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Willkommen zurück in der Bergwelt Okzitaniens! Die nächste Generation hält bereits Einzug. Gleichzeitig aber scheint das Bestehende mehr denn je gefährdet. Der geheime Ausschuss des Imperiums beschließt, Luciano zu liquidieren. Ist seine Zeit abgelaufen? Wird er bald nur noch Geschichte sein? Er muss sich gegen einen Mordanschlag zur Wehr setzen. Gelingt ihm die Neuorganisation seines Imperiums oder wird es zerschlagen? Und schafft Luciano es endlich, Viktor, seinen toten Geliebten aus Jugendzeiten, loszulassen?
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Seitenzahl: 1125
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99130-402-9
ISBN e-book: 978-3-99130-403-6
Lektorat: Dr. Annette Debold
Umschlagfoto: Vesna Jakovljevic | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
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Ihre Wege führten nach Okzitanien
Band 2 Don Luciano in Gefahr
28. José Gonzalez schickte Richard zu Luciano Varini, um ihm die Todesnachricht von vier ermordeten Schmugglern zu überbringen. José Gonzalez bittet Luciano um einen dringenden Treff mit den Anführern der Schmugglergruppen
„José, heute haben wir den 17. August 1802. Es ist genau ein Jahr her, dass du im Val Guil verunglückt bist.“ José Gonzalez fauchte seine Frau an: „Als ob ich das nicht wüsste. Du musst mich nicht daran erinnern.“ „Wieso sollte ich nicht? Du solltest auch nach einem Jahr dankbar sein, dass dir Jean-Michel das Leben rettete.“ „Ja, ja, das bin ich auch. Aber nun schenk mir endlich Kaffee ein. Ich muss zur Arbeit. Richard kommt gleich zum Frühstück. Er ging mit dem Wolf hinters Haus.“
Nach dem Frühstück begaben sich José Gonzalez und Richard zum Warenlagerhaus. Ihre Arbeit war, als Erstes die Schmuggelware, welche die Schmuggler nachts im Warenlagerhaus deponierten, durch die Bodenöffnung in die darunter befindliche Felskaverne abzuseilen. Es ging auf neun Uhr, als sie die Bodenöffnung zudeckten und legale Ware darauf stapelten, als von außen ans Tor geschlagen wurde. „Welcher Idiot schlägt an das Tor?“ Das Gepolter wurde lauter. „Richard, kurble die Schreibstube zurück.“ Richard eilte zur Schreibstube, wo er zu drehen anfing. José Gonzalez sprang auf die fahrende Schreibstube auf und entnahm einer Schublade einen geladenen Revolver. Seit damals, wo das Männlein mit zwei Kumpanen in die Halle eindrang, war er vorsichtig. Er lief zum Tor. Nun ertönte die verärgerte Stimme von Hamo Roussel, dem Oberanführer der Schmuggleranführer. José Gonzalez legte den Revolver auf einen Stapel Ware und öffnete die Einlegertür. Hamo Roussel stürzte in die Halle. José Gonzalez verschloss die Tür und fauchte Hamo an: „Was zum Teufel hämmerst du ans Tor, statt dich zu melden?“ „José, das Zwischenlager beim alten Säumerhaus wurde letzte Nacht ausgeräumt. Die vier Männer, die es bewachten, wurden erschossen. Du musst sofort Don Varini verständigen.“ José Gonzalez sah Hamo Roussel ungläubig an. „Das kann doch nicht sein? Wer sollte denn die Tür dazu gefunden haben? Das ist unmöglich.“ Hamo Roussel setzte sich auf eine Holzkiste. „Leider ist es so, José.“ „Komm, wir gehen in die Schreibstube.“ Als sie die Bodenöffnung erreichten, beugte sich José Gonzalez über die Öffnung und schrie in die Tiefe: „Richard, komm hoch.“ Sie liefen an das Ende der Halle. Als sie sich der Schreibstube näherten, kroch Richard unter der Schreibstube vor, da José sie nur wenig von der Treppe gekurbelt hatte. José Gonzalez setzte sich wortlos an seinen Schreibtisch und kritzelte einige Sätze hin. Er faltete das Papier und steckte es in einen Briefumschlag, den er mit Kleister verklebte. Er reichte den Briefumschlag Richard. „Du musst den Brief sofort Don Luciano überbringen.“
Als Richard die Lagerhalle verlassen hatte, forderte José Gonzalez Hamo Roussel auf, ihm den Vorfall genau zu schildern. In Richards Anwesenheit durften sie nicht vom geheimem Lager sprechen. Hamo Roussels Stimme bebte. „Wir kamen letzte Nacht um zwei Uhr zum geheimen Lager, um die Ware hierherzubringen. Als ich mit dem Eisen den Riegel herunterdrücken wollte, war der schon unten. Erst da sah ich, dass die Tür nicht vollständig geschlossen war. Nachdem ich die Tür geöffnet und ins Lager zündete, überkam mich ein gewaltiger Schreck. Die Regale waren leer. Der ganze Boden war mit aufgerissenen Pappschachteln und Ware übersät. Sie leerten die Schachteln, damit sie mehr Ware in ihre Rucksäcke brachten. Sie nahmen nur die kleinsten, wertvollsten Sachen mit. Als wir das Lager verließen, begab sich Adrian abseits, um sich zu erleichtern. Sein Aufschrei ließ uns erstarren. Ich lief zu ihm. Adrian starrte auf vier tote Männer. Ich erkannte gleich, dass die Männer Spezialisten vom Imperium waren. Du kennst sie alle. Es sind Pietro, der Spanier, Alexander, Michel und Clément, der Lange. Sie wurden erschossen.“ José Gonzalez senkte den Kopf. „Das ist tragisch. Von den Spezialisten waren sie die angenehmsten. Weißt du, wieso sie dorther beordert wurden?“ Hamo war überrascht. „Hast du die Geschichte mit Mario Prato nicht gehört?“ „Was ist mit Mario Prato?“ Hamo knurrte: „Das kann ja nicht sein. Du solltest es als Erster erfahren. Mario Prato wurde aus einer Schmugglergruppe gejagt, da er sich nicht an die Regeln hielt. Aus Wut verließ er Château du Queyras und zog in seine Heimat Saluzzo. Dort suchte er nach dem bekannten Bandenführer Antonio Oliver. Er fand ihn und bat Antonio Oliver um Aufnahme in seine Bande. Das Imperium erfuhr davon. Da Mario Prato die geheimen Warenlager kennt, mussten sie damit rechnen, dass er den Standort an Antonio Oliver verrät. Das Imperium schickte Spezialisten ins Piemont, um Mario Prato zu liquidieren. Sie fanden ihn nicht. Es wurde verfügt, alle Lager so lange zu bewachen, bis Mario Prato tot sei oder Antonio Oliver gefasst werde. Und nun kommt noch das Beste, José. Wir gingen zum alten Säumerhaus. In der Hoffnung, dass Antonio Oliver mit seinen Männern dort die Nacht verbringen würde. Wir waren zu viert und bewaffnet. Statt dass wir die Bastarde antrafen, lag vor dem Haus ein Mann auf dem Säumerweg. Wie es aussah, wurde er erstochen. Und wen, glaubst du, fanden wir?“ José Gonzalez gurrte. „Rede schon. Ich bin nicht in der Stimmung zu raten.“ „Mario Prato hing hinter dem Säumerhaus an einem Baum. Antonio Oliver ließ ihn zum Dank, dass er ihn zum geheimen Warenlager führte, aufhängen. Antonio Oliver ist ein brutales Stück Scheiße. Mario Prato war noch fast ein Kind. Ich hoffe, er wird von den Spezialisten erwischt. Da bekommt er es schmerzhaft zu spüren, wenn sie ihm die Hände abhacken.“
José Gonzalez seufzte. „Das ist ja die reinste Gruselgeschichte, Hamo.“ Hamo Roussel hob die Hand. „Ich bin noch nicht fertig, José.“ „Was zum Teufel kommt denn noch, Hamo?“ „Die Bande wurde von einem Liebespaar gesehen, das sich in jener Nacht im alten Säumerhaus befand. Es sind ein Roman Bertolucci und eine Claudia Castelli aus dem Piemont.“ José Gonzalez unterbrach ihn. „Doch nicht etwa Baron Bertoluccis Sohn?“ Hamo Roussel nickte. „Genau der. Die beiden meldeten sich heute Vormittag bei Gendarm Fournier. Stell dir vor. Die beiden befanden sich im Dachgeschoss und schauten von oben zu, wie sie Mario aufhängten. Zudem hätten sie die Schüsse gehört. Ihnen gelang die Flucht. Roman Bertolucci musste aber einem von ihnen das Messer in die Brust werfen, da dieser mit dem Revolver auf ihn zielte.“ José Gonzalez fauchte. „Nun können wir unser bestes Zwischenlager aufgeben. Die beiden haben den Gendarmen bestimmt vom Ausrauben des Zwischenlagers berichtet.“ Hamo Roussel schüttelte den Kopf. „Nein, haben sie nicht, José. Ich habe die Information von David Allier. Er ist ein Freund von Fournier. Fournier erwähnte das geheime Lager nicht. Somit hat das Liebespaar nichts vom Ausrauben des Lagers mitbekommen. Sonst hätten sie Gendarm Fournier davon berichtet. Das Liebespaar befindet sich auf dem Weg nach Marseille. Sie sagten, dass sie auf der Flucht vor Baron Bertolucci seien. Er dulde die Beziehung nicht und habe seinem Sohn gedroht, seine Geliebte töten zu lassen.“ José Gonzalez knurrte: „Was ist mit den vier Toten? Die haben wir nach Château du Queyras hinabgebracht. Sie liegen im kleinen Schuppen neben der Stallung. Heute Nacht bringen wir sie da unten auf den Totenfels. Dich benötigen wir, damit du uns zeigst, wo wir sie hinlegen sollen. Du bist selbst schuld. Früher konnten wir sie in das Höllenloch werfen. Du hast es geändert.“ José Gonzalez fauchte Hamo an: „Es sind Menschen und kein Müll. Bevor die Männer dorthin kommen, wird abgeklärt, ob sie Angehörige haben.“ „Das dauert zu lange, José. Die Leichen zersetzen sich bei der Wärme schnell. Die Leute würden den Gestank wahrnehmen. Keiner der Männer hat Angehörige. Jedenfalls hat keiner je davon gesprochen. Wir können sie nicht legal beisetzen. Die Gendarmen würden zu viele Fragen stellen.“ José Gonzalez schnaubte: „Das ist eine verdammte Sauerei. Die Männer hätten ein anständiges Begräbnis verdient.“
Richard holte sein Pferd von der Weide und sattelte es. Luciano Varini hatte ihm das Pferd zum Dank für seine Hilfeleistung beim Unglück vom Val Guil gekauft. Auf halber Strecke durch das Val Guil kam ihm das englische Coupé entgegen. Er gab dem Wagenführer das Zeichen zum Anhalten. Auf Don Varinis Seite brachte er sein Pferd zum Stehen. Don Varini nahm den Brief entgegen und bedankte sich. Richard entging es nicht, dass Don Varini ihn mit lüsternen Augen anschaute. Angewidert wendete er sein Pferd und ritt Richtung Château du Queyras davon.
29. Jean-Michel Aron und das Gasthaus Zu den Drei Routen
Am 19. August, im Jahr 1801, es war ein Mittwoch, begab sich Jean-Michel Aron mit Luciano Varini im englischen Coupé auf den Weg nach Sisteron zu Architekt Gavin Roux. Luciano Varini bot Jean-Michel Unterstützung beim Renovieren vom Gasthaus Zu den Drei Routen an. Was Ferdinand Caille nicht gefiel. Sein Freund Jean würde sich dadurch von Varini abhängig machen. Ferdinand Caille warf ab und zu einen Blick durch das Frontfenster in die Fahrgastkabine. Er hätte es besser gelassen. Denn der selbstzufriedene Gesichtsausdruck von Varini ärgerte ihn. Er konnte nicht verstehen, dass Jean-Michel die Hilfe des Lüstlings und Verbrechers Don Luciano Varini annahm. Ihm war am ersten Tag aufgefallen, dass Varini Jean mit lüsternen Blicken anschaute. Er zweifelte nicht daran, dass Varini sich nur deshalb anbot, Jean zu Architekt Roux zu begleiten, damit er neben ihm im Wagen sitzen konnte. Wie konnte Jean nur so naiv sein und dies nicht realisieren? Oder wollte er es nicht realisieren?
Der Weg nach Sisteron war nicht weit. Wären sie in der Früh abgefahren, wären sie am Abend angekommen. Luciano Varini schlug Jean-Michel vor, auf dem Weg zu nächtigen. So würden sie Architekt Roux mittags erreichen und hätten dann genügend Zeit, das Projekt zu besprechen. Ferdinand Caille sah für Varinis Vorschlag noch einen anderen Grund. Varini hoffte Jean im Gasthaus näherzukommen. So fuhren sie erst nach dem Mittagessen in Guillestre ab und bezogen auf halbem Weg in einem alten Gasthaus drei Gästekammern. Die Schankstube war düster und hatte bestimmt seit Bestehen keinen neuen Anstrich erhalten. Nach dem Abendessen machten sie einen Spaziergang, wo Varini beim Laufen Jean-Michel so nahe wie möglich war. Er legte ab und zu den Arm auf Jean-Michels Schulter. Als sie in die Schankstube zurückkamen, wurden sie von einem hübschen blonden Jungen begrüßt. Er stellte sich mit Jérôme vor. „Ich bin der Sohn vom Haus.“ Jean-Michel Aron stellte ihn und Varini vor. „Jérôme, setz dich zu uns, und berichte uns vom Leben im Abseits der Welt.“
Jérôme berichtete aus der Region. Jean-Michel interessierte es, wie die Menschen im bergigen Gebiet lebten. Ferdinand Caille beobachtete Luciano Varini, dem die Eifersucht anzusehen war. Einerseits genoss er es, Varini leiden zu sehen. Anderseits war ihm bewusst, dass Varinis Verhalten zu Problemen führen könnte. Jean-Michel mochte den Jungen gut. Sie lachten viel und verbrachten den Abend mit Brettspielen und Spielkarten. Es war, als würden sie sich schon ein Leben lang kennen. Ferdinand Caille beobachtete Varini genau. Dieser hielt sich zurück. Die Blicke, die er Jérôme zuwarf, waren alles andere als freundlich. Als Jean-Michel Jérôme mitteilte, dass sie auf dem Rückweg die Nacht wieder bei ihnen verbringen würden, war Varini die Verärgerung anzusehen. Jean-Michel nahm jedoch Varinis Verärgerung nicht wahr.
Am Donnerstagmittag, es war der 20. August, erreichten sie Architekt Roux. Gavin Roux begrüßte sie überschwänglich. „Messiers, bevor wir uns an die Arbeit machen, lade ich euch zum Mittagessen ins Gasthaus Zum Turm ein. Gavin Roux führte sie durch eine schmale Gasse zum Gasthaus. Das Essen war hervorragend. Sie bedankten sich. Architekt Roux geleitete sie in seine Arbeitsräume. In einem großen Arbeitsraum waren drei Männer mit dem Anfertigen von Bauplänen beschäftigt. Monsieur Roux stellte ihnen die Männer vor. Danach führte sie Roux in einen Besprechungsraum, dessen Wände mit Bauplänen überdeckt waren. Jean-Michel erkannte Luciano Varinis Gasthaus. Varini ergriff das Wort. „Sénher Roux, Monsieur Aron benötigt Ihre Hilfe.“ Luciano Varini machte Jean-Michel und Gavin Roux im Speiseraum vom Gasthaus Zum Krug bekannt. „Monsieur Aron hat nun das Gasthaus Zu den Drei Routen in Château du Queyras erworben. Er hat vor, das Gasthaus vollständig zu renovieren. Dazu benötigt er Fachleute, die die Handwerker beauftragen und koordinieren. Zudem müssen die Arbeiten begutachtet werden. Ich dachte gleich an Sie, Sénher Roux.“ Gavin Roux bedankte sich. „Sie haben mein Gasthaus zu voller Zufriedenheit geplant und realisiert.“ Sénher Roux ergriff Jean-Michels Hand. „Herzlich willkommen in meiner Firma, Sénher Aron. Es würde mich außerordentlich freuen, das Gasthaus Zu den Drei Routen renovieren zu dürfen. Ich kenne es gut. Auch die Vorbesitzerin Pauline Chevalier.“
Jean-Michel Aron wandte sich Ferdinand Caille zu. „Sénher Roux, darf ich Ihnen Monsieur Caille vorstellen? Er wird während der Renovationszeit des Gasthauses in Château du Queyras wohnen, den Ablauf der Renovation beobachten und für die Kommunikation zwischen mir und Ihrer Firma verantwortlich sein.“ Architekt Roux seufzte. „Sénher Aron, Sénher Caille ist doch Ihr Wagenführer? Meine Frage ist, eignet sich hierfür ein Wagenführer?“ „Ferdinand ist nicht nur mein Wagenführer. Er ist auch mein Freund. Zudem ist er gebildet, da er Schulunterricht gab. Als Inhaber einer Fuhrhalterei hat er Kenntnisse im Organisieren.“ Luciano Varini wandte sich ihm zu. „Jean-Michel, bist du dir gewiss, dass Ferdinand dieser Aufgabe gewachsen ist?“ „Ja, das bin ich, Luciano. Nun sollten wir zum Geschäftlichen übergehen.“
Nachdem Jean-Michel die Auftragsbestätigung unterzeichnet hatte, spendierte Gavin Roux Wein und Essbares. Jean-Michel Aron vereinbarte mit Gavin Roux, dass er am Montag, den 31. August 1801, mit zwei seiner Angestellten zum Gasthaus Zu den Drei Routen kommen würde, um mit ihnen einen Beschrieb für die Renovationsarbeiten zu erarbeiten. Am Ende der Besprechung schlug Sénher Roux Jean-Michel Aron vor, dass es gut wäre, wenn auch Sénher Varini anwesend wäre. Jean-Michel stimmte Sénher Roux zu. Luciano Varini legte seine Hand auf Jean-Michels Schulter. „Ich komme natürlich gerne an den Treff, da ich dir für die Renovation vom Gasthaus in allen Belangen behilflich sein werde.“ „Luciano, Ferdinand und ich fahren am kommenden Dienstag zum Gasthaus Zu den Drei Routen hoch, um Madame Chevalier zu informieren. Da werden wir gleich eine Wohnmöglichkeit für Monsieur Caille suchen.“
Die Nacht vom Donnerstag auf Freitag verbrachten sie in Gavin Roux’ großem Haus. Am Freitag verabschiedeten sie sich nach einem reichhaltigen Mittagessen im Gasthaus Zum Turm bei Madame und Sénher Roux und begaben sich auf den Weg nach Guillestre. Die Nacht von Freitag auf Samstag verbrachten sie wieder im alten Gasthaus von Jérômes Vater. Sie widmeten sich nach dem Abendessen dem Laufen und Kartenspiel. Luciano Varini spielte nur widerwillig mit. Nach dem zweiten Abend mit Jérôme war Jean-Michel Aron mit ihm befreundet. Ferdinand Caille konnte fühlen, dass Varinis Eifersucht in der Luft lag. Jean-Michel sagte Jérôme, dass sie noch einige Fahrten nach Sisteron unternehmen müssten und sie bei ihnen nächtigen würden. Varini wich an dem Abend nicht von Ferdinands Seite. Dies, bis er Jean-Michel vor seiner Gästekammer verabschiedet hatte. Ferdinand Caille konnte nicht verstehen, dass sein Freund Varinis Eifersucht nicht wahrnahm.
***
Samstagmittag, es war der 22. August, lenkte Ferdinand Caille das englische Coupé durch das Tor vom Gasthaus Zum Krug. Damit Luciano Varini und Jean-Michel Aron die Möglichkeit hatten, über den Vorgang der Renovationsarbeiten zu sprechen, entschloss sich Jean-Michel die Nacht im Gasthaus Zum Krug zu verbringen, was Ferdinand Caille weitere Sorgen bereitete. Als sein Freund fühlte er sich verantwortlich für ihn. Er musste alles tun, um Varini von Jean fernzuhalten. Als er mit Jean-Michel etwas vor Mitternacht zu ihren Gästekammern hinaufstieg, beharrte er darauf, mit Jean-Michel in einer ihrer Kammern ein dringendes Gespräch zu führen. Jean-Michel wies ihn in seine Kammer. Kaum war die Tür geschlossen, schoss Ferdinand los. „Jean, du begibst dich in Varinis Abhängigkeit. Nimmst du seine ständigen Anzüglichkeiten nicht wahr? Ist dir entgangen, wie eifersüchtig er auf Jérôme war? Ich glaubte in seinen Augen Mordlust gesehen zu haben. Es würde mich nicht wundern, wenn du mit weiteren Besuchen bei Jérôme sein Leben gefährden würdest. Jean, als dein Freund ist es meine Pflicht, dich zu warnen.“ „Ferdinand, nun übertreibst du. Wieso sollte Luciano Jérôme etwas antun?“ Ferdinand wurde wütend. Er äffte Jean nach. „Wieso sollte Luciano Jérôme etwas antun? Das weißt du genau. Bitte entschuldige meine Unhöflichkeit. Ich wünsche dir eine gute Nacht.“
Am Sonntag, nach dem Frühstück, lenkte Ferdinand Caille das englische Coupé durch das wilde Bergtal Guil nach Château du Queyras. Er war erneut von der Schönheit des wilden Bergtales fasziniert. Sie erreichten die Stelle, wo der Handelsweg steil zum Bergbach Guil hinab verlief. Ferdinand Caille sah unten am Bergbach eine kauernde Gestalt. Er drehte die Bremskurbel etwas stärker, um bei der Gestalt anhalten zu können. Beim Näherkommen rief ihm Jean-Michel zu: „Ferdinand, da unten kauert Monsieur Funé.
Monsieur Funé richtete sich von der Kiesbank auf, als er den Wagen hörte. Ferdinand lachte. „Anscheinend ist sein Gehör nicht mehr, wie es sein sollte, dass er uns nicht früher hörte.“ „Das hat nichts mit seinem Gehör zu tun. Wenn er etwas sieht, das ihn interessiert, nimmt er die Umgebung nicht mehr wahr. Das war schon vor Jahren so. Er lebt dann in einer anderen Welt.“ Monsieur Funés Augen leuchteten. Ferdinand Caille lenkte den Wagen an den Rand vom Fahrweg. Das Coupé kam zum Stehen. Jean-Michel Aron stieg aus der Fahrgastkabine. „Guten Tag, Monsieur Funé. Was tun Sie hier?“ „Guten Tag, Jean-Michel. Ich betrachte die Steine.“ Ferdinand Caille blieb auf dem Leitsitz sitzen. Obwohl er als ehemaliger Lehrer wusste, was der Geologe von den Steinen ablesen konnte, zeigte er auf den Stein, den Monsieur Funé in der Hand hielt. „Was ist denn so besonders an dem Stein?“ „Monsieur Caille, ich versuche herauszufinden, aus welcher Felsformation er von den Okzitanischen Alpen stammt. Ich benutze das schöne Wetter. Es gibt in diesem Tal vieles, was geologisch von großer Deutung ist.“ Monsieur Funé kam auf den Wagen zu. „Monsieur Aron, ich hätte nie gedacht, dass ich Sie jemals in den Okzitanischen Alpen antreffen würde. Ich habe José Gonzalez besucht. Es geht ihm dank Ihnen gut. Mir ist bekannt, dass Sie intelligent sind. Doch das mit der Arretierung der Rippe, mit einem Holzstäbchen, war ein medizinisches Meisterwerk. José sagte mir, dass Dr. Lefebvre nicht aus dem Staunen gekommen sei.“ „Sie übertreiben, Monsieur Funé. Ich tat nur, was notwendig war. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf Ihrer Mission.“ Monsieur Funé bedankte sich und begab sich wieder zur Kiesbank vom Bergbach. Jean-Michel Aron stieg in die Fahrgastkabine. Ferdinand Caille gab den Pferden das Zeichen zur Weiterfahrt. Er wandte sich zum geöffneten Frontfenster. „Jean-Michel, wäre es nicht sinnvoll, die Gastwirtin vom Gasthaus Zu den Drei Routen zu fragen, ob sie jemanden kennt, wo ich wohnen könnte?“ „Das ist eine gute Idee, Ferdinand. Madame Chevalier kennt viele Leute.“
Madame Chevalier strahlte, als sie die Schankstube betraten. Am Stammtisch saß niemand. „Setzt euch doch an den Stammtisch. Ich bringe den Wein.“ Jean-Michel Aron bat um ein Glas Himbeersirup. Ebenso Ferdinand Caille. Während sie den Sirup zubereitete, berichtete sie über die Reaktion, die der Verkauf vom Gasthaus bei ihren Gästen ausgelöst hatte. „Monsieur Aron, Sie haben doch meinen Stammgästen gesagt, dass Sie nicht vorhaben, aus dem Gasthaus ein Nobelhaus zu machen. Sie wollen es nicht glauben.“ „Madame Chevalier, lassen Sie die Männer in dem Glauben. Sie werden überrascht sein. Madame Chevalier, am Montag, den 31. August kommt Architekt Roux mit zwei seiner Männer her, um einen Renovationsbeschrieb zu erstellen. Wir zwei und Luciano Varini werden dabei sein. Wir machen uns morgens früh auf den Weg, sodass wir auf das Mittagessen hier sind. Sie werden den Messieurs die Übernachtung und das Essen in Rechnung stellen.“ „Danke für die Information. Da werden sie viel zu schreiben haben.“ „Ich hätte noch eine Frage, Madame Chevalier. Ferdinand wird während der Renovation vom Gasthaus in Château du Queyras weilen. Kennen Sie jemanden, bei dem er eine Kammer bekommen könnte? „Monsieur Aron, wieso fragen Sie nicht Agnès Gonzalez? Sie haben in ihrem großes Haus bestimmt eine leere Kammer. Agnès würde sich freuen. Agnès und José könnten sich damit für euren selbstlosen Einsatz im Val Guil revanchieren.“ „Vielen Dank, Madame Chevalier. Wir hätten daran denken sollen.“
Eine Stunde später lenkte Ferdinand Caille den Reisewagen in die Zufahrt von José Gonzalez’ Haus. Ferdinand saß noch auf dem Leitsitz, da erschien Madame Gonzalez in der Haustür. Man sah ihr die Freude an. Sie führte sie in Josés Kammer. José Gonzalez saß aufrecht im Bett. Auf der Bettdecke schnurrte ein roter Kater. „José, schau, wer da kommt.“ Josés düsterer Gesichtsausdruck wandelte sich augenblicklich. „Seht an. Meine Lebensretter besuchen mich. Ich halt’s bald nicht mehr aus, hier untätig herumzuliegen. Euer Besuch heitert mich auf. Dr. Chalandes, der Quacksalber, verbietet mir das Aufstehen. Monsieur Aron, er meinte, dass Sie für das Fixieren der Rippe einen Orden oder Preis oder so was erhalten sollten. Wart ihr bei Pauline? Ihr seid bestimmt nicht meinetwegen nach Château du Queyras gekommen.“ „Wir waren bei Madame Chevalier, um sie zu fragen, ob sie hier Leute kennt, bei denen Ferdinand vorübergehend wohnen kann.“ José Gonzalez schaute zu Ferdinand. „Wieso zum Teufel will er hier oben wohnen?“ „Er wird in der Zeit, wo das Gasthaus renoviert wird, hier wohnen, um die Arbeiten zu überwachen. Zudem wird er mich vertreten. Madame Chevalier lässt euch grüßen. Sie schlug uns vor, euch zu fragen. Ihr habt bestimmt erfahren, dass ich das Gasthaus von Madame Chevalier gekauft habe.“ José Gonzalez gab ein Gurren von sich. „Nein, ich höre zum ersten Mal davon. Meine gute Laune ist wieder dahin. Obwohl Sie genau wissen, dass Meunier Luciano Varini schon seit Jahren drängt, dass er das Gasthaus fürs Imperium kaufen soll, lassen Sie sich auf den tödlichen Handel ein. Sie werden Sie umbringen.“ „Luciano Varini versprach mir, dass er dafür sorgen würde, dass das nicht geschieht.“ „Aber Luciano ist doch der, der Pauline schon seit Jahren drängt, dass sie ihm das Gasthaus verkaufen soll. Wie kann er die Meinung so schnell geändert haben? Da stimmt etwas nicht. Ich an Ihrer Stelle hätte das Haus nicht gekauft. Sie werden es bereuen.“ „Ich habe bereits einen Architekten für die Renovation beauftragt. Ein Gavin Roux aus Sisteron. Wir haben beschlossen, dass Monsieur Caille während der Zeit der Renovation hier in Château du Queyras wohnt, um die Arbeiten zu überwachen.“ Madame Gonzalez’ Augen leuchteten. José Gonzalez brummte: „Da seid ihr am richtigen Ort. Wir haben für Monsieur Caille eine schöne Kammer. Agnès, zeige Monsieur Caille die Kammer. Es ist selbstverständlich, dass Monsieur Caille bei uns wohnen kann. Nach dem, was ihr für mich und die Pferde getan habt. Am liebsten schon morgen. Damit ich einen Mann im Haus habe, mit dem ich über Männersachen sprechen kann. Da wird die Zeit schneller vergehen.“ Agnès Gonzalez fauchte ihn an: „Ist Richard kein Mann?“ „Oh ja, Richard kann ja nun sprechen. Dennoch, Richard kommt ja nur zum Essen ins Haus. Monsieur Aron, wann wird denn das Gasthaus renoviert?“ „Damit die Außenarbeiten vor dem Winter ausgeführt werden können, möchten wir Anfang September das Baugerüst stellen und als Erstes das Dach neu eindecken. Falls es noch reicht, würden wir das Fassadenmauerwerk sanieren. Madame Chevalier kann die Schankstube weiterhin offen halten. Wir werden beim Hauseingang ein Schutzdach erstellen, damit die Gäste gegen herunterfallende Gegenstände geschützt sind. Den Innenbereich nehmen wir im Frühjahr 1802 in Angriff. Monsieur Caille wird sich während der ganzen Renovationsphase hier aufhalten.“ Ferdinand Caille meldete sich zu Wort. „Monsieur Gonzalez, habt ihr in eurer privaten Stallung Platz für mein Pferd? Dürfte ich mir die Stallung ansehen?“ José Gonzalez lachte. „Da kommt der Fuhrhalter zum Vorschein. Agnès, würdest du den Monsieur in die Stallung führen?“
Madame Gonzalez ging Ferdinand voraus. Er warf einen Blick hinein. Als er wieder in Josés Kammer stand, schaute ihn Gonzalez fragend an. „Und, ist die Stallung für Ihr Pferd feudal genug?“ „Ja, allerdings, Monsieur Gonzalez. Eine vorbildliche Stallung.“ José Gonzalez murrte: „Ihr fahrt aber nicht heute nach Guillestre hinab?“ Jean-Michel schüttelte den Kopf. „Wir nächtigen bei Pauline.“ Jean-Michel und Ferdinand verabschiedeten sich von Agnès und José Gonzalez. Pauline freute sich, ihnen ein köstliches Abendessen auftragen zu dürfen. Sie verbrachten den Abend mit einer kleinen Wanderung und hörten Monsieur Funés Vortrag zu. Ferdinand ermahnte Jean-Michel vor Mitternacht schlafen zu gehen. Er habe keine Lust, das Scheppern von Pfannen zu hören. Pauline lachte. „Schau her, der Große fürchtet sich.“ Ferdinand schnauzte sie an. „Das hat mit sich fürchten nichts zu tun, Pauline. Hast du schon davon gehört, dass sich gewisse Geister an dich anklammern und dir alle Kräfte entziehen können?“ Pauline wurde bleich.
***
Am Montagabend, es war der 24. August 1801, kamen sie bei Luciano Varinis Gasthaus an. Ferdinand Caille hätte lieber im Gasthaus Zu den Drei Routen gewohnt. Doch Varini gelang es, ihn zu überreden. Varini sagte, so sei die Distanz zu Architekt Roux weniger groß. Sie begaben sich in ihre Kammern, um sich frisch zu machen. Danach setzten sie sich in den Speiseraum, um das Abendessen einzunehmen. Sie saßen keine fünf Minuten dort, da erschien Luciano Varini. „Darf ich mich setzen?“ Jean-Michel zeigte auf den Sessel neben Ferdinand. „Bitte, Luciano. Ist es zum Essen zu spät?“ „Bestimmt nicht, Jean-Michel. Meine Frau ist bereits in der Küche. Sie sah euch ankommen und lief gleich in die Küche. Wenn sie nur für mich so rennen würde.“ Luciano kicherte. „Habt ihr eine Unterkunft gefunden?“ „Ja, Ferdinand kann bei Agnès und José Gonzalez wohnen.“ Luciano klatschte die Hand auf die Stirn. „Wieso zum Teufel habe ich nicht daran gedacht? José hat ein großes Haus. Bei Agnès ist dein Wagenführer gut aufgehoben.“ Da Varini von ihm sprach, als wäre er nicht anwesend, kam in Ferdinand Caille Wut auf. Er warf Luciano einen bösen Blick zu und wandte sich an Jean-Michel. „Jean, wann gedenkst du nach Marseille zurückzukehren?“ „Wir fahren am kommenden Sonntag nach Marseille. Sofern mit Sénher Roux alles besprochen ist. Am Freitag möchte ich eine Wanderung zum Col d’Agnel unternehmen. Wir verbringen dann die Nacht auf Samstag bei Pauline.“ Luciano schaute ihn ungläubig an. „Um Gottes willen, du als Stadtmensch wirst Mühe haben, zum Bergübergang hinaufzusteigen.“ Ferdinand hob die Hand. „Jean, ich begleite dich auf den Col d’Agnel.“ Luciano seufzte. „Céline wird zwei Rucksäcke mit Regenkleidern bepacken. Essen und Trinken packt euch dann Pauline am Samstagmorgen ein.“
Am Freitag fuhren Jean-Michel Aron und Ferdinand Caille nach dem Mittagessen zum Gasthaus Zu den Drei Routen, um dort die Nacht zu verbringen. Madame Chevalier kicherte, als sie ihre Schankstube betraten. „Den Messieurs gefällt es anscheinend bei mir.“ Sie setzten sich an einen Tisch nahe dem Ausschank. Die Gastwirtin brachte ihnen, ohne zu fragen, ein Glas Wein und setzte sich an den Tisch. „Monsieur Aron, ist es nicht Roux, der Lucianos Luxuspalast plante?“ „Ja, Madame Chevalier. Luciano hat ihn mir empfohlen.“ Die Gastwirtin gurrte: „Das war ja zu erwarten. Luciano muss seine Nase in alles stecken. Ich erfuhr, dass dieser Roux zu den oberen Anführern des Imperiums gehöre. Ich sorge mich um Sie, Monsieur Aron. Ich hoffe, dass sich Meunier nicht an Ihnen rächt, da Sie mein Gasthaus kauften. Es wäre tragisch, wenn einem so sympathischen Mann, wie Sie einer sind, etwas zustoßen würde. Das wäre dann meine Schuld, da ich Ihnen das Gasthaus verkaufte und nicht Luciano Varini. Da stimmt doch etwas nicht. Wieso zum Teufel ist Luciano Varini damit einverstanden, dass Sie das Gasthaus kauften? Nicht nur das. Er hilft Ihnen sogar, das Gasthaus zu renovieren. Was ist, wenn es eine Falle ist? Er tut so, als wäre er damit einverstanden, und dabei weiß er genau, dass Sie beseitigt werden, wenn das Gasthaus auf Ihre Kosten renoviert ist.“
Ferdinand Cailles Kommentar war ungewollt. „Madame Chevalier, Varini würde nie zulassen, dass Jean-Michel etwas zustößt. Dafür ist er zu fest in ihn verliebt.“ Pauline Chevalier schlug die Hände zusammen. „Ja, natürlich. Wieso kam ich nicht darauf? Monsieur Aron soll das Ebenbild von seinem ersten Liebhaber sein, den er in der Studienzeit im Piemont hatte. Luciano hat mir vor Jahren von dem Liebhaber, sein Name war Viktor, erzählt. Als er vor zwei Tagen da war, sagte er mir, Sie wären das Ebenbild von seinem verstorbenen Liebhaber Viktor. Ich bemitleide Sie, Monsieur Aron. Seien Sie auf der Hut. Wenn sich Luciano etwas in den Kopf setzt, klammert er sich daran. Sie müssen ihm deutlich zu verstehen geben, dass Sie nicht an dieser Krankheit leiden.“ Ferdinand knurrte. „Das habe ich ihm ebenfalls gesagt. Aber er nimmt die Sache nicht ernst. Es ist doch eindeutig, dass du dich von Varini abhängig machst. Damit, dass du dich für diesen schmierigen Roux entschieden hast, verbindest du dich mit der kriminellen Brut in Marseille. Diesen Gangstern Meunier und Delavallé. Ich könnte die Renovation von diesem Gasthaus auch organisieren. Dazu braucht es den überheblichen Roux nicht.“
Pauline Chevalier schaute Ferdinand Caille von der Seite an. „Nun überschätzen Sie sich nicht, Wagenführer.“ Ferdinand Caille warf der Gastwirtin einen bösen Blick zu. Jean-Michel wandte sich ihr zu. „Wechseln wir das Thema. Madame Chevalier, wir wollen die Nacht hier verbringen und morgen früh zum Col d’Agnel hinaufwandern. Madame Varini hat uns Rucksäcke mitgegeben. Regenkleider sind darin. Fehlt dann nur noch die Verpflegung.“ Pauline Chevalier seufzte. „Céline ist eine gute Frau. Sie hätte einen besseren Mann verdient. Ich bepacke die Rucksäcke am Morgen, damit das Brot nicht vertrocknet. Stellt die Rucksäcke vor die Küchentür.“
Obwohl Jean-Michel Aron zum ersten Mal im Leben auf einen Berg stieg, bereitete ihm das Laufen keine Mühe. Die Bergtour faszinierte ihn. Ein Grund mehr, in die Okzitanischen Alpen zu ziehen. Ferdinand Caille war ebenfalls kein Berggänger. In Fontenay-le-Comte, wo er aufwuchs, gab es nur Hügel. Unendlich viele Hügel. Den Aufstieg zum Col d’Agnel überwand er gut.
***
Montag, den 31. August 1801, lenkte Ferdinand Caille das englische Coupé erneut durchs Val Guil. Jean-Michel saß nicht allein in der Fahrgastkabine. Neben ihm saß Luciano Varini. Sie befanden sich auf dem Weg zum Gasthaus Zu den Drei Routen, um sich mit Architekt Roux und zwei seiner Baufachmänner zu treffen. Der Zustand vom Gasthaus Zu den Drei Routen musste aufgenommen werden. Roux’ Aufgabe war es, mit seinen Männern einen Beschrieb zu erarbeiten.
Sie fuhren so früh ab, damit sie das Mittagessen bei Pauline Chevalier einnehmen konnten. Architekt Roux und seine Begleiter waren schon am Sonntag im Gasthaus Zu den Drei Routen angekommen, damit sie am Montagmorgen mit der Arbeit beginnen konnten. Beim Mittagessen nahm Gavin Roux wenig zu sich. Ihm war der Wein wichtiger als das Essen. Er liebte Wein. Oft über das Maß. Die Köchin von Pauline Chevalier richtete eine besondere Mahlzeit zu. Pauline Chevalier nannte das Gericht Henkersmahlzeit. Da sie schon bald nach Paris umsiedeln würde.
Am Mittwoch, den 2. September führte Ferdinand Caille das englische Coupé aus dem Städtchen Guillestre auf den Weg nach Marseille. In der Fahrgastkabine saßen Jean-Michel und Luciano Varini. Luciano Varinis Pferd war an den Reisewagen gebunden. Zwischendurch stieg Luciano Varini aus der Fahrgastkabine und setzte sich auf sein Pferd, um nach der Suche eines Rastplatzes oder Gasthauses vorauszureiten. Es gelang Luciano, Jean-Michel Aron davon abzuhalten, im alten Gasthaus bei Jérôme zu übernachten. Am Vorabend lud Jean-Michel Aron Luciano und seine Frau Céline sowie die Bediensteten zu einem Abschiedstrunk ein. Jean-Michel war es nicht recht, dass sich Luciano so lange Zeit neben ihm in der Fahrgastkabine aufhielt. Noch weniger gefiel es Ferdinand. Nachdem Luciano mit fadenscheinigen Begründungen dafür gesorgt hatte, dass sie nicht im Gasthaus von Jérômes Vater die Nacht verbrachten, wurde ihm endgültig bewusst, dass sein Freund Ferdinand mit der Annahme, dass Luciano in ihn verliebt war, richtiglag. Nun gab es für ihn kein Zurück. Er musste Luciano unmissverständlich darauf hinweisen, dass er sich in keiner Weise zu Männern hingezogen fühlte. Er musste ihm ebenfalls deutlich machen, dass er mit seinem kriminellen Imperium nichts zu tun haben wollte.
Zurück in Marseille verbrachte Ferdinand Caille die Nacht bei seiner Frau und reiste anderntags mit einer prall gefüllten Reisetasche persönlicher Untersielien mit seinem Reitpferd in die Okzitanischen Alpen zurück. Wo er bei den Gonzalez einzog. Luciano Varini wohnte zusammen mit Bastiano Lopez an der Rue Lafayette. Jean-Michel schüttelte den Kopf. Kaum erreichten sie Marseille, teilte Luciano ihm mit, dass er am Abend ins Gasthaus Central kommen würde, um zusammen das Abendessen einzunehmen. Er war von der Reise erschöpft. Zudem gab es mit seinem Nachfolger vieles zu besprechen. Was er Luciano mitteilte. Doch der lachte nur. Er sei doch noch zu jung, um von einer so kurzen Reise niedergeschlagen zu sein.
Bereits eine Woche später schrieb ihm Ferdinand, dass Architekt Roux Baumeister René Bertrand mit der Renovation des Gasthauses Zu den Drei Routen beauftragt habe. Baumeister Bertrands Leute hätten mit dem Aufstellen vom Arbeitsgerüst begonnen. Als Erstes werde das Dach erneuert. Danach werde die Sanierung vom Fassadenmauerwerk angegangen. Jean-Michel war erleichtert, dass sein Freund Ferdinand Caille in Château du Queyras war, um die Renovation zu überwachen und ihn fortlaufend zu orientieren. Er wäre gerne selbst vor Ort gewesen. Doch er hatte in Marseille zu vieles zu erledigen, um sich in Guillestre aufzuhalten. Vor allem fürchtete er, dass es mit Luciano Varini wegen dessen aufdringlichen Verhaltens zum Streit kommen könnte, würde er sich so lange in seinem Gasthaus aufhalten.
Mitte Dezember 1801 schrieb ihm Ferdinand Caille, dass das Fassadengerüst auf Weihnachten abgebaut würde. Und die Renovationen im Innern in Angriff genommen würden. Er entschloss sich nach den Feiertagen nach Château du Queyras zu reisen. Jean-Michel Aron nahm für die Zeit, wo sich Ferdinand Caille, sein Wagenführer, in Château du Queyras aufhielt, einen Ersatz. Er heuerte André Robert an, der als Wagenführer beim Vorbesitzer des englischen Coupés, einem Baron, im Dienste war. Der Baron wurde von Robespierres Schergen, samt Familie und einem Teil vom Personal, umgebracht. Seine Villa wurde in Brand gesetzt. André Robert gelang es, die Pferde aus der Stallung zu befreien. Das englische Coupé, ein neuer Wagen, stand bei einem Wagner in der Werkstatt, um ein Rad zu reparieren. Jean-Michel Aron kaufte dem Wagenführer das englische Coupé samt dem pechschwarzen und dem schneeweißen Pferd ab.
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Jean-Michel Aron freundete sich in der Schankstube vom Gasthaus Zum Central mit dem Sohn eines Geschäftsmannes an, der oft im feudalen Speiseraum das Mittagessen einnahm. Monsieur Aubes Handelshaus befand sich wenige Häuser vom Gasthaus Zum Central. Monsieur Aubes Frau verstarb im Vorjahr. Alexis, sein Sohn, begleitete ihn oftmals. Jean-Michel kam mit ihm ins Gespräch. Es stellte sich rasch heraus, dass sie die gleichen Interessen hatten. Alexis besuchte in Marseille eine Handelsschule, um später die Handelsgesellschaft seines Vaters übernehmen zu können. Alexis kam abends in die Schankstube, um mit ihm Karten zu spielen. Da er eine Geliebte hatte, die ihn etwas zu straff am Bändel hatte, waren seine Besuche in der Schankstube begrenzt. Alexis trug, wie er, die strohblonden Haare lang. Er war groß und bildhübsch. Jean-Michel wunderte es nicht, dass seine Freundin eifersüchtig war. Alexis hatte eine Schwester, die ein Jahr älter war. Eine außergewöhnlich schöne Frau. Eigentlich hatte sich Jean-Michel mit Hintergedanken mit Alexis angefreundet. Er kannte Alexis’ Schwester vom Sehen. Leider kam sie nicht in die Schankstube. Wenn er ihr auf der Gasse begegnete, wiederholte sie seinen Gruß herzlich. Er wusste nicht, wieso er sie nicht ansprach. Ob es die Sehnsucht nach seiner Verlobten Aveline, die er in der Brandnacht von Paris verlassen musste, war oder die Furcht, sein Vorhaben, in den Okzitanischen Alpen zu leben, aufzugeben, würden sie beide zusammenfinden. Das Letztere war ausschlaggebend dafür, dass er es beim herzlichen Begrüßen ließ. Was ihm ungemein schwerfiel. Denn er mochte Monsieur Aube und Alexis sehr. Alexis legte die Spielkarten ab und schaute ihn eindringlich an. „Jean-Michel, wieso bleibst du nicht in Marseille? Dein Leben ist doch hier. Was ist das für ein Gasthaus, das du in den Bergen renovieren lässt?“ Jean-Michel beschrieb ihm das Gasthaus und die wunderschöne Bergwelt. „Alexis, ich habe nicht vor, dortzubleiben. Nur so lange, bis ich einen guten Pächter finde. Wieso begleitest du mich nicht? Wenn du durch das wilde Bergtal Guil gefahren bist, begreifst du mich.“ Alexis sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Das würde ich gerne. Doch ob meine Fabien es bewilligt?“
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Montag, es war der 4. Januar im Jahr 1802, reiste Jean-Michel Aron mit Alexis Aube im englischen Coupé nach Château du Queyras, um den Fortschritt der Renovation seines Gasthauses zu besichtigen. Sie waren überwältigt, als sie das Haus aus der Fahrgastkabine ohne Fassadengerüst erblickten. Auf dem Dach fielen die vielen neuen Schieferplatten auf, die ersetzt wurden. Die Fassade erstrahlte in neuer Farbe. Alexis rief begeistert: „Jean-Michel, das ist ein sonderbares Haus. Ein wunderschönes Haus. Nun verstehe ich dich.“ André Robert lenkte das englische Coupé auf den Vorplatz. Ferdinand Caille, der vor dem Hauseingang stand, eilte daher und begrüßte Jean-Michel. André Robert warf er nur einen bösen Blick zu. Danach begrüßte er die Pferde, welche seinen Gruß mit einem Wiehern erwiderten. Er drückte seinen Kopf erst gegen Mangals, danach gegen Susannes Kopf. Der Stallmeister Louis Perin kam in schnellen Schritten auf sie zu und war André Robert beim Ausspannen behilflich. Jean-Michel wandte sich Alexis zu. „Alexis, ich muss mir das Haus gründlich anschauen. Folge uns und frage, falls du Fragen hast.“ „Werde ich, Jean-Michel.“
Als sie den Hauseingang erreichten, murrte Ferdinand Caille ihn an. „Wo hast du den her?“ Er zeigte auf den Wagenführer. „Ich hoffe, du hast dich gut über ihn erkundigt. Man sollte nicht jeden mit dem teuren Wagen fahren lassen.“ Jean-Michel hielt Ferdinand die Hand hin. „Ferdinand, erst wollen wir uns begrüßen. Sorge dich nicht um den Wagen. André Robert hat ihn vor dir gefahren. Er war der Wagenführer von Baron Albon, von dessen grauenhaftem Schicksal ich dir erzählt habe. André Robert hat Mangal und Susanne aus dem brennenden Haus von Baron Albon gerettet.“ Ferdinand Caille senkte den Kopf. „Bitte entschuldige, Jean. Ich dachte nicht an Baron Albons Wagenführer. Er ist ein guter Mann. Dass er Mangal und Susanne vor dem grausamen Tod bewahrte, rechne ich ihm hoch an. Aber hast du daran gedacht, dass er längere Zeit keinen Wagen führte?“ „Ferdinand, auch wenn du es nicht gerne hörst, Monsieur Robert ist ein hervorragender Wagenführer.“ Ferdinand Caille deutete mit einem Knurren an, ums Haus zu laufen.
Als sie hinter dem Gasthaus ankamen, wandte er sich Jean-Michel zu. „Entschuldige, Jean. Ich bin gereizt. Du kannst dir nicht vorstellen, was die Renovationsarbeiten von mir abverlangt haben. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, die Bauarbeiter aus der Schankstube zu jagen. Zu unserer Zeit hätte sich keiner gewagt, während der Arbeitszeit in einer Schankstube zu sitzen. Aber die heutige Jugend erlaubt sich immer mehr.“ Jean-Michel lachte. „Ferdinand, sei nicht zu hart mit ihnen. Es ist auch kaltes Wetter.“ Ferdinand grunzte. „Kaltes Wetter. Was wollen denn die Weichlinge im Winter?“
Jean-Michel setzte den Rundgang ums Haus fort. Ferdinand Caille folgte ihm mit erhobenem Haupt Schritt auf Schritt. Er verhielt sich so, als ob er die Arbeiten an Fassade und Dach ausgeführt hätte. Als sie wieder zum Hauseingang kamen, kam ihnen der Wagenführer entgegen. Ferdinand Caille begrüßte ihn und stellte sich als Monsieur Arons Wagenführer vor. „Ich hoffe, Monsieur Aron hat dich auf die gefährlichen Stellen im Val Guil aufmerksam gemacht.“ André Robert nickte nur. Sie stiegen in die Schankstube hinauf. Madame Chevalier begrüßte Jean-Michel Aron mit einer Umarmung. „Da nun das Gasthaus so schön ausschaut, möchte ich es am liebsten wieder zurückhaben.“ Sie setzten sich in den hinteren Teil der Schankstube. Madame Chevalier brachte eine Flasche Wein und vier Gläser. „Monsieur Aron, ich nehme an, dass ihr über Nacht bleibt. Darf ich erfahren, wer der hübsche Monsieur ist?“ Jean-Michel Aron nickte. „Das ist Alexis Aube, er ist ein guter Gast meines Gasthauses Zum Central in Marseille. Madame Chevalier, Alexis hat eine wunderschöne Schwester.“ Madame Chevalier kicherte. Plötzlich verstummte sie. „Monsieur Aron, denken Sie an Luciano Varini. Er ist ein eifersüchtiger Mann.“ Kaum hatte sie gesprochen, krächzte sie: „Wenn man vom Teufel spricht, kommt er daher.“ Jean-Michel und Madame Chevalier entging nicht, wie sich Lucianos Gesichtszüge veränderten, als er Alexis erblickte. Luciano Varini setzte sich mit kaum hörbarem Gruß zu ihnen. Er wandte sich an Jean-Michel. „Jean-Michel, ist alles gut?“ Jean-Michel nickte. „Luciano, das ist mein Freund Alexis. Wir spielen im Gasthaus Zum Central oft Karten. Du solltest die Handelsgesellschaft Andlau und Sohn in Marseille kennen.“ Luciano nickte nur. Die Feindseligkeit gegenüber Alexis war gut spürbar. „Verbringst du die Nacht hier? Oder fährst du wieder ab? Wenn, dann nächtige doch bei mir.“ „Wir fahren erst in zwei bis drei Tagen ab. Ich möchte Alexis etwas durch die schöne Landschaft führen. Wir haben unsere Kammern bereits bezogen.“ Pauline Chevalier erschrak ob Lucianos Blick, den er dem hübschen Jungen zuwarf. Luciano wandte sich an Pauline. „Pauline, in dem Fall bereite mir meine Stammkammer vor. Ich werde auch zwei bis drei Tage bleiben.“ Pauline sah ihn fragend an. „Hast du im Bürgeramt nichts zu arbeiten?“ „Nein, dazu habe ich Bedienstete.“
Es war bereits Mitternacht. Jean-Michel und Alexis spielten den ganzen Abend Karten und alberten miteinander rum, während Luciano den ganzen Abend ein grimmiges Gesicht machte. Als Jean-Michel mit Alexis die Schankstube verlassen wollte, stellte sich die Gastwirtin vor sie. „Monsieur Aron, ich warne Sie vor Luciano. Denn ich kenne ihn. Sein heutiges Verhalten birgt Gefahr. Ihr Freund ist ihm ein Dorn im Auge. Sie sollten morgen abreisen. Ansonsten befürchte ich, dass Ihrem Freund etwas zustößt.“
30. Der geheime Ausschuss des Imperiums beschließt, den obersten Anführer Don Luciano Varini zu liquidieren
Sébastien Meunier gründete gegen den Willen von Bastien Delavallé im Mai 1802 einen geheimen Ausschuss gegen Don Luciano Varini, den obersten Anführer des Imperiums. Meunier glaubte Don Lucianos Sekretär Danilo Pellegrino und seinen Buchhalter Archibald Girard mit einem großen Geldbetrag gekauft zu haben. Was Meunier nicht wusste: dass die beiden Don Luciano Varini über jeden Beschluss, der im geheimen Ausschuss gefasst wurde, informierten. Sie fungierten als Spione beider Seiten. Nur dass sie Sébastien Meunier von Don Luciano gewollte Informationen weitergaben. Der geheime Ausschuss bestand neben Danilo Pellegrino und Archibald Girard, Lionel Petit, Rémi Laurent, Adrien Moreau sowie Ethan Davit. Sébastien Meunier war besonders stolz, Danilo Pellegrino und Archibald Girard gewonnen zu haben. Die beiden berichteten ihm über alles, was Luciano Varini tat. Wenigstens glaubte Meunier, dass es so war.
Anfang Juni kündete Sébastien Meunier für den 12. Juni, einen Samstag, die erste Sitzung vom geheimen Ausschuss an. Es war so weit. Die Männer betraten unauffällig Meuniers Villa. Meunier führte sie in den Untergrund. Das Staunen der Männer war groß, als sie die riesige Felskaverne betraten. Danilo Pellegrino und Archibald Girard entging Delavallés Widerwille nicht. Sébastien Meunier setzte sich oben am langen Tisch auf Don Luciano Varinis Sessel. Er stellte die Brust hinaus und erhob seine Stimme. „Messieurs, ich habe den geheimen Ausschuss gegründet, da Don Luciano für das Imperium zur Gefahr wird. Ich möchte nicht um den heißen Brei reden. Don Luciano Varini muss liquidiert werden, wenn das Imperium weiterbestehen möchte.“
Die Männer schauten ihn empört an. Archibald Girard meldete sich zu Wort. „Sébastien, was soll das? Dir ist doch bekannt, dass, falls Don Luciano vom Imperium umgebracht wird, kistenweise belastende Dokumente an die Justizbehörde gehen würden. Wir alle würden mit ihm untergehen.“ Sébastien lachte höhnisch. „Die Dokumente können ruhig an das Justizministerium gelangen. Ich bin mit den meisten hohen Beamten im Justizministerium befreundet. Die Dokumente würden allesamt vernichtet. Wir müssen den Mann weghaben. Ihr kennt seine Krankheit, Neigung zum männlichen Geschlecht zu haben. Ich musste mein Projekt in Château du Queyras zum Schaden des Imperiums abändern. Dies, weil er in den Burschen aus Marseille verliebt ist. Statt dass er die alte Kuh dazu brachte, ihm das Gasthaus zu verkaufen, lässt er es zu, dass die Chevalier das Gasthaus diesem Aron verkauft. Er ist Aron beim Renovieren vom Gasthaus behilflich. Dies nur aus dem einen Grund: damit er Aron so oft wie möglich in seiner Nähe hat. Dabei hat Aron an ihm absolut kein Interesse. Ich habe erfahren, dass Aron der Doppelgänger von Lucianos Liebhaber sei, den er in seiner Studienzeit gehabt hat. Ich erinnere mich daran. Sein Name war Viktor. Don Lucianos Vater Don Edoardo war damals wütend. Er gab den Auftrag, diesen Viktor zu verprügeln. Leider suchte sein Sekretär Aldo Giacomo die falschen Männer aus. Sie schlugen den Jungen tot. Nun ist für Don Luciano sein Liebhaber sozusagen auferstanden. Er würde für diesen Aron das Imperium opfern. Don Luciano ließ mir ein Schreiben zukommen. Er schreibt, dass Jean-Michel Aron, sein neuer Freund, das Gasthaus von der Chevalier gekauft habe und er ihn bei der Renovation unterstützen werde. Er drohte mir, falls ich die Arbeiten sabotieren lassen würde, mit harten Maßnahmen.“ Danilo Pellegrino schüttelte den Kopf. „Sébastien, ich finde nicht, dass wir dieses Gasthaus unbedingt haben müssen. Wieso hängst du an diesem Gasthaus? Du sagtest, dass du das Haus für die Unterbringung der Schmuggler brauchst, die du vorhast, in den Okzitanischen Alpen einzusetzen. Wir besitzen am alten Säumerweg das alte Säumerhaus. Das Haus steht schon lange ungenutzt. Renovieren wir es. Im alten Säumerhaus könnten wir im Dachgeschoss etliche Schlafkammern einbauen. Da könnten wir viele Schmuggler unterbringen.“ „Ich verrate euch den wahren Grund, wieso ich das Gasthaus unbedingt kaufen wollte. Das mit dem Schmuggler unterbringen war ein Vorwand. Don Luciano darf aber nichts erfahren. Schwört mir das.“ Die Männer hoben die Arme hoch.
„Wie ihr wisst, gibt es hinter dem Gasthaus einen Felsen. Nun hört, was ich zu sagen habe. In dem Felsen gibt es Edelsteine. Ich fand im Staatsarchiv zufällig einen Bericht aus dem Jahr 1769. Suchte jedoch nach etwas anderem. Der Bericht befand sich in einer Dokumentation von Château du Queyras. Im Jahr 1769 entdeckte ein Wegmacher seitlich vom Felsen eine Spalte. Der Mann schaute nur aus Neugier in die Spalte. Er glaubte, etwas glitzern zu sehen. Um mehr zu sehen, organisierte er eine kleine Öllampe, band sie an einen Stock und schob sie in die Spalte. Was er zu sehen bekam, habe ihm den Atem geraubt. Da gab es ganze Flächen Edelsteine. Er behielt es für sich. Da der Fels zum Gasthaus gehörte, nahm er sich vor mit Julius Garnier zu sprechen, um ihm zu helfen, das große Vermögen zu gewinnen. Er war im Gasthaus Zu den Drei Routen Stammgast. Zu Hause erstellte er eine Skizze vom Fels. Die Spalte stellte er mit zwei Strichen dar. Er zeichnete einen Pfeil, der auf die zwei Striche zeigte. Über den Pfeil schrieb er das Wort Edelsteine. Um seinen Fund geheim zu halten, legte er die Skizze in sein wertvolles Buch, das mehr als vierhundert Jahre alt war. Das Schicksal wollte es, dass der Wegemacher am darauffolgenden Tag im Val Guil bei der Arbeit ums Leben kam. Seine Frau bewahrte das alte Buch bis zu ihrem Tod im Jahr 1783 auf. Ihre Tochter verkaufte das Buch aus Armut an das Staatsarchiv hier in Marseille. Ich habe im Staatsarchiv einen Freund. Er bot mir das Buch zum Kauf an, da er meine Leidenschaft für alte Bücher kennt. Natürlich durfte er das Buch nicht verkaufen, da es Eigentum vom Staatsarchiv war. Er legte mir das Buch auf den Tisch, während ich Akten vom Dorf Château du Queyras studierte. Beim Blättern im Buch fiel die Skizze heraus. Ich steckte sie ein, da ich ahnte, dass sie wertvoll sein könnte. Ich bezahlte dem korrupten Beamten das Buch und machte mich auf den Weg nach Hause, wo ich mir die Skizze eingehender betrachtete.
Bereits am nächsten Tag reiste ich nach Château du Queyras. Wo ich im Gasthaus Zu den Drei Routen eine Gästekammer bezog. Um Mitternacht schlich ich mich, ausgerüstet mit einem Stock und einer kleinen Öllampe, aus dem Haus und suchte den Felsspalt. Ich fand ihn nur dank der Skizze. Der Spalt war mit Sträuchern zugewachsen. Es bereitete mir große Mühe, an den Felsspalt zu kommen. Als ich die Lampe hineinschob, musste ich absitzen, denn was ich zu sehen bekam, ließ meine Beine einknicken. Es war ein Glitzern in allen Farben. Ich erkannte den enormen Wert der Edelsteine. Nun wisst ihr, wieso ich das Gasthaus kaufen wollte. Das mit der Unterbringung war eine Ausrede. Ihr seid die Einzigen, die nun davon wisst. Von den zwölf oberen Anführern weiß keiner davon. Sollte jemand von euch von den Edelsteinen, oder von der geplanten Liquidierung von Don Luciano, mit Außenstehenden sprechen, hat er sein Leben verwirkt. Nun hat dieser Aron das Gasthaus samt wertvollem Felsen gekauft. Männer, das soll uns nicht daran hindern, an die Edelsteine zu kommen. Ich beteilige euch an der Beute.“
Archibald Girard schaute Sébastien Meunier ungläubig an. „Sébastien, du sagtest, der Spalt im Fels sei gerade bereit genug gewesen, um die Laterne hineinzubringen. Wie stellst du dir vor, die Edelsteine in einer Nacht zu gewinnen? Erst muss doch der Spalt in tagelanger Arbeit vergrößert werden, um dann die Edelsteine abtragen zu können.“ Sébastien Meunier kicherte. „Für wie blöd hältst du mich, Archibald? Das Gewinnen der Edelsteine überlassen wir diesem Aron, besser gesagt, Don Luciano. Ich bin überzeugt, dass Don Luciano ihn dabei unterstützt. Don Luciano wird von den Edelsteinen durch Archibald und Danilo erfahren.“ Sébastien Meunier schaute die beiden an. „Nur muss dieser Aron, oder Don Luciano, von der Felsspalte erfahren. Ich schicke einen Mann, den in den Okzitanischen Alpen niemand kennt, nach Châteaus du Queyras, wo er Ferdinand Caille, der die Renovation vom Gasthaus überwacht, aufsucht, um ihm die Skizze zu zeigen. Falls dieser Aron anwesend ist, soll er sie ihm geben. Dies im Geheimen. Es darf unter keinen Umständen bei den Bewohnern bekannt werden. Es könnte sein, dass die Gemeinde auf die Edelsteine Anspruch erheben würde. Danilos und Archibalds Aufgabe ist es, mich über alles zu informieren. Ihr seid mit Don Luciano in Verbindung und wisst, was dort oben vor sich geht. Sobald sich der Baumeister am Felsen zu schaffen macht, informiert ihr mich. Wir sehen uns ja regelmäßig in der Zentrale des Imperiums. Sobald es so weit ist, machen sich alle, außer Danilo und Archibald, auf den Weg nach Château du Queyras. Da Danilo und Archibald hier in Marseille für Don Luciano arbeiten, können sie beim Edelsteinraub nicht teilnehmen.“ Archibald und Danilo nickten heftig. Meunier hob die Hand. „Männer, unterhalb von Château du Queyras steht ein unbewohntes Haus in einer Waldlichtung. Nahe von Don Lucianos Warenlagerhaus. Das Haus ist seit Jahrzehnten unbewohnt. Ihr werdet dicke Staubschichten vorfinden. Besorgt euch die nötigen Sachen zum Putzen. Zeit habt ihr genügend. Im Dorf gebt ihr euch als Landvermesser und Geologen aus. Sagt den Leuten, dass ihr im Auftrag vom Staat die Länderei ausmessen und die Bodenbeschaffung erkunden müsstet. Das Haus eignet sich für unser Vorhaben ausgezeichnet. Ihr könnt den Felsen vom Wald aus beobachten. So erfahrt ihr, wann die Edelsteine abgebaut werden. Sie werden die Edelsteine in der Nacht gewinnen. Da bin ich mir sicher. In der Nacht schlagt ihr zu. Ihr bringt die Wachen nicht um, sondern versetzt ihnen einen Schlag auf den Kopf. Es sind Leute von uns. Und die Arbeiter verjagt ihr in den Wald. Die werden sich nicht zur Wehr setzen. Don Luciano wird die Spezialisten von Château du Queyras mit dem Bewachen beauftragen. Ja keine Schusswaffen. Denn ihr hättet zu wenig Zeit, die Edelsteine abzutransportieren, da der Schuss gehört würde. Ihr müsst die Steine in Säcken durch den Wald tragen. Also müsst ihr die Steine in Säcke umfüllen, die ihr bei euch trägt. Das benötigt Zeit. Lionel, du übernimmst die Führung der Gruppe.“
Ein Raunen ging durch die Felskaverne. Die Männer lobten Sébastien Meunier für seinen fantastischen Plan. Bastien Delavallé war weniger begeistert.
***
Auf dem Weg in die Innenstadt suchten Pellegrino und Girard ein Bistro auf, um sich zu beraten. Sie würden Meuniers Vorhaben zunichtemachen. Im Bistro sprachen sie leise. „Danilo, wie wollen wir vorgehen? Hast du gesehen, wie die Augen von den Idioten leuchteten, als Sébastien die Edelsteine erwähnte? Die tun alles, um an den Schatz zu kommen. Sébastien wird sie mit Almosen abspeisen. Er ist ein habgieriger Bastard. Hast du Bastien Delavallés Gesichtsausdruck bemerkt? Der ist eindeutig dagegen, Don Luciano zu liquidieren. Ebenso wenig war er vom Stehlen der Edelsteine begeistert. Ich bin überzeugt, dass er gegen die Gründung vom geheimen Ausschuss war. Leider fürchtet er sich vor Meunier. Er getraut sich nicht auf den Tisch zu schlagen und Meunier in die Schranken zu weisen. Ihm die Stirn zu bieten. Die Edelsteine haben nichts mit dem Imperium zu tun. Es ist Meuniers eigenes Geschäft. Du hast gehört, die zwölf oberen Anführer wissen nichts davon. Meunier hintergeht die Führung. Sie wissen nicht, dass er den obersten Anführer liquidieren lassen will. Danilo, ich behaupte, dass keiner von ihnen dem Tod von Don Luciano zustimmen würde. Don Luciano ist beliebt. Im Gegensatz zu Meunier. Wir müssen Don Luciano so rasch wie möglich Bericht erstatten.“ Danilo nickte zustimmend. „Wir machen uns Montag, 14. Juni auf den Weg nach Guillestre. Übernachten wir auf dem Weg drei Mal. Ich kann meinem Pferd nicht zu viel zumuten. Es ist in die Jahre gekommen.“
Am Montagmorgen machten sie sich auf den Weg nach Guillestre. Unterwegs überlegten sie, wie sie Don Luciano beschützen könnten. Sie wussten, dass es nicht einfach sein würde. Meuniers Macht war groß. Größer als die von Don Luciano, obwohl er der oberste Anführer war. Meunier musste nur mit den Fingern schnippen, und Don Luciano wäre Geschichte. Archibald Girard und Danilo Pellegrino kamen zum Schluss, dass sie Don Luciano vorschlagen würden, Sébastien Meunier zu liquidieren. Nur so war sein Leben zu retten.
31. Antonio Oliver, der Grausame aus dem Piemont, auf dem Weg nach Okzitanien
Antonio Oliver erreichte am 16. Juni, im Jahr 1802, frühmorgens mit seinen fünf Männern unterhalb vom Col d’Agnel das verlassene Säumerhaus. Das verwahrloste Haus stand am alten Säumerweg, der infolge des Baus vom neuen Handelsweg zwischen Guillestre und Saluzzo im Piemont nicht mehr benutzt wurde. Am alten Säumerweg standen zwischen Château du Queyras und dem Bergübergang Col d’Agnel zwei Säumerhäuser. Die im Piemont gefürchtete Bande beschlagnahmte das obere Säumerhaus. Mitte 18. Jahrhundert wurde der Handelsweg zwischen dem okzitanischen Guillestre und dem piemontesischen Canale neu gebaut. Um die steilen Wegstrecken herauszubekommen, wurde der Handelsweg in lang gezogenen Kehren angelegt. Der Bau vom neuen Weg hatte zur Folge, dass die Gäste in den beiden Säumerhäusern, welche in den Jahren 1712–1716 erbaut wurden, ausblieben. Was zu ihrer Schließung führte.
Antonio Oliver stieß die Tür vom Säumerhaus auf. „Männer, besser können wir es nicht haben. Wir können es uns in dieser Bruchbude gemütlich machen. Hier drinnen können wir die Schmuggelware aus dem geheimen Lager besichtigen und in unsere Satteltaschen verstauen.“ Antonio Oliver, der Anführer der fünf Männer, die ihm ins Haus folgten, war ein gnadenloser Mann. Im Piemont, von wo die Bande stammte, waren er und seine brutalen Männer gefürchtet. Die Bande begab sich auf Raubzüge, bei denen sie eiskalt Menschen umbrachten. Dank Verbindungen und Bezahlungen an korrupte Beamte und Politiker zog Antonio Oliver jahrelang unbehelligt raubend und mordend durchs Piemont. Nachdem Anfang des Jahres 1802 in Torino korrupte Beamte und Politiker eingekerkert wurden, waren die Tage für Antonio Oliver und seine Männer gezählt. Es gab für sie im Piemont keinen Schutz mehr. Sie wurden zur Verhaftung ausgeschrieben. In Torino, Milano, Saluzzo und in unzähligen Dörfern wurden Zeichnungen von ihnen an Bäumen, Hauswänden und sogar in den Kathedralen aufgehängt. Antonio Olivers Bande galt als gefährlichste vom Piemont. Für sie blieb nur noch die Flucht ins Ausland. Sie entschieden sich, nach Okzitanien auszuwandern. Das Piemont wollten sie über den Col d’Agnel verlassen.
Es war in der Mittwochsfrühe, dem 16. Juni im Jahr 1802, als sich Antonio Oliver mit seinen Männern auf den Weg nach Okzitanien machte. Dass Antonio Oliver die Route über den Col d’Agnel wählte, war nicht zufällig. Ihr neues Bandenmitglied Mario Prato, ein neunzehnjähriger Junge, der zuvor der Schmugglerorganisation des Imperiums angehörte, prahlte, nachdem er zu viel Branntwein getrunken hatte, damit, dass er die Orte der geheimen Schmuggelwarenlager in den Bergen kenne. Antonio Oliver ahnte, welcher Wert sich in einem solchen Zwischenlager befinden würde. Es war Mario Prato, der sie zum alten Säumerweg führte, der von Vanesca durchs Valle Varaita über den Col d’Agnel nach Château du Queyras verlief. Mario berichtete Antonio, dass in eines der zwei unbewohnten Säumerhäuser ein Korse eingezogen sei. Es sei das untere Säumerhaus. Das geheime Lager würde sich in der Nähe vom oberen Säumerhaus befinden. Antonio Oliver hätte es nicht gewagt, das Zwischenlager auszurauben, würde Don Edoardo Varini noch leben. Seinen Nachfolger, Don Luciano Varini, fürchtete er nicht. Don Lucianos Krankheit, sich mit blonden Jünglingen zu vergnügen, war ihm bekannt. Als seine rechte Hand Bosco Zweifel anbrachte, schnauzte er ihn an. Wie sollte man sich vor einem Mann fürchten, der es mit Jungen trieb? „Der Mann ist krank, Bosco.“ Mario Prato berichtete ihnen vom schlechten Zustand des alten Säumerwegs. Sie ritten durch das Valle Varaita hinauf zum Col d’Agnel. Bosco, Antonio Olivers rechte Hand, ein kleiner, rundlicher Mann mit stumpfer Nase, machte keinen Hehl daraus, dass er auf Mario Prato eifersüchtig war. Auf dem Col d’Agnel legten sie sich in einer Bergwiese auf ihren Pferdedecken schlafen.
Bei Tagesanbruch machten sie sich auf den Weiterweg. Sie ritten zum Säumerhaus hinab. Antonio Oliver betrat die Schankstube. Tische und Stühle sowie der Ausschank waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Bosco wandte sich Mario zu. „Jüngelchen, suche einen Besen und wische den verfluchten Staub weg.“ Es tönte so, als wäre Mario für den Staub verantwortlich. Statt auf Bosco zu reagieren, wandte sich Mario Prato Antonio Oliver zu. „Antonio, neben dem Haus gibt es eine Pferdestallung und hinter dem Haus eine Weide. Sollten wir nicht zuerst die Pferde versorgen?“ Bosco fauchte ihn an: „Du willst dich vorm Staubwischen drücken. Aber nicht mit mir. Wir kümmern uns um die Pferde, und du machst in diesem Raum sauber.“ Antonio Oliver fuhr Bosco an: „Wieso tust du es nicht, Bosco?“ Boscos Gesicht nahm rote Farbe an. „Antonio, nur weil er uns das Zwischenlager verraten hat, musst du ihn nicht wie einen Fürsten behandeln.“ Antonio Oliver wandte sich an die Männer. „Wir bringen die Pferde auf die Weide. Danach entfernt ihr den Staub in dieser Schankstube. Sorgt für meins und Marios Pferd. Mario zeigt mir den Weg zum geheimen Lager. Ausräumen werden wir es bei der Abenddämmerung.“
Mario Prato hüpfte über ein kleines Bächlein, das am Säumerweg entlang verlief. Antonio Oliver folgte ihm. Mit langen Schritten liefen sie durch eine schöne Blumenwiese, an deren Ende sie den Wald erreichten. Mario wandte sich Antonio zu. „Auf der anderen Seite des Waldes gibt es den Felsen, von dem ich dir berichtet habe. Der Eingang zum Lager ist nicht sichtbar. Doch ich sehe ihn, sobald wir aus dem Wald kommen.“ Sie schlugen sich durch dichtes Unterholz ans Ende vom Wald. In dem Moment, wo sie den Wald verlassen wollten, sahen sie die Männer. Vier Männer mit Gewehren. In Antonio Oliver kam Wut auf. Er wandte sich Mario Prato zu. Seine flüsternde Stimme bebte. „Du Sohn einer Hure wolltest uns hereinlegen. Du wolltest uns Varini ausliefern.“ Mario Prato schüttelte energisch den Kopf. Antonio Oliver richtete den Revolver auf ihn. „Los, lauf. Eine falsche Bewegung, und ich knall dich ab.“ Mario fing an zu weinen. „Antonio, ich schwöre es. Ich weiß nicht, wieso die Männer da sind. Dir ist bekannt, dass Don Varinis Leute mich umbringen wollen.“ „Halt den Mund, du verfluchter Verräter.“ Als sie das Säumerhaus erreichten, rief Antonio Oliver seine Männer zusammen. Als Erstes gab er Bosco den Befehl, Mario zu fesseln. „Hört zu, dieser Bastard arbeitet für das Imperium. Beim Lager stehen vier Männer mit Schusswaffen. Er hat uns verraten. Sie erwarten uns, um uns wie Karnickel abzuknallen. Er wollte uns in eine Falle locken.“ Mario Prato schrie den Männern zu. „Ich habe nichts mit dem Imperium zu tun. Glaubt mir.“ Der kleine, rundliche Bosco zeigte auf Mario Prato. „Ich traute diesem Bastard von Anfang an nicht. Wir müssen für Don Varinis Imperium ein Zeichen setzen. Wir hängen ihn auf. Es gibt hinter dem Haus geeignete Bäume.“ Antonio Oliver nickte. „Bosco, tue, was zu tun ist. Bereite alles vor. Wenn es so weit ist, bin ich der, der den Vollzug übernimmt.“ Bosco knurrte: „Immer fällt das Vergnügen dir zu, Antonio. Du könntest mir auch einmal ein Vergnügen gönnen.“