Im Schatten des Waldes - Sophie Probst - E-Book

Im Schatten des Waldes E-Book

Sophie Probst

0,0

Beschreibung

In ein Verbrechen verwickelt zu werden, geht schneller, als man denkt. Die Geschwister Mika und Felix haben nur Tage nach Beginn dieser seltsamen Tour ganz andere Probleme, als sich über den nervigen Kevin oder Kates Arroganz aufzuregen. Aus einer Wanderung wird eine rastlose Jagd, bei der die Vier nicht nur mit der Gegenwart kämpfen müssen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 188

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Umschlaggestaltung:

Sophie Probst mit Bildern von Sylas Boesten, Justin Kauffman, Michael Krahn, Mojtaba Mohtashami, Gemilang Sinuyudhan und Chandler Media von unsplash.com.

Vielen Dank!

Inhaltsverzeichnis

Verfolgt

Mika

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Gefangen (mehrere Tage zuvor)

Kevin

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Fassungslos

Kate

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Hoffnungslos

Felix

Kapitel 33 (zwei Tage zuvor)

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Erschöpft

Kapitel 40

Fünf Jahre später

Kommentare

Verfolgt

Mein Vorhaben war erfolgreich. Die Daten sind auf einem Stick gespeichert und in meinem Besitz, doch meine Nervosität steigt.

Haben sie es schon bemerkt? Ich bin mir sicher, dass meine Tat nicht so einfach wiedergutzumachen ist. Ich habe zu viel gesehen, ich weiß zu viel. Doch ich kann die Dinge nicht ungeschehen machen und selbst wenn ich es könnte, ich würde es nicht tun. Es steht zu viel auf dem Spiel.

Angst. Sie hat sich in mir festgebissen, wie die Zähne einer zugeschnappten Falle. Ich hatte bisher nicht gewusst, wie schmerzhaft ihre Krallen sein können. Meinem Wagen ist der Sprit ausgegangen. Bestimmt kein Zufall. Ich haste durch den Wald wie ein gehetztes Tier, doch ich höre ihre Schritte hinter mir. Sie kommen näher.

Meine Situation ist aussichtslos. Erschöpft und mit zitternden Beinen lehne ich mich an einen Baum. Ich sehe nichts, was als gutes, schnelles Versteck dienen könnte. Es ist aussichtslos. Ein Geräusch lässt mich den Kopf heben. Ich stolpere erneut los, kann mich kaum auf den Beinen halten. Weiter! Die Kronen der Bäume lichten sich plötzlich und ich höre unter meinen Schuhen den feinen Kies eines Weges knirschen. Schnell lasse ich den Blick umherschweifen und dort … dort kommt jemand! Ein Reiter trabt mir entgegen, zügelt verwundert sein Pferd, mustert mich neugierig. Nicht weit entfernt höre ich Schritte im Unterholz. Schnell! Fahrig taste ich in meiner Jackentasche herum, schließe meine Finger um den USB-Stick. Sie werden mich kriegen! Ich muss ihn verstecken! Ich grüße den Reiter mit einem kurzen Nicken. Es ist ein Teenager, höchstens 15 Jahre alt. Vorsichtig hebe ich die Hand, streiche behutsam über das weiche Fell des Tieres und lasse dann blitzschnell den Stick in eine der Satteltaschen gleiten. Erschrocken starrt mich der Junge an, hat das winzige Ding in meiner Faust nicht bemerkt, dass nun fürs erste bei ihm sicher ist. Hastig treibt er das Pferd vorwärts und verschwindet um die nächste Biegung. Erleichtert atme ich aus.

Geschafft!

Ich werde gepackt und ins Gebüsch gezerrt. Ich wehre mich mit Händen und Füßen, doch ein undurchdringbarer, nasser Stoff drückt sich gegen mein Gesicht. Ich versuche, die Luft anzuhalten, doch mein erschöpfter Körper zwingt mich zu meinem nächsten Atemzug. Dieser Geruch … Betäubungsmittel, denke ich noch, bevor ich zusammensacke.

Mika

1

Staubkörner tanzten im Sonnenlicht und ein kleiner, munterer Bach begleitete Mikas Schritte, während sie dem gekennzeichneten Weg folgte. Am Ende erschien eine mit Holz verkleidete Hütte. Sie machte mit ihren hellen, schiefen Wänden einen freundlichen Eindruck, ebenso wie der ältere Mann, der sie davor erwartete. Er winkte ihnen gut gelaunt zu und Mika warf ihrem Bruder Felix einen kurzen Blick zu, bevor die Geschwister ihm in das kleine Häuschen folgten. Holzdielen knarzten unter Mikas Schuhen und ein würziger Geruch hing in der Luft.

Die Wärme ergoss sich über den lichtbesprenkelten Flur und machte auch für den Raum, den sie nun betraten, keine Ausnahme.

Verblüfft schaute Mika sich um. Unzähligen Karten tapezierten die Wände. Mit einem einzigen Blick konnte sie gar nicht sagen, wie viele unterschiedliche Orte ihr hier angezeigt wurden bis sie begriff, dass jede der einzelnen Karten einen anderen Teil desselben Waldes darstellte.

In dem Raum warteten schon die zwei anderen Freiwilligen, die sich ebenfalls zum Testen dieser neuen Tour angemeldet hatten. Auf sie war das Los genauso gefallen wie auf Mika und Felix.

Unschlüssig blieb Mika neben der Tür stehen und wartete auf ihren Bruder, der schließlich auch hereinkam.

„Wie wäre es, wenn ihr euch schon mal gegenseitig vorstellt, während ich noch schnell etwas hole?“, fragte der Mann und war auch schon zur Tür hinausgetreten, ohne auf ihre Zustimmung zu warten. Ein paar Sekunden sagte niemand etwas und die wortlose Stille legte sich über sie. Von draußen klang das Zwitschern vieler Vögel herein und alle warteten darauf, dass einer der anderen zu reden anfing. Schließlich fing der Junge an, der schon vor den Geschwistern dagewesen war.

„Also ich bin Kevin.“ Beim Sprechen unterstrich er seine Sätze mit Gesten. Sein Blick wanderte von einem zum anderen. „Momentan noch sechzehn, aber ich werde bald siebzehn. Ich konnte es nicht fassen, als ich den Briefkasten geöffnet habe und dort den Brief fand. Es bestand zwar eine minimale Chance, zu gewinnen, aber ich habe wirklich nicht damit gerechnet. Ich dachte mir, dass ich zumindest mal schauen sollte, mit welchen Typen ich die nächste Woche rumhängen könnte. Es ist doch ganz schön, mal ein bisschen Abwechslung von diesem trägen Alltagsmist zu haben. Immer dasselbe: Aufstehen, Anstrengung, Essen, Schlafen. Aufstehen, Anstrengung, Essen, Schlafen. Aufstehen …“ Er holte Luft und Mika starrte ihn überrumpelt an. Er war lang und dünn. Sein kurzes, dunkel Haar kräuselte sich auf seinem Kopf und ein paar Pickel zeichneten sich als rötliche Flecken auf seiner Haut ab. Er schien sich nicht sonderlich für zusammenpassende Kleidung zu interessieren. Seine graue, fleckige Jogginghose biss sich fürchterlich mit dem grell neongrünen Shirt.

Kevin fuhr fort, ohne auf die verwirrten Gesichter der anderen zu achten. In seiner Stimme klang eine Unbeschwertheit, die er so unnatürlich betonte, dass sie sich eher wie Spott anhörte. Sein Blick machte den Eindruck, er würde auf die anderen herunterschauen.

Vielleicht war es Absicht, vielleicht auch nicht. In seinen hochgezogenen Augenbrauen war es nicht eindeutig zu sehen und Mika fragte sich, ob er sich in dieser Art über die anderen lustig machte. Sie wartete auf das Ende seiner schier endlosen Rede, doch dieser Junge redete, als hätte er nicht den Plan, jemals wieder aufhören.

„Mein Name ist Mika, ich bin fünfzehn und manchmal zu optimistisch“, unterbrach sie ihn schließlich mit dem für sie typischen Satz und fuhr sich währenddessen mit den Fingern durch ihre wirren, dunkelblonden Locken. Dumme Angewohnheit. Sie lösten sich schon wieder aus dem Knoten, mit dem Mika sie in ihrem Nacken befestigt hatte.

Ihr Bruder Felix übernahm das Wort. Er war ein Jahr älter und einen halben Kopf größer als sie, doch ihre braune Hautfarbe und die ähnlich kräftige Statur ließen dann doch erkennen, dass sie verwandt waren. Mika ließ ihren Blick zu dem anderen Mädchen wandern, das bisher noch kein Wort gesagt hatte. Sie war stämmig und durchtrainiert. Das unregelmäßige, kinnlange Haar war von hellen Strähnen durchzogen und ihre scharfen Gesichtszüge wirkten ungesund blass. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. Mika schätzte sie auf siebzehn, vielleicht auch älter.

„Alles in Ordnung?“ fragte Felix, der sich von der abweisenden Geste keineswegs angegriffen fühlte. Man hätte ihn wie bescheuert anglotzen können und er würde trotzdem höflich bleiben.

Allerdings war er nicht als einziger von der überraschend pampigen Antwort verwirrt.

„Einfach Kate, klar?“

„Warum …?“ Kate winkte genervt ab und ihr Gesicht schien sich wie eine Tresortür zu verschließen. Was für ein Pokerface! Felix zuckte mit den Schultern, doch ehe noch jemand etwas erwidern konnte, kam der Mann zurück, in den Händen eine Mappe mit Unterlagen.

Mika dankte ihm wortlos für das gute Timing, denn Kate schaute die anderen so böse an, dass Mika die Vorstellung, eine Woche mit ihr durch den Wald zu wandern, alles andere als gefiel. Warum hatte sich dieses Mädchen überhaupt für die Tour angemeldet?

Außerdem sah Kevin aus, als würde er gleich wieder anfangen zu reden.

„Nun, erstmal herzlich willkommen! Ich freue mich, dass ihr alle hier seid und am Ende der Woche hoffentlich mit einem guten Feedback und schmerzenden Füßen von unserer neuen Tour berichten könnt. Ich bin der Event Manager. Ihr könnt mich Thomas nennen“, fing er an und unterbrach somit die unangenehme Atmosphäre. „Ihr werdet fünf Tage lang zu viert durch unser Naturreservat wandern. Ausrüstung und Proviant werden euch in regelmäßigen Abständen zur Verfügung gestellt, wenn ihr die Hinweise richtig deutet. Außerdem erwarten euch kleine Rätsel und Aufgaben, die euren Verstand und euren Teamgeist auf die Probe stellen werden.“ Hier unterbrach er sich kurz und musterte die vier, also wollte er ihnen Zeit geben, sich die Informationen einzuprägen. „Dreimal am Tag melden wir uns über Funk bei euch und erwarten eine Berichtserstattung über eure Lage und euer Vorankommen. Wenn ihr nicht weiterkommt oder euch nicht mehr meldet, ist das Spiel zu Ende. Ebenso bei Verlust eurer Ausrüstung, Schummeln, Verlaufen oder unachtsamer Umgang mit Ausrüstung oder Umwelt. Euer Standpunkt und eure Route werden von einem Peilsender aufgezeichnet, den ihr mitbekommt. Ab und zu werden euch außerdem Mitarbeiter aus unserem Unternehmen beobachten, die ihr auch ansprechen könnt, wenn ihr irgendwelche Hilfe braucht. Habt ihr soweit alles verstanden?“

Mika nickte unschlüssig und beobachtete die anderen aus den Augenwinkeln. Felix wirkte so nachdenklich und ernst wie immer.

Kate tat, als würde sie das alles nicht interessieren und Kevin sah aus, als würde er sich auf eine lange Rede vorbereiten. Na toll.

„Ihr könnt jetzt eure Ausrüstung für die nächsten Tage wählen, doch wählt sinnvoll. Ihr dürft fürs erste nur fünf Gegenstände und drei Nahrungsmittel einpacken.“ Damit wies der Event Manager auf einen langgezogenen Tisch an der Rückwand des Zimmers. Mika folgte seinem Blick und ging dann zögernd darauf zu. Er war vollgestellt mit allem möglichen Zeug.

Probeweise blickte sie zu den Rucksäcken, die an der Wand bereitstanden. Welche Größe durften die fünf Gegenstände haben, um alle hineinzupassen? Insgesamt durfte es nicht zu schwer sein.

Sie würde es ja viele Stunden mit sich herumtragen müssen.

Wenig später hatte sie einen Kompass, ein Taschenmesser, ein Seil, eine Taschenlampe und ein Feuerzeug eingepackt. Dazu kam noch etwas Brot, ein Beutel mit Äpfeln und ein großes Stück Käse.

Ebenfalls bereitgestellt wurde jedem von ihnen ein Zahnputzset und eine Isomatte mit Schlafsack, natürlich das Funkgerät, eine Rolle Klopapier, ein Erste-Hilfe-Set und mehrere Flaschen Wasser.

Wechselklamotten hatten sie selber mitbringen müssen.

Während Mika mit geschultertem Rucksack auf die anderen wartete, breitete sich Unbehagen in ihr aus. Es gab gute Sicherheitsvorkehrungen, doch trotzdem konnte dort draußen alles Mögliche passieren. Sie war froh, als es endlich losging und es zumindest etwas gab, mit dem sie sich ablenken konnte.

„Ich habe es noch nie zuvor versucht, aber es ist mir tatsächlich gelungen! 20 Kilometer habe ich in zwei Stunden gejoggt. Könnt ihr euch das vorstellen? Der alte Sportlehrer hat so was von doof geschaut!“ Mika wurde hin und her geschüttelt, während sich der Jeep auf ihren Startpunkt zubewegte. Wenn das so weiterging, würde sie Kevins gesamte Lebensgeschichte innerhalb von zwei Tagen erfahren. Sie betrachtete die anderen. Kates Blick war so grimmig, dass man meinen konnte, die Welt würde morgen untergehen und Felix war mal wieder mit den Gedanken irgendwo anders. Mika merkte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten und lockerte sie schnell wieder. Könnte er nicht wenigstens ab und zu versuchen, sie nicht zu ignorieren? Ihr war klar, dass er es nicht mit Absicht tat, aber dieses scheußliche Gefühl in ihrem Magen ließ sich damit nicht beschwichtigen. Sie atmete tief ein, verdrängte die Gedanken aus ihrem Kopf und versuchte, auf Kevins fragenden Blick hin zu lächeln. Für ein paar fantastische Augenblicke breitete sich eine vollkommene Stille im Inneren des Jeeps aus bis Kevin fortfuhr. „Wie auch immer, einen Tag später habe ich mit meinem Kumpel eine Wette geschlossen, dass ich niemals …“. Mika schloss die Augen. Das konnte ja heiter werden.

2

Der Wagen hielt mit einem leichten Ruck und Kevin sprang als erstes hinaus. Sie befanden sich auf einem kleinen Parkplatz, der anscheinend nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war. Rund um den kiesbestreuten Platz befand sich tiefster Wald. Sie bekamen noch ein paar Anweisungen, dann entfernte sich der Jeep wieder.

Mika schaute ihm nach bis er in diesem grünen Irrgarten zwischen Bäumen verschwand. Ein drückendes Gefühl breitete sich in ihr aus.

Vorhin in der Hütte hatten ihr hunderte Karten einen festen, sicheren Weg versprochen. Nun befand sie sich mitten in der Wildnis. Mit drei Menschen, die sich nicht für sie interessierten.

„Wir wollten nicht hier festwachsen, oder habe ich was verpasst?“,

durchbrach Kevin die Stille und der unangenehme Moment verging endlich. Fortgescheucht von Kevins frotzelnden Worten. „Der Typ meinte, im Umkreis von sechs Metern sei der erste Hinweis für unsere Richtung versteckt“, fuhr Kevin fort und trabte auch schon los, um die Büsche am Rand des Parkplatzes abzusuchen.

„Denken die ernsthaft, dass wir hergekommen sind, um auf dem Boden herumzukriechen?“, brummte Kate genervt und vergrub die Hände in ihren Hosentaschen. Mika spannte sich unwillkürlich an und beeilte sich, Kevin beim Suchen zu helfen. Hauptsache Abstand zwischen sich und Kate bringen.

Sie schätzen die sechs Meter ab und suchten systematisch nach dem ersten Hinweis. Schließlich half auch Felix. Nur Kate stand noch untätig da. Hätte sie ein Handy gehabt, hätte sie es mit garantiert herausgeholt, doch Handys waren leider, leider nicht für die Tour zugelassen. Mit Internet und irgendwelchen Apps wäre es auch zu einfach gewesen und zur Not gab es die Funkverbindung.

Mika vertrieb ihre unnötigen Gedanken und suchte weiter, doch alles, was sie entdeckte, war eine alte, stinkende Plastiktüte, die sich in einem Gebüsch verheddert hatte. Angeekelt hängte Mika sie gut sichtbar in die Zweige. Sollten die Förster sie später mitnehmen. Kevin war schneller als sie, doch obwohl sie alles durchkämmten, fanden sie nichts.

„Wir werden es schon noch finden“, meinte Mika zuversichtlich.

Vielleicht, um ihr optimistisches Image zu bewahren, doch die Zweifel standen ihr wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben. Was, wenn sie schon jetzt bei der allerersten Aufgabe scheiterten? Felix schüttelte nachdenklich den Kopf, schwieg, und suchte weiter. Nur Kevin schaute sich mit gerunzelter Stirn um und dachte wohl fieberhaft nach, was sie übersehen haben könnten. Mika konnte nicht anders. Sie musste lächeln. Wer hätte gedacht, dass Kevin auch mal schweigen konnte?

„Finden? Ihr seid wirklich dümmer, als ich dachte!“ Kates Stimme klang so verächtlich, dass Mikas Puls sich sofort erhöhte. Nur nicht aufregen! Stattdessen suchte sie hastig in ihrem ausgelaugten Hirn nach einer schnippischen Antwort.

„Nun, wenn du weißt, wo der Hinweis ist, dann erleuchte uns.“ Ihre Stimme hatte schärfer geklungen, als beabsichtigt, doch Kate zeigte nur in eine bestimmte Richtung. Dort, in eine Astgabel geklemmt, steckte ein Glas. Direkt vor ihren Augen. Nur wenige Meter entfernt.

Ruhig bleiben!

Kevin grinste erleichtert, joggte los, zog das Glas aus dem niedrigen Versteck und öffnete es. Mika lief zu ihm.

Euer Weg ist dort, wo die die Sonne verweilt in der hellen Tageszeit bis ihr das gefallene Zeichen seht wenn ihr die richtigen Wege geht

Selbst Kate war nähergekommen, um die Schrift auf dem Zettel zu lesen. Es herrschte angespanntes Schweigen, in dem jeder versuchte, schlau aus den wenigen Zeilen zu werden. Doch gerade als Mika ein Licht aufging und sie es erklären wollte, fiel ihr Kate ins Wort.

„Das ist echt Kindergartenniveau! Da hätten sie gleich schreiben sollen, dass unsere neue Richtung Süden ist.“ Mika biss die Zähne aufeinander. Natürlich war das Rätsel nicht so schwierig gewesen, doch wahrscheinlich war es als entspannte Aufgabe zum Einstieg gedacht. Es wäre doch auch irgendwie frustrierend, wenn es gleich extrem schwierig losgehen würde. Sie richtete sich auf und atmete tief durch, doch es fiel ihr leider keine schlagfertige Antwort ein.

So machten sie sich schließlich auf den Weg. Kate stapfte schlecht gelaunt voran (sie hatte ebenfalls einen Kompass) und die anderen folgten ihr. Mika versuchte, vorsichtig aufzutreten und den niedrigen Ästen auszuweichen, doch das gestaltete sich als schwierig. Unterholz versperrte ihnen den Weg und Dornen klammerten sich an Mikas Wanderstiefel, als wollten sie die Vier zum Umkehren bewegen. Um sie herum schien alles gleich auszusehen und sie hatte schon nach kurzer Zeit jegliche Orientierung verloren. Der Wald kam ihr wie ein lebendiges Wesen vor, das sie beobachtete und ihnen in der Stille auflauerte, die nur von Kevins ununterbrochenem Gemurmel gefüllt wurde. Unsinn!

Mika schüttelte den Kopf, doch die Gedanken blieben hartnäckig in ihr zurück. Der Wald hatte nichts gegen sie! Tief atmen, Mika.

Entspann dich! Freu dich über die Natur. Sie ist hier so unberührt, so schön. Sowas bekommst du zuhause nicht so einfach zu sehen!

Doch es war unmöglich.

Ihr Körper fühlte sich an wie eine gespannte Bogensehne. Voller Adrenalin. Irgendwann stoppte Kate und Mika spähte vorsichtig an ihrer Schulter vorbei.

Kein Zweifel, sie hatten das Zeichen gefunden. Ein gewaltiger, entwurzelter Baumstamm lag vor ihnen. Das alte Holz war morsch, an manchen Stellen von früheren Regenfällen aufgequollen und von wildem Moos überzogen. Die vier Jugendlichen gingen näher heran und Mikas Finger glitten über die Rillen und Spuren. Der Baum war voller Leben. Pilze hatten sich im Schatten des Stammes angesiedelt, ihr Wurzelgeflecht tief durch die Erde gezogen und Insekten krabbelten eilig auf dem Totholz umher. Mika staunte.

Alles wurde wiederverwertet, half neuem Leben. Es gab hier keinen Abfall, wie Menschen ihn verursachten.

Die anderen allerdings schienen weniger beeindruckt.

„Okay?“, fragte Kevin nach einer Weile gedehnt. „Irgendwelche Ideen?“ Mika betrachtete den Stamm. Sie hatte eine Idee.

Wahrscheinlich war etwas in einem der vielen Spalten und Höhlen des Stammes versteckt, doch ihr gefiel der Gedanke, in dem Baum herumzustochern, ganz und gar nicht. Felix betrachtete das Holz so ernst, als wäre es eine Felstafel mit Hieroglyphen und Kevin hatte angefangen, hin und her zu laufen. Mika seufzte leise und schaute sich um. Es musste doch noch andere Möglichkeiten geben, etwas zu verstecken. Suchend schweifte ihr Blick umher.

Nichts.

Frustration flutete ihren Verstand. Wie sollte das denn etwas werden, wenn sie sich alle gegenseitig ignorierten? So kamen sie doch nicht weiter! Sie ließ sich auf den Boden gleiten, schloss die Augen und endlich kam ihr eine Idee. Sie war zwar nicht supergenial, aber vielleicht würde sie die Stimmung ein bisschen lockern.

„Lasst uns doch erstmal etwas essen“. Okay, es war wirklich nicht die beste Idee des Jahrhunderts, doch mit vollem Bauch konnten sie sich sowieso besser konzentrieren. Mika überlegte nicht mehr lange, holte ihren Proviant heraus und legte ihn auf ihre Isomatte.

Felix und Kevin schienen leicht irritiert, Kate ignorierte sie. „Na gut.

Wie ihr wollt“, knurrte Mika verärgert. „Dann esse ich eben alleine.“ Es schmeckte alles nicht schlecht, aber der Ärger verdarb ihren Appetit. Schließlich setzte sich Felix neben sie und packte auch seine Sachen aus. Gemeinsam teilten sie sich den Proviant und sogar Kevin steuerte etwas dazu bei. Nur Kate hatte sich auf den Baumstamm gesetzt und ihnen den Rücken zugedreht.

„Wenn ihr weiterhin in diesem Tempo das Essen in euch hineinstopft, wird unser Proviant innerhalb von Minuten schrumpfen. Ihr wisst nicht, wann das nächste Mal etwas nachkommt“, war das Einzige, das sie während der ganzen Zeit sagte und Mika ärgerte sich, dass sie nicht selbst schon früher daran gedachte hatte. Kurzer Hand stand sie auf. Sie würde sich nicht von Kate die komplette Stimmung verderben lassen! In ihr brodelte es wie so oft und sie ballte die Fäuste, presste ihre Wut mit den Fingernägeln in ihre Handflächen. Der Schmerz ließ ihr Gemüt etwas abkühlen und sie atmete ein paar Mal tief ein, bevor sie ein Lächeln auflegte.

Die anderen hatten nichts bemerkt. Ein paar Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht und hinterließen dort streifenähnliche Schatten.

„Was ist eigentlich los mit dir?“

Die Frage kam erschreckend unerwartet.

Langsam hob Mika den Blick und zuckte zusammen. Kate stand vor ihr, schaute ihr direkt ins Gesicht.

Sie hatte es bemerkt, hatte bemerkt, wie schlecht Mika ihre Wut unter Kontrolle hatte.

Verdammt!

Kevin hätte es nicht gesehen und Felix wahrscheinlich auch nicht, doch bei Kate war sie sich nicht sicher. Mika konnte sie nicht einschätzen, konnte sie nicht durchschauen. Sie hätte am liebsten den Blick gesenkt, um nicht mehr in diese Augen schauen zu müssen. Es kostete sie alle Selbstbeherrschung und Kate starrte sie an. Nicht besorgt, nicht misstrauisch. Einfach irgendwie … ausdruckslos. Das machte Mika am meisten Angst.

Doch dann, nur für die Dauer eines Wimpernschlages, schien sich etwas zu verändern. Etwas lag in Kates Blick.

War es Verständnis?

Mika konnte es nicht sagen und doch schienen diese Augenblicke der Stille etwas zu bewirken.

„Hey, Mädels! Was ist denn mit euch los? Ihr sehr aus, als wärt ihr zu Eiszapfen erstarrt.“ Kevins Stimme riss den Augenblick entzwei wie ein Peitschenhieb und die beiden fuhren herum. „Ist ja schon gut.“ Abwehrend hob er die Hände. „Ich wusste nicht, dass ihr wie zwei scheuende Pferde reagiert.“ Langsam ging Mika zu den Jungs und setzte sich schweigend neben sie.

Lange dauerte es jedoch nicht bis sie alle aufsprangen. Kate hatte den nächsten Hinweis entdeckt.

„Wir sind solche Trottel“, stöhnte Kevin frustriert. „Dabei ist es so einfach.“ In der Tat war der neue Hinweis wieder direkt vor ihren Augen gewesen und doch hatten sie ihn nicht gesehen.

Der umgefallene Baum selbst war der Wegweiser, der mit seinen Wurzeln erstaunlich genau in eine Richtung wies. Wahrscheinlich waren sie bei seinem Sturz umgeknickt worden, sodass es wortwörtlich wie eine Pfeilspitze aussah.

Kopfschüttelnd prüfte Mika ihren Kompass. Die neue Richtung war anscheinend Nord-Osten. Sie packten ihre Sachen zusammen und diesmal ging Mika vor. Behutsam bahnte sie sich einen Weg durch das Unterholz und nach einer Weile stießen sie tatsächlich auf einen kleinen Trampelpfad.

3

Die Sonne war schon tief gesunken und Mikas Armbanduhr zeigte 17:15 Uhr an. Sie waren bestimmt schon drei Stunden gewandert und ihre Füße schmerzten. Außerdem waren ihre Wasserflaschen fast leer.

Inzwischen hatten sie den Trampelpfad verlassen und durchquerten ein lichteres Stück Wald mit weniger Unterholz. Das Vorankommen war hier deutlich leichter und bald darauf erkannten sie in der Ferne eine Person, die auf sie zu warten schien.

Schließlich standen sie vor einer Frau, die ziemlich sicher eine der Mitarbeiterinnen der Tour war. Mit einem strengen Blick legte sie ihr Klemmbrett weg und kam dann ohne Umschweife zur Sache.

Mika musste ihre ganze Konzentration zusammennehmen, um die Worte zu sich durchzulassen, denn das mehrstündige Wandern hatte ihrer Motivation einen Dämpfer gegeben. Zudem hatte sie nicht damit gerechnet, dass die erste Station schon heute kommen würde. Musste das wirklich sein?

„Ich sehe, dass ihr den ersten Teil der Strecke gut bewältigt habt.“