IM MITTELPUNKT DIE EULE - Margaret Scherf - E-Book

IM MITTELPUNKT DIE EULE E-Book

Margaret Scherf

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ich streckte die Hand aus, und als ich sie wieder zurückzog, war sie voller Blut. Man hatte ihn von hinten her betäubt und ihm dann die Gurgel durchschnitten. Eine gründliche Arbeit.

Mich fröstelte, mir war kälter als dem dicken Mann. Als ich auf dem einen Hosenbein einen Blutspritzer entdeckte, drehte sich mir der Magen um. Ich lief hinauf und rief die Polizei an.

Die Polizei auf Long Island hat’s mit der Ruhe. Sie machte auch jetzt keine Ausnahme.

»So, so?«, sagte der Diensthabende. »Wir schicken jemanden hin. Lassen Sie die Leiche liegen, wo sie liegt.«

Was hatte er sich denn gedacht - dass ich sie in den Salon setzen und ihr eine Zigarre zwischen die Zähne stecken würde?

Margaret Scherf (* 1908 in Fairmont, West Virginia; † März 1979) war eine US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Im Mittelpunkt die Eule erschien erstmals im Jahr 1945; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

MARGARET SCHERF

 

 

Im Mittelpunkt die Eule

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 115

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

IM MITTELPUNKT DIE EULE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Ich streckte die Hand aus, und als ich sie wieder zurückzog, war sie voller Blut. Man hatte ihn von hinten her betäubt und ihm dann die Gurgel durchschnitten. Eine gründliche Arbeit.

Mich fröstelte, mir war kälter als dem dicken Mann. Als ich auf dem einen Hosenbein einen Blutspritzer entdeckte, drehte sich mir der Magen um. Ich lief hinauf und rief die Polizei an.

Die Polizei auf Long Island hat’s mit der Ruhe. Sie machte auch jetzt keine Ausnahme.

»So, so?«, sagte der Diensthabende. »Wir schicken jemanden hin. Lassen Sie die Leiche liegen, wo sie liegt.«

Was hatte er sich denn gedacht - dass ich sie in den Salon setzen und ihr eine Zigarre zwischen die Zähne stecken würde?

 

Margaret Scherf (* 1908 in Fairmont, West Virginia; † März 1979) war eine US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Im Mittelpunkt die Eule erschien erstmals im Jahr 1945; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   IM MITTELPUNKT DIE EULE

 

 

 

 

 

 

  

  Erstes Kapitel

 

 

»Es ist ein Vogel im Keller, Charles.«

Immer, wenn ich unrasiert bin, sagt Mama Charles statt Charlie zu mir.

»Was für ein Vogel?«

»Er sieht ein bisschen wie ein Habicht aus und ein bisschen wie ein Huhn. Audrey meint, dass es vielleicht ein seltenes Tier ist. Sie hat den Zoo angerufen.«

»Was sagt man im Zoo?«

»Wir sollen bis morgen warten, dann kommen sie her und schauen sich den Vogel an. Aber er fliegt herum. Geh doch und sieh nach, was er will!«

»Wie soll man herauskriegen, was ein Vogel will?«

Ich ging die Kellertreppe hinunter und sah mich in dem sogenannten Sportzimmer um, wo Audrey und ihre Freunde beiderlei Geschlechts sich, wenn Mama in den Kirchenverein geht, mit Tischtennis und Alkohol auszutoben pflegen. Meistens geht es dann mehr über Schnäpse als über die Pingpongbälle her. Ich sah keinen Vogel. Audrey hat Vorhänge vor die Fenster gehängt, wahrscheinlich, damit die Hunde nicht hereingucken können. Ich hob einen hoch. Da schwebte etwas im Gleitflug über meinen Kopf weg.

Eine Eule. Eine ganz gewöhnliche Wald-und-Wiesen-Eule.

Ich öffnete eines der Fenster und versuchte sie hinaus zu scheuchen, aber sie ließ sich nicht verscheuchen. Sie blieb auf dem Kaminsims, auf dem sie Platz genommen hatte, hocken und musterte mich mit kalten Bücken. »Na schön!«, sagte ich. »Bleib sitzen!«

Ich ging hinauf. Mama stellte gerade die Kartoffeln auf den Tisch. »Wo ist Audrey?«, fragte ich. »Das dumme Ding kann eine Eule nicht von einem Huhn unterscheiden.«

»Du hast Vogelkunde studiert - Audrey nicht!«

Mama und ich setzten uns zu Tisch. Es gab Corned Beef. Mein Urlaub hatte gerade begonnen, und ich war in bester Stimmung. »Die ganzen zwei Wochen lang werde ich mich nicht rasieren«, sagte ich warnend. »Und vielleicht auch das Hemd nicht wechseln.«

»Dann geh in den Keller zu deiner Eule. Ein feiner Herr rasiert sich täglich. Dein Vater...«

»Aber sicher. Papa war ein Heiliger. Sonst hätte er es auch nicht fünfundzwanzig Jahre lang mit dir ausgehalten, Mammi!«

»Sag nicht Mammi zu mir! Übrigens hat Constance angerufen.«

»Nun mach einen Punkt, Mama! Ich will im Urlaub nichts mit Weibern zu tun haben.«

»Sie wollte wissen, ob du Lust hättest, morgen mit ihr Golf zu spielen. Ich habe gesagt, natürlich hättest du Lust, mit größtem Vergnügen.«

Ich wurde böse. Ich wollte nicht gleich meinen ersten, herrlichen freien Tag damit verbringen, hinter den Golfbällen einer geschwätzigen Blondine herzulaufen. Wahrscheinlich würde ich ihr auch noch einige Drinks spendieren müssen. Mama bildet sich ein, Constance unterscheide sich von Bischof Manning nur durch ihr Geschlecht und ihre Figur. Ich habe ihr nie erzählt, wie gern Connie ihren wohlgeformten Busen über sämtlichen Bartischen zwischen St. George und Tottenville etabliert. Und das ist ja auch reichlich sonderbar, wenn man bedenkt, dass die Whalens zu den besten Familien auf Long Island gehören.

»Mammi«, sagte ich, »du bist die schlimmste Intrigantin, die es gibt!«

»Vielleicht möchtest du lieber eine der Regent-Töchter heiraten.« Mama hatte ihren sarkastischen Ton angeschlagen.

»Bestimmt! Am liebsten Daffy!«

»Unterstehe dich, und ich schlage dir deinen irischen Dickschädel ein!«

Ich war nicht geneigt, mir wieder einmal Mamas Meinung über die Regents anzuhören, deshalb ging ich zu Jack hinüber, trank zwei Glas Bier und legte mich dann schlafen.

Ich hörte nicht einmal Audrey nach Hause kommen.

 

Irgendetwas hatte mich aufgeweckt. Ich spitzte die Ohren. Draußen war es noch finster, und es wehte kein Wind, nicht das kleinste Lüftchen. Ich hörte nichts, aber um sicherzugehen, tapste ich in den Flur und horchte übers Treppengeländer hinunter. Ich wollte schon wieder in mein warmes Bett zurückkehren, da hörte ich einen klagenden leisen Laut, wie ich ihn noch nie in meinem Leben gehört hatte. Mir lief es kalt über den Rücken. Dann fiel mir die Eule ein. Wird das verflixte Vogelvieh die ganze Nacht so weiterwimmern? Mama wird aufwachen und sich zu Tode erschrecken...

Ich schlich die Treppe hinunter in die Küche. Als ich die Kellertür öffnete, sauste ein Wirbelsturm über mich weg, und die Eule landete auf dem Warmwasserhahn.

»Wenn du weg willst, warum fliegst du nicht zum Fenster raus?«, sagte ich brummig. »Du kannst nicht im Abguss übernachten. Das ist unhygienisch,«

Ich versuchte sie zu packen, aber sie kratzte mich ordentlich mit dem Schnabel und blieb auf dem Wasserhahn hocken. Ich versuchte sie wieder in den Keller oder zur Hintertür hinaus zu scheuchen. Aber der Vogel war eigensinnig. Er klammerte sich an den Wasserhahn fest und zwinkerte mit den Augen. Ich verstand nicht recht, warum er zur Küchentür geflogen war, um dort seinen Nachtgesang anzustimmen, aber schließlich weiß ich ja nicht so genau, was im Hirn einer Eule vorgeht. Vielleicht hatte sie im offenen Fenster was gesehen, das ihr nicht passte, und war ausgerissen. Wenn wirklich etwas zum Fenster hereingekommen war, würde Mama sich schön ärgern und mir die Hölle heiß machen, weil ich es offengelassen hatte. Ich ging in den Keller, um nachzusehen. Die Lampen, die Audrey im Sportzimmer aufgehängt hat, leuchten matt und rosig, damit man ungestört poussieren kann. Aber auch in der trüben Beleuchtung brauchte ich nicht lange zu suchen. Da war das offene Fenster. Und er hing drin.

Auf der letzten Stufe blieb ich stehen, mein Mund war wie ausgetrocknet, und die Augen traten mir aus den Höhlen. Ich ließ das Geländer los und ging zu ihm hin. Er hing an den Füßen wie ein frisch geschlachtetes Huhn. Und hatte genauso heftig geblutet. Sein Mund stand offen, die Hände baumelten ihm an den Seiten herab, und die Augäpfel waren nach oben verdreht. Der unappetitlichste Anblick, der mir je begegnet war! Ein großer Mann, zu fett und schwammig. Das Blut an der Kehle tropfte nicht mehr. Es war bereits geronnen. Ein paar Tropfen auf der rotgetupften Krawatte. Kein Tropfen auf dem Boden.

Das war nun nicht weiter sonderbar. Es wäre ein rechtes Kunststück gewesen, ihn in den Keller zu stopfen, dann ins Haus zu laufen und die Treppe herunter und ihm den Hals abzuschneiden. Offenbar war er anderswo umgebracht worden. Die Herrschaften, die ihn hier losgeworden waren, hatten die Gastfreundschaft der Murphys schändlich missbraucht.

Ich wollte seinen Hinterkopf befühlen, ob er dort eine Beule habe, falls man ihm zuerst eins über den Schädel gehauen hatte. Ich streckte die Hand aus, und als ich sie wieder zurückzog, war sie voller Blut. Man hatte ihn von hinten her betäubt und ihm dann die Gurgel durchschnitten. Eine gründliche Arbeit.

Mich fröstelte, mir war kälter als dem dicken Mann. Als ich auf dem einen Hosenbein einen Blutspritzer entdeckte, drehte sich mir der Magen um. Ich lief hinauf und rief die Polizei an.

Die Polizei auf Long Island hat’s mit der Ruhe. Sie machte auch jetzt keine Ausnahme.

»So, so?«, sagte der Diensthabende. »Wir schicken jemanden hin. Lassen Sie die Leiche liegen, wo sie liegt.«

Was hatte er sich denn gedacht - dass ich sie in den Salon setzen und ihr eine Zigarre zwischen die Zähne stecken würde?

Es würden einige Minuten vergehen, bevor sie ankamen. Ich wusste nicht, ob ich Mama wecken sollte. Sie würde erschrecken, aber früher oder später musste sie es ja erfahren. Und wenn sie erschrak, würde mir wohler zumute sein. Ich entschloss mich zu einem Kompromiss und weckte Audrey. Sie ist dick und gemein und schläft für ihr Leben gern. Als ich die Lampe dicht neben ihrem Gesicht anknipste, sah ich, dass sie über und über mit Sommersprossencreme beschmiert war.

»Im Sportzimmer liegt ein Toter«, sagte ich wie nebenbei.

»Na und?« Sie drehte sich um und zog die Decke über den Kopf. »Er wird dir im Weg sein, wenn du Pingpong spielen willst.«

Sie begann aufzuwachen. »Was hast du gesagt?«

»Dass eine Leiche an den Füßen im Kellerfenster hängt!«

Sie wollte schon sagen: »Leg dich schlafen und hör auf, mich zu verkohlen!« - aber da muss sie gemerkt haben, wie blass ich aussah. »Ist das dein Ernst?«

»Komm runter, dann wirst du’s sehen! Dein seltener Vogel hat sauer reagiert. Deshalb bin ich aufgewacht.«

Audrey setzte sich im Bett auf. Jetzt begann ihr die Sache zu imponieren. »Sieht es schaurig aus?«

»Sehr. Zieh dich lieber an! Gleich kommen die Bullen.«

Sie schlüpfte in einen blauen Morgenrock, den sie mir- gemaust hatte, und steckte die kurzen Vorderfransen ihres Haares mit einem Kamm fest.

Mäuschenstill schlichen wir die Treppe hinunter. »Fang mir nicht

zu schreien an!«, sagte ich streng. »Sonst kriegt Mama einen Herzanfall.«

»Ich schreie nie.« Auf leisen Socken schlich sie hinter mir her. Es war ein Paar meiner Golfsocken. Sie nimmt alles, was nicht niet- und nagelfest ist.

Audrey hielt ihr Versprechen, nicht zu schreien. Sie sah bloß aus wie ein Tischgast, dem man nach dem Truthahn Hummer mit Schokoladensauce serviert hat. Sie wollte um keinen Preis näherkommen. Ich kam mir wie ein Held vor.

»Kennst du ihn?«, fragte ich.

»Nein. Du?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Warum haben sie ihn hier abgeladen? Es muss nicht leicht gewesen sein, ihn herumzuschleppen.«

Ich überlegte gerade, was ich mir, wenn ich Kriminalbeamter wäre, an dem Toten einprägen müsste, da hörte ich die Funkstreife draußen haltmachen und raste hinauf, um die Tür zu öffnen, bevor sie klingelten. Sie warfen einen kurzen Blick auf unsere Leiche und erklärten sofort, dass sie für diesen Fall nicht zuständig seien.

Nach einem kurzen Telefongespräch sagte der eine: »Sie haben da eine feine Sache erwischt, Mr. Murphy! Es sollte mich nicht wundern, wenn man Ryan herschickt.« Es klang, als ob ich etwas Besonderes geleistet hätte.    

 

»Wer ist Ryan?«, fragte Audrey.

»Ein Bluthund, der in Centre Street an der Kette liegt für den Fall, dass solche Geschichten auftauchen. Netter Kerl, wenn man tut, was er sagt. Ein Ekel, wenn man ihm in die Quere kommt.«

Während wir warteten, gingen wir hinunter, um uns noch einmal die Leiche anzusehen. Ich hätte gerne gewusst, ob er eine Armbanduhr hatte, und hätte gern nachgeschaut, wenn nicht die Polizeibeamten gewesen wären; da hörte ich ein gurgelndes Geräusch. Mama stand auf der Treppe und hielt ihren alten gestreiften Morgenrock über den Hüften zusammen.

»Mammi!« Ich lief zu ihr hin und nahm ihren Arm. »Immer mit der Ruhe! Alles ist in bester Ordnung!«

»Guten Abend, Mrs. Murphy!«, sagte einer der Beamten. »Haben Sie etwas dazu zu sagen?«

Mama schluckte und schüttelte den Kopf. Sie sah mich vorwurfsvoll an. »Er ist immer so brav gewesen, Herr Wachtmeister.«

»Mama!«, sagte Audrey. »Sei nicht dumm!« Wir setzten Mama auf einen Barstuhl. Sie begann sich langsam zu erholen.

»Was geht in meinem Haus vor, während anständige Menschen schlafen?«

Wir erzählten es ihr, Punkt für Punkt, und erwähnten auch die Eule.

»Diese Eule bringt uns Pech. Jag' sie weg, Charles!«

Wir überredeten Mama, hinaufzugehen, damit sie die Leiche nicht mehr sehen müsse, und dann erschien Ryan auf dem Schauplatz.

»Wo ist er?«, sagte er mit schallender Stimme. In seiner Gesellschaft befanden sich ein kleines Männlein mit einer Tasche, offenbar der Polizeiarzt, und ein zweiter Kriminalbeamter.

Ryan hatte so ganz und gar nichts von einem schweigsamen, sphinxhaften Meisterdetektiv an sich. Er pflegte laut zu denken, und bei ihm hieß das, dass man ihn über den halben Hafen weg hörte.

Wir führten sie in den Keller hinunter. Ryan spazierte mehrere Male vor dem Leichnam auf und ab und schilderte uns mit dröhnender Stimme, was wir deutlich mit eigenen Augen sehen konnten. Der Polizeiarzt war eine brave, freundliche Seele. Man merkte ihm an, dass es ihm auf eine Leiche mehr oder weniger nicht ankam. Ein Fotograf kam hereingestürzt und nahm das Corpus delicti von allen Seiten her auf. Dann legten sie unseren Leichnam auf den Boden, damit der Arzt besser heran konnte. Nachdem er ihn betrachtet und das klebrige Blut am Hinterkopf untersucht hatte, sagte er: »Dürfte seit drei oder vier Stunden tot sein. Die offenbare Todesursache könnt ihr ja selbst sehen. Wir werden ihn aufschneiden und den Mageninhalt analysieren. Er wurde nicht hier getötet. Sonst hätte er eimerweise Blut verlieren müssen - mit den Füßen nach oben.«

Dann wollten sie gerne wissen, was aus der Armbanduhr des Toten geworden sei. Rings um das sonnverbrannte Handgelenk lief ein weißer Streifen.

Ryan unterwarf uns einem kurzen Verhör, aber keiner von uns hatte was zu berichten. Er schien uns aufs Wort zu glauben. Die Funkstreife fuhr weg und nahm den Polizeiarzt mit. Ryan und sein Trabant untersuchten mit ihren Taschenlampen die Erde vor dem Kellerfenster, und Audrey und ich zogen hinter ihnen her.

»Eine einzelne Radspur«, bellte Ryan.

»Fahrrad?«, sagte Sharpie hoffnungsvoll. Soviel ich sehen konnte, diente dieser Sharpie nur als Publikum, damit Ryan jemanden hat, der ihm zuhört, wenn er laut denkt.

Wir verfolgten die Spur durch die hohe Ligusterhecke, die unser Grundstück von dem der Regents trennte, und dann quer über die Zufahrt in den Geräteschuppen. Sharpie stolperte über den Schubkarren, und als Ryan mit seiner Taschenlampe hin leuchtete, sahen wir an der einen Kante einen Klacks Sand und dunkelbraunes Zeug.

»Sie haben den Karren nicht einmal versteckt!«, brummte Ryan.

»Wenn er hier umgebracht worden wäre«, sagte Audrey weise, »müsste mehr Blut zu sehen sein.«

Ryan gab ihr recht. »Wo ist die Garage?«

Ich führte ihn hin. Es war eine Garage für vier Autos: Daffys drei Sportwagen und den gelben Packard ihres Vaters. An keinem der Autos war auch nur die geringste Blutspur zu finden. Daffys blauer Sportwagen fehlte. Ein nasser Badeanzug klebte auf dem Sitz ihrer neuesten Erwerbung - einem weißen Buick -, der die meisten Menschen an ein Streifenauto der Polizei gemahnt hätte.

Ryan ließ seine Blicke zu dem Hause der Regents wandern. Der Tag begann zu grauen, und da stand es groß und mächtig. Der rosa Stuck machte einen warmen und freundlichen Eindruck. Haley Regent hatte ein Haus in Nizza kopieren lassen.

»Geld!«, sagte Ryan. »Sie kennen die Leute, Murphy?«

»Nicht sehr gut«, sagte ich. »Seit sie vor vier Jahren eingezogen sind, habe ich oft versucht, mit ihnen bekannt zu werden, aber jedes Mal, wenn ich in die Nähe der Hecke kam, rief Mama aus vollem Hals: Charles, komm her, du musst einholen gehen!«

Wir gingen zu dem Haus hinüber, und ich erklärte Ryan, dass die Familie zwei Töchter habe, Daffy und Blue. Ryan wollte wissen, in welcher Branche Haley Regent tätig sei.

»In gar keiner«, sagte Audrey, die für ihr Leben gern tratscht. »Zuerst hat er Mrs. Regents Geld durchgebracht, und jetzt lebt er von Daffy.«

»Das weißt du doch nicht, Audrey!«, protestierte ich.

»Sie bekommt teure Geschenke von einigen ältlichen Herren.«

Wir gingen über die Zufahrt nach vorne, und dort stand der blaue Sportwagen mit offener Tür dicht an den Stufen.

»Und die andere?«, fragte Ryan.

»Blue ist erst neunzehn. Ein nettes durchschnittliches Mädel.«

»Ha!«, sagte Audrey spöttisch. »Woher weißt du das?«

Ich war froh, als Ryan ihr taktvoll zu verstehen gab, dass sie jetzt nach Hause gehen dürfe. Er klingelte, und wir mussten mehrere Minuten warten, bevor der Riegel zurückgeschoben wurde und Blue Regent die Tür öffnete. Sie sah verschlafen und ärgerlich aus, hielt vorne den verschossenen Baumwoll-Pyjama zusammen, an dem sämtliche Knöpfe zu fehlen schienen.

»Miss Regent«, sagte ich, »das ist Mr. Ryan von der Kriminalpolizei. Er untersucht einen Mordfall. Ein dicker Mann wurde umgebracht und an den Füßen in unseren Keller gehängt. Es sieht so aus, als ob man ihn mit eurem Schubkarren hinübertransportiert hätte.«

»Lassen Sie gefälligst mich reden!«, unterbrach mich Ryan. »Bitte, rufen Sie Ihre Eltern und Ihre Schwester! Haben Sie nachts etwas gehört? Zum Beispiel - dass man jemandem die Gurgel durchgeschnitten hat!«

»Macht das viel Lärm?«, fragte Blue. »Meine Mutter kann ich nicht herunterholen. Sie ist krank.« Sie wiegte die schmalen Hüften, als sie die Treppe hinaufging. Als sie zurückkam, hatte sie eine blaue Arbeitshose an und ein auffälliges rotes Seidenhemd. So pflegt sie sich auszustaffieren, wenn sie Joe Kronsky im Garten hilft. Daffy kam mit ihr, ein wenig umnebelt und in eine rosa Stoffwolke gehüllt, wie man es vom Film her gewöhnt ist.

»Sie ist immer noch beduselt«, murmelte Ryan. »Hat es gerade bis zur Tür geschafft!«

Dann erschien ein Butler. Er hatte nur halb so viel an, wie ein Butler sonst anzuhaben pflegt. Er sah aus wie ein arbeitsloser Spion, aber als Ryan Stühle verlangte, sagte er mit einem sanften Stimmchen: »Ja, Herr Kommissar.«

Haley Regent kam herein. Er war fix und fertig angekleidet, graue Flanellhose und gestreiftes Hemd, und hatte ein Buch unterm Arm »Guten Morgen, meine Herren!« Er rieb sich vergnügt die Hände. »Höre ich recht - ein Mord? Hoffentlich mit viel Blut!«

Ryan starrte ihn finster an. Ob Mr. Regent vor vier oder fünf Stunden ein Auto habe verfahren hören? Nein. Ob er ungewöhnliche Geräusche auf dem Grundstück gehört habe? Nein.

»Fragen Sie mich lieber gleich, ob ich etwas weiß, das erspart Zeit«, sagte Haley. »Ich weiß ganz und gar nichts. Aber Sie machen mir ein Vergnügen, wenn Sie mir alle grausigen Einzelheiten berichten. Wo wurde die Missetat verübt?«

»Da Sie das Ganze von der scherzhaften Seite nehmen Ryan wandte sich zur Treppe, werden Sie auch nichts dagegen haben, dass ich ohne gerichtliche Vollmacht Ihr Haus durchsuche.«

»Nicht das geringste, mein guter Mann! Freilich sind die Betten nicht gemacht.«

Blue und ich folgten Ryan die breite und gewundene Treppe hinauf, die in eine langgezogene Galerie mit den Schlafzimmertüren mündete.

Daffy, plötzlich aus ihrem Dusel erwachend, rief hinter uns her: »Vielleicht ist es ein Bekannter! Ich will mal hinübergehen.«

»Sie bleiben hier, bis ich zurückkomme!«, befahl Ryan. Nachher hörten wir sie unten herumrumoren, Klavier spielen und Sharpie necken.

Falls es Blutspuren im Hause gegeben hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie noch vorhanden sein sollten. Hätte man sie eigens für Ryan aufgehoben? Wir fanden nichts.

Ryan wollte mit Mrs. Regent sprechen, und obwohl das Blue offensichtlich nicht recht war, führte sie uns in das Zimmer ihrer Mutter. Ich blieb auf der Schwelle stehen, während Ryan seine Fragen stellte, und Blue pflanzte sich zwischen den beiden auf wie eine Katze, die ihre jungen verteidigt. Mrs. Regent ist weiß und durchsichtig wie eine Lilie, sie ist still und freundlich und kümmert sich kaum um etwas anderes als um den Garten, dem ihr ganzes Interesse gilt. Sie blinzelte Ryan an, als hielte sie ihn für eine böse Traumgestalt.

»Haben Sie einen festen Schlaf, Mrs. Regent?«, fragte Ryan. Er versuchte, seine Stimme zu dämpfen.

»Nein. Oh, mein Gott, nein! Ich liege fast die ganze Nacht wach.«

»Dann haben Sie vielleicht vor ein paar Stunden etwas gehört.« Blue legte die Hand auf ihre Schulter. »Nicht phantasieren, Mama! Ihn interessiert nur, ob du wirklich etwas gehört hast.«

»Aber bestimmt, mein Kind! Es war ein Auto.« Sie setzte sich kerzengerade in den Kissen auf. »Ganz leise ist es vorgefahren. Hinterm Haus.«

Ryan beugte sich vor. »Hinterm Haus? Sind Sie sicher, dass es nicht der Wagen Ihrer Tochter war, der vorne steht?«

Sie verzog das  Gesicht. »Alle Menschen behandeln mich wie ein kleines Kind. Ich weiß doch, wann Daffy nach Hause gekommen ist. Um Viertel vor zwei.« Auf ihrem Nachttisch stand eine Uhr mit Leuchtziffern. »Daffy ist um ein Uhr fünfzehn nach Hause gekommen. Das andere Auto kam gegen zwei.«

»Und Sie haben sich nicht gewundert, dass um diese Zeit ein fremdes Auto bei Ihnen vorfährt?«

»Nein. Ich wusste ja nicht, dass es ein fremdes ist.«

»War Mr. Regent zu Hause?«

»Ich habe keine Ahnung. Mr. Regent ist ein vielbeschäftigter Mann.«

»Auch um zwei Uhr morgens?«

»Oh, ja!«

Ryan wandte sich zu mir. »Wann entdeckten Sie die Leiche?«

»Gegen halb zwei, ungefähr...«

»Leiche?«, fragte Mrs. Regent. Sie sah nicht weiter erschrocken aus. »Es ist jemand ermordet worden«, sagte Ryan kurz.

»So? Wer?«

»Das wissen wir noch nicht... Der Zeitpunkt würde stimmen. Aber wer weiß, ob sie nicht schwindelt!« Ryan musterte sie misstrauisch.

»Meine Mutter ist müde«, sagte Blue und schob uns aus dem Zimmer. »Wenn Sie Bemerkungen über sie machen wollen, machen Sie sie gefälligst nicht vor ihr.«

»Kann sie aufstehen?«, fragte Ryan ungerührt.

»Ja. Sie geht im Garten spazieren und unterhält sich mit Joe. Aber sie verlässt nie das Grundstück.«

»Was fehlt ihr?«

»Sie ist herzkrank.«

Wir gingen hinunter. Daffy spielte Klavier, Sharpie hockte auf der Kante des Sofas und hörte mit verzückter Miene zu.

»Können wir jetzt gehen und ihn anschauen?« Daffy sprang vom Klavierstuhl auf.

Ryan nickte, und wir gingen durch die Hecke zu unserem Hause zurück. Mama kam in den Keller herunter und sah sielt Auge in Auge mit den verhassten Nachbarn.

Daffy lief zu dem Toten hin. »Es ist Mr. Hunt!« Sie zog den lose hängenden Saum ihres Negligés in die Höhe. »Ich habe ihm oft gesagt, er wird sich unbeliebt machen, wenn er nichts gegen seine Schuppen tut.«    

»Still, Daffy!« Ihr Vater packte sie beim Arm. »Er ähnelt Mr. Hunt. Aber er ist es nicht.«

»Aber Papa!«, sagte Daffy weinerlich, »Er ist es bestimmt. Ich werde doch wohl Cecil kennen!«

Blue runzelte die Stirn. »Ich glaube, Daffy hat recht.«

Haley war anzumerken, dass er keinen Widerspruch liebte. Er wurde bis über die Ohren rot, aber er beherrschte sich.        

Ryan wollte wissen, wer Mr. Hunt sei. 

»Ein Bekannter«, sagte Haley. Daffy schien nicht abgeneigt zu sein, nähere Auskünfte zu erteilen, aber ihr Vater machte ihr ein Zeichen, und sie gehorchte. »Wenn das alles war«, sagte er, »wollen wir wieder gehen. Ein sehr bedauerlicher Vorfall, Mrs. Murphy! Gestatten Sie, dass ich Ihnen unsere ehrliche Teilnahme ausspreche.«

»Ich brauche Ihre Teilnahme nicht, Mr. Regent. Ich ersuche Sie bloß, Ihre toten Bekannten nicht in meinem Keller abzuladen.« Haley ging würdevoll die Treppe hinauf, und Daffy, mit einem letzten verdutzten Blick auf den dicken Mann, wanderte hinterher. Blues Overall raschelte die Treppe hinauf.

»Overall!«, sagte Mama verächtlich. »Hat sie ihn auch im Bett an?«

Blue tat so, als hätte sie es nicht gehört. Die Regents verschwanden.

»So ein Negligé möchte ich gerne haben.« Audrey riss den Mund auf und gähnte, dass die Sommersprossen wackelten.

»Dass ich dich nicht in so einem Luderhemd erwische!«

Ryan schickte sich an zu gehen. Draußen wartete der Leichenwagen. »Ich habe Ihren Vater recht gut gekannt«, sagte er zu mir. »Ich möchte nicht erleben, dass George Murphys Sohn sich in die Nesseln setzt. Aber das wird Ihnen wenig nützen, junger Freund, falls Sie sich schon in die Nesseln gesetzt haben!«

»Hören Sie mal zu, Sie uniformierter Holzkopf!«, fuhr Mama ihn an. Ich bedauerte, dass ich mich je hatte hinreißen lassen, in Mamas Gegenwart Schimpfworte zu gebrauchen. Sie hat keine Ahnung, wann sie am Platze sind und wann man den Mund zu halten hat.

»Selbst ein Rhinozeros muss merken, dass das Pack von nebenan den Toten bei uns abgeladen hat.«

»Ja, Mrs. Murphy. Aber ich bin kein Rhinozeros.«

»Das«, sagte Mama, »müssen Sie mir erst beweisen. Gleich als sie anfingen, ihr Haus zu bauen, habe ich zu meinem Mann gesagt, George Murphy - ziehen wir weg!«

»Legen Sie sich lieber schlafen, Mrs. Murphy.« Ryan zog sein Messband hervor und nahm dem dicken Mann das Maß, der Länge und der Breite nach. »Wenn man ihm den Kopf abschneidet, ist er viereckig.«

»Nur immer los!«, sagte Mama. »Machen Sie mir noch mehr Schmutz!« Sie ging zu ihrem Schlafzimmer hinauf und knallte die Tür hinter sich zu.

»Übrigens, Murphy Ryan hatte bereits den Fuß auf der untersten Stufe, »wie kommt es, dass Sie den Toten mitten in der Nacht entdeckt haben?«

»Die Eule!«, sagte ich. »Sie hat Krach gemacht, und da bin ich runtergegangen, um nachzusehen, was los ist.«

»Was für eine Eule?«

»Ich werde sie Ihnen zeigen.« Sie hockte noch immer auf dem Warmwasserhahn. Ryan sah sie sich an und brummte etwas in sich hinein.

 

Nachdem sie alle gegangen waren und den dicken Mann mitgenommen hatten, ging auch ich hinauf. Ich hörte Mama schnarchen. Sie schnarchte wie ein Bär im tiefsten Winter. Wahrscheinlich hat sie bessere Nerven als wir glauben. Da ich nicht wusste, was sie mit der Eule anstellen würde, wenn sie morgens als erste hinunterkäme, kehrte ich um. Der Vogel ließ sich von mir greifen, und ich trug ihn in mein Zimmer hinauf. Er fegte im Zimmer herum wie ein Flugakrobat auf einem Jahrmarkt und landete schließlich auf meinem Krawattenhalter. Ich wollte ihn wegholen, aber er hackte nach mir, deshalb ließ ich ihn sitzen.

Ich brauchte ohnedies ein paar neue Schlipse.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Mamas Bekannte waren schon in aller Herrgottsfrühe in Bewegung. Das Telefon klingelte unaufhörlich. Das heißt, ich dachte, es sei in aller Herrgottsfrühe, bis ich den Versuch aufgab, noch einmal einzuschlafen, und entdeckte, dass es elf war. Ich blickte zum Bett-Ende, und da starrte die Eule mich an.

Sie war mit den Schlipsen fertig. »Wenn du bei mir wohnen willst«, sagte ich streng, »musst du dir andere Gewohnheiten zulegen.« 

Ich nahm sie mit hinunter und briet uns zwei Eier. Mama amüsierte Sich viel zu sehr am Telefon, um ans Frühstück zu denken. Die Eule durfte auf dem Tisch hocken und mit mir essen. Als Audrey im Morgenrock heruntergewackelt kam und den Vogel sah, stieß sie allerlei zimperliche Laute aus und schüttelte sich.

»Er ist reinlicher als du«, sagte ich. »Schau dir deine Haare an. Und du hast dir nicht einmal die Schnute gewaschen.«

»Ich will nicht mit einem wilden Tier am Tisch sitzen, Mama!«

Mama sagte, ich müsse die Eule wegschaffen. Am Hauseingang standen Leute. Ich ging zur Hintertür hinaus, froh, dass ich einen Vorwand hatte, mich davonzumachen. Ich dachte, die Eule würde wegfliegen, sobald sie ins Freie kam, aber sie krallte sich bloß in der Jackett-Schulter fest und ließ nicht locker, als ob sie Angst hätte. Vielleicht war sie eine zahme Eule. Ich schlenderte zu dem Loch in der Hecke hin, das zu dem Grundstück der Regents führt, und schlüpfte durch. Blue und Joe Kronsky, der Gärtner, betrachteten ein paar spindeldürre Tomaten- Pflänzchen im Gemüsegarten.

Blue sah die Eule. »Wo haben Sie sie her?«  

Ich erzählte ihr die Geschichte und fügte hinzu, dass ich sie nicht behalten dürfe.

Joe sagte: Wie geht es, Mr. Truman?« Und ich erwiderte: »Fein!« Joe gibt mir immer einen großen Namen. Er erinnert sich dunkel, dass Papa einer der großen Redner der Demokraten war, aber er weiß nicht mehr, welcher.

»Hat man keine Armbanduhr bei euch gefunden? Ryan meint, der Tote müsste eine gehabt haben.«

»Vielleicht unten im Steinbruch«, sagte Joe. »Ich werde nachsehen. Ich muss ohnedies gleich nach dem Lunch hin und ihnen Zunder geben.«

»Wem, Joe?«, fragte ich. Ich weiß es ja, aber ich höre ihn gerne davon, reden.

»Den Männlein!« Er holte drei alte Zündkerzen aus der Hosentasche. »Die lege ich so auf die Erde. Dann kriegen sie einen elektrischen Schlag und rennen wie die Teufel davon.«

»Wohin?«

»Nach Brooklyn«, sagte er.         

Blue machte ein finsteres Gesicht. »Lassen Sie Joe in Frieden...! Hätten Sie Lust, mir die Eule zu schenken?«

Sicher, sagte ich, falls sie verspräche, sie gut zu pflegen.

»Wie heißt sie?«

Ich taufte sie auf der Stelle Professor.

»Charles!« Das war Mama auf der anderen Seite der Hecke. »Charles, komm sofort nach Hause! Ich muss dir etwas sagen.«

»Man könnte meinen, ich wäre noch ein Baby«, sagte ich brummig. »Hören Sie zu! Wenn Sie die Eule wirklich haben wollen, können wir uns um zwei im Zoo treffen. Dort wird man uns sagen, was sie frisst.« Der Zoo liegt nur fünf Häuserblocks von uns entfernt, und die Leute sind sehr nett.

Blue nickte. Ich kroch durch die Hecke. Es war das erste Mal in den vier Jahren, seit sie nebenan wohnten, dass ich mit Blue gesprochen hatte. Sie gehört nicht zu der Sorte, vor der man sich hüten muss - wie zum Beispiel Constance. Sommersprossen und Stupsnase, struppiges helles Haar, das aussieht, als hätte sie es sich selbst geschnitten, blaue Augen, die sich nicht genieren, einen anzustarren - ein natürliches einfaches Mädel! Aber das durfte man ja Mama nicht erzählen! Sie war böse, als sie mich hinter der Flecke erwartete, und sie war noch böse, als ich kurz vor zwei ging.

»Vergiss nicht Constance!«, sagte sie. »Um zwei Uhr im Clubhaus.«

»Schon gut, Mama.« Ich nahm meine Golfschläger und ging zur Hintertür hinaus, um den Professor zu holen. Ich hatte ihn in einem Fischkorb unter den Johannisbeerbüschen versteckt.

Blue war schon da, als ich im Zoo ankam. Jetzt hatte sie ein Kleid an, aber es sah aus, als hätte sie es mit verbundenen Augen in einem Ramschladen ausgesucht. Das Haar war hinter den Ohren zu zwei Zöpfen geflochten.

Sie sagte guten Tag, interessierte sich aber bedeutend mehr für den Professor als für mich. Wir suchten den Vogelwärter auf. Ich sagte, das sei der seltene Vogel, den die Murphys am Telefon erwähnt hatten, und er sagte, das Tier scheine wirklich zahm zu sein und man sollte ihm Mäuse zu fressen geben.

»Da haben Sie was zu tun, Blue!«

»Hühnerfleisch geht ebenso gut«, sagte er.

Blue fragte mich, ob ich die Eule bis Freitag behalten könne, denn sie bekomme erst dann ihr Taschengeld und es sei kein Hühnerfleisch im Hause. Ich erklärte mich dazu bereit.

»Wie war’s mit einem Spaziergang rund um den Teich?«, fragte ich höflich. Ich wollte nur die Zeit totschlagen, um nicht Constance treffen zu müssen.

Wir näherten uns dem Bootshaus, da bekam Al Minetti uns zu Gesicht. Al hat die Parkverwaltung unter sich und versäumt keine Gelegenheit, um sich auf unehrliche Weise ein paar Groschen zu verdienen. »Charlie!« rief er und kam angewackelt, dass die goldene Uhrkette auf seinem Bauch nur so tanzte. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du in der Klemme bist?«

»Ich bin in keiner Klemme, Minetti.«

»Nein? In der ganzen Stadt spricht man davon, dass ihr einen Toten mit durchschnittener Kehle im Keller gehabt habt. Was bist du dumm! Mit der linken Hand hätte ich ihn dir weggeschafft.«

Ich protestierte. Es sei nicht erlaubt, Leichen wegzuschaffen.

»Was heißt hier erlaubt! Bloß weil fremde Leute dir ihren Mist im Keller abladen, musst du ihn dort liegen lassen? Ist er nicht dumm, was, meine junge Dame?«

Ich stellte die beiden einander vor, und sie schnitten die üblichen Höflichkeitsgrimassen.

»Nächstens rufst du Minetti an, mein Junge!«

»Gut!«, erwiderte ich. »Wir erwarten diese Woche keine neue Sendung. Kannst du mir inzwischen bis heute Abend die Golfschläger aufheben?«

»Gerne.« Er nahm die Schläger. »Was immer Al Minetti für George Murphys Jungen tun kann, das tut er gerne. Wie gefallen dir heuer die Boote?«       

Zwei seiner Leute waren gerade dabei, sie mit grünen und roten Streifen zu bemalen. »Die Bösewichte aus Nassau County werden uns nicht mehr unsere Boote klauen. Jetzt sind sie gezeichnet.«



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.