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Gibt es etwas Aufregenderes, als mit einem Brief das Herz eines angebeteten Menschen zu erobern? Oder etwas Zauberhafteres, als seine Sehnsucht in flammenden Worten an das geliebte Gegenüber zu richten? Nicht umsonst ist der Liebesbrief die klassische Disziplin des Werbens und der romantischste Beweis für das größte aller Gefühle. Diese Sammlung ist ein wahrer Schatz unsterblich gewordener Geständnisse berühmter Liebender. Mit Texten von Charles Dickens, George Sand, Kurt Tucholsky und anderen.
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Seitenzahl: 331
Veröffentlichungsjahr: 2013
Ich küsse Euch tausendmal
Die schönsten Liebesbriefe der Weltliteratur
Herausgegeben von German Neundorfer
FISCHER E-Books
Für Karin
Wem ein Hase vors Bette kommt, dem bedeutets Glück, so ist mir heute geschehen und ich sende ihn Dir, meinem Glücke; der Jäger schreibt dabei, daß die Jagdzeit geschlossen sei, wohl denn so beginnt die Liebeszeit im Freien, und so folgen auch wir unbewußt dem allgemeinen Sinne, und indem wir unsere Arme um einander schlagen, heben wir sie betend zum Herren und fangen seine Gaben auf. – Ich bin vor 11 Uhr mit dem Wagen vor Deiner Türe.
Achim von Arnim an Bettine Brentano
Peter Altenberg
»Geliebter Peter, ich weiß meinen Wert einzuschätzen, ohne Eitelkeit, Selbstbetrug, billiger Lebens-Lüge! Ich weiß aber vor allem, was Du alles noch brauchst, was ich zufällig durch Schicksals dunkle Fügung nicht besitze! Sagen wir zum Beispiel, aber wozu anfangen und niemals enden?! Es gibt soviel Entzückendes in der Welt, verteilt auf Viele! Wer wärest Du, wenn Du es nicht sähest, spürtest, daran littest?! Da wärest Du ja gleich jenen infamen Hunden, die aus Bequemlichkeit und innerer Feigheit, nun Du weißt es ja? Und dennoch Dir, unter diesen Umständen, etwas Besonderes, Wichtiges, Wertvolles, ja Unentbehrliches zu sein, ist mir eine große Genugtuung, ein Stolz, eine Ehre! Ich verstehe infolgedessen diejenigen meiner Mit-Schwestern gar nicht, die glücklich darüber sind, einem Manne Alles zu sein. Das kann man ja ehrlich gar nicht! Und wenn, so ist er doch nur ein beschränkter Mensch! Es gibt Frauen, die sich freuen, einen beschränkten Menschen gefunden zu haben, ich bin leider nicht so anspruchsvoll!«
Dieser Liebesbrief ist noch nie geschrieben worden, obzwar er von Allen an Alle irgendeinmal geschrieben hätte werden müssen!
»Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein«
Vom Keimen und Knospen der Liebe, von ersten Näherungen und Tändeleien, von der erwachenden Leidenschaft und von früher Zurückweisung
Kurt Tucholsky
den 13. 11. 17
Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein,
ich glaube nicht, daß es eine Gelegenheit für einen strafenden Blick war. –
Ich weiß sehr wohl, daß der kleine Zettel für geordnete Verhältnisse eine Unmöglichkeit war – daß es nicht angeht, einer Dame zu winken, so wie der Großsultan seiner Favoritin das seidene Taschentuch zuwirft, was dann soviel bedeutet, wie: »Komm!« – Aber Sie wollen bitte bedenken, daß Autz kein Salon ist und die hiesigen Verhältnisse nicht mit denen in einer großen Friedensstadt verglichen werden können. Der Zettel war ein bißchen gradeaus – aber er war der einzig denkbare Ausweg im Augenblick.
Sie sagen, es liege kein Grund für dergleichen Geschichten vor. Ich weiß doch nicht. (Sie auch nicht.) Sie sagen, ich kenne Sie nicht. Das ist ein Fehler, der behoben werden kann. – Und erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß es noch keine Herabsetzung für ein junges Mädchen ist, wenn man ihr sagt, es liege einem daran, sie kennenzulernen. Und ich will hiermit feierlich und ein wenig reumütig (mit dem bewußten Spitzbubengesicht) die ganze Einladung zurücknehmen. Bis auf die »lustigen Augen« – davon kann ich nichts ablassen – das steht einmal geschrieben und ist schon so. –
Und so bitte ich Sie denn, mir heute abend zu erlauben, Sie zu fragen, ob Sie dem festen, aber bösen Vorsatz, heute abend ganz und gar solide zu sein, nicht für zwanzig Minuten untreu sein wollen. Wir wollen die lange Friedenspfeife rauchen und ich glaube, ein kleiner Gang auf dem östlichen Kriegsschauplatz wird manches wieder gut machen, was in einer unbedachten, aber fröhlichen Minute geschrieben wurde.
Mit einer formvollendeten Verbeugung, die auch vor den Augen der strengsten Großtante bestehen würde –
der bekannte Unbekannte
Manche gehen ja niemals in die Leihbibliothek …
13. [11. 1917] abends
Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein,
Sie haben mich gefragt, was man denn um Gottes willen von Haus zu Haus schreiben könnte, und noch dazu ein – wildfremder Mensch dem andern. Doch einiges.
Ich schreibe diese Zeilen ganz frisch unter dem Eindruck des kleinen Nebelspazierganges, der so hübsch zu den Gesprächen paßte: die Konturen aller Dinge waren ein bißchen verwischt, man konnte nicht genau erkennen, was eigentlich einem entgegenkam, man ahnte es nur … Der Nebel verwischte alles. Ich liebe dieses Wetter. Es ist so schön unbestimmt.
Und nur ein Tolpatsch tappt bei Nebel – wir andern wissen auch dann uns zu bewegen, und es ist viel amüsanter, zum Ziel zu kommen, wenn das Gestein ein wenig schlüpfrig ist und die Luft undurchsichtig, behängt mit kleinen Regentropfen und dick wie Watte. Wer die Richtung im Blut hat, braucht keine Augen.
Ich denke, ich habe sie. Und ich bin sehr einverstanden, dieses Spiel mit Ihnen zu spielen – es erinnert an große Stadt, Friedensmenschen, Frauen, wie sie sein sollen … alte Erinnerungen tauchen auf. Es ist eines der feinsten Spiele, und es wird mit den Fingerspitzen gespielt.
Nun – der Spaziergang. Ich habe, soweit das in der Dunkelheit möglich war, erkannt: Temperament, kein Blut in den Adern, sondern Gott sei Dank und endlich einmal Champagner, kribbelnde Nerven, Gefühl für Rhythmus – Sie tanzen gut – und im ganzen jemand, der nicht den üblichen Liebhaber verdient, der nach der ersten Nacht recht gnädig: »Na, mein Kleinchen –!« sagt. (Sie würden ihn auch sofort abschütteln.) – Resultat?
Resultat: nein, »ich liebe Sie« – das sind nicht die richtigen Worte. Aber: ich möchte gerne lernen, Sie zu lieben. (»Aber Sie wissen ja gar nicht – –« wollen Sie nun sagen.) Doch, ein bißchen weiß ich. Zum Beispiel: daß wir uns schon deshalb niemals zanken werden, weil Sie dazu ein zu guter Kamerad sind. Daß ich den Rhythmus, der in einem Wippen Ihrer Beine ist, so tief im Blute habe, daß es mitzuckt, daß Sie mit Recht eine bis zur Raserei gehende Abneigung gegen handgreifliche Liebenswürdigkeiten haben – die zwischen uns wegfallen – nein: wir zanken uns nicht.
Sie meinen, ich sollte mich demaskieren? Den Galanteriedegen ablegen und endlich sagen … Sie wissen schon, was? Ich habe keine Maske abzulegen, me voilà – ich kann mich nur höflich verbeugen und beim Aufsehen lächeln. Lächeln – und nun nicht – Herrgott! wenn Sie sich das abgewöhnen wollten, zu glauben – lächeln, nicht aus einer vermeintlichen Überlegenheit heraus – ich dächte, wir sind uns gleich – sondern, weil ich froh bin, einen Partner gefunden zu haben, der mitspielt. Der Nuancen empfindet. Der halbe, viertel Töne hört. Der Nerven hat.
Ernst machen? – Wenn es Ihnen recht ist, lassen wir die bunten Bälle ein Weilchen hin und her fliegen – wir wollen warten. – Wenn ich Ihnen aber sagen darf, daß ein Zimmer angenehmer ist als eine schmutzige Straße, und daß Sie, gerade Sie, auch in dem abgeschlossensten chambre séparée sicherer sind als jede andere – dann werden Sie nicht wieder böse sein, wenn ich Sie zu mir bitte. Sie überrumpelt man nicht.
Ich bin mir genau bewußt, am Anfang eines sehr steilen, sehr schwierigen Weges zu stehen. Weil ich aber weiß, daß am Ende etwas sehr Hübsches liegt – allons! Ich will ihn gehen, und Sie erlauben es sicherlich
Ihrem ganz ergebenen
Tucholsky
Meta Moller und Friedrich Gottlieb Klopstock
den 7. April 1752
Wie viele Briefe werde ich Ihnen noch schreiben, ehe ich Sie sehe, mein süßer Freund? Ach, wenn der liebe May doch nur erst da wäre! Aber kommen Sie mir auch nicht eher, als bis die Wege recht gut sind und das Wetter besser ist, auf daß Sie mir meinen Klopstock ganz gesund und wohl liefern. Und dann wollen wir uns recht, recht vergnügen. Aber Sie müssen auch ja so seyn, als ich Sie haben will. Versprechen Sie mir das? Und dann vor allen Dingen ja nicht zu früh wieder wegreisen. Sie sollen nur sehen, wie schön es hier im Frühling ist. Aber was diesen Frühling für uns das beste ist, das empfinden Sie nicht so sehr als wir. Und was wird denn dieses Jahr uns hier den Frühling schön machen? – – Ach Klopstock, ich bin Ihnen doch recht von Herzen gut. Diese Nacht träumte mir, daß Sie hier waren. Das war schön! Ich bin so vergnügt, Klopstock, wenn ich an Ihr Kommen denke. Der Himmel belohne Sie dafür, daß Sie uns einige Stunden so erheitern. Und wenn Sie nun kommen, so will ich zusehen, ob ich meinen alten Gram, wenigstens auf die Zeit, ersticken kann. Thun Sie das auch Klopstock. – Aber ich will daran nicht denken. Ich will soviel mir möglich ist, mich mit den Gedanken, den süßen Gedanken beschäftigen, daß [ich] meinen so lieben Freund nun bald sehen werden.
Ob ich Ihnen in Ihrem letzten Briefe Ihren Ernst vergebe, nachdem er mit Scherz anfing? O Klopstock, Sie sind mir immer Ernst noch liebenswürdiger als im Scherz, ob Sie mir gleich auch im Scherze unendlich liebenswürdig sind. Wieviel mehr feyerlich wird mir künftig der Charfreytag sein!
Ach Klopstock – – gottlob, daß ich Sie 1740 noch nicht gekannt habe. Mein süßer, süßer, lieber Freund. Ich kann Ihnen nicht mehr schreiben.
M. Moller.
Lincbi, den 9. Mai 1752
Gleich itzo bekam ich Ihren Brief mit Gisekens seinem. O wie unaussprechlich lieb habe ich Sie, mein Klärchen. Und dieses Gefühl ist so sehr mein herrschendes Gefühl, daß ich nur ganz kleine Stücke am Messias arbeite und den einzigen Horaz lese, aber vielmehr nur in der Zerstreuung, in der süßen Zerstreuung, hier wieder koste, ohne recht zu wissen was ich koste.
Der Ausdruck in Ihrem Briefe: »Gesellschaft entziehen.« O meine Mollern, wie glücklich wäre ich, wenn Sie noch ganz anders redeten. Ob ich Ebert und zwar wie ihn mir Giseke von neuem beschrieben hat, ob ich ihn oft sehen werde? Der Gedanke ist auf der einen Seite sehr traurig für mich, nämlich daß ich ihn nun auch in Braunschweig selten sehen würde, aber wenn er auch noch mein alter Ebert wäre, so würde er sich darein ergeben müssen, dass die kleine Moller den ersten Platz in meinem Herzen hätte. Doch wie halb hab ich mich ausgedrückt. Ich fühle es, das war nur halb mein Herz. Den ersten Platz unter meinen Freunden? Nein, Mollern, Sie wissen es ja einmal, das ist viel zu wenig für mein Herz! Viel zu wenig, meine süße, süße Mollern. – Doch ich hasse die Sprache, die von der Gegenwart unbeseelt ist, ich hasse diese halbe Sprache und will weiter kein Wort mehr sagen. Doch muß ich das Versprechen meines letzten Briefes halten. Doch ich kann es noch nicht, und ich werde Ihnen wohl noch einmal schreiben müssen. – – – Und ich soll nicht über die See gehen? O, mein unaussprechlich süßes Clärchen, wie lieb, wie sehr lieb habe ich sie. Adieu für diesmal, bestes Mädchen. Ich kann und mag nicht mehr schreiben. Ich hoffe es von ganzem Herzen.
Ihr
Klopstock.
Den 15 July 1752
Als ich in Quedlinburg, er zwischen
Quedlinburg und Hamburg unterwegs war.
Nun bist du fort! – Mein Klopstock! – Ach! – – O, ich kann nichts schreiben. Ich bin noch zu beklommen. Vor einem Augenblick saßest Du hier noch bei mir. Ach, mein Klopstock! – Ich kann noch nicht zum Weinen kommen, ich weiß nicht, wie das ist. Ich bin sehr, sehr beklommen. Aber unserm Gott, wie Du sagtest, unserem Gott empfehle ich Dich auch. O ja, Deine Reise ist gewiß glücklich. Sey meinetwegen nur nicht besorgt. Ich will mich schon aufrichten. Du liebst mich ja – – ich liebe Dich – – und ich sehe Dich bald wieder … Lebe wohl! Ich will mich ankleiden und aufs Land fahren, mein Klopstock! –
Rainer Maria Rilke
[München, 9. Juni 1897] Mittwoch abends.
Von Dir durch Regengassen stehle
ich mich so schnell und mir geschieht,
Daß jeder, der des Weges zieht,
Die selige, erlöste Seele
In meinen Augen flammen sieht.
Und ich will ängstlich auf der Reise
Mein Glück verbergen vor dem Hauf.
Ich trag es heim in schnellem Lauf;
Erst tief in Nächten schließ’ ichs leise
Wie eine gold’ne Truhe auf.
Dann heb’ ich seine gold’nen Schätze
Aus dunkler Tiefe Zoll für Zoll
Und weiß nicht, was ich schauen soll;
Denn meiner Stube alle Plätze
Sind übervoll, sind übervoll.
Es ist ein Reichthum ohne gleichen,
Wie ihn die Nacht noch nie geschaut,
Wie ihn die Nacht noch nie bethaut;
Und mehr, als je an Liebeszeichen
Empfangen eine Fürstenbraut.
Da gibt es reiche Kronenreiser,
Und Sterne sind als Steine drin.
Und Keiner ahnt es. Du, ich bin
Bei meinen Schätzen wie ein Kaiser
Und weiß von meiner Kaiserin.
Und die Sonne nach dem neuen wilden Gewitter fließt so reich herein, als läge wirklich auf allen Plätzen meiner Stube goldechtes Glück. Ich bin reich und frei und träume jede Sekunde des Nachmittags mit tiefem Aufathmen nach. Ich mag gar nicht mehr ausgehen heute. Ich will leise Träume träumen und mit ihrem Glanz wie mit Ranken meine Stube schmücken zum Empfang. Ich will den Segen Deiner Hände auf meinen Händen und meinem Haar in meine Nacht mitnehmen. Ich will nicht zu den Menschen reden, damit ich den Nachklang Deiner Worte, der wie ein Schmelz über den meinen zittert und ihren Klang weich macht, nicht verschwende, und ich will nach der Abendsonne in kein Licht mehr sehen um am Feuer Deiner Augen tausend leise Opfer zu entzünden … Ich will aufgehen in Dir, wie das Kindergebet im lauten, jauchzenden Morgen, wie die Rakete bei den einsamen Sternen. Ich will Du sein. Ich will keine Träume haben, die Dich nicht kennen und keine Wünsche, die Du nicht erfüllen willst oder kannst. Ich will keine That thun, die Dich nicht preist und keine Blüte pflegen, die Dich nicht schmückt; ich will keinen Vogel grüßen, der nicht den Weg zu Deinem Fenster weiß und aus keinem Bach trinken, der nicht einmal Dein Bild gekostet hat. Ich will in kein Land gehen, in dem nicht Deine Träume wie fremde Wunderthäter gegangen sind und in keiner Hütte wohnen, drin Du nie gerastet hast. Ich will nichts wissen von der Zeit, die vor Dir war in meinen Tagen und von den Menschen die in diesen Tagen wohnen. Ich will diesen Menschen, wenn sie es verdienen, ein seltenes welkes Erinnern auf das Grab legen im Vorübergehen, weil ich zu glücklich bin, um nicht dankbar zu sein. Aber die Sprache, die sie mir jetzt reden, ist die die auf Grabsteinen steht, und wenn sie ein Wort sagen, so taste ich und greife lauter kalte starre Lettern. Ich will diese Gestorbenen glücklich preisen; denn sie haben mich enttäuscht und mißverstanden und mißhandelt und zu Dir – hingeführt die lange Leidensstraße. – Jetzt will ich Du sein. Und mein Herz brennt vor Deiner Gnade, wie die ewige Lampe vor dem Marienbild. Du.
Donnerstag früh –
… ich möchte Purpurdecken spannen
und füllen möcht’ ich rings im Land
Mit Balsamöl aus goldnen Kannen
die Blumenlampen bis zum Rand.
Sie sollen alle lange brennen,
Bis wir vom rothen Tage blind,
Uns in der blassen Nacht erkennen
Und uns’re Seelen – Sterne sind.
Reiche, Du, Träume gibst Du meiner Nacht, Lieder meinem Morgen, Ziele meinem Tag und Sonnenwünsche meinem rothen Abend. Du gibst ohne Ende. Und ich kniee und halte die Arme auf um Deine Gnade zu empfangen. Reiche, Du! Ich bin Alles was Du willst. Und ich werde Sklave sein oder König, je nachdem Du zürnst oder lächelst. Aber das was mich sein macht – bist Du.
Das werd’ ich Dir oft, oft sagen. Immer schlichter und einfacher wird mein Gestehen reifen. Und einmal bis ich Dirs ganz einfach sage, wirst Du’s einfach verstehen, dann ist unser Sommer da. Und der reicht hinaus über alle Tage Deines René. –
Heute kommst Du!?
Karoline Flachsland und Johann Gottfried Herder
[Frankfurt, gegen den 20. April 1771]
Haben Sie meine letzte scheidende Bitte erfüllt, liebstes Mädchen, und sind ruhig und heiter gewesen? O Gott! da ließ ich Sie im Winkel hinter meinem Bette stehen, mit weinenden geschwollenen Augen, wo Sie doch vor meiner Ankunft in eben dem Kämmerchen sich auf meine Ankunft so freueten! Bin ich denn als ein Mörder oder Uebelthäter bei Ihnen gewesen, um Ihnen die Ruhe und Heiterkeit der Seele, in der Sie so leben und weben, zu rauben? Lassen Sie mich den Gedanken nicht denken, sanftes, heiteres Mädchen. Ich sehe Sie vielmehr in dem Bilde, wie Sie mir immer erschienen und mit mir gehen, und in dem Sie mir zuerst erschienen sind, wie eine leichte, vergnügte Unschuldsgöttin, die hier auf Erden sichtbar geworden. Das ist, liebste Karoline, Ihre Naturgestalt der Seele, und die würdigste der Menschheit: in der wandeln Sie mit mir, mir ungesehen zur Seite, und behüte der Himmel, daß dies Unschuldsbild mir je von der Seite verschwinde! In der denke ich Sie mir auch jetzt, dachte Sie, da ich wegfuhr, einschlief und aufwachte – und, holdes Mädchen, warum sollte ich nicht immer Sie mir so denken können? Betrachten Sie doch nur selbst, wie eitel alle Erwartungen sind, wenn man mit zu starker Theilnehmung auf sie rechnet. Was hatte ich mir, was wir uns alle, meine ganze Leidenszeit in Straßburg über, für Gedanken und Bilder gemacht, wie meine Zeit in Darmstadt hingelebt werden sollte, und wie ist sie’s? Wie freuten wir uns aufs Wiedersehen, und bildeten uns ein, uns einander schon so zu kennen, daß wir auf diese sichere Vorschlüsse rechnen könnten; und nun sagen Sie, ist in der Welt, liebste Freundin, eine gezwungenere, verschloßnere, herzensverstummtere Freudengesellschaft gewesen als die unsrige? Vielleicht mit allem guten Willen – ich will nichts untersuchen –; aber der Effect ist doch immer derselbe, daß Tage vorbei sind, die gewiß auf andere Art hätten durchlebt werden können. Meine Seele ist noch verstimmt und widerwillig. O sehen Sie, mein liebes Mädchen, wie viel man verliert, wenn man so sicher rechnet. Lassen Sie den Schicksalsfaden leise laufen, wie er läuft, ohne ihn reißen und aufhalten zu wollen: so geht er desto sichrer seinen Gang, und findet sich wieder in unsre Hand, vielleicht wenn wirs am wenigsten gedenken und hoffen. Mein Trost kann Ihnen vielleicht kahl scheinen; auch würde ich ihn nicht so geschrieben haben, wenn nicht wahrhaftig das verlebte Evenement eben in Darmstadt mir noch zu nahe vorschwebte. Liebste Freundin, wie tausendmal empfindlicher muß es sein, wenn eben dergleichen Irrthümer, da man sich zu kennen glaubte, zusammenkommt, sieht und nicht kennet, in irgend einer Beziehung des Lebens statt haben, die nicht so leicht zu trennen ist als der Cirkel in Darmstadt? – Aber sehen Sie, freundschaftliche, edle Seele, wie sicher und untrüglich die schönere Art von Theilnehmung und Umgang ist, die wir uns so heilig versprochen: die Nahheit und Freundschaft unserer Geister und Herzen! Allerliebstes Mädchen, da sehe ich Dich als eine kleine Göttin, als eine Unschuldsgrazie an, die mir auf meinem Lebenswege wie Erscheinung begegnete, um meine Muse, meine Gesellschafterin, meine unsichtbare Freundin zu sein, und mich zu dem zu erheben, was ich sonst durch mich selbst nicht geworden wäre. Ein einsamer Mensch verfällt sehr leicht, und ein Mensch von starkem Charakter kann umso tiefer fallen, je höher er sich erheben konnte: aber wenn ihn ein Engel umwandelt, so unschuldig und gütig und voll und gesund wie die blühende Natur, so fällt er nicht, so hat er ein wohlthätiges schönes Wesen vor Augen, der er den kleinsten Anteil seines Tagwerks weihet, die ihn mit sich selbst eins zu sein lehret, und ihm gleichsam immer das Ziel vor Augen hält, wohin er sich vervollkommne. Liebste Freundin, und das Bild nehme ich von Darmstadt mit, und bloß dazu, um das mitnehmen zu können, bin ich nach Darmstadt auch jetzt zum zweiten Mal gekommen, zu nichts anders, wie ich aus dem Erfolg sehe. Ich habe Sie von so viel neuen und schönen Seiten und so innig, innig, innig kennen gelernt, daß Ihr ganzes Bild mir gleichsam so substanziiert und verkörpert ist, um gewiß nicht mehr als bloßes Traumbild was wieder, ein anderes Traumbild zerstöre, mir vor Augen zu schweben. Kehren Sie sich, meine liebste vortreffliche Freundin, an alles Zuckerwerk und Näscherei von Empfindungen nicht, mit dem man sich im Uebermaße ebenso sehr und noch ärger den Magen verdirbt als mit den offenbarsten Völlereien. Die Natur hat Ihnen, liebste Freundin, so viel Stärke und Festigkeit der Züge gegeben, Sie haben so viel Reeles in Ihrem Charakter, daß Sie zu wohl sehen, der Mensch ist zu einem Besseren auf der Welt da, als eine Empfindungspuppe oder ein Empfindungströdler zu sein. Die schönste Puppe ist noch immer Kinderspiel und der schönste Trödelkram von Empfindungen aus aller Welt Ende ist höchstens ein Zimmer der Erholung und kaum der Bestimmung. Ein Zug, eine Situation, in der ich Sie mir, bestes Mädchen, als ein handelndes wohlthätiges Wesen der Menschheit, als reele Freundin, Gesellschafterin, Gattin, Mutter, würdiges Frauenzimmer gedenke, rührt mich tiefer und ewiger als hundert feine Empfindungsworte schöner Magellonen, die mein Auge nicht gesehen hat: und die zu sehen ich keine Wallfahrten übernehme. Und wie viel solche süße, allerliebste Züge, solche Ahndungen eines himmlischen Lebens habe ich aus Ihrer Seele erwischt! O Gott, wäre ich nur Ihrer Liebe würdig! – Doch ich wills, holdes, sanftes Mädchen, zu werden suchen; denn was kann jeder taube Beklagungsgrund sonst fruchten? Unsre Briefe sollen die Geschichte unseres Herzens, unsrer Gedanken und unsres Bestimmungskreises enthalten. Das wird uns auf die edelste Weise zusammenhalten, und wir werden für einander leben, indem wir so abgetrennt sind. Das wird eine süßere Gesellschaft sein, als wenn wir einander wären und durch fremde Mienen und eine Beklemmung des Herzens gestört würden, um das nicht sein zu können, was man sein will. Hier sind wir frei: mein Geist besucht Ihr Kämmerchen, und sucht Sie in dem meinigen, lieset und denket mit Ihnen, und theilt mit Ihnen ohne Rückhalt jede seiner Bestimmungen. Muß das nicht edler, besser machen? Und wollen Sie nicht in diese freudige Aussicht mit mir einstimmen? Thun Sie es, liebstes Mädchen, und schreiben Sie ja bald und genau, wie Sie sich seit gestern bei meiner Abreise befinden. Ich muß schließen, weil ich aus muss. Hier ruhe ein Kuss auf Ihr himmlisch sanftes Auge und Ihrem armen zerküßten Mund. Ihr ganzes himmlisches Bild steht vor mir, und ich umarme es mit der inbrünstigen Thräne, die Ihr ganzes schönes Herz fühlt. Leben Sie recht wohl. Unser Scheiden ist kein Scheiden, als uns zum Besten.
[Darmstadt, gegen Ende April 1771]
Ja, mein ewig Geliebtester, ich habe Ihre letzte Bitte erfüllt, ich bin seit Samstag so gelassen und heiter, als ich die Tage nach unserem ersten Abschied, da wir uns kaum kannten und staunten, und ich eine Stärke da fühlte, die Berge versetzt hätte, gewesen bin; ich fühle sie jetzt wieder! und zehnmal lebhafter als jemals. Ach! der süße Gedanke, daß mir mein Herder mit seiner ganzen schönen Seele gut ist, daß er mich mit allen meinen Fehlern doch lieb haben kann, daß er mein Engel sein will, das erhöht mehr als alle Erdenglückseligkeit! Siehe, edelster, redlichster Freund, dies hebt mich über Trennen und Abschiednehmen und zehen Berge, die zwischen uns sind. Ach! Wenn Du das fühltest, wie sehr meine ganze Seele, meine ganze Empfindung nun in Dir lebt, daß sie nimmermehr von Dir gehen kann, wenn Sie mir dies reine, lautre, göttliche Gefühl, das nur Seelen vereinigt, zutrauen, ach, mein Allerliebster, mein Einziger, dann küsse ich Deine Knie.
Aber lassen Sie mich auf die bittre Abschiedsstunde zurückgehen, dort an Ihrem Bette, wo Sie vielleicht zuweilen an mich gedacht und geträumt haben, haben Sie mich verlassen. Dachten Sie nicht, dass ich mich dahin legen werde, wo Sie gelegen? Ja, ich thats, und wie alle Tränen verweint waren, dann fühlte ich (o lassen Sie mir hier ein wenig Sinnlichkeit!), wie süße der Ort, wo Sie geschlafen. Ich wünsche mir es, jetzt tausendmal in mein Kämmerchen oder mich in jenes Kämmerchen. Doch gut; ich durfte nicht länger als eine Stunde da liegen, Ihnen nachweinen, Sie umarmen und segnen; ich wurde nach Hause gerufen und fand meine Schwester um Sie weinen; ich hätte ihr beinahe in diesem Augenblick meine ganze Glückseligkeit erzählt, so gut war ich ihr; aber ich war stumm und bliebs Abend und Morgen darauf, bis Leuchsenring kam und mir sanft verwies, daß es thöricht und fast lasterhaft wäre, traurig zu sein. Mein Gott, dachte ich, welch niedre kleine Idee wird mein bester, ewiggeliebtester Freund, noch in der letzten Stunde von mir mitgenommen haben! wie sinnlich und körperlich und schwach wird er mich denken! Aber Sie thun mir unrecht, gute liebste Seele! Es war nur der erste finstre Augenblick unsrer Trennung, der so ganz auf mich fiel. Ach, jetzt fühle ich es, daß unsre Seelen nicht getrennt werden konnten, und mit der größten Gelassenheit einer menschlichen Seele bete ich die Vorsehung an, die mir in meinem ganzen kleinen Leben immer fühlbar war, und wird sie auch jetzt nicht über uns walten? Komm, edle, himmlische Seele! wir wollen unserm guten Gott danken, daß er uns zusammengeführt hat; er weiß es am besten, warum wir jetzt getrennt sind – und sollt’ ichs nicht auch schon halb wissen? Ich weiß es, ich bin noch nicht das, was ich für Dich, für Deine Gesellschaft sein sollte; jetzt habe ich Zeit, Munterkeit, Jugend, und alles noch nachzuholen. Welches Bild ist geschickter, mich zu Ihnen hinaufzubilden, aufzumuntern aus dem Seelenschlaf, der lang genug geschlafen worden, als eben Dein liebenswürdigstes, holdes Bild, das – o Gott, ich kann nicht sagen, wie ichs anbete und umarme! – Aber verhehle mir keinen Zug daraus, mein Allerliebster; auf der ganzen Welt habe ich keinen Freund, wie Sie, und darf ich mirs frei sagen? keinen andern, für den ich mich ausbilde. Ach! wäre ich hierin nicht ganz unglücklich!
Ich hoffe, daß Sie die böse Darmstädter Luft ganz weggeathmet haben: mir blutet noch das Herz, wenn ich an diese Tage, die wir wahrhaftig ganz anders verdienten, denke. Alles, was ich von Leuchsenring stückweise und wie Funken herausgeschlagen, war dieses. Er hätte in Ihren ersten Umarmungen nicht die Wärme gefühlt, die er gehofft, und in Leyden so sehr an Ihnen gesehen, und dies mußte ihn natürlicher Weise zurückziehen. Er glaubte, daß Sie sich beide in dem Ideal, daß Sie sich von einander gemacht, ein wenig geirrt, und daß Sie auf einem gewissen Punkt niemals zusammen kämen. Soll ich Ihnen noch mehr sagen? Ja, ich darf: Du bist ja meine Seele, der Vertraute meines Herzens, und ist es nicht eben so, als wenn ichs mir selbst sagte? Zum voraus sage ich Ihnen aber, daß er unrecht hat: er glaubte nämlich, daß Sie sich auch anders gegen mich hätten betragen können, und er habe bemerkt, daß Sie mehr in Ihrer Gelehrsamkeit als Empfindung lebten. Ich versicherte ihm heilig, daß ich völlig, völlig mit Ihnen zufrieden wäre, und daß mich allein meine Schwäche in Ihrer Gesellschaft niederschlage. Mein Gott, warum haben Sie sich hier nicht gegen einander erklärt? und warum hab’ ich mit eine unselige Ursache sein müssen, die Saiten aufzulösen, und Leuchsenring versichert mich, daß es jetzt zu spät wäre, sich zu erklären; wenn Sie aber gewollt und ihn darum gefragt hätten, dann hätten Sie sich alles sagen können. Doch es sei, die Zeit mags erklären, was herzverschlossene Freunde nicht thun wollten, und ich weiß gewiß auf Ihrer Seite zum Vorteil. Machen Sie inzwischen keinen Gebrauch von dieser Entdeckung, die mir nachtheilig sein könnte; ich weiß, daß er uns beide aufrichtig liebt. –
Leb wohl, ewig wohl, edle, himmlische Seele! ich bin bei Dir, wo Du auch sein magst, in Deinem Reisewagen, den ich mit der bittersten Wehmuth ansehen und hier bleiben mußte. Gott im Himmel segne Dich! Sei nur ruhig meinet wegen! Ich bin so heiter und gelassen, als ichs in meinem Leben nicht gewesen. –
Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Branitz, den 1ten Juli 1863
Sehr verehrte Biondetta
Was sind Sie, mein reizender Günther, für ein liebenswürdiger Schmeichler. Man mag es noch so gut einsehen, on y’est toujours près. Schade, daß Sie nicht wirklich Günther sind, um unbefangen mit mir reisen und von Zeit zu Zeit in Branitz ausruhen zu können. Es wäre ein göttliches Leben, und ich bin noch immer jünger dazu als ich aussehe. Unsere Geister passen wunderbar zusammen, et le Diable n’y pedra rien, was dazu gehört.
Ich küsse Sie jetzt schon in Gedanken »auf den Mund«, wie Armida immer naiv zu sagen pflegt. Ein Wesen wie Sie könnte ich ganz zu meiner Vertrauten machen, und famose Sachen würden Sie da hören. Und so schön, einsam und üppig in jeder Hinsicht wäre der Fleck dazu, alles gesammelt zum feineren Sinnengenuß, zum fantastischen Leben einiger Tage, und gerade jetzt bei so himmlischer Sonnenwärme und dem schmelzenden Goldgrün aller Umgebung. Nichts würde Ihnen fehlen als vielleicht der blendend schöne Pantomime, des Prinzen Georg Protégé und der Ihrige. Wer ist denn dies Wunderkind? Geben Sie mir doch seine Adresse. Je le présenterais à Armide, qui aime à voir des Antinous autant que le César et les Sapphos par dessus le marché, dont je na la blâme aucunément.
Vielen Dank für die große Güte, mit der Sie die Adresse der Schauspielerin aufgesucht. Dies hübsche Mädchen habe ich, als sie erst 17 Jahre zählte, in die Welt eingeführt und möchte sie einmal wiedersehen, da sie mir so nahe ist. Ein herzensgutes Kind, eben nicht geistreich, noch ein Talent, aber damals ein reizender Körper ohne Tadel und mit einer frischen Lebenslust. Das mag ungefähr 7 Jahre her sein, et quelquefois on aime à revenir à ses moutons. Cependant je n’y tiens guère, was mir aber (prenez que je n’ai que vingt ans) das Herz wirklich pochen macht, ist die mir aufgestellte Perspektive des Pagen Günther auf einige glückliche Wochen in gegenseitiger Sklaverei. Das erhitzt meine Phantasie. Aber was fehlt denn meiner armen Biondetta dazu »an physischen Kräften«? Oh, ich würde meine Pagen so gut pflegen mit Genuß aller Art, aber mit weisem Maß und erfrischender Abwechslung beigebracht – die heilsamste Kur für Geist und Körper –, daß die physischen Kräfte, wie sie jetzt sind, nicht nur dazu ausreichen, sondern nach vollendeter Kur verdoppelt sein würden. Armida, wenn Sie sie vorher gekannt, würde Ihnen das beweisen. Sehr unbedeutend kam sie zu mir mit 18 Jahren und kaum einmal hübsch zu nennen. Wie viel hat sie seitdem gelernt, wie viel alberne Vorurteile abgeschüttelt, und dabei so schön und blühend geworden, daß ich kaum jemand gesehen, der alle Männer vom ersten bis zum letzten, alt und jung, so sehr zu bezaubern versteht. En puissance de mari wird sie zwar wieder etwas zurückschlagen, aber den alten Lehrer, mit Herz und Kopf als Ratgeber und treuen Freund in der Not, unterwürfig lieb behalten.
Mit meinem schon so viel wissenden, genialen und gelehrten Pagen wäre das freilich ein ganz anderes Verhältnis. Da würde ich vielleicht ebensoviel der Lernende als der Lehrende werden. Ich hätte nur die größere Erfahrung voraus, ein sehr zweifelhafter Vorzug! Den aber doch junge Mädchen oft lieben, mehr wie ich es früher geglaubt.
Nur einen Tag auf der Pyramide aber wäre zu wenig für mich. Aux viellards, il faut un peu plus de temps, pour développer l’amabilité, dont ils sont capables, surtout à ceux de mon caractère composé d’étranges contractes, et si vous appreniez à mieux me connaître, vous en seriez peut-être bien étonnée.
Sie lesen also jetzt meine Briefe nicht vor und erhalten sie von der alten Crelinger, die Sie sehr richtig beurteilen, und die ich noch zu Ifflands Zeit in Berlin debütieren gesehen. Sie war nie eine wahrhaft große Schauspielerin, wie z.B. vor Ihrer Zeit die Unzelmann, eine der größten, die ich überhaupt gekannt, denn der Grelinger fehlte eben der göttliche Funken, Genie genannt. Aber sie hat sich enorme Mühe gegeben und hat alles gelernt, was sich eben lernen läßt.
Den Mephisto-Ausspruch der Gounodschen Oper kenne ich nicht, und das libretto des verballhornten Textes habe ich nie gesehen.
Von Alfred de Musset ist mir Mehreres bekannt, unter andern er selbst, ein sehr liebenswürdiger Franzose. Aber der confession d’un enfant du siècle erinnere ich mich gerade nicht, werde mir das Buch aber gleich, Ihrer gewichtigen Rekommandation zu Ehren, kommen lassen.
Josephine, deren Sie erwähnen, ist die zweite meiner Lieblingsnichten und schon oft auf länger als einen Tag in Branitz gewesen. Die Studien als Hofdame haben ihr sehr viel genutzt. Es ist dies, namentlich in Berlin, eine außerordentliche Weltschule, aus der schwatzen zu können, sehr amüsant ist. Ich darf aber nicht.
Ein recht langer und ziemlich inhaltleerer Brief! Doch Biondetta ist gottlob die nachsichtigste aller genialen Korrespondentinnen. À propos, Julie war eine leidenschaftlich sinnlich Geliebte in Neapel im Jahr 1807, deren Petschaft ich immer nebst verschiedenen anderen Andenken behalten, an die aber die Briefe eines Verstorbenen nicht geschrieben sind. Da war es nur ein fingierter Name, den ich immer noch liebe, obgleich die so hieß, längst tot ist.
Der Beichtvater.
Friedrich Schiller
[Rudolstadt, gegen Ende August 1788]
Wie haben Sie denn heute Nacht in Ihrem zierlichen Bette geschlafen? Und hat der süße Schlaf Ihre lieben holden Augenlieder besucht? Sagen Sie mirs in ein paar geflügelten Worten – aber ich bitte Sie daß Sie mir Wahrheit verkündigen. Lügen werden Sie nicht sagen, denn Sie sind viel zu verständig.
Es ist heute wieder ein gar schöner Tag und er würde noch einmal so schön seyn, wenn Sie recht heiter aufgestanden wären, und sich mit uns deßelben freuen wollten. Sind Sie aber noch nicht ganz gut und nicht frey genug um den Kopf um sich mit sich selbst zu beschäftigen oder zerstreut Sie vielleicht Gesellschaft, so laßen Sie michs wißen, und wir leben denn den Tag so miteinander hin – schwatzen, lesen und freuen uns daß wir zusammen in der Welt sind. Was macht Ihre Schwester? Klappert der Pantoffel schon um ihre zierlichen Füsse, oder ligt sie noch im weichen schöngeglätteten Bette? Adieu. Sind Sie noch nicht aufgestanden, so laßen Sie mich nur mündlich wißen, wie Sie die Nacht zugebracht haben. Lassen Sie auch den Garten aufschliessen, ich habe eine Versuchung ein bischen drinn herum zu wandeln. Leben Sie recht wohl!
S.
George Sand
Unter verschiedenartigen Himmeln geboren, haben wir weder dieselben Gedanken, noch dieselbe Sprache; haben wir wenigstens gleichartige Herzen? Das feuchte und nebelige Klima, aus dem ich komme, hat in mir sanfte und melancholische Eindrücke hinterlassen; die edle Sonne, die Deine Stirne bräunte, welche Leidenschaften hat sie Dir gegeben? Ich verstehe es zu lieben und zu leiden, und Du, wie liebst Du? Das Feuer Deiner Blicke, Deine wilden Umarmungen, die Kühnheit Deiner Wünsche versuchen mich und flößen mir gleichzeitig Furcht ein. Ich verstehe Deine Leidenschaft weder zu bekämpfen, noch zu teilen. In meinem Lande liebt man nicht in gleicher Weise, ich stehe Dir zu Seiten wie eine bleiche Statue, ich sehe Dich mit Staunen, mit Verlangen und mit Unruhe an. Ich weiß nicht, ob Du mich wahrhaft liebst. Ich werde es nie wissen. Du vermagst kaum einige Worte in meiner Sprache zu stammeln, und ich kenne die Deinige nicht genügend, um Dir so subtile Fragen stellen zu können. Vielleicht ist es mir unmöglich, mich verständlich zu machen, selbst wenn ich die Sprache, die Du sprichst, gründlich kennen würde. Die Orte, in denen wir gelebt haben, die Menschen, die uns unterrichtet haben, sind schuld daran, daß wir zweifellos Ideen, Gefühle und Bedürfnisse haben, die uns einander unverständlich sind. Meine hinfällige Natur und Dein feuriges Temperament müssen grundverschiedene Gedanken erzeugen. Du mußt die tausend leichten Leiden, denen ich ausgesetzt bin, nicht kennen oder verachten, Du mußt über das lachen, was mich weinen macht. Vielleicht kennst Du die Tränen gar nicht?
Wirst Du mir eine Stütze oder ein Gebieter werden? Wirst Du mich über die Leiden trösten, die ich erduldet habe, bevor ich Dich auf meinem Lebenswege traf? Wirst Du wissen, warum ich traurig bin? Kennst Du das Mitgefühl, die Geduld und die Freundschaft? Man hat Dich vielleicht in der Überzeugung auferzogen, daß die Frauen keine Seele haben. Weißt Du, ob sie eine haben? Bist Du weder Christ noch Muselmann, weder Zivilisierter noch Barbar; bist Du ein Mensch? Was steckt in dieser stolzgewölbten Männerbrust, in diesem Löwenauge, hinter dieser herrlichen Stirn? Lebt in Dir ein edler und reiner Gedanke, ein brüderliches und frommes Gefühl? Träumst Du, wenn Du schläfst, daß Du zum Himmel auffliegst? Hoffst Du auf Gott, wenn die Menschen Dir Böses tun? Werde ich Deine Genossin oder Deine Sklavin sein? Verlangst Du mich oder liebst Du mich? Wirst Du mir zu danken wissen, wenn Deine Leidenschaft befriedigt ist? Wirst Du es mir auszudrücken verstehen, wenn ich Dich glücklich mache? Weißt Du, was ich bin, und beunruhigt es Dich, es nicht zu wissen? Bin ich für Dich etwas Unbekanntes, das Dich suchen und träumen läßt, oder bin ich in Deinen Augen nur ein Weib gleich denen, die im Harem vegetieren? Drückt Dein Auge, in dem ich einen himmlischen Strahl leuchten zu sehen glaubte, nicht einen Wunsch, gleich dem aus, den diese Weiber befriedigen? Weißt Du, was das Seelenbedürfnis ist, das weder die Zeiten einschläfern, das eine menschliche Liebkosung nicht ermüden kann? … Wenn ich Dich ruhig sehen werde, werde ich wissen, ob Du denkst oder ob Du ausruhst? Wenn Dein Blick sich verhüllt, wird es vor Zärtlichkeit oder vor Müdigkeit sein? … Ich kenne weder Dein vergangenes Leben, noch Deinen Charakter, und weiß nicht, was die Menschen, die Dich kennen, von Dir denken. Ich liebe Dich, ohne zu wissen, ob ich Dich werde achten können, ich liebe Dich, weil Du mir gefällst; vielleicht werde ich bald gezwungen sein, Dich zu hassen. Wenn Du ein Mann meines Landes wärest, würde ich Dich ausforschen und Du würdest mich begreifen. Aber ich würde vielleicht noch unglücklicher sein, denn Du würdest mich täuschen. Du wenigstens wirst mich nicht täuschen, Du wirst mir keine leeren Versprechungen machen, keine falschen Eide schwören. Du wirst mich lieben, wie Du es verstehst und wie Du lieben kannst. Das, was ich vergeblich bei andern gesucht habe, werde ich vielleicht auch bei Dir nicht finden, aber ich werde immerhin glauben können, daß Du es besitzest. Du wirst mir erlauben, die Blicke und Liebkosungen, die mich stets betrogen haben, nach meinem Gefallen auszulegen, ohne trügerische Worte damit zu verbinden. Ich werde Deine Träumereien deuten und Dein Schweigen beredt sein lassen können. Ich werde Deinen Handlungen die Absicht unterlegen, die ich Dir wünschen werde. Wenn Du mich zärtlich betrachten wirst, werde ich glauben, daß Deine Seele sich an die meinige richtet; wenn Du zum Himmel aufschauen wirst, werde ich annehmen, daß Deine Intelligenz zu dem ewigen Herde aufsteigt, von dem sie herrührt. Bleiben wir also, wie wir sind, ohne unsere Sprache gegenseitig zu lernen. Ich will nicht wissen, was Du mit Deinem Leben tust und welche Rolle Du unter den Menschen spielst. Verbirg Deine Seele vor mir, auf daß ich sie immer als schön ansehen kann!
Arthur Schnitzler