Im Garten meiner Liebe - Katie Fforde - E-Book

Im Garten meiner Liebe E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Seit Altheas Trennung von ihrem Ehemann sind ihre drei Kinder und ein prachtvoller Garten Mittelpunkt ihres Lebens. Das ändert sich schlagartig, als der attraktive Architekt Patrick Donahugh die alte Villa auf dem Nachbargrundstück kauft, um dort mit seiner jungen Geliebten einzuziehen. Denn Patrick hält so manche Überraschung bereit, die Altheas wohlgeordneten Alltag gehörig durcheinanderbringt ...

Heiter, humorvoll und mit viel Gefühl - eine moderne Liebesgeschichte von Bestsellerautorin Katie Fforde.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 566

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungDanksagungenKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28

Über das Buch

Seit Altheas Trennung von ihrem Ehemann sind ihre drei Kinder und ein prachtvoller Garten Mittelpunkt ihres Lebens. Das ändert sich schlagartig, als der attraktive Architekt Patrick Donahugh die alte Villa auf dem Nachbargrundstück kauft, um dort mit seiner jungen Geliebten einzuziehen. Denn Patrick hält so manche Überraschung bereit, die Altheas wohlgeordneten Alltag gehörig durcheinanderbringt …

Über die Autorin

Katie Fforde hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, die in Großbritannien allesamt Bestseller waren. Ihre romantischen Beziehungsgeschichten werden erfolgreich für die ZDF-Sonntagsserie »Herzkino« verfilmt. Katie Fforde lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England.

Offizielle Website: http://www.katiefforde.com/

Katie Fforde

Im Gartenmeiner Liebe

Aus dem Englischen von Ingrid Krane-Müschen

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Titel der englischen Originalausgabe: »WILD DESIGNS«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1999 by Katie Fforde

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2010/2015/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Susan Fox | nagib

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-4813-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meine Kinder, die selbstverständlich keinerlei

Ähnlichkeit mit den Figuren dieses Buches haben.

Danksagungen

Mein Dank gilt Jane Fearnley-Whittingstall, die mich unwissentlich auf die Idee brachte, sowie Mike Miller und seinem Team von Clifton Nurseries, darunter besonders Bob Scrutton und Nicki Harvey, die mir großzügig ihre Zeit opferten, mich von ihren Fachkenntnissen profitieren ließen und mir gestatteten mich ausgiebig in ihrer Ausstellung auf der Chelsea Flower Show umzusehen. Danken möchte ich auch Alan und Minn Hogg, den Kindern, Eltern, Lehrern und dem Verwaltungsrat der Rodborough County Primary and Horsley Schools sowie denen ihrer Partnerschule in Frankreich. Ebenso Anne Rafferty und Laura Stewart für ihre wertvollen Ideen, Sarah Molloy und Richenda Todd für ihre Unterstützung und ihre uneingeschränkte Toleranz und allen anderen, die vielleicht ohne es zu merken in meinem Unterbewusstsein an der Kettenreaktion mitgewirkt und so die Entstehung dieses Buches ermöglicht haben.

Kapitel 1

Mum«, sagte eine Stimme, die gleichermaßen vorwurfsvoll und nachsichtig klang. »Hast du etwa schon wieder Orangensaft gleich aus dem Karton getrunken?«

Altheas Geste war Eingeständnis und Entschuldigung, vermischt mit einem Hauch von Verärgerung darüber, dass er ihr wieder mal auf die Schliche gekommen war. »Er war schon ganz dickflüssig, du hättest ihn sowieso nicht mehr getrunken.«

Ihr siebzehnjähriger Sohn schüttelte mit gespielter Entrüstung den geschorenen Kopf.

»Ich wollte kein Glas schmutzig machen«, fuhr sie fort. »Es war nur ein Schlückchen.« Dann besann sie sich auf ihre Mutterrolle: »Wenn du jemals nur einen Kaffeebecher abwaschen oder den Geschirrspülautomaten einräumen würdest, wüsstest du meinen sparsamen Gläserverbrauch zu schätzen.«

»Heutzutage nennt man das Spülmaschine.«

»Mir ist gleich, wie du es nennst, Liebling. Hauptsache, du stellst ab und zu etwas hinein.«

William war groß, hatte hier und da ein paar Pickel und war doch in den Augen seiner Mutter von makelloser Schönheit. Jetzt entstellte allerdings ein metallisches Grinsen sein Gesicht. Die Eisenbahnschienen, die die Zähne seines Unter- und Oberkiefers durchzogen, gaben seinem breiten Lächeln eine bizarre Note. Diese Kombination aus Lächeln und Zahnspange war vollkommen unwiderstehlich und es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als das Lächeln zu erwidern.

»Juno kommt gleich.« Sie hoffte, ihr Sohn werde den Wink verstehen und ihr aufräumen helfen.

»Ah ja? Wie nett für dich.« Er hielt nicht allzu viel von Juno. Sie war nach seiner Einschätzung zu materialistisch und zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Allerdings erhob er diesen Vorwurf gegen die meisten Leute, denn er war Buddhist.

Althea seufzte. »Komm schon, hilf mir ein bisschen. Du weißt doch, wie kritisch sie ist.«

»Sie ist deine Schwester. Deine jüngere Schwester. Wenn es dir nichts ausmacht, im Durcheinander zu leben, warum sollte es sie dann stören?«

»Es macht mir nicht gerade Spaß, im Durcheinander zu leben. Das ist etwas, das mir einfach passiert. Und es stört sie eben, das weißt du doch. Sie schimpft mich jedes Mal aus.«

»Das ist dein Problem, Mum. Du lässt es zu, dass die Leute auf dir rumtrampeln.«

»Ja, und die größten Füße hast du.«

»Unsinn. Ich will nur dein Bestes.«

Althea verzog ärgerlich das Gesicht. Wenn ein bestimmter Punkt überschritten war, fand sie diese Art von Rollentausch nicht mehr besonders komisch. »Das Beste für mich wäre im Moment ein bisschen Hilfe in der Küche.«

William warf einen abgenagten Apfel Richtung Mülleimer. Er landete daneben.

Althea hatte die Flugbahn verfolgt. »Ich dachte, Buddhisten sollen immer nett zu ihren Müttern sein.«

William schnitt eine Grimasse. »Oh, meinetwegen. Ich mach einen Rundumschlag in der Küche, aber ich werde mich nicht zu euch setzen und an eurer banalen Unterhaltung teilnehmen. Ich hab noch zu tun.«

»Schulaufgaben?« Althea wagte kaum zu hoffen. William verbrachte unendlich viel Zeit damit, sündhaft teure buddhistische Bücher zu studieren, aber A-Levels – den Schulabschluss mit Hochschulreife – hielt er nicht für besonders wichtig. Seine Mutter, die nie A-Levels gemacht hatte, schon.

William schüttelte den Kopf, nahm ein Tuch in die Hand und hielt es unter den Wasserhahn. »Nein, liebste Mutter. Ich muss mir noch einiges über das Sich-Loslösen anlesen.« Er wischte ohne viel Elan über die Teeflecken auf der Anrichte. »Ich leite die Diskussion heute Abend.«

Althea seufzte, stand auf und küsste ihn. »Ich bin sicher, das wird wunderbar sein für dein Karma. Ich schnapp mir den Staubsauger.«

Sie machte sich ans Werk und saugte eher oberflächlich um die Möbel herum, während sie in Gedanken mit der bangen Frage beschäftigt war, ob sie noch einen Job hatte oder nicht. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis sie es erfuhr.

Es war grausam, jemanden zu zwingen, sich um seine eigene Stelle zu bewerben, fand sie. Doch in den Augen der Whickham School – die nun bald die Whickham and Dylan’s Combined Primary School heißen und auf mehr als das Doppelte ihrer bisherigen Größe aufgebläht werden sollte – war es eben nicht ihre Stelle, um die sie sich beworben hatte, sondern die einer Schulsekretärin in einer wesentlich größeren Einrichtung. Und auch wenn sie ihre Arbeit in der Whickham School immer zur vollen Zufriedenheit der Schulleitung erledigt hatte, mochte es durchaus sein, dass die großen Weisen, die über das Schicksal dieser neuen Einrichtung und auch über das ihre zu entscheiden hatten, einer jüngeren, intelligenteren, besser qualifizierten, wenn auch unerfahrenen Kraft den Vorzug gaben. Mr Edwards, der Schulleiter, für den sie jahrelang in gegenseitigem Einvernehmen gearbeitet hatte, ging in den Vorruhestand.

Viele, viele Male hatte Althea sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn es zum Schlimmsten käme. Und sie war zu dem Schluss gekommen, dass ihr am meisten davor graute, ihrer Schwester Juno zu gestehen, dass sie ihren Job verloren hatte. Juno war eine willensstarke Frau. Altheas Wohlergehen lag ihr am Herzen und sie war der Auffassung, diesem Wohlergehen sei am besten damit gedient, wenn sie über jedes Detail und alle Probleme im Leben ihrer Schwester Bescheid wusste und um Rat gefragt wurde. Zu Altheas Arbeitslosigkeit würde sie sicher eine Menge zu sagen haben, und Althea hatte den Verdacht, dass sie sich das so oder so würde anhören müssen, selbst wenn sie den Job bekam.

William weichte ein paar Tassen mit angetrockneten Tee- und Kaffeeresten ein und beobachtete seine Mutter kritisch, die einen Papierstoß vom Küchentisch nahm und auf die Anrichte legte, wo er der Post der vergangenen Tage Gesellschaft leistete. Der Stapel würde wachsen und wachsen und irgendwann verschwinden.

»Das solltest du wirklich nicht tun, Mum. Morgen wirst du in heller Panik nach Ruperts Zwischenzeugnis suchen und das ganze Haus auf den Kopf stellen. Warum kannst du nicht ein bisschen systematischer sein?«

Althea wusste, er hatte Recht, und verzog das Gesicht. »Es langweilt mich, systematisch zu sein. In der Schule bin ich systematisch. Zu Hause bin ich so, wie ich sein möchte.«

»Bist du nicht, denn dann würdest du hier ja nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn rumrennen, nur weil Juno zu Besuch kommt. Du bist ein Opfer deiner Neigung, es immer allen recht zu machen.«

»Ich bin ein Opfer meiner diktatorischen Schwester und meiner diktatorischen Kinder.«

»Dann wird es Zeit, dass du anfängst dein Umfeld zu kontrollieren, so wie ich es tue.«

Althea hatte sich im Laufe des vergangenen Jahres an solcherlei Äußerungen gewöhnt, trotzdem schnaubte sie. »Ich tue mein Bestes! Du bringst es doch nur fertig, dein Zimmer so minimalistisch zu halten, weil du deinen ganzen Plunder im Wohnzimmer ablädst.«

»Das ist kein Plunder, das sind die Schulbücher, die du doch für so wichtig hältst.«

»Auf jeden Fall nehmen sie viel Platz ein. Ich wäre dankbar, wenn du sie in dein Zimmer bringen könntest.«

»Ja, ja, Mum. So wie du deinen Krempel immer nur in deinem Zimmer aufbewahrst.« In einer der Tassen hatte er eine Halskette gefunden, die jetzt mit einem feinen Spülmittelfilm überzogen war. Er drückte sie ihr in die Hand. »Ich bin hier fertig. Ich mach mir nur schnell noch ein paar Rühreier.«

Althea hängte die Kette zu ein paar weiteren, die an einem Haken am Küchenschrank baumelten. »Vermutlich besteht keine Hoffnung, dass du sie in der Mikrowelle machst, oder?«

»Aus der Mikrowelle schmecken sie einfach nicht.«

»Dann spül bitte die Pfanne hinterher.«

»Tu ich doch immer!«

Fettverschmierte Pfannen voll kaltes Wasser laufen zu lassen ist nicht dasselbe wie spülen, dachte Althea, aber das würden ihre Kinder wohl erst lernen, wenn sie zu Hause ausgezogen waren und ihre Töpfe selber spülen mussten.

Sie öffnete ein Paket mit Vollkornkeksen und ließ sie auf einen Teller gleiten. Juno glaubte an die Segnungen eines festen Ernährungsplans und Althea konnte sich nie merken, was genau sie zu welcher Tageszeit essen durfte. Die Kekse waren eher symbolisch gemeint. Geistesabwesend steckte sie sich eine zerbrochene Kekshälfte in den Mund, und als es ihr bewusst wurde, fuhr sie erschrocken zusammen. In der Schule hatte ihr jemand mal einen Kühlschrankmagneten geschenkt, auf dem stand: »Naschen macht fett«. Diese banale Wahrheit kam ihr immer einen Sekundenbruchteil zu spät in den Sinn.

Um Punkt vier Uhr – wie Juno angekündigt hatte – klingelte es. Althea fuhr mit der Hand durch ihr Gesicht, um sich zu vergewissern, dass sich dort keine Krümel befanden, und ging an die Tür. So sehr sie ihre Schwester auch liebte, machte sie sie immer ein bisschen nervös. Juno gehörte zu den Frauen, die tatsächlich ihr Gesicht pudern, ehe sie Augen-Makeup auftragen, um dann verschmierte Stellen leichter ausbessern zu können. Althea kannte sonst niemanden, der sich diese Mühe machte.

»Hallo, Liebes«, sagte sie und küsste Juno, die mal wieder wie aus dem Ei gepellt aussah und nach irgendeinem neuen Parfüm mit unaussprechlichem Namen duftete. »Komm rein.«

Juno umarmte sie ebenfalls. »Ich hab dir ein paar Zeitschriften mitgebracht, die ich ausgelesen habe. Und ein Paar Schuhe. Ich hab sie gekauft, weil sie runtergesetzt waren, aber sie sind mir viel zu groß. Vielleicht probierst du sie mal an.«

»Wie lieb von dir.« Althea verdankte all ihre eleganteren Kleidungsstücke Junos Leidenschaft für Sonderangebote. »Jetzt komm. Kann ich dir was anbieten? Was hättest du gerne? Tee? Kaffee? Oder irgendetwas anderes?«

Juno folgte ihr durch den Flur zur Küche. »Es ist noch viel zu früh, um Alkohol zu trinken«, bemerkte sie spitz, obwohl Althea gar nichts von Alkohol gesagt hatte. »Aber ich hätte gern eine Tasse Tee.«

Als sie die Küche betraten, goss William gerade kochendes Wasser aus dem Kessel in seine persönliche Kaffeepresse.

»Hi, Juno«, grüßte er seine Tante. »Wie geht’s? Möchtest du einen Kaffee? Wenn ja, mach ich ihn dir. Mit dieser Technologie ist Mum einfach überfordert.« Er wies auf die Kaffeepresse.

»Es gibt auch Technologien, die dich überfordern«, konterte seine Mutter wütend. »Zum Beispiel die eines Staubsaugers. Außerdem möchte Juno Tee.«

»Dann mache ich euch welchen.« William entblößte seine Zahnspange in einem charmanten Lächeln.

»Danke, William«, sagte Juno ein wenig verwundert. »Das wäre sehr nett.«

Althea wusste, dass Williams Freundlichkeit jeden Augenblick in Spott umschlagen konnte. »Gehen wir in den Wintergarten?«

»Wenn du glaubst, dass wir dort ein Plätzchen finden. Als ich neulich in deinem Wintergarten war, sah es so aus, als würdest du die letzten Überreste des tropischen Regenwalds dort beherbergen.«

Althea beschloss das als Kompliment aufzufassen. Mit dem Keksteller in der Hand ging sie voraus zu dem Raum des Hauses, den sie am meisten liebte.

Er war voll gepfropft mit Pflanzen und es roch nach Geranien, nasser Erde und dem Zitronenbaum, den Althea selbst von einem winzigen Ableger zu seiner jetzigen Größe gezogen hatte. Wie immer kräuselte sich ihre Nase vor Wonne, als sie den Duft einatmete.

Das Haus lag wie viele andere in dieser Gegend am Hang, sodass der Wintergarten höher gelegen war als die Vorderfront. Von hier aus hatte man einen herrlichen, weiten Blick über die Hügel der Cotswolds, die im Westen zum Severntal hin abfielen. An klaren Wintertagen, wenn die Bäume kein Laub trugen, konnte Althea bis zum Fluss sehen, der sich wie eine Schlange durch sein Bett wand, und sogar noch weiter bis nach Wales.

Jetzt, Anfang Mai, machte der Ausblick vom Wintergarten nach Südwesten Urlaub in anderen Ländern völlig überflüssig, selbst wenn sie sich dergleichen hätte erlauben können. Und auch ohne den Ausblick, Althea hätte es nie fertig gebracht, sich im Sommer von ihrem Garten loszureißen.

Bozo, ihre kleine Spanielhündin, hatte den einzig vernünftigen Korbsessel mit Beschlag belegt und hütete dort ein Sojawürstchen. Bozo war keine Vegetarierin, sie hatte keineswegs die Absicht, das Würstchen zu fressen, aber sie wollte um jeden Preis verhindern, dass eine der Katzen es bekam. Darum schleppte sie es jetzt seit Tagen mit sich herum.

Als Bozo Juno kommen sah, sprang sie aus ihrem Korbsessel, stemmte ihre Vorderpfoten gegen Junos Beine und blinzelte sie vertrauensvoll an. Juno tätschelte ihr den Kopf, was Bozo nicht ausstehen konnte, und usurpierte dann ihren Korbsessel. Althea setzte sich ihr gegenüber und bot ihr den Plätzchenteller an. Bozo vergaß das Sojawürstchen auf der Stelle, neigte den Kopf zur Seite und wartete auf ihren Anteil an den Leckerbissen.

Juno stellte den Keksteller unberührt zurück und Bozo wandte sich sogleich wieder an Althea, die sich immer schnell erweichen ließ. Erwartungsgemäß brach Althea ein Eckchen ab, wartete, bis ihre kleine Hündin Sitz machte, und gab es ihr dann.

»Also wirklich, du solltest den Hund nicht auch noch ermuntern zu betteln«, schalt Juno.

»Sie bettelt nicht, sie bittet höflich.«

»Das läuft auf dasselbe hinaus. Und jetzt erzähl mir, wie ist es gelaufen bei deinem Vorstellungsgespräch?«

Althea hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Ich fand den neuen Schuldirektor nicht besonders sympathisch. Während ich ihn herumführte, telefonierte er fortwährend, so als wär sein Handy an seinem Ohr festgeschweißt. Und als wir uns unterhalten haben, hat er mir kaum in die Augen gesehen. Er redete die ganze Zeit davon, ›die neue Schule für den Aufbruch ins nächste Jahrtausend flott zu machen‹, und wollte wissen, welche Fortbildungsmaßnahmen ich machen will.«

»Tja, Mr Edwards war ja wohl auch ziemlich altmodisch.«

»Mr Edwards war ein Schatz. Er liebte die Kinder und er liebte seine Schule und ließ mich im Büro schalten und walten. Es wird ihm alles furchtbar fehlen, wenn er in Pension geht.«

»Wann wirst du etwas hören?«

»Ich rechne jetzt täglich damit.«

»Du musst krank sein vor Sorge.«

Althea winkte ab. »Ich bin gar nicht sicher, ob ich mit diesem Mann überhaupt arbeiten könnte. Als Schulsekretärin musst du sehr eng mit dem Direktor zusammenarbeiten. Manchmal ist es schlimmer, als wenn man verheiratet ist.«

Juno, die ihren eigenen Mann gut im Griff hatte, verdrehte ungeduldig die Augen. »Aber du rechnest dir Chancen aus?«

»Na ja, ich hab den Job ungefähr sieben Jahre lang gemacht. Aber die anderen waren jünger. Und distinguierter.« Althea seufzte und entdeckte eine Ameise, die zwischen den Holzdielen hervorgekrabbelt kam. Verdammt, wie sollte man ein Ameisennest beseitigen, wenn man einen Buddhisten im Haus hatte?

»Du könntest durchaus distinguiert wirken, wenn du dir ein bisschen Zeit dazu nähmest und dir nur etwas mehr Mühe machtest«, sagte Juno, aber es klang nicht sehr überzeugt. Sie hatte es noch nicht aufgegeben, ihre große Schwester dazu zu bewegen, ein bisschen mehr aus sich zu machen, aber es war eines der schwierigeren Ziele, die sie sich gesetzt hatte. Und im Augenblick war das Timing äußerst ungünstig.

Sie schwiegen bedrückt und Althea hoffte, Juno werde die Ameisen nicht bemerken, die sich inzwischen vor einem Kekskrümel zu einer ordentlichen Schlange angestellt hatten. Wenn Juno sie entdeckte, würde sie nach kochendem Wasser und anderen todbringenden Utensilien verlangen, William würde sich aufregen und sie würden so nahe an einen handfesten Familienkrach herankommen, wie es unter diesen Umständen, da einer der Kontrahenten es sich versagte, Zorn zu empfinden, überhaupt nur möglich war.

»Hast du von Frederick gehört?«, erkundigte sich Juno, immer noch ahnungslos, dass eine Karawane kleiner Lebewesen zu ihren Füßen entlangzog.

Frederick war Altheas Exmann. Er hatte sich davongemacht, als Merry, inzwischen zwölf und durchaus in der Lage sich zu benehmen, ein von Koliken und Blähungen geplagtes Baby war, das immer nur schrie. Jetzt tyrannisierte er Althea meistens fernmündlich und warf ihr vor, wie unvernünftig sie gewesen sei sich zu weigern, die Jungen aufs Internat zu schicken (Merrys Erziehung und Schulbildung waren nicht von so großer Bedeutung, schließlich war sie nur ein Mädchen). Wann immer er auch nur den leisesten Verdacht hegte, dass seine Söhne nicht in allen Fächern Höchstleistungen erzielten, hielt er Althea vor, es sei alles nur ihre Schuld, weil sie sie auf die öffentliche Schule am Ort geschickt habe. Und darum konnte sie ihn natürlich niemals um Unterstützung bitten, wenn sie versuchte die Kinder zu etwas mehr Einsatzfreude bei ihren Schulaufgaben zu motivieren. Dabei hätte sie genau diese Unterstützung gut gebrauchen können.

»Vor ein paar Tagen hat er William angerufen, aber du weißt ja, ich rede nur mit ihm, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Er macht mir ja doch immer nur Vorhaltungen wegen der Kinder.«

Juno war selbst kinderlos, aber sie teilte Fredericks Meinung bezüglich der Vorzüge von Privatschulen uneingeschränkt. Sie verzog den Mund. Sie wusste, Althea ließ Frederick absichtlich im Ungewissen über die schulischen Leistungen der Kinder und das fand sie unverantwortlich. »Nun, du wirst es ihm sagen müssen, wenn du arbeitslos wirst. Du wärst wohl kaum in der Lage, die Hypothek zu bezahlen.«

»Es ist keine sehr hohe Hypothekenrate. Außerdem würde ich ja erst Ende August arbeitslos und ich bekäme doch Arbeitslosengeld.«

»Wie viel?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich wette, es ist lächerlich wenig.«

Das glaubte Althea auch. Und Juno hatte Recht, wenn sie ihren Job verlor, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als es Frederick zu sagen. Und er würde brummeln und sie mit einem »Ich hab’s dir doch gesagt«-Sermon traktieren, aber er würde die Raten bezahlen. Dabei war zu bedenken, dass er das Haus immer schon für sich und seine Freundin haben wollte. Wenn er nun ein paar Monate lang die Abtragung für die Hypothek übernahm, würde das seinen Anspruch untermauern? Würde ihm mehr gehören als das Viertel, das er schon besaß? Vielleicht sollte sie den Kampf aufgeben, lieber früher als später.

»Ich glaube, ich würde eher ausziehen, als ihn die Raten zahlen zu lassen.«

»Aber warum das denn?« Mochte Junos Loyalität auch manchmal wanken, jetzt war sie eindeutig auf der Seite ihrer Schwester. »Es ist euer Heim. Das Heim deiner Kinder.«

»William wird sowieso nur noch ein Jahr hier sein und wenn Merry mit der Schule fertig ist, werde ich es verkaufen müssen. Es sei denn, ich könnte es mir leisten, Frederick auszubezahlen. Und danach sieht es momentan nicht aus.«

»Aber es würde dir das Herz brechen, deinen Garten aufzugeben!«

»Vermutlich. Na ja, ich könnte wohl irgendwo einen neuen anlegen und außerdem kann ich es mir nicht leisten, sentimental zu sein.«

»Ich bin sicher, Frederick würde es nichts ausmachen, die Raten zu zahlen. Er kann es sich schließlich leisten und ganz gleich, was du sagst, ich fand, er war eigentlich doch immer ziemlich vernünftig.«

Althea hatte so ein Gefühl, dass Frederick in Junos Augen immer ein bisschen mehr als nur »ziemlich vernünftig« gewesen war. »Verdammt attraktiv« traf es wohl eher. Aber Frederick hatte längst die Macht verloren, Althea wehzutun, und wenn sie auch den Geschmack ihrer Schwester in Zweifel zog, nahm sie ihr ihr kleines Geheimnis doch nicht übel.

Das bedeutete allerdings nicht, dass sie darüber erhaben war, sich gegen Junos Bevormundung aufzulehnen und ein bisschen zu sticheln. »Ich könnte natürlich Zimmer vermieten, um die Raten für die Hypothek zusammenzukriegen. Ein, zwei Arbeitslose, die volle Sozialhilfe bekommen, wären vermutlich schon ausreichend.«

Juno war entsetzt. »Das kannst du nicht tun!«

»Wieso nicht? Ich habe ein Gästezimmer mit einem Waschbecken und ein Gäste-WC und eine separate Dusche.« Sie hatte das Thema nur angeschnitten, um ihre Schwester zu ärgern, aber jetzt, da sie darüber nachdachte, fand sie die Idee gar nicht so abwegig. »Wirklich, eine nette, ruhige Lehrerin wäre doch überhaupt keine Belastung.«

»Eine nette, ruhige Lehrerin könnte es niemals ertragen, eine Küche mit dir zu teilen.«

»Warum nicht? Mir würde es nichts ausmachen, meine Platzansprüche einzuschränken.«

»Vielleicht, aber du bist so furchtbar schlampig, das hält kein normaler Mensch aus. Nein, nein. Frederick wird dich unterstützen müssen.« Für Juno stand offenbar schon fest, dass ihre Schwester arbeitslos würde. Sie strich ihren Rock entlang ihren schönen Beinen glatt. Auf den lederbezogenen Absätzen ihrer Pumps war nicht ein einziger Kratzer.

»Aber das wird er nicht tun. Das weißt du doch.«

Juno schnalzte ungeduldig und fegte ein paar nicht existente Krümel von ihrer Bluse. »Nur weil du dich so albern anstellst, was die Erziehung der Jungen angeht. Er hätte dir Unterhalt und das Schulgeld bezahlt, wenn du sie ins Internat geschickt hättest.«

Althea war mit einem Mal sehr müde und die Sorge um ihre berufliche Zukunft wurde erdrückend. »Oh, lass uns nicht wieder davon anfangen.«

»Tja, wir haben uns schon vor Jahren geeinigt, dass wir uns über dieses Thema nicht einigen können. Und ich muss gestehen, im Großen und Ganzen gibt der Erfolg dir Recht. Es sind wirklich gelungene Kinder.«

Althea sah auf ihren Gartenteich hinaus und war dankbar, dass Juno nicht näher über die schulischen Leistungen ihrer gelungenen Kinder informiert war. Sie waren weitaus weniger beeindruckend als die im zwischenmenschlichen Bereich. »Danke.«

»Wo wir gerade von Ausbildung sprechen«, fuhr Juno fort. »Wenn du wirklich deinen Job verlierst, könntest du aufs College gehen und etwas Neues lernen. Du könntest Lehrerin werden und hättest nach wie vor die Sommerferien frei.«

Althea schauderte. »Ich will nicht aufs College. So viele Frauen in meinem Alter machen das und sofort fangen sie an, sich wie Studentinnen zu kleiden und Dope zu rauchen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich all diese Seminararbeiten schreiben könnte.«

Juno, die einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hatte, dachte darüber nach. »Hm, und außerdem ist da das kleine Problem, dass du keine A-Levels hast.«

»Vermutlich könnte ich sie überreden, mich trotzdem zu nehmen«, widersprach Althea. Es musste ihr nur jemand sagen, sie könne irgendetwas nicht tun, und sofort wollte sie genau das. »Oder ich könnte die A-Levels nachmachen. Aber ich würde mich nie an die Kleidung gewöhnen. Oder die Sprache. Mit achtzehn ist es in Ordnung, wie ein Hippie zu reden, aber nicht, wenn man an die Vierzig ist.«

»Du bist nicht an die Vierzig«, sagte Juno bestimmt. Sie war nur zwei Jahre jünger als ihre Schwester. »Du bist achtunddreißig.«

»Fast neununddreißig.«

Juno seufzte. »Also, das muss man dir lassen: Deine Frisur ist eine Katastrophe, du müsstest zehn Pfund abnehmen und du kleidest dich ziemlich exzentrisch, aber wie neununddreißig siehst du nicht aus.«

Juno machte ihr nicht oft Komplimente. Althea errötete leicht. »Oh … vielen Dank.«

»Deine Haut ist gut, du hast schöne Zähne, das ist ein Bonus. Und deine Wimpern und Brauen sind von Natur aus dunkel …«

»Juno …«

»Aber du könntest um einiges besser aussehen, wenn du dir ein bisschen mehr Mühe geben würdest. Mal etwas bewusster isst und ausnahmsweise mal zu einem vernünftigen Frisör gehst. Und ich schätze, die Pinzette, die ich dir zu Weihnachten geschenkt habe, hast du wohl verloren. Aber das Schlimmste ist deine Figur.«

Die Ankunft ihre Sohnes Rupert rettete Althea vor einer endlosen Aufzählung von Diättipps und einer Jahresmitgliedschaft im Fitnesscenter. Rupert war ebenso groß wie sein älterer Bruder, hatte aber weder den Kopf geschoren noch Zahnspangen.

»Hallo, Liebling. Ach, du bringst uns den Tee, wie lieb von dir. Hattest du einen guten Tag?«

»Ja, alles in Ordnung. Hallo, Juno. Wo soll ich das Tablett hinstellen?«

Juno lächelte, selbst ihr kritisches Herz konnte Ruperts scheuem Lächeln, dem im Gegensatz zu dem seines Bruders nie ein Anflug von Spott beigemischt war, nicht widerstehen.

»Ich mach mal ein bisschen Platz auf dem Tisch.« Sie legte die Sonntagszeitungen der vergangenen Woche auf den Boden.

»Möchtest du dich zu uns setzen?«, fragte Althea. »Hol dir eine Tasse.«

»Ähm … nein, danke, Mum. Ich hab noch zu arbeiten.«

Das hieß vermutlich, dass er sich über die neuesten Verwicklungen irgendeiner Seifenoper informieren wollte, mutmaßte Althea. Das nannte er dann Medienstudien. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Exmann nicht Recht behielt und es wirklich besser gewesen wäre, die Kinder ins Internat zu schicken. Wenn sie bei ihren Abschlussprüfungen eine schlechte Figur machten, würde er ihr das bis ans Ende aller Tage vorhalten.

»Da fällt mir ein …« Rupert stellte das Tablett ab und zog einen Umschlag aus der Tasche. »Der wurde per Boten gebracht. Ist für dich, Mum.«

Althea erkannte Mr Edwards Handschrift und ihr Herz sank so tief, dass es den Ameisen am Boden Gesellschaft leistete. Mr Edwards hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass sie es so früh wie möglich erfuhr. Und es mussten schlechte Neuigkeiten sein. Hätte sie den Job bekommen, hätte man sie angerufen. Sie riss den Umschlag auf und hoffte, ihr gebanntes Publikum werde nicht sehen, dass ihre Hand zitterte und ihr Herz unter ihrer Bluse wie verrückt hämmerte.

Sehr geehrte Mrs Farraday,

wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen …

Sie las nicht weiter. »So ein Mist«, sagte sie.

Kapitel 2

Eine Hummel, die sich in den Wintergarten verirrt hatte, flog unter tiefem Gebrumm vor die Scheibe. Bozo beschloss unvermittelt einen Floh zu vertreiben, der mitten auf ihrem Rücken saß, und purzelte von Altheas Schoß.

Somit war die Stille gebrochen und Rupert und Juno begannen gleichzeitig zu reden.

»Was für ein Pech, Mum …«

»Jetzt nur nicht in Panik geraten, Ally …«

»Ich könnte Zeitungen austragen …«

»Du weißt ja, wenn es irgendwas gibt, das ich tun kann, um zu helfen …«

»Schon gut«, sagte Althea und es schien ihr, als käme ihre Stimme aus weiter Ferne. »Im Grunde bin ich erleichtert.«

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so empfinden würde. Verzweiflung hatte sie erwartet, Sorge, das Gefühl, dass eine grässliche Leere sich vor ihr auftat, die sie mit nichts als Panik ausfüllen konnte. Stattdessen fühlte sie eine Art schwacher Euphorie, als sei ein enormer Druck von ihr genommen. Ganz genau so, dachte sie immer noch erstaunlich distanziert, wie sie sich gefühlt hatte, als ihr Mann ihr eröffnete, er werde nicht zurückkommen.

»Macht euch keine Sorgen«, sagte sie zu ihrer Schwester und ihrem Sohn. »Es wird sich schon alles einrenken. Ich werde einfach mehr aus meinem Gärtnerjob machen. Mir mehr Kunden suchen. Noch mehr Pflanzen züchten und sie auf Trödelmärkten verkaufen, statt sie zu verschenken. Keine Schule mehr! Das wird himmlisch! Viele Leute suchen händeringend nach Hilfe bei der Gartenarbeit«, fügte sie hinzu, um ihr Publikum zu überzeugen.

Juno atmete tief durch. »Liebes, du bist ja verrückt. Völlig verrückt. Du kannst unmöglich dich selbst und drei heranwachsende Kinder von dem ernähren, was du als Gärtnerin verdienst. Was machst du denn schon? Du versorgst die Gärten von drei alten Damen für drei Pfund die Stunde?«

Altheas Euphorieballon verlor ein bisschen Luft. »Natürlich muss ich den Stundensatz erhöhen und mehr arbeiten und vielleicht suche ich mir einen Teilzeitjob in einem Gartencenter«, sagte sie, um ihn wieder aufzupumpen. »Ein- und auspflanzen und so weiter.«

Juno schüttelte den Kopf. »Im Sommer verdienst du vielleicht genug, um euren Lebensmittelbedarf zu decken. Aber im Winter verdienst du überhaupt nichts.«

»Es ist erst Mai …«

»Glaub mir, Weihnachten steht vor der Tür, ehe du Jingle Bells sagen kannst.«

Althea, die ohnehin niemals Jingle Bells sagte, wenn es sich vermeiden ließ, wehrte sich dagegen, einzusehen, dass ihre Schwester nicht ganz Unrecht hatte. »Ich kann Trockensträuße machen. Kränze für Haustüren, solche Sachen. Es wird klappen, bestimmt.«

Juno und Rupert betrachteten sie besorgt und William, der die aufgeregten Stimmen gehört hatte, kam und schloss sich ihnen an.

»Schlechte Neuigkeiten, Mum?«

»Schrecklich. Deine Mutter hat ihren Job verloren«, verkündete Juno.

William, geübt in den Künsten der Wahrnehmung, stellte fest, dass seine Tante die Sache viel zu ernst nahm und seine Mutter nicht ernst genug. »Du findest schon was anderes, Mum. Ich hol dir die Zeitung.«

Doch Althea war nur mäßig an den »offenen Stellen« interessiert; sie fühlte sich geradezu beschwingt bei dem Gedanken, dass sie nicht gezwungen sein würde, tagein, tagaus Seite an Seite mit einem Mann zu arbeiten, den sie nicht mochte, und sich vorschreiben zu lassen, wie sie die Dinge zu tun hatte, die sie schon seit Jahren tat. Die Rubrik »Verdienen Sie Ihr Geld von zu Hause aus, alles, was Sie brauchen, sind ein Telefon und Ihren eigenen Wagen« studierte sie eingehender, aber erst als sie zum Immobilienteil kam, zeigte sich eine Reaktion auf ihrem Gesicht. Hier stand die eigentliche Hiobsbotschaft.

»Oh mein Gott. Das Haus ist verkauft worden.«

Eben noch war ihr die Aussicht arbeitslos zu werden wie eine goldene Chance erschienen, eine Einladung des Schicksals, etwas Neues zu probieren. Ganz plötzlich hatte die Realität sie eingeholt und legte sich mit einer lähmenden Schwere auf ihre Glieder.

»Welches Haus?« Juno sprang auf und las über ihre Schulter. »Hat Frederick es etwa zum Verkauf angeboten, ohne dich vorher zu fragen?«

»Nein, nein, nein. Nicht dieses Haus. Das mit dem Gewächshaus, wo ich all meine Pflanzen ziehe. Hier, sieh nur. Das ist wirklich eine schlechte Nachricht.«

Juno nahm die Zeitung aus Altheas kraftlosen Fingern und kehrte damit zu ihrem Sessel zurück. »Ach, das Haus. Mensch, wer hätte das gedacht. Ich wüsste zu gern, wer das gekauft hat.«

»Entweder eine Supermarktkette oder ein kompletter Vollidiot«, sagte Althea und nahm die Zeitung wieder. »Es ist in einem furchtbaren Zustand, absolut unbewohnbar.«

»Die Supermärkte sind alle abgelehnt worden«, wusste Juno zu berichten. »Also muss es ein Vollidiot sein. Steht der Name da?«

»Nein. Nur »verkauft« in Fettdruck.«

Juno riss ihr die Zeitung wieder aus den Händen. »Hier ist ein kleiner Artikel darüber im Lokalteil. Es wurde an einen Privatmann verkauft, der beabsichtigt, es zu restaurieren und ihm seine einstige Eleganz zurückzugeben. Vermutlich ist es ein arabischer Scheich. Das sind die Einzigen, die sich so was heutzutage noch leisten können. Es wird ein Vermögen verschlingen, das Haus wieder herzurichten.«

»Und es hat einen traumhaften, windgeschützten Garten und ein leicht verfallenes Gewächshaus. Vermutlich wissen Araber keines von beiden zu schätzen.«

»Aber Araber halten große Stücke auf Gärten …«, begann Rupert.

»Wie kam es überhaupt, dass du das Gewächshaus benutzen konntest?«, unterbrach Juno. »Hattest du eine Erlaubnis des Vorbesitzers?«

Althea legte Rupert die Hand auf den Arm, um ihn wissen zu lassen, dass sie seinen Gesprächsbeitrag zwar schätzte, im Augenblick aber nicht gebrauchen konnte. »Ich arbeite für Mrs Phillips, der das Nachbargrundstück gehört. Ich schlüpf immer durch ein Loch im Zaun. Das mach ich seit Jahren.«

»Tja, du wirst dir einfach was anderes suchen müssen.« Juno fand ihren Verdacht bestätigt, dass ihre Schwester das Gewächshaus ohne die Einwilligung des Besitzers benutzt hatte, doch sie beschloss ihren Vortrag über geltendes Strafrecht und den Tatbestand des Hausfriedensbruchs auf einen passenderen Zeitpunkt zu vertagen.

»Aber wohin soll ich mit meinen Pflanzen? Hier ist wirklich kein Platz dafür und ich werde nirgends so ein großes, leer stehendes Gewächshaus finden.«

»Dann musst du eben feststellen, wer das Haus gekauft hat, und fragen, ob du das Gewächshaus vorläufig weiter benutzen darfst.«, sagte Juno. »An dem Haus wird furchtbar viel zu tun sein. Es wird ewig dauern, bis irgendwer einzieht.«

Althea betrachtete ihre Schwester versonnen. Sie selbst wäre bedenkenlos in ein verfallenes Haus gezogen, wenn das Haus selbst ihr gefiel, und hätte in einem Zimmer kampiert, während der Rest um sie herum restauriert wurde. Aber es war wohl unwahrscheinlich, dass die Käufer von Barnet House gewillt waren, solche Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen. Niemand, der reich genug war ein solches Haus zu kaufen, würde das tun. Nein, vermutlich waren sie eher so wie Juno, die niemals in ein neues Heim ziehen würde, bevor nicht alles frisch gestrichen war, geschweige denn die Einbauküche oder die neuen Installationen im Badezimmer fertig waren. Und das hieß, dass ihr vielleicht wirklich noch eine Galgenfrist blieb.

»Wie finde ich raus, wer es gekauft hat?«

»Das überlass nur mir. Ich werde meine Fühler ausstrecken; das ist eine meiner Stärken. Ich stelle fest, wer der neue Eigentümer ist, und dann musst du nur noch um Erlaubnis bitten, das Gewächshaus benutzen zu dürfen.« Junos stahlblaue Augen sagten in aller Deutlichkeit, dass Althea das von vornherein hätte tun müssen.

Althea fegte den unausgesprochenen Vorwurf mit einer Geste beiseite und fragte: »Meinst du nicht, ich könnte einfach so weitermachen wie bisher? Es wird viel Zeit vergehen, bis sie dahinter kommen, dass irgendwer das Gewächshaus benutzt.«

»Vielleicht, aber sie könnten die Bulldozer schicken noch ehe sie dahinter kommen.«

»Oh Gott, was für ein furchtbarer Gedanke. Aber was, wenn sie Nein sagen? Oder nur Arabisch sprechen?«

Juno ignorierte diesen kleinen Scherz am Rande. »Dann bist du auch nicht schlimmer dran als jetzt. Und ich bin überzeugt, sie geben dir wenigstens Gelegenheit, dich nach etwas anderem umzusehen.«

»Aber wo sollte ich denn hin mit meinen Pflanzen? Ich habe den ganzen Sommer französische Kinder hier.«

Juno seufzte. »Ich hoffe doch, immer nur eins auf einmal, oder?«

»Oh natürlich. Die Kinder sind kein Problem. Aber es bedeutet, dass ich das Gästezimmer nicht mit Blumentöpfen voll stellen kann.«

»Also, ich werde so schnell ich kann feststellen, wer das Haus gekauft hat, und dann kannst du hingehen und mit ihnen reden. Vorausgesetzt sie wollen das Gewächshaus nicht sofort abreißen, wird es wohl keine Probleme geben.«

Althea überflog den Zeitungsartikel und suchte nach einem Hinweis, wer das Haus gekauft haben mochte und ob die neuen Eigentümer ein verfallenes Gewächshaus wohl abreißen würden oder eher nicht. Als sie nichts fand, fragte sie: »Und du meinst wirklich, sie lassen mich?«

»Natürlich. Wenn du respektabel und ehrlich wirkst. Mach dir keine Sorgen. Ich leih dir was zum Anziehen. Ich hab ein Kostüm, das mir viel zu weit ist. Du könntest so gerade eben reinpassen.«

Irgendwie stimmte dieses Versprechen Althea nicht hoffnungsvoller.

Nachdem Juno gegangen war, fühlte sie sich zu erledigt für die Gartenarbeit und spürte ein heftiges Bedürfnis nach Entspannung. Sie holte sich die Zeitschriften, die Juno mitgebracht hatte, und nahm sie mit in den Wintergarten. Es waren ihre Lieblingszeitschriften, voll wunderschöner Gärten und hinreißender, unerschwinglicher Küchen. Sie schob ihre drängenden Sorgen entschlossen beiseite und blätterte die Hochglanzseiten durch, seufzte sehnsüchtig beim Anblick ummauerter Gärten mit Südlage und blühenden Hecken und grummelte missfällig über teure, fantasielose Bepflanzungen.

In einer der Zeitschriften fand sie ein Preisausschreiben. Sie konnte Preisausschreiben nie widerstehen und häufig gewann sie irgendetwas. Leider war bisher nie etwas dabei gewesen, das auch nur im Entferntesten nützlich war. Doch von dieser Tatsache ließ sie sich nicht abschrecken. Sie suchte einen Kugelschreiber und sann auf einen möglichst geistreichen Zungenbrecher, der in zwölf Worten beschreiben sollte, warum sie unbedingt an der Algarve Urlaub machen wollte.

Als Merry von einem Besuch bei ihrer Freundin nach Hause kam, fand sie ihre Mutter tief in Gedanken versunken.

»Hi, Mum. Wieder mal eine Einbauküche, die du nicht gewinnst?«

Schuldbewusst ließ Althea den Stift sinken. Sie hätte eigentlich ihre berufliche Qualifikation überdenken und einen Lebenslauf entwerfen sollen, statt sich Tagträumen von Orangenhainen hinzugeben.

Merry, die noch nicht wusste, welche Katastrophe über ihre Familie hereingebrochen war, fuhr fort: »Du gewinnst doch immer nur irgendwelchen langweiligen Schrott. Salatschleudern oder Karten für Fußballspiele. Ich versteh nicht, warum du’s nicht aufgibst.«

»Diesmal kann man zwei Wochen in einem Ferienhaus in Portugal gewinnen. Das würde dir gefallen, oder?«

Merry nickte nachdenklich. »Aber nur, wenn ich Ronnie mitnehmen darf.«

»Natürlich darfst du.« Sie wussten beide, dass keine von ihnen nach Portugal fahren würde, aber es machte Spaß, davon zu träumen. »Hunger?«

Merry schüttelte den Kopf. »Ich hatte einen riesigen Teller Pasta bei Ronnie. Ihre Mutter macht die Soße selbst.«

»Wenn du sie höflich bittest, zeigt sie dir vielleicht, wie das geht«, schlug Althea vor. »Aber jetzt muss ich dir erst mal was sagen.«

Merry nahm es sehr gelassen. Solange sie ihre beste Freundin behalten und weiterhin dieselbe Schule besuchen konnte, war es ihr ziemlich gleich, wo ihre Mutter arbeitete. Es lag vermutlich daran, ging Althea auf, dass ihre Tochter keine klare Vorstellung davon hatte, was Arbeitslosigkeit bedeutete. Und genau das war auch der Grund, warum sie selbst so wenig erschüttert war. Sie hatte immer noch dieses leicht euphorische Gefühl, das sie empfunden hatte, als sie die Schule verließ oder, wie ihr vorhin klar geworden war, als sie erkannte, dass sie nicht länger mit Frederick zusammen leben musste.

Abends rief Juno an. »Hör zu, ich hab rausgefunden, wer das Haus gekauft hat.«

»Wie in aller Welt hast du das so schnell geschafft?«

Für Juno war so etwas eine Kleinigkeit. Sie führte ein ausgesprochen aktives Gesellschaftsleben und hatte einen verantwortungsvollen Job, eine Kombination, die vor allem dadurch erleichtert wurde, dass sie keine Kinder hatte, einen pflegeleichten Mann und eine Putzfrau. »Na ja, der Immobilienmakler ist der Schwager von Diana Sanders. Sie hat es mir gesagt.«

»Also wer ist es?«

»Er ist Architekt. Ist gerade bei Greenwich Partnership eingestiegen. Er ist geschieden, hat erwachsene Kinder und er hat seine Sekretärin mitgebracht. Offenbar ist sie ein bisschen mehr in seinem Leben als nur Sekretärin.«

»Lassen sie die Leute einen persönlichen Fragebogen ausfüllen, ehe sie ihnen Immobilien vermitteln?«

»Selbstverständlich nicht. Aber Hauptsache ist, wir wissen, wie er heißt und wo er arbeitet. Du musst nur noch einen Termin mit ihm ausmachen. Im Grunde ist es ganz einfach. Ich bring dir das Kostüm vorbei. Du brauchst es mir nicht zurückzugeben, du wirst es ohnehin brauchen, wenn du zu Vorstellungsgesprächen gehst.«

Althea dankte ihrer Schwester demutsvoll und fasste den festen Entschluss, das Kostüm auf der Stelle zurückzugeben, sobald sie die Angelegenheit mit dem Glashaus geregelt hatte.

Althea zog ihre Seidenbluse straff und den Bauch ein. Der Rock saß recht locker in der Taille, aber er spannte weiter unten und wollte immerzu nach oben rutschen. Doch als das Jackett ihre Hüften verhüllte, war sie einigermaßen zufrieden mit ihrer Erscheinung. Juno hatte ihr geraten, eine einreihige Perlenkette und Perlenohrstecker zu tragen, doch Althea hatte den Rat ihrer Schwester in den Wind geschlagen und eine Kette aus bunten Glasperlen und passende Ohrringe angelegt. Damit, fand sie, hatte sie das strenge blaue Kostüm hinreichend aufgemöbelt. Dieses blöde Kostüm sollte bloß nicht auf die Idee kommen, sie beide gingen zusammen zu einem Vorstellungsgespräch.

Vor dem Spiegel glättete sie ihr Haar und begutachtete, wie es heute mit den Krähenfüßen stand. Dabei stellte sie fest, dass die Glasperlenkette eine Spur zu lang war. Mochte sie in Bezug auf ihr Aussehen auch oft nachlässig sein, bei der Platzierung von Broschen und der Länge von Halsketten nahm sie es immer sehr genau.

Sie hatte keine Sicherheitsnadel zur Hand und es blieb auch keine Zeit mehr, ein Stück Draht zu suchen. Also machte sie hinten unter ihrem Blusenkragen einen Knoten in die Kette. Doch sie zog ihn zu fest, der Seidenfaden riss und Glasperlen regneten klimpernd an ihr herab.

»Oh, Mist«, murmelte Althea und versuchte so viele wie möglich aufzufangen. »Jetzt muss ich doch die Perlen nehmen.«

Sie rannte die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, griff in die Glasschale, in der sie ihren Schmuck aufbewahrte, stach sich in den Finger und fand schließlich die Perlenkette.

Es stellte sich heraus, dass die Perlen wirklich die bessere Wahl gewesen waren. Sie verliehen ihr eine gewisse Würde.

Wie gewöhnlich war sie viel zu früh und musste eine Weile umherspazieren, bis sie das Gefühl hatte, der rechte Zeitpunkt sei gekommen, ihre schlotternden Knie zwischen den protzigen Säulen hindurch zum gläsernen Eingang des Gebäudes zu bewegen. Ein freundlicher Mann am Empfang wies ihr den Weg und so gelangte sie zum Lift und in das richtige Stockwerk.

Und nun stand sie Auge in Auge mit einer äußerst attraktiven jungen Frau in einem kurzen Rock und ärmellosem Oberteil, die weder dicke Waden noch schwabbelige Oberarme hatte, und Althea hatte das tröstliche Gefühl, dass die Perlen ihr die Würde einer Frau in den mittleren Jahren verliehen. Angesichts dieser strahlenden Jugend und dieser perfekten Figur war das ihre einzige Rettung. Mit diesem Geschöpf konkurrieren zu wollen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen gewesen.

»Kommen Sie doch herein, Mrs Farraday. Sie sind allerdings ein bisschen zu früh«, sagte die junge Frau, zweifellos Patrick Donahughs Sekretärin, von der Juno ihr erzählt hatte; die Sekretärin, die ein bisschen mehr in seinem Leben war als nur das. »Weiß Mr Donahugh, warum Sie ihn sprechen möchten?«

Althea lächelte ein bisschen verlegen. »Nein.«

»Sie können es mir ruhig sagen. Ich bin seine persönliche Assistentin.« Sie zeigte eine Reihe unnatürlich ebenmäßiger Zähne, zweifellos überkront, aber nichtsdestotrotz überwältigend.

Althea fuhr mit der Zunge ihre eigenen Zähne entlang, naturbelassen und möglicherweise lippenstiftverschmiert. »Dann bin ich überzeugt, er wird es Ihnen erzählen. Aber ich kann die ganze Sache wirklich nicht zweimal erklären.«

Die junge Dame schien ein wenig eingeschnappt, bemühte sich aber es nicht zu zeigen. Sie führte Althea zu einer Sitzgruppe. »Ihr Termin ist erst in fünf Minuten, wissen Sie.« Sie schien Spaß daran zu haben, Althea unter die Nase zu reiben, was sie doch selbst genau wusste. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

Zögerlich ließ Althea sich in ein Sofa sinken, aus dem sie vermutlich nie wieder aus eigener Kraft herauskommen würde, und sah der jungen Frau nach, die ins innere Heiligtum entschwand. Wahrscheinlich wollte sie verhindern, dass ihr Chef auch nur eine Nanosekunde vor der verabredeten Zeit herauskam.

Althea ergriff eine Ausgabe von Country Life und blätterte zu den Seiten über Gartengestaltung. Automatisch wanderten ihre Finger zu einer Glasschüssel, die, so glaubte sie, eine Art Salzgebäck enthielt, Nahrung für die Hungrigen, Nervenfutter für die Ängstlichen. Im letzten Moment bemerkte sie, dass es sich um gefärbte Hobelspäne und Samen handelte. Wie viele Menschen hatten sie wohl in den Mund gesteckt, fragte Althea sich, um sie dann unauffällig in ihre Taschentücher zu spucken?

Endlich kehrte die hübsche Sekretärin zurück. »Bitte hier entlang«, sagte sie und beobachtete Althea eingehend, während sie sich schwerfällig aus dem Sofa in die Höhe hievte. Dann führte sie sie zu einem Büro.

Patrick Donahugh erhob sich von seinem ausladenden Schreibtisch, der mit solchen Bergen von Plänen und Papieren befrachtet war, dass Althea sich an die alte Jahrmarktsattraktion erinnert fühlte, bei der man seine Münze auf einen kleinen Münzenberg warf, in der Hoffnung, eine Lawine auszulösen. Er hatte sein Jackett ausgezogen, was nur verständlich war, bedachte man die Temperatur in diesem Büro. Das Blau seiner Augen glich exakt dem seines Hemdes. Zweifellos hatte seine Freundin dieses Hemd ausgesucht.

»Patrick Donahugh.« Er streckte die Hand aus. »Was kann ich für Sie tun?«

Er hatte dichtes, wirres Haar, das vielleicht von Sonne und Wind gebleicht war oder anfing zu ergrauen. Nase und Mund waren zu groß geraten und saßen ohne jede Symmetrie in seinem Gesicht, was den geraden Blick, mit dem er Althea ansah, noch intensiver machte. Seine Haut hatte eine kräftige Urlaubsbräune – nicht aus der Karibik, dachte Althea, sondern von irgendwoher, wo die Luft salzig war, Bretagne vielleicht.

Die Wartezeit hatte ihre Anspannung nicht gerade gelindert. Es fiel ihr immer schwer, jemanden um einen Gefallen zu bitten, einen völlig Fremden bitten zu müssen, machte sie furchtbar nervös. Sie nahm seine Hand und war bemüht, sich von seinem Blick nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. »Althea Farraday. Es handelt sich nur um eine Kleinigkeit.«

»Nehmen Sie doch Platz. Kaffee? Topaz, wärst du so nett?«

Althea, selbst mit einem melodramatischen Namen geschlagen, spürte für einen Augenblick tiefes Mitgefühl für Topaz. Doch als sie das strahlende Lächeln und ihren federnden Gang sah, verflüchtigte sich ihr Mitgefühl. Stattdessen beschlich sie der Verdacht, dass Topaz in Wirklichkeit völlig anders hieß, Tracy etwa, und sich selbst umbenannt hatte. Und Topaz, fiel Althea jetzt auf, hatte ebenfalls eine gesunde Urlaubsbräune.

Sie konzentrierte sich auf den Grund ihres Besuches. Patrick Donahugh sah sie nach wie vor aufmerksam an, was Althea paradoxerweise auf die Idee brachte, dass er mit seinen Gedanken vermutlich ganz woanders war.

»Wenn ich recht informiert bin, haben Sie Barnet House gekauft?«, fragte sie mit fester Stimme um sicher zu gehen, dass er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte.

»Ja?« Er sagte nicht: »Und was geht Sie das an?«, aber sie spürte, dass er es dachte.

»Nun ja …« Was ihr vorhin noch wie ein recht harmloses Ansinnen erschienen war, kam ihr jetzt vor, als wolle sie ihn um eine Spenderniere bitten. »Kennen Sie das Gewächshaus von Barnet House?«

»Nicht sehr gut, aber wir sind einander vorgestellt worden.«

Hätte er nicht schlicht und einfach Ja sagen können? Musste er so affektiert sein? »Also, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist …« Sie hatte sich schon tagelang zurechtgelegt, was sie sagen wollte. Warum hatte sie ihre Notizen nicht mitgebracht?

»Ja?«

»Dass ich es genutzt habe.«

Patrick Donahugh lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück, als sei diese Eröffnung die Lösung eines Rätsels. »Ich dachte mir, dass irgendjemand es benutzt, ja. Ich habe nicht angenommen, dass all die Pflanzen von ganz allein gekommen sind, wie etwa der Schwamm in den Wänden oder die Holzwürmer im Dachstuhl.«

»Hausschwamm und Holzwürmer? So ein Pech.« Althea versuchte nicht zu frohlocken. Ein Haus, in dem Hausschwamm und Holzwürmer wüteten, würde wohl noch jahrelang leer stehen.

»Tja. Und Saatkästen im Glashaus. Bei den Problemen, die dieser Besitz mit sich bringt, ist kein Ende in Sicht.«

Althea zupfte an ihrem Rock und wünschte, sie hätte einen ihrer eigenen, weiteren angezogen, in denen man so viel besser sitzen konnte. »Die Saatkästen sind kein Problem. Ich hab sie dorthin gebracht.«

»Also kann man davon ausgehen, dass Sie sie auch wieder wegschaffen können?«

»Ja, aber das will ich nicht. Ich meine, kann ich … Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich sie noch ein Weilchen daließe?«

Topaz schwebte mit dem Kaffee herein. Die Muskeln in ihren Oberarmen zeugten von regelmäßigem Hanteltraining, bemerkte Althea. Sie stellte das Tablett auf einem kleinen Tisch ab, auf dem eine weitere Schale mit Hobelspänen und Trockenblüten stand, die noch appetitlicher als die draußen aussahen.

»Was sagten Sie?«, fragte Topaz. Althea fand ihren Tonfall ziemlich scharf.

Sie wandte sich zu ihr um. »Ich fragte, ob es wohl möglich wäre, dass ich das Gewächshaus von Barnet House weiter benutze, bis ich etwas finde, wo ich meine Pflanzen unterbringen kann.«

»Ich fürchte, das wird schwierig«, erwiderte Topaz, ohne auch nur einen Blick mit ihrem Chef zu wechseln. »Wir haben schon die Bauarbeiter da.«

Sie lebte also mit ihm zusammen. Ob Junos Spione das wussten? Und wenn nicht, sollte sie es ihnen sagen?

»Wollen Sie das Gewächshaus abreißen lassen? Das wäre wirklich jammerschade. Natürlich müsste man hier und da etwas daran tun, aber eigentlich ist es noch in ganz gutem Zustand …«

»Mr Donahugh hat nicht besonders viel für Pflanzen übrig. Darum verschwindet das Gewächshaus und an seine Stelle kommt ein Swimmingpool«, erklärte Topaz, die ganz offensichtlich zu den Frauen gehörte, die schon vor dem Frühstück gern ein paar hundert Meter schwimmen.

»Aber doch bestimmt nicht sofort? Ich nehme doch an, Sie wollen sich erst einmal um den Hausschwamm und all diese Dinge kümmern? Das sollten Sie unbedingt, wissen Sie, das kann sich furchtbar ausbreiten.«

Topaz reichte Althea eine Tasse Kaffee mit Milch und ohne Zucker und so stark, dass man Nervenflattern davon bekam. »Natürlich. Patrick kennt sich mit diesen Sachen aus.«

»Das sollte man von einem Architekten wohl annehmen«, fügte Patrick hinzu. Er trank seinen Kaffee schwarz und die hohe Koffeindosis schien keinerlei Wirkung auf ihn zu haben.

Althea wünschte, sie könnte noch einmal ganz von vorn anfangen. Ihr war furchtbar heiß in Junos marineblauem Kostüm und sie überlegte, ob sie wohl fett aussehen würde, wenn sie die Jacke auszog. »Was ich eigentlich sagen wollte oder vielmehr, worum ich Sie bitten wollte … Wäre es wohl möglich, dass ich meine Pflanzen noch ein Weilchen in Ihrem Glashaus lasse? Nur so lange, bis ich etwas anderes gefunden habe?«

Topaz lehnte sich an den Schreibtisch und kreuzte die Füße, was Althea zu der Überlegung veranlasste, ob ihre Wadenmuskeln nicht ein wenig zu ausgeprägt waren. »Na ja, ich schätze …«

»Warum haben Sie sie denn überhaupt dorthin gebracht?«, wollte Patrick wissen.

Althea zwang ihre Lippen zu einem Lächeln. »Sie sind einfach gewachsen …« Sie sah an seinem Gesichtsausdruck, dass diese Antwort keine befriedigende Erklärung war, und fuhr fort: »Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie es so ungenutzt dalag. All das Glas, ideal zur Pflanzenzucht, und nichts als Unkraut wuchs dort.«

»Und warum züchten Sie Pflanzen? Sind Sie Gärtnerin?«, fragte Topaz.

So wie sie es sagte, hatte Althea das Gefühl, sie sollte Kniebundhosen aus Cord tragen und in einem unverständlichen Dialekt reden. »Ich würde es eher Gartenarchitektin nennen«, erwiderte sie. Es klang so viel besser, richtig professionell und kreativ.

Das fand Topaz offenbar auch. »Ach wirklich? Für wen haben Sie gearbeitet?«

Althea zählte die Namen ihrer Kundinnen auf. Da alle drei ihr völlig freie Hand ließen und sie ihre Gärten tatsächlich vollkommen umgestaltet hatte, war es eigentlich nicht einmal eine Lüge. Sie war einfach bisher noch nie auf die Idee gekommen, sich als Gartenarchitektin zu bezeichnen.

»Sie brauchten den Platz also aus beruflichen Gründen?«

Althea sah Patrick an und schluckte. »Ja.«

»Also, wie lange wird es schätzungsweise dauern, bis Sie etwas Neues finden?«

Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Vermutlich eine Ewigkeit. Aber das ist natürlich nicht Ihr Problem«, fügte sie hinzu und hoffte inständig, er wäre anderer Meinung.

»Nein, das ist es nicht«, antwortete Patrick. »Aber ich sehe keinen Grund, warum Sie Ihre Pflanzen nicht für vierzehn Tage lassen können, wo sie sind. Oder vielleicht sogar einen Monat. Aber danach müssen sie verschwinden.« Er schien zu glauben, das sei ein großzügiges Angebot.

»Und wir werden uns auf eine angemessene Miete einigen«, fügte Topaz hinzu.

Althea spürte Schweiß auf der Stirn und zog die Jacke doch aus. Fett oder nicht, sie würde einfach in Flammen aufgehen, wenn sie sich nicht ein bisschen Kühlung verschaffte. »Selbstverständlich.«

»Ich meine, wenn Sie eine professionelle Gartenarchitektin sind, verlangen Sie vermutlich ein Heidengeld für Ihre Pflanzen, nicht wahr?«, fuhr Topaz fort.

Althea hatte bislang nur Geld für ihre Pflanzen genommen, wenn es für einen guten Zweck war. Sie atmete tief durch. »Könnten wir wohl vereinbaren, dass ich die Miete im Nachhinein zahle? Vielleicht nach drei Monaten?«

Patricks blaue Augen wirkten mit einem Mal recht kühl. »Ich sagte zwei bis vier Wochen. Und es wäre doch sicherlich geschäftsüblicher, wöchentlich zu zahlen.«

»Nicht in meiner Branche. Ich werde immer erst nach Abschluss meiner Arbeit bezahlt. Ich bin sicher, das ist bei Ihnen ebenso.« Was für ein Glück, dass sie das heute Morgen auf dem Klo in einer von Junos Zeitschriften gelesen hatte.

»Das heißt, Sie haben ein Cashflow-Problem, ja?«

»Keineswegs«, widersprach Althea empört. Bei ihr floss das Geld nicht, es strömte vielmehr, und zwar immer nur in eine Richtung.

»Dann müssen Sie der einzige Unternehmer unter der Sonne sein, der keins hat. Aber wenn es Ihnen lieber ist, können wir auch vereinbaren, dass Sie bezahlen, wenn Sie die Pflanzen abholen.«

»Vielen Dank. Lassen Sie mich wissen, was Sie für angemessen halten.« Aber bitte nicht mehr als zwei Pfund die Woche, dachte sie und lächelte angestrengt.

»Wissen Sie …« Patrick schwang mit seinem Drehsessel zu ihr herum. »Es ist seltsam, aber in den Unterlagen über den Besitz war nirgendwo erwähnt, dass das Glashaus vermietet ist.«

»Wirklich nicht?« Althea erhob sich ein wenig überstürzt. »Wie eigenartig. Aber vermutlich waren auch der Hausschwamm und die Holzwürmer nirgends erwähnt, oder?«

»Nein, aber das Gutachten hat sie ans Licht gebracht und ich bin gewohnt damit umzugehen.«

Althea hing sich das Jackett über die Schultern und fragte sich, ob sie sich daran gewöhnen könnte, mit diesem Mann umzugehen. Unter glücklicheren Umständen wäre es wahrscheinlich gar keine so große Zumutung. »Ich werde mich auf jeden Fall bemühen, Ihnen nicht länger als nötig im Wege zu sein.«

»Wir wollen so bald wie möglich mit dem Swimmingpool anfangen«, sagte Topaz. »Ich schwimme für mein Leben gern.«

»Natürlich«, erwiderte Althea würdevoll und zog die Jacke über. Als sie zu diesem Zweck die Arme hob, rutschte der Rock ein Stück abwärts. So wurde ihr Abgang von einem leisen Klimpern begleitet, als ein paar smaragdgrüne Glasperlen, die sich unter dem Bündchen versteckt hatten, plötzlich zu Boden purzelten.

Kapitel 3

Wenige Wochen später stand Althea im Schulsekretariat, trat von einem Fuß auf den anderen und wünschte, ihr Chef würde aufhören, sich wie eine aufgescheuchte Glucke zu benehmen.

»Also, Sie brauchen sich nur um diese fünf zu kümmern«, sagte Mr Edwards und reichte ihr ein Blatt Papier. »Ach, ich wünschte, ich könnte mitkommen.«

Während der letzten zwei Wochen war er so häufig die Einzelheiten der Schulfahrt nach Frankreich mit ihr durchgegangen, dass Althea das Gefühl hatte, sie habe die Reise bereits mehrmals durchlebt. Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Ich bin sicher, alles wird reibungslos klappen.«

»Es ist so schade, dass ich nicht mitfahren kann«, sagte er wenigstens zum hundertsten Mal. »Aber ich bin froh, dass Sie dort sein werden, um Whickham Primary School zu vertreten.«

»Und es werden noch drei weitere Vertreter der Whickham Primary School da sein. Wirklich, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

»Ich weiß. Aber keiner von ihnen arbeitet so lange für mich wie Sie und ihre Loyalität verlagert sich schon auf den neuen Schulleiter …«

»Oh, aber das stimmt doch nicht«, widersprach sie. Doch selbst wenn sie ihre beruhigende Botschaft von einer Düsenfliegerstaffel mit bunt gefärbten Abgasen hätte in den Himmel schreiben lassen, hätte es nichts genützt.

»Und es ist Ihnen recht, dass Sie mit Sylvia zusammen untergebracht sind? Ich weiß nicht viel über die Dame, bei der Sie wohnen werden, nur, dass sie verwitwet ist.«

»Kein Problem. Wir werden wunderbar zurechtkommen.« Sylvia Jones war eine der Kindergärtnerinnen der Schule, und Althea war mit ihr befreundet.

»Hab ich irgendetwas vergessen, das Sie wissen sollten?«

»Ich glaube nicht. Ich schätze, ich kenne den ganzen Ablauf inzwischen auswendig. Der Bus fährt morgen früh um Punkt sechs Uhr hier los. Wenn Sie mir jetzt noch einen Schnellkurs in Französisch geben, bin ich gewappnet«, schloss sie boshaft.

Mr Edwards riss entsetzt die Augen auf. »Sprechen Sie denn überhaupt kein Französisch?«

»Na ja, wissen Sie, vor ungefähr tausend Jahren hatte ich mal Französisch in der Schule.« Sie lächelte beruhigend. »Ich kann aber ziemlich gut mit Händen und Füßen reden.«

Als man sie eingeladen hatte, an der Fahrt teilzunehmen, hatte sie sofort gestanden, dass sie bestenfalls rudimentäre Sprachkenntnisse besaß. Doch Mr Edwards hatte geglaubt, es sei ohne Belang, weil er davon ausging, dass er selbst mit von der Partie sein würde. Jetzt war es plötzlich ein Problem.

Er schien noch besorgter als zuvor. »Sie werden schon zurechtkommen, ganz bestimmt«, sagte er ohne viel Überzeugung.

»Ich weiß. Und jetzt gehe ich nach Hause und packe«, verkündete Althea entschlossen.

Außerdem musste sie noch äußerst komplizierte Gießanweisungen für die Jungen schreiben. Merry würde bei ihrer Freundin übernachten, aber William und Rupert sollten Bozo und die Katzen hüten sowie die beiden Meerschweinchen, die sich trotz ihres fortgeschrittenen Greisenalters hartnäckig weigerten, das Zeitliche zu segnen. Doch die größte Verantwortung bedeuteten die Pflanzen.

Die Reisegarderobe fand Althea nicht so wichtig. Es sollte zwar ein Empfang stattfinden, aber im Grunde handelte es sich ja nur um eine von Mahlzeiten unterbrochene Wochenend-Busreise. Viel würde sie also nicht brauchen und Bequemlichkeit, fand sie, sollte Priorität vor Eleganz haben. Sie vertraute darauf, dass ihre Gastgeberin nicht unerträglich »chic« war und beschränkte sich hauptsächlich auf Dunkelblau, aufgelockert durch bunte Halstücher und Schmuck.

Man hatte Althea eingeladen, an der Schulfahrt nach Frankreich teilzunehmen. Es sollte wohl ein Trostpflaster für ihre Entlassung sein und ein zusätzlicher Erwachsener konnte schließlich auch nicht schaden. Jedem Erwachsenen war eine Gruppe von Kindern zugeteilt worden, Größe und Kaliber ihren jeweiligen pädagogischen Fähigkeiten angepasst, so hoffte man. Altheas Mädchen waren keine Engel. Die Engel hatte man für die weniger strapazierfähigen Begleitpersonen reserviert. Aber sie hatte all diese Mädchen sehr gern und war überzeugt, dass sie ihr zuliebe nicht allzu unerträglich sein würden.

Die Fahrt war auf Initiative des neuen Schulleiters zustande gekommen. Seit fünf Jahren fuhr Geoffrey Conway jedes Jahr (so hatte er allen erzählt) mit einer kleinen Schülergruppe nach Frankreich, um dort ihre Partnerschule zu besuchen. Dieses Jahr hatte er Mr Edwards vorgeschlagen, ebenfalls eine Gruppe zu schicken, ein Akt, der der »Verschmelzung der beiden Schulen« zugute kommen sollte. Bei dieser Gelegenheit, so sagte er, könnten Mitarbeiter beider Schulen sich doch schon einmal ganz zwanglos kennen lernen.

Mr Edwards war von der Idee sehr angetan. Nur hatte er nicht eine handverlesene Schar Kinder aus besserem Hause ausgesucht, die schon einmal in Frankreich gewesen waren, sondern allen Kindern der richtigen Altersgruppe die Möglichkeit eröffnet. Mitkommen durfte, wer sich schnell genug anmeldete. Dieser Akt angewandter Demokratie hatte zur Folge, dass statt der klugen, hoch motivierten Musterkinder, mit denen Mr Conway sein Land zu vertreten gedachte, Whickham Primary School eher eine Art repräsentativen Durchschnitt schickte und manche dieser Kinder bezeichnete selbst Mr Edwards als »lebhaft«.

»Mrs Farraday! Mrs Farraday! Haben Sie schon gehört? Miss Jones kann nicht mitkommen.«

Eins von Altheas intelligentesten und »lebhaftesten« Mädchen brachte ihr diese Nachricht, als sie morgens um zehn vor sechs durchs Schultor wankte, niedergedrückt von ihrer Reisetasche und den Auswirkungen einer nahezu schlaflosen Nacht. Seit drei Uhr war sie wenigstens einmal stündlich aufgewacht, weil sie fürchtete, der Wecker könne versagen. Als er schließlich lospiepste, riss er sie aus der einzigen Tiefschlafphase dieser Nacht.

»Oh, bist du sicher, Lorraine?«

»Ja! Ihre Mum ist krank geworden.«

Mr Edwards, der nicht mitfuhr, aber gekommen war, um sich zu vergewissern, dass sie gut auf den Weg kamen, bestätigte die schlechten Neuigkeiten. »Ich fürchte, Lorraine hat Recht. Sylvia hat mich gestern Abend angerufen und gesagt, es gehe ihrer Mutter so schlecht, dass sie nicht mitfahren könne.«

»Also haben wir einen Erwachsenen zu wenig?« Altheas müdes Herz sank. »Möchten Sie, dass ich ihre Gruppe übernehme?«

»Nein, danke, Althea. Das ist sehr nett von Ihnen, aber nicht nötig. Ich habe Geoffrey Conway angerufen und er sagte, er werde jemand anderen finden. Er will seine Gruppen ein bisschen umverteilen und seine Kindergärtnerin wird Sylvias Gruppe übernehmen. Sie hat ein paar von ihnen schon beim Bezirkssportfest kennen gelernt.«

»Sie heißt Julie Coulthard, oder? Hübsches Mädchen mit langen, dunklen Haaren?«

»Genau. Was für ein gutes Gedächtnis Sie haben!«

»Wir haben auf dem Sportfest zusammen die Kuchentheke organisiert.«

»Ach, richtig. Denken Sie, Sie könnten ihr ab und zu ein bisschen unter die Arme greifen? Sie ist an jüngere Kinder gewöhnt, wissen Sie, ich fürchte, ein paar von unseren könnten ihr auf der Nase herumtanzen.«

»Natürlich«, antwortete Althea. In diesem Moment erscholl der Ruf »Der Bus kommt! Der Bus kommt!« im Schulhof und bereitete ihrer Unterhaltung ein jähes Ende. Mr Conways Schüler, die im Gegensatz zu denen der Whickham Primary School schon einige Routine darin hatten, ins vereinte Europa verschickt zu werden, waren bereits an Bord. Für Altheas Mädchen war dies eine große Enttäuschung, aber sie selbst war erleichtert. Die hinteren Sitzbänke in Reisebussen hatten irgendetwas an sich, das selbst die respektabelsten Menschen gesetzteren Alters zu schlechtem Benehmen verleitete. Jede Kindergruppe, die dort saß, verwandelte sich unversehens in eine wilde Horde, wenn man sie nicht fesselte und knebelte.

Althea lotste ihre Gruppe etwa in die Mitte des Busses und als sie sich vergewissert hatte, dass alle ihre Plätze eingenommen hatten, stieg sie wieder aus, um ihre Reisetasche im Gepäckraum zu verstauen.

Sie erkannte Geoffrey Conway von hinten und fragte sich, ob er die Absicht hatte, sie in seinen »Teambildungsprozess« noch mit einzubeziehen. Er unterhielt sich mit einem Mann, der offenbar erst auf die letzte Minute gekommen war und der ebenfalls mit dem Rücken zu ihr stand. Althea zögerte, sie wollte nicht stören.