Ich glaub, mein Reh pfeift! Oder: Wie sich Glück anschleicht - Mina Teichert - E-Book

Ich glaub, mein Reh pfeift! Oder: Wie sich Glück anschleicht E-Book

Mina Teichert

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Beschreibung

Wenn das Leben dir ein Bein stellt, mach einen Salto

Eigentlich war alles märchenhaft im Forsthaus am Waldrand und Papa und Liv ein Dreamteam. Sie, sein Bambi, er, der Papabär. Doch dann taucht Sara auf, die böse Königin in Form einer Visagistin, die alles durcheinanderbringt. Das schreit nach Rebellion und Liv setzt alles daran, die Neue loszuwerden. Doch dann rollt Skater Rick in sie rein und plötzlich stellen sich völlig neue Fragen: Was, wenn das Leben Veränderung ist? Wenn Bambis erwachsen werden? Manchmal müssen die Karten neu gemischt werden, damit alle glücklich sind.

Eine lustig-frech erzählte Geschichte, die Mut macht, Stolpersteine im Alltag zu meistern.

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Das Buch

Eigentlich war alles märchenhaft im Forsthaus am Waldrand und Papa und Liv ein Dreamteam. Sie, sein Bambi, er, der Papabär. Doch dann taucht Sara auf, die böse Königin in Form einer Visagistin, die alles durcheinanderbringt. Das schreit nach Rebellion und Liv setzt alles daran, die Neue loszuwerden. Doch dann rollt Skater Rick in sie rein und plötzlich stellen sich völlig neue Fragen: Was, wenn das Leben Veränderung ist? Wenn Bambis erwachsen werden? Manchmal müssen die Karten neu gemischt werden, damit alle glücklich sind.

Die Autorin

© Vanessa Rosenbrock

Mina Teichert wurde in dem schneereichen Jahr 1978 in Bremen geboren und lebt mit ihrer kleinen Familie im ländlichen Idyll Niedersachsens. Nachdem sie zunächst als Kind hartnäckig das Ziel verfolgte, Kunstreiterin im Zirkus und Wahrsagerin zu werden, sattelte sie mit vierzehn um und träumte von dort an von der Schriftstellerei. Heute schreibt sie mit Begeisterung Geschichten für Jung und Alt.

https://minateichert.jimdo.comhttps://www.facebook.com/MinaTeichertAutorin/https://www.facebook.com/mina.kamp

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Die Vögel singen laute Lieder in den hohen Bäumen, die unser Haus wie ein märchenhafter Schutzwall umringen. Papa sagt immer, sie trennen das Hier vom Dort, einer fantastischen Welt des Waldes, in der er als Förster arbeitet. Als ich noch klein war, glaubte ich, dass in diesem Dort, von dem er sprach, Elfen und Kobolde lebten und meinem Vater bei der Arbeit halfen und ihn beschützten.

Noch heute liebe ich diese Vorstellung und male mir aus, wie sich schimmernde Wesen mit Libellenflügeln in die Lüfte erheben, nur um dann im Dicht des grünen Unterholzes zu verschwinden. Einzig ein glockenklares Lachen hinterlassend, das vom Wind wie ein Spielball umhergewirbelt wird.

»Hey, hörst du mir eigentlich zu?«, vernehme ich die Stimme meiner Freundin Mona durchs Handy. »Nur, weil wir heute Schulausfall haben, befreit dich das nicht von deiner Pflicht, dir meine Sorgen anzuhören«, tadelt sie mich und ich schlüpfe durch das Gartentor des Forsthauses mit seinen zwei hübschen Türmchen im Dachgeschoss.

»Ich bin ja da! Du hast eine Bindehautentzündung am großen Zeh und hast Schiss, dass du damit nicht tanzen kannst«, wiederhole ich Monas Sorge, um ihre Tanzkarriere. Wir gehen beide, seit wir drei Jahre alt sind, zum Ballett und Mona ist unglaublich gut.

»Eine Nagelbettentzündung, du Dummerchen. Und ja, so was kann einem die Karriere versauen«, fürchtet sie. »Klarer Fall von A.B.E.B.H. – Aus-bevor-es-begonnen-hat.«

»Aber dein Fußbad hättest du doch auch hier machen können.« Dank einer geplatzten Wasserleitung in der Schule durften wir alle nach dem ersten Unterrichtsblock nach Hause gehen. Was für ein Fest! Und Mona wollte wegen ihres eingewachsenen Nagels lieber zu ihrer Mama.

Kurz stutze ich, weil Papas Auto noch in der großen Hofeinfahrt parkt. Eigentlich macht er sich immer, wenn ich zur Schule aufbreche, auf den Weg und fährt die weiter entfernten Waldabschnitte ab.

»Nee, da lass ich lieber den Profi ran, an den Nagel«, höre ich Mona weiter zu und halte das Handy vom Ohr weg, als sie plötzlich aufschreit. »Ich hab den Socken ausgezogen, es blutet. Wenn Mama das nicht hinbekommt, ist alles verloren«, fürchtet sie und legt ohne Vorwarnung auf.

So ist Mona. Ein bisschen theatralisch.

Ich freu mich erst mal darüber, dass mein Papa unverhofft auch zu Hause zu sein scheint. Er braucht zwar keinen Fuß zu verarzten, aber seine Gesellschaft ist mehr als willkommen.

Ich trete in den Hausflur des uralten Hauses. Wie immer begrüßt es mich mit einem leisen Knarren der Dielen und ich werfe meine Jacke auf den Rehgeweih-Haken an der Wand.

»Paps?«, rufe ich, schiebe meine Büchertasche in die Nische zwischen Treppe und Wand und lausche.

Ich gehe in die Küche, öffne das Fenster hinter der Spüle und schaue Hans, einem Eichhörnchen, zu, wie er von Baum zu Baum springt. Er hat mich entdeckt und ich greife in die Dose mit Nüssen, um sie auf der Fensterbank zu verteilen.

Meine Mama hat Eichhörnchen geliebt, sagt Papa. Es waren ihre absoluten Lieblingstiere neben Rehen. Und Kurt natürlich, unserem Rauhaardackel, auch liebevoll Jagdratte genannt. Er ist ganze vierzehn Jahre alt, ein Jahr älter als ich, und Papa nimmt ihn kaum noch mit, wenn er mal jagen muss. Zum Glück muss er das auch nur selten tun, da ihm dieser Teil der Arbeit schwerfällt. Auch wenn er durch das Schießen von alten und kranken Tieren dem Wald und seinen Bewohnern eigentlich nur hilft, überlässt er diese Aufgabe gerne anderen Jägern. Kurt sieht das übrigens genauso.

Wo ist der nur?

»Kurti?«, rufe ich. Bestimmt hält er Wache im Stall, in der Aufzuchtstation für verletzte Tiere. Er war schon Ersatzmama für so viele Waschbären, Eichhörnchen, Wachtelküken und Baummarder, dass ich es kaum noch zählen kann. Und aktuell passt er sicher auf das Habichtskauz-Küken Hugo auf. Hugo ist echt klasse, er kann seinen Kopf um die eigene Achse drehen. Und er ist so zahm, dass man ihn auf den Arm nehmen kann. Jemand hatte ihn halb verhungert gefunden und bei uns abgegeben. Und was soll ich sagen? Papa ist ein Meister im Aufpäppeln und hat Hugo wieder hinbekommen. Und jetzt wächst und wächst er und macht lustige Sachen mit seinen großen gelben Augen. Auch Eichhörnchen Hans hat Papa wieder gesund gepflegt. Er hat zwar leider ein Auge verloren und verbrachte Monate mit einer Art Piratenaugenklappe, aber nun ist er wieder topfit. Und er hat beschlossen, in unserem Garten zu leben, weil wir immer tolle Nüsse haben.

Für Mama war es schwer, all die geretteten Tiere später wieder auszuwildern, sagt Papa. Aber das gehört eben auch dazu.

Neben mir an der Wand hängt Mamas Foto. Sie sitzt auf der Schaukel unter der großen Eiche im Garten, mit mir auf dem Arm. Ich war gerade drei Jahre alt geworden und es war das letzte Bild, was von ihr gemacht wurde, bevor sie den Unfall hatte. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Ich habe ihr Lachen, sagt Papa. Es hört sich genau an wie ihres. Klar und sanft zugleich. Und ich habe ihre braunen Rehaugen, die einem bis in die Seele gucken, meint Papa. Liebevoll lege ich meine Finger an das kühle Glas des Bildes, ein morgendlicher Gruß dorthin, wo auch immer sie ist.

Kleine Krallen kratzen auf Holz. Das Eichhörnchen klaut sich blitzschnell eine Nuss und springt wieder davon. Eine Weile schaue ich dem flinken Tierchen nach und atme die frische Luft ein, die ins Haus strömt. Durch das Dickicht am Waldrand sehe ich eine Ricke mit Kitz und muss lächeln. Manchmal bilde ich mir ein, Mama schickt ihre Lieblingstiere zu mir, um mir gute Laune zu bringen. Das ist eine meiner Lieblingsvorstellungen. Und ich male mir tagsüber gern viele unmögliche Dinge aus. Wie zum Beispiel, dass meine Ballettlehrerin ein verzauberter Schwan ist, der sich nur zu den Tanzstunden in eine Ballerina verwandelt. Wie in Mamas Märchenbüchern, die sie gesammelt und aus denen Papa mir immer vorgelesen hat, als ich noch kleiner war.

Ich blicke mich in unserer Küche um. Seltsam, Papa hat anscheinend für zwei gefrühstückt. In der Spüle stapeln sich zwei Teller, zwei Tassen, zwei Gläser mit Orangensaftresten. Ich räume sie nachdenklich in die Spülmaschine und mache mich daran, Eier in die Pfanne zu hauen.

Papabär hat immer Hunger und meine Eier à la Das tapfere Schneiderlein mit Pfeffer und Chili gehen immer.

Irgendwann höre ich die Tür von Papas Schlafzimmer aufgehen.

»Überraschung, Papabär!«, zwitschere ich vergnügt. »Du bist doch nicht krank, oder?«, streift mich ganz kurz die Sorge, wenngleich Papa sich manchmal die Freiheit nimmt, sich noch mal hinzulegen, wenn er Nachtschichten hatte. Und das kommt vor, wenn er zum Beispiel Waldtierkinder in seine Auffangstation mitbringt und die alle zwei Stunden mit Milchfläschchen oder anderem Futter versorgt werden müssen. Wie das Wildkatzenbaby vom letzten Jahr zum Beispiel.

»Bambi? Was machst du denn hier?«

Mich irritiert nicht Papas Frage, sondern der Ton, der sich ziemlich erschrocken anhört.

»Schulausfall?« Ich gucke über die Schulter und mir fällt der Holzwender aus der Hand. Papa ist nicht allein. In seinem Zimmer zieht sich eine Frau hektisch einen Pullover über den blonden Kopf.

»Oh ja, das ist ja was.« Papas Lächeln wirkt, als hätte er Zahnschmerzen.

Ungelenk hebe ich den Wender auf. Das Eichhörnchen am offenen Fenster stiehlt sich mit einem gewagten Sprung die nächste Nuss und haut ab. Und ich unterdrücke den Impuls, ihm hinterher zu wollen. Warum weiß ich nichts davon, dass Papa Besuch erwartet hat? Wir erzählen uns doch sonst immer alles.

»Wer ist das denn?«, fasse ich mich endlich und schiele an Papa vorbei in sein Reich mit den Waldtierbildern an der Wand und den tausend Büchern über Forstwirtschaft. Die Blondine dreht die Haare zu einem Zopf, steht mit dem Rücken zu mir.

»Ach, Bambi, ich wollte eigentlich einen besseren Zeitpunkt wählen, um dir Sara vorzustellen«, würgt Papa hervor und streicht sich verlegen durch sein dunkles Haar.

Stumm gucke ich ihn an, sein Hemd ist schief geknöpft und er hat keine Socken an. OMG!

Ich muss unbedingt Mona anrufen und sie fragen, wie ich mich nun verhalten soll. Ob sie sich gerade auf was anderes als ihren Nagel konzentrieren kann? Mein Vater hatte möglicherweise gerade Geschlechtsverkehr. In unserem Zuhause. Diese Sara ist bestimmt keine Chiropraktikerin, die Hausbesuche macht und wegen Papas Rückenschmerzen da ist.

»Mpf«, mache ich also nur und decke demonstrativ nur zwei Teller und Gabeln fürs Rührei auf und versuche, meinen wilden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen.

»Sara, das ist meine allerliebste Tochter Liv«, stellt Papa mich dann vor, als die Frau sich aus der Bärenhöhle wagt. »Und das ist Sara, meine …«

Meine Brauen schnellen in die Höhe. Nun ist die Katze also aus dem Sack? Der Hamster aus der Socke? Papa wollte Freundin sagen, ganz sicher. Das ist Sara, meine neue Freundin. What the fuck!

»Hallo, Sara.« Und tschüss, Sara. Ich lächle ein knappes Lächeln.

Die schlanke Frau mit eng anliegendem blütenweißem Pullover drückt sich an Papa vorbei. Sie ist hübsch, auf eine schrille Weise. »Freut mich«, sagt sie und fixiert mich aus stahlblauen Augen. Ihr Lippenstift ist auf der linken Seite etwas verwischt und sie trägt unnatürlich lange Wimpern. Die sind ganz sicher fake. Niemand hat solche Wimpern, nicht mal ich. Und meine sind echt lang, was mir in Verbindung mit den braunen Augen einen richtigen Bambi-Blick verschafft. Laut Papa.

»Mpf.« Ich würde ja antworten, dass ihre Freude ganz ihrerseits ist, aber mir fällt Papas bittender Blick auf. Er beschwört mich geradezu, nett zu sein und mich von der besten Seite zu zeigen. Wie bei Tante Gisela, die wir beide auf den Tod nicht leiden können, aber die sehr viel Macht über die Familie hat, wie eine Königin quasi. Sie bestimmt, wer wann wie zu Weihnachten zu meinen Großeltern kommen darf und wie lange. Und sonst noch so einiges.

Oh, Moment! Ich betrachte Sara aus dem Augenwinkel, während ich die Pfanne vom Herd angle, bevor das Ei ganz schwarz wird. Ihre Haltung ist irgendwie majestätisch, die Art, wie sie mir nun ihre vielberingte Hand entgegenstreckt, sehr fordernd. Sollten wir es hier etwa auch mit einer Hoheit zu tun haben?

Ich stelle die Pfanne auf den Tisch und ergreife ihre Hand, während Papa einen dritten Teller und Besteck aus dem Schrank nimmt. Es wirkt, als erwarte diese Sara einen Handkuss oder einen Kniefall von mir. Da kann sie lange warten.

»Guten Morgen, ich schätze, Sie haben noch viel vor heute?«, reime ich mir zusammen. Sie muss doch bestimmt irgendwo hin? Ich lasse sie schnell wieder los. Ohne ihren zarten Handrücken zu küssen oder in einen Knicks zu verfallen.

Papa legt seinen Arm um Sara und schaut sie an. Ähnlich wie Giselas Dackel, kurz bevor er Leberwurst bekommt. Auweia.

Papabär! Was stimmt nicht mit dir?

Sara setzt sich. Auf meinen Lieblingsstuhl an unserem kleinen runden Küchentisch mit den Löwenfüßen, den meine Mama selbst geschreinert hat. Auf meinen Stuhl mit der hohen Rückenlehne und den geschwungenen Beinen, der ein bisschen an einen Thron erinnert.

»Also, wenn ich ehrlich bin, nein. Ich habe Urlaub und würde gerne den Morgen mit euch verbringen«, meint Sara und zeigt ein strahlend weißes Lächeln.

Papa räuspert sich. »Sieh mal, Bambi. Ich bin ja schon eine ganze Weile allein …«

Meine Rehaugen werden noch größer.

»Nicht allein, das ist ganz falsch ausgedrückt. Natürlich sind wir beide ein super Team«, berichtigt er sich und kratzt sich im Nacken. Dann macht er eine Pause, es wird verdammt still. Ich höre das Ticken der Kuckucksuhr aus dem Flur.

»Ja, wir sind ein Dreamteam«, erinnere ich meinen herzallerliebsten Vater daran, dass wir auch immer gut zu zweit zurechtgekommen sind. Wir, Papabär und Bambi, gegen den Rest der Welt.

Sara schürzt die Lippen und ich möchte sie gerne von meinem Stuhl scheuchen und ihr die Tür zeigen.

»Aber Erwachsene brauchen auch einen Partner und ich habe Sara kennengelernt, vor einiger Zeit …«, druckst Papa weiter rum und fährt sich unruhig durch den Bart, der von vielen kleinen Silberfäden durchwebt ist. »Wir waren Kaffeetrinken und haben uns näher kennengelernt.«

»Das geht also schon länger?«, erkenne ich und versuche, dabei ganz gelassen zu bleiben. Bei gefährlichen Raubtieren soll man ja keine Angst zeigen, das provoziert sie. Und bei bösen Stiefmüttern in spe auch nicht.

»Nun ja«, sagt Papa und Sara ergreift das Wort.

»Ich will dir deinen Papa nicht wegnehmen, keine Sorge«, meint sie, lächelt zuckersüß und ich schlucke trocken.

»Ach, nein?« Ehrlich. Wir wissen ja wohl, wie das in jedem verdammten Märchen endet. Man muss sich nur mal Cinderella angucken. Zum Glück hat Sara keine Stiefschwestern für mich im Gepäck.

»Sara hat auch Kinder«, verrät mir Papa mit einem Hurra im Gesicht und mir wird echt übel.

»Super.« Aus Versehen wische ich eine Tasse mit dem Ellenbogen vom Tisch. Sie zerbricht in viele Einzelteile. Ähnlich wie meine wilden Gedanken. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, alles würde für immer bleiben, wie es ist. Wir zwei am Waldrand in dem märchenhaften Forsthaus.

Papa setzt Kaffee auf, macht mir einen Kakao und plaudert von seinem Zufallstreffen mit Sara vor einem Buchladen. Sie arbeitet hin und wieder direkt daneben in einem Kosmetiksalon, wenn sie nicht gerade exklusive Hausbesuche macht, und ich glaube nicht an Zufälle. Sicher hat sie eine Glaskugel oder so was und hat auf meinen Papa gelauert.

Papa ist einer der begehrtesten Junggesellen hier im Ort. Ich habe gehört, wie Monas Mutter ihn als mehr als gut aussehend, charmant und gebildet bezeichnet hat. Der Traum aller ledigen Frauen.

»Sara ist Make-up-Artistin«, erzählt Papa mir, während er das beinahe verbrannte Rührei verteilt. »Sie schminkt manchmal sogar für Film und Fernsehen.«

Ich stopfe mir ganz viel Ei in den Mund. Solange ich kaue, muss ich nichts sagen. Denn mit vollem Mund spricht man nicht. Ich beobachte lieber.

»Du kannst ja mal mitkommen, wenn ich einen Schauspieler schminke«, meint Sara, und ich kann nicht verstehen, was Papa an ihr findet. Sie hat nichts mit Mama gemeinsam. Gar nichts. Nicht einmal ein ganz kleines bisschen.

»Oh, das ist aber nett von dir, Schatz«, findet Papa.

Schatz?

»Ist das nicht toll, Bambi?«, will er von mir wissen.

Meine Augen verengen sich misstrauisch, beobachten, wie Sara ihr Rührei seziert und mit der Gabel bearbeitet. Sie findet ein Stück Schale und schiebt es an den äußeren Tellerrand. Ihr Blick begegnet meinem, es könnte verborgener Tadel in ihm liegen, weil ich es gewagt habe, etwas von der Eierschale zu übersehen.

»Ja, ganz toll«, gebe ich zu und wundere mich über Papas Sinneswandel, was Schminke angeht. Mir hat er letztes Jahr einen Lippenstift, den ich von meiner Freundin Mona bekommen hatte, abgenommen. Er meinte, Natürlichkeit bei einer Frau sei so wichtig. Und ich hätte es sowieso nicht nötig, mir etwas ins Gesicht zu schmieren. So wie Mama, die auch eine natürliche Schönheit war.

»Ich könnte dich ja mal schminken, nur so zum Spaß«, schlägt Sara vor, und ich halte die Luft an.

Ha, jetzt hat sie das Fettnäpfchen getroffen. Ich warte mit einem Lächeln auf die Reaktion meines Papas und traue meinen Ohren nicht.

»Ja, wieso nicht, Liv? Das wird bestimmt toll!«

Jetzt bin ich mir sicher. Hier geht es ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu. Diese Sara muss eine Hexe sein. Sie hat meinen Papabär mit einem Bann belegt und verzaubert. Vielleicht hat sie so was wie einen Wunschpunsch gebraut und ihm davon in den Kaffee getan, den sie bei ihrem ersten Treffen trinken waren. Und nun ist er verliebt in sie und ich werde demnächst im Wald ausgesetzt.

Ganz toll!

Sara mustert mich, weil ich nichts sage. Ihre Augen sind kühl und ihr Mund zuckt zu einem überlegenen Lächeln. Sicher weiß sie, dass ich sie durchschaut habe, und plant bereits, wie sie mich elegant loswird.

»Ja, schminken ist toll«, reiße ich mich irgendwann zusammen und wische mir eine lose Strähne aus dem Gesicht. »Als wir beim Ballett Schwanensee aufgeführt haben, wurden wir auch geschminkt.«

Das war letzten Monat und Papa war so stolz auf mich, dass er eine Träne verdrückt hatte. Und nun?

Hans, das Eichhörnchen, lugt mit seinem einem Auge durchs Fenster, vielleicht denkt es dasselbe wie ich. Ich muss ihn unbedingt beauftragen, diesmal für mich Nüsse zu besorgen. Und zwar Zaubernüsse, mit denen man sich im Zweifelsfall vor einer bösen Königin retten kann. Vorsichtshalber sollte ich gleich in mein Zimmer verschwinden und meine geliebten Märchenbücher studieren, wo Aschenbrödel ihre Nüsse herhatte.

Papa setzt sich neben seine Sara und haucht ihr einen Kuss auf die Wange. »Toll, nun hab ich endlich meine beiden Lieblingsfrauen zusammen an einem Tisch«, freut er sich, und ich trinke meinen Kakao in einem Zug aus.

Ich kann es kaum erwarten, aufzustehen und mich in Sicherheit zu bringen.