ich meiner mir mich. Roman - Pétur  Gunnarsson - E-Book

ich meiner mir mich. Roman E-Book

Pétur Gunnarsson

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Beschreibung

Über das Buch Reykjavík Mitte der 1960er Jahre. Der junge Andri kommt von einem Aufenthalt auf dem Land in die Stadt zurück und muss sich neu einleben; Mutter und Schwester sind in einen modernen Wohnblock gezogen, er geht in eine andere Schule und findet sich in einem unbekannten Umfeld wieder. Und dazu beginnt auch noch seine Pubertät, er leidet unter Erröten, bekommt Pickel, und sein Interesse am anderen Geschlecht nimmt ungeahnte Ausmaße an. Wilde Jahre zwischen Zigaretten- und Alkoholdunst, Schule und Straße, Stadt und Land zum Soundtrack der Beatles. Eine wunderbare Erzählung über die Mühen des Erwachsenwerdens. Pétur Gunnarsson beschreibt diese Pubertät mit Empathie, Einsicht und Humor. Immer wieder mischt er das Weltgeschehen in die Ereignisse um Andri und seine Schwester Sista. »ich meiner mir mich« ist der zweite Band der Roman-Tetralogie um Andri Haraldsson, er erschien 1978 in Island. Der erste Band, »punkt punkt komma strich«, war eines der meistverkauften Bücher Islands der letzten Jahrzehnte und wurde im Herbst 2010 auch hierzulande mit viel Beifall aufgenommen: »Zur Moderne verdammt zu sein war den Isländern der späten siebziger Jahre durchaus Verheißung, wovon nicht zuletzt die Tatsache zeugt, daß der Vorname des Helden, Andri, noch lange nach der Veröffentlichung des Romans unschlagbar populär war. Man lasse sich diese lebenskluge Lockerungsübung nicht entgehen.« (NZZ)

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Über das Buch

Reykjavík Mitte der 1960er Jahre. Der junge Andri kommt von einem Aufenthalt auf dem Land in die Stadt zurück und muss sich neu einleben; Mutter und Schwester sind in einen modernen Wohnblock gezogen, er geht in eine andere Schule und findet sich in einem unbekannten Umfeld wieder. Und dazu beginnt auch noch seine Pubertät, er leidet unter Erröten, bekommt Pickel, und sein Interesse am anderen Geschlecht nimmt ungeahnte Ausmaße an. Wilde Jahre zwischen Zigaretten- und Alkoholdunst, Schule und Straße, Stadt und Land zum Soundtrack der Beatles. Eine wunderbare Erzählung über die Mühen des Erwachsenwerdens.

Pétur Gunnarsson beschreibt diese Pubertät mit Empathie, Einsicht und Humor. Immer wieder mischt er das Weltgeschehen in die Ereignisse um Andri und seine Schwester Sista.

»ich meiner mir mich« ist der zweite Band der Roman-Tetralogie um Andri Haraldsson, er erschien 1978 in Island.

Der erste Band, »punkt punkt komma strich«, war eines der meistverkauften Bücher Islands der letzten Jahrzehnte und wurde im Herbst 2010 auch hierzulande mit viel Beifall aufgenommen: »Zur Moderne verdammt zu sein war den Isländern der späten siebziger Jahre durchaus Verheißung, wovon nicht zuletzt die Tatsache zeugt, daß der Vorname des Helden, Andri, noch lange nach der Veröffentlichung des Romans unschlagbar populär war. Man lasse sich diese lebenskluge Lockerungsübung nicht entgehen.« (NZZ)

Über den Autor

Pétur Gunnarsson wurde 1947 in Reykjavík geboren. Nach einem Literatur- und Philosophiestudium in Frankreich etablierte er sich in Island als Schriftsteller und Übersetzer.

»ich meiner mir mich« war sein zweiter Roman. Es folgten zwei weitere über das Leben Andri Haraldssons. Daneben übersetzte Gunnarsson u. a. Marcel Proust, Gustave Flaubert, Georges Perec, Claude Lévi-Strauss, Peter Handke. Auf Deutsch erschienen 2011 sein Roman »punkt punkt komma strich» (Weidle Verlag) und ein Band über seine Heimatstadt, »Reykjavík» (Insel Verlag).

Pétur Gunnarsson lebt in Reykjavík, zuletzt arbeitete er an einer mehrteiligen TV-Dokumentation über die Geschichte Islands.

Pétur Gunnarsson

ich meiner mir mich

Roman

Aus dem Isländischen von Benedikt Grabinski

Mit einem Nachwort des Autors

CulturBooks Maxi 2014www.culturbooks.de

Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2014

www.culturbooks.de

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Die isländische Originalausgabe, »Ég um mig frá mér til mín«,

erschien zuerst 1978 bei Iðunn.

Der Text wurde von Pétur Gunnarsson für die deutsche Ausgabe leicht bearbeitet.

Deutsche Printausgabe: © Weidle Verlag 2012

Lektorat: Wolfgang Schiffer

Korrektur: Stefan Weidle

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

Erscheinungsdatum: 3.3.2014

ISBN: 978-3-944818-35-1

Inhaltsverzeichnis

I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Das Buch mit dem langen Titel
Zur Aussprache des Isländischen
Anmerkungen

I

»Ich lebe«, rief Pinocchio.

»Aber werde ich jemals so sein

wie andere Jungen?«

1 Auf dem Tíðaskarð erschien Reykjavík am Horizont und entfachte mit Angst gemischte Vorfreude im Fahrgast ganz hinten am Fenster. Während er weg gewesen war, hatte man sein Zuhause gepfändet und verkauft. Der Haustürschlüssel in seiner Tasche konnte leicht einen Einbrecher aus ihm machen. Es war eine unbekannte Stadt.

Die untertauchte wie ein Wal, aber sogleich wieder erschien, größer und größer wurde, bis der Bus im Rachen dieses Ungeheuers gelandet war. Ein Mann mit Stuhl wartete darauf, über die Straße zu kommen, Polizeibeamte nahmen einen Unfall auf, Leute im Stau bewegten die Lippen.

Rot, Gelb, Grün, und Andri stand mit sich selbst und einem Sack Kartoffeln am Busbahnhof.

Auf dem Lækjartorg war es fünf Uhr. Er ging in eine Telefonzelle und rief an. Keine Antwort. Busse kamen und fuhren, nahmen eine Ladung Menschen mit, verteilten diese über die Stadt und spürten Leute auf, die sie auf dem Platz wieder abluden. Alle schienen in Eile zu sein, hatten kaum festen Boden unter den Füßen, als sie schon in den heiteren Himmel verschwanden.

Ein Penner in Socken bot sich an, Andri mit dem Sack zu helfen, aber dieser lehnte dankend ab und wankte in Richtung des Milchladens, in welchem seine Mutter angefangen hatte zu arbeiten. Stand vor dem Schaufenster und betrachtete sie, damit beschäftigt, Milch und Brot zu verteilen. Ging hinein wie jeder andere Kunde auch und wartete darauf, an die Reihe zu kommen. Als Ásta ihn bemerkte, legte sie drei selbstgebackene Vínarbrauð beiseite und lief auf ihn zu, um ihn zu umarmen.

»Wie groß du geworden bist!«

Die Kunden erinnerten daran, wer der Nächste war.

Auf dem Heimweg im proppenvollen Bus fragte Ásta ihm Löcher in den Bauch und quasselte ihm zugleich ein Ohr ab. Sie hatte eine unschlüssige Entschiedenheit an sich, als spielte sie die Hauptrolle in einem ungeschriebenen Theaterstück. Ihre Rede war ein unaufhaltsamer Fluß, berührte aber niemals Andris Vater ; als wäre er auf eine Existenzebene jenseits der Sprache befördert ­worden.

Das Haus stimmte. Ein Block inmitten einer Spirale von Blocks. Sie kämpften sich mit dem Sack Kartoffeln die Treppe hinauf, Ásta ächzte bei jedem Schritt darüber, wie wirtschaftlich und zweckdienlich Kartoffeln doch seien. Fischte den Schlüssel aus dem Überschuh und schloß die Wohnungstür auf. Wie erheiternd es war, diese sperrigen Möbel in solch einer kleinen Wohnung zu sehen! Der Eßzimmertisch füllte das Wohnzimmer aus, wahrscheinlich sollte man sich auf ihn setzen. Andris Reich war ein kleiner Schrank mit Fenster, der für nicht viel mehr Platz zu lassen schien als für die Tür.

»Wir können sie natürlich rausnehmen«, sagte Ásta aufmunternd. »Brauchst du die Tür für irgendwas?«

Andri erschrak, natürlich war die Tür die Hauptsache.

Sistas Zimmer war kaum größer. Ásta wollte im Wohnzimmer schlafen.

»Du bist ganz schön in die Höhe geschossen!«

Andri wußte, daß das nicht stimmte, genau das war das Problem, er war genau gar nicht in die Höhe geschossen. Vielleicht besser so, er mußte ja in dieses Kabäuschen passen.

2 »Du bist kein verdammtes bißchen größer geworden«, sagte Sista.

»Der Junge ist Zirkusfutter«, sagte Keli.

Ásta sah sie mit einem um Gnade flehenden Gesichtsausdruck an.

Sista war gerade aus England wiedergekommen, wo sie auf der Sommerschule gewesen war. Sie hatte mit Keli Schluß gemacht, kurz bevor sie nach England ging, und dann noch mal brieflich im Sommer, aber er tat, als hätte er den Brief nie bekommen, und verfolgte sie weiter auf Schritt und Tritt wie ein Schatten.

»Du mußt anfangen Steuern zu zahlen«, sagte Ásta.

»Verdammt«, sagte Sista.

Ásta: »Du bist alt genug, um zu heiraten.«

Keli: »Ansonsten kommen nur Verzugszinsen.«

Sista: »Ich hänge mich auf.«

»Meine liebe Sista«, sagte Ásta, »ein Mädchen wie du, mit einem Englischkurs und allem. Du wirst es nicht schwer haben, Arbeit zu finden.«

Keli hatte keinen Beitrag zu Arbeitsangelegenheiten zu leisten, er wollte eine Kernfamilie gründen. Aber es schien, als könnte sich Sista über nichts klar werden und sträubte sich deswegen gegen alles. Es ist so schwer, eine Frau zu sein! Obwohl ihr die Gesellschaft einen Weg ­vorgezeichnet hatte: heiraten und Kinder kriegen, dachte sie gar nicht daran zu heiraten, geschweige denn zu ar­beiten und erst recht nicht daran, Kinder in die Welt zu ­setzen. Vielleicht dachte sie daran, den Weg der Reife weiter zu beschreiten, aber leider: Sie war schon ge­schlechts­reif.

»Du kannst natürlich auch mit deinem Vater reden«, sagte Ásta.

Andri schreckte auf, es war das erste Mal, daß sein Vater erwähnt wurde.

»Papa! Eher hänge ich mich auf.«

Eigenartig, wie hartnäckig dieses aufblühende Mädchen damit drohte, sich zu erhängen. Nebenbei hantierte sie mit einem Kaugummi, schlug Luftmaschen an, schleuderte ihn wie ein Lasso herum, aber unmittelbar bevor er den Umsitzenden ins Gesicht klatschte, holte sie ihn ein und kaute, als ginge es um Leben und Tod. Andri sah hypnotisiert zu, bis sie ihn kniff und sagte:

»Babyface.«

Auch Keli war vollkommen erstarrt und humpelte hinter ihr her in ihr Zimmer. Gleich darauf wirbelten Töne durch das Schlüsselloch.

»Das hat sie aus England mitgebracht«, sagte Ásta entschuldigend.

Andri konnte nicht anders, als der Sache auf den Grund zu gehen.

»THE BEATLES«, sagte Sista mit Sternenglanz in den Augen und deutete auf einen nagelneuen Plattenspieler. Keli gab Andri die Plattenhülle.

»Sie sind aus England«, fuhr Sista fort, »terrific.«

Andri bemerkte, daß Keli begonnen hatte, sich die Haare wachsen zu lassen.

3 Zurück vom Land, und alles ist neu. Du stehst im Mittelpunkt wie Gott. Wenn du sprichst, hört man zu, deine Wünsche werden erfüllt. Schon am nächsten Tag ist das kalter Kaffee, und du ertrinkst in derselben Alltäglichkeit wie alle anderen.

Er besuchte Doddi. Sie redeten über dieses und jenes. Andri wollte ins Kino, aber Doddi hatte keine Zeit, er und Kalli spielten nun in einer Band. Andri merkte, daß sich etwas zwischen ihnen verändert hatte.

Er lief umher, aber gehörte nirgendwo hin. Jungen spielten Fußball, Kinder reisten auf Schaukeln durch die Luft, und kleine Grashöcker saßen im Sandkasten und aßen Sand. Er paßte nicht mehr hinein in diese Spiele, die um ihn herum im Gange waren. Nicht mehr angemessen, sich mit Fußball und Spielzeugautos die Zeit zu vertreiben. Er war kein Kind mehr, ohne erwachsen geworden zu sein. Eigentlich existierte er gar nicht.

Die Mittelstufe sollte ihn darauf vorbereiten, mittelmäßig zu werden. Zur Schuljahrseröffnung fuhr er mit dem Rad und machte sich damit zum Gespött: Er war die ganzen Ferien auf dem Land gewesen und noch nicht auf dem neuesten Stand.

Auf den Gängen der Schule standen Jungen und Mädchen wie Schafe, die gerade das neue Schlachthaus besichtigen. Andri kannte kein Schwein, es war eine neue Schule in einem neuen Viertel. Die Mädchen standen in geheimnisvollen Gruppierungen zusammen, wildledrig und toupiert ; sie hatten ihr Klo noch nicht gefunden. Einige glaubten noch an den Klapperstorch, andere waren schon in die Tage gekommen. Manche der Jungen hatten einen halben Meter zugelegt und begannen bereits aus den Jacken herauszuwachsen, die ihre Mütter ihnen erst am Morgen gekauft hatten. Ihre Stimmen eine wundersame Mischung aus Held und Heulsuse. Manche hatten Flaum auf der Oberlippe.

»Siehe, Tage kommen, Jahre und Zeitalter vergehen.« Der Schuldirektor war einer dieser Volksredner, am liebsten hätte er jeden Augenblick des Lebens mit einer Ansprache begleitet, aber die Gegenwart hat keine Zeit zuzuhören. Am ehesten ließ sich seine Leidenschaft noch in der Schule ausleben, hier konnte er Lehrer an die Türen postieren. Wenn etwas Außergewöhnliches passierte: ein Staatschef erschossen, ein Volksdichter biß ins Gras, ein Schüler betrunken aufgegriffen – dann redete er ganze Sitzreihen in Ohnmacht. »Frag nicht, was die Schule für dich tun kann. Frag, was du für die Schule tun kannst!«

Dann kam der Einstufungstest. Andri hatte das Gefühl, alles beantworten zu können außer »Strindberg«. »Liegt in den Westfjorden«, schrieb er nach reiflicher Überlegung.

Am darauffolgenden Tag wurden die Schüler auf die Klassen verteilt. Jeder schien jeden zu kennen außer ihn. In allen Ecken mauschelte man, wer neben wem sitzen wollte, wie Politiker am Tag nach den Wahlen. Lehrer kamen und gingen, kaputte Männer mit der Aussicht darauf, Halbidioten zu unterrichten. Andri landete neben einem Lulatsch, der sich ein Taschentuch vor die Sinnesorgane hielt. In seiner Kindheit hatte er eine Rakete vor seiner Nase gezündet. Während andere wegen Pickeln an ungünstigen Stellen außer sich waren, fehlte ihm das halbe Gesicht. Er lüftete das Tuch und sagte: »Benedikt.«

Andri war mit sich selbst ziemlich zufrieden, er trug einen nagelneuen Herrenmantel, den ihm seine Mutter gekauft und um achtzehn Zentimeter gekürzt hatte, Ärmel und Saum. Aber kaum hatte er am Morgen das Schulhaus betreten, fragten ihn die Mädchen: »Hast du einen Morgenrock an?«, und die Welt ging in Scherben. Danach trug er den Mantel über dem Arm. Zu Hause versuchte er ihn zu zerknittern, damit er abgetragener aussähe. Neue Sachen hatten etwas Lächerliches an sich.

4 Sista weigerte sich beharrlich, mit ihrem Vater zu reden. Nun bestellte er Andri zu sich. Der wollte nichts davon wissen, gab aber unter dem inständigen Bitten seiner Mutter nach.

Haraldur wohnte in einem halbfertigen Haus draußen in Seltjarnarnes. Die neue Frau, Björg, war gerade dabei zu streichen. Andri kannte sie aus dem Büro. Sie war jung und blond, trug ein rotkariertes Hemd und Bluejeans. Eine echte Schöner-Wohnen-Frau.

Sie hatten einen Säugling, der mit überkämmter Glatze in seinem Stuhl saß, während seine Mama versuchte, Brei in ihn hineinzuzwängen. Das Baby prustete ihn wieder heraus. Der Herr des Hauses sprach am Telefon über dringliche Geschäftsangelegenheiten. Folglich war Andri genötigt, eine Weile mit dieser Björg zu schweigen, und mit diesem Kind, das ihn weniger als gar nichts anging. Und doch, er war nun mal sein Halbbruder.

»Wie heißt er?« fragte er, um den Schein zu wahren.

»Sie heißt Sólrún.«

Damit war die Sache geklärt, und sie konnten weiterschweigen. Beeindruckend, wie geschickt das Kind mit dem Mund dem Brei entging, der in dem einen Ohr landete und zum anderen wieder herauskam.

»Bist du nicht in der Grundschule?«

»Ich bin in der ersten Klasse der Mittelstufe«, antwortete Andri kühl.

»Was macht dir am meisten Spaß?«

»Die Pausen.«

»Nein, ich meine so von den Fächern.«

»Mathe ...«

»Ganz der Vater.«

Welcher das Telefonat in der Zwischenzeit beendet hatte ; Andri kam er lächerlich vor in diesem rosa Hemd und den weißen Hosen. Etwas zu offensichtlich, daß er sich immer weiter zu seiner Frau hin verjüngte.

»Andri ist genauso wahnsinnig begeistert von Mathe wie du.«

»Sag nicht ›wahnsinnig‹, Schatz, wir müssen auch auf unsere Wortwahl achten.«

»Ich meinte Matten...«, korrigierte Andri, »...tur­nen.«

»Er hat auch deinen Humor«, kicherte Björg.

Haraldur warf seinem Sohn einen strengen Blick zu, aber Sólrún zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich, indem sie bis in die Haarspitzen errötete, worauf drei Salven von Körpergeräuschen folgten. Damit verschwanden die beiden Frauen aus dem Blickfeld, die Männer blieben zurück. Kurz darauf hatte Haraldur etwas in der Stadt zu erledigen, und Andri begleitete ihn.

»Vergiß die Badematten nicht!« rief Björg.

Die ganze Fahrt über fühlte Andri, daß sein Vater mit ihm über irgend etwas sprechen wollte, beinahe körperlich spürte er die Sätze, die sich auftürmten, bis alles blockiert war. Als sie sich verabschiedeten, zog Haraldur seine Brieftasche hervor und fragte Andri, ob er Geld brauche, er müsse ohnehin sein Auto wienern lassen. Andri lehnte ab und sagte, er habe noch etwas vom Sommerlohn übrig.

Dennoch war er halb verschämt, als er heimkam. Fast so, als wäre er fremdgegangen.

5 Als er aus der Schule kam, wartete niemand auf ihn außer dem Fisch im Topf. Er würdigte ihn keines Blickes und verschlang Brot und Morgunblaðið. Die Schultasche ließ er ungeöffnet, nicht anders, als wenn eine Leiche darin gewesen wäre. Als er die Zeitung gelesen hatte, wurde er von Langeweile ergriffen. Stahl eine Zigarette aus der Gästeschachtel. Und natürlich, sein Fleisch probte den Aufstand, kaum daß er sie angesteckt hatte. Eine Sünde tut der anderen die Tür auf. Jetzt war es Björg, die ihn in Versuchung führte. Im nachhinein schämte er sich. Die Frau seines Vaters. Dennoch tat er es kurze Zeit später wieder.

Scham war sein täglich Brot. Er schämte sich für sich selbst, für seine Eltern, vor allem dafür, daß seine Mutter in einem Milchladen arbeitete. Sein Selbstvertrauen war in alle Himmelsrichtungen verflogen, er unterstand der Öffentlichen Meinung.