Winona und der Ruf der Wiccas - Mina Teichert - E-Book

Winona und der Ruf der Wiccas E-Book

Mina Teichert

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Beschreibung

Bestseller-Autorin Mina Teichert mit einer fesselnd-fantastischen Geschichte

Nach ihrem zwölften Geburtstag geschehen merkwürdige Dinge in Winonas Leben. Zuerst besucht sie ein schwarzer Vogel, der spricht. Dann bekommt sie ein geheimnisvolles Geschenk, das sie und ihre Klassenkameradinnen Ophelia, Lilly und Grace in ein Land namens Turmalin stolpern lässt. Und zu allem Überfluss sitzen sie dort erst mal fest. Denn der Jadewald ist faszinierend und düster, die Blumen haben eine eigene Meinung, die Pilze sind viel zu groß und die Bewohner des Waldes führen die vier in die Irre. Was hat es mit den verlorenen Wiccas, den guten Hexen des Waldes, auf sich? Was führt die Herrscherin der Spiegelstadt im Schilde? Und was tut man, wenn man von fliegenden Waschbären entführt wird? Schnell wird klar, dass Vertrauen, Mut und echte Freundschaft die Schlüssel zum Sieg sind. Und dass man manchmal dem Ruf von Wiccas folgen muss, um über sich hinauszuwachsen.

Ein Feuerwerk an Ideen, das nicht nur Fans von „Alice im Wunderland“ begeistert

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Linnas Traum vom Profisport scheint zum Greifen nah, als sie das geheime Sportinternat Olympia Magica entdeckt. Als begeisterte Schwimmerin stürzt sie sich sofort ins Training, doch die Probezeit ist hart: Ihr bleibt nur eine Woche, um ihr magisches Talent zu beweisen! Neben ihren aufkeimenden Selbstzweifeln hat sie außerdem das ungute Gefühl, dass zwei ihrer Mitschüler mit unfairen Mitteln spielen. Gemeinsam mit ihren neuen Freunden Kajam und Margot kommt Linna einem gefährlichen Geheimnis auf die Spur. Und plötzlich steht alles auf dem Spiel. Kann Linna die Wahrheit aufdecken, ohne ihren Platz im Internat zu gefährden?

Die Autorin

© YGM.FOTOGRAF.DE

Mina Teichert wurde in dem schneereichen Jahr 1978 in Bremen geboren und lebt mit ihrer kleinen Familie im ländlichen Idyll Niedersachsens. Nachdem sie zunächst als Kind hartnäckig das Ziel verfolgte, Kunstreiterin im Zirkus und Wahrsagerin zu werden, sattelte sie mit vierzehn um und träumte von dort an von der Schriftstellerei. Heute schreibt sie mit Begeisterung Geschichten für Jung und Alt.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Mina Teichert

Winona

und der Ruf der Wiccas

Zwölf Kerzen

Die Sonne ist noch nicht lange aufgegangen und ich stehe im Schlafanzug vor dem Fenster. Sehnsüchtig blicke ich hinüber zu dem großen weißen Haus mit dem roten Dach, in dem vor Kurzem noch meine Freundin Lucy gewohnt hat. Sie war die Einzige, die ich hatte. Und dieses Jahr werde ich ohne sie meinen Geburtstag feiern.

Ich seufze. Sie fehlt mir unglaublich. Wir hingen immer gemeinsam ab, waren zusammen im Kindergarten und sind zusammen eingeschult worden. Und jetzt ist sie weg.

»Wie soll ich bloß jemals eine andere Freundin finden?«, murmle ich vor mich hin und muss an das Versprechen denken, das ich Lucy noch gegeben habe, bevor sie mit ihrer Familie abreiste. Nicht heulen! Tränen vergießt man besser aus guten Gründen, bevor man noch drin ertrinkt. Und Freunde findet man an jeder Ecke, man muss nur den eigenen Augen trauen. Oder so ähnlich.

Mein Mundwinkel zuckt.

Jetzt lebt Lucy in Hongkong, am südchinesischen Meer am anderen Ende der Welt. Und das nur, weil ihre Eltern die nächsten drei Jahre dort arbeiten wollen. Eigentlich ein Abenteuer nach meinem Geschmack. Nur dass ich hier zurückbleibe und sie den ganzen Spaß ohne mich hat. Ich atme tief ein und denke über Freundschaften nach. In meiner Klasse gibt es niemanden, der zu mir passt. Die Mädchen sind alle langweilig, totale Barbies oder graue Mäuse. Nur Lucy war anders, liebte schrille Outfits wie ich und Flohmarktbesuche.

Meine Zimmertür schwingt auf, Wunderkerzen schicken ihr Knistern und Funkeln zu mir herein und ich muss nun doch schmunzeln. »Happy Birthday, Winni«, singt meine Mama etwas zu schief und Papa nuschelt mit. »Jetzt bist du stolze zwölf Jahre alt, Winona, Schatz.«

»Ja, hurra«, sage ich und setze mein schönstes Lächeln auf.

Ich weiß noch nicht, was ich vom neuen Alter halten soll. Viel mehr dürfen tue ich mit zwölf auch nicht als mit elf. Aber meine Aufgaben im Haushalt haben sich erst kürzlich verdoppelt: den Müll raustragen, die Spülmaschine sachgemäß ein- und ausräumen und den Rasen mähen waren nur drei neue Dinge davon. Mama balanciert die Torte auf mich zu, die zwölf Wunderkerzen brennen herunter und vergehen mit einem Zischen in der Sahne. »Danke, ihr seid die besten Eltern der Welt«, freue ich mich doch ein wenig und lasse mich von Papa fest in den Arm nehmen.

»Schau, was ich gestern für dich aus der Post gefischt habe.« Mama wedelt mit einem Päckchen vor meiner Nase. Ich erkenne die krakelige Handschrift sofort.

»Von Lucy!« Ich schnappe es mir, schüttle es an meinem Ohr und höre nichts. Was da wohl drin ist?

»Lucy hat mich gebeten, es dir gleich als Erstes zu geben«, sagt Mama.

»Wie lieb von ihr.« Sie hat mich also auch nicht vergessen.

Mama wuschelt durch meine blonde Bobfrisur. »Und wenn du fertig angezogen bist, komm doch bitte in die Küche, wir haben auch noch eine Überraschung für dich.«

»Ich beeile mich«, verspreche ich und Mama plappert von damals, als sie selbst mal zwölf wurde und einen Hula-Hoop-Reifen bekam. Sie schwärmt und schwärmt. Ich bin eher nicht der sportliche Typ, weswegen ich mir etwas ganz anderes zum Geburtstag gewünscht hatte. Ein Haustier, auch wenn ich fürchte, dass das nie etwas wird, weil Papa eine Tierhaarallergie hat. Lucy besitzt eine Katze namens Pumpernickel, die sehr gut zuhören kann und als Kummerkasten taugt. Die lebt aber nun auch in Hongkong.

Mama und Papa verschwinden mit der Torte nach unten und ich öffne das Päckchen. Mein Herz hüpft.

Zum Vorschein kommt eine schwarz-grün gestreifte Strumpfhose, die super zu meiner Strumpfhosensammlung passt. Lucy und ich trugen immer welche, am liebsten bunt mit Mustern und ich probiere sie sofort an. Dann lese ich die kleine selbst gebastelte Karte.

Happy Birthday, Winona,

ich hab sie gesehen, ich musste sie haben und hab dir einfach die

gleiche gekauft.

BFFs 4ever, Kuss auf die Nuss und pass auf dich auf.

Deine Lucy

Ich kombiniere die Streifenstrumpfhose mit einem hellblauen Kleid und meiner roten Lieblingsstrickjacke. Es sieht wunderbar aus, wie ich finde. Fröhlich laufe ich die Treppe hinunter in die Küche. Papa trinkt bereits seinen Morgenkaffee und liest Zeitung. Mir fällt eine hübsch verpackte Schachtel mit rosa Punkten auf, die in der Mitte des Tisches neben der Torte steht.

»Ist das etwa für mich?«, frage ich und die Hoffnung auf ein Haustier schwindet, denn man würde es wohl nicht in so eine kleine Box sperren. Obwohl, Lucys Katze liebt Kartons. Quetscht sich sogar in kleine Schuhschachteln.

»Nein, das ist für jemanden, der heute nicht Geburtstag hat«, scherzt Papa. »Kennst du jemanden?« Er lässt den Kaffee stehen und packt meine Hände. Mit Schwung lässt er mich eine Pirouette drehen, das macht er immer, bevor ich auspacken darf. Der ganze Raum dreht sich und ich taumle. Dann nimmt Papa die Box und überreicht sie mir feierlich.

Der Deckel klemmt. Geduld ist nicht gerade meine größ­te Stärke und ich halte die Luft an, zerre fester. Zum Vorschein kommt … kein Kätzchen – sondern ein giftgrüner Kopfhörer.

»Uih, das ist …« Nicht gerade flauschig, aber immerhin …

»Freust du dich? Du liebst doch Musik, jetzt kannst du sie überall hören«, zwitschert Mama und trägt dieses Tadah-Gesicht und ich will ihr die Freude auf gar keinen Fall vermiesen. Also lächle ich zuckersüß und sage: »Fabelhaft. Ich werde sie gleich mal in Mathe testen.«

Mama lacht sich scheckig, hält das für einen Witz und legt Brote in eine Tupperdose. Kurz überlege ich, ob ich den Haustierwunsch noch mal ansprechen sollte, entscheide mich dann aber dagegen. Meine Eltern sollen nicht denken, ich sei enttäuscht, oder so.

Eine halbe Stunde später betrete ich die Schule, die neuen Kopfhörer auf den Ohren, und stelle fest, es ist wesentlich hübscher hier ohne das abfällige Tuscheln der anderen über meinen Kleidungsstil. Die Augen meiner Fans folgen mir, während ich auf den Klassenraum der 7c zuhalte. Ich schwebe mit den Klängen von Billie Eilish hinein und setze mich in die hinterste Reihe. Der Platz rechts neben mir bleibt leer und ich nehme die Kopfhörer erst ab, als Frau Sahnemeier den Raum betritt. Sie sieht heute nicht gerade gut gelaunt aus und ihr graues Kleid unterstreicht diesen Eindruck noch. Warum bringen die Leute nicht mehr Farben in ihr Leben? Lucy sagt gerne, Kleider machen Leute, und haben sie keine Farben, gibt es keinen Sonnenschein. Oder so ähnlich.

Alle Schüler verstummen, legen ihre Federmappen bereit. Grace vor mir rutscht nervös auf ihrem Hintern herum, ihre dunklen Ringellocken stehen wirr von ihrem Kopf ab und ich stelle mir vor, wie Vögel darin nisten. Das wäre doch mal interessant. Besser als Matheunterricht jedenfalls.

»Guten Morgen, ihr Lieben. Nehmt bitte eure Blöcke heraus, wir schreiben einen Test«, sind die Worte von Frau Sahne­meier, die Entsetzen auslösen. Nicht nur bei mir.

»Aber ich habe doch Geburtstag«, rutscht mir die Beschwerde heraus und Frau Sahnemeier runzelt die Stirn.

»Oh, na dann, herzlichen Glückwunsch, Ilona.« Sie sagt es in einem Ton, der so klingt, als wäre es unwichtig und eher störend. Und wer zum Teufel ist Ilona?

»Winona«, muss ich sie zum einhundertfünfundachtzigsten Mal korrigieren. »Mein Name ist Winona Winter.« Lilly links neben mir schnappt an meiner Stelle empört nach Luft und murmelt etwas vor sich hin, das sich anhört wie: Die ist einfach unglaublich. Und von der sollen wir was lernen. Wenigstens eine Klassenkameradin, die scheinbar mit mir fühlt. Ich linse zu ihr hinüber, doch ihr Gesicht verschwindet wieder hinter ihren langen glatten Haaren. Fast ist es, als benutze sie ihre Frisur wie einen Vorhang vor der Welt, um nicht gesehen zu werden. Vielleicht wünscht sie sich, unsichtbar zu sein. Obwohl sie etwas blass ist, hat sie ein schönes Gesicht. Zumindest trägt sie nicht so eine große Nase wie ich, das ist doch schon mal was. Ich wünschte, ich hätte nicht den Höcker von Papa geerbt, der wie eine Skipiste für Ameisen aussieht.

»Richtig, Winonaaaa.« Frau Sahnemeier zieht den letzten Buchstaben in die Länge. »Dann ist das sicherlich dein Glückstag und du schreibst eine Eins«, meint sie und teilt ungerührt die Zettel aus.

Grace jammert, nimmt ihre quadratische Brille, die fast ihr ganzes Gesicht einnimmt, ab und putzt sie an ihrem Hemdsärmel. Ich betrachte ihr Outfit. Ich glaube, Grace trägt gerne die Klamotten von ihrem verstorbenen Papa, um ihm nahe zu sein. Meine Mama macht das auch so, wenn sie an Oma denken will. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer das sein muss, einen Elternteil zu verlieren. Augenblicklich muss ich schwer schlucken. Diese Regung entgeht Lilly nicht und sie flüstert: »Happy Birthday, Winona. Ganz bestimmt ist das heute dein Glückstag.« Ihr Mundwinkel hebt sich schüchtern, und bevor ich mich für die lieben Worte bedanken kann, sagt Ophelia hinter mir: »Na ja, wenn heute Winonas Glückstag wäre, dann hätte der Modegott sie vor der Kleiderauswahl gerettet, oder etwa nicht?«

Bamm! Mein Blick ruckt zu dem beliebtesten Mädchen des Jahrgangs. Sie ist die unangefochtene Queen der Klasse und alle lachen über ihre Sprüche. Auch wenn sie nicht lustig sind. Ich schaue in Ophelias schmales Gesicht, die kleine gerümpfte Nase sitzt perfekt in der Mitte. Und ihre Haare liegen in kastanienbraunen seidigen Wellen auf ihren Schultern.

»Was?«, fragt sie in meine Richtung. »Ist doch wahr!«

»In deiner Welt vielleicht«, wehre ich mich und mustere ihr dunkelblaues Outfit. Alles ist Ton in Ton, langweilig. Aber schick. Und wahrscheinlich sauteuer.

»Und in deiner sind Streifen an den Beinen in?« Ihre feinen Brauen heben sich und ich schließe die Faust fest um meinen Stift.

»Fahr zur Hölle«, zische ich wütend.

»Ilona, also bitte, so etwas möchte ich hier nicht hören«, beschwert sich Frau Sahnemeier und legt mir nun einen der Zettel auf den Tisch.

Willkommen in meinem Leben. Ungerechtigkeiten gehören dazu wie das Amen in der Kirche. Also gebe ich auf und drehe den Test um. Die erste Aufgabe ist schon zum Scheitern verurteilt und ich könnte heulen. Ich weiß zwar nicht, wofür ich Mathe im späteren Leben noch brauchen werde, aber mir schwant, dass eine Sechs meiner Versetzung gefährlich wird.

Die Minuten vergehen, ich versuche mich an Aufgabe zwei und drei. Meine Leistung beginnt schwach und nimmt dann stark ab. Großartig! Dann geschieht ein Wunder. Grace, in der Reihe vor mir, legt ihr Blatt so, dass ich alles ganz genau sehen kann. Und sie rettet mir damit den Hintern, ob mit Absicht oder nicht. Happy Birthday!

Ein Vogel namens Ups

Am Abend sitze ich allein in meinem Zimmer und sehe wieder traurig aus dem Fenster. Die Kopfhörer sitzen auf meinen Ohren und ich lausche den Klängen von Vivaldis Vier Jahreszeiten. Plötzlich taucht etwas Schwarzes aus dem Nichts auf, kracht gegen die Scheibe.

»Ah!« Ich erschrecke mich zu Tode, taumle rückwärts und reiße mir die Kopfhörer runter. Eine Dohle flattert vor dem Fenster, landet schließlich auf dem Sims und wird auf einmal von anderen Krähen angegriffen. Sie fliegt wieder in die Luft. Ein Gefecht entbrennt, das sich immer höher in den Lüften abspielt. Federn wirbeln, als hätte Frau Holle Kissen platzen lassen. Nur mit schwarzem Inhalt, nicht mit weißem. Ich öffne das Fenster, beobachte das Spektakel und zähle insgesamt zwölf Vögel, die auf und ab gleiten. Und während der Himmel sich verdunkelt und ein Grollen von weit her ertönt, überlege ich, ob ich irgendetwas tun könnte. Wie ich der armen Dohle, die so gemein angegriffen wird, helfen könnte.

Ich klatsche in die Hände, ohne Erfolg.

»Hey, lasst sie in Ruhe, ihr fiesen Viecher!«, kreische ich und dann passiert es. Das gejagte Tier hält direkt auf mich zu. Meine Augen weiten sich vor Überraschung, seine vielleicht auch. Blitzschnell ducke ich mich, spüre die Krallen des Vogels noch an meinem Kopf vorbeisausen. Dann donnert er in mein Regal mit den Stofftieren. Teddys fallen.

»Verdammte Axt, das sind aber nicht gerade deine Freunde, was?«, hauche ich und richte mich ganz langsam wieder auf. Von draußen dringen frustrierte Rufe der Mobber zu uns herein und ich glotze den Besucher unsicher an. Können Dohlen eigentlich gefährlich sein? Man nennt sie auch Turmkrähen und sie gehören zu der Gattung der Raben. Sind intelligent und haben sehr, sehr scharfe Schnäbel.

Der Vogel beäugt mich misstrauisch. Beschwichtigend hebe ich die Arme. »Du brauchst keine Angst zu haben, ich weiß nur zu gut, wie es ist, von anderen fertiggemacht zu werden.« Ich lächle gewinnend. »Hast du etwas angestellt?«

»Nein«, sagt der Vogel plötzlich und ich traue meinen Ohren nicht … Das muss der Schock sein, weil der Vogel gerade fast in mich hineingeflogen war.

»Ich habe gerade gedacht, du hättest Nein gesagt«, sage ich grinsend und er wiederholt das Wort. »Nein.«

»Habe ich Halluzinationen?« Ich kneife mir mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel.

»Nein.«

»Wow.« Ich starre den Vogel an, er starrt zurück. Und ganz langsam wandert meine Hand zum Fenster, im Begriff es zu schließen. Diese Dohle wäre doch das perfekte Haustier. Oder etwa nicht? Andererseits sind Dohlen Wildtiere und lieben ihre Freiheit. Allerdings steht im Keller Omas alter Wellensittichkäfig, und wenn die Dohle sich nicht aufplustert, könnte sie reinpassen.

»Nein, danke«, sagt der Vogel, als hätte er meine Gedanken gelesen und ich zucke zurück. Ich schäme mich vielleicht sogar ein wenig für meine Idee.

»Soll ich das Fenster nicht zumachen?«, hake ich nach.

»Nein.« Die Dohle legt den Kopf schief, beäugt mich erst aus dem rechten Auge, dann aus dem linken.

»Ich wollte nur nicht, dass die anderen Vögel auch hier landen. Das wäre bestimmt nicht in deinem Sinne. Oder?«

»Nein, danke«, wiederholt mein neuer gefiederter Freund und mir entschlüpft ein Kichern. Ich nehme mir vor, im Internet nach Dohlen und ihrem Sprachvermögen zu googeln. Ob sie ähnlich wie Papageien Sprache nur nachplappern oder zu einem echten Gespräch fähig sind? Mir kommt ein Gedanke: Wenn diese Dohle mehr kann als Nein und Danke zu sagen, wäre das ein Ticket aus meinem langweiligen Leben. Ich könnte mich einem Wanderzirkus anschließen und mit dem Vogel mein Geld verdienen. Scheiß mal auf Schule und Mathe. Tschüss, Papas Steuerbüro!

»Nein, danke!«

Okay, das klang empört. Und irgendwie wird das Ganze jetzt doch gruselig.

Ich wippe auf den Zehen, verschränke die Hände unschuldig hinter dem Rücken.

»Wie heißt du denn?«, will ich von der Dohle wissen und sie schlägt mit den großen schwarzen Flügeln. Stolziert im Regal umher und ein weiterer Teddy macht sich auf den Weg zum Boden.

»Ups«, sagt der Vogel.

»Macht nichts, der Bär ist Kummer gewohnt«, sage ich und hebe ihn auf. »Als ich vier war, hab ich ihm ein Ohr abgekaut. Da macht ihm so ein kleiner Sturzflug gar nichts aus.« Ich drücke das Stofftier an mich, beobachte meinen Besucher und kann nicht glauben, was hier passiert. Ich quatsche mit einem Vogel, als hätte ich einen Vogel. Thihihi.

»Ich bin Winona«, erkläre ich und deute mit dem Zeigefinger auf mich. »Und du heißt?«

»Ups«, wiederholt er und wippt lustig mit dem Kopf.

»Das ist aber ein seltsamer Name.«

Im nächsten Moment erhebt die Dohle sich in die Luft, flattert aufs offene Fenster zu und reißt dabei die Gardine samt Stange herunter.

Ich kann gar nicht so schnell reagieren, da trifft mich das Gestänge auch schon am Kopf. Die Gardine wickelt mich ein und ich bin für einen Moment blind.

»Mist!«, krähe ich und höre nur noch ein gehauchtes Ups, bevor ich der Länge nach hinknalle. Es tut fast nicht weh. Doch ein wenig Panik hab ich schon, weil ich mich überhaupt nicht bewegen kann.

»Hilfe!«, rufe ich nach meiner Mutter, zum Glück hört sie mich auch und reißt die Zimmertür auf. »Winni, was ist passiert?«, wundert sie sich und wickelt mich aus dem Vorhang.

»Du wirst es nicht glauben, eine Dohle ist in mein Zimmer geflogen«, stammle ich und strample mit den Beinen.

»Ehrlich?«

»Ja, und sie konnte sprechen.« Endlich komme ich frei.

»Was du nicht sagst.« Mama streicht mir übers Haar, sie stehen mir zu Berge.

»Wirklich. Ich schwöre.«

»Latein oder Chinesisch?«, feixt Mama und nimmt mich nicht ernst. Ich rolle mit den Augen, während Mama sich da­ranmacht, die Gardine wieder aufzuhängen und meinen Teddy aufs Bett zu setzen.

»Süße, wie sieht es aus. Gehen wir morgen früh zusammen auf den Flohmarkt im Ort?«

Den hatte ich fast vergessen. Eigentlich war ich immer mit Lucy dort gewesen. Jedes Jahr hatten wir uns irgendwas Altes gekauft, wie die Kette mit grünen Holzperlen, die auf meinem Nachttisch liegt. Ich trage sie gerne zu besonderen Anlässen und Familienfeiern und habe von Tante Hermine schon viele Komplimente dafür bekommen. Doch jetzt interessiert mich eigentlich nur der verrückte Vogel.

»Würdest du mir den Gefallen tun?«, hakt Mama lieb guckend nach und ich weiß genau, dass eigentlich sie es ist, die mir einen Gefallen tun will.

»Selbstverständlich. Das wird toll!«, sage ich also und sie drückt mir einen Kuss auf die Wange.

»Dann geh jetzt ins Bett, sonst bist du nicht ausgeschlafen«, rät sie mir und ich gehorche, putze Zähne, ziehe mir meinen Schlafanzug mit Katzenprint an und schlüpfe unter die Bettdecke. Das Fenster lasse ich offen. In der Hoffnung, dass der tollpatschige Vogel noch mal zurückkommt und wir vielleicht eine Freundschaft eingehen können.

Leider hatte ich Pech, was den Vogel angeht. Er kam nicht zurückgeflogen. Aber das macht nichts, denn ich freue mich auf den Flohmarkt mit meiner Mama und auf interessante Schätze aus alten Zeiten.

Wie jedes Mal, wenn ich solch einen Ort erreiche, wo so viel Nützliches und Gebrauchtes verkauft wird, habe ich das Gefühl, diese Dinge flüstern zu hören. Als wenn sie ihre Geschichten erzählen wollen und man nur genau hinhören muss, um sie zu verstehen.

»Was sagst du, wollen wir nach ein paar Pullovern Ausschau halten? Ich könnte einen dicken für den nächsten Winter gebrauchen«, sagt Mama, die ich erst kürzlich davon überzeugt habe, dass es viel nachhaltiger ist, Klamotten nicht immer neu zu kaufen. Ich selbst habe meine Lieblingswinterjacke vor einem Jahr genau hier gefunden und nur wenige Euronen dafür bezahlt.

»Gute Idee, ich bin stolz auf dich, dass du so vernünftig geworden bist«, lobe ich Mama und sie lächelt. Lob ist so wichtig, kann ich nur sagen. Erwünschtes Verhalten muss unbedingt bestätigt werden. Das sagt Lucy auch immer.

Ich hake mich bei meiner Mutter ein und wir schlendern voran. Meine schwarzen Lacksandalen machen Geräusche auf dem glatten Kopfsteinpflaster und ich atme süßen Zuckerwatteduft von einem Stand durch die Nase ein.

Irgendwann wird es voll. Überall stecken Leute ihre Köpfe über die Auslagen der Stände und ich verfluche, dass ich so klein bin.

»Winni, schau mal dort.« Mama deutet nach vorne, zwischen zwei ältere Herren, die ein altes Schaukelpferd begutachten. Es ist weiß, mit buntem Zaumzeug bemalt. »Ist das nicht wunderschön? Meine Mutter hatte als Kind selbst so eines.«

»Was ist damit passiert?«, frage ich.

»Es ist irgendwann kaputtgegangen. Aber vielleicht steht es noch irgendwo im Keller …«

»Das wäre traurig. Vielleicht schauen wir nach und retten es, wenn es da ist?«, schlage ich vor.

»Das machen wir, Spätzchen«, meint Mama und tätschelt meine Hand. Ich weiß, dass sie immer noch traurig ist, dass Oma nicht mehr da ist. Und obwohl ich mich kaum noch an sie erinnern kann, fehlt sie mir auch. Damals hat sie mir Schmetterlingsaufkleber geschenkt und Karamell für mich gemacht. Beinahe kann ich noch fühlen, wie es an den Zähnen kleben blieb und der süße Geschmack im Mund explodierte.

Ich drücke liebevoll die Hand meiner Mama und schaue ihr in die Augen. »Ich wette, Oma ist genau in diesem Moment hier bei uns.«

»Das ist eine schöne Vorstellung«, meint sie und lächelt.

»Ja, ganz bestimmt. Sie ist in den weichen Wattewolken über uns und nascht Karamell.« Ich schirme die Augen vor der warmen Sommersonne ab. »Oder sie sitzt dort drüben in den Bäumen und …« Ich stutze, bleibe stehen, als ein kleiner Zitronenfalter sich auf Mamas Schulter setzt. »Oder sie ist in ihm.«

Mama bleibt ebenfalls stehen und ihre Augen beginnen zu glänzen. »Du hast recht, Spatz, sie freut sich darüber, dass wir beide uns haben.«

Eine Weile stehen wir inmitten der ganzen Leute und beobachten den Schmetterling, wie er sich wieder in die Luft erhebt und davonflattert. Mein Blick folgt ihm, wird dann von etwas Dunklem gefangen genommen. Einer Dohle, die im Ast eines Baumes am Wegrand hockt und mich beobachtet.

Sollte das der Vogel von gestern sein? Unwahrscheinlich, denn wir befinden uns drei Kilometer von zu Hause entfernt.

»Wie läuft es in der Schule?«, fragt Mama mich, als wir wieder weitergehen.

»Super«, lüge ich.

»Hast du dich mal mit einer Klassenkameradin verabredet?«

»Noch nicht. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, es kommen so viele infrage und ich will niemanden verletzen.«

Ein lautes Krächzen hallt über mich hinweg. Ich hebe den Blick, suche nach dem Ursprung und erhasche einen Schatten am Himmel. Der Vogel fliegt Kreise.

»Du kannst gerne mehrere Mädels einladen«, sagt Mama und ich stolpere über einen Bordstein.

»Ja, mal schauen. Ich will mich nicht unter Druck setzen. Lucys Stuhl neben mir ist noch nicht mal kalt, da will ich nicht sofort jemand anderen draufsetzen«, erkläre ich und ärgere mich sofort über mich selbst. Warum sag ich ihr nicht einfach, dass die meisten in meiner Klasse mich komisch finden? Und sich vermutlich niemand darum reißt, meine Freundin zu sein.

Die Dohle folgt uns. Sie fliegt erneut über uns hinweg, setzt sich nun auf ein Straßenschild und guckt mich an. Eine Gänsehaut zieht sich über meinen Arm.

»Winni, dort drüben ist ein Stand mit Kleidung, da will ich mal schnell gucken gehen.« Mama lässt meine Hand los und taucht in eine Menge Frauen, die sich vor dem Stand versammelt haben.

Ich bleibe zurück, schaue der Dohle nach, die weiter nach vorne fliegt und über einem schwarz-weiß gestreiften Sonnenschirm kreist. Von ihm klingt die Musik einer Drehorgel he­rüber und ich folge dem Klang. Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Vogel mir etwas zeigen will.

Irgendwann habe ich mich durch die Menschenmenge gekämpft und lande vor einer Frau, die das bunte Instrument mit einer Kurbel antreibt. Die Melodie ist heiter wie ihr ganzes Erscheinungsbild. Sie hat ihre grauen Haare zu einer kurzen Frisur gestutzt, links und rechts trägt sie Federn im Haar, die fast wie Uhu-Ohren aussehen. Und ihre Augen … Sie wirken mit ihrer Bernsteinfarbe irgendwie nicht menschlich.

Ich bleibe direkt vor dem Leierkasten stehen, wundere mich noch kurz über das weiße Seidenhuhn, das darauf hockt und zum Takt mit dem Kopf wippt.

Die Luft um mich herum wird schwer. Und als die Musik verklingt, spricht die seltsame Frau mich auch schon an. »Eine milde Gabe?«, fragt sie nach etwas Geld und hält mir einen schwarzen Zylinder entgegen.

»Oh, ja. Natürlich.« Ich krame in meiner Hosentasche, gebe ihr einen Euro. »Das war wirklich ein schönes Lied.«

»Vielen Dank, vielen Dank.« In einer fließenden Bewegung geht sie in eine Verbeugung und ich erschrecke, als sie urplötzlich nach meiner Hand schnappt. Ihr Daumen streicht über meinen Handrücken, die Ketten um ihren Hals klingen aneinander.

»Du bist heute das freundlichste Wesen, das ich treffe«, meint sie und ihr Blick ist so intensiv, dass ich die Luft anhalte.

»Wirklich?«

»Ja, und so hübsch.«

Ich stutze, finde meine Nase trotzdem zu groß und meine blonden Haare zu dünn.

»Und deine Augen sind faszinierend«, fügt sie an.

»Sind sie?«

Die Frau zieht mich noch etwas näher zu sich heran. Sie riecht nach Omas Lavendelseife, die Mama immer noch benutzt. Denn im Keller liegen noch ganze drei Kartons davon.

»Weißt du, was es bedeutet, wenn man Punkte in der Iris trägt?«, fragt sie mich und verengt den Blick.

»Nein«, antworte ich und versuche, die Hand der Frau nun doch abzuschütteln.

»Ich auch nicht«, sagt sie verschmitzt.

Das Huhn gackert, als würde es aus voller Kehle lachen, und glotzt mich an.

»Na, dann wird es wohl nicht wichtig sein«, antworte ich und komme endlich frei.

Hinter meinem Rücken drängeln sich die Leute voran und ich kann nicht weiter zurückweichen. Stehe immer noch viel zu nahe vor dem bunten Leierkasten.

»Du wirst herausfinden, was die Punkte in deiner Iris bedeuten«, haucht die Frau nun verschwörerisch. »Meistens erzählen sie von großen Aufgaben im Leben. Oder Prüfungen, weißt du?« Sie zwinkert und etwas saust über meinen Kopf hinweg. Reflexartig ducke ich mich und erkenne die Dohle, die nun ganz selbstverständlich auf der Schulter der Frau landet.

Ich schnappe nach Luft. »Ist das etwa Ihr Vogel?« Mir wird heiß und kalt. »Er war gestern bei mir zu Hause und hatte Ärger mit anderen Dohlen«, berichte ich aufgeregt.

Die Frau lächelt, sie kramt etwas unter ihrem Leierkasten hervor und wiegt es in der Hand. Eine kleine Holzschachtel mit geschnitzten Ranken darauf.

»Ups gehört nur sich selbst, aber er ist ein guter Freund«, höre ich ihr zu und das blöde Huhn hackt nach mir, als ich ihm zu nahe komme.

Ich zucke zurück. »Freunde kann man immer gebrauchen«, nuschle ich und verschränke die Arme schützend vor der Brust.

»So ist es.« Die Frau hält mir die kleine Box entgegen. »Ups möchte, dass ich sie dir zum Geburtstag schenke. Du hast sie dir verdient, weil du ihm geholfen hast.«

»Woher wissen Sie, dass ich Geburtstag hatte?«, frage ich irritiert. Ihr Lächeln vertieft sich. Die Dohle auf ihrer Schulter krächzt laut.

»Öffne sie erst nach dem nächsten Vollmond«, höre ich sie sagen und betrachte die hübschen Schnitzereien. Irgendjemand rempelt mich an, fast lasse ich die hübsche Box fallen. Und als ich den Blick wieder hebe und mich für das Geschenk bedanken will, pustet die Frau mir glitzernden Staub entgegen. Er trifft mich mitten im Gesicht, ich kann kaum atmen. Es kratzt im Hals, ich huste und wedle hektisch mit den Händen. Dann wird die Umgebung durch Lichtblitze erhellt und ich falle ins bodenlose Nichts, Wirbel in Schwarz sausen auf mich zu und dann … ist alles still. Bis ich wie aus weiter Ferne die Orgelmelodie des Leierkastens höre. Und Mamas Stimme. »Winona!«

Ich blinzle, mein Atem ist leise.

»Süße, wach auf.« Jemand rüttelt an meinen Schultern, mir ist schwindelig. »Hey, was ist passiert?« Mamas Stimme klingt besorgt und ich öffne die Augen. Die Sonne am Himmel blendet, zaubert meiner Mutter einen Heiligenschein aus Licht.

»Keine Ahnung.« Erst jetzt registriere ich, dass ich auf dem Boden liege. Die Box aus Holz fest in beiden Händen auf meine Brust gebettet.

»Du musst ohnmächtig geworden sein.« Fremde Leute stehen um mich herum, glotzen mich an.

»Wo ist die Frau?«, frage ich und versuche, klar zu sehen. Doch dieser Staub ist noch überall und taucht alles in einen Schleier aus Glitzer.

»Welche Frau?«, fragt Mama zurück und runzelt dann die Stirn.

Ein Mann gibt meiner Mutter eine Flasche Wasser für mich. »Lassen Sie das Kind was trinken«, rät er freundlich. »Brauchen Sie einen Arzt?«

Mama hilft mir auf die Beine und endlich kann ich wieder klar sehen. »Wollen wir nach Hause, Winni?«, fragt sie und will mich stützen, doch ich brauche keine Hilfe. Meine Kraft ist wieder voll da und mein Blick sucht die Frau, die mir den Staub ins Gesicht gepustet hat – sie ist jedoch weg. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

»Ja, nach Hause wäre super«, hauche ich und ich klammere mich an die geschenkte Box. Wenn sie da ist, kann ich mir die Frau und die Dohle kaum eingebildet haben. Oder doch?

Vier für ein Projekt

In den letzten Tagen habe ich alles versucht, um die Box irgendwie aufzubekommen, doch es war wie verhext. Der Deckel sitzt bombenfest. Selbst mit Hammer und Schraubenzieher war nichts zu machen. Und nun hocke ich im Bett an Mamas Tablet und google nach einem Mondkalender, um zu erfahren, wann der nächste Vollmond ansteht. Wenn es so weit ist, strahlt die Sonne den Mond direkt an. Bei Neumond ist es anders. Dann stehen Sonne, Mond und Erde genau in einer Achse, weshalb wir den Mond nur von hinten beleuchtet sehen. Aktuell dauert es nur noch zwei Tage und der Mond ist voll. Ich hatte ja keine Ahnung, dass diese besondere Zeit Menschen schlaflos macht, sich sehr gut zur Karottenaussaat eignet und man am besten nur dann seine Haare schneidet. Ich schließe die Tabs, lege das Tablet beiseite und hoffe wirklich, dass die Box sich dann endlich für mich öffnet und sein Geheimnis preisgibt. Müde drehe ich mich in meinem Bett von links nach rechts, blinzle im matten Licht der Nacht zum Tischchen, auf dem die Box steht. Irgendwann höre ich ein Geräusch.

Wiccaaaaa, erhebt sich ein Flüstern und Raunen. Ich blinzle, halte den Atem an und es wird lauter. Wiccaaaaa. Plötzlich bin ich hellwach, schlage die Decke zurück und starre die Box an. Etwas im Inneren knirscht oder schabt. Eine Gänsehaut kriecht in meinen Nacken und ich rücke näher an sie heran, lausche. Doch das Geräusch kommt gar nicht von ihr … sondern vom Fenster. Also springe ich aus dem Bett, öffne die Gardine und entdecke einen schwarzen Schatten. Es ist die Dohle und mein Herz macht einen Satz.

»Na, wer hätte gedacht, dass du mich noch mal besuchen kommst?«, begrüße ich Ups, während ich ihn hereinlasse. Zielsicher fliegt er zur Box, setzt sich darauf und wartet.

»Fehlanzeige, mein Freund. Die geht immer noch nicht auf.«

Ups krächzt, legt den Kopf schief und ich zucke mit den Schultern. »Frag mich nicht, ich habe keine Ahnung, warum.«

Mit dem Schnabel pickt er auf den Deckel. Ich tipple auf Zehenspitzen zurück ins Bett und lasse mich auf die Matratze plumpsen.

»Vielleicht können wir sie aus dem Fenster werfen, damit sie kaputtgeht? Dann wüssten wir, was drin ist!« Als ich nach der Box greifen will, hackt Ups nach meinen Fingern und schlägt mit den Flügeln.

»Nein!«, krächzt er.

»Na gut. Dann eben nicht. Ist mir auch langsam egal!« Ich bin ein bisschen beleidigt, weil er mich angegriffen hat. So ein unhöflicher Besucher.

»Ups«, sagt er beinahe bedauernd und Silberlicht fällt durch einen Spalt des Vorhangs direkt auf ihn und die Box. Sein Gefieder glitzert, die Box ebenfalls. Und plötzlich kann ich kaum noch die Augen offen halten und bin so unfassbar müde, dass ich einfach einschlafe.

Als meine Mutter mich weckt, ist Ups weg und es ist bereits morgens. Ich blinzle. Habe ich am Ende nur verrückte Träume gehabt? Und alles war gar nicht echt?

Wie von einer Spinne gebissen, springe ich auf, blicke mich hektisch um. Die Box steht immer noch da.

»Wir haben verschlafen, beeil dich«, haucht Mama und eilt auch schon davon, um sich für die Arbeit fertig zu machen. Ich halte die Luft an. Die Box … sie flüstert. Ich kann die Worte nicht verstehen. Oder bilde ich mir das nur ein?

Vorsichtig nehme ich sie in die Hand und lausche. Der Deckel lässt sich immer noch nicht heben.

»Winona, bist du aufgestanden?«, ruft Mama aus dem Bad.

»Jaha«, antworte ich und bemerke, dass mein Fenster noch offen steht – von Ups ist jedoch keine Spur.

»Papa musste schon los, ich setz dich bei der Schule ab. Beeile dich biiiiitte.«

»Jaha!«

Ich schwinge mich aus dem Bett. Wie ich Stress am Morgen nicht mag. Seufzend stelle ich die Box wieder ab, ziehe mich in Windeseile an. Eine indigoblaue Tunika mit Pikass-Print und aufgenähten Taschen, dazu Lucys Strumpfhose. Und während ich einen prüfenden Blick in den Spiegel werfe, nimmt das Flüstern und Raunen in der Box zu. Winonaaaa!

Ich wirble herum.

»Was zum Geier?« Ich pirsche mich heran, nehme sie erneut in die Hand und halte sie an mein Ohr. Hunderte Stimmen hauchen ein Wort. Ich kann es nicht gleich verstehen, es hört sich an wie Turmalin. Und dann erklingt ein leises Ticken im Inneren. Tick-Tack-Tick-Tack. Ich halte die Luft an. Sollte dort eine Uhr drin sein?

»Seltsam«, hauche ich. »Geh doch einfach auf und zeig mir, was du versteckst«, bitte ich und unterdrücke ein frustriertes Stöhnen. Was würde Lucy tun? Sie mit Mamas Auto überfahren? Sie in der Mitte durchsägen?

Das Flüstern verstummt, das Ticken bleibt.

»Winni, hast du deine Tasche gepackt?« Mama steckt ihren Kopf zu mir herein, sie hat rote hektische Flecken am Hals.

»Mach ich jetzt«, sage ich und sie guckt skeptisch.

»Gut, Frühstück fällt aus, ich geb dir Frühstücksgeld für den Bäcker.« Sie will schon wieder weiter, da halte ich sie zurück.

»Mama, warte mal. Hörst du das auch?«, will ich wissen und strecke ihr die Box entgegen.

Sie runzelt die Stirn. »Was denn?«

»Das Ticken?«

Mamas Brauen schieben sich zusammen und sie schüttelt den Kopf. »Bitte, pack deine Tasche, ich habe jetzt wirklich keine Zeit für so was.«

»Großartig, wenn da ’ne Bombe drin sein sollte, ist das ja auch total unwichtig«, murmle ich und Mama verschwindet wieder im Bad.

Ich entscheide, die Box mitzunehmen. Sollte sie hochgehen, kann sie gleich die ganze Schule sprengen. Und nicht mein hübsches Zimmer.

Ich putze Zähne, trabe danach die Treppe hinunter und schnappe mir einen Apfel aus der Obstschale.

Und dann geht es auch schon los. Mama fährt wie eine Irre, und als sie mich an der Querstraße zur Schule rauslässt, ist mir flau im Magen.

Zu allem Überfluss taucht nun doch Ups wieder auf und fliegt zweimal haarscharf über meinen Kopf hinweg. Er wirkt aufgekratzt und verärgert.

»Hey, was soll das?«, beschwere ich mich, weil ich mich sogar ducken muss.

»Nein, danke!«, krächzt er und ich zeige ihm einen Vogel.

»Du hast sie ja nicht alle.«

Ich beschleunige meine Schritte und werde mich nicht von einem Krähentier einschüchtern lassen. Gar nicht so einfach, wenn man mich fragt.

»Ich habe keine Ahnung, was du mir damit sagen willst, du Vogel. Aber falls du andeuten möchtest, ich solle wieder nach Hause gehen, kannst du dir das abschminken. Ich würde auch lieber nicht in die Schule müssen, aber erklär das mal meinen Eltern«, maule ich und Ups startet ein neues Manöver, fliegt so dicht vor mir, dass ich ausweichen muss.

»Sag mal, spinnst du?«, beschwere ich mich und biege um die Ecke. Die Box in meiner Schultasche raunt wieder.

Ups gibt auf, landet in einer Eiche und schüttelt den schwarzen fedrigen Kopf.

»Sorry, aber wir sprechen uns, wenn ich zurück bin. Und vielleicht versuchen wir es zumindest mit einer Ja- und Nein-Unterhaltung?«, bemühe ich mich um Frieden.

Und plötzlich sagt jemand hinter mir: »Mit wem redest du?« Es ist Grace. Heute trägt sie eine Brille mit runden Gläsern und goldenem Rand. Ihre wilden Haare hat sie in einen Dutt gestopft und ihre braune Haut glänzt in der hellen Sonne.

»Mit mir selbst, kannst du auch mal probieren. Wir sind immer einer Meinung«, scherze ich und fasse meine Tasche fester.

»Cool.« Grace grinst schief.

Ups hockt im Baum, ich könnte schwören, er rollt mit den Augen.

»Und? Bock auf die Projektwoche?«, versuche ich, ein richtiges Gespräch zu beginnen und lächle Grace freundlich an. Vielleicht ein wenig zu sehr.

»Ich finde Insekten überaus interessant. Ameisen können das Vierzigfache ihres eigenen Körpergewichts tragen«, sagt Grace und ich wünschte, wir würden ein anderes Thema haben. Hunde und Katzen zum Beispiel. Domestizierte Haustiere, die man lieb haben und knuddeln kann. Aber Schule ist kein Wunschkonzert, sagte Lucy immer.

Grüppchen haben sich auf dem Hof gebildet. Der Bus hält an der Haltestelle und noch mehr Schüler strömen auf das große blaue Gebäude zu.

»Hört sich stark an«, antworte ich auf die Ameiseninfo.