Im Schatten der Rache - Pamela Gelfert - E-Book

Im Schatten der Rache E-Book

Pamela Gelfert

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Beschreibung

Glücklich verheiratet, erfolgreich im Studium und kerngesund. Daniel ist mit seinem Leben mehr als zufrieden. Doch am letzten Tag seiner Flitterwochen wird seine Frau plötzlich erschossen und er verliert völlig die Kontrolle über sein Leben. Anstatt sich weiter auf seine Zukunft zu konzentrieren, gibt es in seinem Leben nur noch ein Ziel: Rache. Aber das ist gar nicht so einfach. Denn der Mörder ist einer von den Guten, der Schuss war nur ein Unfall, womit es für Daniel zu einem moralischen Problem wird. Seine Rache gegen sein Gewissen. Und nicht nur das steht ihm im Weg. Um überhaupt an den Mörder heranzukommen, muss er erst einmal Mitglied in der Geheimorganisation werden, in der der Schütze arbeitet.

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Seitenzahl: 449

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Im Schatten der Rache

Pamela Gelfert

Verlagshaus el Gato

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www.verlagshaus-el-gato.de

E-Book Ausgabe

1. Auflage Oktober 2012

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Covergestaltung: TomJay Design Bildnachweis: 123rf

Satz: Verlagshaus el Gato 

Lektorat: Andrea el Gato, Claudia Leonhardt

eISBN 9783943596106

die Autorin: 

Pamela Gelfert geb.1989 in Meißen. Seit 2008 studiert sie Informatik in Leipzig. Während sie in ihrem Studium mit Zahlen jongliert, liebt sie in ihrer Freizeit das Spiel mit den Wörtern. Das Ergebnis dieser Wortakrobatik findet sich in einigen bereits veröffentlichen Kurzgeschichten und in ihrer im April 2011 erschienenen Trilogie „Sklavin des Schicksals“. Um auch der Medizin ihren Tribut zu zollen, beschäftigt sie sich gerne mit Homöopathie.

Veröffentlichungen:

-„Der Hamsterfan“ und „Treue Fans?“ ( in Cognac und Biskotten Nr. 31)

- „An meinen Geliebten“ (Anthologie „Herzensangelegenheiten“, net-Verlag)

- „Die Liebe eines Schöpfers“ (Anthologie „Zauberwelt-magische Momente“, net-verlag)

- „Überall und Nirgendwo“ ( „Unterwegs“, Anthologie des Netzkritzler-Schreibwettbewerbs)

- „Das Herz der Welt“ (Anthologie „Meer der Träume“ , Wendepunktverlag)

- „Der Teufel und der Freak“ ( Anthologie „Exodus – das Ende der Welt“ , Luziferverlag)

- Sklavin des Schicksals 1: Brise der Freiheit (AAVAA-Verlag)

- Sklavin des Schicksals 2: Wind der Veränderung (AAVAA-Verlag)

-Sklavin des Schicksals 3: Sturm des Schicksals (AAVAA-Verlag)

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

***

Kapitel 1

Wie bunte Blumen, die hell am Nachthimmel erstrahlten und sich in herabfallende Funken auflösten, glänzten die Raketen am Firmament. Wieder pfiff es und die Dunkelheit wurde von Tausenden Lichtern erhellt, die kleinen Sternschnuppen gleich zur Erde segelten.

Daniel ergriff die Hand der neben ihm stehenden Frau. Das Feuerwerk warf farbige Schatten auf ihr leicht gebräuntes Gesicht. Liebevoll betrachtete er sie. Ihre Augen funkelten und er verlor sich in dem Smaragdgrün. Sein Griff wurde fester. Sie gehörte zu ihm, für immer. Das Band der Ehe umschlang sie. Schade, dass die Flitterwochen in zwei Tagen endeten. Die Reise war einfach zu schön gewesen, fast wie ein Märchen. Sonne, Strand, Meer, gemütliche Abende auf der kleinen Terrasse ihres Hotels. Und natürlich die Städtetouren. Sie besichtigten beide gern verschiedene Orte, bestaunten Bauwerke und die Geschichte, die manchen Monumenten anhaftete. Und jetzt noch dieses tolle Stadtfest. Alles passte einfach perfekt. Italien hatte sich ihnen von der schönsten Seite gezeigt und selbst das Wetter hatte es gut mit ihnen gemeint. Sein Blick streifte die Etagenbauten rund um den Marktplatz, mit dem Springbrunnen in der Mitte, dessen Wasser in die Höhe sprudelte und im Licht der Raketen glitzerte. Allen Häusern hing ein südländisches Flair an, was wohl schon allein an den Weinranken lag, die sich an den Mauern entlang schlängelten.

»Schatz.« Die warme Stimme seiner Frau erklang direkt an seinem Ohr. Ihr Mund streifte seine Wange. Er wandte sich ihr zu. Ihr Lächeln steckte ihn an, schlimmer als jede Krankheit, die es gab.

»Was gibt´s?«

»Heb mich auf deine Schultern.« Ihre Finger deuteten Richtung des Brunnens. »Ich will die Tänzer sehen.«

Eine leichte Brise ließ ihre blonden Haare im Wind flattern und einzelne Strähnen streichelten sein Gesicht. Er trat an sie heran, küsste sie und ging schließlich vor ihr in die Knie.

»Dann steig auf.«

Sie klatschte erfreut in die Hände. Wie glücklich sie aussah. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Er hätte wirklich keine bessere Frau als Jennifer finden können, sie passten einfach zusammen. Im nächsten Augenblick spürte er ihr Gewicht auf seinem Rücken. Aus den Knien abdrückend erhob er sich und ihre Finger krallten sich in seinem Haar fest.

»Ich kann alles sehen«, hörte er ihre entzückte Stimme nur wenig später. »Es ist so toll.«

Daniel wandte seinen Blick ebenfalls wieder nach vorn, aber inzwischen stand ein bulliger Kerl vor ihm und mehr als einen Rücken mit einem riesigen Schweißfleck auf dem blauen T-Shirt konnte er nicht erkennen. Es störte ihn jedoch nicht, dass er den Brunnen nicht mehr sehen konnte, denn allein die Atmosphäre des Abends reichte ihm aus. Überall brannten Fackeln, baumelten Lampions im Wind und durch die Luft schwirrte die Musik, zu der sich die Tänzer rund um den Brunnen bewegten. An diesem Ort regierte nicht die Dunkelheit der Nacht. Alles leuchtete und strahlte, nicht nur die Lichter, sondern auch die Gesichter der Menschen. Um ihn herum herrschte Freude, und jeder genoss den Augenblick. Wieder pfiff es. Die letzte Rakete schoss in den Himmel und beendete mit roten Funken das Feuerwerk.

Daniel trat zur Seite, damit sich ein Kind nach vorn durchdrängeln konnte. Doch noch, bevor das Licht des Feuerwerkskörpers vollkommen erloschen war, knallte es wieder.

Einmal.

Zweimal.

Schüsse?!

Wie aus Reflex schoss Daniels Blick zu einem Fenster in der zweiten Etage, nicht weit weg von ihm. Verdeckt hinter einer wehenden Gardine erkannte er einen Mann, kräftig, mit dunkelblondem Haar. Hatte er geschossen? Noch ehe er ihn richtig erfassen konnte, trat der Mann vom Fenster weg.

Daniels Kopf ruckte in die entgegengesetzte Richtung. Ein anderer Mann stürmte sichtlich in Panik durch die Menge davon. Seine Bewegungen wirkten trotzdem seltsam überlegt, so als würde er versuchen, kein festes Ziel abzugeben. In seinem Hosenbund steckte eine Waffe. Einer der beiden musste geschossen haben.

Seine Gedanken wurden von einer neuen Tatsache abgelenkt. Die Stimmung um ihn herum hatte ruckartig umgeschlagen.

Jemand schrie.

Der bullige Typ mit dem riesigen Schweißfleck rannte mit nach oben gehobenen Armen davon.

Doch das einzig Wichtige, das was wirklich in diesen Moment zählte, war, dass Jennifers Hände sich von seinem Haar lösten. Ihr Gewicht verlagerte sich nach hinten und er spürte, dass er sie nicht halten konnte. Warum? Was war mit ihr los? Sein Herz beschleunigte. Eine Ahnung schnürte ihm die Kehle zu.

Jennifer befand sich nicht mehr auf seinen Schultern. Ironischerweise fühlte sich das mehr wie eine Belastung als wie eine Erleichterung an. Neben ihm weinte ein Kind, Tränen bedeckten sein Gesicht, die Augen ruhten starr auf einem Punkt hinter ihm. Vielleicht war das der Grund, warum er sich fürchtete, sich umzudrehen. Vielleicht aber auch, weil die Menschenmenge sich um ihn herum sammelte. Niemand lachte. Kein Tänzer bewegte sich mehr. Selbst die Zeit schien still zu stehen. Alles verharrte wartend. Worauf? Plötzlich hatte er Angst, dass wenn er sich umwandte, alles weiterging, aber nicht auf die Weise, die er sich wünschte. Trotzdem blieb ihm keine Wahl. Inzwischen hämmerte sein Herz fast schon schmerzhaft gegen seine Brust und eine innere Stimme flehte ihn an, nicht hinter sich zu sehen. Als ob er könnte. Langsam wandte er seinen Kopf. Die Bewegung fiel ihm so unglaublich schwer. Seine Augen nahmen das Bild auf, sein Gehirn nicht. Oder doch? Immerhin reagierte sein Körper. Nicht mal einen Atemzug später hockte er neben ihr, den Arm unter ihre Schultern schiebend und sie leicht anhebend. Sofort spürte er etwas Feuchtes und Klebriges auf seinem Unterarm. Blut! Blut, das aus einer Wunde aus ihrer Schulter floss. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Sie lebte also. Noch! »Jenny.« Der Name kam ihm unglaublich schwer über die Lippen. Er war sich nicht einmal sicher, ihn wirklich ausgesprochen zu haben, doch ihre Augen begannen zu flattern. Dann öffnete sie ruckartig die Lider und ihr Blick suchte seinen. »Daniel!« Sie rief nach ihm, als stände er nicht direkt neben ihr, sondern wäre weit weg. Er kam sich tatsächlich so vor, so machtlos, so außerhalb. Das hier durfte nicht seine Realität sein. Konnte der Schuss sie wirklich getroffen haben?! Er wollte es nicht glauben. »Daniel!« Sie rief noch einmal seinen Namen, diesmal lauter, hysterischer. Ihre Atmung wurde noch schneller. Beschützend umschloss er eine ihrer Hände.

»Alles Okay, ich bin da. Der Arzt kommt sicher gleich!«, sprach er leise auf sie ein, in der Hoffnung, dass irgendjemand einen Krankenwagen gerufen hatte.

Sie nickte.

Für einen Moment schloss sie die Augen. Er befürchtete schon für immer. Aber plötzlich begannen ihre Beine zu zucken. Beinahe als würde das Leben sie noch einmal durchströmen, das mit jedem Tropfen Blut aus ihr heraus wich.

Tränen glänzten auf ihrem Gesicht. Daniel streichelte sanft ihre Wange.

Sie weinte. Verdammt, sie weinte.

Und er konnte nichts dagegen tun. Wie der letzte Idiot saß er hier rum. Hatte er sie je weinen gesehen?

Erst einmal in ihrer gesamten gemeinsamen Zeit.

Damals, bei ihrer Hochzeit, da waren Tränen geflossen, doch gleichzeitig hatte sie ihn angelächelt. Konnte sie ihn nicht jetzt auch anlächeln, mit derselben Wärme und Liebe?

»Tu was. Bitte, ich flehe dich an, tu was! Es tut so weh. Mach, dass es aufhört.« Jedes ihrer Worte zerriss förmlich sein Herz. Was konnte er denn tun? Eine Kugel hatte sie getroffen. Er war kein Arzt, aber er glaubte nicht, dass sie eine solche Schusswunde überleben konnte. So grausam der Gedanke war, verdrängen konnte er ihn deswegen nicht.

»Tut mir leid!« Wie dumm. Eine Entschuldigung half ihr nicht und Worte waren ihm noch nie so leer vorgekommen. Was würde er geben, um an ihrer Stelle zu sein, um ihre Schmerzen ertragen zu können. Alles! Sein Leben, seine Seele, was auch immer. Nur sie sollte nicht leiden. Aber seine Bereitschaft dafür half ihr auch nicht. Im Gegenteil. Sie litt immer mehr.

Ihre Gesichtszüge spiegelten ihren Schmerz wieder. Tränen bedeckten ihre Wangen. »Ich will nicht sterben! Bitte nicht. Ich möchte noch so viel erleben.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. So schwach. Und er konnte ihr nichts darauf erwidern.

»Hörst du mich?! Ich will leben. Ich flehe dich an. Tu was!«

Ihre Hand erwiderte seinen Druck nicht mehr. Die Kräfte verließen ihren Körper.

Und sie nahmen das Leben mit sich.

»Jenny.« Er wiederholte ihren Namen sinnloserweise noch einmal. Das waren vielleicht ihre letzten gemeinsamen Sekunden auf der Erde. Es gab tausend Dinge, die er ihr sagen wollte, sagen müsste. Gerade in diesen Moment. Er wollte ihr sagen, dass er sie über alles liebte. Wie wichtig sie ihm war. Dass er sie brauchte. Dass sie sein Leben ausmachte. Und das er gerne Kinder mit ihr hätte. Ja, es gab so Vieles, was sie unbedingt wissen sollte. Und er brachte nicht ein Wort davon über seine Lippen.

»Will ... nicht sterben!«

Jeder Film zeigte nur diese rührseligen Abschiede. Solche, in denen der Sterbende zum Schluss noch einmal lächelte. Das schien ihm realitätsferner denn je. Wie sollte sie mit diesen Schmerzen und dieser Angst ein Lächeln zustande bringen?

In der Nähe hörte er Sirenen.

Der Krankenwagen kam.

Zu spät.

Viel zu spät!

***

Kapitel 2

Matt strich sich mit den Fingern über die Stirn. Dieser verdammte Bericht! Er hasste es, den Ablauf eines Falles schildern zu müssen. Sein Boss las sich das doch sowieso nicht durch, denn sonst hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon Beschwerden über seine grausige Rechtschreibung gehört.

Langsam setzte er seine Finger auf die Tastatur. Je schneller er es hinter sich brachte, desto besser. Kaum hatte er den ersten Satz getippt - oder zumindest das erste Wort - da wurde die Tür aufgestoßen. Ein junger Mann trat ein, dicht gefolgt von einer Frau im grauen Blazer und einem knielangen Rock, dessen Stoff bei jeder Bewegung leicht raschelte. Luisa gehörte zu seinen Mitarbeitern, sie war ein Mitglied der BgFS, der Agentur zur Bekämpfung gefährlicher Feinde des Staates. Den Kerl kannte er allerdings nicht und das machte ihn misstrauisch. Fremde Gestalten platzten hier nicht so einfach rein. Fragend hob er eine Augenbraue.

Luisa baute sich zwischen ihm und dem Unbekannten auf, die Arme wütend in die Hüfte gestemmt. »Eine Unverschämtheit ist das von Ihnen. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Mitarbeiter in der ersten Etage für Sie zuständig sind. Sie haben hier nichts verloren«, blaffte sie den jungen Mann an.

Der wischte ihre Worte mit einer Handbewegung zu Seite. »Ich möchte mit Herrn Schneider sprechen und mir keine Versicherung andrehen lassen.«

Matt lehnte sich erstaunt in seinem Bürostuhl zurück und auch Luisa drehte verwirrt ihren Kopf zu ihm, denn sie war genauso überrascht wie Matt, dass ein Dahergelaufener seinen Namen kannte. Erfahrungsgemäß war das schlecht und ein Grund mehr, auf der Hut zu sein. Trotzdem verabschiedete er seine Angestellte mit den Worten. »Das geht schon klar … denke ich.«

Den Zusatz hätte er sich lieber sparen sollen. Sie wirkte noch weniger überzeugt als er. »Soll ich nicht den Sicherheitsdienst rufen? Die Sicherheit hat in diesem Versicherungsgebäude höchste Priorität. Gehen Sie kein Risiko ein, Herr Schneider.«

Matt schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. »Überlassen Sie das ruhig mir.« Nachdenklich lehnte er sich in seinem Stuhl wieder nach vorne, den Fremden prüfend ins Auge fassend. Auch der junge Mann sah ihn genau an und etwas an seinem Blick gefiel ihm nicht. Hinter Luisa schloss sich die Tür.

»Von wegen Versicherungsgebäude«, hörte er den ungebetenen Gast murmeln. Scheinbar wusste er gut Bescheid, zu gut.

Nachdenklich faltete Matt die Hände. »Also Junge. Was willst du?« Sein Tonfall klang sachlich, fast wie bei einem Vertragsabschluss. Unauffällig musterte er dabei seinen Gesprächspartner. Jung, nicht älter als 25, kurze, dunkelbraune, fast schwarze Haare, durchtrainierter Körper, harte Gesichtszüge. Seine Körperhaltung drückte Selbstsicherheit aus.

»Ich will bei der Agentur anfangen.«

Matt wandte sich wieder seinem Bericht zu, und ohne seinen Gegenüber eines Blickes zu würdigen, tippte er weiter. Eine Weile sagte niemand etwas und nur das leise Klicken der Tastatur erklang im Raum. Schließlich erbarmte Matt sich zu einer Antwort, obwohl ihm die Bitte wie ein Witz vorkam. »Nein!«

Der junge Mann verschränkte die Arme vor dem Körper. »Warum nicht?«

»Du bist zu jung.«

»Zu jung?«

»Und zu alt! Mal davon abgesehen spaziert man hier nicht einfach rein und bewirbt sich. So laufen die Dinge nicht, sorry«, erklärte Matt, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

Sein Besucher gab sich mit der Antwort alles andere als zufrieden. Es kam nicht infrage, dass er sich abwimmeln ließ wie eine lästige Fliege. Zumal ihm die Erklärung lächerlich vorkam.

»Zu jung und zu alt«, wiederholte er die Begründung.

Matt nickte nur, weiterhin in seine Arbeit vertieft.

»Du bist zu jung, um als ernstzunehmender Mitarbeiter anzufangen. Nur Ausnahmetalente haben dafür ausreichende Fähigkeiten. Gleichzeitig bist du zu alt, um noch eine Ausbildung zu beginnen. Unsere Agenten werden von klein auf trainiert. Reicht dir das als Erklärung?« Matt hörte auf zu tippen und sah wieder seinen Gast an.

»Die Frage war nur rhetorisch, also spar dir deinen Atem. Selbst wenn es dir nicht ausreicht, bekommst du nichts weiter zu hören. Dafür fordere ich jetzt eine Auskunft: Warum zur Hölle weißt du über uns Bescheid …« Der Redner stockte kurz und sah auf seinen Computer. Seine Augen flogen schnell über den Bildschirm.

»Daniel, richtig? «

Der Angesprochene runzelte die Stirn. Die Leute hier waren besser als geglaubt. Sein Eintreten lag nicht einmal zehn Minuten zurück und er würde jede Wette eingehen, dass der Typ ihm gegenüber sämtliche wichtigen Fakten über ihn auf dem Bildschirm stehen hatte. Trotzdem ließ er sich davon nicht beeindrucken. Zumindest nicht äußerlich. Mit unbewegter Mimik nickte er. Nicht dass eine Antwort vonnöten gewesen wäre.

Wieder kehrte Stille ein. Eine unangenehme Stille. Ein Warten, auf etwas, das nicht eintreten würde.

Schließlich seufzte Matt. »Dir ist schon klar, dass ich mir die Antwort mit Gewalt holen kann.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, griff er sich an den Hosenbund und legte demonstrativ eine Pistole vor sich auf den Tisch. Daniel glaubte die metallisch glänzende Waffe als eine Browning 9mm zu identifizieren. Nichtsdestotrotz, damit ließ er sich nicht einschüchtern. Er war nicht in die Höhle des Löwen gegangen, ohne mit so einer Entwicklung zu rechnen. Dementsprechend gefasst sah er der Situation ins Auge,

»Niemand spaziert hier einfach rein. Das ist eine Geheimorganisation. Doch scheinbar bist du hinter unsere Tarnung gekommen. Nun ist die Frage, wie. Es ist besser für dich, wenn du schön brav bist und gleich redest.« In den Worten des Agenten schwang eine eindeutige Drohung mit.

Daniels Kiefer spannte sich an. »Nur wenn ich dafür aufgenommen werde.« Matt wollte schon den Mund öffnen, wahrscheinlich um zu widersprechen, doch Daniel fiel ihm ins Wort. »Ich bin überzeugt, dass ich die Fähigkeiten habe.«

Die Finger des Mannes berührten die Maus. Leicht scrollte er in einem Dokument nach unten. Während er las, strich er sich mit der Hand über das Kinn. Fast als würde er jetzt ernsthaft über den Vorschlag nachdenken. Allerdings zweifelte Daniel das stark an. So leicht ließ sich ein Mann der Agentur sicher nicht überzeugen. Seine Vermutung bestätigte sich nur wenige Atemzüge später.

»Fähigkeiten?! Ich hoffe, das bezieht sich nicht auf dein Einser Abitur oder dein nicht einmal zu Ende geführtes Sportstudium.« Diesmal war er es, der dem jungen Mann das Wort abschnitt. Gebieterisch hob er seine Hand und deutete ihm an, für einen Augenblick zu schweigen. Seine Augen wanderten über den Bildschirm. Schnell. Konzentriert. Dann sah er wieder auf. »Nein ehrlich, ich hoffe, dass du mehr zu bieten hast. Sonst stehst du mit über Tausenden in Konkurrenz.«

»Keiner dieser Tausend hätte diesen Ort gefunden.« Das Argument zog.

Matt lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Unweigerlich stahl sich ein Anflug eines Lächelns auf seine Lippen. »Stimmt!«

»Dann könnten Sie mir eine Chance geben.«

Der Agent erhob sich. Nachdenklich kam er um den Tisch herum und lehnte sich an die Kante. Die Pistole lag immer noch nur eine handbreit von ihm entfernt, aber Daniel zweifelte sowieso stark an, dass jener sie benutzen würde. Trotzdem blieb er angespannt. Schließlich konnte man nie wissen.

»Weißt du, das Problem ist, dass ich wirklich an der Sicherheitslücke interessiert bin, die du gefunden haben musst, um hier hereinzukommen. Und dann gibt mir natürlich noch eine Sache zu denken. Wenn ich dich jetzt gehen lasse, woher weiß ich, dass du nicht einem unserer Gegner alles verrätst. Dafür gibt es keine Garantie.« Ein Seufzer entfuhr ihm. Schließlich stieß er sich von der Tischkante ab. »Wirklich verzwickt. Ich bin sicher, ich könnte die Information aus dir herauspressen. Aber ganz fair scheint mir das nicht, angesichts der Tatsache, dass du nicht wirklich etwas getan hast, was uns schadet. Dass du vor mir stehst, ist ein Fehler von uns. Deswegen mache ich dir ein Angebot. Ich leite deinen Fall an meinen Boss weiter. Er wird eine Einheit für dich finden, in der du dich bestimmt einarbeiten kannst.«

»Nein.« Der Widerspruch klang scharf, fast böse, als würde das Angebot den jungen Mann beleidigen.

Verwundert stutzte Matt. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem strengen Strich, doch das kümmerte Daniel nicht. Er wollte nicht in irgendeine x-beliebige Einheit. Sein Ziel war Matt und nur dieser Kerl. »Ich will für Sie arbeiten.«

»Das wird nicht gehen. Sicher wäre es mir möglich, Anfänger unter meine Fittiche zu nehmen, aber du bist ja nicht einmal Anfänger. Du bist hier ein Niemand. Und selbst wenn du gut genug wärst, will ich nicht die Verantwortung für dich übernehmen.«

Ein unwilliges Brummen erklang aus Daniels Kehle. Er war so kurz davor, er durfte jetzt nicht aufgeben, aber dieser Agent schien auf seiner Meinung zu beharren wie ein unverrückbarer Fels. In seinem Kopf arbeitete es. Doch ihm fiel kein gutes Argument ein.

»Wieso bist du so versessen auf mich? Das macht die ganze Sache sehr verdächtig«, hörte er Matt fragen.

Darauf gab er lieber keine Antwort. Die Ehrlichkeit würde ihn nur in Teufels Küche bringen. Und eine gute Lüge fiel ihm nicht ein, zumindest keine überzeugende für einen Typen wie Matt. Folglich überging er die Frage einfach. »Wie kann ich Sie von meinen Fähigkeiten überzeugen?«

»Gar ni ...« Matt Schneider sprach den Satz nicht zu Ende. Sein Blick fiel auf einen Papierstapel auf seinem Tisch. Vielleicht ein Fall, an dem er gerade arbeitete. Jedenfalls schien der Anblick seine Meinung zu ändern. Begleitet von einem selbstsicheren Lächeln trat er auf den 23-Jährigen zu. »Eigentlich hast du mein Interesse geweckt.«

Daniel wurde misstrauisch. So plötzlich? Und das sollte er glauben? Trotzdem äußerte er seine Zweifel nicht laut, sondern wartete erstmal ab.

»Ich schlage dir einen Wettkampf vor. Gewinnst du, nehme ich dich unter meine Fittiche. Gewinne ich, lässt du mich endgültig in Ruhe und verrätst mir, was ich wissen will.«

»Einverstanden!« Über dieses Angebot nachdenken brauchte er nicht, war es mit Sicherheit das einzige, was er überhaupt bekäme.

»Du kennst die ›Archäologische Staatssammlung München‹, das Museum für Vor- und Frühgeschichte? Dort steht in einem abgeschlossenen Raum eine sehr wertvolle goldene Inkastatue. Da ich weiß, in welchem Raum, gebe ich dir Vorbereitungszeit. Ab morgen früh, sechs Uhr, dürfen wir beide beginnen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass der gewonnen hat, der das Stück stiehlt. Natürlich werde ich danach dafür Sorge tragen, dass die Statue wieder an ihren Platz kommt.«

Daniel schlug in die ihm gereichte Hand ein. Armdrücken oder ein anderer sportlicher Wettkampf wäre ihm viel lieber gewesen. Doch wenn das der einzige Weg sein sollte, dann sei es so. Er würde nicht kneifen.

Sein Ziel stand für ihn fest. Diesen Mann, der gerade so selbstzufrieden vor sich hin grinste, töten, mit den eigenen Händen.

Denn er war es gewesen, der sich damals in Italien hinter der Gardine befunden hatte.

Das Gesicht erkannte er sofort wieder.

Und nur deswegen war er hier: aus Rache.

Matts spöttisches Lächeln zeigte ihm nur allzu deutlich, dass der Kerl ihn nicht als ernstzunehmenden Gegner ansah. Sein Griff verfestigte sich. Doch er wusste, er konnte es schaffen … er musste einfach, oder alles wäre umsonst. Zuviel stand auf dem Spiel.

***

Kapitel 3

Das Licht wurde gelöscht. Dunkelheit verschlang den Raum und die Ausstellungsstücke wurden zu unbedeutenden schwarzen Wesen, zu schwarzen Konturen ohne Bedeutung, ohne Sinn.

Nur in einer Ecke gab es noch Regungen. Unter den Augen einer unechten Familie aus der Mittelsteinzeit, die vor ihrem Haus saß und deren Körper mit Fellen bedeckt waren, schob er sich aus einer groben Blockhütte aus Stein.

Er konnte dem Museum für dieses Ausstellungsstück nur dankbar sein. Ein besseres Versteck hätte er sich nicht wünschen können.

Sofort fiel sein Blick zur Tür, durch welche der Nachtwächter vor wenigen Sekunden verschwunden war. Ihm blieb nicht viel Zeit, um den Raum zu verlassen, höchstens fünf Minuten, wenn er sich nicht irrte.

Er hätte sich wirklich nicht auf diesen Wettkampf einlassen sollen. Das war einfach idiotisch. Müde rieb er sich die Schläfen. Sein Körper sehnte sich nach einem Bett. Die ganze letzte Nacht war er mit den Vorbereitungen für den Diebstahl beschäftigt gewesen. Schließlich marschierte man nicht einfach in ein Museum und nahm einen derartig wertvollen Gegenstand mit. Das Ding war gesichert. Am Tag hatte er keinen Weg gesehen, daran zu kommen. Mal abgesehen davon, dass er eine der letzten Führungen dazu genutzt hatte, sich abzusetzen und in dem Blockhaus zu verschwinden. Leicht ging er in die Hocke. Seine Glieder schmerzten von der wenigen Bewegung. Aber das würde sich bald ändern.

Wieder glitt sein Blick flüchtig zur Tür. Sollten diese Leute ihn erwischen, würden sie ihn zweifellos für einen echten Einbrecher halten und der Polizei ausliefern. Wahrscheinlich würde das Matt sogar freuen. Mit dessen Hilfe konnte er jedenfalls nicht rechnen.

Unwirsch schüttelte er den Kopf. Sich darüber Sorgen zu machen war reine Zeitverschwendung. Seine gesamte Konzentration musste auf der Durchführung des Planes liegen.

Daniel atmete tief durch. Sein Blick durchforstete den fensterlosen Raum. Doch die Dunkelheit verschlang alles wie ein gieriges Monster. Selbst die eigene Hand vor Augen konnte er kaum sehen. Blieb ihm nur eine künstliche Lichtquelle. Aus seiner Hosentasche fischte er eine winzige LED-Taschenlampe. Der kleine Strahl wirkte beinahe lächerlich inmitten dieses riesigen Raumes. Trotzdem erfüllte er seinen Zweck ausreichend und, wenn auch mehr schlecht als recht sah er, wo er hinlief.

Seine Füße tasteten sich durch die Dunkelheit. Nur nirgendwo anstoßen und keinen Laut verursachen. Warum musste diese Halle auch so riesig sein? Der Minutenzeiger rückte stetig vorwärts, sogar die Zeit arbeitete gegen ihn. Noch blieben ihm bestenfalls zwei Minuten, ehe der Nachtwächter wieder kam. Verdammt. Wenn er sich nicht sputete, scheiterte er an einer der ersten Hürden dieses Rennens. Noch rührte sich nichts im Nebenraum. Trotzdem glaubte er förmlich zu hören, wie der Kerl sich unweigerlich näherte. Ein Streich seiner Fantasie, zweifellos. Glücklicherweise der einzige. Auch wenn er sich das erste Mal in so einer Situation befand, fühlte er sich überraschend ruhig. Seine Gedanken erschienen ihm geschärfter und klarer denn je. Nicht dass er die Gefahr unterschätzte, ganz und gar nicht. Er kannte das Risiko bis ins kleinste Detail.

Doch sein Wille, das Ziel zu erreichen, trieb ihn unermüdlich an.

Sein Blick fiel wieder auf die Uhr. Die Zeit war fast um, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Er hatte den kleinen Seiteneingang erreicht. Im Dunkeln konnte er den Schriftzug „Nur für Personal“ nicht lesen, allerdings sah er ihn vor seinem geistigen Auge nur allzu deutlich vor sich. Seine Hand berührte die Türklinke. Dieses Mal musste er sich ein wenig auf sein Glück verlassen, dass kein Wächter seinen Weg kreuzte. Sich innerlich auf alles vorbereitend riss er die Tür auf.

Nichts.

Gähnende Leere.

Vor ihm breitete sich lediglich ein langer Flur aus, hell beleuchtet und doch Grau. Fast wie in einem großen Fabrikgebäude. Das dreckige Weiß der Wände und der verschmutzte graue Teppich wirkten unter den Neonlampen noch kläglicher. Nicht weit von ihm entfernt befand sich eine Tür. Laut seiner Quelle war dahinter der Pausenraum für Museumsführer. Um diese Zeit sollte sich niemand dort befinden und er konnte sich so lange wie nötig verstecken. Die Tür war glücklicherweise nicht abgeschlossen. Nicht, dass er sonst nicht hereingekommen wäre, aber es hätte mehr Zeit gekostet. Aus der Ecke des kleinen Zimmers erklang leise Musik und das Radio rauschte stark, als wäre es so alt wie die Ausstellungsgegenstände in diesem Museum. Daniel lehnte sich an die Tür. Das Holz knarrte leicht. Er überhörte es einfach. Seine Anspannung legte sich ein wenig.

Mit einem Handgriff zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte über die Kurzwahltaste die Nummer eines Typen, den er nicht einmal mit Namen kannte. Hoffentlich hielt der Kerl sich auch bereit. Nicht dass er ewig und drei Tage auf eine Rückmeldung wartete. Nur für wenige Sekunden ließ er es klingeln, dann legte er auf. Jetzt hieß es warten.

»Ich komme ja schon.« Genervt rannte der junge Nachtwächter den Flur entlang. Wieder klingelte es, bestimmt zum zehnten Mal in kürzester Zeit. Er konnte doch nicht fliegen. Gut, er hatte die ersten Türsignale einfach überhört, aber sollte er auflegen, wenn er mit seiner Freundin telefonierte? Das kam gar nicht in die Tüte, denn sie vermissten sich doch so sehr. Nur ihre Stimme zu hören ließ sein Herz schon höher schlagen. Nachts nicht bei ihr sein zu können, war wirklich ätzend. Endlich erreichte John den Hinterausgang. Noch bevor er die Tür öffnen konnte, wurde die Klingel erneut betätigt. »Ja doch, ich hab es gehört!«

Mit etwas zu viel Schwung riss er die Eingangstür auf, mitten in der Bewegung hielt er jedoch inne. Ihm gegenüber stand ein Mann mit einem Spitzbart und langem, filzigen, grauen Haar, das nach Shampoo schrie. Er trug einen blauen Overall, der so neu aussah, dass es ihm aberwitzig erschien, dass eine derartig heruntergekommene Person ihn an seinem Leib hatte. In seiner Hand hielt er einen Koffer, ebenfalls neu. Darauf schien der Kerl mehr Wert zu legen als auf sein eigenes Äußeres. Nichtsdestotrotz musste er den Typen hineinlassen. Solange er seine Arbeit gut erledigte, durfte er aussehen, wie er wollte. Schließlich musste er diesen Techniker ja nicht heiraten. Bei dem Gedanken schüttelte er sich kurz. Automatisch strich er sich über sein rasiertes Kinn. Seine Freundin hatte schon Glück mit einem jungen Mann wie ihm zusammen zu sein. Mit einer einladenden Geste trat der Nachtwächter zur Seite.

»Wir haben Sie erwartet.«

Der Mann räusperte sich. »Die Verspätung tut mir leid. Mein « Mitten im Reden stockte er. Seine Mundwinkel bewegten sich leicht, doch kein Wort verließ seine Lippen. Als würde ihm keine Entschuldigung einfallen. Schließlich winkte der Alte ab. »Ach vergessen Sie es. Das geht Sie sowieso nichts an.« Seine Stimme klang aggressiv.

Der Nachtwächter schüttelte den Kopf über diesen Typen. Ohne weiter Höflichkeiten auszutauschen, führte er den Techniker den Gang entlang. Die schlurfenden Schritte verrieten nur allzu deutlich, dass der komische Kauz ihm folgte. Gott, konnte er nicht die Füße heben? Und für solche Leute bezahlte das Museum. Kaum zu glauben. »Wie lange wird der Routinecheck dauern?« Er bemühte sich nicht, die Abneigung aus seinem Tonfall zu verbannen.

»Nicht lange!«, lautete die schlichte Antwort.

Eine Zeitangabe, mit der er gar nichts anfangen konnte. Zusammen mit dem Alten betrat er den Überwachungsraum. Unzählige Bildschirme hingen an der Wand, aber auf den wenigsten befanden sich die Ausstellungsräume. Um die kümmerte sich sowieso der Nachtwächter, der gleich einem Adler dort seine Runden drehte.

Seine Aufgabe war es, die Räume zu überwachen, in denen die wertvollsten Gegenstände gelagert wurden, die das Museum nicht einmal in der Ausstellung zeigte.

Der Museumsdirektor war eben ein leidenschaftlicher Sammler historischer Stücke und hier bunkerte er sie. Mit einem zufriedenen Nicken flog sein Blick über die Bildschirme. In keinem der überwachten Räume gab es auch nur eine Bewegung, grad so, als würde man auf ein Stillleben starren. Kein Wunder, dass sein Job ihn langweilte, aber er brauchte das Geld.

Der Techniker ließ seine Augen über die Gerätschaften schweifen. »Ja, sieht sehr gut aus.«

John fiel fast die Kinnlade herunter. Spielte jemand Versteckte Kamera mit ihm? Sollte das die Überprüfung der Sicherheitsgeräte sein? Wohl kaum!

»Könnten Sie bitte für einen Moment den Strom abstellen? Für die nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Räume reicht das völlig. Ich muss ein paar Kabel überprüfen und will an den Verbindungen einige Tests durchführen. Vor allem sämtliche Alarmanlagen müssen geprüft werden«, hörte er die kratzige Stimme des Technikers.

Gut, wenigstens klang das ein wenig professioneller als ›sieht sehr gut aus‹. Obgleich er sich trotzdem fragte, ob die Vorgehensweise korrekt war. Bisher hatte er nie einen Routinecheck miterlebt, aber andererseits dürfte nichts passieren, wenn er ein paar Minuten den Strom abschaltete. Schließlich wollte er dem Alten nicht unnötig Arbeit machen und je schneller dieser seinen Willen bekam, desto schneller verschwand er wieder. Trotz leiser Zweifel an der Richtigkeit der Sache öffnete er den Sicherungs-kasten. »Aber nur kurz«, wandte er laut ein, wobei er schon wusste, dass er kaum etwas sagen konnte, selbst wenn der Techniker eine Stunde brauchte. Der Mann tat ja nur seine Pflicht.

Das Display leuchtete auf. Für wenige Sekunden stand schwarz auf weiß die Nummer da, die er angeklingelt hatte. Der Kerl rief zurück. Dann schien sein Plan aufgegangen zu sein und er hatte freie Bahn. Keine Alarmanlage würde losgehen. Gut, dass er den Obdachlosen gefunden hatte. Auch wenn er nicht vertrauenswürdig aussah, schien er seine Sache ausreichend gut gemacht zu haben. Ein Grund weniger, dem Geld nachzutrauern, das ihn der Auftritt des Bettlers gekostet hatte. Allein der Overall und der Koffer waren nicht gerade billig gewesen, geschweige denn leicht aufzutreiben. Zudem hatte er dem Mann 500 Euro gezahlt. Eine Menge Geld, aber es ging um einen illegalen Einsatz. Dazu kam noch, dass der Kerl danach die Stadt verlassen sollte, denn falls die Polizei nach Spuren suchte, würde sie definitiv auch den ›Techniker‹ befragen wollen. Er konnte sich keine Zeugen erlauben. Sie würden ihm das Genick brechen.

Es war wirklich Glück, dass er herausgefunden hatte, welche Sicherheitsfirma dieses Museum betreute. Im Laufe des Tages hatte er hier angerufen, sich als ein Angestellter von der Firma ausgegeben und einen Termin vereinbart. Der Nachtwächter hatte das zwar spontan gefunden, aber große Überredungskünste hatte er trotzdem nicht gebraucht. Der Kerl war ein blutiger Anfänger und noch nicht besonders lange im Amt. Das verschaffte ihm einige Vorteile, denn die meisten hätten sich nicht so leicht übers Ohr hauen lassen.

Kurz dachte er zurück an die frühen Morgenstunden. In der Zeitung hatte er gelesen, dass ein Nachtwächter beim Verlassen seiner Arbeitsstelle von Jugendlichen überfallen wurde und im Krankenhaus gelandet war. Mit einem gefälschten Seelsorgerausweis hatte er sich auf dessen Zimmer begeben und sich im Gespräch die wichtigsten Informationen geholt. Natürlich hatte der Kerl nicht direkt geplaudert, aber über indirekte Fragen war er nach einer halben Ewigkeit zu seinen Antworten gekommen. Er kannte jetzt die gesamte Familiengeschichte des Patienten und dessen Abneigung gegen den jungen Nachtwächter, der noch ›viel zu grün hinter den Ohren war‹. Diesen Satz hatte er im Laufe des Dialogs etwa tausendmal gehört.

Schnell steckte er das Handy weg. Es wurde Zeit sich die Inkastatue zu holen. Leise öffnete der junge Mann die Tür. Auch wenn er nichts zu befürchten hatte, blieb er lieber weiter wachsam. Sein Weg führte ihn in ein schmales Treppenhaus, die Stufen abwärts, bis eine dicke Eisentür vor seinem Blickfeld auftauchte. Seine Hand berührte den kalten Stahl. Dahinter befand sich der wertvolle Gegenstand. Nur diese eine Tür trennte ihn noch von seinem Ziel, nur noch ein Schloss, das es zu knacken galt. Und dank seiner Vorbereitung würde keine Alarmanlage losgehen.

Die Dunkelheit erschwerte sein Unterfangen ein wenig, doch sie hielt ihn nicht auf. Oft genug hatte er geübt. Aus seiner Tasche holte er einen Dietrich. Wie lange der Strom wohl ausblieb? Sicher keine Ewigkeit. Hoffentlich bekam er das vorher hin. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, sprang die Tür auf. Das war wohl seine persönliche Bestzeit. Umso besser. Hinter der Tür fand er die angebrachte Alarmanlage, und ohne zu zögern schnitt er das Kabel durch. Im selben Moment ging das Licht wieder an. Selbst in diesem Raum strahlte die Lampe ein matt-gelbes Licht ab. Das Zimmer war unverhältnismäßig groß, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich hier drin nichts weiter befand als ein Podest in der Mitte. Langsam ging Daniel darauf zu. Es fühlte sich seltsam an, diese Statue zu stehlen. Aber letztendlich würde das gute Stück schon bald wieder hier stehen und einen anderen Weg gab es nicht. Im Grunde konnte er schon glücklich sein, dass Matt ihm überhaupt dieses Angebot unterbreitet hatte. Entschlossen zog er das Tuch ab.

Der Stoff segelte langsam nach unten und landete, begleitet von einem lauten Knall, auf dem Boden. Daniels Faust ruhte auf dem Podest.

Verdammt! Er war zu spät.

In seinem Rücken erklang ein Klatschen. In dem großen Raum wirkte es verloren, geradezu verspottend. Wahrscheinlich war es auch so gemeint.

Langsam drehte Daniel sich um, seine Wut hinter einer Maske der Gleichgültigkeit versteckend.

Matt grinste ihn breit an. In seiner Hand hielt er die Statue. Der Agent schien äußerst zufrieden. Und nicht nur er. Neben ihm stand ein dicklicher Mann mit ergrautem Schnurrbart und so wenig Haaren auf dem Haupt, dass seine Frisur sich schon als Glatze bezeichnen durfte. Er trug einen hellbraunen Anzug mit einer geschmacklosen roten Krawatte. Seine Hände ruhten auf seinem dicken Bauch. Eindeutig liebte dieser Kerl das Essen. Doch viel mehr als der schlechte Modegeschmack störte Daniel der Blick, mit dem der Fremde ihn ansah. Pures Vergnügen sprach aus seinen Augen, ähnlich jemandem, der gerade eine gute Komödie gesehen hatte. Matt trat an ihm vorbei und stellte die Statue wieder auf das Podest. »Eine wirklich erstaunliche Leistung. Weitaus besser, als ich dir zugetraut hätte.«

Daniel knirschte mit den Zähnen. Auf das Lob konnte er verzichten, denn letztendlich hatte es doch nicht ausgereicht. Alles war umsonst. Tief atmete er ein, um sich zu beruhigen. Doch seine Wut blieb, die Wut auf sich selbst.

Matt klopfte ihm auf die Schultern. Es war scherzhaft gemeint, das spürte er. Leicht verlagerte er sein Gewicht auf ein Bein, um der Berührung zu entgehen.

Matt schien das nicht zu stören. Er legte eine geschäftliche Miene auf und trat vor ihn. »Gut, da ich nun lange genug mit dir gespielt habe, hoffe ich, du hältst dein Wort und erzählst mir, wie du unsere Agentur gefunden hast.«

Abwehrend verschränkte der 23-Jährige die Arme vor seiner Brust. Der Tonfall des Agenten konnte ihn nicht täuschen. »Sie hatten Ihren Spaß dabei. Nur aus diesem Grund haben Sie das doch gemacht. Ich habe Ihren Blick auf den Papierstapel ges-tern gesehen. Sie haben sich damit eine Abwechslung gegönnt«, erwiderte er ohne eine Spur von Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage.

»Nun ja, ich gebe zu, das war in der Tat einer der Gründe. Gut gesehen … verdammt gut.« Die letzten zwei Worte sprach er so leise aus, dass Daniel sie kaum verstehen konnte. Vielleicht sollte er es auch nicht. Sie waren wohl nicht für seine Ohren be-stimmt. Und er überhörte sie auch gekonnt. Lob brachte ihn einfach nicht weiter.

Matt drehte ihm den Rücken zu. Er schien nachdenklich. Wegen der einen Aussage? Wahrscheinlich nicht.

Daniel musterte den Mann. Seine breiten Schultern und seine muskulösen Oberarme deuteten auf viel Training hin. In seinem Beruf musste er sich allerdings auch fit halten. Matt sah nicht nur athletisch, sondern auch sehr jung für sein Alter aus. Nur sehr wenige graue Strähnen durchzogen seine kurzen dunkelblonden Haare. Sicher fühlten sich viele Frauen von ihm angezogen. Kurz musste er an Jennifer denken. Sie liebte blaue Augen, so wie dieser Kerl sie hatte. So strahlend, voller Leben, bewegt und tief wie das Meer. Seine Finger gruben sich in seine Hand. Und gerade von diesem Kerl wurde sie … Er dachte den Gedanken nicht weiter.

»Ich werde dich morgen zu Hause besuchen, dann kannst du mir alles erzählen. Bis dahin gönn dir ein wenig Schlaf. Ich wette, du hattest letzte Nacht wenig davon. Im Übrigen ist das ein Kritikpunkt. Ausgeschlafen sein, ist in den meisten Einsätzen wichtig. Nur als Randnotiz.«

Daniel konnte sich ein abfälliges »Tz« nicht verkneifen. Diese Anmerkung konnte er getrost vergessen, schließlich würde er nie bei einem Einsatz mitwirken. Nur eines interessierte ihn wirklich. »Wie?« Er sprach den Satz nicht zu Ende.

Doch Matt verstand auch so. Er und der Dicke warfen sich einen verschwörerischen Blick zu, als teilten sie beide ein Geheimnis. Eine kurze Weile herrschte Schweigen, sodass der junge Mann schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, aber schließlich baute der Agent sich neben dem Fremden auf. Selbstsicher fuhr er sich durch die Haare. »Dieser Mann ist Herr Java, der Museumsdirektor und ein sehr guter Freund von mir. Ich habe ihm heute Morgen einfach alles erzählt und mir die Statue dann ge-liehen.« Er begleitete seine Worte mit einem Schulterzucken, als wäre es nur eine Kleinigkeit, dass er den Sieg auf diese Weise errungen hatte. Einen Moment glaubte Daniel sich verhört zu haben. Das konnte nur ein Scherz sein. Ihm kam es zumindest so vor. Und dem Kerl schien sein Betrug nicht einmal peinlich zu sein.

Der Direktor lachte auf. »Dein junger Freund scheint nicht sehr erfreut über deine Vorgehensweise«, mischte er sich in das Gespräch ein. Seine Stimme klang nach einem Raucher, dunkel und verqualmt.

Der Angesprochene wischte die Worte mit einer Handbewegung zur Seite. »Es gab keine Regeln. Ziel war nur, die Statue zu bekommen.«

Daniel zog verächtlich die Luft ein. Der Kerl rechtfertigte sich nicht, das würde ja wenigstens auf ein schlechtes Gewissen deuten, nein, er legte nur Fakten dar. Somit hatte er von Anfang an keine Chance gehabt. Leider ließ sich nichts gegen das Argument des Älteren sagen. Ohne ein weiteres Wort marschierte Daniel an den beiden vorbei. Er spürte dabei deutlich ihre Blicke in seinem Rücken. Wie er das Gefühl hasste, als Verlierer den Raum zu verlassen. »Bis morgen dann«, hörte er den Agenten noch sagen, dann verschwand er aus ihrem Blickfeld.

***

Kapitel 4

Es klickte.

Einmal

Zweimal.

In einem beinahe regelmäßigen Takt tippte Matt mit dem Kuli auf den Tisch, völlig in seine Gedanken vertieft. Durch das offene Fenster hörte er den Lärm der Straße, allerdings stark abgeschwächt. Nur wenig Autos fuhren um diese Zeit noch. Einem dunklen Schleier gleich, lag die Nacht über München und selbst die tausend Lichter der Stadt durchdrangen ihn nicht vollständig.

Nachdenklich legte er den Stift ab, dessen Feder wohl bald ihren Geist aufgab, ohne dass er ihn einmal fürs Schreiben benutzt hatte. Der Bildschirm flackerte und kurz stellte sich der Bildschirmschoner ein. Matt bewegte die Maus ein Stück und sofort erschien das Dokument wieder vor ihm. Die Daten gefielen ihm einfach nicht. Daniel stammte aus einer intakten Familie. Seine Mutter Irene Winter, geborene Hoffman, arbeitete als Professorin an der Universität in Leipzig im Literaturinstitut, und auch sein Vater Thomas Winter war in seinem Beruf erfolgreich. Er leitete einen aufstrebenden Basketballverein.

Die Familie des Jungen wirkte perfekt. Ein friedliches Umfeld. Weshalb versuchte dieses dumme Kind dann so einen Weg zu beschreiten? In der Agentur zu arbeiten bedeutete kein aufregendes und abenteuerliches Leben. Es hieß eher unendlich viele Entbehrungen auf sich zu nehmen, wenig Kontakt zu Außenstehenden zu haben, und nicht gerade selten sein Leben aufs Spiel zu setzen. Nicht unbedingt eine Zukunft, die man freiwillig wählte. Es sei denn natürlich, man hatte den Verstand verloren. Aber so wirkte der Typ ja nun wirklich nicht.

Müde rieb Matt sich die Schläfen. Vielleicht zerbrach er sich zu viel den Kopf über die Sache. Sein Blick fiel auf die Uhr am rechten Rand des Bildschirmes. Selbst die Geisterstunde lag schon eine Weile zurück. Er sollte wirklich ins Bett gehen.

Vor seinem Fenster hupte laut ein Auto. Wahrscheinlich die Aktion eines betrunkenen Autofahrers.

Gleichzeitig öffnete sich die Tür zu seinem Büro und umringt vom Licht des Flures tauchte eine schlanke Silhouette im Türrahmen auf. Im ersten Moment dachte er, Luisa käme, um ihn ins Bett zu schicken. Diese Frau konnte ja so verdammt streng sein. Als wäre er nicht alt genug. Doch als er aufblickte, strahlten ihm grüne Augen entgegen. Nicht gerade sanft warf seine nächtliche Besucherin die Tür ins Schloss. Auf seinen Lippen breitete sich ein Lächeln aus. »Mia, schön dich mal wieder zu sehen.«

Die Angesprochene stemmte ihre Hände in die Hüfte. Leicht zog sie eine Augenbraue in die Höhe und ihr glattes Gesicht verzog sich zu einer vorwurfsvollen Miene. Eine Weile stand sie da, dann seufzte sie und legte ihm einen braunen Umschlag auf den stets aufgeräumten Schreibtisch. Ohne einen Blick auf die Beschriftung zu werfen, nickte Matt. »Vielen Dank.«

Es klang nicht wirklich ernst gemeint, eher wie eine höfliche Floskel, aber mit mehr rechnete sie auch nicht, das wusste er. Sie war nicht erfreut darüber gewesen, seine Arbeit übernehmen zu müssen, aber er hatte bereits genug Papierkram zu erledigen.

Kurz musterte er sie. Mia Seifert gehörte mit zu den besten Mitarbeitern der Agentur und das lag nicht nur an ihren Fähigkeiten. Auch jetzt sah sie wieder spitze aus in ihren weißen Stiefeln, ihrer Jeans und dem weißen Trägertop. Nicht, dass er je etwas mit ihr anfangen würde, immerhin war er verheiratet, aber ihre Attraktivität ließ sich nicht abstreiten. Eine Feststellung, die er im Gegensatz zu anderen Kollegen ganz nüchtern machen konnte.

Ihre Finger schnippten vor seinem Gesicht. »Hey, hast du mir zugehört? Das nächste Mal darfst du den Bericht über deinen ›Freizeitspaß‹ selbst schreiben. Ich war nicht so erfreut über eine Mail mit einer Mindestanzahl an Fakten und neuer Schreibarbeit.« Ihre Stimme klang streng, gleichzeitig wussten sie beide, dass sie ihm ganz selten einen Gefallen abschlug.

Trotzdem setzte er eine ernste Miene auf. »Aber klar.« Angesichts des Tonfalls verdrehte Mia die Augen. Mit wenigen großen Schritten umrundete sie den Tisch. Die Beine übereinandergeschlagen setzte sie sich direkt an seine Seite. »Dann erklär mir mal, was das überhaupt sollte? Wieso hast du dem armen Kind Hoffnung gemacht?«

Matt lachte auf. »Kind? Du bist gerade einmal 22. Er ist älter als du.«

Kein Gesichtsmuskel von ihr zuckte. »Körperlich vielleicht.«

Zu diesem Kommentar äußerte er sich lieber nicht. Immerhin kannte er ihre Arroganz gut genug. Scheinbar wünschte sie auch keinen Widerspruch, denn ohne auf eine Reaktion zu warten, packte sie die Maus und scrollte in dem Dokument nach unten. Er ahnte, was sie suchte. Diese Frau war wie immer verdammt gut informiert. Der Cursor stoppte auf einem markanten Datum vor knapp zwei Jahren. Für ihn selbst sprang es aus dem Dokument als wäre es rot gefärbt. Er dachte nicht gern an diesen Tag.

»Ein seltsamer Zufall. Gerade als du auch in dieser kleinen italienischen Stadt warst, befand er sich mit seiner Frau auf Flitterwochen dort. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, verstirbt das Mädchen dort an einer Schussverletzung.«

Kaum merklich verzog Matt das Gesicht. Wie er die Erinnerung an diesen Tag hasste. Die warme Hand seiner Mitarbeiterin legte sich auf seine und für einen Moment herrschte Schweigen. Ihre Augen suchten seinen Blick. »Es war nicht deine Schuld. Das war ein Unfall. Trotzdem sollten wir davon ausgehen, dass sein Auftauchen mit dem Vorfall zusammenhängt und das seine wahrscheinlichste Absicht …« Sie sprach das Wort nicht aus. Stattdessen begann vor dem Fenster irgendein Irrer mehrmals die Hupe zu betätigen und ein Arsenal von Schimpfwörtern war durch das offene Fenster zu hören. Licht leuchtete auf, ein Motor jaulte und dann wurde es wieder ruhig. Die beiden sahen sich noch immer in die Augen, das Wort hing unausgesprochen zwischen ihnen.

Schließlich drückte Matt sich vom Tisch weg und erhob sich. Sie brauchte ihm wirklich nicht zu erklären, dass der Junge auf Rache aus war. Eine andere Möglichkeit gab es fast nicht.

»Ach Matt.« Mia glitt elegant vom Tisch und stellte sich neben ihn. »Deswegen hast du ihn gestern nicht einfach rausgeworfen oder dafür gesorgt, dass einer unserer Spezialisten aus ihm herausbekommt, woher er von unserer Agentur weiß. Im Dokument befindet sich groß genug das Foto seiner Frau. Du musst sie sofort wiedererkannt haben, nicht wahr? Trotzdem, Schuldgefühle sind hier falsch am Platz.«

Ein Räuspern unterbrach sie. Matt schmunzelte leicht, beinahe als würde er ihre Sorge lächerlich finden. »Mia, ich bin kein Anfänger.« Als Antwort auf das Fragezeichen über ihrem Kopf deutete er mit seinem Kopf Richtung Bildschirm. Erstaunt stellte die junge Frau fest, dass sich ein neues Fenster geöffnet hatte. Der Bildschirm zeigte eine Wohnung. »Ich gebe dir in einer Sache recht. Ich habe ihn nicht gemeldet. Das würde ihn in Schwierigkeiten bringen und das will ich nicht. Doch ich lasse den Bur-schen jetzt nicht einfach aus den Augen. Während seiner Abwesenheit habe ich zwei Kameras installiert. Also mach dir mal keine Sorgen.«

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht wirbelte sie zu ihm herum. Ihre grünen Augen strahlten. »Ich würde gerne hier bleiben und mir diesen furchtbar spannenden Film eine Weile ansehen. Aber ohne Popcorn macht das keinen Spaß.«

Sie zwinkerte ihm zu und verschwand aus dem Raum. Matt wartete, bis die Tür sich hinter ihr schloss, bevor er sich wieder an seinen Platz setzte. Zumindest sie hatte er vorerst beruhigt. Jedenfalls ließ sie ihn das glauben. Mia wurde vorsichtiger als jedes Reh, wenn sie Gefahr für die Agentur witterte. Gut, dass sie in nächster Zeit mit einem Undercovereinsatz beschäftigt war. Nicht, dass sie noch eigenmächtig handelte. Den Kopf in die Hand gestützt zog er einen Papierstapel aus der obersten Schublade. Früher oder später musste das ja erledigt werden.

***

Kapitel 5

Müde betrat Daniel seine Wohnung. Eigentlich hätte er gleich nach dem Museum nach Hause fahren sollen, angesichts der Tatsache, dass sein letzter Schlaf lange genug zurücklag. Doch ihm war einfach nicht danach gewesen, weshalb er sinnlos stundenlang durch die Stadt gekurvt war, einfach nur um die Zeit totzuschlagen. Die Zeit und seine Gedanken. Beides hatte nicht besonders gut geklappt.

Ohne Licht anzuknipsen, warf er die Schlüssel auf die Kommode und betrat sein Zimmer am rechten Ende des Flurs. Auch hier ließ er die Dunkelheit ihn willkommen heißen. Kurz warf er einen Blick auf sein Bett. Es rief förmlich nach ihm, aber was er zuerst brauchte, war eine warme Dusche. Seine Finger fuhren über den Lichtschalter im Bad und helles Licht durchflutete den Raum. Kurz kniff er die Augen zusammen, aber schließlich gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit. Achtlos ließ er seine Sachen auf den Boden fallen und stieg in die Dusche. Im nächsten Moment lief warmes Wasser über seinen ganzen Körper und spülte den Dreck des Tages ab. Endlich! Seine Muskeln entspannten sich spürbar. Die Flüssigkeit rann über sein Gesicht, kitzelte ihn sanft auf der Haut. Tropfen, die für Augenblicke wie kleine Perlen in seinen Haaren und auf seinem Körper hingen. Seine Umwelt vergessend, schloss der junge Mann die Augen und fuhr sich müde durch die Haare. Was für ein Tag!

Seit zwei Jahren hatte er hart gearbeitet, um in die Agentur aufgenommen zu werden, und von einem Moment auf den anderen verlor das alles an Bedeutung. Jegliches Schießtraining, jegliche Sportkurse in verschiedenen Kampftechniken, jegliche Bücher, die er gelesen hatte … nichts davon brachte ihm jetzt noch etwas. Ein frustrierter Seufzer entfuhr ihm. Eine einzige Niederlage zerstörte alles mit einer erschreckenden Endgültigkeit.

Das Wasser plätscherte weiter. Er könnte stundenlang hier stehen bleiben und sich alles vom Körper waschen; die Niederlage, die Enttäuschung, den Frust und am allermeisten die Erinnerung an Jennifer. Ob er sich weiter an Matt hängen sollte? Doch das wäre unter seiner Würde. Nicht, nachdem er diesem sein Wort gegeben hatte. Seine Hand ballte sich zur Faust.

Dieser Mistkerl hatte einfach nicht fair gespielt.

Leider interessierte seine Meinung niemanden und er selbst konnte sich damit auch nicht trösten, denn sein Ziel lag wie eh und je in weiter Ferne. Vielleicht hätte er das Angebot annehmen und wenigstens in einer anderen Einheit anfangen sollen. Zu-mindest befände er sich dann näher an Matt als jetzt. Andererseits war näher nicht nah genug. Und wer wusste schon, wo sie ihn untergebracht hätten. Laut seinen Nachforschungen arbeiteten und lebten die wenigsten aus der Agentur direkt in München. Lediglich die Besten hielten sich im Hauptsitz auf.

Matt gehörte definitiv mit zu den Besten. Ein Mann wie er ließ sich nicht einfach töten. Doch genau das wollte er. Dieser Kerl hatte ihm alles genommen und sein Leben vollkommen zerstört. Erinnerungen überfluteten ihn mit einer schmerzhaften Intensität. Egal, an welches Erlebnis er mit seiner Frau dachte, stets hatte sie den gleichen leidenden Ausdruck im Gesicht und stets hörte er ihr Flehen, ihr zu helfen. Dieser eine Tag quälte ihn in seinen Träumen schlimmer als jede körperliche Folter. In seinem Hals bildete sich ein Kloß. Er konnte Matt nicht verzeihen. Die Sucht nach Rache verseuchte wie ein Gift sein Denken und ihm war bewusst, dass es reine Schwäche war, nicht gegen dieses Gift anzukämpfen. Befände er sich nicht selbst in dieser Lage, er hätte jeden dafür verurteilt, Selbstjustiz üben zu wollen.

Das Plätschern des Wassers stoppte. Sich nur grob abtrocknend, streifte er sich seine Jeans über und ließ sein T-Shirt achtlos auf dem Boden liegen. Das Licht im Bad erlosch. Ebenso wie jegliche Kraft in ihm. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so müde gefühlt zu haben. Schon fast im Halbschlaf warf er sich aufs Bett und fiel in einen traumlosen tiefen Schlaf.

»Schlaf Kindlein schlaf. Der Vater hüt die Schaf.« Eine Frau sang das Lied. Wieder und wieder. Die Stimme hörte sich angenehm weich an, ein schöner Sopran, der jeden Ton voll auskostete. Erst nach und nach sickerten die Worte in sein Bewusstsein. Sie klangen klar und scharf. Nicht wie in einem Traum, sondern so, als stände jemand direkt neben ihm. Abrupt riss Daniel die Augen auf. Seit zwei Jahren war er von keiner Frau geweckt worden und es stimmte ihn nicht gerade fröhlich, dass genau das jetzt der Fall war.

»Endlich wach?« Die fremde Stimme sang die Worte fast so schön wie das Lied. Doch der freundliche Tonfall beruhigte ihn keineswegs. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Licht in seinem Zimmer brannte. Sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf läuteten. Allerdings völlig umsonst, denn es gab nichts, aber auch gar nichts, was er an der Situation hätte ändern können. Seine Hände und Füße waren mit Handschellen an das Bettgestell gefesselt. Eine Szene, die in einen billigen Porno-Film passte, aber bestimmt nicht in seine Realität. Außerdem glaubte er nicht, dass die talentierte Sängerin sich in diesem Raum befand, um ihn zu befriedigen, wohl eher das Gegenteil.

Seine Müdigkeit war auf einmal wie weggefegt. Aufmerksam musterte er die Fremde, die direkt neben seinem Bett stand. Erneut fühlte er sich in einen Film versetzt. Ihre Erscheinung passte nicht hierher, in dieses kleine unbedeutende Zimmer inmitten von München. Sie trug schwarzes Leder, das sich eng an ihre weiblichen Konturen schmiegte. Mit ihrer schlanken Taille und den großen Brüsten sah sie wie ein Model aus. Diesen Beruf hatte sie allem Anschein nach aber wohl nicht gewählt. Trotz ihres straffen Zopfes wirkte ihr Gesicht nicht streng. Vielmehr sah sie amüsiert aus. Ihre etwas zu roten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, dem einige Männer sicher verfielen, wenn sie nicht gerade an ein Bett gekettet waren. Sinnloserweise zog er seinen Arm nach oben, doch die Handschellen gaben nicht nach. So blieb ihm bloß abzuwarten, bis die Fremde ihren nächsten Zug startete.

Lange schien sie nicht überlegen zu müssen. Genüsslich fuhren ihre Finger über die Schneide eines Dolches. Die Waffe sah kostbar aus; kostbar und gefährlich. Völlig vertieft in das Streicheln ihrer Waffe, ergriff sie wieder das Wort. »Nachdem du eingeschlafen bist, habe ich dir eine Betäubungsspritze gegeben. Aber, dass du dann so lange schläfst, habe ich nicht erwartet.« Sie warf einen demonstrativen Blick auf den Wecker auf seinem Schreibtisch.

Dann wandte die Frau sich wieder ihm zu. Leicht runzelte sie die Stirn und ihre aalglatten Gesichtszüge verzogen sich zu einer nachdenklichen Miene. Über ihren Augen bildete sich ein kleines „v“, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann hellten sich ihre Züge wieder auf, als hätte sie einen guten Einfall gehabt. Nicht unbedingt zu Daniels Freude. Schätzungsweise war ›gut‹ für ihn schlecht. Genüsslich leckte sich die Fremde die Lippen.

»Dann lass uns mal Spaß haben!« Deutlich sichtbar gefiel ihr die Macht, die sie über ihn besaß. Sie kontrollierte das Spiel. Denn genau so sah sie das Ganze, als ein Spiel, und jeder ihrer Züge drückte das nur allzu deutlich aus. Ihr gesamter Körper schien entspannt.

Allerdings dachte Daniel nicht daran, alles in ihrer Hand zu lassen. Sicher liebte diese Frau eingeschüchterte Opfer, aber den Gefallen würde er ihr nicht tun. Beinahe angriffslustig bleckte er die Zähne.

Doch sie kam ihm zuvor. Ihre Hand legte sich auf seinen Mund. Sie trug Handschuhe. Logisch, ansonsten würde sie Fingerspuren hinterlassen. Trotzdem drang durch den Stoff ein angenehm weicher, leicht süßlicher Duft, ein Parfüm, das seiner Meinung nach nicht zu dieser Person passte. Die Fremde beugte sich über ihn und ihr Zopf fiel über ihre Schultern. Ihr Haar kitzelte unangenehm in seinem Gesicht. Pure Absicht, wie er vermutete. Sein Blick traf genau auf ihren. Nur eine Handbreit schwebte ihr Gesicht über ihm, fast als wollte sie ihn küssen. Etwas funkelte in ihren Augen. Ein seltsamer Glanz, den er nicht einordnen konnte. War es Vergnügen? Bösartigkeit? Eine Mischung aus beidem?