Im Turm des Panopticons - Daniela Rohr - E-Book

Im Turm des Panopticons E-Book

Daniela Rohr

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Beschreibung

„Eingesperrt auf kleinstem Raum … Du glaubst, du wärst diejenige, die die Oberhand hat … Du glaubst, du wärst diejenige, die andere beobachtet … “ Das Panopticon: Raumschiff, gläsernes Gefängnis und Arbeitsplatz von Linea Wermut. Im Turm – einer beengten Kapsel, in der sie lebt, alles steuert und überwacht – ist die sanfte Stimme des Computers ihre einzige Gesellschaft. Knapp eintausend Gefangene stehen unter Lineas Aufsicht. Keiner von ihnen kann sie sehen – keiner weiß, wann sie zusieht. Nur warum scheint es plötzlich so, als wüssten die Insassen genau, wann sie von ihr beobachtet werden? Linea glaubt nicht an Zufälle. Entgegen aller Widerstände versucht sie das seltsame Verhalten der Häftlinge zu ergründen. Ein großer Fehler, wie sie bald feststellen wird …

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Titel

Impressum

Gewidmet

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Danke

Im Turm desPanopticons

 

 

Daniela Rohr

Impressum

 

Im Turm des Panopticons © 2013 Daniela Rohr2.Auflage Oktober 2014

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Autorin: Daniela RohrHausstockweg 3

12107 Berlin

 

[email protected]

 

 

Covergestaltung: Daniela Rohr

Korrektorat/Lektorat: Tobias Benda, Annika Bühnemann,Hauke Gravenkamp, Andreas Hagemann,Markus Muth & Christian Raabe

 

Abschließendes Korrektorat: Rabea Anders

 

 

 

 

 

 

Gewidmet

 

Der StilleDer AbgeschiedenheitDem Recht auf Privatsphäre

********

 

»WIR SIND GÖTTER!«, schrie er und breitete die Arme zu beiden Seiten aus. »GÖTTER EINER NEUEN WELT! Und DAS ist unser Licht der Schöpfung!« Sein Gelächter hallte schrill und bedrohlich durch die elektrisierte Luft. Er war ein Schatten – eine dunkle Gestalt vor einem gleißenden, grünen Gegenlicht.

In Linea stieg Panik auf. Wie ein Strom aus eiskaltem Wasser pulsierte sie durch ihr Herz und schnürte ihr die Luftröhre zu. Sie wollte etwas sagen, etwas schreien, ihm widersprechen. Doch sobald sie ihren Mund öffnete, glaubte sie zu ersticken. Als hätte man ihr eine Plastiktüte über die Lippen gestülpt.

Er reckte seinen Kopf zur Seite, bis sie die Konturen seines Gesichtes erkennen konnte. Ein markantes, männliches Gesicht, voller Verzweiflung und Irrsinn, die aus seinen Augen strahlten. »Lineeeaaaaa«, zischelte er. »Du wirst mir noch dankbar sein.« Es klang weder wohlwollend noch fürsorglich, wie er diese Worte formulierte. Es klang vielmehr nach einer Drohung. Ein Glück, dass es nur ein Traum war.

Linea riss hastig die Augen auf und verdrängte das immer wiederkehrende Traumbild dieses Mannes mit optischen Informationen ihrer Umgebung. Die Orientierung in der Realität stellte an sich kein Problem dar. Sie kannte die spartanische Einrichtung ihres winzigen, kreisrunden Raumes bis ins kleinste Detail. Doch der grelle Schein des riesigen Monitors überstrahlte ihre auf Dunkelheit getrimmten Sehnerven wie das Licht einer Supernova. Nur langsam zeichneten sich die Umrisse der glänzenden Konsole ab, die ihren Arbeitsplatz darstellte. Zu beiden Seiten in die Rundungen des Raumes eingebogen, beanspruchte sie fast die Hälfte der Wandfläche. Und in ihrer Mitte – etwa ein Drittel so breit wie das Bedienfeld – ragte der Monitor aus der gläsernen, schwarzen Tischplatte hervor und flutete den Raum mit seinem grellen, grünblauen Licht.

Linea blinzelte verstört und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie musste wohl für wenige Sekunden eingenickt sein. Nachdenklich blickte sie auf ihre linke Hand, die sachte über den kühlen Funktionsstoff der Armlehne strich. Ihre langen Finger waren zwar nicht sonderlich spannend, aber im Gegensatz zum Bildschirm leichter erträglich, bis sich die Augen an das gegenwärtige Licht gewöhnt hatten. Sie wippte in ihrem Chefsessel ein paar Mal vor und zurück, während sie den Entschluss fasste, sich am Abend einer ausführlichen Maniküre zu widmen. Der Teleskoparm, mit der ihr Sitz an der zweieinhalb Meter hohen Decke befestigt war, quietschte jedes Mal mit einem sanften Fiep, wenn sie zurück wippte.

Linea hatte nun lange genug ihre Finger begutachtet und wandte sich dem Monitor zu.

»Du bist ja immer noch da«, murrte sie. Das Bild hatte sich seit ihrem Sekundenschlaf nicht geändert. Immer noch glotzten diese leblosen Augen in die Kamera und schienen direkt in sie hineinzublicken. Er konnte sie unmöglich sehen. Linea wusste das. Dennoch fühlte sie sich beobachtet. Unangenehm, nicht wahr?, schrien diese Augen ihr entgegen. Er bewegte sich kein Stück. Er stand einfach nur da, starrte sie an und rührte sich nicht.

Linea wischte ihre verschwitzten Finger an dem feuchtigkeitsabsorbierenden Polster der Armlehnen ab, streckte eines ihrer langen Beine nach vorn und zog den Sessel mit geringem Kraftaufwand näher an das Kontrollpult heran. Der Teleskoparm summte leise und besänftigend, als hätte man diesen Ton extra für Lineas Wohlbefinden kreiert.

Gemächlich legte sie ihren rechten Unterarm auf der warmen Glasplatte der Konsole ab. Durch die Berührung leuchteten plötzlich unzählige Symbole in der Mitte des Tisches auf und erfüllten den Raum für eine halbe Sekunde mit den trockenen Klängen eines Xylofons. Linea setzte Zeigefinger und Daumen auf ein kleines leuchtendes Feld und zog sie auseinander. Das Bild auf dem Monitor zoomte heran. Es zeigte das Gesicht des Mannes nun aus nächster Nähe.

Er rührte sich immer noch nicht. Starr wie eine Fotografie stand er direkt an der Glasscheibe seiner Zelle und stierte in die Kamera. Sein hervorstehendes Kinn und seine kantigen Gesichtszüge strotzten vor Männlichkeit. Der militante Bürstenschnitt, der das blonde Haar im Zaum hielt, verstärkte diesen Eindruck. Auf seiner Stirn prangten bereits erste Falten, doch durch das kalte Licht des gläsernen Raumes verblasste die Haut zu dem Antlitz einer Marmorstatue.

Linea zoomte noch näher heran. So nah, dass sie nur noch seine Augen sehen konnte. Interessiert beobachtete sie das Bild eine Weile. Er vollführte nicht eine einzige Bewegung – nicht einmal ein Blinzeln! Verwirrt überprüfte sie den Timecode. Eindeutig kein Standbild.

»Soll mich das etwa beeindrucken?« Linea schaltete zurück auf normale Ansicht und tippte auf diverse Symbole, bis eine kleine Datei erschien. Beeindruckt hatte er sie zwar nicht, aber durchaus ihre Neugier geweckt. Mit ihrem Finger zog sie das Dokument entlang des fließenden Übergangs zwischen Konsole und Monitor hinauf. Das Bild des Mannes schob sich automatisch zur Seite und schaffte Platz für den Text der Datei, die sich nun öffnete.

»Matthew Charles Bennet«, las sie sorgsam vor. »Siebenundzwanzig Jahre alt, Pilot. Sechs Monate Panopticon wegen Verbreitens volksverhetzender Flugblätter. So, so. Ein Schwerverbrecher.«

Linea registrierte eine Bewegung auf der linken Seite des Bildschirms und ließ ihre kühlen blauen Augen hinüberwandern.

Bennet entfernte sich gerade von der Glaswand und setzte sich auf sein Bett. Er wirkte wie ein Soldat. Der Haarschnitt, die steife Körperhaltung, der muskulöse Körper. Vermutlich hatte er den Pilotenschein beim Militär gemacht. Aber das nachzulesen, war ihr die Mühe nun wirklich nicht wert. Linea kaute auf ihrer Unterlippe herum, presste kurz den schmalen Mund zusammen, und schloss die Akte.

»Alexa?«, rief sie mit deutlich härterer Stimme in den winzigen Kontrollraum hinein und blickte unbewusst nach oben, als spräche sie zu Gott. »Setze Matthew Charles Bennet – Zelle R drei – auf die primäre Beobachtungsliste.«

»Verstanden«, hallte eine hypnotische Frauenstimme aus dem Nichts. »Darf ich fragen, mit welcher Begründung?«

»Ich finde ihn gruselig.«

»Wenn ich dich daran erinnern darf: ›Ich finde ihn gruselig‹«, spulte der Computer eine Tonaufnahme von Lineas eigener Stimme ab, »ist kein adäquates Verdachtsmoment. Was darf ich stattdessen vermerken?«

»Ähh …« Linea spielte nachdenklich an ihrer Unterlippe herum, schloss das Bild der Überwachungskamera und tippte eine kleine Schaltfläche auf dem Tisch an. »Dann notiere halt: merkwürdiges Verhalten mit, mit, mit … ersten Anzeichen von … Sens?«

Auf dem Monitor erschien derweil ein Schachspiel, das bereits in vollem Gange war. Linea strich sich eine dunkelbraune Haarsträhne hinters Ohr und prüfte den Sitz ihrer kurzen, streng zurückgekämmten Haare, während sie konzentriert auf den Bildschirm blickte.

»In Überwachungskameras zu starren, ist kein Symptom von Sens«, korrigierte Alexa mit belehrendem Unterton.

»Ach nein? Na dann …« Linea rieb sich genervt über die Augen. »Ich finde, er wirkte sehr steif und zittrig«, wiegelte sie ab. »Jetzt tu endlich, was ich dir sage und nerv mich nicht mit sinnlosen Diskussionen.«

»Wie du wünschst.«

Den gruseligen Anblick von Zelle R-3 hakte sie ab und widmete ihre volle Aufmerksamkeit dem Schachspiel. Lineas Mundwinkel wanderten vergnügt nach oben. »Jetzt krieg ich dich. Dame auf H zwei!« Sie lächelte triumphierend, während der letzte Turm des Gegners fiel. Entspannt lehnte sie sich zurück, verschränkte die sehnigen, durchtrainierten Arme im Nacken und sonnte sich im Glanz ihrer eigenen Genialität. Ihr Gebaren hatte wenig feminine Züge, was sie auch bei jeder Gelegenheit heraushängen ließ, selbst wenn niemand sie dabei beobachtete: Sie lümmelte im Sessel wie ein Kerl. Ihre langen, dürren Beine, weit geöffnet, schlackerten ungeduldig hin und her – sie wie eine Dame übereinanderzuschlagen, käme ihr nie in den Sinn.

»Du bist in drei Zügen schachmatt.« Die süffisante Schadenfreude im Tonfall der sanften Computerstimme war nicht zu überhören.

»Was?« Linea beugte sich ruckartig nach vorn. »Blödsinn!« Mit Entsetzen musste sie beobachten, wie die weiße Dame das Schachbrett entlang glitt und ihren König angriff. Wild suchend zuckten ihre Pupillen über den Monitor. »Moment!«, begehrte sie auf. »Du hast …« – ein resignierter Seufzer – »schon wieder gewonnen. Gerissenes Miststück«, grummelte sie und tippte auf ein leuchtendes Symbol auf dem Touchscreen. Das Schachspiel verschwand und an dessen Stelle erschienen zwölf kleine Fenster, die alle ein ähnliches Bild zeigten: Ein Mensch in einer Glaszelle – erhellt durch kühles, grünblaues Licht.

»Wenn du es wünschst, kann ich meinen Schwierigkeitsgrad an deine Schachkompetenz anpassen«, erwiderte Alexa in einer Akzentuierung, die an Überheblichkeit kaum mehr zu überbieten war.

»Meine Schachkompetenz?« Linea zog verärgert die Augenbrauen nach oben und lehnte sich herausfordernd zurück. »Du gehässiges Stück Technik. Wenn ich deine Programmierung in die Finger krieg, dann werd ich dir mal Manieren beibringen.«

»Möchtest du das spezifizieren?«

»Gern: Ich mach dich zu einem hörigen Sklaven, der mich nur noch mit ›Ja, Euer Ehren‹ oder ›Wie Sie wünschen, Eure Hochwohlgeborenheit‹ anspricht.«

»Darauf bin ich sehr gespannt.«

Linea schüttelte wortlos den Kopf und rutschte im Sessel hinab, bis ihr Gesäß das vordere Ende der Sitzfläche erreichte. Die Rückenschmerzen waren vorprogrammiert. Während sie auf den Monitor starrte, nutzte sie ihre stelzenartigen Beine, um den Stuhl ein bisschen hin- und herzudrehen. Die zwölf Zellen wechselten alle paar Minuten per Zufallsgenerator und zeigten einen anderen Insassen. Und es war jedes Mal das gleiche Bild: Ein schmaler gläserner Haftraum – ausgestattet mit einem spartanischen Bett an der linken Wand und einer Toilette und einer Trockendusche an der gegenüberliegenden Seite. Die hintere Glaswand säumten eine Kommode aus mattem Aluminium und ein hüfthoher grauer Kasten von einem Meter Breite, der seine Funktion nur durch das Betätigen eines weißen Knopfes offenbarte.

Linea wandte ihren gelangweilten Blick vom Monitor ab und drehte den Stuhl um neunzig Grad nach links. Ein gedämpftes Flopp hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Neben dem Kontrollpult stand der gleiche farbenfrohe Klotz wie in den Zellen – nur mit dem Unterschied, dass dieser hier passend zur Form des Raumes gewölbt war. Die Versorgungseinheit – wie sich das Gerät nannte – ragte etwas höher hinaus als die Kontrollkonsole, maß aber lediglich die halbe Breite. In ihrer Mitte befanden sich eine Einbuchtung für Getränkebecher und eine Auffangschale für portionsweise abgeworfene Essensrationen. Im Grunde wie diese Automaten, die man früher in Bahnhöfen aufstellte, nur ohne das Sichtfenster und die Möglichkeit, sich seine Mahlzeit selbst auszusuchen. Daher lag in der Ausbuchtung nun ein gelbes, würfelförmiges Stück Essen.

»Ist schon Fütterungszeit?« Linea warf einen flüchtigen Blick zurück zum Monitor. Die grauen Kästen der Glaszellen hatten ebenfalls kleine Würfel in ihre Auffangbehälter abgelegt. Die Menschen wirkten jedoch nicht sonderlich interessiert. »Was gibt’s denn heute Leckeres?«

»Obstsalat.«

Linea griff sich den gelben Klotz von der Größe eines Apfels und schnupperte daran. »Riecht eher wie Glutamatsuppe, wenn du mich fragst.« Sie biss herzhaft eine Ecke ab und kaute auf dem künstlich erzeugten Nahrungsmittel herum. Die Konsistenz von Bergkäse verbunden mit dem Aroma diverser Früchte war zwar etwas befremdlich, aber nach einer Weile gewöhnte man sich an die seltsame Mischung.

Es grenzte geradezu an Rebellion, dass immer ausgerechnet zum Zeitpunkt des Mittagessens ein paar der Gefangenen beschlossen, das WC aufzusuchen. Als ob sie wüssten, dass ihr Aufpasser zur selben Zeit aß wie sie. Denn weder die Toiletten noch die Duschen bargen ein Minimum an Privatsphäre. Sämtliche Wände bestanden aus Glas und jeder konnte zusehen.

Inzwischen kümmerten Linea diese kleinen Neckereien aber wenig. Sollten sie nur machen. Solange es bei solchen Scherzen blieb …

Allzu viele Möglichkeiten besaßen die Sträflinge ja nicht. Die Hafträume umfassten lediglich neun Quadratmeter. Recht beengt – vor allem, da die Insassen ihren Raum während der gesamten Gefangenschaft kein einziges Mal verlassen durften. Männer, Frauen, Alte, Junge, Dicke, Dünne – alle Nationen und jede Bevölkerungsgruppe war vertreten. Und sie alle verharrten brav in ihren Zellen und verhielten sich ansonsten wie die zivilisiertesten und dadurch auch langweiligsten Gefangenen, die es jemals gegeben hatte.

Die unterforderte Wärterin rieb sich die trockenen Augen, streckte kurz den Oberkörper zu allen Seiten, bis es knackte, und gönnte sich anschließend einen Blick nach draußen. Dasselbe kühle Licht, das die Hafträume ausleuchtete, drang durch die Fenster in den Überwachungsraum hinein. Einseitig verspiegeltes Glas durchzog das gesamte obere Drittel der Wand und erlaubte eine uneingeschränkte Aussicht auf die transparenten Zellen, die sich rund um den Kontrollraum wölbten. Linea hielt sich genau im Zentrum auf – im Mittelpunkt dieses riesigen Gefängnisses – dem Turm des Panopticons.

Die Etagen zogen vorbei, als würde sie in einem Fahrstuhl sitzen, der sie im Schneckentempo zu den höhergelegenen Stockwerken eines Hochhauses führte. Linea mochte den Gedanken, dass sich der Turm bewegte. Dadurch fühlte sie sich nicht so eingesperrt und festgesetzt wie ihre Arrestanten. Von ihrem Standpunkt aus wirkte das Panopticon fast schon wie ein edles Bürogebäude. Allerdings war es kein Gebäude: Die hell erleuchteten Hafträume mochten ganz gut verbergen, was sich dahinter erstreckte – doch alle zwanzig Minuten erreichte der bewegliche Turm das obere Ende des Panopticons und erlaubte seinem Bewohner für kurze Zeit einen phantastischen Panoramablick auf den Planeten Erde.

Linea blickte hinauf und entdeckte bereits den Abschluss der Zellen. Selbst nach über fünf Monaten hatte sie sich an diesem Anblick nicht sattsehen können. Zwar hatte sie den Job nicht wegen der schönen Aussicht angenommen, aber es war definitiv eine Entschädigung für die Isolation und den Platzmangel ihres kleinen Turmes.

Gerade als sie begann, den Ausblick auf die Erde zu genießen, blitzte am Rande ihres Sichtfeldes ein grünes Licht auf. Interessiert schaute sie zu der Stelle, an der sie glaubte, etwas gesehen zu haben, doch abgesehen von den üblichen Sternen konnte sie nichts Auffälliges entdecken. Ob sie soeben eine Supernova gesichtet hatte? Linea missfiel diese Vorstellung. Sie wusste nicht, warum, aber der Gedanke an tote Sterne deprimierte sie. Ein Aufleuchten, das sie lediglich aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte – ein ziemlich mickriges Erlebnis für ein so gigantisches Ereignis.

Plötzlich durchzog ein aufdringlicher Klingelton die beengte Kabine und zerrte Linea zurück in ihre kleine Welt.

»Eingehendes Gespräch«, kommentierte Alexa.

»Von wem?«

»Anthes.«

Linea musste sofort lächeln. »Stell ihn durch.«

Der Bildschirm zeigte nach einem flüchtigen Aufflackern das sanfte Gesicht eines verschmitzt lächelnden Mannes. Seine zerzauste, kastanienbraune Lockenpracht stand wie gewöhnlich in alle Himmelsrichtungen ab, schaffte es jedoch nicht, die Aufmerksamkeit von dieser Nase abzulenken, die – schief und zur Spitze hin ausladend – das ansonsten ebenmäßige Antlitz verunstaltete.

---ENDE DER LESEPROBE---