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In den Zellen der Hinrichtungskandidaten war es ruhig. Cal Baker saß da und las. Er las ununterbrochen. Beinahe bewegungslos, bis er die Schritte vor seiner Zelle hörte. Ein großer, breiter Mann mit einem Stetson auf dem Kopf und zwei Pistolen im Holster stand in dem harten, hellen Schein der Flurbeleuchtung. Der Mann in der Zelle bewegte sich zur Tür, während seine Finger das Buch umklammerten...
Der Roman Im letzten Augenblick von Jack Usher erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1959.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Im letzten Augenblick in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
JACK USHER
Im letzten Augenblick
Roman
Apex Noir, Band 3
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
IM LETZTEN AUGENBLICK
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
In den Zellen der Hinrichtungskandidaten war es ruhig. Cal Baker saß da und las. Er las ununterbrochen. Beinahe bewegungslos, bis er die Schritte vor seiner Zelle hörte. Ein großer, breiter Mann mit einem Stetson auf dem Kopf und zwei Pistolen im Holster stand in dem harten, hellen Schein der Flurbeleuchtung. Der Mann in der Zelle bewegte sich zur Tür, während seine Finger das Buch umklammerten...
Der Roman Im letzten Augenblick von Jack Usher erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1959.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Im letzten Augenblick in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
Er hatte gerade die Unterlage, auf der die Doppel der Ladepapiere abgeklammert waren, niedergelegt... Dann ging er zu der überdachten Halle im Hof, hob einen unausgefüllten Fahrbefehl auf und begab sich schließlich zu dem großen Anhänger und der Zugmaschine, die müßig neben den Pumpen standen.
Automatisch stieß er mit den Fußspitzen gegen die Reifen, während er den Lastzug entlangschritt und seine Augen rasch und prüfend über die Begrenzungslichter, die Bremsschläuche und die anderen mehr oder minder lebenswichtigen Teile von Zugmaschine und Anhänger glitten. Mit einem Sprung war er auf einem Trittbrett und händigte dem Fahrer den Fahrbefehl aus. »Das wär’s, Doug.« Der Fahrer nahm das Papier in seine behandschuhte Hand und nickte.
»Halt dich auf dieser Fahrt dran, der Motor dieser Zugmaschine ist gerade aus der Werkstatt gekommen«, sagte Pelchek und blickte in Richtung der auf den Frachthof führenden Einfahrt. Er bemerkte das Mädchen, als sie über das mit Kies bestreute Gelände kam. Direkt auf die riesige Zugmaschine zu. Von seinem Platz aus sah sie klein und ein bisschen fremdländisch aus. Er wandte sich erneut an den Fahrer.
»Pass hinter Elgin auf, Doug. Du hast ’ne Ladung Schnaps. Darauf sind die Banditen besonders scharf.«
»Okay, Steve.«
»Und dann kümmere dich öfters um die Treibstoffmischung. Das letzte Mal hat’s bei dir mächtig gequalmt.«
Der große Diesel begann sich knurrend und brummend in Bewegung zu setzen. Ein paar Doppelreifen malmten auf dem rauen Boden, während er den Hof verließ. Mit der Schulter die Gegenwart des Mädchens spürend, wandte er seinen Kopf zu ihr um.
»Mr. Pelchek?«
»Sie müssen lauter reden, Miss«, brüllte er. Er wies mit dem Daumen auf den abfahrenden Lastzug, der gerade anfing, die hügelaufwärts führende Zufahrt zur Hauptstraße emporzuwimmern. Der qualmende Auspuff verpestete die Luft mit dem Gestank verbrannten Dieselöls.
»Sind Sie Steven Pelchek?«, brüllte sie.
»Aber sicher, junge Frau. Was kann ich für Sie tun?«, brüllte er zurück.
»Ich bin Elena Baker – Cal Bakers Frau. Erinnern Sie sich an ihn?«
Pelchek ergriff das Mädchen am Arm und führte sie zu einer zementierten Rampe, auf der sich drei große Tanksäulen erhoben. Er musterte seine Besucherin mit forschendem Blick.
Sie war eine jener vollendeten, oft kaum zu beschreibenden Schönheiten, die man manchmal unter Frauen mexikanischer Abstammung trifft. Riesige dunkle, leicht schräge Augen blickten aus einem makellosen, anmutig olivfarbenen Gesicht. Ihre Züge, die von Miguel Cavarrubias gemalt hätten sein können, wurden durch anmutig geschwungene Brauen unterstrichen. Tiefschwarzes Haar, in der Mitte sorgfältig gescheitelt, türmte sich hinter kleinen, delikaten Ohren, um in einer üppigen Krone auf dem Kopf zu enden. Eine vollendet schöne Frau. Er schätzte sie auf ungefähr fünfundzwanzig.
»So, Sie sind also Cal Bakers Frau. Was in aller Welt macht er in Milwaukee?«
»Er ist nicht mit, Mr. Pelchek. Er konnte nicht kommen«, sagte das Mädchen, ohne zu zögern.
Er warf einen Blick auf ihr Gesicht. »Sie sehen etwas angegriffen aus, Mrs. Baker. Wo brennt’s denn?«, fragte er.
»Sie...« Ihre Worte ertranken neuerlich im Brummen des schwer arbeitenden Diesels. Als der Lastzug endlich auf der nahe liegenden Höhe angelangt war, wurde es in dem Hof verhältnismäßig still. Nackt und klar blieben ihre Worte in der Luft hängen. »...sie werden ihn umbringen!«
Er schickte sich an, etwas zu sagen, und hielt inne. Er nahm das Mädchen beim Arm und ging mit ihr in das kleine Bürogebäude in der Mitte des Hofes. Mit dem Schließen der Tür verstummten auch die Geräusche des Autohofs. Er nahm den Mantel des Mädchens, setzte sie in einen Stuhl und goss zwei große Whiskey mit wenig Soda ein. Nachdem er ihr eines der Gläser in die Hand gedrückt hatte, durchquerte er das Zimmer und lehnte sich gegen die Kante seines Schreibtisches.
»Trinken Sie’s aus«, befahl er.
Sie schlürfte den mit Wasser vermischten Bourbon und schnitt eine Grimasse.
»Hören Sie«, sagte er. »Was Sie da eben draußen gesagt haben. Ich weiß, dass es Ihnen ernst ist, aber was ist das für eine Geschichte mit Baker? Wer will ihn umbringen und wo?« Er ging um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in seinem Schreibtischsessel nieder, sodass er dem Mädchen direkt gegenübersaß.
»Er weiß nicht, dass ich nach Milwaukee gefahren bin.« Sie trank den Whiskey aus und stellte dann das Glas auf den Schreibtisch, wobei sie mit dem Finger sinnlose kleine Kreise auf der polierten Oberfläche machte. »Vielleicht erwarte ich zu viel. Cal hat so oft von Ihnen gesprochen, und da dachte ich...«
»Schon gut!«, unterbrach er ungeduldig. »Warten Sie damit noch einen Augenblick. Darüber werden wir später reden. Erst mal möchte ich wissen, was passiert ist.« Er griff über den Schreibtisch und drückte auf einen Knopf der Sprechanlage. »Miss Gray...! Nehmen Sie alle Gespräche an.« Er stellte den Lautsprecher wieder ab und wandte sich an das Mädchen. »Okay. Also los. Und erzählen Sie mir alles.«
Elena Baker hatte ihn mit ungeschmälerter Aufmerksamkeit betrachtet. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und begann fast mechanisch.
»Sie wissen natürlich eine Menge über Cal. Dass er, seit er erwachsen ist, fast die ganze Zeit mit dem Familienunternehmen zu tun hatte. Er fing unmittelbar nach der Schule dort an und kehrte nach seiner Entlassung aus der Armee zurück.«
Pelchek nickte.
»Er hatte bestimmte Vorstellungen von der Modernisierung der Firma. Es hatte irgendetwas mit Wohnungsbau zu tun.
Jedenfalls einige Leute, darunter der Generalmanager, wurden wütend. Es gab eine Anzahl von Auseinandersetzungen, und man erzählte mir, Cal habe gedroht, ihn umzubringen.« Sie schöpfte anhaltend, aber nervös Atem. »Mein Mann sitzt im Staatsgefängnis und soll hingerichtet werden. Er ist wegen Mordes an Arthur Walker, Generalmanager der Baker Land Corporation, verurteilt worden. Der Anwalt legte Berufung gegen das Urteil ein, und die Berufung wurde abgewiesen. Ich habe versucht, den Distrikt-Staatsanwalt zu einem Wiederaufnahmeverfahren zu bewegen, aber er sagte, er habe jetzt keinen Einfluss mehr auf das Verfahren.«
Er wartete schweigend.
»Niemand da unten will mich hören, Mr. Pelchek! Wenigstens keiner von denen, die etwas zu sagen haben. Ich war in der Staatshauptstadt, und sie haben mich von einer Stelle zur anderen geschickt. Ich kriege sie nicht einmal dazu, zuzuhören. Gleichgültig, was ich sage, sie...« Sie zögerte, blickte aus dem Fenster auf das Treiben im Autohof und schloss dann bitter: »Sie behaupten, er hätte diesen Mann wegen mir umgebracht.«
Pelchek trommelte leicht auf die Tischplatte. »Was sagte er?«, fragte er.
»Er schwört, dass er damit nichts zu tun hat.«
»Und Sie glauben ihm?«
»Natürlich glaube ich ihm!« Sie machte Anstalten, aufzustehen. »Wenn Sie glauben, ich bin so weit hergekommen...«
»Setzen Sie sich, Mrs. Baker.« Pelchek streckte seine Hand abwehrend aus und zog dann ein Paket Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Er bot dem Mädchen eine an, die ablehnend mit dem Kopf schüttelte, zündete sich selbst eine an und beugte sich auf seinem Sessel vor. »Was soll ich von der Sache halten? Nach dem, was Sie mir bis jetzt erzählt haben, sind die Gerichte, Staats- wie Grafschaftsgerichte, überzeugt, dass er schuldig ist.«
Ihr Gesicht welkte, und Tränen quollen ihr aus den Augen, während sie auf ihren Stuhl zurücksank.
»Sie sind also genau wie die anderen, Mr. Pelchek. Sie glauben auch an seine Schuld.«
»Hören Sie um Himmels willen auf, mich Mr. Pelchek zu nennen. Ich heiße Steve. Und habe mit keinem Wort gesagt, dass ich nicht helfen will. Finster konsultierte er den Kalender auf seinem Schreibtisch. »Wieviel Zeit hat er noch?«
»Das Datum für seine... es sind noch fünf Tage, Mr. Pel... Steven. Am 10. Juli.« Rasch begann sie sich wieder zusammenreißen und tupfte die Augen mit ihrem Taschentuch.
»Was macht seine Familie? Das Geld der Bakers?« Er griff nach der Sprechanlage. »Miss Gray? Bitte kommen Sie zu mir.« Er blickte das Mädchen erneut an und wartete auf ihre Antwort.
»Cal arbeitet nicht mehr für die Baker Land Corporation«, sagte sie, »obwohl er vor der ganzen Geschichte vierteljährlich seinen Anteil am Gewinn erhielt.«
»Was ist mit seinem Bruder und seiner Schwester. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester, stimmt’s?«
»Ja. Seit wir verheiratet sind, haben wir wenig von ihnen gehört. Allen versucht, die Schnapsläden von Las Milpas leerzusaufen und so zu tun, als ob nichts geschehen sei. Christine ist nicht da. Während des Prozesses wohnte sie in New York, und unmittelbar nach Cals Verurteilung reiste sie nach Europa.«
»Nach Europa? Während ihr Bruder in der Todeszelle saß?«
Elena nickte, während ihre Finger am Taschentuch zupften und zwirbelten.
»Wie steht’s mit Geld?«
»Da ist nichts mehr übrig. Frank McCreery – er ist der neue Generalmanager der Baker Land – hat die Anwälte dazu bekommen, Cals Anteile unter Treuhandverwaltung zu stellen. Sie haben es sogar so hingekriegt, dass ich nicht einmal unseren privaten Besitz verkaufen kann. Unser Anwalt sagt, er könnte einen Prozess gegen sie gewinnen, aber es würde Monate dauern.«
»Das ist ein Schwesternabzeichen, was Sie da tragen, nicht?«
»Ja«, sie blickte auf ihren beigen Pullover herunter. »Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen, während Cal beim Militär war, und habe eine Zeitlang im Allgemeinen Krankenhaus von Las Milpas gearbeitet. Seit der Geschichte bin ich wieder dort und arbeite als Schwester.«
»Im selben Krankenhaus?«
»Ja, ich habe jetzt nur einen ganz kurzen Urlaub.«
»Fühlen Sie sich in der Lage, zurückzufahren?«
»Natürlich«, sagte sie. »Warum?«
»Weil ich glaube, dass Sie in Ihr Krankenhaus zurückfahren werden«, sagte Pelchek kurz.
Die Tür öffnete sich, und eine Frau mittleren Alters, den Stenoblock in der Hand, betrat das Büro. Pelchek sah zu ihr auf.
»Miss Gray, dies ist Mrs. Baker«, sagte er. Die beiden Frauen nickten sich zu. »Ich fahre in einer persönlichen Angelegenheit weg. Ich weiß noch nicht, wie lange ich wegbleiben werde. Einige Anweisungen diktiere ich später. Wenn irgendetwas passiert, wenn Sie und die Männer nicht klarkommen, erreichen Sie mich bei Mrs. Baker. Sie wird Ihnen ihre Adresse hinterlassen.« Er wandte sich an das Mädchen. »Wo ist Ihr Gepäck?«
»Ich habe eine Tasche an der Busstation.«
»In einem Schließfach?«
»Ja.«
»Geben Sie mir den Schlüssel.«
Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn ihm. Er reichte ihn seiner Sekretärin weiter. »Geben Sie ihn einem von den Stückgutfahrern und lassen Sie ihn die Tasche abholen. Und jetzt nehmen Sie besser Mrs. Baker mit in Ihr Büro, damit sie sich ein bisschen frisch machen kann.«
»Gut, Mr. Pelchek. Wenn Sie bitte mitkommen wollen, Mrs. Baker.« Die beiden Frauen warteten.
»Was haben Sie vor?«, fragte das Mädchen Pelchek.
»Ich fahre hinunter«, sagte er kurz. »Wir haben zu wenig Zeit, um von hier aus etwas unternehmen zu können.«
Sie starrte ihn mit großen Augen an.
»Gehen Sie mit Miss Gray.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich habe hier noch ungefähr eine Stunde zu tun.«
Als die Frauen gegangen waren, schwang Pelchek auf seinem Drehstuhl herum und starrte aus dem Fenster. In was für eine Geschichte hatte Cal Baker sich zum Teufel bloß hineingebracht! Ein harter, kleiner Mann, dieser Cal Baker, aber nicht der Typ, der herumläuft und friedliche Mitbürger umbringt. Er drehte sich wieder um und öffnete eine Schreibtischschublade. Nach einigem Herumkramen zog er eine Fotographie heraus und legte sie auf die Schreibtischplatte.
Sergeant Calvin Murrow Baker und Sergeant Stephano Ivar Pelchek. Was für ein Paar! Er betrachtete das Foto. Zwei Männer im Kampfanzug, die Helme verkehrt auf dem Kopf, den Karabiner von den Schultern baumelnd, überaus schmutzig und überaus betrunken. Mit gegenseitig um die Schulter gelegten Armen standen sie knöcheltief im Dreck, direkt vor einem defekten Panzerspähwagen.
Was waren sie doch für ein Team gewesen. Der feinknochige Baker mit der sanften Stimme. Der reiche Junge. Zuerst hatten einige Männer in der Gruppe gedacht, er sei ein wenig weibisch. Pelchek zog eine Grimasse. Baker war so weibisch wie ein Bär in der Brunft und genauso gefährlich. Ein Mann, der von wütendem, aber beherrschtem Zorn bewegt wurde, ein rücksichtsloser Schütze, dickschädelig und hinterhältig, wenn es um die Wurst ging.
Pelchek betrachtete den anderen Mann auf dem Foto und brummte. Der große Steve Pelchek. Er war immer noch groß. Seine Erscheinung hatte etwas von der Härte und Schärfe verloren, aber es waren auch immerhin sechs Jahre her, und drei davon hatte er hinter dem Schreibtisch verbracht. Er warf das Foto in die Schublade zurück und blickte dann finster den Papierberg auf seinem Schreibtisch an. Er klingelte nach seiner Sekretärin. Sie kam herein und blieb an seinem Schreibtisch erwartungsvoll stehen.
»Wie kommt sie zurecht, Miss Gray?«
»Gut! Sie ist hinten und macht sich zurecht.«
»Hat Sie Ihnen ihre Adresse gegeben?«
»Ja, Sir.«
»Okay, passen Sie auf, ich möchte jetzt folgendes.« Er lehnte sich zurück und blickte zu seiner Angestellten auf. »Rufen Sie das Flugkartenbüro an und besorgen Sie uns einen Platz in der ersten Maschine nach der Hauptstadt. Dann rufen Sie bitte die Bank an und verbinden mich. Ich werde möglicherweise etwas Geld brauchen, und ich brauche dementsprechend genügend auf meinem persönlichen Konto. Möglicherweise müssen wir etwas vom Konto der Firma auf mein persönliches Konto übertragen.«
»Ja, Sir.«
»Hat sie Ihnen irgendetwas erzählt?«
»Ein bisschen.«
»Ihr Mann sitzt in der Tinte. Deswegen ist’s so eilig. Wenn’s eine andere Möglichkeit gegeben hätte...« Er zuckte die Schulter.
»Können Sie nicht einen Anwalt runterschicken. Gerade jetzt können Sie schlecht weg.«
»Nein, Miss Gray. Ich muss schon selber fahren«, sagte Pelchek gereizt. »Ich habe einen bestimmten Grund. Was auch immer passiert, ich muss selbst fahren. Und Sie haben recht. Eine verdammt ungeschickte Zeit, um wegzufahren.«
»Ist sonst noch was?«
»Im Augenblick nicht. Erledigen Sie das mit den Flugbilletts und das mit der Bank, und... ach, ja. Mrs. Baker soll in ungefähr einer Stunde zum Essen fertig sein. Kommen Sie nachher bitte wieder. Ich werde dann meine Anweisungen diktieren.«
»Ja, Sir«, sagte die Sekretärin und verließ das Büro.
Pelchek zog den Stoß Papier auf dem Schreibtisch zu sich her und starrte ihn an. Fünf Tage! Was für ein Stolz hatte Baker wohl abgehalten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, und warum hatte das Mädel nur bis zur letzten Minute gewartet? Er wollte sie beim Essen danach fragen.
In den Zellen der Hinrichtungskandidaten war es ruhig. Cal Baker saß da und las. Er las ununterbrochen. Beinahe bewegungslos, bis er die Schritte vor seiner Zelle hörte. Ein großer, breiter Mann mit einem Stetson auf dem Kopf und zwei Pistolen im Holster stand in dem harten, hellen Schein der Flurbeleuchtung. Der Mann in der Zelle bewegte sich zur Tür, während seine Finger das Buch umklammerten.
»Sie brauchen mir nichts zu erzählen«, sagte er.
»Tut mir leid, mein Junge. Der Gouverneur hat abgelehnt.« Es klang, als ob der große Mann sich etwas ungemütlich und traurig fühlte. Er blieb einen Augenblick stehen, suchte nach Worten und fand keine. Er zog an seinem Pistolengürtel und drehte sich um, um zu gehen.
»Hat jemand angerufen? Es ist jetzt schon über eine Woche.«
»Kein Anruf, mein Junge. Tut mir leid.« Der Wärter ging den Flur entlang, bis er aus dem Gesichtsfeld verschwand.
Der Verurteilte ging noch einen Schritt näher an die Tür und umkrampfte die Stahlstäbe, bis seine Knöchel weiß wurden. Seine Augen folgten dem Geräusch der sich entfernenden Schritte.
Hoch in der Wüstenluft über ihm, an jenem Stück Himmel, das er sehen konnte, zog ein Geier immer engere Kreise.
Elena Baker saß vor einem kleinen Toilettentisch und beseitigte die Spuren von Tränen und jene einer viertägigen Reise in einem transkontinentalen Bus. Während sie eine widerborstige Haarsträhne zurechtrückte, blickte sie in den Spiegel. Die Sekretärin stand hinter ihr und lächelte.
»Ist Mr. Pelchek reich?«, fragte Elena.
»Reich?«, murmelte die ältere Frau. »Ich nehme an, er besitzt eine ganze Menge Fahrzeuge. Wieso?« Sie begab sich auf die andere Seite des Zimmers und setzte sich auf die Liege aus Korbgeflecht.
»Mein Mann hat mir erzählt, dass er ein paar Lastwagen hat, aber sicher hatte er keine Ahnung, dass die Firma so groß ist.« Sie drehte sich auf dem schmalen Bänkchen um und begann, ihre Strümpfe glattzuziehen.
»Vor fünf Jahren besaß er nicht viel mehr als ein paar abgetakelte Militärlastwagen und ziemlich viel Nerven. Er erbluffte sich sozusagen in seinem ersten großen Vertrag und musste sich dann für die Fahrzeuge und das Zeug, das er brauchte, um den Vertrag zu erfüllen, Geld borgen. Seither sind wir jedes Jahr ein bisschen größer geworden. Jetzt könnte man uns, glaube ich, ein mittelgroßes Unternehmen nennen, was das Transportgeschäft anbetrifft.«
»Ich wundere mich, dass er alles stehenlässt, um uns zu helfen.«
»Steve Pelchek ist ein ziemlich rauer Bursche und tut manchmal das Unerwartete. In dieser Branche blieb ihm gar nichts anderes übrig. Aber ich nehme an, in diesem Fall hat er seine Gründe.« Die Sekretärin stand auf. »Er geht mit Ihnen um eins zum Essen. Wollen Sie sich nicht hier inzwischen ein bisschen auf der Liege ausruhen?«
»Vielen Dank, Miss Gray. Gerne.« Sie stand auf und ging durchs Zimmer auf die geflochtene Couch zu. »Ist er verheiratet?«, fragte sie, während sie ihre Schuhe auszog und sich niederlegte.
»Geschieden.« Die ältere Frau blieb einen Augenblick zwischen den Vorhängen der Türöffnung stehen. »Der Krieg in Korea hat wohl sechs Monate zu lange gedauert. Soviel ich weiß. Sagen Sie bloß nicht, dass ich Ihnen etwas erzählt habe. Er ist bei diesem Thema sehr empfindlich. Machen Sie Ihre Augen zu und ruhen Sie sich aus.« Sie ging hinaus und schloss leise die Tür.
Elena verschränkte ihre Hände unter dem Kopf und lauschte auf die Geräusche aus dem Autohof.
Was war er doch für ein hässlicher großer Mann. Er sah genauso barsch aus wie auf den Bildern, die Cal ihr gezeigt hatte. Nur dass er in Wirklichkeit noch größer zu sein schien. Sein Gesicht war fast unverändert – vielleicht ein bisschen voller und besser genährt. Dieselbe breite Stirn unter dem rabenschwarzen, wie Rosshaar wirkenden Haar. Dieselben hohen, flachen Backenknochen, welche die ebenen Gesichtspartien aller Leute von slawischer Herkunft unterstreichen.
Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der lediglich auf eine Eingebung hin handelte. Im Gegenteil, er sah aus wie jemand, der im Grunde reserviert und schwer zu etwas zu bewegen war. Was veranlasste ihn, ihnen zu helfen? Während die Motoren brummten und irgendetwas Metallenes gegen Zement schlug, schloss sie die Augen.
Der Mann winkte der Kellnerin ab und begann Zucker und Sahne in seinen Kaffee zu schütten. Sein Kollege saß schweigend in der dunklen Nische ihnen gegenüber.
»Nun, Romero, wo ist sie?«, fragte der Mann ruhig und rührte in seinem Kaffee.
»Ich weiß es nicht.«
»Sie sollten doch auf sie aufpassen.«
»Habe ich auch. Sie ging in ein Dutzend Büros, bevor sie fertig war, und ich war die ganze Zeit hinter ihr her. Als sie zur Busstation zurückging, dachte ich, sie würde hierherkommen. Ich konnte nicht zu nahe ran. Sie würde mich sonst gesehen haben.«
»Es ist jetzt schon vier Tage her, und sie ist immer noch nicht zurück.« Der Mann schlürfte seinen Kaffee und starrte quer über den Tisch. »Sie hätten sie aufhalten sollen.«
»Wie hätte ich das tun sollen. Selbst wenn ich es gewusst hätte, dass sie nicht hierher zurückkommt, was hätte ich tun können?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte der Mann ungerührt. »Mich interessiert nur, was sie im Augenblick macht. Und wo sie ist. Auch darum sollten Sie sich kümmern. Auch davon hängt Ihre Zukunft ab.«
»Es tut mir leid.«
»Schön. Es ist eben passiert, und wir werden uns über sie den Kopf zerbrechen, wenn es soweit ist. Nun, was ist mit dem Mann? Ist er immer noch da draußen?«
»Ja.«
»Nüchtern, hoffe ich.«
»Ich glaube.«
»Sie glauben?« Der Mann stellte seine Kaffeetasse weg. »Was – Sie glauben? Mit nur noch fünf Tagen können wir uns nicht leisten, Ratespiele zu veranstalten. Er ist Ihnen einmal durch die Lappen gegangen. Entsinnen Sie sich?« Er beugte sich über den Tisch. »Fahren Sie heute raus und sorgen Sie dafür, dass er da ist, wo er sein soll, und dass er nicht säuft... Wir hätten ihn umlegen sollen«, fügte er hinzu.
Romero schwieg.
»Ich würde empfehlen, dass Sie jetzt aufbrechen«, sagte der Mann.
»Wo soll ich Sie anrufen?«
Romero griff nach seinem Hut. »Nicht nötig. Sie hören von mir.«
Allein trank er langsam seinen Kaffee aus, scheinbar unberührt von dem Geklapper der Silberbestecke und der Glasteller eifriger Vormittagsgäste. Er wartete zehn Minuten, zwängte sich aus der Nische und verließ das Lokal.
Das Flugzeug glitt beinahe lautlos durch den Himmel. Natürlich war da das ständige Summen der Motoren, aber das Geräusch schien aus weiter Ferne zu kommen. Pelchek sah auf das schlafende Mädchen nieder. Frauen lateinamerikanischer Abstammung sollten niemals ihre Augen schließen, dachte er völlig beziehungslos. Elenas Kopf ruhte an seiner Schulter, eine Hand streckte sich an ihrer Seite, die andere hatte sich im Schlafe auf ihrem Schoß geballt. Ihre festen großen Brüste senkten und hoben den Stoff ihrer Bluse mit ihrem Atem. Seine Augen fielen in ihren weiten Blusenausschnitt und den Beginn der Rundungen der beiden durch ein dunkles Tal getrennten Hügel, über die sich eine sanfte satinschimmernde Haut zog. Für ein so kleines Mädchen besaß sie alles, was das Herz begehrte, dachte er. Beunruhigt durch ein vages Schuldgefühl, wandte er seine Augen ab und ließ sie durch die Kabine schweifen.
Die meisten Passagiere schliefen, während die riesige Maschine über die weiten Ebenen des Südens dröhnte. Er blickte erneut auf das Mädchen und rüttelte sie dann vorsichtig an der Schulter. Sofort öffnete sie ihre Augen, ein bisschen überrascht, und sah ihn dann an.
»Oh! Schlafe ich schon lange?«
»Ach, so ungefähr zwei Stunden.«
»Tut mir leid, Steven, aber ich konnte die Augen einfach nicht mehr länger offenhalten.« Sie gähnte, richtete sich etwas auf und strich Rock und Bluse glatt. »Wo sind wir?«, fragte sie dann und blickte aus dem Fenster.
»Die Stewardess sagte, dass wir in fünfzehn Minuten da sind.« Er setzte sein Feuerzeug in Betrieb und hielt die Flamme über seine Uhr. »Beinahe fünf Uhr früh. Wenn wir nicht den Aufenthalt wegen des Gewitters in Chicago gehabt hätten, wären wir schon seit Stunden da.« Er zog eine Zigarette aus einem zerdrückten Päckchen und zündete sie an. »Erinnern Sie sich noch, was Sie tun müssen?«
»Ja, Steven.« Das Mädchen streckte sich und ließ ihre Arme langsam zu beiden Seiten heruntersinken. Dann schlug sie die Hände über ihrem Schoß zusammen. »Ich nehme den Bus nach Las Milpas und kehre zum Krankenhaus zurück. Wenn mich irgendjemand fragt, wo ich gewesen bin, erzähle ich die Wahrheit. Dass ich in Milwaukee gewesen bin bei einem von Cals Kriegskameraden, der seine Hilfe angeboten bat.« Sie blickte zu ihm auf. »Soll ich Ihren Namen erwähnen?«
»Wenn Sie wollen. Schaden kann’s jedenfalls nicht.« Sein Blick drang durchs Fenster nach außen. »Sieht aus, als ob wir zur Landung ansetzen.«
Kurz darauf begann die Maschine an Höhe und Geschwindigkeit zu verlieren. Das bekannte Surren der auf den Landegang geschalteten Motoren wurde vernehmbar. Dann spürte man den plötzlichen Verlust an Geschwindigkeit, das Fahrgestell wurde ausgefahren, und schließlich wurde das Geräusch der Räder auf der zementierten Landebahn vernehmbar.
»Es kann ein paar Tage dauern, bevor Sie von mir hören«, sagte Pelchek.
»Ein paar Tage?« Elena setzte sich ganz plötzlich auf. »Aber wir haben doch nur noch so wenig Zeit, Steven!«
Pelchek drehte sich halb auf seinem Sitz herum, als das Flugzeug langsam auf das Verwaltungsgebäude zurollte, und sah dem Mädchen ins Gesicht. »Ich weiß, dass es brandeilig ist. Aber ich habe keine Ahnung, in was für eine Geschichte ich da einsteige, Mädel. Vielleicht stellt sich heraus, dass wir viel zu spät daran sind, um überhaupt noch etwas in dieser Geschichte unternehmen zu können. Die ganze Sache scheint mir reichlich merkwürdig. Vielleicht bin ich wirklich nicht in der Lage, so spät überhaupt noch etwas zu unternehmen. Aber was auch immer passieren wird, ich werde alles in meinen Kräften Stehende tun, und so schnell wie möglich. Aber Sie wissen ja, wie die Dinge liegen.«
»Ja«, flüsterte sie.
»Sind Sie sicher, dass Sie mir alles erzählt haben?«
»Alles. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, ob ich irgendetwas vergessen habe, aber... nein, ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß.«
Das Flugzeug stand bewegungslos auf dem Platz, und man hörte, wie die Treppen herangerollt wurden. Pelchek stand auf und half dem Mädchen in den langen Gang. Er hob ihrer beider Mäntel aus dem Netz über den Köpfen und schlug sie über seinen Arm.
»Gehen wir«, sagte er.
Der Mann spitzte die Lippen und blickte über den Schreibtisch. »Nun, was haben Sie herausgefunden?«
»Ich bin da raufgefahren und habe das Busticket überprüft. Gab ihnen ihre Beschreibung. Sie haben ihr ein Billett nach Milwaukee verkauft.«
»Für denselben Tag?«
»Ja.«
»Na schön. Sie muss zurückkommen. Wenn sie kommt, verlange ich von Ihnen, dass Sie mir über jede Minute auf ihrem Weg dahin Bericht erstatten.«
»Geht in Ordnung.«
»Strengen Sie sich ein bisschen an, damit Sie nicht einen solchen Bockmist machen wie das letzte Mal. Haben Sie sich um den Mann in den Bergen gekümmert?«
»Ich musste den Kerl ja rausbringen. Ich habe gleich...«
»Keine Namen hier drin bitte!«, unterbrach der Mann rasch. »Ich weiß, wer gegangen ist.« Er machte eine Pause und fuhr danach plötzlich fort: »Sorgen Sie dafür, dass Sie das Mädchen so rasch wie möglich treffen, und finden Sie heraus, was sie gemacht hat.«
»Geht in Ordnung.«
»Sie gehen jetzt besser, und benützen Sie die Tür auf der Seite.«
Der Mann wartete, bis er allein war, dann nahm er den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. Der Teilnehmer meldete sich sofort.
»Allen?«
»Am Apparat. Wer spricht da?« Die Stimme klang unfreundlich.
»Sind Sie gestern aus gewesen?«, fragte der Mann ruhig.
Es gab eine kurze Pause, und dann sagte Allen Baker mit belegter Stimme: »Klar. Er ist immer noch draußen.«
»Weniger blau als Sie, hoffe ich.«
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Er ist draußen, und er ist nüchtern. Das wollten Sie doch wissen, nicht?«
»Wir wollen uns nicht zanken«, sagte der andere eisig. »Übrigens, da ist noch etwas. Das Mädchen ist in Milwaukee.«
»Milwaukee?«
»Ja. Wen kennt er denn da?«
»Woher verdammt nochmal soll ich das wissen? Und außerdem, was macht das schon aus? Die ganze verdammt dreckige Affäre ist am Montag ausgestanden. Machen Sie sich doch keine Sorgen...«
»Halten Sie den Mund und hören Sie mir zu! Sie werden herausfinden, wen er da oben kennt. Und etwas dalli! Möglicherweise ein Geschäftsfreund oder vielleicht einer von seinen Kriegskameraden. Aber wie dem auch sei, finden Sie’s raus. Verstehen Sie mich?«
»Ja, ich verstehe.«
»Gut. Ich kann Auseinandersetzungen nicht leiden. Ich rufe Sie später an«, sagte der Mann. Dann legte er den Hörer auf und blieb still in seinem Sessel sitzen. Lange, lange Zeit.
Auf dem Schild der Tür stand David G. Elman, Attorney – at Law. Pelchek trat ein, ging durch das kurze Empfangszimmer und blieb vor einem hüfthohen Geländer stehen. Es trennte einen Büroschreibtisch mit einem Sessel von zwei dürftigen Sitzgelegenheiten und einem kleinen Lesetisch, welche die Einrichtung jenes sozusagen das Wartezimmer darstellenden Teils des Büros ausmachten. Ein sauberer, mit Klimaanlage gekühlter Raum. Neue überaus praktische Möbel. Durch eine teilweise geöffnete Tür drangen murmelnde Stimmen in das Zimmer.
Plötzlich wurde die Tür weit aufgerissen, und eine junge Frau erschien. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«
»Mein Name ist Steve Pelchek. Ich möchte Mr. Elman sprechen.«
»Sind Sie verabredet?«
»Wir haben nichts vereinbart.«
»Darf ich Sie fragen, um was es sich handelt?«
»Ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Teilen Sie Mr. Elman mit, dass es sehr dringend ist.«
»Bitte, Mr. Pelchek.« Die Frau musterte ihn einen Augenblick lang. »Wenn Sie sich bitte setzen wollen, bis Mr. Elman Sie empfangen kann.« Sie kehrte durch die Tür zurück, die die Aufschrift Privat trug, und schloss sie hinter sich.
Pelchek nahm eines der Magazine vom Tisch und begann, es zu durchfliegen. Nach kurzer Zeit kehrte das Mädchen zurück.
»Mr. Elman erwartet Sie.« Sie öffnete eine Tür in der Barriere und wies ihn mit einer Handbewegung in Richtung der mit Privat bezeichneten Tür.
»Mr. Pelchek?« Der Mann hinter dem Schreibtisch erhob sich und trat dann auf Pelchek zu, um ihm die Hand zu geben. »Meine Sekretärin sagt, Sie haben eine dringende Angelegenheit mit mir zu besprechen.« Er machte eine Handbewegung zu einem neben dem Schreibtisch stehenden Sessel und setzte sich wieder.
»Ich bin wegen der Sache Baker hier«, informierte ihn Pelchek unvermittelt. Er sah zu, wie der Anwalt diese Neuigkeit verdaute.
Elman lehnte sich in seinem Sessel zurück und spitzte die Lippen. Ein schmaler, dunkler junger Mann mit glänzenden Augen.
»Aha«, sagte er. »Und welche Partei vertreten Sie?«
»Cal Baker.«
»In welcher Eigenschaft, Sir?«
»Als Freund.«
»Wohnen Sie hier, Mr. Pelchek?«
»Nein, keineswegs. Ich wohne in Milwaukee. Was zum Teufel kann es für einen Unterschied machen, wo ich wohne? Was ich wissen möchte, ist...«
»Einen Augenblick«, Elman unterbrach und beugte sich in seinem Sessel vor. »Ich kenne Sie nicht, Mr. Pelchek. Sie kommen hierher und behaupten, Sie vertreten einen Klienten von mir, der zum Tode verurteilt worden ist. Ich kenne Sie nicht, und Sie haben nicht die geringsten Anstalten gemacht, sich zu legitimieren. Ich würde Ihnen empfehlen, das nachzuholen, bevor Sie erwarten können, dass ich über diese Angelegenheit mit Ihnen spreche.«
Pelchek starrte den jungen Anwalt eine Weile an und zuckte dann die Schultern. »Okay, Elman. Sie haben natürlich recht. Ich werde mich bemühen, Ihnen die ganze Sache so kurz wie möglich zu erzählen.« Er verlor ein paar Worte über den Besuch des Mädchens und seine Entscheidung, herunterzufliegen. »...so dürfte Ihnen bei der knappen Zeit klar sein, dass ich sofort eine Aktion gestartet sehen möchte.«
Der Anwalt hatte aufmerksam zugehört. Nachdem Pelchek geendet hatte, fragte Elman ruhig: »Glauben Sie, dass Baker es getan hat?«
Pelchek zuckte die Schultern. »Möglicherweise. Schließlich können ja nicht alle Gerichte von der ersten bis zur letzten Instanz Fehlurteile gefällt haben.«
»Es hat Gelegenheiten gegeben, bei denen das tatsächlich der Fall war«, sagte der Anwalt.
»Wollen wir hoffen, dass dem so ist«, sagte Pelchek. »Ich möchte, dass Baker freikommt.«
Elman schob seinem Besucher eine Schachtel Zigaretten zu und nahm sich selbst eine. Nachdem beide Männer ihre Zigaretten angezündet hatten, sagte er: »Schön. Was möchten Sie wissen?«
Pelchek lehnte sich in seinem Sessel zurück, während ein schwaches Lächeln seinen Mund umspielte. »Sie gehen aber auch ganz auf Nummer Sicher«, sagte er.
»Stimmt«, lächelte Elman zurück. »Also, was wollen Sie von mir wissen?«
»Erstens, was haben Sie für einen Eindruck von der Sache?«
»Es war eine gewöhnliche Mordsache, Pelchek. Zu gewöhnlich für einen Mann wie Baker«, sagte er nachdenklich. »Da sie es nicht einen Mord aus gewinnsüchtiger Absicht nennen konnten, nannten sie es einen Mord aus Leidenschaft. Sozusagen des Renommees wegen. Außerdem handelte es sich fast ausschließlich um Indizienbeweise. Ich habe so meine eigenen Ansichten über Indizienbeweise.«
»Wie ich gehört habe, haben Sie Berufung eingelegt?«
»Praktisch in jeder Instanz. Nach der Verhandlung bei der Berufungsinstanz am Staatsgericht ging der kleinen Baker – ich meine Elena Baker – das Geld aus. Ich habe die Berufung von mir aus zu den nächsthöheren Instanzen weiterverfolgt.« Er zuckte die Schultern. »Aber ergebnislos.«
»Warum?«
»Wir konnten keine neuen Tatsachen beibringen, und ein Verfahrensirrtum ließ sich nicht nachweisen. Ich gebe eine Menge auf die Unschuld dieses Mannes. Aber damit bekommen wir noch kein neues Verfahren oder eine Aufhebung des Urteils. Was ich brauche, sind neue Tatsachen, und wir haben leider keine Zeit, sie zu beschaffen. Übrigens«, fügte er hinzu, »meine Bemühungen, in Las Milpas Informationen aufzutreiben, waren alles andere als sensationell.«
»Ist Entlastungsmaterial unterdrückt worden?«
»Nichts, was ich beweisen könnte. Sehen Sie, in den meisten Mordprozessen ist irgendeine Sache, auf die man zusteuern kann. Irgendetwas Greifbares. In diesem Fall war es, als ob man gegen ein Kissen boxte. Nicht ein offen feindseliger Zeuge. Nichts. Gar nichts. Nur einen einzigen von Bakers Zeugen konnten wir nicht herbeischaffen. Und glauben Sie mir, ich habe nach Entlastungszeugen wie nach Stecknadeln gesucht.«
»Hat irgendjemand versucht, Sie unter Druck zu setzen?«
»Nein. Mit solchen Mitteln ist nicht gearbeitet worden. Es war mehr ein Mangel an Unterstützung, dem ich dort unten von allen Seiten ausgesetzt war. Die Behörden haben ihre Pflicht getan, aber nicht ein Jota darüber. Und die Privatleute hielten sich aus der Sache raus. Es war, als ob jemand eine Parole dazu ausgegeben hätte.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wer dahinterstehen, könnte?«
»Ich habe eine Menge Vorstellungen. Sie wissen wahrscheinlich, dass sich Baker eine Menge Feinde in Las Milpas gemacht hatte.«
»Seine Frau hat mir das erzählt.«
»Das lässt das Feld für Spekulationen weit offen. Vielleicht hat Frank McCreery seinen Einfluss geltend gemacht. Er war der Nachfolger Walkes als Generalmanager von Baker Land & Mining. Er lehnte die Verantwortung für ein Wohnungsbauprojekt ab, das Cal mit allem Nachdruck durchgepaukt hatte. Über diese Angelegenheit hatten sie eine Auseinandersetzung. Mir kam es sogar vor, als ob ein Mitglied der Familie versucht habe, ihn aus dem Weg zu räumen. Hat Elena von der Familie erzählt?«, fragte der Rechtsanwalt.
»Ja. Scheint mir ein hübsches Paar zu sein.«
»Ohne Zweifel«, sagte Elman. »Zugegeben, die Schwester verließ Las Milpas, kurz nachdem Cal das Aguilar-Mädchen geheiratet hatte. Sie war weder in der Lage etwas für ihn noch etwas gegen ihn zu unternehmen.«
»Was ist mit dem Bruder?«
»Allen? Der schreckt vor allem zurück, was einen abträglichen Einfluss auf das Familienprestige oder die Brieftasche haben könnte. Seit der Geschichte säuft er mächtig. Während des Prozesses war er keinerlei Hilfe.«
»Das ist mir ja ein schöner Bruder, Elman! Was für merkwürdige Leute sind das eigentlich?«
»Sie unterscheiden sich kaum von vielen anderen kranken Leuten, Pelchek.« Elman lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Stolz... Geld machen... Vorurteil. Und was es halt für Gründe dafür gibt. Baker belastete die Beziehungen zu seiner Familie beträchtlich, als er Elena Aguilar heiratete. Ich weiß, ich weiß...«, er hielt eine Hand auf, »sie ist ein feiner, anständiger Kerl, und seit dem Krieg ist man auch hier in diesem Teil des Landes nicht mehr ganz so wie früher. Nichtsdestoweniger stand sie doch den Kreisen, in denen Baker verkehrte, so fern, dass eine Menge Leute von vornherein gegen sie waren. Besonders da sie eine Lady und eine diplomierte Krankenschwester ist. Ein dummes kleines Flittchen würden sie ihm nachgesehen haben.«
»Das ist wohl das, was Sie sich selbst ersehnen?«
»Sie haben völlig recht.« Elman sah Pelchek scharf an. »Eine Hure können sie verstehen, aber ein Mensch wie Elena schreckt sie. Lässt sie die Zeichen der Zeit erkennen. Und dann natürlich, da sie Mexikanerin ist, gehörte nicht viel dazu, sich auszumalen, dass ihr Einfluss Bakers Versuche veranlasste, das Wohnungsprojekt in Angriff zu nehmen. Dadurch fürchteten natürlich gewisse Leute, finanziell geschädigt zu werden, und Sie wissen ja, wie das ist.«
»Ja«, sagte Pelchek. Er stand auf, ging zum Fenster und blickte über die Stadt. »Würde es Sie kränken, wenn wir für diese Sache noch einen anderen Anwalt zuziehen?«
»Nicht im Geringsten. Es kann ja sein, dass ich etwas übersehen habe, und wenn dem so ist, können wir...«
»Darum handelt es sich nicht«, schnitt Pelchek ab. »Es ist klar, dass wir in vier Tagen nicht viel tun können. Was wir brauchen, ist ein Aufschub. Ein Aufschub der Hinrichtung. Wer ist einflussreich genug, um uns den verschaffen zu können?«
Elman rieb nachdenklich den Daumen an seinem Kinn.
»Bartlett«, sagte er entschieden. »Ernest Bartlett. Er verlangt allerdings eine Stange Geld.«
»Wieviel?«
»In einem Fall, der schon so weit gediehen ist wie dieser... lassen Sie mich überlegen... wird er wahrscheinlich eine Anzahlung von fünftausend Dollar verlangen! Das heißt, wenn er die Sache überhaupt übernimmt!«
»Warum sollte er sie nicht übernehmen?«, fragte Pelchek.
»Aus Gründen seines beruflichen Ansehens. Ich muss ihn überzeugen, dass wir eine gute Chance haben, neue Tatsachenbeweise herbeizubringen. Zum Beispiel den Zeugen, den Baker am Tatort gesehen zu haben glaubt. Wenn ich das schaffe, wird er sich möglicherweise bereitfinden, zu versuchen, einen Aufschub zu erlangen.«