert für uns Männer hübsch werden!»

Georg brüllte Walter von der Seite an, als ob sein Freund ein Mädchen dieses Jahrhunderts sei, und es machte ihm gar nichts aus, daß der Schaffner die Ohren spitzte. «So ein Esel ohne Gedanken, wie du einer bist, lacht darüber! Natürlich! Ich sage dir, das Ganze mit den Mädchen heutzutage ist ebenso ernst wie Weltkrieg oder Grippe oder Inflation! Auf die Dauer bringt es uns mehr Verwundete und Tote ein, als zwischen vierzehn und vierundzwanzig gemacht worden sind! Es gibt täglich soundso viele Verkehrsunfälle auf der Welt. Immerhin geben sich die Polizisten aller Länder Mühe, die Unfallzahlen auf ein Mindestmaß zu beschränken.» Der Schaffner nickte Georg mit Beifall seine Ermunterungen zu. «Aber wie ist denn das mit den Mädchen? Für die existiert kein rotes Licht, kein Pfiff, kein Handsignal und kein Abwinken – es wird alles über den Haufen gefahren. Wenn diese Damen mal die Gewogenheit hätten, zu stoppen und sich umzudrehen, würden sie ganze Dutzende von zerfleischten Familien auf ihrer Straße liegen sehen, blutende Kinder, ohnmächtige Männer – ein Acht-Zylinder im Vollgas legt dir nämlich den stärksten Mann um!»

«Na, Mensch!» sagte Walter begütigend, obwohl er es ausgezeichnet fand.

«Na, Mensch, vielleicht nicht?» rief der Schaffner plötzlich.

Einen Augenblick schwiegen die Freunde.

Dann begann Walter etwas zaghaft:

«Du mußt doch nicht vergessen, Georg, und Sie, Herr Schaffner, daß die Mädchen auch viel spaßiger geworden sind.»

«Spaßiger?» Georg war entrüstet. Der Schaffner war entrüstet. Der Schaffner lachte sogar still und bitter.

«Allerdings!» Walter sprach eifrig zu den beiden hin. «Wie haben sich unsere Großväter mit ihren Frauen gelangweilt! Nicht zum Aushalten! Langweilst du dich mit Gaby? Ich mich mit Christa? Langweilen Sie sich mit Ihrem Mädchen, Herr Schaffner?»

«Ja, nein!» entgegnete der Schaffner etwas bestürzt. Er dachte über diese Sache nach.

«Ich will mich sogar langweilen!» rief Georg empört. «Ich will ein anständiges Mädchen, das mal meine anständige Frau werden kann! Dann kann sie so langweilig sein, wie es ihr überhaupt Vergnügen macht!»

«Gaby ist anständig, rede doch nicht!» sagte Walter so leise, wie es die Explosionsmaschine erlaubte. «Das ist ja heute das erstemal, daß sie mit einem fremden Herrn ausgeht.»

«Ja! Aber sie nimmt von heute an ihr Leben selber in die Hand. Sie hat es mir ja gesagt. Es paßt Gaby nicht mehr ohne Acht-Zylinder! Sie will jetzt neuerdings nicht mehr auf dem Motorrad neben mir sitzen. Sie braucht ein Auto und außerdem ein Einfamilienhaus mit Garten und Garage, und hauptsächlich braucht sie große Garderobe. Abends geht sie mit einem reichen Herrn aus, und man darf nicht einmal fragen, wieso und wohin. Aber ich weiß jetzt, was ich zu tun habe!»

Georg sprang ab. Der Schaffner grüßte Georg mit Achtung, den Walter aber nicht. Der mußte seinem Freunde folgen. Ihm war es rätselhaft, was Georg in diesem vornehmen Hotel in der Bellevuestraße gegen die eigenwillige Entwicklung des Frauengeschlechts zu unternehmen gedächte.

Georg fragte den Portier:

«Ist Baron Wachtmeister zu Hause?» Er nannte seinen Namen.

Baron Wachtmeister war zu Hause.

«Du wartest hier in der Halle!» befahl Georg. «Benimm dich anständig gegen die Damen aus New York und Los Angeles! Die lassen dich kreuzigen und deine Lenden von Panthern beschnuppern, wenn du deine dämlichen Bank-Angestellten-Augen zu ihnen erhebst.»

Wie ein rachevoller Prophet in der Wolke, so fuhr Georg im Lift zum vierten Stock.

Walter aber bekam nach zwanzig Minuten als Geschenk des Himmels einen Blick-Flirt mit zwei Damen aus Los Angeles. Diese jungen, sonnengesegneten kalifornischen Geschöpfe hatten soeben in der Bar viele geistreich ersonnene Cocktails getrunken. Hier nämlich, in Europa, hatten sie die spirituellen Anregungen gefunden, die sie daheim so sehr entbehren mußten. Es hätte den Bankangestellten getröstet, wenn er an diesem Abend etwas Englisch gekonnt hätte. Die beiden Cocktail-Damen schienen an seinen dämlichen Angestellten-Augen keinen Anstoß zu nehmen. Infolgedessen beschloß Walter, von nun an jeden Abend an einem englischen Kursus teilzunehmen. Denn die Kenntnis der englischen Sprache fördert den Menschen unserer Zeit ungemein.

II

Maximilian Wachtmeister empfing Georg in seinem bescheidenen Hotelzimmerchen, während er sich den Frack anzog. Er reckte den Hals schräg zur Höhe, denn er verabscheute gestärkte Wäsche. Er hatte in seiner Jugend abgelehnt, Offizier zu werden, weil ihm der Uniformkragen zu unbequem gewesen wäre. Als Landwirt aber konnte man tragen, was einem beliebte. Er war ein großgewachsener, klaräugiger Mann, der die Frauen liebte, die Natur, die Tiere, die Kinder, das Automobil und den Alkohol. Aus seiner Körperhaltung und aus seinen Bewegungen konnte man auf eine liebenswürdige Unzuverlässigkeit und auf einen freundlichen Leichtsinn schließen. Die indianerhafte Haut seines Gesichts war gegerbt und verwittert, sie hatte den Charakter eines Wettermantels angenommen, der bei den verschiedenartigsten Witterungen benutzt worden war: Regen, Hagel, Schnee, Nebel und Sonne. Übrigens war die Haut des Gesichts von zwei kleinen Blatternarben gezeichnet: die eine auf der Wange, die andere auf dem ungestümen Sattel der leicht gebogenen Nase.

Georg hatte in den letzten Kriegsjahren als Siebzehn- und Achtzehnjähriger unter dem Befehl des damaligen Rittmeisters von Wachtmeister das Fliegen erlernt. Maximilians Name fand sich häufig, wenn der Heeresbericht von siegreich bestandenen Flugkämpfen berichtete. Georg hatte das Glück gehabt, seinem Vorgesetzten zu gefallen, der ihn schnell zum Vizefeldwebel befördern ließ. In den letzten Augusttagen 1918 waren Maximilian und Georg abgeschossen worden. Es war ihnen gelungen, in den deutschen Linien zu landen, ohne Schaden zu nehmen.

«Guten Tag, Georg. Ungewöhnliche Stunde. Vielleicht kannst du mir meine Hotelrechnung bezahlen?»

«Nein. Wieso?» fragte Georg erstaunt.

«Nein, wieso nicht? Du bist sicher reicher als ich.»

Georg legte bedächtig seinen Hut auf den Waschtisch.

«Sie haben doch Tausende von Morgen Land!»

«Auf jedem meiner Tausende von Morgen Land trinke ich mit Sorgen meinen funkelnden Wein. Du kannst mir mal die Krawatte binden!»

«Ich mußte Herrn Rittmeister schon im Felde allerlei binden.»

«Hast du einen Käufer für meinen Wagen?»

«Herr Rittmeister müssen Geduld haben. Niemand zahlt gern in bar achttausend Mark auf den Tisch.»

Wachtmeister seufzte.

«Nimm einen Whisky und erkläre mir, was du hier in meinem Zimmer eine halbe Stunde vor Mitternacht vorhast!»

«Keinen Whisky. Danke. Ich muß Sie etwas fragen.»

Das Telefon läutete. Gespräche unserer Tage haben einen geisterhaften Charakter. Jeder Dialog zwischen zwei Menschen in demselben Raum wird pfeilgerade von einem andern durchkreuzt, der aus dem Telefon kommt und in das Telefon hineingeht.

«Also, lieber Georg?» fragte Wachtmeister nach zwei Minuten. Er sah, daß Georg mit finsterem Gesicht das Telefon anstaunte, als traue er diesem Instrument sogleich eine neue lärmende Attacke zu.

«Ich wollte Sie um eine Auskunft bitten, Herr von Wachtmeister!»

Jetzt trat ein Page ein, mit weißen Gamaschen an den Schuhen, das lackierte Sturmband seines schiefen Käppis eng um das Kinn geschnürt. Er machte eine tollkühne Verbeugung, und währenddessen überreichte er nach oben ein Tablett mit einem Telegramm.

«Entschuldige, Georg.»

Der Baron Wachtmeister wurde ganz rot vor Freude, nachdem er gelesen hatte, was ihm gemeldet worden war.

«Gib mir eine Mark!» befahl er rittmeisterlich. Er brüllte dem eleganten Kinde nach: «Page!»

Das kostbare Geschöpf verbeugte sich auf dem Korridor mit einer Gebärde zum Erdboden, die hinreißend war.

«Schöne Nachrichten, Georg! Kadi kommt!»

«Ihr Sohn?»

«Morgen abend. Friedrichstraße. Er kommt ganz allein. Aus Paris. Fünfzehn Jahre alt.» Maximilian sah wie ein stolzer Indianerhäuptling aus, der seine Vaterfreude an dem Kronprinzen aller Sioux verbergen will. Und mit demselben Stolz in der Haltung fragte er: «Du weißt doch, daß meine Frau mir durchgegangen ist?»

Georg sah den Baron Wachtmeister düster an.

«Ich weiß das gar nicht.»

«So? Die ganze Berliner Gesellschaft aber weiß es.»

«Ich gehöre nicht zur Berliner Gesellschaft», sagte Georg abweisend. «Ich bin ein Angestellter, wie Sie vielleicht wissen. Ich bin Mittelstand. Ich bin Fahrlehrer bei der Autoschule von Naujokat in Charlottenburg.»

«Na, dann sei froh! Dann hast du dein Brot. Hier in Reinickendorf soll in einer Privatirrenanstalt ein Dichter leben, der einmal einen Winter lang in der Berliner Gesellschaft verkehrt hat. Er hat sich dabei eine manische Depression geholt.»

«So? Das ist interessant.»

Georg verspürte eine leichte Wut gegen seinen Kriegskameraden und ehemaligen Vorgesetzten. Gott sei Dank läutete in diesem Augenblick das Telefon, und Georg hatte fünf Minuten lang Zeit, über das herbe Los nachzudenken, das er sich selber auserkoren hatte: nachts um halb zwölf in einem Hotelzimmer ein ernsthaftes Gespräch mit dem Baron Wachtmeister führen zu wollen. Zudem ärgerte er sich noch aus einem anderen Grunde: dem Herrn von Wachtmeister war zwar die Frau durchgegangen, aber, wie aus den Telefongesprächen hervorging, als Ersatz schien eine Anzahl anderer Damen vorhanden zu sein, die fürs erste einmal nicht die Absicht hatten, dem Baron Wachtmeister durchzugehen. Kaum hatte Maximilian am Telefon «Auf Wiedersehen, Alexandra!» gesagt, als Georg ihm in seine letzten Silben einfiel:

«Sie haben doch Ihr Gut in der Neumark. Kennen Sie einen Herrn Konstantin von Haller?»

Maximilian ließ das Höhrrohr nicht auf die Gabel sinken, so sehr verwunderte ihn Georgs Frage.

«Du machst wohl Spaß, mein Kind?»

«Nein. Gar nicht. Wieso?»

«Ich bin doch Konstantins wegen in Berlin. Ich verkehre jetzt mit ihm nur noch durch den Rechtsanwalt oder vielmehr: er mit mir.»

«Wie hat er denn früher mit Ihnen verkehrt, wenn ich fragen darf?»

«Immer äußerst wenig. Er hat mich überhaupt nie gemocht.»

«Und Sie ihn?»

«Ich mag ihn gern. Er ist so rührend reich. Ich habe rührend reiche Leute immer gern gehabt.»

«So? Ist er rührend reich?» Georg sah seinen Rittmeister ingrimmig an. «Und wie hätte er dann nach Ihrer Ansicht mit Ihnen verkehren sollen?»

«Verwandtschaftlich.»

«Sind Sie mit Herrn von Haller verwandt?» fragte Georg, streng wie ein Richter.

«Junge! Du schläfst wohl, ja? Meine mir durchgegangene Frau ist doch Konstantins Schwester.»

«Wie kann ich das wissen? Ich kenne doch Ihre Familie nicht.»

«Dann sage ich’s dir hiermit. Nimm zum Teufel einen Whisky! Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit für dich. Wenn du mir aber etwas Interessantes über Konstantin erzählen kannst, habe ich die ganze Nacht Zeit für dich.»

Jetzt nahm Georg den Whisky, obwohl es ihn ein abscheuliches Getränk dünkte, und er berichtete bedächtig wie ein Arbeitsmann, der einen Nagel in die Wand hämmert, sein Mißgeschick an diesem Abend mit seinem Mädchen, das ihm die knappe Mitteilung gemacht hatte, es werde heute abend mit einem Herrn von Haller, einem Gutsbesitzer aus der Neumark, ausgehen, und weiter nichts.

Maximilian hörte zu, fast sprachlos vor Verwunderung. Plötzlich streckte er den Arm seitwärts zum Telefonapparat aus.

Georg sah es. Wütend stand er auf, sich zu verabschieden. Da hörte er Wachtmeisters Stimme:

«Ich bin für niemanden zu sprechen!» Und dann zu Georg gewandt: «Setz dich! Was ist das für eine Gaby, von der du immer sprichst?»

Georg hatte zwei Striche, halb so groß wie Streichhölzchen, zwischen den Augenbrauen. Er liebte es nicht, wenn man in saloppem Ton von Gaby sprach.

«Das ist absolut nicht irgendeine Gaby, sondern eben: Gaby! Außerdem spricht man den Namen nicht englisch aus, wie Sie es tun, sondern auf gut deutsch.» Georg buchstabierte: «G A B Y – die ich einmal heiraten werde, wenn ich genug Geld dazu habe.»

«Es gibt hier so eine Gaby» – auch Maximilian buchstabierte: G A B Y –, «die im Modesalon bei der Derlett angestellt ist. Hat die etwas mit deiner zu tun?»

«Sie sprechen schon wieder von ‹einer› und von ‹deiner›!»

«Ja, hat denn die eine Gaby mit der deinen Gaby etwas zu tun?»

«Die haben soviel miteinander zu tun, wie Sie mit sich selber, wenn Sie Whisky trinken, telefonieren oder spazieren gehen.»

«Die berühmte Gaby ist deine Braut, Mensch?»

Georg hielt die Hände flach auf den Knien. Das war eine Haltung, die auf seelisches Geichgewicht schließen ließ, aber aus seiner Kehle kam ein gereiztes Raubkatzenknurren: «Was berechtigt Sie eigentlich dazu, Gaby als ‹berühmt› zu bezeichnen?»

«Weil ich schon sehr viel in meiner Familie von deiner Gaby – pardon, von dieser Gaby – pardon, von Gaby gehört habe! Weil es in meiner Familie ein Mitglied gibt, das sinnlos in deine Gaby verliebt ist!»

Georg sprang auf. Er lief in dem kleinen Zimmer umher. Wahllos nahm er Gegenstände zur Hand, zum Beispiel einen silbernen Stiefelanzieher mit einem langen Stiel und Maximilians Taschentuch ... Er kehrte Maximilian den Rücken zu. Plötzlich drehte er sich um.

«Ihr Schwager also, ja? Der Herr von Haller, der rührend reiche? Ist der in Gaby verliebt?»

Maximilian war überaus erstaunt.

«Ist Konstantin in Gaby verliebt?»

Jetzt brüllte Georg.

«Sie haben doch eben gesagt, daß ein Mitglied Ihrer Familie hinter Gaby her ist! Zum Teufel, ich habe dem Herrn Rittmeister doch eben erzählt, daß Gaby heute nacht diesem Herrn von Haller Gesellschaft leistet!»

Maximilian stutzte einen Augenblick.

Dann nahm er Georg das Taschentuch und den Stiefelanzieher aus der Hand, wie man einem Kinde ein Spielzeug fortnimmt. Ganz gemütlich sagte er:

«Also, das wäre großartig, wenn Konstantin in Gaby verliebt wäre! Du weißt nicht, was das für eine Nachricht für mich wäre! Meine Frau und Konstantin haben nämlich gemeinschaftliches Eigentum, und Konstantin ist gemäß dem väterlichen Testament für Lebensdauer so eine Art Vormund für meine Frau. Sie kann keinen Pfennig bekommen ohne sein Einverständnis. Er schreibt aber entweder gar keine Briefe oder verrückte. Unsere Situation ist daher allmählich geradezu zum Verzweifeln geworden!»

Maximilian sah zu seiner Überraschung, wie Georg zu seinem Hut griff. Dann besann er sich: «Ach so! – Du bleibst jetzt hier und bist ganz still! Hör zu! Ich sprach vorhin von Kadi, von meinem Sohn. Der ist ‹hinter Gaby her›, wie du es zu nennen beliebst. Der macht die schönsten Sonette an Gaby, die seit Shakespeare geschrieben worden sind. Er wird morgen fünfzehn Jahre alt. Ich hoffe, du wirst ihn nicht töten, wenn er auf dem Bahnhof Friedrichstraße ankommt.»

«Woher kennt denn Ihr Sohn Gaby?» fragte Georg tonlos. Er hatte plötzlich ganz müde Augen, mit roten Rändern an den Lidern. Er legte seinen Hut auf den Waschtisch zurück.

«Meine Frau nahm ihn manchmal zu der Derlett mit. Meine Frau hat nämlich die Hälfte ihres eigenen Vermögens bei der Derlett gelassen. Die andere Hälfte habe ich für bestimmte Zwecke verpulvert, und die dritte Hälfte» – Maximilian besann sich – «na, also – darum sitzen wir so in der Klemme! Sie ist mit andern Worten – leider! – ein häufiger Gast bei deiner Gaby gewesen. Und Kadi liebt deine Gaby so, daß er in den Herbstferien hier in Berlin bleiben wollte. Denk dir mal an: ein Obertertianer, der seine Mutter nicht nach New York und Paris begleiten und außerdem danach nicht noch drei Monate Schule schwänzen will! Kadi ist nämlich hier auf dem Schiffbauerdamm bei einem Lehrer in Pension, weil er das Französische Gymnasium besucht.»

«So?» sagte Georg. Ihn interessierte die Geschichte von Kadis Liebe nicht mehr. Mochten alle Obertertianer des Französischen Gymnasiums in Gaby verliebt sein – seine Besorgnis galt den Vätern und den Onkeln dieser Knaben.

«Du wirst mir einen riesengroßen Gefallen tun, lieber Georg! Du mußt mir für morgen abend deine Gaby leihen! Ich möchte sie kennenlernen. Ich möchte mit ihr sprechen. Und es wäre mir außerordentlich wichtig, wenn ich unter vier Augen mit ihr sprechen könnte.»

Georg grollte.

«Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß Gaby sich ausleihen läßt. Lernen Sie mal die Mädchen von heute kennen!»

«Ein Mädchen von heute hat mir gesagt, jetzt käme wieder das Weibliche auf.»

«In der Kleidung – ja.»

«Na, meinst du nicht, daß dann auch der Charakter noch nachkommt?»

«Bis dahin sind wir beide tot, Herr Rittmeister. Dieser Wiederauftritt der Weiblichkeit ist die frechste Hochstapelei, die die Mode je mit der Menschheit getrieben hat.»

«Na schön. Beruhige dich über die Weiblichkeit. – Glaubst du, daß Gaby morgen abend frei ist?»

«Das weiß ich doch nicht! – Ausrichten werde ich ihr, was Sie von ihr wollen. Aber wenn es nach mir geht, kommt sie nicht.»

Maximilian war ganz verwundert.

«Weswegen denn nicht?»

«Weil ich genug davon habe, daß sie mit andern Herren abends ausgeht!»

«Du hast sie doch jeden Abend! Ich tue ihr doch nichts!»

«Das ist noch nicht heraus. Gaby soll mit ihresgleichen verkehren, nicht mit Kreisen, in die sie nicht hineingehört!»

«Nun sag noch, daß ein jeder Stand seine Ehre hat, und du fliegst durch den Liftschacht!» Maximilian schob das ganze Problem mit einer Handbewegung von sich. «Wirst du es ihr ausrichten? Ja? Oder nein?»

«Ich habe das schon gesagt. Ja!»

«Ich telefoniere morgen bei der Derlett an und hole mir Bescheid. Ich habe eine große Verschwörung mit deiner Gaby vor. Ich brauche deine Gaby dringend für morgen abend. Hoffen wir also, daß deine Gaby sich ausleihen läßt. Gute Nacht, mein Junge. Und tu bitte so, als ob du ein Mann wärst.»

Georg war schon auf dem Korridor. Da erst bekam der Baron Wachtmeister Reue, denn er dachte daran, wie traurig das Gesicht seines Kriegskameraden beim Abschied gewesen war. So lief er denn also hinter Georg her.

«Du! Sag einmal: wohnt ihr zusammen, deine Gaby und du?»

«Im selben Haus, aber in verschiedenen Stockwerken», sagte Georg traurig.

«Ich möchte mit dir wetten, mein Sohn: wenn du jetzt nach Hause kommst, liegt deine Gaby schon seit einer Stunde in ihrem Stockwerk im Bett. Glaub es mir! Ich kenn doch Konstantin Haller! Der ist melancholisch! Dem ist vor ein paar Jahren seine Frau durchgegangen.»

Georg zuckte zusammen. «Schon wieder durchgegangen? Das ist ja heute abend die vierte Frau!»

Und dann wurde er plötzlich in dem Gedanken, Gaby könne vielleicht wirklich schon seit einer Stunde im Bett liegen, übermäßig vergnügt. Wie ein Schuljunge stürzte er die Treppen hinunter. Er ließ die beiden breiten Hände am Geländer entlang schleifen, bis sie sich heiß liefen.

Dieser traurige Abend endigte recht schön, ganz ungeahnt schön.

Gaby lag seit einer Stunde in ihrem Stockwerk im Bett, ganz wie Maximilian Wachtmeister es prophezeit hatte. Sie reichte ihren schlafwarmen Mund, den Georg zögernd empfing.

«Wir haben bei Horcher Abendbrot gegessen. Dann hat der Herr mich mit der größten Höflichkeit nach Hause gebracht.»

Sie schlang die Arme um Georgs Nacken.

«Wenn ich dir jetzt alles erkläre, gibt es ja doch nur eine Menge Zoff.»

Sie zog den Liebsten an ihre schöne Brust.

III

Am nächsten Tage stand Gaby im Hause Derlett ‹Kleider, Mäntel, Pelze› vor einem geöffneten Schrank, in dem ‹Pourquoi pas?› hing, auf deutsch ‹Weshalb denn nicht?› ‹Pourquoi pas› war ein Nerzmantel, der zum Preise von zweiunddreißigtausend Mark verkauft werden sollte.

Der Salon Derlett hatte in der Tiergartenstraße eine kleine Etagenwohnung inne und im Dachgeschoß die Werkstätte. Unten waren die Büroräume einer Industriegesellschaft. Der Salon Derlett war eines der kleinsten, aber auch eines der besten Modehäuser in diesem Stadtviertel. Die Organisation der Firma war ohne pedantische Strenge gegliedert. In dem Maße, in dem sich die Angestellten der Zuneigung und Anerkennung Stephanie Derletts erfreuten, waren sie bald Mannequins, bald Verkäuferinnen, bald beides zugleich – ganz gegen den Brauch, der in den benachbarten Häusern herrschte.

Es war ein Sonnabendnachmittag, den die katholische Stephanie Derlett ihren Angestellten wegen des Festes der Heiligen Drei Könige freigegeben hatte. Jetzt war das Haus leer. Unten nur wachte der Portier und seine Familie. Der Wächter stieg von der ersten Etage bis zu den Werkstätten ins Dachgeschoß, um die Schlösser zu kontrollieren und die Türen abzuschließen. Bald verhallte sein Schritt. Das kleine Geschäftsauto war soeben zu einer letzten, eiligen Besorgung davongefahren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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