Im Fahr - Susann Bosshard-Kälin - E-Book

Im Fahr E-Book

Susann Bosshard-Kälin

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Beschreibung

"Keine Kinder haben zu können, wog schwer", sagt Schwester Matthäa. Siebzehn Benediktinerinnen des Kloster Fahr erzählen aus ihrem Leben und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. So fordert Schwester Fidelis: "Es muss etwas geschehen in der katholischen Kirche." Die Frauen berichten über ihre Herkunft, ihre Entscheidung fürs Kloster, ihren Alltag im Rhythmus von Arbeit und Gebet und das Leben in einer Gemeinschaft, die man sich nicht ausgesucht hat. Entbehrungen, Enttäuschungen, aber auch Freuden kommen dabei zur Sprache. Die berührenden Porträts geben den Blick frei hinter die Klostermauern, in eine fremde, faszinierende Welt. Sie dokumentieren eine Lebensweise, wie sie in dieser Form vielleicht schon bald nicht mehr existieren wird. Der Fotograf Christoph Hammer begleitete die Frauen während eines Jahres. Seine Bilder vervollständigen die Porträts. Und ein Text der Historikerin Denise Schmid setzt das Kloster Fahr und seine Geschichte in einen grösseren Zusammenhang.

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Im Fahr

Die Klosterfrauen erzählen aus ihrem Leben

Susann Bosshard-KälinFotografien von Christoph Hammer

HIER UND JETZT

Vorwort

Die benediktinische Tagesordnung

Schwester Fidelis.

Die ehemalige Priorin und Leiterin der Klosterführungen

Josefine Schmid 1941

Schwester Beatrice.

Die Gemüsegärtnerin und Hirtin

Beatrix Agnes Beerli 1959

Schwester Marie-Theres.

Die Imkerin und Organistin

Theresia Gabriele Koch 1953

Schwester Matthäa.

Die Töpferin und Kunsthandwerkerin

Rita Maria Wismer 1965

Schwester Gabriela.

Die Schaffnerin, Malerin, Köchin

Zita Hedwig Balmer 1948

Schwester Martina.

Die Pförtnerin und Gästebetreuerin

Bernadette Meyer 1964

Schwester Veronika.

Die Krankenpflegerin und Kräuterfrau

Berta Marie Odermatt 1977

Schwester Raimunda.

Die Pförtnerin und Fachfrau Reinigung

Bernadette Maria Spuhler 1957

Schwester Petra.

Die Hauswirtschaftslehrerin und Näherin

Hedwig Lydia Müller 1953

Leben im Kloster Fahr – lange Tradition, langsamer Wandel

Schwester Franziska.

Die Schneiderin und Sakristanin

Hildegard Elisabeth Bernhardsgrütter 1943

Schwester Michaela.

Die Köchin und Sekretärin

Josefina Portmann 1956

Schwester Bernadette.

Die Weberin und Imkerin

Rita Lina Aloisia Meier 1955

Schwester Verena.

Die Chräpfli-Bäckerin und Kräutergärtnerin

Maria Anna Meyer 1959

Schwester Christa.

Die Blumengärtnerin und Floristin

Rita Paula Haslimann 1956

Schwester Andrea.

Die Subpriorin und Sterbebegleiterin

Verena Anna Felder 1956

Schwester Josefa.

Die Küchenchefin und Bäckerin

Agnes Spuhler 1950

Priorin Irene.

Die Chefin und ehemalige Leiterin der Bäuerinnenschule

Irene Gassmann 1972

Schwester Monika.

Die Allrounderin und Obstbäuerin

Johanna Louise Ulrich 1967

Schwester Ruth.

Die Pförtnerin und Verkäuferin

Ursula Ruth Tresch 1966

Schwester Daniela.

Die Näherin und stille Beterin

Johanna Margaretha Laube 1946

Nachwort

Anhang

Vorwort

«Alles wirkliche Leben ist Begegnung.»

Martin Buber

Im Februar 1983 gab die damalige → Priorin, Schwester Elisabeth Galliker, den Stichentscheid. Es ging um meine Aufnahme in die → Bäuerinnenschule im Kloster Fahr. Die Schulleiterin und weitere Schwestern im Lehrerinnenkollegium waren skeptisch, ja reagierten ablehnend auf meine Bewerbung. Sollte man der 29-Jährigen wirklich den letzten freien Platz für den Frühlingskurs geben? Der verheirateten Journalistin, die in der Stadt Zürich wohnte und nicht aus bäuerlichem Umfeld stammte? Eine solche Frau hatte man noch nie aufgenommen. Mein Profil entsprach überhaupt nicht dem Standard. Und so zweifelte man wohl, ob ich mich in den schulischen Alltag und die klösterliche Atmosphäre würde einfügen können.

Die Schwestern wagten es! Sie gaben mir damals eine Chance. Und noch heute, 35 Jahre später, bin ich ihnen sehr dankbar dafür. Ich wollte beruflich etwas anderes machen, weg von Schreibmaschine und Meetings. Im Kloster lernte ich Einmachen und das Anbauen von Gemüse nach Fruchtfolge, beschäftigte mich mit häuslicher Krankenpflege und Hühnerhaltung und erlebte kreative Stunden beim Töpfern und am Webstuhl. Es waren einzigartige zwanzig Schulwochen, in denen ich in eine völlig neue Welt eintauchte. Ich durfte bei den Fahrer Frauen fürs Leben lernen, genoss die unbeschwerte Zeit draussen vor der Stadt in vollen Zügen und erlebte die Schwestern als liebenswürdig und offen. Auch die Begegnungen mit den Mitschülerinnen aus den verschiedenen Ecken der Schweiz, mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen, waren sehr bereichernd. Wir lachten und lernten viel. Bäuerin bin ich zwar nicht geworden, sondern der schreibenden Zunft treu geblieben. Aber als Mutter, Hausfrau, Handwerkerin und Gärtnerin begleitet mich das Fahrer Wissen noch heute.

Vor einigen Jahren fragte ich Priorin Irene Gassmann, ob sie sich ein Buch mit Porträts der Schwestern vorstellen könnte – ein Buch, in dem diese offen über ihr Leben, ihren Alltag erzählen würden, ein Pionierprojekt in der katholischen Welt wohl auch. Die Priorin wusste von meinen Erfahrungen mit Oral History. In meine Buchprojekte waren immer Begegnungen mit Menschen eingeflossen: mit Schwyzer Frauen, mit Ausgewanderten, die westwärts nach Amerika gezogen waren, mit Diakonissen des Bethanien-Diakoniewerks oder mit Schweizer Bäuerinnen, die ich in «Beruf Bäuerin» porträtiert hatte.

Priorin Irene zögerte. Sie vertröstete mich, «später vielleicht», meinte sie. Noch standen die Sanierung und der Umbau der Klostergebäude an, die grosse Züglete des ganzen → Konvents in die Räumlichkeiten der Bäuerinnenschule und zurück ins Kloster. Für Interviews war da keine Zeit. Ich hatte mich zu gedulden. Ende 2016 legte ich Priorin Irene meine Idee erneut vor. Die Gemeinschaft war wenige Monate zuvor ins frisch renovierte Kloster zurückgekehrt, die Kisten waren ausgepackt. Das Klosterleben verlief wieder in ruhigen Bahnen.

Und nun stiess mein Vorschlag auf offene Ohren. Priorin Irene rief die Klosterfrauen in den Kapitelsaal, und die Schwestern beschlossen einstimmig, zum 888-Jahr-Jubiläum des Klosters Fahr im Jahr 2018 ein Porträtbuch mit Bildern über ihr Leben zu veröffentlichen. Und von vornherein stand fest: Mitmachen war freiwillig. Wer Lust dazu hatte, konnte sich in eine Liste einschreiben. Siebzehn von zwanzig Frauen willigten ein und starteten mit mir das Abenteuer. Den Entscheid dreier Schwestern, mit Bild, aber ohne Text im Buch zu erscheinen, respektiere ich voll und ganz. Er ist für mich Ausdruck der Emanzipation der Frauen im Fahr – jede entscheidet für sich selbst. Demut ja, aber der frühere unbedingte Gehorsam ist in den vergangenen Jahren einer moderneren, offeneren Form des Gemeinschaftslebens mit mehr Mitsprache gewichen.

Das Gemeinschaftliche hat im Kloster einen hohen Stellenwert, das Individuelle tritt eher in den Hintergrund. Das äussert sich beispielsweise in der schwarzen Ordenskleidung. Obwohl ich die Fahrer Frauen seit vielen Jahren immer wieder besuchte, mit dieser und jener Kontakt hatte, wusste ich eigentlich wenig von jeder einzelnen Schwester. Nun wollte ich sie näher kennenlernen. Es interessierte mich: Wer sind diese Frauen, die das Gelübde von → Stabilitas, Gehorsam und klösterlichem Lebenswandel für immer abgelegt hatten? Woher kommen sie und weshalb wählten sie diesen Weg? Was heisst Berufung? Wie gestaltet sich der praktische Alltag in der Gemeinschaft? Und wie sehen die Frauen ihre Zukunft?

Von Mai bis Dezember 2017 lebte ich immer wieder drei Tage am Stück im Kloster. So konnte ich mich konzentriert den Gesprächen widmen. Für jede Schwester standen eineinhalb Tage, jeweils während ihrer Arbeitszeiten, zur Verfügung – die Organisation klappte von A bis Z. Ich bewohnte ein geräumiges Zimmer in der → Propstei. Was für ein Geschenk, wieder ins Klosterleben einzutauchen, so wie ich es vor 34 Jahren erlebt hatte! Dabei durfte ich den Geist des Fahrs wieder in mich aufnehmen und auch die verschiedenen Jahreszeiten in der ruhigen Oase im lauten Limmattal geniessen. Morgens sah ich hinaus auf den Propsteigarten: frisch angepflanzt im Frühling, wuchtig ausladend und farbenprächtig im Sommer, abgeräumt Ende Oktober. Ich erlebte das Kloster bei Wind und Wetter. Und so viel Vogelgezwitscher wie im Fahr gibts kaum anderswo!

Wie Jahrzehnte zuvor beeindruckten mich die Atmosphäre von Ruhe, konzentrierter Achtsamkeit und rhythmisiertem Alltag, die Gastfreundschaft und die Offenheit. Ich fühlte mich sehr wohl, und die Begegnungen waren berührend, lebendig, ja freundschaftlich. Im Laufe der Monate durfte ich in über 120 Gesprächsstunden den Fahrer Frauen zuhören und dabei unglaublich viel erfahren. Vieles davon floss in die Geschichten ein, einiges ist nur zwischen den Zeilen lesbar. Jede der 17 porträtierten Frauen schenkte mir ihr volles Vertrauen. Das war nicht selbstverständlich, ich schätzte es sehr. Für die meisten war es wohl das allererste Mal in ihrem Leben, dass sie so viel über sich erzählten, dass sie überhaupt so viel sprachen.

Das Schreiben dieses Buchs war für mich ein besonderes Privileg. Danke für eure Offenheit, liebe Schwestern im Fahr, danke für euer Lachen und Weinen, vergelts Gott. Ihr habt mir unglaublich viel Persönliches anvertraut, nicht zuletzt auch eure Gottesbeziehung. Und wenn der Text mal geschrieben war, habt ihr kaum etwas korrigiert. Es durfte sich ein Buch entwickeln, in dem ihr offen aus eurem Leben erzählt, vom Schönen und vom Schweren. Ihr habt kein Blatt vor den Mund genommen, und so kann man hier kritische Dinge lesen, die man von Klosterfrauen nicht unbedingt in dieser Offenheit erwarten würde. Priorin Irene las alle Texte, «Zensur von oben» gab es nicht. Im Gegenteil, gelegentlich ermutigte sie eine von euch sogar dazu, Passagen im Text zu belassen, die euch schwarz auf weiss auf einmal zu gewagt erschienen! So konnte das Buch entstehen, das ich mir erhofft hatte.

Diese Geschichten sollen die Einzigartigkeit eures Frauenlebens in unserer Gesellschaft bezeugen und Verständnis wecken für eine Welt, die ausserhalb der Klostermauern kaum jemand kennt. Ich wünsche euch und mir, dass die Porträts und Bilder bei vielen Menschen ankommen und in ihnen etwas bewegen.

Die benediktinische Tagesordnung

Benedikt hat den klösterlichen Alltag klar strukturiert. Gebetszeiten und Lesung wechseln sich im Fahr mit Zeiten der Arbeit und Erholung ab. Das schafft einen wohltuenden Rhythmus. Eine gute und gesunde Tagesordnung trägt wesentlich dazu bei, dass auch die Seele zur Ruhe kommen kann.

Die benediktinische Einteilung des Tages entspricht dem natürlichen Rhythmus des Menschen. So sind etwa die frühen Morgenstunden von jeher die geeignete Zeit für das Gebet und die Meditation. Die Arbeitseinheiten während des Tages sind nie zu lang, und wenn der Abend beginnt und die Nacht hereinbricht, sind die Schwestern wieder bereit für das Gebet.

4.50 UhrAufstehen

13.30 UhrArbeiten

5.20 UhrVigil (Nachtwache)

15 UhrGemeinsamer Kaffee

6 UhrFrühstück/Betrachtung

15.15 UhrLectio divina – Lesung/Betrachtung

7 UhrLaudes (Morgenlob)

15.45 UhrArbeiten

7.30 UhrEucharistiefeier (Di, Do, Sa) Lectio divina/Betrachtung (Mo, Mi, Fr)

17.45 UhrVesper (Abendlob)

8.30 UhrTerz

18.15 UhrNachtessen

9 UhrArbeiten

19 UhrRekreation (gemeinsame Erholung)

11 UhrSext/Non (Mittagsgebet, Mo, Mi und Fr mit Kommunionfeier)

19.45 UhrKomplet (Nachtgebet)

11.30 UhrMittagessen, danach Mittagspause

Sonn- und Feiertage

An Sonn- und Feiertagen ist die Tagesordnung leicht anders. So wird z. B. die Vigil am Vorabend gesungen, sodass am Morgen erst mit der Laudes um 7 Uhr begonnen wird. Eucharistiefeier und Vesper sind so angesetzt, dass es gut möglich ist, das Fahr zu besuchen.

Schwester Fidelis

«Es muss etwas geschehen in der katholischen Kirche. Die Männer fürchten grosse Veränderungen.»

geboren am 27. August 1933 als Josefine – genannt Josy – Schmid aus Schüpfheim (LU)

In der Paramentenwerkstatt werden die Schnitte, Formen und Farben der für die Liturgie verwendeten Textilien kreiert und die Stoffe genäht. Schwester Fidelis leitete während Jahren diese klösterliche Werkstatt.

Wenn die schwedische Prinzessin eine neue Zahnspange trägt, wird in den Medien darüber berichtet. Wir Schwestern im Kloster bieten keine Schlagzeilen. Ob wir deshalb noch ein Stück weit sagenumwoben, geheimnisvoll sind?

Es war nicht a priori mein Wunsch, mein Leben öffentlich auszubreiten, es gedruckt und gelesen zu wissen. Aber ich finde, wenn wir als Gemeinschaft Ja sagen zu einem solchen Buchprojekt, dann bin ich dabei. Wir öffnen ein Türchen in eine unbekannte Welt, damit die Menschen draussen verstehen, warum wir so leben, wie wir leben.

So verstehe ich übrigens auch meine jährlich rund 130 Klosterführungen; seit fünfzig Jahren zeige ich Vereinsgruppen, Schulklassen und Geschäftsleuten unsere Anlage. Es geht nicht darum, uns Ordensfrauen dabei in den Vordergrund zu stellen. Wir bezeugen vielmehr, dass jemand für Gott da ist – freudvoll. Es ranken sich viele Vorurteile ums Klosterleben. Das kann ich gut verstehen. Die Leute fragen mich etwa, wie wir so leben können. «Sie sind bestimmt in einer grossen Familie aufgewachsen, da mussten ein oder zwei Kinder ins Kloster!», sagen sie. Nein, ich musste nicht. Das habe ich aus freien Stücken entschieden. Schon als neunjähriges Mädchen.

Ich hiess Josy Schmid und bin ein Sonntagskind. Auf die Welt kam ich am 27. August 1933 in Schüpfheim im Entlebuch. Meine Mutter emdete mit den Angestellten bis kurz vor der Niederkunft daheim auf dem Hof, denn Vater war mit den drei älteren Geschwistern auf der Alp. Sie gebar in elf Jahren neun Kinder. Sie und mein Vater hatten mit der grossen Familie einen aufwendigen, etwas komplizierten Bauernbetrieb zu meistern. Das prägte uns. In Schüpfheim bewirtschafteten sie einen kleinen Hof, daneben eine Pacht und dazu eine grosse Alp auf dem Sörenberg. Im Winter lebten wir im Tal, im Sommer auf der Alp. Das Alpleben war einzigartig – natürlich gabs viel Arbeit für uns alle. Wir sammelten Heidelbeeren, halfen beim Heuen, zettelten den Mist und jäteten im grossen Garten. Vater machte Alpbutter und Alpkäse, und es waren zweimal täglich rund vierzig Kühe zu melken. Am Familientisch assen wir zusammen mit der Hausangestellten und den drei Knechten natürlich Käse. Teigwaren mit Käse, Kartoffeln mit Käse. Und Gemüse aus dem eigenen Garten – währschafte, einfache Kost und wenig Fleisch. Wir hatten alles, was wir uns wünschten. Eine gute Grundlage fürs Leben.

Meine Kindheit war wunderschön, zu Hause herrschte ein offener und freier Geist. Es gab immer Leute um uns herum, Angestellte, Gäste und eine grosse Verwandtschaft, die zu Besuch kam. Den Kindergarten besuchte ich nicht. Wir wohnten in Schüpfheim, zwanzig Minuten vom Dorf entfernt, das war für die Kleinen zu weit. In die Schule musste ich dann aber, ob es mir passte oder nicht, zuerst zu Fuss, später mit dem Velo. Von Mai bis Oktober lebten wir oben auf der Alp und waren in den ersten fünf Schuljahren während dieser Monate vom Unterricht dispensiert. Im Herbst hatten wir vom Schulstoff meist viel vergessen. Die Lehrer drückten beide Augen zu. Dafür seien wir so frisch, war ihr Kommentar. Und bis Weihnachten holten wir dann alles wieder auf.

In meiner Freizeit war ich eher eine Stubenhockerin, nähte Puppenkleider, strickte und las, was mir in die Hände kam; auch jene Bücher, die meine Brüder in der Dorfbibliothek ausgeliehen hatten. Die Religion hatte einen ungezwungenen Platz in unserer Familie. Ich erlebte sie nie als aufgesetzt oder fordernd. Vater lebte einen tiefen Glauben, ohne viele Worte darüber zu verlieren. Wir beteten bei Tisch und jeden Abend den Rosenkranz. Das gehörte einfach dazu. Und so versprach ich dem Herrgott am Weissen Sonntag, an meiner ersten heiligen Kommunion, für später mein Leben. Natürlich sagte ich es niemandem und vergass es wieder.

Nach der Sekundarschule blieb ich zu Hause. Meine Eltern konnten mich überall gut brauchen. Später lernte ich einen Winter lang in Freiburg Französisch und arbeitete bei einer Tierarztfamilie in Luzern. Die Sommer verbrachte ich natürlich immer auf der Alp. An eine Berufslehre dachte ich nicht. Später bereute ich, nicht auf Mutter gehört zu haben, die mir eine Ausbildung zur Handarbeitsoder Hauswirtschaftslehrerin empfohlen hatte. Lieber wollte ich eine Bäuerinnenschule besuchen. Die Schulen in Willisau und Sursee lagen zu nahe – das Kloster Fahr aber schien mir ein besonderer Ort zu sein, auch weil eine Kollegin davon schwärmte. Ich erhielt einen Ausbildungsplatz für den Winterkurs 1956/57. Zwar war ich etwas vorlaut, vielleicht weil ich schon einige Erfahrung im Haushalt mitbrachte, aber meine Klassenkolleginnen verziehen es mir. Ich lernte neuzeitlich kochen und vieles mehr. Zu jener Zeit hatte ich einen Freund, einen Bauernsohn. Mit ihm hätte ich mir eine gemeinsame Zukunft und eine kinderreiche Familie vorstellen können.

Aber während der Ausbildung ging mir der Gedanke immer wieder durch den Kopf, im Kloster Fahr zu bleiben. Bis zum Schulende konkretisierte sich der Wunsch. Wie das? Es passierte einfach, ich kanns heute noch nicht anders sagen. Es war eine Erwählung von Gott, eine Berufung. Natürlich bedeutete das auch den Verzicht auf eine eigene Familie. Ich habe keine Kinder, aber die Familie wächst trotzdem weiter, mit zwanzig Nichten und Neffen, dreissig Grossnichten und Grossneffen und sogar Urgrossnichten und -neffen. Zwei meiner Geschwister sind nicht verheiratet – ein Bruder ist Pfarrer und eine Schwester war jahrzehntelang Missionarin in Mali, Westafrika.

Die definitive Entscheidung für das Kloster wäre mir, ehrlich gesagt, leichter gefallen, hätte ich keinen Freund gehabt. Er reagierte jedoch verständnisvoll, vielleicht auch, weil eine seiner Schwestern vor mir in ein Kloster eingetreten war. Eine andere Schwester sagte zu ihm: «Du wirst sehen, sie kommt nach der Schule heim, fährt wieder zur Alp, und weg ist der Klosterwunsch!»

Dem war nicht so. Am 20. Oktober 1957, ein halbes Jahr nach Schulende, trat ich als Kandidatin ins Kloster Fahr ein. Ich wusste einfach, ich gehöre dorthin. So ists doch auch in der Liebe zu einem Partner, oder nicht? Man spürt, es ist das Richtige.

Ich sprang ins kalte Wasser, ohne Vorstellungen. An eine fünfjährige Probezeit dachte ich nicht. Ich ging ins Kloster, um zu bleiben!

Natürlich erlebte ich stürmische Zeiten, vor allem am Anfang. Wenn mir etwas nicht passte, so sagte ich es. Das kam bei den → Oberen nicht eben gut an und trug mir einige Rüffel ein. In Holzlatschen statt Schuhen mit Gummisohlen den Gang zu fegen, das fand ich so was von unpraktisch. Und eine Aufgabe zu einem unpassenden Zeitpunkt zu erledigen, auch wenn danach noch Zeit dafür war – ich sah das nicht ein. Später nahmen die Verweise dann plötzlich ab. Ob ich mit meinen Einwänden sogar recht hatte?

Die Tagwacht um halb fünf Uhr machte mir zu schaffen. Wie ein Fest kam es mir vor, wenn wir am Sonntag erst um halb sechs Uhr geweckt wurden. Ich gewöhnte mich an den regelmässigen Wechsel von Arbeit, Gebet und Erholung – und heute schätze ich ihn. Wir arbeiten nie mehr als zwei Stunden am Stück, beten aber auch nicht während Stunden ohne Unterbruch. Der Rhythmus schont die Kräfte. Von allem etwas, aber von nichts zu viel.

An meiner Einfachen → Profess am 28. Juli 1959 bekam ich den Namen Fidelis. Ich hatte mir verschiedene Namen vorgestellt, Priska, Katharina oder Adelheid. Priska sei ein Modename, und Katharina und Adelheid – na ja! Die frühere Schwester Fidelis, 1943 gestorben, sei eine Fröhliche gewesen und gläubig. Weshalb also nicht wieder eine Schwester Fidelis?

Die Freiheit, meine geistige Freiheit, gab ich im Kloster nie auf. Ich blieb mir selbst treu, vielleicht zu sehr, denke ich manchmal. Ich liess mir nichts aufzwingen, so will ich es formulieren. Geschieht etwas, was ich annehmen muss, dann tue ich es und habe damit keine Schwierigkeiten. Mit Veränderungen in unserem Alltag habe ich manchmal Mühe und denke, ich hätte vielleicht anders entschieden. Aber ich muss es ja nicht verantworten. Das gibt Freiheit. So gesehen bin ich verwöhnt. Äusserliche Freiheiten bedeuteten mir nie viel. Ich musste schon daheim gehorchen und auf andere Rücksicht nehmen. Und ich erfahre ja auch Freiheiten seit ein paar Jahren. Wir können jedes Jahr zwei Wochen in die Ferien fahren, dürfen den Termin, den Ort und die Begleitung auswählen und erhalten hundert Franken Feriengeld zur Pension dazu.

An meinem 29. Geburtstag, am 27. August 1962, wurde ich für immer in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich war angekommen!

Die Glaubenszweifel kamen erst später. Ich kann mir das gut erklären. Erst wenn man so intensiv im Glauben lebt, wenn man Zeit findet, sich darüber Gedanken zu machen, kommen sie. Ich empfand sie aber nie als negativ, im Gegenteil. Vor meinem Klostereintritt hatte ich wohl eher einen Kinderglauben, eingeimpft mit der Erziehung. Es waren nicht Zweifel an der Berufung für das Kloster, sondern am Glauben selbst. Ich fragte mich ernsthaft: Gibt es Gott überhaupt? Durch diesen Prozess muss vermutlich jede Klosterfrau gehen. Ich versuchte, möglichst wenig darüber zu reden, ab und zu die Augen zu schliessen und zu hoffen, es komme wieder besser. Diese Phasen erlebte ich immer mal wieder. Erst jetzt im Alter sind sie weniger geworden. Nach jedem dieser «Abstürze», am Tiefpunkt, konnte in mir drin wieder etwas wachsen. Ich denke, ohne dieses Ringen wäre mein Glaube an der Oberfläche geblieben. Verdrängung und Resignation scheinen mir schlimmer zu sein. Glaube bedeutet für mich zu wissen, dass ich von Gott geliebt bin.

Während vieler Jahre arbeitete ich im Klosteratelier, wo kirchliche Textilien für Pfarreien, die → Paramente, gefertigt werden. Neben dem Weben von Stoffen in Seide, Wolle und Leinen gehörte das Zuschneiden und Nähen von Gewändern dazu. 1966 wurde es fast von einem Tag auf den anderen sehr streng. Schwester Paula, die die Paramentenwerkstatt aufgebaut und jahrelang geleitet hatte, trat aus dem Kloster aus. Wir übrig gebliebene Schwestern hatten zu schauen, dass der Betrieb weiterlief. Unverhofft übergab man mir immer mehr Leitungsaufgaben. Ich wurde verantwortlich für den Materialeinkauf, die Verkaufsstrategie, die Verhandlungen mit den Pfarrherren. Waren das Lektionen für später?

Im April 1988 starb die langjährige Vorsteherin unserer Gemeinschaft, Schwester Raphaela Rast, im Alter von nur 61 Jahren. Ein Schock für uns alle. Ich war mittlerweile 55 Jahre alt. Und ich erinnerte mich, wie ich vor der Einfachen Profess verkündet hatte, nur ins Kloster eintreten zu wollen, wenn ich nie Priorin werden müsse.

Gehorsam hat Priorität! Die geheime Wahl fiel auf mich. Ich wurde Priorin des Klosters Fahr. Tags zuvor war ich noch eine der dreissig Schwestern, und plötzlich trug ich als deren Vorsteherin eine grosse Verantwortung, ohne Vorbereitung und Ausbildung. Das ist im Kloster so. Aber auch damals erlebte ich, wie so oft, eine Kraft, die mir geschenkt wurde. Ich blieb erstaunlich ruhig.

Nun kamen alle Anliegen von aussen an mich heran, auch die Fragen der Schwestern. Es galt etwa, Arbeitseinsätze neu zu regeln, wenn jemand ausfiel. Vieles läuft im Priorat zusammen, die ganze Organisation des Klosteralltags. Und bei Problemen mit Angestellten oder in der Schwesterngemeinschaft war ich natürlich die Anlaufstelle. Ich darf sagen, dass ich immer viel Hilfe von meinen Mitschwestern erfuhr. Aber die Verantwortung lag letztendlich bei mir.

Der Stress kam dann später, als junge Frauen im → Noviziat grosse Schwierigkeiten hatten und ich als Vermittlerin und Verantwortliche gegen innen und aussen nach Lösungen suchen und Kompromisse finden musste. Das war eine belastende Situation, die mich viel Energie kostete. Da waren zwei intelligente Frauen, die sich nicht in unsere Gemeinschaft einfügen konnten. Eine musste ich schliesslich wegschicken, der anderen gaben wir eine zweite Chance. Aber schliesslich trat auch sie aus. In dieser Angelegenheit hatte ich von der Gemeinschaft wenig Rückhalt, was meine Entscheidungen betraf. Das konnte ich auch nicht erwarten, hatten die Schwestern doch kaum Hintergrundinformationen. Die Geschehnisse zehrten an meiner Gesundheit. Die Belastung wurde so gross, dass eine aggressive und sehr schmerzhafte Polyarthritis ausbrach. Sie hatte wohl in mir geschlummert. Ich litt. Nur dank starker Spritzen, die gut wirkten, und Medikamenten, die ich vertrug und heute noch wöchentlich zu mir nehme, bin ich schmerzfrei. Gott sei Dank!

Vieles bleibt in Erinnerung von meinen 15 Jahren als Priorin, zum Beispiel der Brand unserer Scheune 1989. Ein Pyromane hatte in der frühen Morgenstunde des 3. April im Stall Feuer gelegt. Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder. Glücklicherweise kamen weder Mensch noch Tier zu Schaden. Danach gab es unendlich viel zu tun. Für die Ökonomieverwaltung war damals noch der → Propst zuständig. Das hatte sehr viele Vor-, aber auch Nachteile. So konnte ich als Priorin nicht mitentscheiden und eingreifen, als kein moderner Laufstall erstellt, sondern die neue Scheune samt Miststock an gleicher Stelle, viel zu nahe beim Restaurant, aufgebaut wurde. Einfältige Entscheide, meiner Meinung nach!

Die Kirchenrenovierung und der Einbau eines Lifts im Kloster erfolgten ebenfalls während meiner Amtszeit. Schwester Irene war damals Leiterin der Bäuerinnenschule und für mich eine wertvolle Stütze. Ich war dankbar, mit dem Schulbetrieb wenig zu tun zu haben. Grosse Erfolge konnte ich während meiner Amtszeit nicht vorweisen. Ich leitete die Gemeinschaft, so gut ich es konnte. Und ich spürte: Ich muss diese Aufgabe nicht allein tragen, die Gemeinschaft steht hinter mir, und Gott trägt mich. Natürlich sind Fehler geschehen, aber ich glaube, keine gravierenden.

Mit dem Einsiedler Abt kam ich gut aus. Er mischte sich in all den Jahren nie ein, beriet mich aber klug, wenn ich ihn fragte. In einer Abstimmung in den Siebzigerjahren hatten wir übrigens die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir uns vom Kloster Einsiedeln trennen wollten. Das Resultat war ein Nein. Ich bin froh darüber. Wir sind doch seit Jahrhunderten mit Einsiedeln verbunden. Ohne den Rückhalt der dortigen Mönchsgemeinschaft über all die Zeit würden wir heute wohl kaum mehr existieren. Nach der Reformation und dann nach der Klosteraufhebung hätten wir ohne die Unterstützung Einsiedelns nicht neu anfangen können. Es galt allerdings immer wieder Wege zu finden, sich zu verstehen. Und als Fahrer Klostergemeinschaft ein Stück weit unabhängig zu bleiben.

Und heute: Es muss etwas geschehen in der katholischen Kirche. Die Männer fürchten grosse Veränderungen, die auch Unsicherheiten mit sich bringen würden. Der Vatikan ist das Problem – und seine verhärteten Strukturen. Sind in Rom weiterhin Leute, die man andernorts nicht brauchen kann, kommt kein Leben in einen Veränderungsprozess.

Das Thema der Frauen in der Kirche bewegt mich. Die Männer hocken auf ihren Privilegien. Einige sehen, dass man Lösungen finden muss, andere pochen – bewusst oder unbewusst – auf ihre vermeintlichen Rechte. Sie meinen, sie allein seien Kirche, und die Frauen dürften mitlaufen. Die Kirche würde anders aussehen, hätten Frauen gleich viel Macht und Möglichkeiten. Die Seelsorge, die Liturgie wären anders, die Mitmenschlichkeit auch. Die Männer denken, die Macht gehöre ihnen. Das war aber nicht immer so. In den ersten Jahrhunderten des Christentums hatten die Frauen durchaus ihren Platz. Man müsste zu den Wurzeln der Urkirche zurück. Waren nicht die Frauen bei Jesus am Kreuz, waren nicht sie die Ersten an seinem leeren Grab?

Seit 14 Jahren bin ich wieder Schwester Fidelis und nicht mehr die Mutter Priorin. Ich durfte mein Amt abgeben. Obwohl ich noch für sechs weitere Jahre gewählt war. Ich bat den damaligen Abt kurz vor meinem siebzigsten Geburtstag, zurücktreten zu dürfen. Er lehnte ab. Erst sein Nachfolger, Abt Martin Werlen, gewährte mir den Rücktritt glücklicherweise nach drei Jahren.

Am 6. Juni 2003 wurde Priorin Irene Gassmann zur neuen Priorin gewählt. Aber erst im September trat sie ihre neue Funktion an. Als Leiterin der Bäuerinnenschule wollte sie den laufenden Ausbildungsgang zu Ende begleiten. Das kam uns beiden zugute, hatten wir doch Zeit, die Amtsübergabe in Ruhe zu planen, zu besprechen und zu organisieren.

Ins Glied zurückzutreten, fiel mir nicht schwer. Im Gegenteil, es war sehr entlastend, die Verantwortung in andere, jüngere Hände abgeben zu dürfen. Natürlich ist es ein grosser Unterschied, ob jemand abgesetzt beziehungsweise nicht mehr gewählt wird oder ob man freiwillig abgeben darf. Seither halte ich mich bewusst zurück, mische mich fast nie ein. Ich schätze sehr, wie Priorin Irene unsere Gemeinschaft führt.

Ich weiss nicht, wohin wir als Gemeinschaft gehen werden. Aber wir haben nicht das Recht aufzuhören, zu resignieren. Auf keinen Fall. Aus der Tradition heraus haben wir eine Verpflichtung. Es ist bedeutend für die Stadt Zürich und das Limmattal, dass hier seit Jahrhunderten ein katholisches Kloster steht, wo Frauen leben, die an Gott glauben und die beten. Einen solchen Ort muss es auch in Zukunft geben. Das weiss der Herrgott. Wir renovieren doch nicht, damit wir ein Altersheim werden! Etwas wird passieren. Ich glaube, wir müssen das einfach gelassener sehen.

Eintritt ins Kloster Fahr: 20. Oktober 1957

Einfache Profess: 28. Juli 1959

Feierliche Profess: 27. August 1962

Schwester Beatrice

«Wer wird einmal das Kloster übernehmen? Den Ruf des Herrn hören nur wenige in dieser lauten Welt.»

geboren am 17. Dezember 1947 als Beatrix Agnes Beerli aus Steckborn (TG)

Das Klosterareal mit den grossen Gärten ist weitläufig. So ist Schwester Beatrice oft mit dem Fahrrad unterwegs. Sie sorgt für die kleine Schafherde.

Bei der Weinlese und im Klostergarten vor der Pforte. Hier hat sie die Schülerinnen der Bäuerinnenschule in Gartenpflege ausgebildet. Sie kennt sich hervorragend aus mit Heilkräutern, Gemüse und Blumen.

Der Garten ist mein Paradies. Da spüre ich Luft, Atem und Wind – Zeichen des Heiligen Geists. Der ist mir seit 48 Jahren ein wichtiger Begleiter im Klosterleben. Wo ist er, frage ich mich, wenn es stürmt und ich im Propsteigarten den Boden lockere?

Zusammen mit Schwester Christa bin ich für unsere Klostergärten verantwortlich. Schwester Christa besorgt die Blumen, ich vor allem das Gemüse. Wir sind beide siebzig, nicht mehr die Jüngsten. Glücklicherweise packt Schwester Monika mit an, und dazu immer wieder Frauen von aussen, die tage- oder auch wochenweise Praktika bei uns im Garten und in den Reben machen. Diese externe Hilfe ist grossartig. Dennoch plagt mich ab und zu der Gedanke: Wer übernimmt, wenn wir nicht mehr können? Unsere Gärten sind seit Jahrhunderten wichtiger Bestandteil des Klosters, sie haben auch schon Anerkennungspreise erhalten. Aber sie sind aufwendig zu pflegen. Ich überlege mir, was ich tun werde, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Garten sein kann. Im Haus wäre es mir vermutlich langweilig und in der Küche zu streng. Dann verscheuche ich diese pessimistischen Gedanken schnell wieder und erfreue mich am Jetzt. Der Garten ist Medizin für mich. Ich habe grosse Freiheiten, niemand sagt mir: Das darfst du oder das darfst du nicht. Hier kann ich arbeiten, beten und meditieren.

Ich bin jeden Tag draussen. Auch im Winter, wegen des Nüsslisalats im Tunnel und meiner neun Schafe. Nie hätte ich es mir erträumt, mal Schafe zu pflegen – als Klosterfrau! Wir brauchten «biologische Rasenmäher», da der Garten mit fünfzig Aren zu gross wurde. Wo früher Stangenbohnen, Zwiebeln und Kohl in grossen Mengen wuchsen, säten wir Wiese. Dort weiden nun seit 1998 Schafe. Mir wurden sie anvertraut. Heute habe ich eine kleine Herde. Sie sind meine Freundinnen. Wenn ich «Lump!» rufe, strecken alle neun Tiere ihren Kopf, kommen zu mir und wollen gestreichelt werden. Im Sommer leben sie im Freilaufstall im Garten. Wenn ich abends den Zaun kontrolliere, spazieren sie mit. Sie wissen, ich habe immer ein Stückchen Brot im Sack oder einen Apfel. Solange der Wolf nicht kommt, bin ich zufrieden. Im Winter sind meine Tiere im Klosterstall, neben den Kühen, Säuen und Kaninchen. Bei gutem Wetter dürfen sie auf die Wiesen rund ums Kloster. Tiere gehören einfach ins Fahr, und die kleinen und grossen Besucher haben grosse Freude an ihnen. Das höre ich immer wieder.

Mein Gartenjahr hat über 300 Tage. Im Dezember und Januar ists etwas ruhiger, dann habe ich Zeit für die Sommerplanung und Samenbestellungen. Aber ab Februar geht es im Treibhaus schon wieder los mit Aussäen und Setzen. Dabei richte ich mich nach den Mondphasen, und selbstverständlich kombiniere ich nützliche Mikroorganismen. Wir gärtnern biologisch und in Mischkulturen. Die Beeren, Salate, Gemüse und auch die Kräuter sind fürs Restaurant und für uns. Den Blumenkohl setze ich im Propsteigarten zwischen Ringel- und Sonnenblumen sowie Salvia. Bohnen, Sellerie und Randen wachsen nebeneinander, ebenso Karotten, Zwiebeln und Lauch. Es darf im Beet ungeniert turbulent und bunt sein, Wirrwarr tut den Pflanzen gut. Gegen vieles ist ein Kraut gewachsen, davon bin ich überzeugt. Mein liebstes ist Rosmarin. Auf der grossen Kräuterspirale wachsen ausserdem Dill, Minze, Liebstöckel, Fenchel, Malve, Petersilie, Schnittlauch, Eisenkraut, Kapuziner und Ringelblumen, Thymian und Majoran, ungefähr zwanzig verschiedene Kräuter. Von Mai bis Oktober biete ich Gartenführungen für Interessierte an. «Hereinspaziert in den Fahrer Klostergarten», heisst es dann, und es darf an den Pflanzen gerochen oder ein Kraut probiert werden. Die Leute mögen diese begleiteten Führungen und lassen sich inspirieren. Das Tor zum Propsteigarten steht immer offen. Das ist mir wichtig. Menschen sollen dort Kraft schöpfen dürfen. Ist es nicht eine Armut, wenn Eltern mit ihren Kindern nur noch im Grossverteiler einkaufen und die Kleinen keine Ahnung mehr haben, wie und wo etwas wächst?

Mein Klosteralltag ist dicht und vielfältig. Ich stehe um fünf Uhr auf. Zwanzig Minuten später bete und singe ich mit der Gemeinschaft das erste → Chorgebet in der Klosterkirche. Der Rhythmus von Arbeit und Gebet – Ora et labora – gefällt mir, und er hält mich gesund. Mit dem Älterwerden schätze ich diesen Rhythmus immer mehr. Ich bin ja in erster Linie Benediktinerin und nicht Klostergärtnerin.

Die Arbeitszeiten sind jeweils kurz, ich muss speditiv sein und gut planen. Vier-, fünfmal täglich von draussen ins Kloster und zurück, nicht selten verschwitzt, regennass und dreckig, dann Händewaschen und Tenuewechsel – das ist nicht ohne! Aber ich habe gelernt, fix und flexibel zu sein. Neben dem Klosteralltag gibt mir die Natur den Fahrplan vor, und ich muss mich nach ihr richten. Wenn für den nächsten Tag Regen angesagt ist, gilts noch, vorher den Boden zu lockern. Wenn Setzlinge pikiert werden müssen, dann kann man damit nicht ewig warten, und bei Sommerhitze muss entsprechend oft und gezielt gewässert werden. Um Viertel vor neun Uhr bin ich im Garten, und schon zwei Stunden später heisst es, alles Werkzeug aus der Hand legen, husch, husch, Hände waschen und umziehen fürs Mittagsgebet und das Mittagessen, hopp! Meist bin ich nach ein Uhr wieder draussen, bis kurz vor drei. Und nach dem Zvieri und der geistlichen Lesung ab vier bis zur → Vesper um Viertel vor sechs. Nach der → Komplet um acht gehe ich oft ein letztes Mal in den Garten und schaue zu den Schafen. Wir Schwestern sind wohl alle fleissig und können die Ärmel hochkrempeln – damals wie heute. Wir kommen aus ähnlichen familiären Verhältnissen und sind das Werken gewohnt. Arbeit ist doch auch eine Art Gottesdienst, nicht?

Ich mag es, Neues auszuprobieren. So ging ich auf eine Anfrage ein und betreibe nun in Uitikon zweimal im Jahr einen kleinen Marktstand. Dort verkaufe ich im Frühling meine Setzlinge und eigens gemachtes Kräutersalz, im Herbst Gemüse und meine Wallwurzsalbe. Die Döschen sind jeweils im Nu weg.

Mir ist nie etwas zu viel. Diese Haltung lernte ich schon daheim. Wir waren eine fleissige und sozial denkende Familie, hatten immer ein offenes Haus und oft Gäste mit am Tisch. Am 17. Dezember 1947 kam ich in Hörhausen, auf dem Seerücken im Thurgau, zur Welt. Ich bin das vierte von sechs Kindern. Mit drei Brüdern und zwei Schwestern bin ich aufgewachsen. Ein Bruder starb mit zweieinhalb Jahren. Meine Eltern bewirtschafteten einen grossen und gepflegten Hof. Ich half Vater viel, war ein gesundes, kräftiges Kind und am liebsten draussen. Früh lernte ich melken, die Pferde führen und die Landmaschine, den Rapid, fahren. Ich mochte alles – ausser Stricken. Meine Mutter bedauerte das, sie schämte sich wohl für mich, wenn sie als Schulpflegerin meinen Handarbeitsunterricht besuchte und sah, wie ich mich mit einer halb fertigen Socke herumquälte!