Im Tunnel. Eine unheimliche Geschichte - Charles Dickens - E-Book

Im Tunnel. Eine unheimliche Geschichte E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

An einer Eisenbahnstrecke im nördlichen England, dort, wo die Zuggleise durch einen düsteren Taleinschnitt und kurz darauf in den Tunnel führen, geschehen seltsame Dinge: Der Streckenwärter sieht im Tunnel immer wieder eine geisterhafte Gestalt, kurz darauf ereignet sich jedes Mal ein Unglück … Charles Dickensʼ (1812–1870) fesselnde Erzählung, bekannt unter dem Titel "The Signal-Man – Der Bahnwärter",  entstand unter dem Eindruck eines schweren Eisenbahnunglücks 1865 in Staplehurst, Kent, das der Autor zwar knapp überlebte, das ihn aber zeitlebens psychisch belastete. 

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Seitenzahl: 64

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Charles Dickens

Im Tunnel

Unheimliche Geschichten

Reclam

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962171

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962171-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014423-7

www.reclam.de

Inhalt

Im Tunnel

Des Mordes angeklagt

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Nachbemerkung

Im Tunnel

»Hallo! Sie da unten!«

Als er eine Stimme so rufen hörte, stand er an der Tür seines Häuschens, die um den kurzen Stab gewickelte Flagge in der Hand. In Anbetracht der Natur der Umgebung hätte man glauben mögen, dass er mit Bestimmtheit wissen müsse, aus welcher Richtung die Stimme käme; aber anstatt nach der Stelle hinaufzublicken, wo ich auf der Spitze der Anhöhe stand, fast direkt auf der Höhe seines Kopfes, wandte er sich um und sah die Strecke hinunter. Die Art und Weise, wie er das tat, war höchst merkwürdig, obgleich ich für mein Leben nicht hätte sagen können, in welcher Hinsicht. Aber ich weiß, es war so merkwürdig, dass es meine Aufmerksamkeit erregte, obgleich ich seine Gestalt nicht ganz und nur im Schatten sah, unten im tiefen Bahnbett, und ich stand hoch über ihm, von der Glut eines zornigen Sonnenuntergangs so blendend übergossen, dass ich die Augen mit der Hand beschatten musste, ehe ich ihn überhaupt sehen konnte.

»Hallo! Sie da unten!«

Er wandte die Augen vom Gleis ab, drehte sich abermals um, hob die Augen auf und erblickte meine Gestalt hoch über sich.

»Ist ein Weg da, auf dem ich herunterkommen und mit Ihnen reden kann?«

Er sah zu mir herauf, ohne zu antworten, und ich sah zu ihm hinab, ohne ihn allzu früh mit einer Wiederholung meiner lässigen Frage zu belästigen. In diesem Augenblick glitt ein unbestimmtes Beben über den Erdboden und durch die Luft, das sich rasch zu einer heftigen Erschütterung und einem herannahenden Brausen steigerte, vor dem ich zurückwich, als hätte es Kraft, mich zu Boden zu reißen. Als das bisschen Rauch, das von diesem Schnellzug in meine Höhe aufgestiegen war, vorübergeglitten war und über die Landschaft hin schwebte, schaute ich wieder hinunter und sah, wie er die Flagge, die er gezeigt hatte, während der Zug vorbeifuhr, wieder um den kurzen Stab wickelte.

Ich wiederholte meine Frage. Nach einer Pause, während der er mich mit gespannter Aufmerksamkeit zu betrachten schien, winkte er mit seiner zusammengerollten Flagge nach einem Punkt auf meiner Höhe, der zwei- oder dreihundert Meter von mir entfernt war. Ich rief zu ihm hinunter: »Alles klar!«, und ging auf diesen Punkt zu. Dort sah ich mich scharf um und entdeckte einen rauen, ausgekerbten Pfad, der im Zickzack hinunterführte und den ich verfolgte.

Der Geländeeinschnitt, in dem die Bahnstrecke verlief, war außerordentlich tief und ungewöhnlich steil. Er war durch ein feuchtes Gestein gebrochen, das, je tiefer ich kam, umso feuchter und schwammiger wurde. Aus diesem Grund kam mir der Weg ziemlich lang vor, und ich hatte Zeit genug, mich daran erinnern, dass der Bahnwärter mir den Weg mit einem seltsamen Anflug von Widerstreben oder Zwang gezeigt hatte.

Als ich auf dem Zickzackabstieg so weit hinabgeschritten war, dass ich den Mann wieder sehen konnte, bemerkte ich, dass er zwischen den Schienen in dem Gleis stand, auf dem soeben der Zug vorübergefahren war, in einer Haltung, als warte er auf mich. Er hatte die linke Hand ans Kinn gelegt, und der Ellbogen des linken Arms war in die Hand des rechten Arms gestützt, der quer vor der Brust ruhte. Seine Haltung drückte so gespannte Erwartung und Aufmerksamkeit aus, dass ich einen Augenblick stehen blieb, verwundert darüber.

Ich setzte meinen Abstieg fort, trat auf die Ebene der Bahnlinie, näherte mich ihm und bemerkte, dass er ein dunkler, blasser Mann war, mit dunklem Bart und ziemlich dichten Brauen. Seine Arbeit bannte ihn an den einsamsten, trübseligsten Fleck Erde, den ich je gesehen hatte. Zu beiden Seiten eine zum Tropfen nasse Wand rissigen Gesteins, die alle Aussicht versperrte und nur einen Streifen Himmel sichtbar ließ; die Perspektive war auf der einen Seite nur eine krumme Verlängerung dieses großen Gefängnisses; die kürzere Perspektive in der anderen Richtung endete in einem düsteren roten Licht und dem düsteren Eingang eines schwarzen Tunnels, in dessen wuchtiger Halle eine entsetzliche, drückende, ungesunde Luft herrschte. So wenig Sonnenlicht fand seinen Weg zu diesem Fleck hinunter, dass dort ein erdiger Totengeruch herrschte; und so viel kalter Wind brauste dort hindurch, dass mich ein Frösteln überkam, als hätte ich die natürliche Welt verlassen.

Ehe er sich rührte, war ich so dicht an ihn herangetreten, dass ich ihn hätte berühren können. Ohne selbst jetzt die Augen von meinem Gesicht abzuwenden, trat er einen Schritt rückwärts und erhob die Hand.

Er habe hier einen recht einsamen Posten zu verwalten (bemerkte ich), und meine Aufmerksamkeit sei rege geworden, als ich von dort oben herabgeschaut hätte. Ein Besuch sei wohl eine Seltenheit, glaubte ich; doch wie ich hoffte, keine unwillkommene Seltenheit? In mir erblicke er lediglich einen Mann, der sein Leben lang in einen engen Bezirk eingeschlossen gewesen sei und, endlich freigelassen, ein neues Interesse an diesen großen Werken in sich erwachen fühle. In dieser Weise redete ich ihn an; doch bin ich keineswegs sicher, ob dies die Worte waren, die ich gebrauchte; denn abgesehen davon, dass ich mich ohnehin nicht besonders gut darauf verstehe, irgendein Gespräch zu beginnen, fiel mir an dem Mann etwas auf, das mir Furcht einflößte.

Er richtete einen höchst seltsamen Blick nach dem roten Licht hin, das an der Mündung des Tunnels brannte, und sah es von allen Seiten an, als fehle etwas daran, und dann erst blickte er auf mich.

Das Licht dort hätte er also auch zu besorgen? Nicht wahr?

Er antwortete mit leiser Stimme: »Wissen Sie das nicht?«

Als ich die starren Augen und das finstere Gesicht musterte, kam mir der ungeheuerliche Gedanke, dass dies ein Geist sei und kein Mensch. Ich habe seither immer darüber nachgedacht, ob sein Gemüt irgendwie vergiftet gewesen sein könne.

Jetzt wich ich meinerseits zurück. Aber als ich diese Gebärde machte, entdeckte ich in seinen Augen eine versteckte Furcht vor mir. Das verscheuchte meinen ungeheuerlichen Gedanken wieder.

»Sie sehen mich an«, sagte ich mit gezwungenem Lächeln, »als würde ich Entsetzen bei Ihnen auslösen.«

»Ich glaubte im Augenblick fast«, versetzte er, »als hätte ich Sie schon einmal gesehen.«

»Wo?«

Er deutete nach dem roten Licht, das er betrachtet hatte.

»Dort?«, fragte ich.

Indem er mich gespannt ansah, erwiderte er (jedoch unhörbar): »Ja.«

»Mein guter Mann, was sollte ich denn dort? Doch sei dem, wie es wolle, ich bin niemals da gewesen, darauf könnte ich einen Eid leisten.«

»Das könnte ich auch«, versetzte er. »Ja, ich bin überzeugt davon.«

Sein Verhalten entspannte sich, gleich dem meinen. Er erwiderte auf meine Bemerkungen mit Bereitwilligkeit und in wohlgewählten Worten. Ob er viel dort zu tun habe? Jawohl; das heißt, er habe wenigstens viel Verantwortung zu tragen; aber es würde nur