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Der finale Band der DeinSPIEGEL-Bestseller-Reihe von Youtuber iCrimax! Endlich ist es so weit! Der erste offizielle Trailer zu »Ultimate Car Drifters VI« ist online. Der neuste Teil von Max' Lieblingsgame verspricht schnelle Autos, eine gigantische Stadt und jede Menge Action. Aber was ist das? Das Release-Datum im Video flackert seltsam. Erst steht dort 2025, dann 5022, dann 0225 und schließlich nur noch 0000! Kurz darauf schießt gleißendes Licht aus Max' Monitor. Sein Zimmer verschwindet vor seinen Augen. Und im nächsten Moment steht eine Figur vor ihm, die er nur zu gut kennt: Piper! Doch was hat seine Freundin aus der virtuellen Welt in seiner Realität zu suchen? Und wie viel ist von dieser Realität überhaupt noch übrig? Nicht nur die Zukunft von Max' Lieblingsspiel scheint in Gefahr, sondern die gesamte Wirklichkeit, in der er lebt! Er weiß zwar noch nicht, wie – aber dass er dieses Chaos in Ordnung bringen muss, ist ihm klar. Zum Glück ist Piper an seiner Seite. Gemeinsam machen sie sich daran, die Realität wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2025
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
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Originalausgabe1. Auflage 2025© 2025 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbHTürkenstraße 8980799 MünchenTel.: 089 651285–0
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Redaktion: Mirka UhrmacherText: iCrimax, Björn SülterUmschlaggestaltung, Illustration: Marek BláhaSatz: Achim Münster, OveratheBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978–3-96775–127–7 ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978–3-96775–129–1
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
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Hey, yo Leute, iCrimax hier, was geht ab, ihr Paulberger? Herzlich willkommen zum großen Finale meiner Romanreihe!
Erinnert ihr euch noch an unser erstes Abenteuer in Los Carros? Als Piper und Junior noch genauso zerstritten waren wie die beiden Gangs, zu denen sie gehören? Nun, in diesem letzten Teil werden wir ein wichtiges Puzzlestück finden, was auf die Zukunft der Gangs und ganz Los Carros einen großen Einfluss haben kann.
Und nicht nur das! So ganz nebenbei müssen wir auch noch den Release des nächsten Teils von Max’ Lieblingsgame retten! Denn nicht nur mit dem Trailer scheint einiges nicht in Ordnung zu sein.
Aber lest selbst, ob Max und Piper es schaffen werden, nicht eine, auch nicht zwei, sondern gleich drei Welten wieder ins Gleichgewicht zu bringen!
Bis dahin, haut rein, Leute!
Euer iCrimax
»Was für ein bescheidener Tag!«, motzte Max auf dem Weg von der Schule nach Hause. In Deutsch hatte er seine Hausaufgaben vergessen, dann war sein Biolehrer mit einem Überraschungstest um die Ecke gekommen, und am Ende hatte er noch eine glatte Vier in der Mathearbeit kassiert. Max war sich sicher, dass diesen Tag nichts mehr retten konnte. Er würde einfach nach Hause gehen, schnell etwas essen, zocken und die Schule vergessen.
Als er gerade genervt einen Stein wegkickte, vibrierte sein Handy. Eine Nachricht. Von Stanni. Max wurde kreidebleich, als er den Text wieder und wieder las. Das kann doch nicht wahr sein!?
Max musste sofort nach Hause. Er sauste los und hätte dabei um ein Haar seinen Rucksack verloren. Als er kurz darauf in den kleinen Weg zu seinem Haus einbog, flog er fast aus der Kurve. Dann stand er endlich vollkommen außer Atem vor der Tür. Mist! Wo ist der Schlüssel?
Er kramte fieberhaft in allen Taschen, bis er ihn endlich fand und die Tür aufsperren konnte. Drinnen angekommen, landeten Jacke, Schuhe, Rucksack und Schlüssel in der Ecke. Seine Mutter schaute verdutzt aus dem Wohnzimmer zu ihm herüber und schien schon fragen zu wollen, was los sei. Doch Max ließ sie gar nicht zu Wort kommen. Er nahm zwei Stufen auf einmal die Treppe hinauf, warf seine Zimmertür hinter sich zu und hatte das Headset noch nicht ganz aufgesetzt, als sein PC ihn schon mit einer nur allzu bekannten Anzeige auf dem Bildschirm begrüßte.
Max’ Kinnlade klappte runter. Soll das vielleicht ein Witz sein? Ein Update? Jetzt!?!
Max kochte vor Wut, riss sich das Headset wieder vom Kopf und sah aus dem Fenster. Manchmal war das Leben echt unfair. Aber wenn er ehrlich war, konnte er die paar Minuten jetzt eigentlich auch noch warten. Schon vor einer gefühlten Ewigkeit war der neue Trailer für seine absolute Lieblingsspielreihe Ultimate Car Driftersangekündigt worden. Seitdem hatte es zwar schon diverse Leaks gegeben, aber man konnte nie sicher sein, dass diese am Ende auch stimmten. Trotzdem warteten Millionen Fans ungeduldig auf erste offizielle Informationen, und jede noch so unwichtige Kleinigkeit wurde besprochen. Dabei wusste niemand, wann das Spiel eigentlich erscheinen sollte, worum es ging oder welche coolen Abenteuer man darin zu bestehen hatte. Klar war nur, dass es episch werden würde. Wie immer.
Ein Geräusch riss Max aus seinen Gedanken. Sein Handy vibrierte erneut. Schnell nahm er den Anruf an.
»Ey, Diggi, hast du ihn schon gesehen? Erzähl schon!«, drang Stannis Stimme völlig außer Atem durch die Leitung.
Max schnaufte. »Das glaubst du mir nie, Alter! Mein PC macht ausgerechnet jetzt ein Update. Hast du ihn denn gesehen? Wie ist er?«
»Keine Ahnung!« Im Hintergrund konnte Max Stimmengemurmel hören. Es klang, als wäre Stanni irgendwo draußen unterwegs. »Meine Eltern mussten mich unbedingt zum Einkaufen mitnehmen«, erklärte sein bester Freund enttäuscht. »Und dann sehe ich plötzlich, dass das Ding veröffentlicht ist. Was für ein Mist!«
Max musste grinsen. Er hätte den Trailer natürlich gerne gleichzeitig mit seinem besten Kumpel gesehen. Wenn er jedoch die Wahl hatte, wer ihn zuerst anschauen konnte, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer.
»Lass uns nachher drüber reden, okay? Ich glaube, mein PC ist gleich fertig.« In diesem Moment erklang bereits die Startmelodie, und die Benutzeroberfläche kam zum Vorschein. »Ich muss auflegen, bis nachher!«, sagte Max nur noch hastig und würgte Stanni damit ab. Er setzte das Headset wieder auf und öffnete die YouTube-Startseite. Mit zitternden Fingern gab er in die Suchleiste ein, worauf er schon so lange hingefiebert hatte: »Ultimate Car Drifters VI official trailer«.
Das erste Suchergebnis war direkt der richtige Treffer. Hunderttausende Klicks hatte das kurze Video in den ersten Minuten schon gesammelt, und die Kommentare überschlugen sich. Max versuchte jedoch, nichts davon zu lesen. Nicht mal aus den Augenwinkeln. Er wollte den Trailer sehen, ohne sich von anderen Meinungen beeinflussen zu lassen. Er atmete tief ein und bewegte den Zeigefinger auf die Maustaste.
Endlich.
Es klopfte. Seine Mutter steckte den Kopf durch die Tür, und Max zog den Finger von der Taste zurück. Innerlich zählte er von Fünf rückwärts, ehe er mit seinem liebenswürdigsten Tonfall fragte: »Was gibt es denn?«
Seine Mutter schien zu merken, dass sie in einem ungünstigen Moment hereingekommen war, und sagte nur schnell: »Das Essen ist gleich fertig. Kommst du runter?«
»Ja, klar«, erwiderte Max und versuchte dabei so neutral wie möglich zu klingen. »Bin in ein paar Minuten da. Muss gerade noch was für die Schule erledigen.«
Ob seine Mutter ihm das glaubte oder nicht, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Sie schloss aber die Tür, und er hörte, wie sie die Treppe hinunterging.
Jetzt aber. Erneut fand sein Zeigefinger die Maustaste. Er drückte auf Play – und die ganze Pracht von Ultimate Car Drifters VIbrach über ihn herein. Max starrte auf endlose Highways, staubige Schotterpisten, einen riesigen Gefängnishof und die coolsten Karren, die man sich vorstellen konnte. Dann folgten funkelnde Großstädte bei Nacht, sonnenbeschienene Strände, dramatische Verfolgungsjagden, finstere Gangster, ein Sumpfbootrennen und waghalsige Stunts mit einem Helikopter. Die Grafik war fantastisch, die Bässe des Soundtracks wummerten in seinen Ohren, und das Adrenalin schoss durch seinen Körper. Am liebsten wäre er sofort in diese neue, faszinierende Welt eingetaucht.
Als gerade die letzte Szene lief, in der ein Sportwagen über einen Highway donnerte und in einer Staubwolke verschwand, erschien in großen roten Zahlen das Release-Datum.
2025.
Max spürte die Vorfreude in jeder einzelnen Faser seines Körpers. Noch in diesem Jahr sollte das Spiel erscheinen! Das lange Warten hatte endlich ein Ende.
Er wollte gerade den Trailer von vorne ablaufen lassen, um sich besser auf die vielen kleinen Details konzentrieren zu können, als etwas Merkwürdiges geschah. Die rote 2025 auf schwarzem Hintergrund begann zu flackern. Zuerst sah sie wie 5022 aus, dann wie 0225 und schließlich rauschten alle Ziffern auf Null herunter. Nun stand dort nur noch 0000.
Komisch, dachte Max, zuckte dann aber mit den Schultern. Er verstand zwar den Sinn dahinter nicht, aber bestimmt würden die Entwickler das mit der Zeit aufklären.
Er spulte zurück zum Anfang, um den Trailer ein zweites Mal anzusehen. Doch gleich bei der ersten Szene fiel ihm auf, dass nun auch Teile zu Beginn des Videos flackerten. Bei einem dritten Durchlauf fehlten ganze Abschnitte. Hatten etwa all die Fans weltweit mit ihren Aufrufen die Server überlastet? Aber diesen Gedanken verwarf er schnell wieder, denn im nächsten Augenblick flackerte nicht nur das Video vor ihm, sondern sein ganzer Monitor!
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Max friemelte das Headset von seinem Kopf und stand vom Stuhl auf, um die Kabel an seinem PC zu überprüfen. Ob es irgendwo einen Wackelkontakt gab?
Doch so weit kam er gar nicht. Als er sich vorbeugte, um seinen Monitor zu drehen, brach endgültig das Chaos über ihn herein. Das Flackern breitete sich aus. Gleißend helles Licht brach aus dem Bildschirm hervor und blendete ihn.
Max plumpste vor Schreck auf seinen Stuhl zurück. Von irgendwo her waren Männerstimmen zu hören, die etwas riefen, das er nicht verstehen konnte. Er saß nur wie erstarrt da, während das Licht ihn immer weiter einhüllte. Innerhalb von Sekunden war sein ganzes Zimmer wie verschluckt, bis er auf einmal weitere Geräusche wahrnahm. Ein Knistern und Knacken, wie er es schon früher gehört hatte.
Das kann doch nicht …?!
Aber es konnte sehr wohl! Denn kurz darauf bildete sich ein Riss mitten in der Luft, der von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Er sah aus wie ein Loch in einer Fensterscheibe, durch die man einen Ball geworfen hatte.
Ein Portal!, erkannte Max ungläubig und krallte sich an den Lehnen seines Schreibtischstuhls fest. In seinen vergangenen Abenteuern hatte er solche Portale mit Stanni erzeugt, um selbst ein Teil der virtuellen Welten seiner Lieblingsspiele zu werden. Doch dafür war ein kompliziertes Vorgehen nötig gewesen, sie hatten sich mit einem Anhänger von Stanni in die virtuelle Welt hineinglitchen müssen, um von dort mithilfe einer Maschine weiterzukommen. Niemals aber war ein solches Portal einfach in der Realität erschienen!
Max war sich nicht sicher, ob er lieber die Augen zukneifen oder weglaufen sollte. Zweiteres erschien ihm logischer, doch leider konnte er in dem grellen Licht nicht mal mehr erkennen, wo der Boden und wo die Wände waren. Er schien auf seinem Stuhl wie im Nichts zu schweben. Ob er die Tür finden würde, wenn er auf allen vieren krabbelte?
Doch sein Fluchtplan wurde jäh unterbrochen. Ein dunkler Umriss zeichnete sich undeutlich innerhalb des Portals ab. Er war nicht besonders groß und … Trug der Umriss etwa einen Pferdeschwanz?
Mit einem letzten Flackern, das sein gesamtes Zimmer erschütterte, stolperte der Umriss aus dem Portal heraus und landete direkt vor Max. Es war Piper!
Ungläubig starrte Max auf Piper, die sich gerade aufzurappeln versuchte. Hinter ihr schloss sich das Portal knirschend. Zweimal schon hatte er sie getroffen, zwei rasante Abenteuer mit ihr erlebt. Doch beide Male war er dabei in der virtuellen Welt gewesen, in ihrer Welt, der Welt seines Lieblingsspielt Ultimate Car Drifters V. Piper war nicht real. Und doch saß sie jetzt vor ihm. In seiner Welt. Ihre Haare waren etwas zerzaust, und die blauen Strähnchen waren herausgewachsen. Vielleicht wirkte sie auch ein wenig älter als bei ihrem letzten Treffen. Aber ansonsten sah sie genau so aus, wie er sie in Erinnerung hatte.
»Was … was machst du … hier?«, stammelte er.
»Max?!« Piper starrte nicht weniger ungläubig zu ihm zurück. »Oh, nicht schon wieder!« Sie hob die Arme in einer Geste, die sagen sollte, dass auch sie nicht verstand, was hier vor sich ging. »Du erinnerst dich an Zee, die Hackerin?«
Max nickte. Zee war eine Freundin von Piper und konnte verboten gut mit Computern umgehen. Nur dank ihr hatten sich Piper und er in das Hauptquartier der Kingston Riders schleichen können, einer mächtigen Gangsterfamilie. Das war bei ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer gewesen. Ob Zee aus Versehen ein Portal in die Realität geöffnet hatte?
Piper fuhr fort. »Zee wollte mir gerade einen seltsamen Datenstrom zeigen, den sie gefunden hatte. Dann klirrte die Luft, eine Art Riss öffnete sich, und jetzt bin ich … äh, wo bin ich diesmal, Max?«
So gerne er ihr diese Frage auch beantwortet hätte, er wusste, dass sie es nicht verstehen würde. Also kramte er in seinem Gedächtnis nach der Notlüge, die er ihr erzählt hatte, als sie gemeinsam in der Würfelwelt feststeckten.
»Erinnerst du dich an unser letztes Abenteuer?«, fragte er. Piper nickte. »Und auch daran, dass ich dir von den verschiedenen Welten erzählt habe?« Noch ein Nicken. »Gut. Ich glaube«, fuhr er fort, »du bist irgendwie in meiner Heimatwelt gelandet. Aber ich habe keine Ahnung, w–«
Bevor er den Satz beenden konnte, veränderte sich der Riss hinter Piper. Zuerst zitterten die Ränder, dann wurde das Licht noch heller. Der Raum erbebte. Die Männerstimmen wurden wieder hörbar, diesmal lauter als zuvor, und Max glaubte, so etwas wie »Raus hier!« zu verstehen. Dann ergoss sich eine Welle aus Licht und Blitzen durch den Riss über ihn und Piper. Wände tauchten daraus auf und nebelhafte Gestalten, die wie wild umherrannten. Als Nächstes verschwand Max’ Schreibtischstuhl unter seinem Hintern, und er plumpste ohne Vorwarnung auf den harten Boden. Seine Hände ertasteten kalten Beton. Wo war nur sein Teppich hin?
Er sah an sich herunter und traute seinen Augen kaum. Seine Kleidung hatte sich verändert! Statt Jeans und Hoodie trug er nun eine knielange schwarze Hose und ein blaues T-Shirt mit roten Ärmeln. Genau die Klamotten, die seine Spielefigur immer anhatte! Wie zum Beweis fasste er sich an den Kopf und fühlte die Kappe unter seinen Fingern, die er ebenfalls im Spiel trug. Und um seinen Hals baumelte der Anhänger seines Skins. Waren sie etwa durch Pipers Portal zurück in ihre Welt gesaugt worden?
Max konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn Piper zerrte bereits an ihm. Sie half ihm auf die Beine und zog ihn anschließend etwas unsanft um eine Ecke, die es vorher in seinem Zimmer definitiv nicht gegeben hatte.
»Sei still!«, zischte sie. »Wir sind nicht allein!«
Sie lugte um die Ecke, und Max blickte ihr über die Schulter. Von seinem Zimmer war nichts mehr übrig. Auch der Riss war verschwunden.
»Was ist das hier?«, flüsterte er.
»Sieht wie ein Gefängnis aus«, antwortete Piper und deutete den aus dem Nichts entstandenen Gang hinunter, in dem sich Zelle an Zelle reihte. Allerdings standen alle Türen offen. Etwas, was in einem Gefängnis nicht der Fall sein sollte, fand Max.
»Läuft hier gerade etwa ein Ausbruch?«, fragte er nervös. Bislang kannte er so was nur aus Filmen und wollte es eigentlich auch gerne dabei belassen.
Piper nickte. »Guck mal, da drüben. Da liegt eine Wache. Scheint bewusstlos zu sein. Und dahinten versuchen ein paar Gefangene ein Eisentor aufzukriegen.«
Max bewunderte ihre Gelassenheit, doch dann fiel ihm wieder ein, aus was für einer Welt sie kam. Aus der Welt von Ultimate Car Drifters. Sie war die Tochter eines Gang-Anführers. Ihr bester Freund – Junior – war der Sohn eines Gang-Anführers. Max und Piper hatten gemeinsamen den Frieden zwischen den zerstrittenen Banden wiederhergestellt. Sie war einfach aus ganz anderem Holz geschnitzt als er.
»Na los«, forderte Piper ihn auf. »Suchen wir uns was zum Anziehen, und dann nichts wie raus hier.«
Das ergab alles keinen Sinn. Max sollte jetzt am Esszimmertisch sitzen und mit seinen Eltern zu Mittag essen. Dann sollte er mit Stanni reden, um den Trailer in allen Einzelheiten durchzugehen. Danach sollte er heimlich zocken, während er eigentlich Hausaufgaben machen musste. Aber stattdessen saß er plötzlich im Knast – und Piper machte sich Gedanken über neue Klamotten?
»Du willst dich ausgerechnet jetzt umziehen?«, fragte er fassungslos.
Doch Piper grinste nur. »Klar!«, sagte sie fröhlich. »Wir wollen doch nicht auffallen.«
»Wobei denn auffallen?«, wollte Max wissen.
»Na, wenn wir aus dem Knast ausbrechen!«
Max wurde kreidebleich. Er hatte sich noch nicht einmal richtig damit abgefunden, dass er plötzlich in einem echten Gefängnis sein sollte. Und jetzt wollte Piper auch noch ausbrechen?
»Meinst du das ernst?«, wollte er von ihr wissen. In seinem Kopf wäre es viel besser, irgendwo nach Wachpersonal zu suchen und zu erklären, dass sie nur zwei Teenager waren, die hier nicht hingehörten. Dann würde man sie doch auf jeden Fall gehen lassen! Oder?
Piper schien zu spüren, dass Max die Sache nicht geheuer war. Daher zog sie ihn zu einer abgenutzten Holzbank in der Nähe. Sie setzte sich und klopfte auffordernd auf den leeren Platz neben ihr. Max seufzte und ließ sich dankbar auf die Bank plumpsen.
»Pass mal auf«, begann Piper. »Wir sind schon zweimal aus kniffligen Situationen rausgekommen. Ob nun in meiner Welt, der Würfelwelt oder deiner Welt ist mir eigentlich völlig egal. Im Moment interessiert mich nur, dass wir in diesem Gefängnis nicht sicher sind. Daher würde ich sagen, wie brechen erst mal aus und sehen dann weiter. Einverstanden?«
Max sog die Luft ein und atmete deutlich ruhiger aus. Ihm tat es gut, dass Piper ihn an ihre erfolgreichen Abenteuer erinnerte. Und sie hatte ja auch recht: Solange sie nicht wussten, was vor sich ging, mussten sie ohnehin mitspielen.
»In Ordnung«, sagte er daher. »Hast du denn eine Idee, wo wir was zum Anziehen finden?«
»Wir können erst mal die Zellen in diesem Gang durchsuchen«, schlug Piper vor. »Wie es aussieht, sind ja alle Bewohner ausgeflogen.«
Sie deutete mit einem Nicken in Richtung der massiven Eisentür, an der sich die Gefangenen bis gerade eben noch zu schaffen gemacht hatten. Jetzt schienen sie endlich den richtigen Schlüssel an dem riesigen Schlüsselbund des bewusstlosen Wärters gefunden zu haben. Unter lautem Jubel schwang die Tür auf, und die Männer in Häftlingskleidung strömten hindurch, ohne auch nur einen Blick zurück in ihren Zellengang zu werfen.
»Und wenn wir da nichts finden«, Piper stand von der Bank auf und klatschte zufrieden in die Hände, »suchen wir eben woanders.«
Gesagt, getan. Piper wollte die Zellen auf der linken Seite unter die Lupe nehmen, Max die auf der rechten. Er warf ihr noch einen schnellen Blick zu, ehe sie in der Zelle mit der Zahl »8« verschwand, dann schlich er auf die andere Seite des Gangs und näherte sich dem Raum, an dem eine schiefe »7« hing.
Vor den Gitterstäben hielt er inne und lauschte. Irgendwo in der Ferne hörte er wieder die durcheinanderrufenden Stimmen, konnte aber nach wie vor nichts verstehen. Ein gutes Zeichen. Was auch immer hier vor sich ging, es war nicht in ihrer Nähe.
Erneut atmete er ein und wieder aus, um sich zu beruhigen. Dann lugte er um die Ecke in die Zelle. Es war niemand drin. Geschickt schlüpfte er in den Raum und begann seine Suche im Schrank hinter der Tür. Fehlanzeige. Auch auf, unter oder im Bett war keine Gefängniskleidung zu finden. Max sah auch keine persönlichen Gegenstände, keine Bücher oder Comics, Briefe, Fotos oder sonstige Erinnerungen an eine Zeit außerhalb dieser Mauern. Wenn hier ein Gefangener gelebt hatte, war er mit all seinen Besitztümern abgehauen.
Selbstsicherer als noch vor einer Minute huschte Max in den nächsten Raum. Diesmal hatte er Glück! Im Schrank hingen eine graue Hose und ein passendes Hemd. Er begutachtete seine Beute, musste aber feststellen, dass der Träger dieser Kleidungsstücke nicht ganz seiner Gewichtsklasse entsprach. Allein in die Hose hätte Max zweimal gepasst. Mist!, durchfuhr es ihn. Das ist schwieriger, als ich dachte.
Er legte die Klamotten aufs Bett und wollte gerade zum nächsten Raum gehen, als er wie vom Blitz getroffen stehen blieb. Im Türrahmen war eine Gestalt aufgetaucht, die regungslos in seine Richtung schaute. Das Gesicht konnte man unter der Kappe zwar nicht erkennen, doch die Gestalt trug definitiv Gefangenenkleidung. Das reichte, um es Max heiß und kalt den Rücken hinunterlaufen zu lassen. Was sollte er jetzt tun? Er überlegte kurz und fasste sich dann ein Herz.
»Entschuldigung«, stammelte er. »Ich arbeite hier und muss jetzt leider gehen.« Er klang dabei nicht sehr überzeugend.
Die Gestalt schwieg und trat einen Schritt auf ihn zu. Als Max gerade einen neuen Versuch starten wollte, erkannte er jedoch die wohlbekannte Stupsnase im Schatten der Mütze. Piper!
Er stemmte die Hände auf die Knie und schnaufte durch. »Hast du mich erschreckt!«
Piper musste lachen. »Test erfolgreich bestanden! Ich musste doch ausprobieren, ob mein Outfit überzeugend genug ist.«
»Das ist es auf jeden Fall«, kicherte Max. »Ich habe aber leider noch nichts gefunden.«
»Das macht nichts. Da vorne ist eine Wäschekammer. Da gibt’s was für dich«, entgegnete Piper.
Max war insgeheim froh, dass er die restlichen Zellen nicht mehr absuchen musste. Es fühlte sich nicht richtig an, in den Zimmern von Fremden herumzuschnüffeln. Außerdem wollte er nicht riskieren, die getragenen Socken von jemandem zu finden.
Moment, hat Piper nicht Wäschekammer gesagt?
Max schluckte. Das konnte etwas Gutes bedeuten, nämlich eine Kammer mit frisch gewaschener Wäsche. Oder es konnte etwas Schlechtes bedeuten, nämlich das genaue Gegenteil. Innerlich wappnete sich Max schon gegen den Geruch von Käsefüßen, als er Piper zu einem Raum ganz vorne im Gang folgte. Direkt daneben befand sich das Tor, durch das die Gefangenen vorhin entkommen waren.
»Meinst du, sie sind noch irgendwo im Gebäude?«, grübelte Max.
»Das werden wir noch früh genug herausfinden«, antwortete Piper grinsend. »Aber jetzt zieh dich erst mal um. Da drüben liegt alles.«
Max betrat die Wäschekammer – und stieß vor Dankbarkeit den angehaltenen Atem aus. Es roch zwar ein wenig muffig, so wie wenn man vergessen hatte, Wäsche aus der Waschmaschine zu nehmen. Aber die gefalteten grauen Kleidungsstücke, die in nummerierte Regalfächer einsortiert waren, machten einen sauberen Eindruck. Keine Spur von stinkigen Socken oder durchgeschwitzten T-Shirts.
Viel Auswahl gab es allerdings auch nicht. Mangels Alternative entschied sich Max daher für das gleiche Outfit, das auch Piper trug. Er zog die graue Hose und das ebenso graue Hemd über seine eigenen Klamotten, die Kappen aber ignorierte er. Lieber wollte er seine eigene aufbehalten.
»Ich glaube, es kann losgehen«, verkündete er, als er fertig war. Die Kleidung kratzte, und es war unbequem, sich mit zwei Schichten zu bewegen. In der jetzigen Lage konnte er allerdings nicht wählerisch sein.
»Sehr gut«, gab Piper zurück. »Dann wollen wir doch mal sehen, was hinter dieser Tür ist.«
Sie verließen die Wäschekammer und schlichen durch die offen stehende Sicherheitstür in einen weiteren Gang. Dieser war viel kürzer als der Zellengang und führte am Ende um eine Ecke. Diesmal ging Max voraus und riskierte einen Blick – machte aber vor Schreck gleich wieder kehrt, sodass er Piper hinter sich fast umschubste.
»Was …?«, setzte sie an, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.
»Da kommt einer!« Max wollte sie schon zurück in Richtung der Wäschekammer ziehen, doch es war zu spät. In diesem Moment bog bereits ein Mann um die Ecke, der ebenfalls Gefangenenkleidung trug. Er war um die vierzig Jahre alt, groß und sehr stämmig und hatte kurz geschorene braune Haare. Das Bild der viel zu großen Hose schoss Max durch den Kopf. Diesem Mann wäre sie wahrscheinlich noch zu klein gewesen. Die Augen des Gefangenen sahen die beiden merkwürdigen Gestalten überrascht an. Piper zog sich ihre Mütze so tief wie möglich ins Gesicht. Frauen gab es in diesem Gefängnis bestimmt nicht. Sie musste sich also etwas einfallen lassen.
»Wer seid ihr denn?«, fragte der Mann überrascht.
»Ich bin Max, und das hier ist …«, begann Max und spürte Pipers Ellenbogen unsanft in seiner Magengrube. Sie beendete seinen Satz mit ungewohnt tiefer Stimme: »Ich bin Sam.«
Max musste zugeben, dass sie ihre Stimme ziemlich gut verstellen konnte, auch wenn es für ihn natürlich etwas lustig klang.
Der Häftling musterte die beiden von oben bis unten, ehe er weitersprach. »Gehört ihr nicht eigentlich in den Jugendknast?«
»Äh …« Max suchte in seinem Kopf fieberhaft nach einer Erklärung, die halbwegs glaubwürdig klang. »Der war … überfüllt?« Es klang mehr wie eine Frage als wie eine Antwort, doch der Mann nickte mitleidig.
»Üble Sache. Aber was macht ihr noch hier oben? Ihr wollt doch sicher raus!«
Piper boxte Max erneut in den Bauch. Er verstand. Sie wollte, dass er das Reden übernahm, damit der Mann nicht doch noch Verdacht schöpfte. »Ja, genau«, sagte er daher schnell. »Wir sind gerade auf dem Weg runter.«
»Oh, oh«, antwortete der Mann und runzelte die Stirn. »Da seid ihr aber spät dran. Die Wachen haben die Tore wieder geschlossen. Da unten kommt ihr nicht mehr durch.«
»Verflixt!«, fluchte Max. Er wollte wirklich keine Sekunde länger als nötig in diesem tristen grauen Gebäude verbringen. »Gibt es denn keinen anderen Weg?«
Erneut legte der Mann die Stirn in Falten. Er verzog den Mund, und sein Blick huschte nach links und rechts, als würde er angestrengt über eine Entscheidung nachdenken. Schließlich beugte er sich ein Stück zu Max vor und hielt die Hand an den Mund. »Doch«, raunte er verschwörerisch. »Es gibt einen Weg.« Er deutete nach oben. »Über das Dach. Da wollte ich gerade hin. Wir haben da seit Wochen dran gearbeitet, und dann fangen die anderen einfach mit diesem Ausbruch an.« Eine Zornesfalte erschien kurz auf seiner Stirn.
»Dürfen wir … vielleicht mitkommen?«, bohrte Max nach.
Der Mann überlegte einen weiteren, quälend langen Moment, ehe er endlich nickte. »In Ordnung«, sagte er und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich brauche eh Hilfe. Und meine Kumpels sind alle schon draußen. Kommt mit.« Er wollte sich gerade umdrehen, hielt aber in der Bewegung inne und grinste schief. »Ich bin übrigens Charlie.« Dann lief er los.
Max warf Piper einen unsicheren Blick zu. Charlie entsprach eigentlich gar nicht dem Bild, das er von einem Häftling hatte. Er schien freundlich und fast schon zu hilfsbereit zu sein. Oder täuschte der Eindruck? Lockte er sie vielleicht direkt in eine Falle?
Doch Piper zuckte erst mit den Schultern und nickte ihm dann aufmunternd zu. Der Häftling war ihre beste Chance auf eine Flucht, das sah auch Max ein. Daher war es wohl sinnvoller, ihm zu folgen, als auf die Rückkehr der Wächter zu warten. Mit den gestohlenen Klamotten würden er und Piper sonst bestimmt erst mal in einer Zelle landen, ehe sie erklären konnten, dass sie nicht hierhin gehörten. Und wohin sie überhaupt gehörten, wäre noch viel schwieriger zu erklären. Daher gab Max sich einen Ruck, drehte sich um und folgte Charlie zurück zum Zellentrakt. Piper war dicht hinter ihm, das Gesicht im Schatten der Basecap verborgen.
Charlies schwere Schritte hallten von den Wänden wider, während sie durch den Zellentrakt gingen. Vor einer dicken Eisentür mit einer kleinen Glasscheibe im oberen Drittel hielt er schließlich an.
»Ich muss noch was holen«, erklärte er und drückte die Klinke herunter.
Max konnte an ihm vorbei ein Büro erkennen. Schreibtische, unter Bergen von Papieren begraben. Aktenschränke an den Wänden. Ein Wasserspender und ein gleichmäßig brummender kleiner Kühlschrank. Auf eine Wand war ein großes Wappen gemalt worden, darüber stand in dunkelblauen Buchstaben »Everglades Gefängnis«.
Eine ferne Erinnerung aus dem Erdkundeunterricht klopfte an Max’ Gedächtnis. Die Everglades waren in den USA. Und die USA waren verflixt weit weg von seinem Zuhause. In was war er hier bloß hineingeraten?
Charlie bewegte sich in dem Raum, als wüsste er ganz genau, wo er hinmusste. Er ging um zwei Schreibtische herum, öffnete die oberste Schublade von einem dritten und kramte einen altmodischen Schlüssel hervor. Ein Schlüsselanhänger in Form einer Harke baumelte daran. Stolz drehte sich der Häftling zu Max um, der im Türrahmen wartete, und wedelte mit seiner Beute in der Luft.
»Das war’s schon!«, rief er. »Jetzt können wir …«
»Still!«, zischte Piper mit ihrer verstellten Stimme. Sie war hinter Max im Flur geblieben, damit Charlie ihr Gesicht nicht sehen konnte. Jetzt starrte sie Max mit großen Augen an und legte den Finger auf die Lippen.