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Hanna ist ein 16-jähriges Mädchen, das seit ihrem vierten Lebensjahr im Waisenhaus lebt. Von Kindheit an richtet sie ihr Leben nach ihren Träumen, die hauptsächlich in einer Fantasiewelt spielen. Das führt nicht immer zu den richtigen Entscheidungen. Findet sie zur Wirklichkeit zurück? Das vorliegende Buch wurde im Rahmen des Jugendkulturpreises Sachsen-Anhalt 2014 mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet.
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2015
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„In einem Dreieck aus Traum-, Echtwelt- und Parallelwelt-Sequenzen wird von den Illusionen und Abenteuern eines jungen Mädchens erzählt. Das beliebte Fantasy-Genre wird hier, auch wenn es durchaus einige Mechanismen der berühmten Vorbilder aufgreift, sehr eindrucksvoll erweitert.“
(Kurzbeschreibung der Jury des Jugendkulturpreises Sachsen-Anhalt 2014)
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Seit meinem 4. Lebensjahr hatte ich keine Familie mehr. Meine Eltern waren auf wundersame Weise verschwunden. Das ganze Land hatten die Polizisten nach ihnen abgesucht und hatten doch nichts gefunden.
Vater hatte mir immer vor dem Schlafen Geschichten über magische Wesen erzählt. Von großen und prächtigen Pferden mit Flügeln, deren Anführer ein riesig großer Hengst war - Akiotorus. Er hatte seine Herde schon durch etliche Kriege gegen die mächtigen Lediftilus geführt, die seit Anbeginn versuchten, das Himmelreich zu stürzen und ihren Anführer Klahmin als König von Eflatron, der Hauptstadt Himmelreichs, zu ernennen. Somit hätten sie Kontrolle über die Erde der Menschen und Teile des Universums.
Sie wurden von kleinen Gnomen unterstützt, den Grundula, welche sich mit Hilfe eines Tranks, der nur einmal im Jahr am Übergang vom Sommer zum Winter gebraut werden durfte, für eine Stunde unverwundbar machen konnten. Zum Glück wirkte er nur bei den kleinen Grundula und nicht bei den Lediftilus, die eine Mischung aus Wolf und Geier waren, sonst wäre Himmelreich schon längst gestürzt worden, Tod und Schrecken würden herrschen.
Die Menschen auf der Erde bekamen jedoch nie etwas von den Kämpfen über Himmelreich mit. Sie wussten nicht einmal, dass es die geflügelten Pferde, die Pegasus und die Lediftilus überhaupt gab. Ein mancher erzählte Legenden und es gab viele Märchen über sie, doch kaum einer wusste von ihrer Existenz.
In den Legenden war jedoch oft verzeichnet, es gäbe Menschen, die von ihnen ausgewählt wurden und als Hüter in Himmelreich dienen sollten. Viele behaupten, es wäre der größte Schwachsinn, den sie je gehört hätten. Andere aber wollten nur ihren Fantasien glauben und wurden bei den Fantasielosen oft als Irre bezeichnet.
Ich war eine von denen, die einen Glauben an Himmelreich besaßen, doch ich hatte es Gott sei Dank keinem unter die Nase gerieben und wurde deshalb nicht gleich als Irre abgestempelt. Ich traute mich auch gar nicht, dieses Thema anzusprechen. Es hatte sowieso keinen Zweck und löste nur Streit innerhalb der Gesellschaft aus.
In manch einer Nacht träumte ich von Himmelreich und meinen Eltern, die in meinen Gedanken auserwählt wurden, Diener zu sein. Sie sprachen zu mir und erklärten mir das Leben in Himmelreich. Meist kamen sie angeflogen. Ja, sie selber. Jeder von ihnen war eine Art Zentaur mit menschlichem Oberkörper und Kopf aber dem Unterleib eines Pegasus. Sie waren etwas kleiner als andere Pegasus, doch ich fand sie umwerfend schön.
Ich träumte eigentlich ständig von Ereignissen, die ich als besonders schön empfand oder welche, die noch passieren sollten. Manchmal bildete ich mir ein, so etwas wie eine Seherin zu sein, die in die Zukunft blicken kann. Doch das war wahrscheinlich ebenfalls nur einer meiner Träume, die ich als besonders empfand. Und einer dieser besonderen Träume war, einmal wieder mit meinen Eltern und meinem Bruder Weihnachten zu feiern, wie wir es früher immer getan hatten, bevor meine Eltern verschwanden und mein Bruder im Alter von 10 Jahren an Krebs starb.
Viele Leute behaupteten, es wäre purer Zufall gewesen, dass mein Bruder eine Woche nach dem Verschwinden meiner Eltern starb, doch ich hatte das Gefühl, es gäbe einen Zusammenhang. Peter hatte mir immer sehr viel bedeutet. Er war mein großer Bruder und ein Vorbild für mich. Jetzt gab es ihn nicht mehr und ich verbrachte mein Leben allein im Waisenhaus.
So richtige Freunde hatte ich innerhalb des Waisenhauses nie. Sogar die Mädchen, mit denen ich ein Zimmer teilte, waren für mich nie mehr als Zimmergenossinnen. Zum Glück war unser Waisenhaus nicht so eines, in dem eine Schule integriert war. Deshalb ging ich auf das Alberto-Gymnasium in der Stadt, welches ca. 730 Schüler unterrichtete, von denen die meisten mir wie Fremde vorkamen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte.
Mir fiel es immer schon sehr schwer, mich an Personen zu binden. Deshalb hatte ich nur wenige, aber dafür sehr gute Freunde. Es war für mich echt hart sie in den Ferien nicht sehen zu können, denn im Waisenhaus hatte ich keinen, mit dem ich richtig reden konnte und mochte.
Und so hoffte ich jedes Mal auf ein frühzeitiges Ende der Ferien, denn sie fehlten mir alle so sehr: Anastasia, Elina, Sofie und Marie. Jedoch vermisste ich jemanden noch mehr als alle anderen, sogar mehr als meine Eltern.
Niklas - er ging in die Oberstufe so wie ich. Jeden Tag hatte ich ihn seit der 5. Klasse gesehen, mich mit ihm unterhalten, mit ihm und anderen abgehangen, oder wir hatten einfach nur den Schultag über uns ergehen lassen. Nie zuvor hatte ich solch einen starken Bezug zu jemandem aufgebaut wie zu ihm. In seiner Nähe fühlte ich mich einfach sicher und lebendig.
Ich tat komische Sachen und war meist, nachdem wir uns irgendwie unterhalten hatten, nicht mehr fähig richtig zu denken. Oft ließ ich dann nur meinen Träumen freien Lauf und erfand meine eigene Traumwelt. Dieses besondere Gefühl von Nähe hatte ich noch nie in mir gespürt, doch es war offensichtlich: Ich hatte mich verliebt.
Und das nicht zu knapp. Ich glaube es war so heftig, da sich über die Jahre die ganze Liebe in mir gestaut hatte. Jeden Tag wurde es schlimmer und mittlerweile hatte ich es doch tatsächlich geschafft, meine Gefühle für fast ein ganzes Jahr in mir einzusperren, doch langsam wurde es anstrengend. Eines Tages hatte sogar mein ganzer Körper angefangen zu zittern, als ich mit ihm quer durch die Schule zum nächsten Raum ging und die alltäglichen lästigen Träume machten sich breit:
Wir gingen gemeinsam über den Schulhof und außer uns war niemand weiter draußen. Es war kalt, doch in mir schien ein Feuer zu brennen, welches nie erlöschen konnte. Mein Herz raste wie ein Pferd im Galopp. Seltsam. Normalerweise hatte ich immer so sehr Angst etwas Falsches zu sagen, oder ungeschickt zu handeln, doch diese Angst war plötzlich verschwunden. Die Zeit schien still zu stehen und obwohl wir liefen, bewegten wir uns nicht einen Zentimeter weiter. Mein Traum schien entschlossen, mich dazu zu zwingen, Niklas die alles entscheidende Frage zu stellen und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm meine Gefühle zu gestehen und ihn zu fragen, ob er nicht mit mir zusammen sein wolle. Zum Glück verspürte ich keine Angst und erzählte einfach drauflos: „Niklas, ich muss dir was unheimlich Wichtiges sagen, das mir schon lange im Kopf herumschwirrt. Ich habe mich aber nie getraut, es dir zu erzählen.“ „Na dann, was ist denn so wichtig?“ Oh, ich liebte seine offene Art, wie er jedem neuen Ereignis die Chance gab, sich zu bewähren. „Nun ja, weißt du… die letzten Jahre hatte ich es nie so gespürt, doch jetzt schon. Verstehst du... ich habe mich wohl ein bisschen in dich verguckt.“ Und dann kam das erste Mal, dass er mir direkt in die Augen sah.
Irgendwie kam er mir jetzt gruselig vor, denn ich hatte das Gefühl, in meine eigenen Augen zu schauen. Und das ließ mich erschaudern. Meine Augen waren besonders, denn sie waren tief dunkel und das Braun ging in das Schwarz der Pupille über. Ich war mir bis dahin eigentlich ziemlich sicher, die Einzige mit solch schönen Augen zu sein, doch anscheinend hatte ich die letzten Jahre nie richtig hingesehen. Ich war so fasziniert, dass ich total vergaß, was ich eigentlich sagen wollte. „Ist das dein voller Ernst, oder verarschst du mich nur?“, fragte er lachend und schubste mich ein wenig mit der Schulter an und holte mich somit aus meiner Schockstarre wieder in das Geschehen zurück. „Ich meine es komplett ernst. Mit so etwas mache ich keine Scherze; dazu sind wir Menschen viel zu verletzlich“, antwortete ich. „Bin ich echt so attraktiv?“, wunderte sich Niklas. Er schien es immer noch nicht richtig zu realisieren.
Ich atmete noch einmal tief durch und: „Ja, für mich schon. Und deshalb wollte ich dich fragen, ob wir nicht vielleicht mehr sein wollen als nur Freunde?“ Puh, endlich hatte ich es geschafft und die Situation kam mir vielversprechend vor. Doch er senkte nur den Blick und sagte: „Sorry, aber es geht leider nicht.“ Und schon war er losgelaufen, ohne mir noch eine weitere Frage zu beantworten oder mir wenigsten auf Wiedersehen zu sagen. Die Zeit lief wieder weiter. Ich stand allein auf dem Schulhof und es fing plötzlich an zu regnen. Erst hatte ich nicht richtig gecheckt, was gerade geschehen war, doch als es mir klar wurde, rannen schon die Tränen über mein Gesicht - vollkommen perplex über die Situation, die sich gerade abgespielt hatte.
Solche Träume hielten mich immer davon ab, etwas zu riskieren und ich hatte das Gefühl sie zeigten mir die Gegenwart. Auf jeden Fall holten sie mich jedes Mal zurück in mein eigenes Ich. Und dann kamen mir zweifelnde Gedanken:
Klar, warum sollte er dich mögen? Du bist viel zu schüchtern und etwas Besseres als all die Mädchen dort draußen bist du auch nicht.
Und so lebte ich meist mit meinen schlechten Gedanken allein, die sogar das vertrieben, was mir in dem Augenblick am wichtigsten war.
Ein mächtiger Lediftilus schwang sich vor mir in die Lüfte. Ich lag auf dem Rücken, meine Schulter brannte und als ich nachsah, erblickte ich eine riesige Bisswunde, welche so stark blutete, wie ich es noch nie gesehen hatte. Um mich herum war eine große Blutlache und langsam aber sicher wurde mir klar, dass ich nun sterben sollte.
Immer höher stieg der Lediftilus und schaute währenddessen auf mich herab, so, als würde er wollen, dass ich mich nicht vom Fleck bewegte. Dabei hätte ihm doch klar sein müssen, wie schwer es wäre mit solch einer Bisswunde an der Schulter zu fliegen.
Moment mal, fliegen? Wie zum Teufel hätte ich das tun sollen, ich kann doch gar nicht fliegen. Merkwürdig. Aber mir blieb keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn als ich in den Himmel sah, blieb mir fast das Herz stehen. Der Lediftilus hatte seine Flugrichtung geändert und kam nun im Sturzflug auf mich zugerast. Er sperrte seinen riesigen Schnabel, der aussah wie von einem Geier, auf und ihm entglitt ein Mark erschütternder Schrei, der mich dazu zwang mir die Ohren zuzuhalten. Ich schrie mit der letzten Kraft, die mir geblieben war. Es wirkte, als würden wir uns gegenseitig anschreien.
Plötzlich streckte der Lediftilus seine Flügel aus und verlangsamte sein Tempo. Doch sein Aufprall auf meiner Brust reichte, dass mir schwarz vor Augen wurde und ich spürte nur noch, wie er seinen Schnabel in mein weiches und zartes Fleisch rammte. Es war ein fast unerträglicher Schmerz und wieder schrie ich.
„Hanna!...Hanna!“ Ich schreckte auf und saß wach auf der Matratze in Sofies Zimmer. Mir war heiß und mein Schlafanzug war verschwitzt, so sehr hatte mich der Albtraum geplagt. Ich war froh, dass ich diese Nacht bei Sofie schlief, denn im Waisenhaus wäre ich wahrscheinlich von Frau Lopingen geweckt worden, was ich als weniger schön empfunden hätte.
Wir starrten uns an. „Was ist denn los?“, fragte sie. „Du hast plötzlich geschrien. Davon bin ich aufgewacht und dann hab ich dich geweckt. Hattest du wieder einen Albtraum?“ „Ja, aber ich glaub es geht wieder.“
Das einzig Gute dieser Albträume war, dass jeder von ihnen nur einmal von mir geträumt wurde. Zumindest hatte ich noch nie einen doppelt geträumt und erst recht nicht sofort nachdem ich wieder schlief.
Sofie schien sich echt Sorgen um mich zu machen: „Willst du nicht, bevor wir wieder schlafen, etwas trinken? ...Ich meine, du siehst vollkommen fertig aus.“ Wie schön, dass sie sich immer um mich kümmerte und um ihr nicht noch mehr Sorgen zu bereiten, sagte ich: „Ja, aber können wir währenddessen ein wenig das Fenster aufmachen?“ Sie schien einverstanden. Also gingen wir in die Küche, tranken beide ein Glas Wasser. Als wir wieder in unseren Betten lagen, sagte Sofie noch etwas erfreut: „Gott sei Dank sind meine Eltern dieses Wochenende nicht zu Hause, sonst hättest du sie sicher auch noch geweckt.“ Dann schliefen wir beide ein.
Schön, in Ruhe schlafen zu können, doch meine Träume holten mich bald wieder ein und es passierte etwas, was es noch nie zuvor bei mir gegeben hatte und was ich bei diesem Traum auch äußerst schlimm fand. Ich träumte das Gleiche, was mir zuvor schon so viel Schrecken eingejagt hatte, noch einmal. Der gleiche Lediftilus, die gleiche Umgebung, der gleiche Schmerz und wieder schrie ich. Doch Sofie weckte mich diesmal nicht auf.
Und noch einmal stieß er seinen Schnabel in meinen Körper. Ich konnte zwar nicht sehen, was geschah, doch meine Ohren hatten ihre Funktion noch nicht verloren. Ein mächtiges Wiehern ertönte, doch ich hatte im Gefühl, dass es nicht nur eines gewesen sein musste. Die Erde erzitterte und bebte unter den Hufen der großen Pegasus, die herankamen. Ich hatte sie zwar nicht gesehen, aber instinktiv wusste ich, dass sie es waren. Der Lediftilus ließ von mir ab und die Gruppe Pegasus schien ihn fast zu überrennen.
Plötzlich hörte man aus der Ferne den Schrei eines Lediftilus. Er musste riesig sein und ich hatte eine schlimme Vorahnung - Klahmin. Ich hörte, dass ein riesiger Kampf entbrannte, doch ich konnte nicht genau sehen, wie viele es waren. Neben mir setzten plötzlich vier Pfoten auf den Boden auf, doch das herannahende Geräusch galoppierender Hufe wies darauf hin, dass ein Beschützer in der Nähe war. Der Lediftilus schnupperte an mir und ich konnte seinen nach Aas riechenden Atem spüren. Das Hufgeklapper kam immer näher und dann: „Lass sie in Ruhe, du Miststück!“, hörte ich eine recht tiefe männliche Stimme. Dem Lediftilus wurde ein Schlag versetzt und er flog kreischend davon. „Vater? Bist du das?“, fragte ich den, dessen Gestalt ich nicht sehen konnte, doch es kam nur ein: „Hab keine Angst, bei mir bist du sicher.“ Dann verlor ich das Bewusstsein.
Vor meinen Augen war jetzt wieder die Zimmerdecke bei Sofie zu Hause. Sofie rüttelte mich und brüllte mich an: „Hanna! Wach auf! Was ist denn mit dir los?“ „Was?“ Ich war noch etwas benommen. „Ich habe gedacht, du hast einen Anfall oder so, da habe ich den Notruf angerufen. Sie kommen gleich. Ich habe mir richtig Sorgen gemacht. Du hast immer wieder geschrien und geatmet, als würdest du keine Luft mehr kriegen.“
„Sofie…!“ „Und dann hast du eine Weile lang gar nichts mehr gemacht und ich habe versucht dich aufzuwecken, aber du hast plötzlich einfach wieder angefangen zu schreien und…“
„Sofie! Hör mir zu!“, schnauzte ich sie an und endlich hörte sie auf, auf mich einzureden. „Es ist merkwürdig. Es war der gleiche Traum wie davor, nur diesmal habe ich ihn zu Ende geträumt. So etwas ist noch nie passiert. Es war vielleicht so etwas wie eine Vision. Ich denke, deshalb konntest du mich nicht wecken.“ Sofie schien ein wenig erleichtert, denn sie wusste, dass ich öfters mal Visionen hatte und sie glaubte es mir.
„Aber den Ärzten kann ich das mit der Vision nicht erzählen, sonst schicken die mich in eine Anstalt.“ „Wir sagen einfach, ich hätte schlecht geträumt, was ja nicht ganz falsch ist und dass du dir einfach zu viele Sorgen gemacht hättest, weil du in Horrorfilmen oft kollabierende Leute gesehen hättest oder so.“ „Dann schicken die mich in die Anstalt, weil die denken, ich wäre irgendwie gestört und überempfindlich.“ „Nein, wegen so etwas wird man nicht in eine Anstalt gesteckt…“.
Da klingelte es auch schon an der Haustür. Sofie eilte nach unten und sagte zu den Ärzten nur: „Sie ist oben, aber es geht ihr schon wieder besser und sie ist auch schon aufgewacht.“ Sofort gingen sie hoch und kamen in das Zimmer, wo ich auf der Matratze saß. „Hallo“, begrüßte ich sie freundlich und von dem einen Arzt kam nur: „Du siehst ja gar nicht so schlimm aus wie beschrieben.“
Sofie war mittlerweile auch wieder hoch gekommen und bat den beiden Gästen ihr Bett als Sitzplatz an. „So, da es deiner Freundin ja schon wieder besser geht, können wir erst einmal ein paar Routinefragen stellen“, sagte der eine Arzt locker. „Wie heißt ihr beiden denn?“ „Ich bin Sofie Dahrendorf“, kam es von Sofie und ich antwortete: „Ich bin Hanna Fillen.“
„Die, die ihre Eltern vor 12 Jahren verloren hat?“, fragte der zweite Arzt plötzlich. Oh Gott, das wusste aber auch wirklich jeder hier, oder? „Ja, genau die“, sagte ich deshalb etwas genervt. „Schön, dann würden wir von dir, Sofie, gerne einmal hören, was passiert ist“, sprach der Erste einfach ohne weiter auf mich einzugehen und das gefiel mir.
„Also, ich bin aufgewacht, weil sie geschrien und sich auf ihrer Matratze hin und her gerollt hatte, was sie vor gut einer Stunde schon einmal gemacht hatte. Aber da konnte ich sie wecken und sie hat mir erzählt, sie hätte einen Albtraum gehabt. Doch beim zweiten Mal konnte ich sie nicht aufwecken und sie hat plötzlich angefangen so komisch schnell und stark zu atmen. Daraufhin habe ich den Notruf angerufen, weil ich in Filmen schon einmal von kollabierenden Menschen gehört und gesehen habe. Deshalb habe ich mir echt Sorgen um Hanna gemacht.“
Klasse, sie hielt sich an den Plan, den wir uns vorher ausgedacht hatten. Der erste Arzt fuhr fort: „Gut, und was war dann, nachdem du uns verständigt hattest?“ „Na ja, dann hat sie kurz gar nichts getan und ich habe noch einmal versucht sie aufzuwecken, indem ich sie geschüttelt und angebrüllt habe“, erzählte sie weiter. „Und das habe ich dann schon wieder mitgekriegt“, fiel ich ihr ins Wort aus Angst, sie würde noch etwas dazu dichten.
„Ok, dann mache ich jetzt noch rasch ein paar Untersuchungen und dann glaube ich, war das Schock genug für dich, was Sofie?“ Er hörte mich ab, maß meine Körpertemperatur und stellte noch ein paar Fragen. Schlussendlich sagte er dann: „Ich glaube, du hattest einfach nur einen bösen Traum und einen besonders festen Schlaf. Deshalb konnte Sofie dich nicht wecken. Dein Puls ist noch recht hoch, aber wenn du dich jetzt wieder hinlegst, wird er bald wieder niedriger.“ „Ich glaube, unsere Arbeit hier ist getan“, sagte dann der andere und sie packten ihren Notarztkoffer wieder ein. „Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte Sofie ihnen noch, als sie schon unten an der Tür standen. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, fuhren sie mit ihrem Krankenwagen wieder zurück in Richtung Krankenhaus.
Sofie kam wieder hoch und ich fragte sie nur müde: „Wie spät ist es eigentlich?“ Und als sie antwortete: „Kurz nach vier“, beschlossen wir die letzten Stunden, die bis Sonnenaufgang noch übrig waren, wach zu bleiben und ich erzählte ihr die Geschichte aus meinem Traum, während sie gespannt zuhörte.
Die nächste Nacht hatte ich endlich wieder schlafen können, nachdem ich die letzte Nacht bei Sofie mehr wach als ruhend verbracht hatte. Eigentlich hatte ich befürchtet, die Ärzte würden uns nicht glauben und hätten eine Riesenrechnung schreiben lassen wegen falschen Alarms. Anscheinend jedoch hatten sie Verständnis für Sofies Angst. Wer weiß, wenn ich nun wirklich einen Anfall gehabt hätte. Aber Gott sei Dank war es nur eine Vision, welche allerdings ziemlich grässlich zu ertragen war. Visionen sollten mir eigentlich helfen, mich im Leben zurechtzufinden, doch diese brachte mir nur ungeklärte Fragen:
Warum hatte ich an Fliegen gedacht? Warum war ich anfangs allein mit diesem Lediftilus? Warum hatten mich die Pegasus beschützt? Warum? Warum? Warum? ...Und vor allem: Wer war mein sprechender Beschützer?
Soweit ich wusste, besaßen Pegasus nicht die Macht, die Menschensprache zu erlernen und zu benutzen. Nur die Hüter von Himmelreich konnten durch ihre Bestimmung beide Sprachen sprechen. Das hatte mir Vater zumindest früher in den Geschichten über Himmelreich erzählt, doch ich hatte das Gefühl, es wäre seine Geschichte, die er mir erzählte. Wer weiß? Vielleicht war er auserwählt, ein Hüter von Himmelreich zu sein und den Pegasus zu helfen die Kriege gegen Klahmin und seine Grundula zu überstehen, um Himmelreich und die Welt vor Chaos zu bewahren. Dieser Gedanke machte mich als Tochter sehr stolz. Ich meine, nicht jedes Mädchen besaß das Glück, behaupten zu können, ihr Vater sei ein Hüter, aber einige wären bei solch einem Gedanken bestimmt total frustriert. Ist ja teilweise auch verständlich. Wer gibt denn auch schon zu: Ja, mein Vater ist ein ganz besonderer Hüter in einer mir unerklärlichen Fantasiewelt, in der Pegasus gegen Lediftilus kämpfen. So was tat doch keine Tochter, die nur halbwegs über einen normalen Menschenverstand verfügte und anscheinend hatte ich meinen schon verloren.
Ich hatte meine Theorie zwar nicht öffentlich preisgegeben, doch innerlich lachte ich mich dafür selbst aus. Es war mein eigenes Ego, welches mir immer wieder die Realität vor Augen führte, aber ohne meine Fantasie wäre ich mittlerweile vermutlich depressiv geworden. So konnte ich auch die Fragen, die mir über die Vision im Kopf hingen, nur mit Hilfe meines unerschöpflichen Einfallsreichtums beantworten.
Warum hatte ich an fliegen gedacht? Natürlich weil ich auch ein Hüter sein würde. Warum war ich anfangs allein mit dem Lediftilus? Vielleicht hatte ich einen Spaziergang gemacht und er hatte mich entdeckt und mich angegriffen. Warum hatten mich die Pegasus beschützt? Weil ich ein Hüter war und somit unter ihrer Obhut stand. Wer war der sprechende Beschützer? Ich denke, es war mein Vater, denn das hatte ich ihn in meinem Traum ja auch schon instinktiv gefragt.
Doch irgendwie fand ich es plötzlich albern und erkannte, dass ich mir viel zu viel ausdachte und nie richtig realistisch blieb. Und mir kamen wieder die alten Zweifel, die mich schon fast mein ganzes Leben verfolgten und mich immer davon abhielten, vollkommen durchzudrehen vor Fantasien.
Sofie hatte mich heute Morgen noch einmal auf dem Handy angerufen, um sich zu erkundigen, ob ich denn wenigstens diese Nacht gut geschlafen hätte. Ich konnte sie beruhigen. Was wirklich nicht ganz einfach bei Sofie ist, denn sie neigt dazu, sich übermäßig Sorgen zu machen. Auch in der Schule war sie nach jeder Klassenarbeit total aufgelöst. Anastasia, Elina, Marie und ich mussten ihr immer wieder versichern, dass wir bestimmt nicht viel besser waren als sie. Ich gestehe aber ein, dass Sofie mittlerweile etwas ruhiger geworden war.
In der 5. Klasse hatte sie sich auch schon einmal über die Salami im Kühlschrank gesorgt, ihr würde doch dort viel zu kalt sein, nicht dass sie noch einen Schnupfen bekam - so etwas hatte sie sich dann immer ausgedacht. In diesen Momenten sagte ich oft zu mir selbst: Na, wer hat jetzt die blühendere Fantasie?
Aber meine wurde von ihrer immer gleich mit angesteckt und ich stellte mir vor, dass Sofie später einmal ein Computerspiel entwickeln würde. Dieses würde sie dann „Angriff der mutierten Kühlschranksalamis“ nennen und einen riesen Gewinn damit machen. Der Sinn dieses Spiels wäre, in möglichst kurzer Zeit so viele bewaffnete Riesensalamis umzubringen, wie man nur konnte, um somit die Welt vor ihrer Invasion zu verteidigen. Eine wirklich ehrenvolle Aufgabe. Man stelle sich vor, jemand fragt: „Und? Was arbeitest du so?“ und man antwortet nur ganz seriös: „Ich arbeite im Auftrag des SST.“ Dann hätte der neben einem überhaupt