Im Kopf des Mörders - Kalte Angst - Arno Strobel - E-Book
SONDERANGEBOT

Im Kopf des Mörders - Kalte Angst E-Book

Arno Strobel

0,0
8,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Arno Strobels Thriller haben alle etwas gemeinsam: Sie sind so spannend, dass man sie nicht mehr aus der Hand legen kann.« Sebastian Fitzek Oberkommissar Max Bischoff traut seinen Ohren nicht, als ihn der Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie in Langenfeld anruft und ihm mitteilt, dass er wichtige Informationen zu einem aktuellen Fall hat. Einem Fall, der Max Bischoff und seinem Partner Horst Böhmer nichts als Rätsel aufgibt. Denn scheinbar wahllos dringt ein Unbekannter, der sein Gesicht unter einer Fliegenmaske verbirgt, nachts in Wohnungen und Häuser ein. Er überwältigt die Bewohner und lässt jedes Mal nur einen Überlebenden zurück. Und eine Botschaft: "Erzähl es den anderen." Und jetzt der Anruf aus der Langenfelder Psychiatrie. Siegfried Fissmann, einer der Patienten dort und selbst ein verurteilter Mörder, sagt diese Morde genau voraus. Bischoff bleibt nichts anderes übrig, als sich auf Fissmann einzulassen, wenn er verhindern will, dass noch weitere Menschen sterben. Auch wenn das bedeutet, dass er selbst an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit gerät … Ein echter »Strobel« mit einer gewohnt starken psychologischen Komponente und dem toughen jungen Ermittler Max Bischoff, den sein zweiter Fall tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 378

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Arno Strobel

Im Kopf des Mörders – Kalte Angst

Thriller

FISCHER E-Books

Inhalt

MottoProlog123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839DankMax Bischoff ermittelt weiter

Es ist oft nur der Anschein, der blendet.

Erhard Horst Bellermann

Prolog

Sie steht regungslos da und starrt die Gestalt an. Der übergroße Fliegenkopf aus Plastik sieht so echt aus, dass sie sich vor Angst und Entsetzen eingenässt hat.

Halbkugelförmige, fußballgroße Facettenaugen, dunkel und bedrohlich fixieren sie. Erbarmungslos, hypnotisierend.

Borstige Haare ragen aus dem hässlichen Schädel, dessen Unterseite in einem armdicken, schwarzen Rüssel endet.

Sie hat sich gegen die Wand sinken lassen. Eine gnädige Stütze, die verhindert, dass ihre zitternden Beine ihr den Dienst versagen.

»Ja, jetzt glotzt du.« Diese Stimme. Metallisch, kaum verständlich, wie von einer Maschine gesprochen. Sie hat sie schon bei Menschen gehört, die nach einer Kehlkopfentfernung ein elektronisches Gerät benutzen, das die Wörter für sie formt. In dieser Situation verstärkt die Stimme noch das Grauen, das sie empfindet. Der Rüssel bewegt sich auf groteske Weise, als die Gestalt weiterspricht. »Du weißt genau, was hier geschieht, habe ich recht? Du weißt, wer ich bin, und du weißt, dass es sein muss, aber du willst es nicht sehen, du feiges Miststück.«

»Wer … wer sind Sie? Warum tun Sie das?«

»Lukas. Klingelt da was bei dir?«

»Lukas? Nein, ich …« Sie sieht, wie die Hand mit dem Messer sich bewegt und die Spitze ein kleines Stück in die Haut von Manuels Hals eindringt. Er stößt einen wimmernden Laut aus, wagt aber nicht, sich zu bewegen. Ein dunkler Tropfen bahnt sich unendlich langsam seinen Weg nach unten, hinterlässt dabei eine dünne Spur auf der glatten Haut. Sie beobachtet das alles wie eine Szene in einem Film, die in Zeitlupe abläuft, um das Grauen für die Zuschauer noch zu steigern.

Ihr Mund klappt auf, sie möchte flehen, bitten, betteln. Irgendetwas tun, um das zu verhindern, was unabwendbar scheint. Mit größter Willenskraft reißt sie den Blick von der unerträglichen Szene los und bleibt an der Gestalt hängen, die regungslos und mit zertrümmertem Schädel am Eingang zum Wohnzimmer auf dem Boden liegt. Doch die metallische Stimme holt sie brutal zurück.

»Du hast die Zeichen gesehen und weißt genau, dass es sein muss. Und du willst es auch, oder etwa nicht?«

Als sie nicht antwortet, wiederholt die Gestalt: »Oder etwa nicht?«

»Nein! Bitte nicht!« Ihre Stimme … eine Aneinanderreihung krächzender Laute. »Bitte, tun Sie das nicht. Was immer …«

»Bitte, nicht«, äfft die Stimme sie nach. Dabei dreht der hässliche Fliegenkopf sich so schnell zu Manuel um, dass der Rüssel ihm wie eine fleischige Peitsche ins Gesicht schlägt. Manuel wimmert wieder leise, seine Wangen sind tränennass.

»Schau sie dir an«, befiehlt die Gestalt und deutet mit dem Kinn auf sie. »Wie feige sie ist. Tut so, als hätte sie keine Ahnung. Als hätte sie die Zeichen nicht erkannt, obwohl sie überdeutlich sind.« Sekunden vergehen, in denen die schwarzen Halbkugeln ihre Haut zu verbrennen scheinen.

»Ihr kleiner Verstand will nicht wahrhaben, dass das, was hier geschieht, nur zu ihrem Besten ist. Dass ich das hier tun muss, weil sie zu feige ist.« Die Hand der Gestalt ruckt nach oben und lässt die Klinge bis zum Schaft in Manuels Hals verschwinden, so leicht, als dringe sie in ein Stück Butter.

1

Der Anruf kam um fünf Uhr am Mittwochmorgen.

»Die Nacht ist zu Ende«, begann Böhmer ohne Einleitung. »Ein Doppelmord in Gerresheim.«

Max richtete sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. »Holst du mich ab?« Seine Stimme klang noch rau.

»Nein, ich bin schon unterwegs. Komm mit deinem eigenen Wagen, und beeil dich.« Böhmer nannte ihm die Adresse und legte auf, bevor Max Fragen stellen konnte. Schlaftrunken schwankte er ins Wohnzimmer zu seinem Schreibtisch, kramte einen Zettel und einen Kugelschreiber zwischen den Akten hervor, die die ganze Arbeitsfläche bedeckten, notierte die Adresse und ging dann ins Bad.

Eine knappe Viertelstunde später war er unterwegs. Mit eingeschaltetem Magnetblaulicht rauschte er mit neunzig Stundenkilometern über die Grafenberger Allee und erreichte nach etwa zwanzig Minuten die Adresse, die Böhmer ihm genannt hatte. Mehrere Einsatzfahrzeuge parkten am Straßenrand, direkt vor dem Grundstück stand ein Notarztwagen.

Max stellte sein Auto neben dem Audi seines Partners ab, stieg aus und betrachtete das anderthalbgeschossige Einfamilienhaus, das sich gegen den graublauen Himmel der Morgendämmerung abzeichnete. Ein Weg aus Steinplatten teilte den Rasen vor dem Haus in zwei Hälften und endete vor der offenstehenden Eingangstür. Jan, ein Kollege der Spurensicherung, der seine Herkunft aus dem hohen Norden weder verleugnen konnte noch wollte, kam vom Haus aus auf Max zu und begrüßte ihn. »Moin!«

Jan steckte in einem weißen Papieroverall und hatte Plastiküberschuhe an den Füßen. Max nickte ihm zu und ging schnell an ihm vorbei, bevor Jan dazu kam, zu einem seiner berüchtigten Monologe anzusetzen.

Er hatte schon die halbe Strecke zum Eingang zurückgelegt, als Jan hinter ihm herrief: »Ist nix für schwache Nerven da drin!«

Max hob die Hand und ging weiter, ohne sich umzudrehen. Erst als er die Eingangstür erreicht hatte, blieb er stehen. Im Inneren des Hauses waren gedämpfte Stimmen zu hören. Böhmers untersetzte Gestalt verdeckte im hinteren Teil des Flurs den Blick in das angrenzende Zimmer. Gleich neben der Eingangstür führte eine Treppe in die obere Etage.

Noch hatte sein Partner ihn nicht bemerkt.

Max atmete tief durch und versuchte, sich auf das vorzubereiten, was er gleich sehen würde, obwohl er wusste, dass man sich auf solche Szenarien kaum vorbereiten konnte.

Als er den Flur betrat, wandte Böhmer sich zu ihm um. »Ah, da bist du ja.« Er deutete ins Innere des Raumes. »Da muss ein vollkommen Irrer am Werk gewesen sein.« Böhmer versperrte noch immer die Tür in das Zimmer, aber da Max einen halben Kopf größer war, sah er über die Schultern seines Partners hinweg die Beine eines am Boden liegenden Körpers. Er wies an Böhmer vorbei. »Darf ich?«

Sein Partner nickte und drückte sich wortlos mit dem Rücken gegen die Flurwand, so dass Max an ihm vorbei den Raum betreten konnte. Es war das Wohnzimmer.

Der Tote trug Jeans und ein blaues Hemd und lag auf dem Bauch. Der Schädel war vollkommen zertrümmert und lag in einer riesigen Blutlache. Knochensplitter und Hirnmasse waren weiträumig um ihn herum auf dem Boden und an der Wand verteilt. Selbst das Bein des Tisches, der zwei Meter daneben stand, wies dunkle Spritzer auf.

Der Täter musste wie ein Besessener mit einem massiven Gegenstand auf den Kopf eingeschlagen haben. Doch so unappetitlich der Anblick auch war, er schockierte Max nicht annähernd so sehr wie das, was er in der dahinterliegenden, offenen Küche sah, als er von dem Toten aufblickte. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, saß ein etwa dreizehnjähriger Junge auf dem Boden. Sein Shirt war von Blut durchtränkt, das aus einer Wunde am Hals stammte, in der, schräg nach oben gerichtet, bis zum Schaft ein Messer steckte.

Max spürte, wie eine Faust seinen Magen umschloss und erbarmungslos zudrückte.

»Der Tote mit dem eingeschlagenen Schädel ist Rolf Darius«, sagte Böhmer so nah an Max’ Ohr, dass er erschrocken zusammenfuhr. »Der Junge ist sein Sohn Manuel. Er ist … er war zwölf Jahre alt.«

Max starrte das bleiche Gesicht des toten Jungen an, unfähig, auf Böhmers Information zu reagieren. Unfähig zu irgendeiner Reaktion. Und während sein Verstand krampfhaft versuchte, sich an der Realität des Tatorts festzuhalten, verschwammen die jungen Gesichtszüge, als müssten sie sich neu ordnen, und als sie wieder deutlicher wurden, hatten sie sich verändert. Aus dem Kindergesicht war das einer jungen, bildhübschen Frau geworden. Ein vertrautes Gesicht, dessen Augen sich öffneten und dessen Blick sich mit einem Ruck auf ihn richtete, so voller Angst und Entsetzen, so verzweifelt um Hilfe bettelnd, dass es Max schier das Herz zerriss.

»Max, was ist mit dir?« Böhmer.

Max’ Verstand klammerte sich an der rauen Stimme seines Partners fest und zog sich daran zurück in die Gegenwart, weg aus der Vergangenheit, aus dem düsteren Keller, weg von …

»Max!« Eine Hand legte sich auf seine Schulter, schüttelte ihn. Dann war Böhmers Gesicht vor ihm. »Alles okay, Partner?«

»Ja … ja. Alles okay.« Max drehte sich so, dass er das tote Kind nicht mehr sehen musste, und rieb sich über die Augen.

»Was ist mit der Mutter des Jungen?«

»Ist mit der Ärztin oben in der ersten Etage. Sie musste alles mitansehen und steht unter Schock.«

»Okay. Ich schau mal, ob ich mit ihr reden kann.«

Max wandte sich ab und vermied es, den toten Jungen noch mal anzusehen.

Als er, gefolgt von Böhmer, den oberen Treppenabsatz erreichte, entdeckte er die Mutter des Jungen durch die offene Schlafzimmertür. Sie lag reglos mit geöffneten Augen auf dem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Strähnen ihrer langen, dunklen Haare klebten ihr an der Stirn. Auf der Bettkante saß die Ärztin und kontrollierte den Puls der Frau. Sie sah auf, als sie Max’ und Böhmers Schritte hörte.

»Guten Morgen«, begrüßte Max die Ärztin, die ihm unbekannt war, und blieb in der Tür stehen. »Bischoff ist mein Name, Kripo Düsseldorf. Das ist mein Kollege Böhmer. Können wir uns kurz mit Frau Darius unterhalten?«

»Das ist im Moment ungünstig. Sie hat einen Schock und muss in stationäre Behandlung. Gleich werden …«

»Es ist wichtig«, fiel Böhmer ihr ins Wort und schob sich an Max vorbei in den Raum. »Frau Darius hat gesehen, was passiert ist, und kann uns vielleicht entscheidende Hinweise geben. Also bitte …«

Mit einem prüfenden Blick auf die Frau nickte die Notärztin schließlich und stand auf. »Also gut. Aber ich weiß nicht, ob sie ihnen antworten kann.«

Böhmer ging auf das Bett zu. Die Frau zeigte keinerlei Reaktion.

»Frau Darius, es tut uns sehr leid, was passiert ist. Wir wissen, dass Sie Furchtbares mitgemacht haben, aber wir brauchen dringend Ihre Hilfe.« Er machte eine Pause, doch die Frau ließ nicht erkennen, dass sie ihn gehört hatte.

»Können Sie uns bitte sagen, was heute Nacht hier passiert ist?«

»Er war so hässlich.« Die Antwort kam überraschend schnell, aber so leise, dass Max die Worte kaum verstehen konnte.

»Was?«, hakte Böhmer sofort nach. »Wer war hässlich? Der Täter? Wie sah er aus?«

»Eine Fliege. Er … er hat …« Eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel der Frau, rann über die Schläfe und versickerte neben ihrem Kopf im Kissen.

»Er hat meinen Jungen …« Die Stimme versagte ihr.

Böhmer tauschte schnell einen Blick mit Max, bevor er sich wieder an die Frau wandte. »Können Sie uns beschreiben, wie der Mann aussah?«

»Eine Fliege. Eine hässliche Fliege.«

»Was? Was ist mit der Fliege?«

»Ich bin schuld.«

»Frau Darius …«

Ihr Kopf flog herum, die Augen waren weit aufgerissen. »Er hat gesagt, ich bin schuld«, schrie sie. »Ich bin schuld. Ich …« Sie schlug die Hände vors Gesicht, ihr schlanker Körper begann immer stärker zu zucken, bis er von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde.

»Aufhören!«, sagte die Ärztin bestimmt, als Böhmer der Frau die Hand auf den Arm legte und Anstalten machte, weiterzufragen. Mit zwei schnellen Schritten stand sie am Bett. »Keine Fragen mehr. Sie sehen doch, in welchem Zustand die Frau ist. Ich werde sie jetzt ins Krankenhaus schaffen lassen.«

»Okay.« Böhmer erhob sich. »Wir kommen später nach. Wo bringen Sie sie hin?«

»Ins Uniklinikum.«

Böhmer nickte Max zu und ging an ihm vorbei aus dem Raum. Max warf noch einen langen Blick auf die zuckenden Schultern der Frau, die sich wieder abgewendet und den Kopf tief im Kissen vergraben hatte, dann folgte er seinem Partner nach unten.

Sie sprachen noch mit Kollegen der Spurensicherung und mit dem Rechtsmediziner, der zwischenzeitlich die erste Begutachtung der beiden Opfer durchgeführt hatte. Rolf Darius’ Schädel war mit einem Hammer zertrümmert worden, der wenige Meter entfernt neben dem Opfer auf dem Boden lag. Das Messer, das im Hals seines Sohnes steckte, gehörte offensichtlich zu einem Sortiment Küchenmesser, das man in einer der Schubladen gefunden hatte.

»Was könnte sie mit dieser Fliege gemeint haben?«, dachte Max laut nach, als sie nach einer halben Stunde ins Freie traten.

»Keine Ahnung. Die Frau ist schwer traumatisiert. Vielleicht hat sie irgendwo eine Fliege gesehen, während ihr Junge ermordet wurde.«

Diese Erklärung klang zwar nicht sehr plausibel, aber eine bessere fiel auch Max nicht ein. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und atmete tief durch. Er fühlte sich schrecklich. »Was geht nur in den kranken Hirnen dieser abartigen Arschlöcher vor sich?«, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Böhmer zuckte mit den Schultern. »Wenn wir das wüssten, könnten wir wahrscheinlich einige dieser Taten verhindern. Aber deine Frage wundert mich. Ist es nicht dein Ding, dich in die Köpfe dieser Typen hineinzuversetzen?«

Max verstand nicht, was Böhmers Bemerkung in dieser Situation für einen Sinn haben sollte. Und sie ärgerte ihn. »Also gut. Ich erkläre es dir gerne noch mal, wenn es sein muss. Du verwechselst da was. Der Versuch, die Denkweise dieser Typen einzuordnen und im günstigsten Fall vielleicht ihre nächsten Schritte vorauszusehen, basiert ausschließlich auf der Auswertung von Verhaltensmustern, die auf statistischer Basis mit spezifischen sozioökonomischen Merkmalen in Verbindung gebracht werden können.« Max gestand sich ein, dass es ihm eine gewisse Genugtuung verschaffte, zu beobachten, wie sich ein fragender Ausdruck auf Böhmers Gesicht legte.

»Ein Fallanalytiker erstellt keine psychologischen Täterprofile, wie du offensichtlich immer noch denkst. Und er fertigt kein Erscheinungs- und Persönlichkeitsbild eines Straftäters an. Und weißt du, warum er das nicht tut?« Max machte eine Pause, in der er Böhmer eindringlich in die Augen sah. »Weil er es schlicht und ergreifend nicht kann.«

Böhmer schien einen Moment angestrengt nachzudenken, bevor er schließlich nickte. »Sag ich doch.« Und als er sich abwandte, fügte er noch hinzu: »Wir sehen uns gleich auf dem Präsidium.«

Max schaute seinem Partner nach, bis er das Grundstück verlassen und sein Auto erreicht hatte, dann machte auch er sich auf den Weg.

Während er durch die morgendlichen Straßen Düsseldorfs fuhr, nahm er kaum etwas von seiner Umgebung wahr. In Gedanken spielte er noch einmal durch, was er im Haus der Familie Darius – der ehemaligen Familie Darius – gesehen hatte, so, wie er es nach der Besichtigung eines Tatorts immer machte. Es gelang ihm, die dort vorgefundene Situation gedanklich zu reproduzieren, aber sosehr er sich auch anstrengte, er schaffte es einfach nicht, sie mit dem neutralen, analytischen Blick zu betrachten, der für seine Arbeit so wichtig war. Immer wieder schob sich übergroß das bleiche Gesicht des ermordeten Kindes vor alle anderen Bilder, dann verschwammen die Züge und wurden zu dem Frauengesicht, dessen Augen vor panischer Angst weit aufgerissen waren. Max schüttelte den Kopf, versuchte es erneut – mit dem gleichen Resultat.

Die Wut kam plötzlich und mit einer Heftigkeit, wie er sie lange nicht mehr empfunden hatte. Er schlug mit der Hand gegen das Lenkrad, stieß ein lautes »Verdammt« aus, hämmerte wieder und wieder auf das Lenkrad, bis er den unbändigen Zorn auf den Mörder des Jungen ein wenig unter Kontrolle gebracht hatte. Er atmete tief durch, öffnete das Seitenfenster, beugte den Kopf hinaus und ließ sich die frische Morgenluft ins Gesicht wehen.

Wie sollte er seriös und vor allem erfolgreich ermitteln, wenn seine wichtigste Fähigkeit ihm nicht zur Verfügung stand: sein analytischer Verstand.

Es war zum Verzweifeln. Seit dem letzten Fall, in den er emotional weit mehr verwickelt gewesen war, als es ein Ermittler sein sollte, war er mehr denn je von dem Wunsch beseelt, Psychopathen aus dem Verkehr zu ziehen. Und genau dieser Fall schien nun der Grund dafür zu sein, dass ihm das schwerer fiel als je zuvor.

Er schloss das Fenster wieder, öffnete über die Lenkradsteuerung das Telefonbuch und bewegte den Cursor auf Kirstens Nummer. Bevor er sie anwählte, warf er einen Blick auf die Uhr. Kurz vor sieben, um diese Zeit war sie meist schon aufgestanden. So auch an diesem Morgen, wie sich herausstellte, als sie sich nach nur zweimaligem Klingeln meldete.

»Guten Morgen, Schwesterherz. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?«

»Guten Morgen. Nein, ich bin schon eine ganze Weile wach. Aber wenn ich mir die Uhrzeit anschaue … was ist los?«

Sie kannte ihn und wusste, ein Anruf zu dieser Stunde musste einen bestimmten Grund haben. Er überlegte einen Moment, wie er beginnen sollte.

»Ich komme gerade von einem Tatort. Eine schlimme Sache. Ein Mann und sein zwölfjähriger Sohn sind ermordet worden. Die Mutter musste dabei zusehen.«

»O mein Gott, wie schrecklich. Und? Wie schlimm ist es für dich?«

»Es ist der erste Mordfall seit meiner Auszeit …«

»Ja, ich weiß. Deshalb frage ich.«

»Dieser tote Junge … er hatte plötzlich Jennys Gesicht.«

2

Als Max im Präsidium ankam, war Böhmer schon da.

Gut möglich, dass er selbst einen Umweg gefahren war. Er konnte sich nicht mehr genau an den Weg erinnern, den er während des Telefonats mit seiner Schwester genommen hatte.

Max traf seinen Partner in der Küche, wo er sich gerade einen Kaffee am Vollautomaten machte.

Als Böhmer ihn entdeckte, nahm er eine zweite Tasse aus dem Hängeschrank und stellte sie neben der Maschine ab. »Wo warst du so lange? Ich bin schon seit zehn Minuten hier.«

»Ich habe noch mit meiner Schwester telefoniert.«

Böhmer nickte wissend. »Ja, Telefonate mit Frauen fressen immer Zeit.«

»Guten Morgen, Kollegen.« In der Tür stand Verena Hilger. Vierzig Jahre, dunkelhaarig und mit einer Figur gesegnet, bei deren Anblick einige männliche Kollegen immer wieder glänzende Augen bekamen. Wie Max wusste, trieb sie sehr viel Sport.

Die Oberkommissarin kam aus Köln und hatte sich vor zwei Monaten zu ihnen versetzen lassen, weil sie sich mit ihrem dortigen Chef nicht verstanden hatte. Max konnte das gut nachvollziehen, denn er kannte den Mann von einem Seminar, das er besucht und das ebenjener Kriminalhauptkommissar Bernd Menkhoff geleitet hatte. Ein brillanter Ermittler, aber ein knallharter Faktenmensch und auf zwischenmenschlicher Ebene eine Katastrophe. Oberkommissarin Hilger mit ihrem Faible für Esoterik musste ein rotes Tuch für ihn gewesen sein.

Max war allerdings der festen Überzeugung, dass dieses ganze irrationale Getue von ihr nur geschauspielert war, weil es ihr Spaß machte, die Kollegen damit zum Narren zu halten.

»Ich habe gerade von dem Mord gehört. Stimmt es, dass es zwei Opfer gibt?«

Böhmer zog seine Tasse unter dem Automaten heraus, stellte die frische darunter und drückte auf den Knopf, der die Maschine in Gang setzte. »Ja, zwei Opfer, eines davon ein zwölfjähriges Kind«, erklärte er so laut, dass seine Stimme das Geräusch des Mahlwerks übertönte.

»O Gott …«

»Na, der hat dabei wohl weggesehen.«

»Das ist wirklich furchtbar. Aber dann tut euch eine kleine Aufmunterung sicher gut.« Binnen eines Sekundenbruchteils wechselte ihr Gesichtsausdruck von betrübt zu verschmitzt. »Ich habe eben einen Blick auf das Horoskop geworfen und festgestellt, dass die Sterne trotz dieser schlimmen Sache gut für euch stehen. Horst, du wirst heute einer geheimnisvollen, dunkelhaarigen Frau begegnen.«

Böhmer warf einen demonstrativen Blick auf Hilgers schulterlange Haare und nickte. »Ich wundere mich zwar, was die geheimnisvolle Frau um diese Zeit schon im Büro macht, aber … es stimmt.« Beide lächelten.

»Und du, Max …«

Max hob die Hand und wiegelte ab. »Nein, lass mal. Ich möchte gar nicht wissen, was mir heute noch alles passiert.«

Auch wenn ihm klar war, dass Witzeleien zwischen Ermittlern gerade bei besonders grauenhaften Fällen letztendlich nichts anderes als Selbstschutz waren, stand ihm einfach nicht der Sinn danach, sich ablenken zu lassen. Hilger schien das zu spüren, denn sie beließ es dabei.

Auf dem Gang kam ihnen ihr Chef, Polizeirat Alexander Gorges, entgegen und dirigierte sie gleich in sein Büro, wo Böhmer ihm in knappen Worten einen ersten Bericht gab.

»Wann werden Sie die Frau vernehmen können?«

»Keine Ahnung, wir rufen nachher mal im Krankenhaus an.«

Gorges hob die Hand und strich über seine kurzen, eisgrauen Haare. »Die Presse wird die Sache mit dem Kind groß aufziehen. Das heißt, wir werden zusehen müssen, dass wir schnell erste Ermittlungsergebnisse vorweisen können.« Sein Blick richtete sich auf Max. »Alles okay bei Ihnen?«

Max nickte. »Ja, alles in Ordnung.«

Er fragte sich, ob er nun bei jedem Fall als Erstes würde versichern müssen, dass er nicht zusammenklappen würde.

»Gut, dann mal los.«

Zurück in ihrem Büro, griff Böhmer zum Telefon. »Ich frage mal im Krankenhaus nach, ob die Frau jetzt vernommen werden kann.«

Max hob schnell die Hand. »Nein, warte. Ich halte es für besser, wenn ich hinfahre, ohne vorher anzurufen. Ans Telefon wirst du wahrscheinlich keinen Arzt, sondern nur eine Pflegerin oder einen Pfleger bekommen, und die werden dich abwimmeln. Wenn ich vor Ort bin, geht das nicht so einfach.«

Böhmer schürzte die Lippen. »Okay, da hast du wahrscheinlich recht. Aber warum sprichst du die ganze Zeit von dir?«

»Ich denke, es wird die Frau eher verschrecken, wenn wir dort zu zweit auftauchen. Außerdem …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Nicht falsch verstehen, aber vielleicht bin ich im Moment ein bisschen sensibler und feinfühliger.«

Max beobachtete das Gesicht seines Partners und versuchte, darin eine deutbare Regung zu finden, doch Böhmer erwiderte gelassen seinen Blick und nickte schließlich. »Also gut.«

»Das ist alles?« Dass sein Partner so schnell nachgeben würde, hätte Max nicht für möglich gehalten.

»Ja, was denn noch? Fahr von mir aus dahin. Ich bin eh nicht scharf darauf, mich mit Ärzten und Krankenschwestern herumzuärgern. Aber zuerst« – er deutete auf den Monitor, der vor Max auf dem Schreibtisch stand – »schreibst du den Bericht über den Tatort.«

Etwa eineinhalb Stunden später machte Max sich auf den Weg und war froh, für eine Weile allein zu sein. Er brauchte zwanzig Minuten zum Klinikum und wusste weitere zwanzig Minuten später, was Böhmer gemeint hatte.

Nachdem er von drei Pflegerinnen weitergeschickt worden war, konnte er in einem Stationszimmer endlich den für Beate Darius zuständigen Arzt sprechen. Er war wie Max sportlich schlank, aber mit etwa einem Meter achtzig etwas kleiner und rund zwanzig Jahre älter, also Anfang fünfzig. Das Namensschild auf seinem weißen Kittel wies ihn als Dr. O. Geimer aus.

Auf Max’ Bitte hin schüttelte der Mann energisch den Kopf. »Tut mir leid, aber Frau Darius ist zurzeit nicht in der Verfassung für ein Verhör.«

»Von einem Verhör hat auch niemand gesprochen. Ich muss ihr lediglich ein paar Fragen stellen, die extrem wichtig sind. Davon kann es abhängen, ob wir den Täter schnell fassen können oder nicht. Wenn sie mir nicht antwortet, ist es nicht zu ändern, aber ich würde es zumindest gerne versuchen.«

»Wie gesagt, es tut mir leid, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie nicht ansprechbar ist. Sie führte Gespräche mit ihrem toten Sohn und bekam immer wieder Schreianfälle. Es blieb uns nichts anderes übrig, als sie mit starken Psychopharmaka ruhigzustellen.«

»Sie haben sie sediert.« Gegen jede Vernunft fühlte Max Wut in sich aufsteigen, weil er ihr nicht sofort Fragen stellen konnte.

»Wie gesagt, sie ist nicht vernehmungsfähig.«

»Ja, das habe ich kapiert. Und der Mörder ihres Mannes und ihres zwölfjährigen Kindes läuft irgendwo frei herum und kann sich sicher fühlen, weil ein Arzt entschieden hat, dass wir erst einmal nichts über ihn erfahren.«

Mit den letzten Worten wurde Max bewusst, dass er seinen Ärger an jemandem ausließ, der nur eines wollte: seiner schwertraumatisierten Patientin helfen.

Bevor Dr. Geimer sich von seiner Überraschung erholen und etwas entgegnen konnte, fügte Max deshalb sofort hinzu: »Entschuldigen Sie, das war nicht fair.«

Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Nein, das war es nicht, aber ich kann Sie verstehen. Nur bitte verstehen Sie auch mich. Meine erste Priorität ist das Wohl meiner Patienten. Diese Medikamente schützen ihren Verstand davor, durch das Erlebte irreparablen Schaden zu erleiden.«

»Verstehe. Was denken Sie, wann ich wiederkommen kann?«

Dr. Geimer notierte etwas auf einen Zettel, den er vom Schreibtisch neben sich nahm, und reichte ihn Max. »Hier. Das ist meine Handynummer. Versuchen Sie es gegen Abend noch mal.«

Während Max vor dem Aufzug wartete, dachte er an die Zeit, in der er fast allabendlich Gespräche mit einer Toten geführt hatte. Und manchmal hatte er geweint und seinen Schmerz und seine Wut herausgebrüllt – Geimer hätte ihm mit Sicherheit eine hohe Dosis Sedativum verpasst.

Er fuhr einige Stockwerke tiefer und lief dann mehrere lange Flure entlang, bis er schließlich den Eingang zum Institut für Rechtsmedizin vor sich hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr. Kurz vor zehn. Die Leichen waren auf jeden Fall schon hier, und mit etwas Glück hatte die Obduktion sogar bereits begonnen.

Als er den Sezierraum betrat, sah Dr. Reinhardt von dem Körper auf, der, von hellen LED-Leuchten angestrahlt, vor ihm auf dem Tisch lag. In dem Moment, in dem der Rechtsmediziner Max erkannte, zog er ein Tuch über den kleinen, schmalen Körper des toten Jungen. Max nickte ihm dankbar zu und trat ein paar Schritte näher. Die Konturen, die sich unter dem grünen Tuch abzeichneten, versuchte er zu ignorieren.

»Guten Morgen. Ich war gerade im Haus und dachte, ich schaue mal vorbei und frage nach, ob Sie mir schon was sagen können.«

Reinhardt schüttelte den Kopf. »Ich habe gerade erst angefangen, aber ich schicke Ihnen alles per Mail, sobald ich fertig bin.«

»Okay, danke.« Max musste sich eingestehen, froh zu sein, den Raum schnell wieder verlassen zu können, und wollte schon gehen, als Reinhardt mit sanfter Stimme sagte: »Ich bin kein Psychiater, aber Sie sind erst seit ein paar Wochen wieder im Dienst, und ich denke, Sie sollten sich so was hier noch nicht antun.« Mit einer Bewegung des Kopfes deutete er zu dem Tisch.

»Danke, aber das gehört zu meinem Beruf. Zudem ist es schon über ein halbes Jahr her, in dem ich viele Therapiesitzungen mit intensiven Gesprächen hatte.«

»Und die haben was gebracht?«

»Auf jeden Fall.« Zur Bekräftigung nickte Max mehrmals.

Als er in seinem Wagen saß, stellte er sich die gleiche Frage noch einmal selbst. Diesmal lautete seine Antwort nein.

3

Etwa auf halber Strecke zum Präsidium entschied Max, einen Umweg zum Haus der Familie Darius zu machen. Mittlerweile würden die Kollegen dort wahrscheinlich fertig sein, so dass er sich ungestört umsehen konnte.

Böhmer würde von diesem Alleingang nicht begeistert sein, aber für das, was er vorhatte, brauchte Max Ruhe. Ihm stand der Sinn nicht nach Böhmers Kommentaren, die dieser sich, das wusste Max, nicht verkneifen würde.

Er wählte Böhmers Nummer und musste eine Weile warten, bis abgehoben wurde.

»Und?«, meldete sich sein Partner ohne Umschweife. »Hast du mit ihr reden können?«

»Nein, die haben sie sediert, weil sie ausgeflippt ist. Sie ist frühestens heute Abend ansprechbar.«

»Aha. Und du denkst also, das hätte man nicht per Telefon in Erfahrung bringen können?«

»Die Chancen waren so zumindest größer, und wenn die sie nicht zugedröhnt hätten … Ist doch jetzt egal. Jedenfalls habe ich mir überlegt, ich mache einen Abstecher zum Tatort. Ich möchte mir das in Ruhe noch mal ansehen.«

»Aha. Und ich gehe mal davon aus, dem Haus ist es auch lieber, wenn du allein kommst, hab ich recht?«

»Ach, nun hör schon auf. Ich werde mich dort irgendwo hinsetzen und alles auf mich wirken lassen. Wer weiß …«

… ob ich überhaupt noch in der Lage bin, analytisch zu denken, fügte er in Gedanken hinzu.

»Also gut, vielleicht bringt es ja wirklich was.«

»Okay, dann bis später.«

Er wollte schon erleichtert auflegen, als Böhmer sagte: »Max?«

»Ja?«

»Das ist jetzt aber die Ausnahme, oder?«

»Bitte?«

»Hör zu. Ich weiß ja, dass du eine schwere Zeit durchgemacht hast, aber … Falls du es jetzt grundsätzlich vorziehst, allein zu ermitteln, werde ich mir einen anderen Partner zuteilen lassen.«

Eine Weile sagte keiner etwas, bis Max sich einen Ruck gab.

»Es ist eine Ausnahme und hat nichts mit dir zu tun.«

»Dann ist es ja gut. Bis später.«

 

Als Max vor dem Haus ankam, waren zwei Kollegen der Spurensicherung gerade dabei, die letzten Ausrüstungsgegenstände in ihren Wagen zu laden.

Auf seine Nachfrage hin erklärten sie, bisher keine Hinweise auf den Täter gefunden zu haben, aber er wisse ja, dass die Auswertung der Spuren erst im Labor wirklich beginne.

Max bedankte sich und betrat das Haus, nachdem er das Schloss der Eingangstür eingehend untersucht und festgestellt hatte, dass es keinerlei Beschädigungen oder Kratzer aufwies.

Im Flur verharrte er kurz und sah sich um, bevor er ein paar Schritte ins Wohnzimmer machte und an der Stelle stehen blieb, an der Rolf Darius’ Leiche auf dem Boden gelegen hatte. Er ging in die Hocke, betrachtete die eingetrockneten Blutlachen und Spritzer auf dem Boden und den umstehenden Möbelstücken, ließ seinen Blick dann zur Küche hinüberwandern zu der Stelle, an der der tote Junge, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, gesessen hatte. Mit dem Rücken gegen die Wand … Warum hatte der Täter ihn nicht zu Boden fallen lassen, sondern aufrecht hingesetzt?

Und warum hatte er Rolf Darius wie einen räudigen Hund erschlagen, den Jungen aber mit einem Messerstich in den Hals getötet?

Max erhob sich, lehnte sich an die Wand, ließ seinen Blick durch den ganzen Raum gleiten. Keine geöffneten Schubladen oder Schränke; Fernseher und Hi-Fi-Anlage standen an ihrem Platz. Nichts, was darauf hindeutete, dass der Täter etwas hatte stehlen wollen. Ebenso wenig gab es Spuren, die auf einen Kampf zwischen ihm und Rolf Darius hindeuteten.

Max schloss die Augen, fünf, sechs Sekunden lang, atmete tief durch, dann öffnete er sie wieder und sah zur offenstehenden Wohnzimmertür hinüber.

Ich habe mich am späten Abend irgendwo da draußen versteckt und das Haus beobachtet, habe gewartet, bis alles dunkel wurde und noch eine Weile länger. Ich wollte sichergehen, dass alle schlafen. Dann bin ich eingestiegen. Nicht weil ich auf Beute aus bin, sondern weil ich töten möchte.

Warum werde ich den Besitzer dieses Einfamilienhauses töten? Und warum seinen Sohn, nicht aber die Mutter?

Und wo habe ich das Haus betreten?

Max stieß sich von der Wand ab und durchquerte das Wohnzimmer bis zu dem Glas-Schiebeelement, hinter dem sich eine großzügige Holzterrasse mit Loungemöbeln erstreckte. Auch hier gab es keine erkennbaren Spuren von Gewalt oder Zerstörung. Aber irgendwie war der Täter ins Haus gelangt. Darum würden sie sich kümmern müssen.

Er wandte sich wieder um. Von seinem Standpunkt aus konnte er beide Fundorte der Leichen gut überblicken.

Ich schleiche durch das Erdgeschoss, als ich Schritte höre. Rolf Darius ist aufgewacht, weil er ein Geräusch gehört hat und nachsehen möchte, was hier unten los ist.

Nein, das stimmt nicht. Wie auch immer ich in dieses Haus gelangt bin, ich habe nichts beschädigt, also auch keine Geräusche gemacht. Entweder hat der Hausbesitzer noch nicht geschlafen und wollte sich vielleicht etwas aus der Küche holen, oder aber ich habe dafür gesorgt, dass er aufwacht und nach unten kommt, wo ich, mit einem Hammer bewaffnet, neben der Tür auf ihn warte.

Woher habe ich den Hammer? Habe ich ihn mitgebracht?

Als der Mann an mir vorbei das Wohnzimmer betritt, schlage ich zu und zertrümmere ihm den Schädel. Mein erstes Ziel ist erledigt. Das war einfach. Jetzt ist der Junge dran. Ich gehe zur Küche, öffne ein, zwei Schubladen und nehme ein großes Messer heraus.

Nach einem langen Blick in Richtung Küche ging Max zurück in den Flur und dann hinauf in die erste Etage. Er sah sich um. Vier Türen, alle standen offen. Das Elternschlafzimmer lag direkt gegenüber der Treppe, daneben ein Badezimmer. Neben dem Treppenaufgang eine Art Büro und am Ende des kurzen Flurs die Tür zum Kinderzimmer.

Ich schleiche die Treppe hoch und schaue mich um. Sind die Türen jetzt geöffnet? Nein. Als Darius aufgestanden ist, hat er die Schlafzimmertür hinter sich zugezogen. Auch die Tür des Kinderzimmers ist verschlossen. Ein zwölfjähriger Junge schottet sein Reich nach außen hin ab, wenn er noch liest oder mit dem Handy spielt, obwohl er längst schlafen sollte.

Max ging auf das Zimmer des Jungen zu und blieb am Eingang stehen.

Ich gehe zum Kinderzimmer, öffne vorsichtig die Tür und betrete den Raum. Durch das große Fenster fällt genügend Licht. Ich schaue mich um. Der Junge liegt in seinem Bett an der gegenüberliegenden Wand. Ich gehe auf ihn zu, in meiner Hand halte ich das Messer. Als ich das Bett erreicht habe, zögere ich nicht. Ich presse dem Jungen eine Hand auf den Mund. Als er die Augen aufreißt und panisch gegen meine Handfläche brüllt, zeige ich ihm die lange Klinge. Er verstummt. Ich zwinge ihn aus dem Bett und schiebe ihn vor mir her aus dem Raum hinaus zum Elternschlafzimmer.

Die Frau schreit auf, als sie aufwacht, doch der Schrei bricht abrupt ab, als sie das Messer am Hals ihres Kindes wahrnimmt.

Ich möchte den Jungen töten. Warum tue ich es nicht gleich hier? Warum zwinge ich die beiden, ins Erdgeschoss zu gehen? Weil ich dort auch den Vater getötet habe?

Die Frau tut alles, was ich von ihr verlange. Sie spürt instinktiv, dass ich nicht zögern werde, ihr Kind umzubringen.

Während er die Treppe wieder hinabstieg, betrachtete Max seine Umgebung ganz genau. Die Stufen, das Treppengeländer … Er entdeckte nichts, was ihm weitergeholfen hätte.

Vor der Küche blieb er stehen, die Augen auf die Stelle gerichtet, an der Manuel gesessen hatte.

Ich dirigiere den Jungen an diese Stelle, drücke ihn mit dem Rücken gegen die Wand und halte ihm das Messer von schräg unten an den Hals.

Töte ich ihn sofort? Gibt es einen Dialog mit der Mutter? Und wo ist die Mutter zu diesem Zeitpunkt, und wie reagiert sie? Fleht sie? Schreit sie? Habe ich sie gefesselt oder sogar niedergeschlagen?

Max sah das Gesicht des Jungen vor sich, stellte sich vor, wie es in panischer Todesangst ausgesehen haben musste, in dem Bewusstsein, gleich zu sterben.

Konnte ein so junger Verstand die konkrete Vorstellung, getötet zu werden, wirklich verarbeiten? Konnte das überhaupt irgendjemand? Konnte das eine Frau Mitte zwanzig, nachdem sie bestialisch gequält worden war?

Max schüttelte den Kopf, bis die Geister vertrieben waren, die sich wieder näherten, dann wandte er sich ab. Es nutzte nichts, ohne die Aussage von Beate Darius kam er nicht weiter. Sie würde zumindest ein paar der Fragen beantworten können, die er hatte. Hoffte er.

 

Böhmer saß nicht an seinem Schreibtisch, als Max das Büro betrat. Er tauchte erst eine gute Stunde später auf und kam vom Mittagessen, wie sich herausstellte.

Am Nachmittag trafen die Obduktionsergebnisse von Rolf und Manuel Darius ein. Sie enthielten keine Neuigkeiten, sondern bestätigten lediglich das, was die Ermittler schon wussten. Rolf Darius war mittels zweier Schläge mit einem Hammer der Schädel zertrümmert worden, wobei bereits der erste Schlag tödlich gewesen sein musste.

Der Körper des Jungen wies außer der tödlichen Stichverletzung am Hals keinerlei Wunden auf bis auf eine Verbrennung im Genitalbereich, die laut Dr. Reinhardt allerdings schon mindestens ein Jahr alt war und dem Aussehen nach von einer verschütteten Flüssigkeit stammen konnte.

Als Max am Abend in seiner Wohnung ankam, fühlte er sich zwar vollkommen ausgelaugt, aber auch so aufgewühlt wie schon lange nicht mehr. Und da war auch ein anderes Gefühl, etwas, das er so noch nie zuvor empfunden hatte.

Es hatte ihn schon immer wütend gemacht, zu sehen, wozu Menschen fähig waren und was sie anderen Menschen antaten, und diese Wut hatte ihn stets dazu angetrieben, diese kranken Verbrecher zu jagen und zu fassen. Dieses Mal aber war es keine Wut, die er dem Mörder, der Vater und Sohn getötet hatte, gegenüber empfand. Es war Hass. Und er ahnte auch, warum das so war.

Max nahm eine Flasche Monkey 47 aus dem Wohnzimmerschrank mit in die Küche, wo er Eiswürfel in ein Glas gab und sich einen kräftigen Gin-Tonic mischte. Zurück im Wohnzimmer, ließ er sich auf die Couch sinken und trank genüsslich einen großen Schluck. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er allein Alkohol trank, aber es schmeckte phantastisch und tat ihm gut.

Er dachte an das Haus der Familie Darius und seinen Versuch, sich in den Kopf des Mörders hineinzuversetzen. Dabei fiel ihm ein, dass er Dr. Geimer anrufen wollte, um zu erfahren, wie es Beate Darius ging. Er fischte die Visitenkarte aus seinem Portemonnaie und hatte den Arzt Sekunden später am Apparat. Allerdings erklärte der ihm, die Frau sei frühestens am nächsten Vormittag vernehmungsfähig. Die Wirkung der Tabletten lasse zwar langsam nach, aber sie brauche dringend Ruhe.

Max bedankte sich, legte auf und genehmigte sich einen weiteren Schluck. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen und gab sich dem Gefühl der Erschöpfung hin. Sein Kopf fühlte sich seltsam leer an, gerade so, als mache sein Gehirn eine Art Pause, in der es keine Gedanken produzierte, die logisch aufeinander aufbauten.

In diesem Moment der Reflexion darüber, dass dieses Sinnieren nichts anderes war als bewusstes Nachdenken, kamen die Bilder zurück, so plötzlich und mit einer solchen Wucht, dass Max aufstöhnte. Er riss die Augen auf und richtete sich ruckartig auf, doch diese Zeitspanne von vielleicht ein, zwei Sekunden hatte ausgereicht, ihm Jennys zerschundenen Körper in allen Einzelheiten und der gleichen Deutlichkeit zu zeigen wie das grinsende Gesicht des Monsters, das ihr das angetan hatte.

Max griff nach dem Glas und trank es in einem Zug leer. Mit hämmerndem Puls stand er auf und ging in die Küche, um sich einen weiteren Gin Tonic zu mischen.

Während er das Eis aus dem Kühlschrank nahm, hatte er Dr. Geimers Stimme wieder im Ohr.

Diese Medikamente schützen ihren Verstand davor, durch das Erlebte irreparablen Schaden zu erleiden.

Er hatte erst vor kurzem aufgehört, die Psychopharmaka zu nehmen, die der Polizeipsychologe ihm gegeben hatte. Sie waren vermutlich schwächer als die Medikamente, die man Beate Darius verabreicht hatte, aber letztendlich dienten sie dem gleichen Zweck. Den Verstand zu schützen.

Bevor er mit dem frisch gefüllten Glas ins Wohnzimmer zurückging, machte Max einen Abstecher ins Badezimmer, wo er die Tabletten aufbewahrte. Heute Abend würde er eine davon nehmen, weil er spürte, dass Schutz wirklich nötig war. Vor der Erinnerung. Vor allem aber vor diesen grauenhaften Bildern.

Als er wenig später eine der Tabletten aus der Blisterverpackung in seine Handfläche drückte, starrte er eine Weile darauf und drückte dann eine zweite heraus. So, wie er sich in diesem Moment fühlte, würde er zwei brauchen, um die Bilder zu verdrängen. Mindestens.

Eine Minute später spülte er drei der Tabletten mit viel Gin hinunter.

4

Das Geräusch war unerträglich, ohne dass Max eine Vorstellung davon hatte, was es war oder wo es herkam, da er sich vollkommen orientierungslos fühlte. Die erste Wahrnehmung neben dem furchtbaren Lärm war ein hämmernder Schmerz in seinem Kopf. Die nächste ein Stechen in den Augen, als er sie mühsam öffnete.

Mittlerweile hatte sich sein Verstand so weit an die Oberfläche des Bewusstseins zurückgekämpft, dass Max registrierte, komplett angezogen auf der Couch zu liegen und dass der Lärm von seiner Türklingel stammte und jemand Sturm läutete.

Ächzend drückte er sich hoch – das Hämmern wurde zu kleinen, rhythmischen Explosionen – und stand kurz danach schwankend in der geöffneten Wohnungstür.

»Weißt du, wie spät es ist?«, fragte Böhmer verhältnismäßig sanft und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nein, so wie du aussiehst, kannst du die Zeiger auf der Uhr nicht erkennen. Es ist schon nach neun.« Er schob sich an Max vorbei in die Wohnung und ging geradewegs in die Küche, wo an einer Art kleiner Theke zwei lederne Hocker standen. Auf einen davon ließ Böhmer sich sinken, warf sein braunes Sakko achtlos auf die Arbeitsplatte neben sich und sah Max mit einer Mischung aus Ärger und Verzweiflung an.

»Machst du uns Kaffee?«

»Ja, klar.« War das wirklich seine Stimme?

»Max, ich weiß, du hast einiges durchgemacht …«

Max hielt inne und hob die Hand. »Moment. Bitte. Gib mir nur zwei Minuten, um zu mir zu kommen, okay?«

»Also gut.« Böhmer rutschte von dem Hocker herab. »Geh ins Bad und stell dich unter die kalte Dusche. Ich übernehme das mit dem Kaffee. Ich brauche dich mit wachem Verstand.«

Knappe zehn Minuten später saßen sie sich gegenüber, jeder mit einer Tasse dampfenden Kaffees vor sich.

»Horst, ich …«, wollte Max beginnen, aber jetzt hob sein Partner die Hand. »Nein, warte. Lass mich dir zuerst sagen, was mich gerade verwirrt. Wenn du mir das erklären kannst, sind wir wahrscheinlich schneller fertig und können uns auf den Psychopathen konzentrieren, der einem Kind mit einem Messer in den Hals sticht. Also eines vorweg: Ich weiß, dass du eine verdammt beschissene Zeit hinter dir hast, und ich möchte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen müssen, was es bedeutet, das zu erleben, was du erlebt hast. Aber!« Nun hob er einen Zeigefinger. »Seit du vor ein paar Wochen nach deiner Beurlaubung zurückgekommen bist, hatte ich das Gefühl, dass du es mittlerweile im Griff hast. Ich konnte mich zu einhundert Prozent auf dich verlassen, mehr noch, du warst mir manchmal schon fast eine Spur zu eifrig, regelrecht verbissen, sogar wenn es darum ging, irgendwelche stumpfsinnigen Datenbankrecherchen durchzuführen. Jetzt haben wir zum ersten Mal nach deiner Rückkehr wieder einen gemeinsamen Mordfall, wo genau dieser Biss gefragt ist, und nun … brichst du ein? Ich bin kein Psychologe, aber ich dachte, bei einem Mord wirst du noch vehementer hinter dem Täter her sein, weil … na ja, ebendeshalb. Ich denke, du verstehst, was ich meine. Und was tust du? Du unternimmst Alleingänge, besäufst dich und erscheinst morgens nicht im Büro. Max, sag mir: Soll ich mit Gorges reden, damit er dich von dem Fall abzieht?«

»Nein!« Max wunderte sich selbst über seine heftige Reaktion, aber das war tatsächlich das Letzte, was er wollte.

Böhmer nickte. »Das dachte ich mir. Na, dann schieß mal los. Überzeuge mich, dass ich mich auf dich verlassen kann und wir dieses Dreckschwein gemeinsam zur Strecke bringen werden.«

Max dachte eine Weile nach. »Ich denke, es war der Junge. Er war seinem Mörder genauso hilflos ausgeliefert wie damals Jenny. Ich habe plötzlich ihr Gesicht vor mir gesehen, Horst. Nicht ihr lächelndes Gesicht, sondern das, das ich gesehen habe, als wir in diesen Keller gekommen sind. Diese Qual, diese Angst … ich hatte wieder vor Augen, was ihr angetan wurde, bis ins kleinste Detail. Es war das erste Mal nach über zwei Monaten. Das hat mich einfach umgehauen. Und gestern Abend habe ich gar nicht viel getrunken. Zwei Gläser Gin Tonic. Aber ich habe drei der Tabletten genommen, die unser Psychologe mir gegeben hat. Das hat mich wohl umgehauen, und das tut mir nicht nur leid, es ist mir dir gegenüber auch peinlich.«

»Hm …« Böhmer nickte. »Und was denkst du, wie es jetzt weitergeht?«

Max sah ihm fest in die Augen. Genau diese Frage hatte er sich selbst auch gestellt, während er unter der Dusche gestanden hatte. Und er hatte sie sich auch beantwortet.

»Das wird nicht wieder vorkommen. Ich brauche die Tabletten nicht mehr. Ich kann nichts dagegen tun, wenn diese Bilder jetzt wieder öfter auftauchen, aber ich kann das ändern, was sie mit mir machen.«

»Und wie?«

»So wie du angedeutet hast. Ich lasse mich davon nicht mehr unterkriegen, sondern mache mir wieder bewusst, dass wir es hier mit einem ähnlichen Arschloch zu tun haben wie … du weißt schon.« Er schaffte es nicht einmal, den Namen auszusprechen.

»Und dass ich … dass wir vielleicht einer anderen Jenny dieses Leid ersparen, wenn wir uns voll und ganz darauf konzentrieren, das Schwein zu fassen.«

»Ja, und vielleicht einem anderen Kind.« Böhmer sah Max tief in die Augen.

»Bist du dir da ganz sicher?«

Max nickte. »Ja, das bin ich.«

»Und du bist einverstanden, dass ich dich von dem Fall abziehen lasse, wenn ich das Gefühl habe, es ist besser für dich und für die Ermittlungen?«

»Absolut.«

»Gut. Dann schlage ich vor, wir machen uns auf den Weg. Ich habe im Krankenhaus angerufen und erfahren, dass wir Beate Darius vernehmen können.« Er erhob sich und fügte hinzu: »Und das, obwohl ich nicht persönlich vor Ort nachgefragt habe.«

 

So wie die Frau in dem Bett lag und an die Decke starrte, als sie das Krankenzimmer betraten, glaubte Max zunächst, ihr Zustand hätte sich wieder verschlechtert. Als sie jedoch ein paar Schritte auf das Bett zugingen, drehte sie ihnen das Gesicht zu. »Sie müssen von der Polizei sein.« Ihre Stimme war leise, klang aber weder brüchig noch weinerlich. Kein Vergleich mit Darius’ Zustand am Vortag. »Man sagte mir schon, dass Sie kommen würden.«

»Frau Darius, es tut uns sehr leid, dass wir Sie in dieser schlimmen Situation belästigen müssen.« Böhmer blieb stehen und sah sie mitfühlend an. »Mein Name ist Böhmer, das ist mein Kollege Bischoff. Wir führen die Ermittlungen durch, und Sie sind die Einzige, die uns sagen kann, was in der vorletzten Nacht in Ihrem Haus geschehen ist.«

»Das weiß ich. Ich tue, was ich kann, um Ihnen zu helfen.«

»Es ist bewundernswert, wie gefasst Sie mit der Situation umgehen«, sagte Max, und er meinte es genau so.

Eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel der Frau. »Da gibt es nichts zu bewundern, das ist nur oberflächlich. Die Medikamente machen innerlich alles taub.«

Max wusste genau, wovon die Frau sprach. Böhmer griff sich einen der Stühle, die um einen quadratischen Holztisch an der Wand gruppiert waren, stellte ihn neben das Bett und bedeutete Max, er solle es ihm gleichtun. Als sie beide saßen, nickte er seinem Partner zu.

Max sah die Frau an und achtete darauf, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. »Frau Darius, können Sie uns erzählen, was sich in dieser Nacht bei Ihnen zu Hause abgespielt hat?«

Sie wandte den Blick ab und richtete ihn auf irgendeinen Punkt im Zimmer.

»Ich bin von einem Geräusch aufgewacht. Erst wusste ich nicht, woher es gekommen war, doch dann hörte ich ein Poltern von unten.« Sie sprach leise, aber mit fester Stimme. Max machte sich Notizen.