Ignorabimus - Arno Holz - E-Book

Ignorabimus E-Book

Arno Holz

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Beschreibung

Eine Tragödie in fünf Akten. Arno Holz, der 1929 in berlin verstarb, war insgesamt neunmal für den Nobelpreis für Literatur nominiert. Sein bekanntestes Werk ist wohl die Gedichtsammlung "Phantasus".

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Ignorabimus

Arno Holz

Inhalt:

Arno Holz – Biografie und Bibliografie

Ignorabimus

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Ignorabimus, A. Holz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849628239

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Arno Holz – Biografie und Bibliografie

Dichter und Schriftsteller, geb. 26. April 1863 zu Rastenburg in Ostpreußen, verstorben am 26. Oktober 1929 in Berlin. Für seine Liedersammlung »Klinginsherz« (1883), in der sich Schönheitsstreben im Sinne der ältern Kunst verriet, und »Das Buch der Zeit, Lieder eines Modernen« (Zürich 1885; 2. Aufl., Berl. 1892) erhielt er von der Augsburger Schillerstiftung Preise zuerkannt. Aber als Bekenner des »konsequenten Realismus«, wie er seine Kunstrichtung nannte, wandte sich H. der extremsten, ungeläuterten Wirklichkeitsdichtung zu, mit der er nach dem kurzen Lärm, den seine Theorien machten (»Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze«, Berl. 1891; neue Folge 1893), fast allein blieb. Literarhistorisch bedeutsam war der »konsequente Realismus« nur deswegen, weil er den Stil der ersten Dramen Gerhart Hauptmanns bestimmte, der ihn in H. ' Erzählung »Papa Hamlet« (1889) kennen lernte. H. veröffentlichte ferner: »Deutsche Weisen« (mit Oskar Jerschke, Berl. 1884); das Gedenkbuch »Emanuel Geibel« (das. 1884); das Drama »Die Familie Selicke« (mit Johannes Schlaf, das. 1890); »Neue Gleise« (mit demselben, das. 1891); »Der geschundene Pegasus« (mit Bildern von Joh. Schlaf, das. 1892); »Berlin. Das Ende einer Zeit in Dramen. Sozialaristokraten« (Rudolst. 1896). Seine Schrift »Revolution der Lyrik« (Berl. 1899), worin er formloser Unkunst das Wort redete, erfuhr lebhaften Widerspruch. Auf die beiden Hefte »Phantasus« (Berl. 1898–99) und eine heftige Streitschrift gegen »Dr

Prof. Dr. Dufroy-Regnier, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat, Exzellenz, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität.

Marianne, seine Tochter.

Dr. Ludwig Adrian Brodersen, sein Stiefbruder.

Prof. Dr. Georg Dorninger.

Erster Akt

Großer geräumiger Gartensaal. Im Hintergrund, aus der matt gelblich glänzenden Marmorwand, eine hohe, sehr breite, dreiteilige Ebenholztür, deren sechs Glasflügel nach dem Garten zu weit geöffnet stehn. Über ihr ein rundes, ehernes, bereits grün patiniertes Medusenmedaillon, das durch seinen machtvollen Ausdruck den ganzen Raum beherrscht. Rechts und links, in gleicher Höhe mit ihr abschließend, je ein vielscheibiges, verhältnismäßig schmal wirkendes Fenster. Unter diesen zwei weiße, schwarz geäderte Greifenbänke, auf denen dunkelrote Samtkissen liegen. In den beiden Seitenwänden mächtige, ebenfalls schwarze Flügeltüren, die bis zur halben Höhe von grünen Dioritsäulen flankiert werden, auf denen Barockbüsten schimmern: aus braunroten Drapierungen weißliche Köpfe. Über diesen, je rechts und links, getriebne, eckige Bronzeschilder als Kerzenhalter. Auf dem schwarz und weißen, schräg gequaderten Fliesenboden ein schwerer, tiefdunkelblauroter Teppich im Stil der alten, italienischen Kirchenmuster. In seiner Mitte ein großer, runder, schwarz polierter Tisch mit schwerem, barockem Schnitzwerk, um den, mit den Lehnen gegen die beiden Flügeltüren, zwei dazu

passende Sessel stehn. Als Plafond ein farbenfreudiger Freskorausch in der Art Tiepolos. – Aus dem Garten her, in den drei Stufen hinabführen, plätschert ein Springbrunnen, die Sonne draußen über den bunten Blumenrabatten leuchtet, und der ganze Raum wird belebt und erfüllt durch ein fortwährendes, heimliches Blätterspiel, das aus den hohen Bäumen durch die geöffneten Türen und die Fenster fällt. Ab und zu Wolkenschatten, bald fern, bald näher tutende Autos, Radfahrerklingeln, Stimmengeräusch, monotones Pferdegetrappel und die verschiedensten Vogellaute. Dazwischen der leise fortwährend eintönige Fall des Springbrunnens. Das Ganze, sofort einsetzend, durch den gesamten Akt wie eine allerfeinste und kunstvollste Instrumentation.

MARIANNE schlanke, noch junge Schönheit, deren Hauptreiz in einer gewissen, seltsamen, leis über sie gebreiteten Melancholie liegt. Die feine Haut leicht gebräunt, das prachtvolle Haar tiefgold-kastanienbraun, die Augen schwarz, groß und mit langen, seidigen Wimpern. Sie trägt ein violettes, faltig fließendes Gewand, keinen Schmuck, und hält in ihrer herabhängenden Linken einen dem Kleid angepaßten, welligen, mit dunklen Rosen garnierten Florentiner. Sie steigt eben aus dem Garten, hilft sich dabei müde mit der Rechten, in  der sie ein paar Frühlingsblumen trägt, an der offnen, mittelsten Glastür, steht, wie erschöpft, einen Augenblick vor dem Mitteltisch, seufzt tief auf, geht lässig auf die Tür ihr zur Linken, hat bereits deren Klinke erfaßt und blickt nun, wie einem unwiderstehlichen Trieb oder Drange gehorchend, nach der Tür links zurück. Sie läßt die Hand sinken, geht langsam wieder an den Mitteltisch, legt hier die Blumen und ihren Hut nieder und geht wie traumwandelnd weiter auf die Tür links zu. Noch bevor sie diese ganz erreicht hat, schrickt sie bei einem plötzlich ganz besonders nahen Autolaut schmerzlichst zusammen, dreht den Kopf wie entsetzt nach dem Medusenhaupt und bricht, mit der Rechten, gegen die sie die Stirn preßt, an den Türpfosten gelehnt, während die Linke, wie unbewußt, die Tür streichelt, in ein leises, wimmerndes herzrührendes Schluchzen aus. Georg! ... Georg!! ...

ONKEL LUDWIG alter weißhaariger Hüne; das energische, scharf geschnittne Gesicht, aus dem unter buschigen Brauen zwei nordisch blaue Augen ab und zu noch seltsam jugendlich blitzen, glatt rasiert, durch die Tür rechts; seine schwere Wucht dabei auf einen Stock gestützt. Über den unerwarteten Anblick ganz starr; beide »a« kurz, das erste betont. Ja aber ...

MARIANNE die ihn zuerst nicht hatte kommen hören; nach ihm umgedreht; entsetzter, halb wie irrer Blick nach der Mitteltür, durch die sie vorhin gekommen war, als hätte sie von hierher das plötzliche Auftauchen eines ganz andern erwartet; noch ganz wirr. Du? ...

ONKEL LUDWIG der ihrem Blick gefolgt war; ganz besorgt. Marianne! ... Was ist dir denn? Du machst ein paar Augen ... Wer soll jetzt durch diese Tür ...

MARIANNE sich mit der flachen Linken, während sie die Lider einige Sekunden geschlossen hält, wie um wieder zu sich zu kommen, über die Stirn streichend. Verzeih! ... Ich war im Moment ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt, etwas schwerfällig, nähertretend. Erst sucht man dich den ganzen Morgen Zwitschernde Spatzen. wie ne Stecknadel, und wenn man dich dann endlich ... Hat den Sessel rechts, auf den er zugesteuert war, jetzt erfaßt.

MARIANNE jetzt ebenfalls am Tisch; in den Sessel links zusammenbrechend. Ach, Onkel Ludwig!

ONKEL LUDWIG der sich inzwischen gesetzt hat; dabei wieder, besorgt-unruhig, einen Moment nach der Mitteltür blickend. Hat sich irgendwas ... ereignet oder zugetragen? ... Ist dir was passiert? ...

MARIANNE stumm abwehrende Geste. »frag mich nicht!« ...

ONKEL LUDWIG auf seinen Stock jetzt, forschend- eindringlich, gegen sie vorgebeugt. Willst dus mir nicht sagen?

MARIANNE vergeblich mit sich ringend. Ich ... kann nicht!

ONKEL LUDWIG in seinen Sessel wieder znrückgelehnt; durch die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen etwas verschnupft und verstimmt. Hm! So! Na! ...

MARIANNE um ihn auf ein andres Thema zu bringen; nach dem Garten hin. Ein Tag heute ...! »Vogel Bülow«..

ONKEL LUDWIG als wär ihm etwas in die Kehle gekommen. Tja!

MARIANNE in die prachtvolle, wahrhafte Schönheit des Tags einen Augenblick wie versunken; als ob sie sich gleichzeitig dadurch von etwas befreien wolle. Ein herrlicher ... wohltuender ... ausgesucht schöner Tag! Derselbe »Vogel Bülow«, wie vorhin; diesmal zweimal.

ONKEL LUDWIG in seinem Sessel vergneddert hin und her. Und den hat man nu so bis jetzt ... aus dem Haus in den Garten, aus dem Garten wieder ins Haus ...

MARIANNE gequält zu ihm aufblickend. Daß dir schon ... drei kurze Stunden ...

ONKEL LUDWIG wie höchst übel und ungerecht  von ihr behandelt; fast gekränkt. Da du doch sonst nie ... Ich kann mich gar nicht mehr entsinnen ... Leichte, scheinbar lässige Kopfbewegung nach ihrem Hut hin. Du warst weg?

MARIANNE die sich noch immer nicht recht gefaßt hat; unbestimmt-ausweichend. Ich hatte geglaubt ... du würdest mal unterdessen ... vielleicht einen deiner alten Spaziergänge wieder aufnehmen!

ONKEL LUDWIG als hätte sie ihm damit die denkbar stärkste Zumutung gestellt. In dies neue Berlin? Auto: »wütendes Wildschwein«. Wo man alle fünf Schritt Gefahr läuft, die paar mürben Reste, die einem der gnädige Schöpfer noch gelassen hat, unter irgend so ne widerwärtige Elektrische, oder son Satansbiest von Autoomnibus zu betten? Radfahrer; schrillst. Hab ich jetzt satt!

MARIANNE: Man atmet förmlich immer auf ... Unwillkürlich dies etwas selbst tuend. sobald man aus diesem häßlichen, wirbelnden Malstrom ...

ONKEL LUDWIG sie unterbrechend; zuerst noch brummig-grollend, dann sich mehr und mehr in Rage und Feuer redend. Vor siebzig Jahren wars schöner! ... Wenn ich damals Wieder Geste nach dem Garten hin. durch das große, schwarze Eisengitter drüben, mit meiner Botanisiertrommel oder einem Buch, in den Tiergarten ging, glaubst du, da begegnete einem auch bloß eine einzge Menschenseele? Da gabs nichts, wie Sonnenschein und Schmetterlinge! Meisen: »Zizigäg, Zizigäg«. Vom Brandenburger Tor nach dem Großen Stern oder dem Neuen See war ne Landpartie! Heut Andrer Tonfall; Auto: Doppellaut. kann man vor lauter Kindern und Ammen dort kaum noch treten! In der Hofjägerallee verkauft n Kerl mit ner weißen Schürze Speiseeis, und am Goldfischteich steht ne dicke Italienerin mit Luftballons! ... Ganz fernes Auto. Überhaupt! Erheblich mit sich im Selbsthader; fast düster. Ich weiß manchmal gar nicht, wozu ich meine morschen Knochen in dies elende Sündenbabel wieder zurückgeschleppt habe!

MARIANNE die sich inzwischen, nach und nach, endlich etwas gefaßt hat; nachsichtig-gütig; fast wie eine junge Mutter zu ihrem kleinen Kind. Hast du nicht oft gesagt ... daß du dich da draußen ...

ONKEL LUDWIG in seinem Sessel wieder unbehaglich-unruhig. Nu ja, ja, ja!

MARIANNE in ihrem Satz fortfahrend; Ton noch seelischer. Wo du niemand hattest, wo sich keiner um dich bekümmerte ...

ONKEL LUDWIG konzedierend-bärbeißig. Ist ja wahr! Ist ja wahr!

MARIANNE: Wo du immer nur ganz allein warst ... Abbrechend und plötzlich aus ihrem eigensten, tiefsten Innenleben. Auch der geistig in sich geschlossenste Mensch ... und wenn man sich auch noch so ... bloß auf sich selbst zurückziehn möchte ... wer zu andern keine Brücke mehr hat ... oder keine mehr findet ... Zerquält innehaltend.

ONKEL LUDWIG melancholisch vor sich hin. Einsam ...

MARIANNE den Kopf etwas zurück, die Augen dabei geschlossen. Entsetzlich!

ONKEL LUDWIG von ihrem unwillkürlichen Zwischenruf kaum unterbrochen in seiner Meditation weiter. Was wir auch anstellen! Wie wirs auch drehn! Sind wir alle! ... Nach einer kleinen, unwillkürlichen Pause; Buchfinken und ferne Stimmen. Du bist einsam ... Kopfbewegung nach der Tür ihm gegenüber. Georg ist einsam ... Ebensolche Kopfbewegung rechts nach dem Garten rüber. dein Vater, mein Herr Stiefbruder, der Magnifikus, in seinem riesigen, protzigen Prunkkasten da vorne, ist einsam ... und ich In seiner Sprache etwas langsamer. glaube ... meine steinalte Mutter ... die ja nu wohl, zu seinem Leidwesen, bei ihm »fromm« geworden ... mit nächstem ... bald ihre Hundert wird ... ist auch einsam!

MARIANNE die ihn solange aufmerksam, mitleid- und teilnahmsvoll, angeblickt hat. Onkelchen! Gib mir mal deine alte, liebe, gute Hand.

ONKEL LUDWIG ihr mit einem gewissen, zögernden  Unbehagen und Widerstreben diesen Wunsch erfüllend. N ... na?

MARIANNE seine harte Tatze mit ihrer weichen Patsche streichelnd. Willst du deinen bösen Groll auf die beiden nicht endlich vergessen?

ONKEL LUDWIG der seine Hand wieder zurückgezogen hat; im höchsten Grade unwillig; fast entrüstet. Marianne!

MARIANNE von neuem; eindringlich; ihren Vermittlungsversuch noch nicht aufgebend. Was du gegen Großmutter auch hast ...

ONKEL LUDWIG dem die Brauen nur so gewittern; beide Silben zornig vorstoßend; die zweite kurz und betont. Jaja!

MARIANNE: Was du ihr auch nachträgst! Die Hauptakzente noch verstärkt. Und mag es sogar das Allerkränkendste und Bitterste gewesen sein! So viel Zeit ist drüber vergangen!

ONKEL LUDWIG knurrend-verbissen. So einige Lustra! Allerdings! Macht sich!

MARIANNE noch intensiver; bereits fast mit einem leisen Vorwurf. Könntest du dir nicht denken, ist es dir wirklich so ganz unmöglich, dir das vorzustellen, daß du damit meinem Vater, der nun auch schon grau ist Gedämpftes, sich während der nächsten zwei Repliken entfernendes Pferdegetrappel. der noch Kind war, als du in die Welt gingst, und ...

ONKEL LUDWIG der es auf seinem Sessel kaum noch aushält; ungeduldigst. Und, und, und?

MARIANNE sich noch immer steigernd; in ihrem Satz weiter. Und der doch sofort, nachdem du wieder zurückgekehrt warst, alles getan, um aus innerstem Herzensdrang, wenn auch leider vergeblich ...

ONKEL LUDWIG sie unterbrechend und in ihrem Satz, dessen Gedankengang er dabei geradezu auf den Kopf stellt, grotesk-höhnisch fortfahrend. Mich alten Sünder in die verzeihend und liebevoll geöffneten Arme unsrer gemeinsamen Frau Mutter wieder ... etcetra pepeh ...

MARIANNE von seiner ironischen Großmut, ihren Satz jetzt vollenden zu dürfen, nicht Gebrauch machend; seinem so hartnäckig fortgesetzten Widerstand gegenüber erlahmt und mutlos; »a« kurz. Ja, wenn du so sprichst ...

ONKEL LUDWIG der nur mit Mühe so lange an sich gehalten; erbittert; seinen nun schon seit länger als einem halben Jahrhundert in den untersten »Kellern seiner Seele« aufgespeicherten Grimm und Groll aus sich herauspolternd. Fünfzig Jahre hab ich mich rumgestoßen! In allen Erdteilen war ich! Immer mit meinem großen, grundlegenden, transphysikalischen »System« beschäftigt! Die Welt ist nu mal da, Verstand hat uns der Allmächtige in seiner weisen, unerforschlichen, väterlichen Nachsicht und Güte mit auf den Weg gegeben, sie muß also auch erklärt werden können! Mundus explicari potest, ergo explicetur! Auto. Das ist klar! Ferneres, wie ein Echo. Und überall, wo ich gesessen und drüber nachgedacht habe, jede Sekunde hab ich geglaubt: Nu kommt ... von deiner alten, angestammten Bank ... die dein Vermögen verwaltet ... die allein deinen Aufenthalt kennt ... und die dir jeden dritten Ersten pünktlich dein Deputat, dein Subsidium und dein Leibgeding schickt ... nu kommt ... Lang anhaltendes Radfahrergeklingel. das Telegramm!

MARIANNE als hätte sie nicht recht gehört; sich vergewissernd. »Das ...?«

ONKEL LUDWIG nickend und in seinem Stiebel unbeirrt weiter. Das Telegramm! ... Nu sind die vier oder fünf Talermillionen ...

MARIANNE durch diese ihm sonst so fremde Betonung seines »irdischen Schätzeplunders« leis indigniert. Du tust manchmal ...

ONKEL LUDWIG der nicht locker läßt; noch hartnäckiger. Die vier oder fünf Talermillionen, die dir dein fleißiger Vater hinterlassen hat, durch den natürlich erfolgten Hintritt seiner Frau Witwe ... Auf eine leichte, kaum merkbare, unwillkürliche Bewegung Mariannes, als wolle sie gegen diese lieblose  Überhärte und zugleich mehr als bloß respektlose Ausdrucksweise einen gewissen Protest einlegen; seine Worte nun noch unterstreichend. Jawohl! Seiner Frau Witwe, die es vorgezogen, sich nach seinem Tode nicht verbrennen zu lassen, endlich für dich frei! Dann kehrst du zurück und gründest dort, wo deine Wiege gestanden, Spatzen. mitten unter dem Berliner hochnasigen, großpratschigen, rationalistischen Aufklärungsgesindel dein großes Okkultistenkloster! Dann hast du für das, was andre in ihrem Leben begangen, gebüßt, und ... Abbrechend und sofort, sich noch abermals steigernd, weiter. Ja, prost! Wären nicht ... die paar lächerlichen, armseligen, kärglichen Zinsen aus diesen lumpigen hunderttausend Mark gewesen ... die mir die betrübte, provisorische Universalerbin ... als ich mündig geworden war ... laut Kodizill, auf Heller und Pfennig bar hatte ausbezahlen lassen müssen ... Empörte, aufgebrachte Geste nach dem Garten hin. für die da ... hätte ich ebensogut in Surinam Kuli, oder in Kamtschatka Schneeschipper sein können!

MARIANNE so wenig sie ihn auch im Moment verletzen und seine Aufregung dadurch womöglich noch steigern möchte; doch ganz entschieden für die geschmähten Abwesenden Partei ergreifend. Du bist ... ungerecht!

ONKEL LUDWIG als hätte sie damit das absolut Unmöglichste aus der ganzen Welt behauptet. Ich???

MARIANNE etwas sanfter; wieder einlenkend; aber trotzdem innerlich sehr bestimmt. Ein Wort von dir, ein einziger Brief, wo du auch warst, die ganzen Jahre, das kleinste Lebenszeichen hätte genügt ...

ONKEL LUDWIG ausbrechend; mit der rechten Faust vor sich auf den Tisch schlagend; seine Augen drohen und blitzen. Hab ich gewollt?!

MARIANNE über seine unvermutete Heftigkeit ganz erschrocken und betreten; die Augen gesenkt; stumm. ...

ONKEL LUDWIG in dem das Gewitter, dessen er sich eben entladen, noch immer bedenklich nachgrollt. Dank deinem Herrgott, daß du das, was mich von deiner Frau Großmutter und damit auch von deinem Vater für dieses Dasein trennt, von mir nie zu wissen bekommst!

MARIANNE nach einem kurzen Stutzen; durch seine dunkle Anspielung ganz verwirrt und betroffen; fast wie zu sich selbst. Ja, aber was kann denn das ...?

ONKEL LUDWIG brüsk; mit düster zusammengezognen Brauen. Nichts! ... Gar nichts! ... Wirr; abgerissen; kataraktartig; sich schnell heftig steigernd.  Ich war damals ... als grüner Junge ... in jener verruchten ... wetterschwülen ... höllenschwarzen Julinacht ... in demselben Augenblick ... als fast gleichzeitig ... ohne daß ich es ahnte oder gar bereits darauf gefaßt war ... mein Vater ... schon seit Stunden bewußtlos ... nach langem, leidensvollstem Schmerzenslager ... seiner traurigen Auflösung entgegenröchelte ... Marianne unter seinen rollenden Blicken ganz entsetzt. und ich mit beklommnem Herzen ... Sich mit der linken, geballten Faust erbittert zweimal vor die Brust schlagend. denn damals hatt ich noch eins! ... hatt ich noch eins! ... Unbestimmte Geste hinter sich nach oben. mich aus meiner Dachstube oben ... heimlich die Treppe runter ins Vorzimmer geschlichen hatte ... Zu ihr vorgebeugt; seine Augen sprühen, seine Stimme, noch tiefer und rauher geworden, vibriert und zittert. wo ich den Vater deines Vaters ... Knöcheltremulando vor sich auf der Tischplatte. meinen Hauspräzeptor ... ich unterstreiche ... Wie eben; nur noch gesteigert. meinen Hauspräzeptor ...

MARIANNE ganz hilflos; mit groß aufgerißnen Augen ihn anstarrend; die Worte wollen ihr kaum durch die Kehle. Ich ... weiß ... wirklich nicht ...

ONKEL LUDWIG noch immer in seinem selben Satz; zäh weiter. Fünf Minuten lang Sich erbittert  vor die Stirn tippend. wahrscheinlich nicht recht bei Verstand ... was ich dort mit eignen Ohren gehört und mit meinen eignen Augen gesehn ... Fast heiser. fünf Minuten lang ... daß sich mir meine weißen Haare noch heute zu Berge sträuben ...

MARIANNE wie entgeistert. Mir kommt das alles ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt seine lange Periode schließend; einen kurzen Augenblick wie erschöpft. War ein Phantasma ... Sich wieder aufruckend; jedes Wort betont; mit letzter verbissen-erbittertster Steigerung. und ich habe mir seitdem ... über zwei Menschenalter lang ... bloß was eingebildet!

MARIANNE vor seiner Leidenschaft noch ganz ratlos. Ich kann unmöglich ... ahnen, ich ... kann mir nicht ... vorstellen ...

ONKEL LUDWIG in dem noch alles nachzittert und zischt; mit größter energischster Entschiedenheit. Kannst du auch nicht! Ausgeschlossen! Bist du gar nicht fähig!

MARIANNE mit erneutem, nochmaligem Versuch sich zusammenraffend. Würdest du es aber ... vielleicht trotzdem über dich gewinnen ... könntest du es dir ... abringen ... die alte Frau noch mal zu sehn ...

ONKEL LUDWIG sie ergrimmt unterbrechend; ihren Satz fortsetzend; letzter, schneidendster  Hohn. Wie sie jetzt in reuemütiger ... sich selbst bezichtigender Zerknirschtheit ... post festum ... christliche Bußtränen über ihre Bibel vergießt ...

MARIANNE mit Mühe sich wieder sammelnd. Ich ... begreife nicht, ich ... kann gar nicht verstehn ... wie du bei deiner sonstigen Güte ...

ONKEL LUDWIG der sich keineswegs wieder beruhigt hat; die Brauen buschig zusammengezogen. Güte??

MARIANNE sich mehr und mehr zurückgewinnend. Wenn du dich auch ... anstellst, als ob du mich deshalb ... gleich verschlingen und auffressen möchtest ... mir ist es geradezu ganz unfaßbar, wie du in diesem einen Punkt ...

ONKEL LUDWIG der sie wieder nicht ausreden läßt; hart; die Angelegenheit, wie er glaubt, damit endgültig erledigend. Von deiner Frau Großmutter schweig! Von der hast du mein Ultimatum eben gehört ... und damit basta!

MARIANNE den für sie wichtigsten Punkt ihrer Position jetzt erst recht verteidigend. Und mein Vater? Der an dem, was dich betroffen oder worüber du dich beklagst, doch aber auch sicher ganz und gar unschuldig ist? Der von seinem Leben nichts mehr hat und dessen Dasein bis auf den heutigen Tag ... Auto. wenigstens rein menschlich, innerhalb seiner vier Wände und mit seiner Familie ... ...

ONKEL LUDWIG knurrend-wegwerfend. Weiberknecht!

MARIANNE die seinen Sparren nach dieser Richtung kennt. Weil er in so selbstloser, rührender, aufopfrungsvoller Weise meine kranke Mutter geliebt hat? Bis zu ihrem letzten, traurigen Schmerzenstag? Und noch heute der besorgteste, treuste und zärtlichste Sohn ist?

ONKEL LUDWIG widerborstig. »Sohn ist?« ... »Sohn«? ... Sag lieber willenloser, widerstandsunfähiger ...

MARIANNE andrer Tonfall; sich jetzt doch etwas zur Wehr setzend. Du solltest zu mir ...

ONKEL LUDWIG unbekümmert-rücksichtslos weiter. Auf den Wink gehorsamer Schleppträger, Handlanger und Unterwürfling ...

MARIANNE die ihn nicht ausreden lassen will; jetzt bereits fast energisch. Ihr habt euch in euerm ganzen Leben nie ...

ONKEL LUDWIG über ihre Einrede hinweg; erst jetzt seinen Satz schließend; durch den ihm entgegengehalten Sachverhalt nicht im mindesten irritiert. Und du kommst der Wahrheit näher!

MARIANNE für den von ihm so Verlästerten mit größter Entschiedenheit eintretend. Du hast und machst dir eine vollständig falsche Vorstellung von ihm!

ONKEL LUDWIG überzeugt, damit jetzt seinen Haupt-Trumpf auszuspielen; wieder mit einer Kopfbewegung nach der Tür ihm gegenüber. Hat Georg oft, und zwar sehr deutlich ...

MARIANNE die seinem Blick halb gefolgt war; durch seinen bedauerlichen Rekurs auf die Zeugnisschaft Georgs etwas peinlich berührt. Bei dessen ... persönlich ebenfalls und genau so gereizter ... bedauerlicher Stellungnahme ... gegen Großmutter ...

ONKEL LUDWIG »unerbittlich«. Ich habe gesagt: Weiberknecht! Und wenn ich von einem sage: »Weiberknecht«, dann möcht ich ihm immer gleich das Messer in die Brust stoßen!

MARIANNE trotz der ungewollten Komik seiner mehr als überfarbigen Ausdrucksweise einen Augenblick doch fast wie verletzt. Ich ... bitte dich!

ONKEL LUDWIG an selbstbewußter Bestimmtheit sich jetzt womöglich noch überbietend. Mulier taceat in ecclesia. De nihilo nihil! Das Weib ist die Wurzel alles Übels!

MARIANNE schon halb wieder bezwungen; den »Kampf« gegen ihn aufgebend. Danke!

ONKEL LUDWIG dadurch völlig mit ihr »versöhnt«; großmütigstes »Blümchen«. Du bist ne Ausnahme! Daß du mal summa cum laude deinen Doktor gemacht, merkt man dir Gott sei Dank nicht an!

MARIANNE amüsiert; scherzend. Das ist aber nett von dir!

ONKEL LUDWIG bis ins letzte davon durchdrungen und überzeugt. Bin ich zu dir immer! In seine alte Unversöhnlichkeit wieder zurückfallend; Pferdegetrappel; »Hü!«. Wenn einer aber sein Lebtag ...

MARIANNE beide Handflächen, wie in unwillkürlicher Abwehr, gegen ihn. Mein Vater ...

ONKEL LUDWIG eigensinnig-hartnäckig; einen Augenblick ebenso wie sie. Dein Vater, als der Berliner biologische Papst des krassesten, materialistischen Deszendenztheoretikertums bis zur dogmatischen Intoleranz, hätte sich mit deiner Mutter, seiner direkten, regulären, blutsverwandten Cousine ...

MARIANNE durch seine umständliche Weitschweifigkeit leicht nervös. Mein Gott, deshalb ...!

ONKEL LUDWIG parenthetisch in seinem Satz weiter. Und nun gar noch dazu aus jener dünkelstolzen, parasitären, französischen Emigrantenlinie, die sich mit ihrem alten, lächerlichen, abgelegten Adel ...

MARIANNE mit leiser, heimlicher Mokerie. Du berauschst dich in einer nachträglichen Buchführung ...! ...!

ONKEL LUDWIG erst jetzt seinen Satz, fast jede Silbe betont mit erhobner Stimme schließend. Überhaupt und unter gar keinen Umständen erst aufs Standesamt verirren dürfen! Und mag se meinetwegen auch noch so anmutig und liebreizend gewesen sein! Weibliches Wesen von einer so nervösen Gebrechlichkeit, daß der Verzicht auf jede Nachkommenschaft bei Vollzug der Eheschließung primäre Voraussetzung war ... wie dieser »Verzicht« dann von beiden Seiten schließlich gehalten wurde ... Sie von oben bis unten sehr deutlich und fast mißbilligend messend. nimm mirs nicht übel, aber das sieht man ... Jetzt »empört-seitlich in die Luft« und neu anhebende, noch erbittertere Parenthese. nach neun Jahren ...

MARIANNE leicht spöttisch lächelnd; »a« kurz. Ja ...

ONKEL LUDWIG in seiner Riesenperiode dadurch nicht unterbrochen; mit noch größerem Nachdruck. Nach neun Jahren Zwillinge und zugleich mit ihrer Geburt dann natürlich das ganze, rührende Idyll aus ... Abrupt-grimmig und sich in seinem Sessel, den er in seiner gerechten Entrüstung schon beinah halb geräumt hatte, empört wieder zurechtrückend. da hört doch verschiednes auf!

MARIANNE jetzt wieder sehr ernst. Du kannst doch aber nicht deshalb ...

ONKEL LUDWIG der sie nicht erst ausreden läßt; mit dem letzten Abschluß seiner Beschwerde hinterdreinpolternd. Daß sie zum Überfluß, außerdem, obendrein auch noch keinen blanken Heller gehabt hatte, rechne ich ihr schon gar nicht nach!

MARIANNE gutmütige, nicht weh tuende Ironie. Du bist von einer Generosität ...!

ONKEL LUDWIG unter den ganzen Klumpatsch sein grollend-bekräftigendes Siegel drückend. Ihr vertrackten, schlauen Weibsleute pfeift, und wir dummen, taprigen Mannsbilder ...

MARIANNE nervös-ungeduldig. Dein Lieblingsthema!

ONKEL LUDWIG mit stärkster Gewalt. Und mit Recht ...! Finster. Denn, wenn einer in seinem Leben unter etwas gelitten hat, und du kannst sagen, was du willst, ich ... Vor Erregung nicht fähig, den Satz weiterzusprechen.

MARIANNE in unbestimmtem Grauen. Ich habe ... meinen Großvater ... nie ...

ONKEL LUDWIG verbissen-grimmig. Freu dich! ...De mortuis nihil ... Sanft ruhe ...

MARIANNE wie bereits vorhin; nur noch gesteigert. Sein Tod ... war ein so schrecklicher ...

ONKEL LUDWIG ihr letztes Wort, wuchtig, nochmal aufnehmend. »Schrecklicher!« ... Ja ja! Leichte,  etwas geärgerte Bewegung mit dem Kinn nach der Tür ihm gegenüber; dumpfes Auto. Georg schon auf?

MARIANNE Achselzucken; mit seinem »neuen Kurs« offenbar nicht ganz einverstanden; leicht- nervös unbestimmte Geste halb ebenfalls nach der Tür rechts. Wenn er noch nicht geklingelt hat ... ich weiß es nicht.

ONKEL LUDWIG seinem Groll auch hier wieder die Zügel schießen lassend. Man kriegt ihn ja kaum noch zu sehn! ... Sein Frühstück nimmt jeder für sich allein, zu Mittag wird kein Wort gesprochen, und wenn man mal nachts zufällig aufwacht, hört man, wie der Herr Professor unten bei sich rumwankt!

MARIANNE gequält-abwehrend. Wozu drüber reden? Das ...

ONKEL LUDWIG als hätte sie nicht einmal »Muck« gesagt; mit Wonne in seinem Grimm weiter. Wer hält denn das aus? Nerven hat er doch bloß noch wie die Spinnweben! ... Mensch von so ner ursprünglichen Kraftnatur! ... Forscher, vormalger Artillerieleutnant! ... Hast du gemerkt, wie er wieder seine dummen Schlafpulver nimmt?

MARIANNE die plötzlich aufgehorcht hat. Woher ...?

ONKEL LUDWIG aufgebrachte, sich verteidigende,  illustrierende Handbewegung. Wenn die leeren, ausgebrauchten, pharmazeutischen Originalbeweise auf seinem Schreibtisch bloß so rumliegen?

MARIANNE fast verweisend. Du ... solltest auf keinen Fall ...

ONKEL LUDWIG ihr das Wort wieder kappend. Seit zwei Wochen! Wahrscheinlich präzis von jenem verrückten Abend ab, wo er uns Afra ...

MARIANNE unter diesen zwei Silben fast zusammengezuckt. »Afra!«

ONKEL LUDWIG mit noch erhöhtem Nachdruck. Wo er uns Afra, dieses liebe, süße Geschöpf aus einer andern und, wie ich denn doch zuversichtlich hoffen möchte, bessern Welt ... durch seine törichte, unvernünftige, plötzliche Fragerei verscheucht hat!

MARIANNE zweifelnde, fast schmerzliche Geste. »Afra!« Du sprichst immer von »Afra«! Schon wenn ich bloß diesen seltsamen Namen höre!

ONKEL LUDWIG auf den diese Ungläubigkeit von ihr nicht den geringsten Eindruck macht. Hätte sie uns nicht ... mit so ziemlicher Bestimmtheit ... in Aussicht gestellt ... daß sie unter allen Umständen nochmal, falls wir dies durchaus wünschten ...

MARIANNE hierauf gar nicht eingehend; ihn unterbrechend; ihre zweifelnde Ungläubigkeit von vorhin noch gesteigert. Als ob es sich Erschreckt  bellender Köter. um ein lebendiges Wesen handelt!

ONKEL LUDWIG mit unbeirrter Sicherheit, wie von einer für ihn selbstverständlichsten Tatsache redend, weiter. Da du bei ihrem Erscheinen stets in Trance lagst, kannst du von ihrer Realität natürlich nicht überzeugt sein! Oder bildest du dir vielleicht gar etwa ein, Georg wars gleich?

MARIANNE noch immer ganz bei ihrer Skepsis; ratlose, völlige Verständnislosigkeit markierende Geste. Georg! Ich verstehe gar nicht! ... Georg, der sonst in solchen Dingen ...

ONKEL LUDWIG ihre Unterbrechung gar nicht beachtend. Erst, fast dies ganze Jahr lang, vor, in und nach jeder Sitzung immer wieder und wieder, bloß die skeptischsten Zweifel und Zweifel, äfft uns kein Blendwerk und Betrug? Existierst du überhaupt? Bist du nicht eins mit deinem Medium?

MARIANNE mit dem Versuch, ihn wieder zu unterbrechen. Du kannst aber doch Georg ...

ONKEL LUDWIG in seinem Referat weiter; von ihrem »Unterfangen« gar nicht Notiz nehmend. Hunderte und aber Hunderte der umständlichsten, kompliziertesten Messungen und Versuche, klopft in dir ein anatomisch normales Herz? Wie viel Frequenz hat dein Pulsschlag? Atmest du Kohlensäure aus?

MARIANNE ihren Versuch wiederholend. Ich finde das alles ...

ONKEL LUDWIG über ihre Worte wieder hinweg. Mit Mühe und Not, namentlich zu Anfang, mehr als einmal, wo ihm die Erscheinung oder Gestalt noch so gut wie mit dir identisch schien, hab ich ihn kaum davon zurückhalten können, daß er nicht die Verschwindende freventlich und mit Gewalt ...

MARIANNE wie bereits wiederholt; wieder vergeblich. Ich bat ihn oft selbst: wenn du der Erscheinung mißtraust ...

ONKEL LUDWIG sich an seinen Worten mehr und mehr »berauschend«; mit größter Steigrung bis zum Schluß. Alle enthüllenden Offenbarungen und Aussagen, auf die ich für meine Person doch aber auch ganz natürlich und selbstverständlich das Hauptschwergewicht gelegt hätte, werden meinen permanenten Protesten zum Trotz, angeblich als »völlig belanglos«, unregistriert in den Wind geschlagen, und mit einmal, zum Schluß, ich denke, der exakte Herr Professor der Physik und Chemie an der Friderica Guilelma hat für anderthalb Minuten seinen Verstand eingebüßt: »Wer bist du? Hast du, außer, wie du uns angegeben, im dritten Jahrhundert, sonst noch mal gelebt? Warum erscheinst du uns? Ist dein Schicksal mit meinem bereits irgendwie verknüpft gewesen? Nach einer kurzen  Effektpause; mit letzter Wucht; jedes Wort einzeln »siegerisch« hervorgehoben. Kannst du mir das Rätsel von Mariettes Tod lösen?«

MARIANNE die diese erneute Rekapitulation seiner umständlichen Schilderung, die sie schon oft von ihm gehört, kaum noch ertragen konnte; durch die letzten Sätze trotzdem wieder bis ins Innerste getroffen. Du quälst mich ja bloß!

ONKEL LUDWIG über ihre Pein wieder hinweg. Wenn ne junge Mutter mit zwei kleinen Kindern durch ne unglückliche Leuchtgasvergiftung ...

MARIANNE durch das Wiederaufreißen dieser alten Wunde wie gefoltert; mit geschloßnen Augen etwas zurückgelehnt; fast flehend. Hörst du nicht auf?

ONKEL LUDWIG ganz naiv. Na, was ist denn da aufzuhören? Von diesem prachtvollen Jungen, der allein wieder aufgewacht war ... Fernes, wie klagendes Auto. anfangs ganz frisch und munter ... höchstens n bißchen Kopfschmerz ... nu ja ... bis er euch dann schließlich doch ... auf so unerklärbare Weise genommen wurde, hast du mir doch oft genug, lang und breit, selbst erzählt!

MARIANNE in der Erinnrung an ihren kleinen, toten Liebling einen Augenblick wie versinkend; vor sich hin. Ich werde den Schmerz ... daß ich wenigstens dieses eine Leben ... nicht noch habe retten können ... nie verwinden!

ONKEL LUDWIG noch immer bei seinem Protest gegen Georg. Drei einem so Nahestehende und fast auf einen Ruck ... ja nu! So was ist in diesem irdischen Jammertal ne Prüfung, meinetwegen sogar ne ganz heimtückische, miserable und hundsföttische, ich kann das Georg zur Not vollkommen nachfühlen, aber doch noch kein Grund ...

MARIANNE ihre ganze Energie zusammennehmend. Ich bitte dich jetzt inständigst!

ONKEL LUDWIG als der mangelhafte Psychologe, der er ist, die Stimmung, die er in ihr hervorgerufen, nicht verstehend und begreifend; seine ganze Naivität nichts ahnend znsammenfassend. Du bist seitdem hier bei ihm im Haus, ihr hattet schon vorher, die ganzen Jahre, wenn auch nur aus der Ferne und erst mal präliminarisch ... Marianne aufmerksam geworden. die verschiedensten gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitspunkte hin- und herkorrespondiert ...

MARIANNE energisch ansetzender Tonfall. Lieber Onkel ...

ONKEL LUDWIG »unschuldig« weiter. Deine, wie wir doch alle hoffen wollen, jetzt in Gott ruhende Schwester soll dir überdies und außerdem auch noch so furchtbar ähnlich gewesen sein, ja ... find das von mir nich komisch, aber ... warum heiratet ihr denn eigentlich nich?

MARIANNE in ihrer Erregung fast aufstehend; nur noch mit Mühe sich beherrschend. Wenn du willst ... daß wir die alten Freunde bleiben sollen ...

ONKEL LUDWIG ganz verwundert zu ihr auf. Aber Engelchen! Liebling! Begleitende, verdeutlichende Geste nach der Tür ihm gegenüber. Ich habe doch vorhin eben gehört ...

MARIANNE die Unwiderleglichkeit dieses Beweises fühlend; mit dem Bestreben, ihn etwas davon abzubringen. Du hattest mich so erschreckt, ich ... Relativ ganz nahes, trompetenhelles Auto. war so erregt, daß ich im ersten Augenblick wirklich ... Von der Tür rechts nach der großen Mitteltür blickend; unfähig weiter zu sprechen.

ONKEL LUDWIG der ihren Blick bemerkt hat; warnend seinen großen, linken Zeigefinger hebend und ihn langsam schüttelnd. Mariannchen, Mariannchen! Du bist mir seit dieser letzten Zeit, wo wir unsre Sitzungen ja allerdings ... ich gebs zu ... wenn meist auch durch den Übereifer Georgs ... so doch vielleicht schließlich auch nicht ganz mit ohne meine Schuld, etwas forciert hatten ... fast permanent von einer ... wie soll ich da gleich sagen ... beinahe exaltierten ... Erregtheit und Sensibilität ...

MARIANNE ihn unterbrechend; aus tiefster, innerlichster  Zerquältheit. Unter der ich selbst ... Aufgescheuchte Amsel; geller Warnruf. am allerschwersten leide! Ich habe vor diesem Etwas ... das sich »Afra« nennt ... ein solches Grauen ... ich empfinde ... seit sie euch, wie ihr mir versichert, »erscheint« ... vor den Experimenten, mit denen ihr mich quält ... wo ich jeden Zusammenhang mit mir verliere und von nichts mehr weiß ... eine so unerklärliche Abneigung ...

ONKEL LUDWIG durch ihren Ausbruch, auf den er in diesem Augenblick nicht gefaßt war, ganz erschreckt; ihre Atempause benutzend; vollkommen ratlos. Ja, was soll man denn da ...

MARIANNE von ihm kaum unterbrochen; in ihrem selben Satzgefüge fortfahrend. Mich schüttelt oft ein so ... Bei diesen Worten, wie ganz am Anfang, wieder entsetzt auf die Meduse starrend. unbestimmtes Angstgefühl ... daß ich wünschte ... eure schreckliche Schlußsitzung ... die ihr alle beide so herbeisehnt ...

ONKEL LUDWIG der ihrem Blick gefolgt war; von ihrer Erregung fast angesteckt. Was ... kuckste denn da?

MARIANNE die Augen noch auf der Meduse. Ich hatte diese Nacht ... obs nun eine Halluzination oder ...

ONKEL LUDWIG ganz erschreckt-überrascht. Doch nicht etwa wieder ... Geste. die Meduse?

MARIANNE nickend; schwer. Ja! ... Die Meduse!

ONKEL LUDWIG Bewegung mit der Linken unbestimmt hinter sich nach oben. Du ... warst doch aber ...

MARIANNE ganz erschöpft; mit Mühe nur sich sammelnd. Ich weiß ganz bestimmt! Ich lag und schlief! Und doch ... war ich hier unten! Müde und fast automatische Geste nach dem Zuschauerraum. Mitten im dunklen Musiksaal! ... Die Tür vor mir, lautlos, geht auf ... und ich trete, wie von einer unwiderstehlichen Kraft ... gezogen ... in diesen Raum! Wieder betreffende mechanische Verdeutlichung, wie vorhin. Links die Bibliothek ... rechts das chinesische Zimmer. Alles, wie sonst. Die Fenster ... kohlschwarz ... die großen Glasflügel ... kaum schimmernd ... und nur aus dem Gorgokopf über ihnen ... während aus der Orgel ... hinter mir ... wie von unsichtbaren Händen gespielt, eine mir seltsam altvertraute Melodie ertönte ... ein merkwürdig flimmerndes ... fahl zitterndes Mondlicht! ... Und da sah ich deutlich: die grünen Schlangen drum ... Vor ihrem Erinnrungsbild zusammenschauernd. wanden sich wieder! ... Wie damals! ...

ONKEL LUDWIG aus einer halben Betäubung, in die ihn die Lebhaftigkeit ihrer Schilderung versetzt  hat, noch nicht wieder recht zu sich gekommen. Sonderbar! Während eine Melodie ...?

MARIANNE seine Wiederholung bestätigend. Während aus der Orgel gleichzeitig eine Melodie erklang ... die ich sicher schon oft ...

ONKEL LUDWIG noch halb zweiflerisch-ungläubig sich vergewissernd. Und du meinst ... daß dieser Traum ...

MARIANNE schmerzlich-bestimmt; aus innerster Überzeugung und Gewißheit. Es war mehr als das!

ONKEL LUDWIG durch ihren Tonfall betroffen; fast scheu um sich blickend. Du kannst einen ... beinahe ...

MARIANNE in wieder schnell wachsender, steigender Erregung. Schon heute ... ganz früh! ... Ich war einen Augenblick, fröstelnd ... auf den Balkon getreten ... der Garten unter mir wie im Nebel, das große, rote Tulpenbeet noch fast grau ... niemand wach ... Pferdegetrappel. da fühlte ich es bereits und wußte Allerschmerzlichst und schwer. dieser Tag ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt wieder ganz zu sich gekommen; ihren qualvollen »beinahe Monolog« unterbrechend; äußerste, teilnehmendste Besorgnis. Aber Kind!! Kindchen! ... Hätte ich vor zirka drei Jahren geahnt ... als ich meine großartge Entdeckung hier machte, was du für ein wunderbarstes Medium bist ... wunderbarer als alle Eusapia Palladinos und wie die Weibsbilder alle heißen mögen, zusammengenommen ... hätte ich damals vorausgesehn, daß das für dein spätres Gemütsleben mal von solchen Folgen begleitet sein würde ... ich glaube ... trotz Afra ... und so wenig ich mir nu ... diesen ... späten Seelentrost aus meinem Leben auch wieder wegdenken möchte ... ich hätte meine Weisheit ... für mich behalten!

MARIANNE die sich inzwischen, wenn auch nur einigermaßen, wieder gefaßt hat. Hättest dus doch!

ONKEL LUDWIG durch diese unverhohlne Zustimmung, die ihm bei all seiner väterlichonkelhaften Liebe zu Marianne doch absolut nicht in den Kram paßt, jetzt fast entrüstet. Waas? Das mutest du mir zu? Eine so kostbarste Gotteskraft, eine Offenbarungsmöglichkeit, wie sie unter Millionen noch nicht einem Einzigen beschert wird, für die jeder, der sie ... wenn vielleicht auch nicht grade empfangen, so doch ... gefunden ... dem Allmächtgen auf Knien danken sollte ... Dunkles Auto: nur ein einziger, langgezogner Laut. eine solche Gabe hätte ich verkümmern lassen sollen? Ich? Der ich nun schon fast drei Menschenalter an meinem »System« arbeite?

MARIANNE trotz ihrer innerlichen Zerquältheit jetzt doch über seinen primitiven Egoismus und  seine drollige, ihm völlig unbewußte Naivität, wenn auch trübe, etwas lächelnd. »Mundus explicatus! Das gelöste Welträtsel oder der durchhaune gordische Knoten!« Ich weiß, Onkelchen, ich weiß!

ONKEL LUDWIG durch diese offenbare »Unbotmäßigkeit« erbittert; sich mehr und mehr wieder in Eifer schwatzend. Nichts weißte! Das war damals bloß meine Habilitationsschrift, die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater ...

MARIANNE achselzuckend; seine Redseligkeit unterbrechend. »Hohlkopf!« Du hast mir ... mehr als einmal selbst ...

ONKEL LUDWIG das ihm beanstandete Wort seiner Gewohnheit gemäß, mit noch größerem Nachdruck wieder ergreifend; von seinem gefällten Urteil jetzt noch überzeugter. Die mir der Hohlkopf, dein seliger Herr Großvater, mein ehmaliger Hauslehrer, nachdem er sich hier ins warme Nest gesetzt und durch das angeheiratete Geld meines verstorbnen, armen Vaters zu staatlich sanktioniertem, amtlichem Rang und Nimbus gekommen war, mit seiner übrigen Zunftbruderschaft, die er natürlich dazu bestempelt hatte, abgelehnt hat!

MARIANNE die diese alte Beschwerde bereits kennt. Du willst doch damit nicht sagen ...

ONKEL LUDWIG der sie nicht ausreden läßt. Nichts will ich damit sagen! Als was ich dir schon oft gesagt, und was ich dir immer wieder sagen werde! Daß n königlich preußischer Armeelieferant, der mit seiner ersten Frau, trotzdem se keine Kinder gehabt ... oder vielmehr vielleicht grade, weil se keine gehabt ... was man so nennt, »glücklich« gewesen war, nicht die Erzdummheit hätte begehn sollen, sich mit schon halb kahl gewordnem Schädelbein, nachdem er die Nummer eins sozusagen optima forma auf dem regulär üblichen Wege unverdient los geworden war, nu auch noch ne zweite auf n Hals zu laden! Zumal, wenn diese zweite so praeter propter vierzig Jahre jünger war, als er, und ihre anmutige Erziehung nicht in irgendeinem tugendsamen Fräuleinsinstitut, sondern beim hiesigen ... Kurzes fernes Radfahrersignal. Berliner Corps de ballet genossen!

MARIANNE die seinen Wortschwall mit Geduld ertragen; gegen die mehr als eigentümliche Form seines rabiaten Schlußverdikts, sich jetzt aber doch auflehnend. Was konnte Großmutter dafür, wenn sie als arme Tochter eines bürgerlichen Offiziers ...

ONKEL LUDWIG verächtlich-wegwerfend; als ob ihm so was nicht imponieren könne. »Offiziers«!

MARIANNE ihre Verteidigung fortsetzend; in ihrem selben Satz weiter. Der sein Leben in den Befreiungskriegen gelassen ...

ONKEL LUDWIG sie wieder brüsk unterbrechend; noch ungenierter. Man heiratet nicht aus Liebe mit siebzehn einen alt gewordnen Geldsack, der außer damals drei Millionen und sieben Zahnlücken ...

MARIANNE die kaum ihren Ohren traut. Du sprichst ... von deinem leiblichen ...

ONKEL LUDWIG mit erhobner Stimme; sie znrechtstupsend. Ich spreche von der Dame, verwitwete Brodersen, emeritierte Tänzerin, die noch keine zehn Monate nach dem Hinscheiden meines Vaters ...

MARIANNE ironisch, bitter. Dem du ein dankbar Andenken ...

ONKEL LUDWIG auch dadurch wieder noch keineswegs, auch nur um einen Millimeter, aus seinem Konzept gebracht. Dem ich ein dankbares Andenken ... du kannst kakeln, was du willst ... nie verweigern werde ...

MARIANNE nickend-amüsiert. Wie das Exempel ...

ONKEL LUDWIG von der absoluten Richtigkeit seiner vorgebrachten Behauptung aufs tiefste überzeugt; fast grob; die letzte »Syllaba« schon mehr im Posaunenton. Wie das Exempel beweist!!

MARIANNE da sie weiß, daß sich gegen diesen Ton bei ihm nicht ankämpfen läßt. M! ... Sarkastisch. Also du sprichst von der »Dame« ...

ONKEL LUDWIG erst jetzt seinen ganzen und, wie  er glaubt, höchst gerechten Zorn in dies Schlußwort packend; mit von neuem und abermals erhobner Stimme. Von der Dame, die als kaum eben erst fröhlich Hinterbliebne, mit stark dreiunddreißig, deinen um mehr wie sieben Jahre als sie selbst jüngeren Großvater geehelicht hat!

MARIANNE ihn, ganz verwundert, groß anblickend. War das ... ein Verbrechen?

ONKEL LUDWIG mit Emphase ausholend; in ungeheuerlichster Naivität; argloser und unschuldiger als ein neugebornes Kind. Wenn ich nicht befürchten müßte, dir damit ... wenn auch noch nicht die Sache selbst, so doch wenigstens schon ihren eigentlichen und Hauptpunkt ... so gewissermaßen zu verraten, ich würde dir jetzt drauf antworten, das »Verbrechen« hatte bereits vorher gelegen!

MARIANNE in ihrem Sessel fast zurückgeprallt. Onkel!!

ONKEL LUDWIG triumphierend; seine gemachte »Andeutung«, wie er glaubt, zur Genüge und hinlänglich damit »dementierend«. Das heißt ... ich habe dir aber noch nichts verraten!

MARIANNE durch diese Art seines »Dementis« nichts weniger als beruhigt; ihre Augen garnicht von ihm lassend; stockend. Entweder ... ich muß dich eben ... nicht recht verstanden haben, oder ...

ONKEL LUDWIG seine bereits unter ihm wankende  Position durch einen möglichst drohenden Tonfall aufrechtzuerhalten suchend. Wieso?!

MARIANNE ihre entsetzt fragenden Augen auf ihm wie vorhin; noch forschend-eindringlicher. Du sagtest ... Verbrechen!

ONKEL LUDWIG mit einem letzten, noch gesteigerten Versuch, sich zu »salvieren«. Ich?? ... Verbrechen?!

MARIANNE die sich dadurch nicht abbringen läßt; äußerst bestimmt. Das kann ... in diesem Zusammenhang ...

ONKEL LUDWIG der sich anders nicht mehr zu helfen weiß. Dummheit! Unsinn! Quark! Fabulei! ... Mit seiner überflüssig verräterischen Schwatzhaftigkeit so unzufrieden, daß er sich am liebsten eine usw. Hör nicht zu, was dir so n alter ...

MARIANNE trotzdem sie in der Hauptsache eigentlich schon längst alles weiß. Du hattest mir doch aber ... schon vorhin ...

ONKEL LUDWIG in der, wie er mit Schmerz und Zorn fühlt, vergeblichen Absicht, alles damit wieder zuzudecken. Nichts hatt ich dir »vorhin«! Nichts!!

MARIANNE noch eindringlich-inquirierender. Du hattest mir ... von jener Nacht ... wo dein Vater ...

ONKEL LUDWIG ganz hilflos; wie verdattert; in  noch gesteigerterem Zorn auf sich selbst. Hab ich dir ...? Hatt ich dir ...? Da siehst du ... wie schon mein Hirn ...

MARIANNE erschüttert; mit mehr und mehr wachsendem Mitleid mit ihm. Daß dich diese ... schreckliche Erinnrung noch immer so ...

ONKEL LUDWIG kaum noch fähig, sie mit ihrer Anteilnahme von sich abzuwehren. Laß! ... Laß! ... Es genügt ... Abbrechend; wieder mit nochmals gesteigertem Ingrimm auf sich selbst. Hätt ich doch mein altes ... Ratternd und puffend sich in Bewegung setzendes Auto. unbedachtes Plappermaul ...

MARIANNE schwer ausatmend, mit innerlichem Entschluß, das andeutungsweise durch ihn Gehörte nach Kräften wieder zu vergessen, und so, falls ihr dies möglich sein sollte, damit fertig zu werden. Es ist auch wohl schließlich ... vielleicht besser ...

ONKEL LUDWIG ihren begonnenen Satzanfang mit Eifer aufgreifend und ihren Ideen- und Gedankengang, von sich aus, eine Strecke weiter fortführend. Daß ein so junges ... unschuldges ... von all dem wüsten, unflätigen Schlamm und Schmutz ... dieser satanischsten ... ruchlosesten ... gottverlassensten Welten noch so rührend unbeflecktes, reines und lautres Geschöpf wie du ...

MARIANNE schmerzlich; als wolle sie sich damit, heimlich, irgendwie selbst anklagen. »Wie ...«

ONKEL LUDWIG auf diesen Ton gar nicht achtend; in letzter, verzweifelter Steigrung, mit der flachen Rechten, während seine Augen sich einen Moment lang schließen, wie erschöpft vor die Stirn fassend. Wenn das aber einem so hier ... ohne daß man etwas dagegen kann ... im Wachen und im Traum, im Traum und im Wachen ... nun schon seit fast einem dreiviertel Jahrhundert ... immer wieder dieselben ... unreinen, widrigen, sumpfschillrigsten Blüten und Blasen auftreibt ... daß man sich oft ... und manchmal ... selbst wie son ... Verbrecher ... Abbrechend; fast wie irr vor sich hin. Die eigne Mutter! ... Die eigne ...

MARIANNE ihre durch seinen Anblick in diesem Moment grausige, innerliche Stimmung mit aller Gewalt von sich abschüttelnd. Du sprichst ... in Rätseln!

ONKEL LUDWIG allmählich wieder zu sich kommend; dann sich »ermannend« und schließlich ganz wieder der Alte. Hat mir dein hochmütiger ... stolzer ... auf seine gepriesne, siegende Mannsschönheit mit Recht eingebildeter Herr Großvater ... als er mir als wohlbestallter Dekan seiner sich »philosophisch« schimpfenden Fakultät meine bahnbrechende Ephebenarbeit mit dem bekannten impertinenten, einem das Blut in die Schläfen treibenden Augurenlächeln wieder ein- und zurückhändigte, auch orakelt! Damit glücklich wieder auf sein, in normalen Anständen bevorzugtestes Thema gekommen. Was dem Heftige, zornige Vogellaute. Zopfgelichter nicht in seinen langweiligen, ledernen, hergebrachten Kram und in sein Handwerk paßt, Entsprechende, energische Geste. wird abgemurkst! ... So wars schon immer, und so isses noch heut! ... Wenn die Entwicklung der Menschheit, ganz gleich auf welchem Gebiet, mal wieder um einen tüchtigen Ruck vorwärts gedreht wird, so steht an der Kurbel nicht einer aus jener anmaßlichen, sich überhebenden, hoffärtigen Koterie und Klicke, sondern einer von uns Autseidern! Das hat schon damals dem ollen Sokrates den Giftbecher gekostet und mir ... fast zwei Dutzend Säkula später, respektive postea ... die Venia legendi!

MARIANNE die kaum auf ihn hingehört hat; mit ihren Gedanken halb noch immer bei der ihr von ihm gemachten »Andeutung«. Gewiß! Gewiß! Allerdings! Nur ... ich meine wirklich ...

ONKEL LUDWIG aufbegehrend-mißtrauisch. Hm?!

MARIANNE einlenkend; in ihrem Satz weiter. Du hättest zum regelrechten Universitätsprofessor ...

ONKEL LUDWIG mit gespitzten Ohren; scharf. Hä?

MARIANNE wie vorhin; nur noch behutsamer. Schon rein deiner ganzen ... autonomen Eigenwilligkeit und Eigenart nach ...

ONKEL LUDWIG beruhigt. Freilich! Freilich!

MARIANNE durch seine Unterbrechung erst jetzt imstande, ihren Satz zu seiner Zufriedenheit zu beenden. Doch wohl schließlich ... auch kaum gepaßt!

ONKEL LUDWIG der sich inzwischen machtvoll in sein »Sacktuch« geschneuzt hat. Wie n Seeigel zum Nastuch! ... Das Institut wieder wegpackend. Hast recht! ... Aber gesteckt soll das der Bagage noch mal werden! »Mein System!« Ich bin noch nicht achtzig. Also erst nicht ganz junger Mann! Mit hundertundzwanzig hab ichs fertig! Doktor Ludwig Adrian Brodersen! Der Name wird noch mal mit goldnen Lettern in die Weltgeschichte geschrieben werden! Wenn andre Leute längst ... Zusammenzuckend; die rechte Seite macht ihm im Moment offenbar heftigst zu schaffen. Verdammt!

MARIANNE besorgt-teilnehmend. Du hast wieder Schmerzen?

ONKEL LUDWIG die Hand noch immer an der Hüfte. Hol sie der Kuckuck! Seit ich mich an diesem ... nichtswürdigen, niederträchtigen Möbel von Stock rumkräpeln muß ...

MARIANNE durch die »Mannhaftigkeit«, mit der er  die Zähne zusammenbeißt, sich nicht täuschen lassend; noch gesteigert. Du klagst jetzt öfter!

ONKEL LUDWIG sich wieder zusammenreißend. Eh! Wird schon vorübergehn! Alter, ausgetrockneter Kohlstrunk, wie ich ...

MARIANNE noch immer lebhaft besorgt um ihn; vorsichtig. Ich weiß, wie du über Ärzte ...

ONKEL LUDWIG verachtungsvoll-aufgebracht; zugleich fast wie von einer Stecknadel gepiekst. Ärzte!

MARIANNE nicht nachlassend. Trotzdem ...

ONKEL LUDWIG noch ganz ergrimmt; sie keinen Laut weitersprechen lassend. Schickt doch lieber gleich nach dem Totengräber!

MARIANNE ihren Satz wieder aufnehmend. Trotzdem würde ich an deiner Stelle ...

ONKEL LUDWIG sie unterbrechend; knurrend. Nu empfiehl ... und rekommandier mir ...

MARIANNE seinen Gedankengang bereits erratend; begütigend. Es brauchte ja nicht grade ausgerechnet ...

ONKEL LUDWIG ihr wieder ins Wort fallend; wütend nickend. Dein Vater zu sein! ... Höhnisch- mißtrauisch; aber auch hier, wie überhaupt bei allen Stellen, wo er, direkt oder indirekt, scheinbar »unsympathisch« wirkt, mit einem konstant festgehaltnen Unterton, der alles entwaffnet. Meinst, n andrer Arzt, Schlächtermeister und Krebsspezialist tuts auch!

MARIANNE die sich damit in ihrem innersten Befürchten von ihm durchschaut sieht; mit dem Versuch, ihre begangne Unvorsichtigkeit wieder wett zu machen. Wer ... spricht von ...

ONKEL LUDWIG ihr alles weitre kurz abschneidend; auch dieses Thema damit »abtuend«. Na also, was redste? ... Nachknurrend; trüb-melancholisch. Wenn man das so bedenkt ... Automobilgetute und Vogelgezwitscher. daß man mal nich mehr sein soll ... Fern ein Kuckuck. und das geht hier alles so weiter ...

MARIANNE von seiner plötzlichen Stimmung angesteckt; meditativ-schwermütig vor sich hin; »a« kurz. Ja ...

ONKEL LUDWIG in seinem Trübsinn weiter. Die Vögel singen ... die Sonne scheint ... das schöne, grüne Blätterspiel ...

MARIANNE sich aufraffend. Du solltest dir solche Gedanken ...

ONKEL LUDWIG wie vorhin; nur noch gesteigert. Und sich denn da unten sagen müssen ... »Kuckuck ... Kuckuck«.

MARIANNE ebenso gesteigert. Du darfst wirklich ...

ONKEL LUDWIG auf sie gar nicht achtend. Gelebt. was man so »leben« nennen kann ... hat man doch eigentlich ... Abbrechend.

MARIANNE in ihren Kleinmut dadurch wieder zurückgefallen; freudlose Geste. Wer ...

ONKEL LUDWIG ihren Satz aufnehmend und zu Ende führend. Wer ... »lebt« überhaupt?

MARIANNE stockend; trostlos. Jedenfalls ... wir ...

ONKEL LUDWIG sich mit Gewalt zusammenruckend; wieder »Herr seiner selbst«; von neuem veränderter Tonfall. Bloß einen hab ich gekannt! Der hat gelebt! Und tuts wahrscheinlich auch noch! ... Von dem Racker hab ich dir schon oft erzählt! Der hat sich um den letzten, grauen, kreuzvermaledeiten Rätselurgrund aller Dinge nie bekümmert! In Rom und Paris, in London und Neuyork, in Konstantinopel und Kalkutta: überall traf ich den Halunken! Totus mundus in femina! Der Welt einzger Sinn ist das Weib!

MARIANNE die sich in der Zwischenzeit wieder gefaßt hat; nur um jetzt etwas zu sagen; leis-verächtlich vor sich hin. Auch ... eine Philosophie!

ONKEL LUDWIG der auf ihre Bemerkung nur mit halbem Ohr geachtet hat; sich für den von ihm in seiner Rückerinnrung Bewunderten mit immer größerer Verve und Wärme ins Zeug legend. Den hatte unser alter, lieber, kluger Gott Vater in seinen großen, bunten Wundergarten nicht umsonst reingesetzt! Heut n junges, kaum fünfzehnjähriges, kreolisches Milliardärsbaby, morgen dafür schon ne um so ausgewachsnere, klassisch gebaute, englische Lady, wo dann der so lange kaltgestellte Herr Gemahl über beide pflichtschuldigst den mit taubenei-großen Brillanten besetzten Sonnenschirm balanzieren durfte, übermorgen, als Intermezzo, eine, die vor womöglich noch erst acht Tagen, da so hinter Temesvar oder Bukarest rum, auf wildem, ungesatteltem Hengst mit nackten Beinen über die Pußta gejagt war ... und so die ganze Skala! Und verrückt waren all die verdrehten Frauenzimmer, Weibsbilder und Luders in den verdammten Sakramenter, verrückt ...

MARIANNE die schon kaum mehr auf ihn hinhört; fast nur noch wie mechanisch. Dein »Homme de fer«, wie du ihn immer nennst. Dein Neo-Don- Juan!

ONKEL LUDWIG bereit, in dieser schönsten seiner Erinnrungen ganz und gar aufzugehn. Der einzge Mensch, den ich in meinem Leben beneidet habe! Weiß der Deubel, wie er das immer gemacht hat! Unsereins ... Auto; drei kurze ungehaltne »Buh« laute.

MARIANNE ihn plötzlich unterbrechend. Einen Augenblick! Verzeih! ... Ihre Züge haben auf einmal einen aufmerksam, gespannten Ausdruck angenommen. Wie sah dieser moderne, internationale Abenteurer, Liebesritter und Frauenheld, der einen so gewaltigen, fabelhaften, fast mythischen Eindruck auf dich gemacht hat, aus?

ONKEL LUDWIG verblüfft. Aus? Wie soll er ausgesehn haben? Mensch, wie jeder andre! Etwas über mittelgroß, schlank, aber dabei doch kraftvoll ...

MARIANNE fortfahrend. Blühende, leicht gebräunte Gesichtsfarbe ...

ONKEL LUDWIG im selben Satz weiter. Blond ...

MARIANNE im gleichen Tonfall. Blond ...

ONKEL LUDWIG mit der Absicht, seinen Satz jetzt zu schließen. Und der heute allgemein übliche ...

MARIANNE seinen Satz beendend und sofort weiter. Kurze, modisch amerikanisch geschnittne Schnurrbart! Unter der linken Schläfe ein kleiner, kaum merkbarer Schmiß ...

ONKEL LUDWIG ganz fragend-verwundert; als bezweifle er, recht gehört zu haben. Kaum ... merkbarer Schmiß? ...

MARIANNE ihre Beschreibung jetzt schließend. Jetziges Alter ungefähr Anfang dreißig und alles in allem, sagen wir Typ eines eleganten, ehemaligen Offiziers aus irgendeinem bevorzugten Reiterregiment! Bonner Husaren, Potsdamer Ulanen Auto; höchst fröhlicher Natur. oder Berliner Dragoner!

ONKEL LUDWIG vor Erstaunen ganz paff. Hast du am Ende ... gar heute seinen Doppelgänger gesehn? Genau so!

MARIANNE die innre Erregung, in die sie wieder geraten, vergeblich zu kaschieren versuchend. Ich kam in unserm offnen Zweispänner ... vor noch nicht einer halben Stunde ... von Unter den Linden her ... als ein Automobil ... das uns aufdringlich gefolgt war ... dicht am Rolandsbrunnen unmittelbar hinter uns ... während wir den Platz noch grade hatten passieren können ... mit einer aus der Bellevuestraße heranrasenden Dampfspritze zusammenstieß! ... Der Chauffeur ... wie ich mich umsehe ... in weitem Bogen bewußtlos auf den Asphalt geschleudert ... dem einen Pferd der Feuerwehr ... das schlotternd dastand ... armbreit die ganze Brust aufgerissen ... das Blut, kaskadenartig ... stürzte und plätscherte nur so ... die Menschen schreiend ... und die Schutzleute um den Fahrgast herum ... den sie als Zeugen ... Zwei sich kreuzende Autos; ziemlich unwillig. wie es schien, festbehielten!

ONKEL LUDWIG der ihrer lebhaften Schilderung mit größtem Interesse und immer stärkerer innerer Anteilnahme gefolgt war. Und dieser ... Fahrgast ... du glaubst ...

MARIANNE sich von neuem steigernd. Da der Kutscher alle Augenblicke ... wie um die Aufmerksamkeit auf seinen Wagen zu lenken, die Signalhupe gedrückt hatte ... was er in dieser auffälligen Manier ... doch sicher nicht ... aus eignem Antriebe getan ... und was mich in der Tat veranlaßt hatte ... mich im ersten Anfang einmal umzudrehn ... worauf der Fremde ... als ob er mich kenne, grüßte ... hatte ich das bestimmte Gefühl ... Wieder fast mit dem ursprünglichen Ausdruck ihres jähen Erschrecktseins nach der großen, weit offnen Mitteltür blickend. und habe es auch jetzt noch ...

ONKEL LUDWIG aus der halben Erstarrung, in der er ihr zugehört, dadurch wieder zu sich kommend. Herzchen! Zuckerle! Du redest dir doch nicht etwa ein ... du nimmst doch nicht gar an ... daß du von einem dir gänzlich Unbekannten ... Fernes Auto. was man so nennt ... verfolgt wurdest?

MARIANNE mit aller Bestimmtheit. Ja!

ONKEL LUDWIG der in seiner alten Ehrbarkeit von Anno dazumal an diese ihm denn doch etwas zu seltsam vorkommende Deutung ihres »Abenteuers« noch immer nicht recht glauben will. Auf offner Straße? Per Automobil? Während du selbst ...

MARIANNE ihrer Sache absolut sicher; seine umständliche, vorsichtige Vergewisserung ihm bestätigend. Und zwar von einem Mann ... der wie der eben Beschriebne aussah!

ONKEL LUDWIG von der Tatsächlichkeit ihrer Annahme jetzt endlich überzeugt; über die offenbare Verworfenheit unsrer heutigen reichshauptstädtischen Zustände aufs höchste sittlich entrüstet und empört. Dieses neumodische, sittenlose Berlin heut ...?!

MARIANNE noch immer bei ihrer Rückerinnerung an den ihr gänzlich Unbekannten; mit wieder neu einsetzender Erregung. Schon in der ganzen Art seines Grußes ... trotz einer gewissen betonten Korrektheit ... hatte eine so chevalereske Vertraulichkeit gelegen ...

ONKEL LUDWIG dem dadurch die ganze Geschichte sich jetzt plötzlich sehr simpel aufzuhellen scheint. Na, denn ist das doch sehr einfach! Dann kann der Betreffende dich doch bloß ...

MARIANNE in seinen unterbrochenen Satz fast wider Willen einfallend und ihn überzeugt zu Ende führend. Für Mariette gehalten haben!

ONKEL LUDWIG dem das Exempel damit restlos gelöst vorkommt. Nu ja also!

MARIANNE letzte Bestimmtheit; immer erregter. Davon bin ich überzeugt! Das kann überhaupt gar nicht anders sein!

ONKEL LUDWIG verwundert-vorwurfsvoll. Und dann regst du dich so darüber auf?

MARIANNE fast wie zu sich selbst; auf Onkel Ludwig  kaum noch achtend; irritiert-fragender Tonfall. Ein Bekannter des Hauses ... ein Freund meines Vaters oder Georgs ... ein uns irgendwie Nahestehender ... und der es noch nicht wissen sollte ... daß Mariette schon seit drei Jahren tot ist ...?

ONKEL LUDWIG der das alles noch sehr leicht nimmt; sie unterbrechend; »a« kurz. Gott, na!

MARIANNE gequält-grübelnd vor sich hin; die gestreckten Finger der Rechten vor ihrer Stirn; fast als ob diese sie schmerze. Hinter diesem Rätsel ...

ONKEL LUDWIG dem das nun doch »zu viel« wird; vorwurfsvoll-aufgebracht. Rätsel! ... Rätsel!! ... Bei dir und Georg scheint nun wirklich bald alles, was auch im entferntesten mal mit Mariette zusammengehangen hat ... Sich unmutig unterbrechend und sofort von neuem beginnend. der Mann hat sie eben ... zu ihren Lebzeiten gekannt ... war wahrscheinlich hocherfreut ... als er sie heut in dir wiederzusehn glaubte ... und so ist es vielleicht bloß zu bedauern ... Erster, leiser Wolkenschatten. daß da die unglückliche Katastrophe ...

MARIANNE mit starren Augen, plötzlich, wie somnambul vor sich hin. Ich empfinde und weiß ... ich verspürs mit einer instinktiven, elementaren, mir ganz zweifelsfreien, innersten Sicherheit und Gewißheit ... daß dieser Mensch ... der mit unserm Leben durch irgend etwas Geheimnisvolles schon verknüpft sein muß ... dessen Gedanken jetzt in diesem Augenblick um uns sind ... und der jeden Moment ...

ONKEL LUDWIG der ihrem Blick, den sie bei den letzten Worten wieder nach der offnen Tür gerichtet hatte, unwillkürlich gefolgt war; ihre Atempause benutzend; von ihrer Erregtheit bereits angesteckt. Aber Goldkindchen! Herzblatt!

MARIANNE durch seine Zwischenworte wie aus einem Traum erwacht; veränderter Tonfall; erschöpft schließend. Daß von diesem Menschen ... für uns alle ein vielleicht schon ganz nahes ... letztes ... größtes ... und schwerstes Unheil heranzieht!

ONKEL LUDWIG einer gewissen, innerlichen, dunklen Angst sich jetzt ebenfalls nicht länger erwehren könnend. Du kannst einen ... Wieder hellster Sonnenschein. wahrhaftig wirklich ...

MARIANNE mit dem Versuch sich wieder zusammenzuraffen. Ich hätte bei meiner Rückkehr ... eigentlich unbedingt auf einige Minuten ... auch noch zum Vater und der Großmutter mit rangehn müssen ... war aber so erschöpft, daß ich kaum wußte ... wie ich mich durch den Garten fand! Und als du mich dann vorhin ... ohne daß ich dein Kommen gehört ... plötzlich ... so unvermutet ansprachst ... hatte ich für den Bruchteil einer Sekunde fast die schreckhafte Illusion ...

ONKEL LUDWIG der ihrem Blick, der wieder unruhig nach der großen Mitteltür geflackert war, wieder unwillkürlich gefolgt war; als könne er die Möglichkeit, die Marianne damit andeutet, unter keinen Umständen annehmen oder gar an sie glauben. Durch ... diese ... Tür? ... Du hast geglaubt ... du hältst es für ... möglich ... daß dieser freche ... Patron ...

MARIANNE vollkommen erschöpft und wie nach einem Paroxysmus. Durch diese ... oder durch irgendeine andre!

ONKEL LUDWIG dagegen sich »denn doch« auflehnend; mit aller autoritativen Empörung. Na, das ... In diesem Augenblick ertönt von links her sehr laut und unterbricht ihn energisch eine elektrische Klingel.

MARIANNE die zuerst zusammengeschreckt war und dann sofort aufgehorcht hat; halb nach der Tür links zurück. Georg!

ONKEL LUDWIG nachdem auch er sich inzwischen wieder beruhigt hat; nachdenklich das greise Haupt schüttelnd. Seltsam! ... Nachgrübelnd. Es könnte allerdings sein ... es wäre ja schließlich ... vielleicht nicht ganz ausgeschlossen ... daß jener merkwürdge Mensch ...

MARIANNE mit ihrer Aufmerksamkeit, seit das Klingelzeichen ertönt ist, immer wieder nach der  Tür links; ihn ungeduldig unterbrechend; mit dabei fast schmerzlich zusammengezogenen Brauen. Unsinn! ... Dein abgeschmackter Seladon und Mariette!

ONKEL LUDWIG der sich so leichten Kaufs von seinem »Merkwürdgen« nicht abbringen läßt. Nein, nein, du!

MARIANNE noch gesteigerter als vorhin. Reden wir nicht mehr darüber!

ONKEL LUDWIG hartnäckig. Ich versichre dir!

MARIANNE wie etwas Unsichtbares von sich abschüttelnd. Es war eine ganz willkürliche, lächerliche Kombination!

ONKEL LUDWIG von seinem »Merkwürdgen« noch immer nicht lassend. Die Beschreibung, die du mir gemacht, paßt auf ihn so akkurat ...

MARIANNE jedes weitere Wiederdaraufzurückkommen ihm damit abschneidend. Du tust mir einen Gefallen!

ONKEL LUDWIG dem jetzt nicht recht etwas andres »übrig« bleibt; so gern er bei ihrer »ganz willkürlichen und lächerlichen Kombination« auch noch »des längeren verweilt« hätte; »a« lang, »o« kurz; beide betont. Ja, no! ... Zögernd; Spatzen und Buchfinken. Wenn du meinst ...?! Definitiv damit abrüstend; sein letztes Resümee ziehend. Wär ja auch ... noch doller! ... Sich in seinen  Sessel zurücklehnend; epikuräisch-asketisch. Integer vitae scelerisque purus! Reinen Lebens und frei von Schuld! Der einzge Kantus ... Pferdegetrappel und Auto.