Im Haus des Zauberers - Mary Hooper - E-Book

Im Haus des Zauberers E-Book

Mary Hooper

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Beschreibung

Die junge Lucy träumt davon, ihr Heimatdorf zu verlassen und eine Anstellung als Dienstmädchen zu finden. Am liebsten in einem reichen Haus, das so nah wie möglich bei der von ihr angebeteten Königin Elisabeth ist. Per Zufall gerät sie in das Haus des Dr. Dee, seines Zeichens Zauberer und persönlicher magischer Berater der Königin. Fasziniert beobachtet Lucy die geheimnisvollen Experimente und Zeremonien, die Dr. Dee mit seinem Kollegen Mr Kelly durchführt. Bis sie einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt, das die Königin in höchste Gefahr bringt ...

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MARY HOOPER

Aus dem Englischen von Marlies Ruß

Impressum

Vollständige eBook-Ausgabe der Buchausgabe

bloomoon, München 2013

Copyright © Mary Hooper, 2007

Titel der Originalausgabe: At the House of the Magician

Die Originalausgabe erschien 2007 bei Bloomsbury, London.

© 2013 bloomoon, ein Imprint der arsEdition GmbH, München

Der Titel erschien erstmals 2008 im Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Text: Mary Hooper

Übersetzung: Marlies Ruß

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg, unter Verwendung des Designs der englischen Ausgabe von © Ian Butterworth und einer Fotografie von © Getty Images

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-0389-0

ISBN Printausgabe 978-3-8333-5102-0

www.bloomoon-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

ANMERKUNGEN DER AUTORIN

Glossar

Für Kevin und Stephen, in Liebe

Ich suchte mir ein hübsches Fleckchen am Rand der Dorfwiese, dicht vor der Weißdornhecke, zum Verkauf meiner Waren. Hinter der Hecke lag ein abgemähtes Feld, auf das die Gänse zum Grasen gelassen worden waren, damit sie bis Weihnachten schön rund und fett würden, und während ich meine Lavendelstäbe auspackte, hörte ich sie schnattern und picken und in der trockenen Erde scharren und hin und wieder einmal mit den Flügeln schlagen, um sich etwas Kühlung zu verschaffen.

Ein Liedchen vor mich hin summend, schüttelte ich ein sauberes leinenes Tischtuch aus und breitete es auf dem Gras aus, über den Gänseblümchen und Butterblumen, die prompt unter dem Gewicht platt gedrückt wurden. Es war Anfang September und Michaelimarkt in unserem Dorf, was immer ein Festtag ist, und so war ich in vergnügter Stimmung, als ich meine Ware auslegte. Ich wusste schon im Voraus, dass ich all meine Lavendelstäbe verkaufen würde, und von dem Geld wollte ich mir etwas recht Hübsches zum Anziehen gönnen.

Neben mir hatte Harriet Simon im Gras eine Bank aufgestellt, auf der sie ihre Auswahl an Gebäck und Keksen feilbot. »Knuspriges süßes Backwerk!« hörte ich sie mit gedämpfter Stimme vor sich hin murmeln, um sich schon einmal für ihre Kundschaft warmzureden. »Feinstes Zuckerwerk!« Neben ihr verkaufte die alte Mistress Roberts aus Muscheln gefertigte Amulette, wiederum daneben bot eine Hausfrau frische Eier und Flammeris feil, und danach kam ein Quacksalber, der auf einem Tisch eine Ansammlung von Fläschchen in allerlei Farben ausgelegt hatte: Tränke und Tinkturen, Pasten und Salben. Ich konnte das Banner nicht lesen, das über seinem Kopf flatterte, doch Harriet konnte es und berichtete mir, dass er vorgab, sämtliche Krankheiten heilen zu können, die die Menschheit kannte, und noch ein paar darüber hinaus.

Es gab noch unzählige weitere Marktstände und Händler auf dem Feld, doch ich war die Einzige, die Lavendelstäbe verkaufte. Siebzehn davon hatte ich gemacht, einen jeden aus einundzwanzig langen Lavendelstängeln, die ich über ihre Blütenstände nach hinten gebogen, mit smaragdgrünem, scharlachrotem oder weißem Band zusammengeflochten und mit einer Schleife versehen hatte. Gerne hätte ich noch mehr verkauft, doch ich hatte nur Platz für sechs kleine Lavendelbüsche zu Hause, und selbst die musste ich noch an den eigentümlichsten Stellen in unserem Garten verstecken: mitten unter hoch aufgeschossenen Bohnenranken, hinter unserem Schuppen oder im Schatten eines gewaltigen Kohlkopfs. Schuld daran war mein Vater, der in seinem Garten nichts duldete, was sich nicht geradewegs in bare Münze verwandeln ließ. Eines Abends hatte er, angeheitert vom Ale, drei meiner kostbaren jungen Pflanzen entdeckt, sie prompt herausgerissen und den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. (Hier stocke ich für einen Augenblick und frage mich, warum es immer heißt, dass jemand angeheitert sei vom Bier, wo es mir doch eher scheint, dass Vater niemals heiter ist, wenn er getrunken hat, sondern nur noch übellauniger als sonst.)

Natürlich brachte der Lavendel sehr wohl sein Geld ein, doch davon wusste Vater nichts. Er ahnte nicht, dass ich schon seit Kindertagen Jahr um Jahr meine Lavendelbüsche hegte und pflegte, die Stängel genau im richtigen Moment, bevor sich die Blüten öffneten, pflückte und sie in Büscheln zum Trocknen in die Sonne hängte. Das Geld, das mir der Verkauf der duftenden Stäbe einbrachte, teilte ich immer in drei Teile auf: Vom ersten Teil kaufte ich mir etwas Hübsches zum Anziehen, der zweite ging an meine Mutter, damit sie ihn nach eigenem Gutdünken ausgeben konnte, und den dritten hob ich auf, um mir im nächsten Jahr Bänder für neue Stäbe zu kaufen.

Lady Ashe, die von hoher Geburt ist und äußerst vornehm zu sprechen weiß, eröffnete die Festlichkeiten. Lady Ashe ist die Frau von Sir Reginald Ashe, dem adligen Gutsherrn, und war einst Hofdame unserer edlen Königin Elisabeth. Oft hatte ich mir ausgemalt, wie aufregend ihr Leben wohl damals gewesen sein musste, denn als die Milady am Hofe war, waren sie und die Königin noch junge Mädchen, und bestimmt konnte Lady Ashe allerlei Geschichten von den Intrigen bei Hofe erzählen, von Verschwörungen und verschmähter Liebe, von Tanz und Minnesängern. Und was für eine Vorstellung, der Königin persönlich aufzuwarten! Konnte man sich eine angenehmere Stellung, einen reizvolleren Lebenswandel wünschen? Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, umfasste ich die kleine Silbermünze, die ich als Anhänger um den Hals trug. Meine Familie zog mich oft deswegen auf, weil es bloß ein armseliger Groschen mit einem durchgebohrten Loch war (und noch nicht einmal ein echter Groschen, denn offensichtlich war beim Prägen billiges Metall beigemischt worden, so dass es an heißen Tagen schwarz auf meinen Hals abfärbte). Doch er zeigt das Konterfei unserer Königin, in Metall geprägt, und meine Verehrung für Ihre Hoheit ist so groß, dass ich ihn tagaus, tagein trage.

Lady Ashe kleidet sich nach wie vor höchst elegant. Am Tag des Michaelimarkts trug sie ein rotes Seidenkleid mit juwelenbesticktem Mieder und einem großen Spitzenkragen, und dieses letztere Stück war so außergewöhnlich, dass ich dem Drang nicht widerstehen konnte, dichter heranzugehen, um es gebührlich bewundern zu können. Der Kragen stand rechts und links von ihrem Hals ab, fast wie Flügel oder eine Dachtraufe an einem Haus, wobei jeder Flügel mit kunstvoller Stickerei verziert und entlang des Rands zu gezwirbelten Spitzen geformt war, an denen kleine Tropfen aus Gold baumelten und bei jeder Bewegung der Trägerin sanft schaukelten. Ihr Haar war hoch aufgetürmt und mit Perlenketten verschnürt und umwickelt, und ihr Gesicht war ganz weiß und wirkte, als wäre es ebenfalls von einem Perlenschimmer überzogen.

Sie war eigentlich nicht hübsch, doch ihr Schmuck und ihre funkelnden Juwelen verliehen ihr eine Art von Schönheit, neben der sich jede andere Frau schäbig ausnahm. Ich selbst kam mir besonders armselig vor, denn mein Rock und Mieder waren, wenn auch aus feinem Batist gefertigt und in einem hübschen Apfelgrün, abgelegte Sachen meiner Schwester und völlig aus der Mode gekommen. Voller Staunen und Bewunderung betrachtete ich Lady Ashe. Wenn doch nur, sagte ich mir, einer dieser goldenen Tropfen an ihrem Kragen zu Boden fiele! Ein einziger davon würde genügen – ich kannte den Wert solcher Sachen sehr wohl–, um meinen jüngsten Bruder aus seiner ungeliebten Lehre als Sargbauer freizukaufen, meine Mutter von der Bürde ihrer Arbeit zu erlösen (denn ihre Augen schmerzten inzwischen fürchterlich) und uns ein eigenes Stückchen Land zu kaufen. Wie seltsam, ging es mir durch den Sinn, dass man mit etwas so Winzigem all diese Dinge erwerben konnte! Aber ich wusste sehr wohl, dass die Menschen um Gold Kriege führten und einander umbrachten, und hatte auch gehört, dass große Summen Geldes bereitgestellt wurden, damit Alchimisten jenes geheimnisvolle Pulver entwickeln könnten, das angeblich gewöhnliches Metall in Gold verwandelte.

Lady Ashe ermunterte alle, sich an den Darbietungen der Gaukler und Akrobaten zu erfreuen, mahnte, mit Verstand einzukaufen, und fügte noch hinzu, dass sie selbst den Gesindemarkt auf Junker Brownlows Feld besuchen werde, um zwei oder drei Mädchen für ihren Haushalt anzuheuern. Bei dieser Ankündigung ging ein aufgeregtes Raunen durch die Menge, da wurden Haare nach hinten und Röcke glatt gestrichen, denn so manches Mädchen hätte alles darum gegeben, auf Hazelgrove Manor in Dienst genommen zu werden. Es hieß, dass dort sämtliche Angestellten – selbst die Küchenmägde – auf Matratzen aus frischem Stroh schliefen und jeden Tag Rindfleisch zu essen bekämen. Mir kam dazu noch etwas anderes in den Sinn: Es ging nämlich das Gerücht, die Königin persönlich sei schon auf Hazelgrove Manor zu Besuch gewesen, um ihre alte Freundin Lady Ashe wiederzusehen.

Dabei kam mir auf einmal der Gedanke, mich selbst als Magd bei Milady anstellen zu lassen. Auf diese Weise wäre ich endlich außerhalb der Reichweite meines Vaters – und obendrein war mir sehr wohl klar, dass ich nicht ewig würde zu Hause bleiben können. Aber konnte ich meine Mutter einfach so zurücklassen? Wie sollte sie bloß zurechtkommen, wenn ich ihr nicht mehr die feinen Näharbeiten abnahm? Wir fertigten Handschuhe für den Landadel, und es sah mir fast danach aus, dass Lady Ashe eins von unseren Paaren trug, denn sie waren aus feinstem zartblauem Leder und ums Handgelenk herum in einem mir wohlbekannten Muster gefältelt. Wenn sie von uns stammten, dann hatte Ma sie zugeschnitten und zusammengesteckt und ich in stundenlanger Arbeit die schmalen Finger zusammengenäht, mit so zierlichen Stichen, dass man hätte meinen können, eine Fee wäre hier am Werke gewesen.

Vielleicht würde ich dieses Jahr noch mit einer Anstellung warten, aber ich konnte ja schon einmal zu Brownlows Feld gehen, um zu sehen, wie die Dinge dort so vonstatten gingen, wer eine Anstellung bekam und wer nicht. Bestimmt würde mir das in Zukunft von Nutzen sein.

Meine Lavendelstäbe waren allesamt schon nach einer Stunde verkauft. Ich steckte das Geld sorgfältig weg, faltete Mutters bestes Tischtuch zusammen und legte es in meinen Korb. Bevor ich mich zum Gesindemarkt aufmachte, konnte ich allerdings der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig an den Marktständen vorbeizuschlendern und zu schauen, ob mir unter all dem Tand und Krimskrams, dem Schmuck und den Singvögeln nicht irgendetwas Hübsches ins Auge fiel. Es war ein wunderbares Gefühl, ein paar Münzen in der Tasche zu haben, über die ich ganz allein verfügen konnte, wobei dies nur ein Mal im Jahr vorkam, denn das Geld, das Ma und ich mit den Handschuhen verdienten, ging geradewegs an Vater. Natürlich gab es allerlei kostbare und reizende Sachen an den Ständen und noch mehr bei den fliegenden Händlern, und so drehte ich gleich zwei Runden über das Feld und war am Ende hin- und hergerissen zwischen einem mit Stickerei verzierten Mieder, einem Kanarienvogel in einem Drahtkäfig und einer feinen silbrigen Kette, an die ich meine Münze hängen könnte, die bisher an einem einfachen Stück Kordel um meinen Hals hing.

Ich beschloss, mir die Entscheidung erst noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und mir währenddessen anzusehen, wie es auf dem Gesindemarkt voranging.

Brownlows Feld war immer Allmende, Gemeindeland, gewesen, auf dem wir unsere Tiere hatten weiden lassen dürfen, doch kürzlich hatte der Gutsherr Brownlow, der ein großes Haus ganz in der Nähe besitzt, einen hohen Zaun aus Reisig darum gezogen. Darüber hatte sich einiger Unmut geregt, und ein Mann aus dem Dorf hatte versucht, einen Protest zu entfachen, doch es war nichts daraus geworden, da Junker Brownlow wohlhabend ist, einige Hektar Land besitzt und viele Dörfler bei ihm im Dienst stehen, so dass die Leute keine große Lust verspürten, sich gegen ihn aufzulehnen.

Auf dem Feld hatte sich eine stattliche Menschenmenge versammelt, und in der Mitte war zum Schutz gegen die Sonne ein einfacher Baldachin aufgespannt worden. Darunter spielte ein Musikant auf einer Laute, und mehrere Mädchen tanzten einen Jig zu dem munteren Refrain. Außerdem standen dort, auf Holzkisten, all jene Leute, die noch hofften, eine Anstellung zu finden. Die meisten von ihnen waren jung, da Ältere lieber in einer einmal gefundenen Stellung ausharren (so hatte Ma es mir erklärt), und außerdem sind sie auch nicht so begehrt auf dem Gesindemarkt, denn je älter sie sind, umso anfälliger ist ihre Gesundheit und umso häufiger sind ihre Krankentage.

Nach wie vor stand eine ordentliche Zahl von Dienstboten herum und eine noch größere Zahl von Herrschaften, und dazwischen schlenderten allerlei Händler umher und priesen lauthals Erfrischungen an: Milch mit Rotwein, Rosenwasser, Rheinwein und Himbeermet. Die Leute kamen von nah und fern zum Gesindemarkt, denn er wurde nur ein Mal im Jahr abgehalten, und jeder Stellensuchende trug als Erkennungszeichen irgendeinen typischen Gegenstand seiner Zunft bei sich: die Dienstmägde einen Schrubber, die Milchmägde einen Eimer, die Köchinnen einen Holzlöffel oder eine Suppenkelle. Auch Dachdecker mit Strohbündeln sah ich, einen Kardierer mit einem Büschel gefärbter Wolle sowie verschiedene Pflüger und andere Feldarbeiter.

Ihre zukünftigen Arbeitgeber standen in Grüppchen herum, maßen die Kandidaten von oben bis unten, beratschlagten sich halblaut untereinander und tauschten ohne Zweifel das eine oder andere Wort über die Vorzüge – oder auch nicht – eines bestimmten Bediensteten aus. Hin und wieder trat ein Herr zu einem Bewerber auf einer Kiste heran, inspizierte seine Zähne, ob sie auch gesund waren, oder befühlte die Muskeln eines Feldarbeiters, um zu sehen, ob derjenige kräftig genug war, ein Zugpferd zu lenken oder einen Pflug zu führen. Ein stämmiger Kerl – dem Hufeisen unter seinem Hutband nach zu urteilen wohl ein Hufschmied – hatte seinen Oberkörper entblößt, um seine Muskeln zur Schau zu stellen, und zog allerlei bewundernde Blicke der anwesenden Frauen auf sich. Mir war er allerdings zu alt, um mich ins Schwärmen geraten zu lassen (und außerdem schien er in die Kategorie zu fallen, die meine Ma oft als »bloß Muskeln und nichts im Hirn« beschrieb). Hin und wieder wurden sich zwei Parteien einig, und der Handel wurde besiegelt mit einem Handschlag zwischen Herr und Diener sowie einem Silbershilling, den der Herr seinem zukünftigen Bediensteten in die Hand steckte.

Ich wartete, bis der Lautenspieler eine Pause einlegte, und fragte dann die Mädchen, die ihren Tanz ebenfalls unterbrochen hatten, ob sie schon eine Anstellung gefunden hätten.

»Oh ja«, erwiderte eine, während sie die Bänder ihrer Haube frisch verschnürte und ihren Eimer aufnahm – offensichtlich war sie eine Milchmagd. »Mich hat gleich vom Fleck weg ein sehr netter, feiner Farmer eingestellt.« Sie lächelte mich an, und so hübsch wie sie war mit ihren blauen Augen und blonden Locken, wunderte es mich nicht, dass sie so schnell eine Anstellung gefunden hatte.

»Und weil wir Schwestern sind, wurde ich auch gleich mit angestellt!«, rief das Mädchen neben ihr aus.

»Aber ein paar Mädchen stehen schon seit einer Stunde oder noch länger da, die Ärmsten«, fügte die Erste im Flüsterton hinzu, und wir blickten alle zu den Mädchen hinüber, die immer noch auf ihren Kisten standen und sich ziemlich unbehaglich zu fühlen schienen. Allerdings fiel mir sogleich auf, dass die noch übrigen Mädchen entweder ein wenig einfältig oder recht schwächlich aussahen, oder aber ziemlich mollig waren, so dass sie vermutlich viel aßen und im Unterhalt teurer waren.

»Aber du trägst ja gar nichts bei dir. Was ist denn dein Gewerbe?«, fragte die Hübsche.

»Ich bin Handschuhmacherin«, erwiderte ich, »aber das will ich nicht mein ganzes Leben lang machen.« Sehnsüchtig blickte ich zu den in der Reihe stehenden Mädchen hinüber. »Vielleicht könnte ich ja Näherin werden – oder Mädchen für alles.«

»Ich fürchte, die besten Plätze sind schon vergeben«, sagte die andere.

»War Lady Ashe schon hier?«, fragte ich.

Sie nickten. »Sie hat drei Mädchen genommen!«

»Oh.« Ich nickte enttäuscht. Nun, ich war eben noch nicht wirklich bereit gewesen, hatte es mir nicht rechtzeitig vorher überlegt und mit Ma darüber gesprochen.

»Am besten ist es, wenn man ganz früh herkommt«, riet die Erste, »dann kann man es sich noch aussuchen. Wenn dich jemand einstellen will, der dir nicht gefällt, dann kannst du erst mal nein sagen und warten, ob noch jemand Besseres kommt.«

»Und wenn nichts Besseres mehr kommt, dann kannst du dem ersten Herrn immer noch sagen, dass du es dir anders überlegt hast!«, fuhr ihre Schwester fort.

Ich bedankte mich bei ihnen für ihren Rat und ging zu den Marktständen zurück, um mir nun doch die silberne Kette zu kaufen. Als ich das Feld überquerte, führte eine Gruppe gerade einen Moriskentanz auf, und ich sah ihnen eine Weile zu, wie sie in ihren schwarzweißen, mit Schellen bestückten Kostümen herumhüpften, und klatschte und lachte über ihre Possen. Auf einmal packte mich eine Hand an der Schulter.

Der Griff war unverkennbar: kein freundlicher Klaps auf die Schulter wie unter Freunden, sondern so fest, dass sich jeder einzelne Finger in meine Schulter bohrte. Ich wusste sogleich, wer das war.

Ich fuhr herum. »Vater!«

»Ah, jetzt fährt dir wohl der Schrecken in die Glieder, was?«, rief er, während er sich schwankend auf den Beinen hielt. »Hinterhältiges Luder! Hinter meinem Rücken einen Marktstand zu betreiben!«

Ich brachte vor lauter Angst kein Wort heraus. Offenbar hatte mich jemand erkannt und ihm Bericht erstattet.

»Und Gut von unserm Haus und Hof zu verschachern!«

Ich schüttelte den Kopf. »So war das gar nicht – es war nur ein wenig Lavendel, den ich selbst gepflanzt habe.«

Er schüttelte mich, die Hand immer noch mit eisernem Griff in meine Schulter gekrallt, was allmählich richtig wehtat. »Den du auf meinem Grund und Boden gepflanzt hast. Und in meiner Zeit, wenn du eigentlich deiner Mutter bei den Handschuhen hättest helfen sollen.«

Ich merkte an seiner leicht lallenden Aussprache, dass er dem Ale zugesprochen hatte, und wünschte mir nur, ich hätte das eingenommene Geld schon ausgegeben, denn ich wusste nur zu gut, was gleich kommen würde.

»Aber gib mir, was du heute verdient hast, und ich lass es dabei bewenden.«

Ich überlegte. Wenn ich ihm ein paar von meinen Münzen gab, vielleicht war er dann zufrieden. Allerdings würde das wohl kaum gelingen, denn sobald er einen Blick in meine Tasche erhaschte, würde er das ganze Geld verlangen.

Sein Griff wurde noch fester. »Ich bin immer noch der Herr im Haus, und du hast mir zu gehorchen. Vergiss nicht, alles, was von einem Mitglied meines Hausstands verdient wird, gehört mir.«

Ich hatte nicht den Mut, ihm zu widersprechen, schüttelte jedoch zaghaft den Kopf. Das reichte, um ihn richtig in Rage zu versetzen.

»Gib mir, was du eingenommen hast, oder ich nehm’s mir mit Gewalt und gerb dir dazu noch das Leder.«

Ich spähte an ihm vorbei und maß die Entfernung bis zum Gatter, das das Feld begrenzte. Ich hätte keine Schwierigkeiten gehabt, ihm davonzulaufen, doch dann würde die Abrechnung eben später zu Hause kommen und auch noch meiner Ma Kummer bereiten. Das Klügste war wohl, ihm das Geld hier und jetzt auszuhändigen, damit die Sache ausgestanden wäre. Doch ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen.

Jetzt packte er mich auch noch an der anderen Schulter und schüttelte mich so heftig, dass mir der Kopf hin und her geschleudert wurde und ich mir versehentlich auf die Zunge biss. »Du wagst es, mir den Gehorsam zu verweigern, du kleines Miststück?«

Jetzt hatte ich wirklich Angst, denn er war ein großer, kräftiger Mann, und so wanderte meine Hand tatsächlich schon in meine Tasche, um ihm zu geben, was er verlangte – doch dann hielt ich auf einmal inne. Das ganze Jahr über hatte ich meine Lavendelbüsche gepflegt, hatte sorgfältig die Farben für meine Bänder ausgesucht, hatte die Stäbe gebastelt – und nun sollte ich mir einfach so mein kostbares Geld abnehmen lassen? Das war nicht fair! Nein, das konnte ich nicht zulassen, das würde ich nicht zulassen.

»Du wagst es, mir den Gehorsam zu verweigern?«, fragte er noch einmal. Er holte mit der Hand aus und versetzte mir eine Ohrfeige, die mir die Tränen in die Augen trieb. Auf einmal packte mich eine heftige Wut. Wollte ich denn einfach nur dastehen und mich vor dem halben Dorf verprügeln lassen? Nein, das wollte ich nicht. Als er erneut ausholte, riss ich mich los und gab ihm einen kräftigen Schubs. Ich duckte mich vor seinen nach mir schlagenden Armen und fing an zu rennen, quer übers Feld und haarscharf an den Tänzern vorbei, was mir ein paar Flüche von ihnen eintrug, weil ich sie in ihrem Tanz durcheinandergebracht hatte.

Als ich das Tor des Gatters erreicht hatte, blieb ich stehen und blickte mich um. Mein Vater hatte gar nicht erst versucht, mich einzuholen, sondern schaute mir, die Hände in die Hüften gestützt, mit einem verächtlichen, höhnischen Ausdruck nach. Mir war sehr wohl klar, was das hieß: Er wollte sich die Mühe sparen, mir hinterherzurennen, da er mich später, zu Hause, schon noch drankriegen würde.

Ich lief über die Dorfwiese und dann den Weg hinunter, der zu unserem Häuschen führte. Die ganze Zeit über rannte ich, obwohl ich mich fragte, was mir das helfen sollte. Am Ende würde sich Vater doch das Geld nehmen, so viel war sicher. Er würde das Geld nehmen, und ich bekäme die Tracht Prügel, und ob es dazu heute oder morgen kam, war sowieso schon egal.

Das war nun mal mein Leben, und so hatte ich es einfach immer hingenommen.

»Du musst weg von hier«, sagte Ma, nachdem sie sich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn meine Geschichte angehört hatte. »Und zwar schnell, bevor er zurück ist. Ich werde sagen, dass ich dich seit heute früh, als du zum Markt weggingst, nicht mehr gesehen habe.«

Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten, und sah, dass es ihr nicht anders ging.

»Ich will ja auch nicht, dass du weggehst, Lucy.« Sie legte das braune Leder beiseite, an dem sie gerade arbeitete, und zog mich an sich. »Aber ich habe Angst um dich. So jähzornig wie er ist, fürchte ich gar um dein Leben. Ich würde ihm ja die Stirn bieten und dich beschützen, wenn ich könnte … «

Ich schüttelte den Kopf. »Das würde auch nichts helfen«, sagte ich, denn Ma war zierlich und von kleinem Wuchs. Am Vorabend hatte sie selbst eine so heftige Ohrfeige von Vater erhalten, dass sie zu Boden gestürzt war, woraufhin er ihr auch noch einen Fußtritt versetzt hatte wie einem Hund. Und ihre rechte Gesichtshälfte war noch ganz grün und blau von letzter Woche, als er ein Holzscheit nach ihr geworfen hatte.

Ich vergrub das Gesicht in ihrer Bluse. Sie roch nach Kamillenseife, nach Holzfeuer und Zuhause. »Ich habe Angst, Ma … «

»Vor ihm? Natürlich hast du das.«

Ich nickte. »Vor ihm – und vor dem Weggehen. Wo soll ich denn hingehen?«

Sie überlegte eine Weile. »Am besten verschwindest du aus der Gegend«, sagte sie. »Warum versuchst du es nicht in London? Es heißt, da gibt es für jeden Arbeit.«

»Aber was soll ich denn arbeiten?«

»Du könntest hunderterlei verschiedene Sachen machen, Lucy. Du warst schon immer ein schlaues Kind. Du könntest als Hausmädchen arbeiten, einfache Hausmannskost kochen oder bei Tisch servieren. Du könntest mit einer Milchkuh von Tür zu Tür gehen, auf der Straße Essen verkaufen oder für einen Apotheker Arzneien und Heiltränke kochen. Wer Arbeit sucht, der findet in der Stadt immer irgendwas.«

»Aber wie wirst du ohne mich zurechtkommen?«

Ma strich mir übers Haar. »Ich schaff das schon, meine Kleine. Und es würde mir schon reichen, dich fort von ihm zu wissen. Seit Monaten schon herrscht nur noch böses Blut zwischen euch.«

Sie hatte recht. Vater war jemand, der immer das Sagen haben musste – und wenn er dazu drohen, schimpfen oder gar prügeln musste, dann tat er das auch. Als ich noch kleiner war, hatte mich das kaum gestört, denn damals hatte er den ganzen Tag lang auf den Feldern gearbeitet, und wir hatten nicht viel von ihm gesehen. Vor zwei Jahren hatte er jedoch seine Stellung als Feldarbeiter verloren und saß seither ziemlich viel zu Hause herum, trübsinnig und ständig nörgelnd, spottete über meine angebliche Langsamkeit beim Handschuhnähen (dabei war ich nicht im Mindesten langsam) und hielt mir vor, dass ich ihm sein Leben lang auf der Tasche liegen würde, weil ich zu hässlich sei, um einen Mann zu finden. Wenn er für ein paar Tage Arbeit fand und Geld in die Finger bekam, dann wurde es noch schlimmer, weil er dann schnurstracks vom Feld weg ins Wirtshaus ging und später voller Streitlust zu Hause erschien.

»Warum kommst du nicht mit mir, Ma?«, drängte ich meine Mutter.

Sie schüttelte mit einem sanften Lächeln den Kopf. »Ich bin zu alt und abgearbeitet, um noch um Nahrung zu betteln und in einer Scheune am Wegrand zu nächtigen. Zu alt, um zu Fuß bis nach London zu gehen. Und außerdem, was würde denn aus den anderen hier werden? Wie sollen denn deine Schwestern zurechtkommen, wenn ich nicht da bin, um auf ihre Kinder aufzupassen?«

Ich seufzte, wohl wissend, dass sie recht hatte. Es kam selten genug vor, dass nicht ein oder zwei meiner kleinen Nichten oder Neffen an ihrem Schürzenzipfel hingen, während meine Schwestern arbeiteten, und heute lag es nur daran, dass die meisten Leute auf dem Markt waren. Ich vergewisserte mich mit einem unruhigen Blick aus dem Fenster, dass mein Vater nicht bereits den Weg herunterkam, und überlegte, was zu tun sei. War dies jetzt der Augenblick, wegzugehen? War dies der Moment, auf den ich gewartet hatte? Konnte ich wirklich mein Zuhause verlassen? Andere Mädchen aus dem Dorf waren fortgegangen und hatten es gut getroffen, wie man hörte: Eine war Wirtin geworden, eine andere arbeitete im Laden eines Tuchhändlers und verkaufte Tisch- und Bettwäsche, mehrere hatten eine Anstellung als Hausmädchen gefunden.

»Wenn ich heute früher dran gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht bei Lady Ashe Arbeit finden können«, erzählte ich meiner Ma. »Sie war heute auf dem Gesindemarkt.«

Ma schüttelte den Kopf. »Das wäre zu nah bei uns. Dein Vater würde es herausbekommen und dich bis dahin verfolgen. Nach London hingegen kommt er bestimmt nie.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das würde ihm ähnlich sehen, die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.«

»Vielleicht wirst du dort dein Glück machen«, fuhr Ma fort, immer noch mein Haar streichelnd, »denn es heißt, dass in London die Straßen mit Gold gepflastert sind.«

»Ehrlich?«

Sie zuckte lächelnd mit den Schultern. »So hört man jedenfalls. Aber vielleicht ist es auch nur so eine Geschichte.«

Wir redeten noch eine Weile weiter und kamen zu dem Schluss, dass es das Beste für mich wäre, zu gehen, ja, dass mir im Grunde gar nichts anderes übrig blieb, und allmählich wich meine Furcht einer prickelnden Erregung angesichts eines solchen Abenteuers. Wir schätzten, dass London nicht länger als zwei oder drei Tagesmärsche weit weg sein konnte, denn unser Dorf, Hazelgrove, liegt unweit von Hampton Court, wo Königin Elisabeth einen großen Palast besitzt, und es ist kein Geheimnis, dass sie des Öfteren zwischen diesem und Whitehall, ihrem Palast in London, hin und her reist. (Wobei sie wohlgemerkt meist auf dem Fluss reist und sich daher nicht wie alle anderen mit dem Schlamm, den Schlaglöchern und den Wegelagerern auf den Straßen herumplagen muss.)

Ma half mir, meine wenigen Habseligkeiten zu packen – mein zweitbestes Gewand, bestehend aus Rock und Mieder, zwei Unterkleider, ein paar alte, mehrfach gestopfte Seidenstrümpfe, die ich von einer meiner Schwestern übernommen hatte, und meinen Mantel. Dazu steckte sie mir, zusätzlich zu meinem Geld aus dem Verkauf der Lavendelstäbe, noch einen Silbershilling zu, den sie vor Vater versteckt gehalten hatte. Ich faltete die Kleider so klein wie möglich zusammen und legte sie nebst Taschentüchern, Waschlappen und einem Kamm in meinen Korb. Ma legte noch etwas Brot, Käse und eine Flasche Wasser obenauf.

Wir nahmen tränenreich voneinander Abschied, und Ma sah so alt und erschöpft aus, dass mir unwillkürlich der Gedanke kam, ich würde sie womöglich nie wiedersehen, oder wenn, dann in ihrem Sarg. Vermutlich machte sie sich dieselben Sorgen um mich, denn sie bat mich inständig, gut achtzugeben, wo ich mich schlafen legte, niemandem zu trauen, bevor er sich nicht als anständiger Mensch erwiesen hatte, und vor allem nicht auf ein hübsches Gesicht oder eine rührselige Geschichte hereinzufallen.

»Pass gut auf dein Geld auf«, fuhr sie fort, »und sei immer auf der Hut vor Betrügern und Dieben, denn die schiere Not treibt manche Leute so weit, dass sie bereit sind, ihre Seele zu verkaufen – und die deine mit –, wenn sie sich davon einen Gewinn versprechen. Denk immer daran, welchem Stand du angehörst, und drossle deine Neugier ein wenig, Lucy. Manche Dinge sind nicht für unsereins bestimmt.«