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Ein alter Mann erinnert sich an längst vergangene Abenteuer an der Seite eines Freundes, der in seinem viel zu kurzen Leben viel zu viele Opfer bringen musste. Der gegen das bittere Los seines Stammes der Mescaleros, seiner ganzen Rasse ankämpfte wie wohl kein anderer. Und doch scheitern musste, in den "Dark and bloody grounds" des Wilden Westens…
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Seitenzahl: 544
Veröffentlichungsjahr: 2025
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2201 Aufbruch ins Ungewisse
2202 Auf der Spur
2203 Der schwarze Josh
2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan
2205 Heiße Fracht für Juarez
2206 Maximilians Gold
2207 Der Schwur der Blutsbrüder
2208 Zwischen Apachen und Comanchen
2209 Der Geist von Rio Pecos
2210 Fragwürdige Gentlemen
2211 Jenseits der Grenze
2212 Kein Glück in Arizona
2213 Unter Blutsbrüdern
2214 Im Land der Saguaros
2215 Der Schatz der Kristallhöhle
2216 Das Gold der Apachen
2217 Bloody Fox
2218 Das Herz des Donnervogels
2219 Blutige Schluchten
2220 Schamanen
2221 Die Opfer des Apachen
Im wilden Westen Nordamerikas
Buch 21
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© 2025 Blitz Verlag
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
2221 vom 22.03.2025
ISBN: 978-3-689-84368-7
Winnetous Opfer
Bittere Stunden
Weggefährten
Erinnerungen
Ein unverhofftes Wiedersehen
An den Red Feather Lakes
Vergeltung
Radschi Pack
Zukunftspläne
Abschied
Der Überfall
Die Reise nach Tekrit
El Chabir
Amirah
Wieder bei den Haddedihn
Ein Wiedersehen
Abu en Nil
Nach Siut
Die Töchter der Fessarah
Die Baggara
Festgesetzt
Die Festung in der Wüste
Im Kerker
Mein Freund, der Reïs Effendina
Von St. Louis in den Westen
Ein Suchtrupp
Nachwehen des Krieges
Neuanfang
Schwestern
Soldaten am Rio Pecos
Naiche
Die Familie Bender
Rot und Weiß
Mit sanfter Gewalt
Winnetous Pferde
Santiago
Im Pueblo
Bär und Falke
Irgendwann ...
Bettina Schneider
Winnetous Opfer
Es sind nun fast dreißig Jahre vergangen, seit ich das erste Mal vom drohenden Untergang des roten Mannes geschrieben habe. Unabwendbar sei er, vermutete ich damals, angesichts des Grauens, das sich im ganzen Westen der Vereinigten Staaten vor meinen Augen abspielte. Winnetou und ich waren Zeugen dieses wohl beispiellosen Kampfes der roten Rasse, die erdrückt zu werden drohte unter der Übermacht der Weißen. Doch auch der ewige, jahrhundertealte Streit der einzelnen Stämme untereinander hatte zu diesem drohenden Untergang geführt. Die dark and bloody grounds des amerikanischen Westens, in denen Rache und Stolz regierten, vor allem aber die Gier nach dem deadly dust, hatten Millionen von Todesopfern gefordert.
Auch mein lieber Freund und Bruder war in diesem Blutrausch untergegangen – und doch hatten gerade sein Beispiel, seine Selbstlosigkeit und seine Liebe für sein Volk etwas bewegt, womit nur die wenigsten noch gerechnet hatten: Es hatte der roten Rasse einen Ausweg gezeigt aus diesem Teufelskreis des Todes. Jetzt, endlich, ein ganzes Menschenalter nach seinem Tod am Hancockberg, feierten sie ihren Winnetou und strebten ihm und seinen Idealen nach: Es waren die jungen Menschen der roten Völker, die den Hass hinter sich ließen und sich die Hände reichten, um mit neuem Selbstbewusstsein den Neuanfang zu wagen, in seinem Namen. Und ich, der alte Mann, durfte Zeuge werden dieses Aufbruchs in eine neue Zukunft! Ich fühlte eine Dankbarkeit und Freude, die nur einen Wermutstropfen enthielt: Ich hätte sie so unendlich gerne geteilt, mit ihm, dessen Opfer für sein Volk also doch nicht umsonst gewesen waren.
Wir hatten uns für einige Tage von Tatellah-Satah verabschiedet und waren in den Pueblo der Mescalero am Rio Pecos zurückgekehrt, das Herzle1 und ich. Sie hatte sich fröhlich nach Kochgelegenheiten umgesehen und war dann mit den beiden Aschtas, die uns gemeinsam mit dem Dakota-Medizinmann Wakon hierher begleitet hatten, an den Fluss hinuntergegangen, während ich mich in meine Wohnung zurückzog. Ich wollte mit dem Abschreiben von Winnetous Testament beginnen, doch stattdessen saß ich nun in diesem Raum, in dem ich als junger Mann gegen Wundfieber und Tod angekämpft hatte, und konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich ein Kreis zu schließen begann. Ich sah Winnetou und mich in diesem Raum stehen, erst noch als Feinde, dann als Freunde, die langsam begannen, einander zu vertrauen. Wie war diese Zuneigung, die wir schon im allerersten Moment beide gefühlt hatten, im Laufe der Jahre gewachsen.
In wenigen Tagen jährte sich sein Tod zum zweiunddreißigsten Mal. Fast so viele Jahre, wie er gelebt hatte. Was hätte er wohl gedacht über den Flug des Jungen Adlers, über die Versöhnung mit den alten Feinden wie Tangua und To-kei-chun – und über den Clan Winnetou? Er wäre ebenso glücklich gewesen wie ich heute, über das geistige und seelische Erwachen so vieler junger Menschen seiner roten Rasse.
Ich musste an die Worte Intschu-intas denken: „Er hat sterben müssen. Denn nicht sein Leben, sondern sein Tod hat alle Stämme der Apachen und alle roten Völker aufgeschreckt, doch endlich die Augen zu öffnen und einzusehen, wie köstlich das Leben eines einzelnen Menschen ist, um wie viel köstlicher und unersetzlicher also das Leben einer ganzen Nation, einer ganzen Rasse! Wir waren blind. Wir sind nun sehend geworden.“
So manch einer mochte ihm beipflichten, vielleicht hätte auch Winnetou selbst ihm Recht gegeben. Dennoch war mir eines klar: Ohne das Leben, das er geführt hatte, das Vorbild, das er gewesen war, seine zutiefst empfundene Menschlichkeit, seinen Weg der Versöhnung und der Toleranz, vor allem aber die unbeschreiblichen Opfer, die er gebracht hatte, gäbe es heute keinen Clan Winnetou, keine indianischen Schutzengel und keinen neuen Horizont für sein Volk.
Wie viel schwerer war sein kurzes Leben gewesen als das meinige. Während ich voller Abenteuerlust die Welt durchstreifte, trug er eine enorme Verantwortung. So viel Leid hatte er ertragen, viel zu viel für ein so kurzes Leben. Dabei war er nicht nur den eigenen Idealen, sondern vor allem auch den meinigen gefolgt. Zunächst aus Zuneigung zu mir, das war mir wohl bewusst. Doch schon bald auch aus eigener Überzeugung. Wie dankte ich auch heute noch Gott, dass er sich am Grab seines Vaters und seiner Schwester für den Weg der Versöhnung entschieden hatte, und nicht für Rache, Hass und Gewalt. Es war ein schwerer Weg gewesen, dessen Ziel er nicht mehr erlebt hatte, der mich aber heute mit großem Stolz erfüllte.
Und doch: Wie sehr hätte ich ihm, meinem lieben Freund und Bruder, ein sorgenfreieres Leben gegönnt und viele seiner Schmerzen mit Freuden auf mich genommen. So wie damals, als er in die Hände der Naiini fiel, die mit zu unseren Todfeinden zählten.
1Kosename von Klara May (siehe Reiseerzählung Winnetou IV)
Bittere Stunden
Es regnete seit Stunden. Reiter und Pferde ließen die Köpfe hängen und trotteten langsam durch den zähen Brei, in den sich der Prärieboden verwandelt hatte. Wir sehnten uns vergeblich nach einem wärmenden Lagerfeuer und einem Braten. Heute würde es diese kleinen Freuden aller Westmänner nicht für uns geben.
„Wie gut du es doch hast, Pitt Holbers, altes Coon, dass du so lang und dünn bist. An dir läuft das Wasser einfach nur herunter wie an einem alten Baumstamm, während es bei mir in allen Rundungen hängen bleibt“, stöhnte neben mir der alte Dick Hammerdull und fuhr sich mit seinem verwaschenen Halstuch über das runde Gesicht. Da das Tuch jedoch ebenso triefte wie alles andere an ihm, warf er es ungeduldig fort und trieb seine alte Stute ein wenig an, um neben seinen Busenfreund zu gelangen.
„Wenn du denkst, lieber Dick, dass ich deshalb trockener wäre als du, so täuschst du dich leider. Und dein ganzes Fett hält dich doch zumindest warm“, gab der klapperdürre Pitt zurück.
Hammerdull nieste heftig. „Ob Fett oder nicht, das bleibt sich gleich, denn warm ist mir deshalb noch lange nicht. Können wir nicht doch irgendwo einen Unterschlupf suchen für heute Nacht, Mister Shatterhand? Sonst ersaufen wir noch in dieser alten Prärie.“
Ich seufzte. Mir ging es nicht anders als den beiden Gefährten, die ich in Oklahoma City zufällig getroffen und mit auf die lange Reise nach New Mexiko genommen hatte. Die beiden verkehrten Toasts gehörten zu meinen liebsten Begleitern, und das nicht nur ihres ständigen drolligen Wortgeplänkels wegen. Sie waren erfahrene Westmänner und treue Freunde. Eine bessere Begleitung konnte es nicht geben.
Ich war auf dem Weg zu Winnetou, den ich monatelang nicht mehr gesehen hatte. Bei meiner Abreise damals hatte ich ihm versprochen, ihn diesmal wirklich nicht länger als ein Jahr warten zu lassen. Als ich in St. Louis eintraf, erwartete mich bei unserem alten Freund Henry die Nachricht, dass Winnetou zu den Navajos wollte, um unseren Freund Nitsas-Ini und seinen Sohn Schi-So zu besuchen. Im Dorf des Häuptlings werde er mich erwarten. Das war nun drei Wochen her und die Reise schien kein Ende nehmen zu wollen. Irgendetwas machte mich unruhig, es war, als ob ich mir keine Rast erlauben dürfe, als müsse ich noch heute bei Winnetou eintreffen.
Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Unser junger Freund Rost, der damals mit uns hinauf in die winterlichen Rocky Mountains geritten war, hätte es wohl eine innere Stimme genannt, die da zu mir sprach. Für mich war es eine Ahnung, wie ich sie im Lauf der Jahre viele, viele Male gespürt und wohlweislich nie ignoriert hatte. Auch Winnetou hatte diese Ahnungen immer sehr ernst genommen.
Es fiel mir also schwer, meinen beiden Begleitern den mehr als verständlichen Wunsch nach einem trockenen Plätzchen zu erfüllen. Ich wollte weiter, wusste aber auch, dass es unklug war, mich allein in diese nasse, stockdunkle Wildnis zu wagen. Es war viele Jahre her, dass ich diesen Weg in Richtung der Navajo-Berge eingeschlagen hatte. Bei Tag war ich mir des Weges sicher, doch jetzt sah man die eigene Hand nicht mehr vor den Augen.
„Ich erinnere mich, dass wir etwa in einer halben Reitstunde an einen kleinen Creek kommen müssten. Dort gibt es Bäume, und wenn wir Glück haben, auch einen Unterschlupf für uns und die Pferde“, rief ich ihnen zu. Wir trieben die müden Tiere ein wenig an und kamen tatsächlich bald darauf an den Bach und eine kleine Gruppe von Bäumen, die man zwar nicht gerade als Wald bezeichnen durfte, die jedoch so dichtes Laub aufwiesen, dass wir innerhalb kürzester Zeit einen ganz beachtlichen Regenschutz über uns errichtet hatten. An Feuer war nicht zu denken, dazu war alles um uns herum einfach zu nass, doch zumindest waren wir nun dem Sturzregen nicht mehr ganz so arg ausgesetzt und konnten ein wenig schlafen. Meine beiden Gefährten schnarchten trotz der klammen Kleidung innerhalb weniger Minuten. Ich jedoch wurde die Unruhe nicht los, die mich seit Stunden quälte.
Schließlich stand ich auf und trat aus dem kleinen Unterschlupf hinaus ins Freie. Der Regen hatte aufgehört, und die Sterne standen über uns, als ob sie das kleine Tal nur für uns erleuchten wollten. Ich ging die wenigen Schritte hinüber zum Creek, zog den nassen Jagdrock und das Hemd darunter aus und hängte beides über einen Strauch, wo sie trocknen sollten. Schon wollte ich zurück zu meinem Rotfuchs – Hatatitla war bei den Apachen geblieben und erwartete mich dort –, um mir ein hoffentlich noch trockenes Hemd aus der Satteltasche zu holen, als ich sah, wie sich hinter dem Strauch etwas bewegte. Ich griff nach dem Revolver und rief: „Wer da! Komm heraus oder ich schieße!“
Ein leises Stöhnen war zu hören. Ich trat näher und sah einen Mann im Gras liegen, der vergeblich versuchte, sich aufzurichten. Vorsichtig näherte ich mich, den Revolver immer noch schussbereit in der Hand – doch dann erkannte ich ihn. Es war Yato-Ka, einer der Mescalero aus Winnetous Dorf und einer seiner besten Freunde. Er lag auf dem Bauch und stöhnte erneut. Vorsichtig drehte ich ihn auf den Rücken und erschrak. Unterhalb seiner rechten Schulter klaffte eine tiefe Wunde.
„Dick, Pitt, wacht auf! Wir haben Besuch! Versucht doch mal, ob ihr Feuer machen könnt!“, rief ich den Gefährten zu und hörte sofort, wie sie aufsprangen. Hammerdull kam zu mir gelaufen, und gemeinsam zogen wir den Apachen näher an den Creek. Vorsichtig wuschen wir die Wunde, die tief und sicher nicht ungefährlich war. „Dick, sucht aus meiner Satteltasche die sauberen Bandagen, die ich immer bei mir trage, und dann verbindet Ihr ihn vorsichtig. Ich werde versuchen, Tschitutlischi zu finden, damit wir die Entzündung lindern und hoffentlich das Wundfieber verhindern können.“
Hammerdull lief, die sauberen Tücher zu holen, und kam schnell mit Holbers zurück. Ich konnte Yato-Ka ihrer Obhut überlassen und suchte mir am Rande des kleinen Wäldchens zunächst einen harzigen Ast, den ich mit meinem glücklicherweise noch trockenem Punks1 anzündete. Jetzt hatte ich genug Licht, um die Heilpflanze zu suchen. Leider fand ich nur ein paar recht kleine Exemplare, doch für eine erste Behandlung war es genug. Als ich zu den Toasts zurückkehrte, sah ich, dass Yato-Ka langsam erwachte. Er sah mich kommen und wollte sich aufrichten, doch ich drückte ihn sanft wieder zurück auf den Boden. „Mein Bruder ist verletzt, er darf sich jetzt nicht anstrengen. Ich werde Tschitutlischi auf die Wunde legen und dich verbinden. Später wirst du uns erzählen, warum du allein und verletzt hier am Creek liegst.“
„Yato-Ka dankt seinem weißen Bruder für seine Fürsorge, doch was er ihm zu sagen hat, das kann nicht warten“, stieß er unter sichtlichen Schmerzen hervor. „Und wenn Yato-Ka stirbt, so stirbt auch Winnetou!“
Ich sah ihn erschrocken an. „Was meint mein roter Bruder? Wo ist Winnetou?“
„Eine Gruppe von Comanchen hat uns vor zwei Tagen gefangen genommen. Wir wollten dir entgegenreiten, wurden jedoch von ihnen überrascht. Wir versuchten zu fliehen, doch Winnetous Pferd blieb im Bau eines Präriehundes hängen und stürzte. Als ich mich zu ihm umdrehte, traf mich ein Schuss in die Brust. Mein Pferd ging durch und so entkam ich trotz der Verwundung. Vupa Umugi, Winnetous alter Feind, wird ihn martern und töten.“ Kraftlos schloss er die Augen.
Mehr denn je wollte ich aufspringen und fortreiten, denn ich wusste nun, dass meine Ahnung mich zu Recht vor Unheil gewarnt hatte. In diesem Moment war mir eiskalt vor Angst um den Freund und Bruder, denn Vupa Umugi, den wir damals im Llano Estacado so gedemütigt hatten, hasste ihn zutiefst, das wusste ich nur zu genau.
„Yato-Ka, wo lagern die Naiini?“
Wieder stöhnte er leise. „Folge dem Creek zwei Stunden lang ... dann liegt auf der rechten Seite ein großer Wald. Dort haben sich die Comanchen verkrochen ... Geh, rette deinen Bruder!“, stieß er noch hervor, dann verlor er wieder das Bewusstsein.
„Dick, Ihr beide müsst hierbleiben und Yato-Ka pflegen. Gebt ihm viel zu trinken und wechselt erst morgen den Verband, und auch erst dann, wenn ihr noch ein paar der Kräuter gefunden habt. Ihr kennt sie ja. Ich muss fort, muss sehen, was bei den Naiini passiert.“ Ich zog das noch feuchte Hemd und den Jagdrock über, griff nach den beiden Gewehren, überprüfte sie und saß zwei Minuten später auf dem Pferd. Die beiden Toasts sahen mir nach und wünschten mir Glück, das wusste ich, auch wenn ich die Worte selbst nicht mehr hören konnte.
Winnetou und ich waren feindlichen Stämmen schon oft in die Hände gefallen und hatten uns doch immer wieder retten können, durch List, durch gewonnene Zweikämpfe und auch durch Verhandlungstaktik und Überredungskunst. Doch diesmal, das war mir klar, befand sich Winnetou in den Händen eines seiner unerbittlichsten Gegner. Die Comanchen lagen schon seit Jahren mit den Apachen in ständigem Krieg, doch der Hass Vupa Umugis gegen alle Apachenstämme ging noch weit über den seiner Stammesgenossen hinaus. Auch mich hasste er, als Weißen, aber vor allem auch deshalb, weil ich ihn damals, bei unserem Aufeinandertreffen im Llano Estacado, vor seinen Kriegern lächerlich gemacht hatte. Aus Angst davor, dass ich seine Medizinen verbrennen würde, hatte er sich uns mit hundertfünfzig Naiini kampflos ergeben. Er würde jeden von uns auslöschen, wenn er uns zu fassen bekam, das war mir klar.
Seit Jahren war mir nicht mehr so bang gewesen um den Apachen. Immer wieder trieb ich das Pferd an, bis ich schließlich im Morgengrauen den Wald vor mir sah, den Yato-Ka erwähnt hatte. Ich ritt einen kleinen Bogen und band den Rotfuchs zwischen zwei dichten Strauchgruppen an, wo ihn wohl kaum jemand entdecken würde. Noch lag dieser Teil des Waldes fast gänzlich im Dunkeln, und so fiel es mir nicht schwer, mich vorsichtig an das Lager der Comanchen anzuschleichen. Ich nahm mir Zeit, obwohl ich mich sehr zwingen musste, nicht einfach ins Lager hineinzulaufen und nach Winnetou zu suchen. Endlich sah ich die Naiini vor mir. Sie waren gerade erwacht, zündeten die Lagerfeuer wieder an und begannen, sich Fleisch für das Frühstück zu braten. Ich ließ den Blick durch das Lager schweifen, doch Winnetou war nirgends zu entdecken. Da hörte ich endlich den Ruf Vupa Umugis: „Bringt den Apachenhund wieder an den Marterpfahl! Er wird auch heute noch viele Schmerzen ertragen müssen, bevor er sich zu seinen Ahnen begibt! Howgh!“
Und da kamen sie auch schon: Vier Krieger, die Winnetou an den Armen zu einem kräftigen Pfahl schleiften, ihn dort aufrichteten und festbanden. Aus eigener Kraft konnte er nicht stehen. Sein Kopf hing herunter, sein herrliches langes Haar fiel ihm wirr und schmutzig über das Gesicht. Ich sah, dass er von Wunden übersät war, an den Armen, Beinen, sogar aus seinen beiden Schultern lief ihm das Blut herunter, über die mit sich kreuzenden Messerschnitten fürchterlich zugerichtete Brust. Ich schloss die Augen, hätte fast aufgeschrien vor Entsetzen und Schmerz, ihn so zu sehen. Doch ich musste ruhig bleiben, musste einen kühlen Kopf bewahren, wenn ich ihn noch retten wollte. Und doch musste es auch schnell gehen, denn weitere Martern würde er nicht überleben, das war mir klar. So rasch ich konnte, schlich ich mich zurück zu meinem Pferd und griff nach dem Henrystutzen. Wie oft hatte das eigentlich so fürchterliche Gewehr von meinem alten Henry uns das Leben gerettet. Es musste auch diesmal für die Entscheidung sorgen, denn ein langes Abwarten und Taktieren war unmöglich.
Wieder verging fast eine halbe Stunde, bevor ich mich nahe genug am Lager befand, diesmal näher an dem Baum, an den man meinen geliebten Freund gefesselt hatte. Gerade als ich mich zentimeterweise vorwärts schob, begann das Martern von Neuem. Ich sah, wie Messer erst in Winnetous linken, dann auch in seinen rechten Oberschenkel geworfen wurden. Er zuckte nicht einmal zusammen, doch ich hörte, wie er begann, leise und stockend das Totenlied der Apachen zu singen. Es drang mir durch Mark und Bein. Noch nie war es mir so schwergefallen, mich auf das Notwendigste zu konzentrieren: Ich brauchte eine Idee, irgendetwas, das mir helfen würde, mich gegen den Häuptling durchzusetzen – so wie damals, als ich seine Medizinen im Kaam-kulano an mich gebracht und als Druckmittel benutzt hatte.
Zwei Pfeile. Sie trafen Winnetous Oberarme – und der leise Gesang brach ab. Ich konnte nicht mehr warten, es trieb mich zu ihm, koste es, was es wolle. Ich nahm den Stutzen in die rechte, einen Revolver in die linke Hand und sprang aus dem Gebüsch. Mit drei Schritten stand ich vor Winnetou und schützte ihn so zumindest vor weiteren Attacken der Comanchen. Zwei Krieger waren schon bereit zum Wurf ihrer Tomahawks, die Winnetou mit Sicherheit getötet hätten.
„Die Comanchen mögen hierher sehen! Old Shatterhand ist gekommen, seinen Bruder Winnetou aus ihren Händen zu befreien! Ihr kennt mein Zaubergewehr! Und ich verspreche euch: Der Erste, der auch nur einen Finger rührt, bekommt eine Kugel in den Kopf!“, Winnetou hatte auf mein Erscheinen nicht reagiert, war also wohl besinnungslos. Vor mir sah ich einen Kreis von etwa fünfzig Kriegern, die jetzt völlig verblüfft auf mich starrten. Dem alten, knochigen Vupa Umugi fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er mich sah, doch dann stieß er ein lautes, hasserfülltes Geheul aus und seine Krieger stimmten sofort ein.
„Ist Old Shatterhand gekommen, seinem Blutsbruder beim Sterben zuzusehen? Wie freut sich Vupa Umugi darüber, denn jetzt werden wir euch beide töten! Winnetou wird noch erleben müssen, wie wir dich genauso martern wie ihn und dich dann noch vor ihm in die ewigen Jagdgründe schicken. Und das Volk der Comanchen wird jubeln über das Ende seiner größten Feinde!“, brüllte Vupa Umugi.
„Wenn wir sterben, wirst du uns vorausgehen, Vupa Umugi – denn dich trifft die erste Kugel aus meinem Gewehr. Ich werde auf deine Medizin zielen, denn ich sehe, dass du sie diesmal um den Hals trägst und nicht im Kaam-kulano gelassen hast. Mach dich also bereit!“ Ich steckte den Revolver in die Tasche und zielte mit dem Stutzen auf seine Brust, an der eine der Medizinen hing, die ich damals im Llano Estacado fast angezündet hatte. Auch diesmal erschrak Vupa Umugi, der wohl auch jetzt noch fest davon überzeugt war, dass ihn der Verlust seiner Medizin auch um seine Seele bringen würde. Er zögerte einen Moment, doch dann packte ihn wieder der Grimm. „Und dennoch wirst du sterben, denn meine Krieger werden dich ergreifen, auch wenn viele dabei ihr Leben verlieren werden. Du kannst uns nicht alle erschießen!“
Damit hatte er freilich Recht. Es war eine Patt-Situation, aus der ich in diesem Moment auch keinen Ausweg wusste, vor allem, weil ich im Grunde nur eines wollte: Winnetou vom Pfahl zu schneiden und ihn, so schnell es ging, zu verbinden und in Sicherheit zu bringen.
„Scharlih ...“, hörte ich ihn hinter mir meinen Namen hauchen, doch dann war es wieder still. Ich konnte mich nicht zu ihm umdrehen, da ich die Comanchen keine Sekunde aus den Augen lassen durfte. Doch was nun? Vupa Umugi brüllte immer noch, er beschimpfte mich und drohte mir mit dem schlimmsten Tod, den je ein Krieger durchlitten habe. Doch es blieb bei leeren Worten, keiner der Comanchen hatte den Mut, mich trotz des Zaubergewehrs anzugreifen. Dabei wussten sie genau, dass ich kaum etwas erreichen würde, wenn ich auf sie schoss. Alle konnte ich nicht töten. Und auch Winnetou von seinen Fesseln zu befreien, würde mir nicht helfen, er war viel zu schwer verwundet, um mit mir gehen zu können. Ich saß also fest, und das Einzige, was ich in diesem Moment verhindern konnte, war, dass sie ihn weiter quälten.
Ich öffnete schon den Mund, um mit Vupa Umugi zumindest zu verhandeln, als ich plötzlich hörte, dass sich Pferde näherten. Auch viele der Naiini drehten sich um und sahen den Ankömmlingen entgegen. Mir sank das Herz, denn es war ein großer Trupp weiterer Comanchen, die von Vupa Umugis Kriegern mit begeistertem Geheul empfangen wurden.
„Siehst du nun, dass du sterben wirst? Du und der räudige Apache?“, lachte Vupa Umugi, der aber trotz seiner drohenden Worte und Gesten immer noch keine Anstalten machte, seine Krieger auf mich loszuschicken, aus Respekt vor meinem Stutzen, der nach wie vor auf seine Brust und seine Medizin gerichtet war.
„Scharlih ...“, stöhnte Winnetou wieder fast unhörbar hinter mir. Sollten wir diesmal wirklich beide den Tod finden? Auf Hammerdull und Holbers konnte ich nicht rechnen, die würden Yato-Ka nicht im Stich lassen und zumindest in den nächsten Stunden nicht nach uns suchen.
„Was geschieht hier?“, hörte ich plötzlich eine laute Stimme und einer der Neuankömmlinge kam auf uns zugeritten. Fünf Jahre waren seit unserer letzten Begegnung vergangen und aus dem Jüngling ein breitschultriger, hochgewachsener Mann geworden, doch ich erkannte ihn sofort.
„Old Shatterhand grüßt seinen Bruder Schiba-bigk!“, rief ich ihm entgegen. Er sah mir kurz in die Augen, dann schweifte sein Blick zu Winnetou. Ich sah, wie sich seine Augenlider für eine Sekunde senkten, fast um ein Erschrecken zu verbergen, dann wandte sich der Sohn Tevua-schohes, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, dem Häuptling der Naiini zu. „Mein älterer Bruder befindet sich auf dem Kriegspfad?“
„Nein, aber diese beiden Männer müssen dennoch sterben! Der räudige Hund von Apache fiel vor zwei Tagen in meine Hände, und nun hat uns der Große Geist auch seinen weißen Bruder hierhergetrieben, damit er unter den größten Qualen sterben und mir in den ewigen Jagdgründen einst dienen wird.“
Schiba-bigk antwortete: „Eisenherz weiß, dass Vupa Umugi unstillbaren Hass gegen diese beiden Männer fühlt und ihren Tod wünscht. Old Shatterhand jedoch hat sein Zaubergewehr noch in der Hand und könnte für ein fürchterliches Wehklagen unter den Naiini sorgen, wenn er es zum Schutz seines Blutsbruders einsetzt. Er wird es tun, wenn es um Winnetous Leben geht. Und Vupa Umugi würde als Erster sterben, wie ich sehe. Werden meine Brüder es mir erlauben, in diese Situation als Vermittler einzugreifen?“
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte damals, in der Oase von Bloody Fox, viel und lange mit Schiba-bigk gesprochen, und wir waren als Freunde auseinandergegangen. Ich wusste, dass die alten Comanchen-Häuptlinge wie Vupa Umugi und Nale-Masiuv es ihm im Llano übelgenommen hatten, dass er das Kalumet der Freundschaft mit uns geraucht hatte. Es ist ein Versprechen, das jeder Indianer für sein ganzes Leben gibt, doch Schiba-bigk hatte sich als Jüngling zunächst von den Alten unter Druck setzen und überzeugen lassen, es zu brechen. Ich konnte nur hoffen, dass er jetzt in seiner Freundschaft zu uns stärker war.
Vupa Umugi versuchte sichtlich, seinen Zorn zu zügeln. Er war klug genug, sich einzugestehen, dass es aus dieser Lage keinen für ihn günstigen Ausweg gab, wenn nicht jemand anderes die Verantwortung übernahm. Das Erscheinen Schiba-bigks, der ja ebenfalls ein Häuptling war, gab ihm immerhin die Chance, sein Gesicht zu wahren in dieser verfahrenen Situation. Er nickte ihm also sein Einverständnis zu, wenn auch sichtlich verdrossen. Jetzt wandte sich Eisenherz an mich. „Ist Old Shatterhand bereit, seine Waffe niederzulegen und sich mit mir und Vupa Umugi zur Beratung zusammenzusetzen? Schiba-bigk sichert ihm zu, dass sich niemand feindlich gegen ihn verhalten wird, bis wir entschieden haben, was zu tun ist.“
„Ich bin einverstanden, doch nur unter einer Bedingung: Winnetou wird vom Pfahl gebunden und ich darf ihn untersuchen“, antwortete ich, unendlich begierig darauf, mich zum Freund umdrehen und ihn aus seiner entsetzlichen Lage befreien zu können.
Vupa Umugi brüllte: „Der Hund von Pimo bleibt am Marterpfahl!“, doch Schiba-bigk hob die Hand und erklärte: „Während der Verhandlung wird er losgebunden und auch seine Blutungen gestillt. Schiba-bigk weiß, dass Old Shatterhand sonst nicht auf unsere Bedingungen eingehen wird. Er möge mir nun sein Zaubergewehr anvertrauen, das ich selbst während der Verhandlungen für ihn verwahren werde.“
Er trat auf mich zu und sah mir fest in die Augen. Ich erwiderte den Blick und wusste in diesem Moment, dass ich ihm vertrauen konnte, und das nicht nur um der alten Zeiten willen. „Mein Bruder Eisenherz ist im rechten Augenblick gekommen. Ich vertraue ihm und gebe ihm das Zaubergewehr, den Revolver jedoch werde ich behalten.“ Mit diesen Worten reichte ich ihm den Stutzen. Er nickte und wandte sich Winnetou zu.
Endlich, endlich konnte ich zu ihm. Vorsichtig zogen wir ihm die Pfeile und Messer aus den Gliedern, schnitten ihn los und legten ihn behutsam auf den Boden. Die vielen Wunden waren fürchterlich, doch auf den ersten Blick zumindest keine davon wirklich lebensgefährlich. Nur der enorme Blutverlust machte mir große Sorgen, und ich wusste, dass ich keine Minute zu früh eingegriffen hatte, trotz der nun so unsicheren Lage.
„Old Shatterhand mag sich nicht um seinen Bruder sorgen, Schiba-bigk wird verhindern, dass er weiteres Blut verliert“, raunte mir Eisenherz zu, als habe er meine Gedanken gelesen.
In diesem Moment öffnete Winnetou die Augen und sah mich an. „Scharlih ... was hast du gewagt?“, flüsterte er. Ich lächelte ihn an, konnte aber nicht sprechen, weil mir sonst die Tränen übers Gesicht gelaufen wären. Ich nahm seine Hand und drückte sie. Er erwiderte meinen Blick voller Liebe und Dankbarkeit, dann schlossen sich seine Augen und er glitt wieder zurück in die Bewusstlosigkeit. Zwei Krieger hatten Verbandszeug aus weichem Bast gebracht, wie es die Indianer zu verwenden pflegten, und wir verbanden Winnetous Wunden, so gut es ging. Als ich sicher sein konnte, dass ihm jetzt zumindest keine direkte Gefahr drohte, stand ich auf und auch Schiba-bigk erhob sich.
„Komm“, sagte er und zog mich an das Lagerfeuer, an dem Vupa Umugi Platz genommen hatte, in einem weiteren Kreis um ihn herum auch seine Krieger, daneben die Comanchen Schiba-bigks. Ich blickte schnell in die Runde und sah, dass die Augen der Naiini eher gespannt und längst nicht so unfreundlich auf mich blickten wie die ihres Häuptlings, der seine Wut nur mit Mühe zügeln konnte. Doch immerhin, er schwieg und überließ es Schiba-bigk erneut, als Erster das Wort zu ergreifen.
„Ist Old Shatterhand allein in dieser Gegend?“, fragte mich Eisenherz.
Ich zögerte nur kurz, dann antwortete ich: „Nein, es sind noch zwei Gefährten bei mir, sie lagern allerdings zwei Stunden von hier.“ Ich wusste, wenn ich ihn belog, würde ich jegliche Sympathie verlieren und damit auch die Chance, uns zu retten.
„Wer sind seine Begleiter?“
„Dick Hammerdull und Pitt Holbers, die verkehrten Toasts.“
„Uff! Ich kenne die beiden und weiß, dass es ehrliche Weiße sind und keine Feinde der roten Völker. Warum haben sie dich nicht hierher begleitet?“
„Sie pflegen Yato-Ka, den zweiten Apachen, der schwer verletzt ist.“
Vupa Umugi lachte höhnisch. „Dieser Hund ist uns entkommen, doch mein Schuss traf ihn in die Brust und so wird er nicht mehr lange zu leben haben.“
Schiba-bigk wandte sich wieder an den älteren Comanchen. „Was wirft mein Bruder Winnetou und Old Shatterhand vor? Warum will er ihren Tod?“
Der Naiini schnaubte. „Sie haben uns gefangen genommen, damals im Llano Estacado, uns die Pferde und Waffen geraubt und mich vor all meinen Kriegern gedemütigt. Das kann nur mit Blut vergolten werden. Winnetou ist schon fast tot, und auch sein weißer Bruder wird sich am Pfahl vor Schmerzen winden und heulen wie ein toller Hund, howgh!“
Schiba-bigk sah eine Zeitlang vor sich hin, dann meinte er: „Auch ich war damals gefangen, doch ich erkannte, dass wir unrecht gehandelt hatten. Bloody Fox hat den Llano Estacado sicherer gemacht, er hat die Pfahlmänner fast ausgerottet, die auch Krieger unseres Stammes immer wieder in den Tod gelockt hatten. Er, Winnetou und Old Shatterhand halfen mir nach dem Tod meines Vaters Tevua-schohe, des obersten Kriegshäuptlings der Comanchen, sie behandelten mich wie einen Freund und Bruder. Meine Brüder wissen es.“
„Howgh“, kam es von einigen seiner Naiini. Doch Vupa Umugi protestierte sofort: „Sie haben Eisenherz belogen, dich mit schönen Worten betrogen wie ein Kind, das du damals auch noch warst. Sie wollten dich gefügig machen und dich später ausnutzen, gegen uns, ihre Feinde! Wie kann ein Apache ein Freund der Comanchen sein? Und die Weißen lügen alle, auch Old Shatterhand!“
Schiba-bigk schüttelte leise den Kopf. „Das ist das, was ihr mir auch damals einreden wolltet, du und Nale-Masiuv. Ihr wart bitter und hasserfüllt und machtet mich, den jungen Krieger, glauben, dass die Worte Old Shatterhands und die Taten Winnetous verlogen seien und sie nur den eigenen Vorteil suchten, nicht aber den Schiba-bigks und seiner Comanchen. Dass die ewige Feindschaft unserer Völker und der Weißen unabänderlich sei und ich ihnen folgen müsse, weil ich sonst feige sei wie ein kleines Mädchen. Wie schämte sich Schiba-bigk später, als er in der Oase von Bloody Fox erkannte, wie sehr sich seine beiden älteren Brüder und auch er selbst in diesen beiden Männern getäuscht hatten. Sag mir, Vupa Umugi, hatten wir nicht alle den Tod verdient, nach dem Verrat an Bloody Fox?“
„He, he – ja, ja“, kam es vereinzelt aus dem Kreis seiner Krieger.
Vupa Umugi fuhr auf. „Wir hatten ihn nicht verdient, denn der Plan gegen Bloody Fox wurde ja vereitelt.“
Schiba-bigk sah ihm jetzt direkt in die Augen. „Was hätte mein älterer Bruder getan, wenn er an der Stelle von Winnetou und Old Shatterhand gewesen wäre? Hätte er Gnade walten lassen oder beide getötet?“
„Ich hätte sie an den Marterpfahl gestellt“, gab Vupa Umugi grimmig zu.
„Ich weiß, dass mein älterer Bruder Old Shatterhand hasst, weil dieser ihn mit seinen Medizinen erpresst hat, die er damals aus dem Kaam-kulano mitnahm, ebenso wie den schwarzen Freund von Bloody Fox, den Old Shatterhand aus dem Zelt befreite, ohne dass ihn jemand daran hindern konnte. Am blauen Wasser hatte er auch Old Surehand aus deinen Händen befreit und dich selbst ergriffen, dann schenkte er dir dein Leben und ließ dich frei. Jetzt will ich meinen Bruder fragen: Kennt er nicht das Sprichwort, dass man einen anderen Mann nie beurteilen soll, ohne einen Tag in seinen Mokassins gegangen zu sein? Ich frage Vupa Umugi noch einmal: Was hätte er an Old Shatterhands Stelle getan? Seine Freunde von uns töten lassen? Ich sage es dir: Du hättest eine grausame Spur des Todes hinter dir gelassen, in der auch die Naiini mit untergegangen wären. Old Shatterhand jedoch tat dies nicht, sondern dachte schon im Hasental daran, dass ihm deine Medizinen dabei helfen würden, ein unblutiges Ende des Krieges zwischen uns, den Apachen und Bloody Fox zu erreichen.“
Ich war nicht nur erstaunt über Schiba-bigk, sondern hocherfreut, denn einen besseren Anwalt hätten wir, Winnetou und ich, uns in dieser Situation gar nicht wünschen können. Ruhig und einfühlsam ließ er seinem Gegenüber sein Gesicht, erklärte aber die damalige Situation auf eine so vernünftige und einfache Weise, dass nicht nur die um uns herumsitzenden Naiini immer häufiger bestätigende: „Uff, uffs“, von sich gaben, sondern auch immer wieder nickten. Nur der Große Donner zischte unversöhnlich: „Sie haben uns erniedrigt, uns bestohlen und unsere Kraft als Comanchen lange Zeit verringert, indem sie uns die Pferde und Gewehre nahmen.“
„Auch das war unsere Art und Weise, für längeren Frieden zu sorgen“, warf ich nun leise ein, indem ich das erste Mal das Wort ergriff. „Wir wussten, dass ihr auf Rache aus sein würdet, aus Wut über den gescheiterten Kriegszug. Sei ehrlich, Vupa Umugi. Hätten wir euch damals eure Pferde und Gewehre gelassen, hättet ihr das Kriegsbeil sicher nicht begraben. Wir wollten Frieden, wollten euch ein Beispiel geben, dass es auch anders geht als mit Waffengewalt und Blutvergießen. Doch der Einzige, der das verstand, war Eisenherz, der damals noch so junge Krieger. Ihr älteren Häuptlinge wart zu gefangen in der alten Tradition der blutigen Kriege mit euren Nachbarn. Seit vielen Jahren steht für euch fest, dass jeder Mescalero, jeder Navajo, Chiricahua oder Mimbreño ein Feind für euch ist. Ihr zerfleischt euch gegenseitig und wollt einfach nicht erkennen, dass ihr damit euren eigenen Untergang noch beschleunigt. Ihr kennt nur Rache, keine Gnade, nur Tod und keine Liebe.“
„Uff, uff.“ Vupa Umugi sah mich an, als sei ich ein Wassergeist, der gerade aus dem Creek aufgetaucht war. „Liebe? Was soll ein Krieger der Naiini mit Liebe, wenn er in den Krieg zieht! Den Feind umarmen, statt ihn zu töten? Old Shatterhand redet wie ein altes Weib, das sich vor dem Kampf fürchtet!“
Bevor ich antworten konnte, fiel ihm Schiba-bigk ins Wort. „Und doch war es diese Liebe, die dir damals das Leben gerettet hat, älterer Bruder. Am blauen Wasser und im Llano Estacado. Ohne diese Liebe, die Old Shatterhand und Winnetou immer wieder auch ihren Feinden entgegenbrachten, gäbe es uns alle nicht mehr.“
Doch da sprang der Naiini-Häuptling auf und schrie ihn an: „Und die fast fünfhundert Krieger Oyo-koltsas, die Winnetou ermorden ließ? Mein jüngerer Bruder Wasápe2 war unter den Toten im Tal! Wie viele Jahre hat Vupa Umugi darauf gewartet, ihm den Apachenhund als seinen Diener in die Ewigen Jagdgründe nachzusenden. Doch vorher wird der Große Donner auch noch seinen Bruder töten, vor seinen Augen, so wie er mir den meinigen ermordet hat! Der große Geist soll entscheiden! Und er wird Vupa Umugi den Sieg schenken und die Rache für Wasápe! Gebt Old Shatterhand ein Messer in die Hand! Vupa Umugi wird ihm mit dem seinen das Herz in Stücke schneiden!“
Jetzt war es also heraus. Nicht die Schmach mit den Medizinen war der Grund für seinen Hass, sondern ein Ereignis, das noch Jahre vor den Geschehnissen im Llano zurücklag. Noch heute dachte ich mit Grauen an den Tod der Comanchen, die damals trotz ihrer hoffnungslosen Lage nicht aufgeben wollten und schließlich von Winnetou und seinen Apachen bis auf den letzten Mann getötet worden waren.
Auch ich stand auf. „Ja, gebt mir ein Messer. Lassen wir den Großen Geist entscheiden! Wir werden sehen, ob Vupa Umugi noch Kraft genug besitzt, mich zu besiegen. Doch stelle ich eine Bedingung! Schiba-bigk wird den Kampf überwachen, damit kein Unrecht geschieht. Und wenn ich Vupa Umugi bezwinge, ist Winnetou ebenso frei wie ich, und kein Comanche wird uns aufhalten.“
„Schiba-bigk verspricht es Old Shatterhand!“
Jetzt galt es vor allem, ruhig zu bleiben. Der Kampf musste schnell gehen, denn Winnetou war ja nur notdürftig verbunden. Meine Angst um ihn schnürte mir fast die Kehle zu, und doch durfte ich jetzt nicht an ihn denken. Vupa Umugi war nicht mehr der Jüngste, aber ein mit allen Wassern gewaschener alter Fuchs, der alles daransetzen würde, mich zu töten und dann Winnetou endgültig zu Tode zu martern. Ob Schiba-bigk zumindest das verhindern würde? Gegen seinen eigenen Stammeshäuptling?
„Hier ist der Kreis, in dem der Kampf stattfinden wird. Sobald beide Kämpfer in den Kreis treten, können sie sich gegenseitig angreifen. Wer den Kreis verlässt, hat verloren. Wer den anderen besiegt, hat das Recht, ihn zu töten“, rief Schiba-bigk in diesem Moment. Ich warf einen letzten Blick auf Winnetou, der sich immer noch nicht regte, und ging dann auf den Kreis zu.
Vupa Umugi hatte das Jagdhemd ausgezogen, und auch ich streifte das meine nun ab. Fast gleichzeitig traten wir in den Kreis, den Schiba-bigk in den Sand gezeichnet hatte. Breitbeinig stand mir der alte Haudegen gegenüber, doch wenn ich geglaubt hatte, dass er nun vor lauter Wut wie ein Bulle auf mich losstürzen würde, so sah ich mich getäuscht. Minutenlang umkreisten wir uns langsam, abwartend, beobachtend, bis ich ein leises Aufleuchten in seinen Augen wahrnahm. Ich sah sein Messer aufblitzen, wich nach rechts aus, doch es war nur eine Finte. Erst mit einem zweiten Hieb stach er zu und traf mich in den Oberarm. Er wollte sofort nachsetzen, wieder mit einer Finte, doch da wechselte ich schnell das Messer in die linke Hand, tat, als wollte ich ihn mit der Rechten niederschlagen, und konnte gerade noch seinen Stich abblocken, der mir ins Herz gefahren wäre, hätte ich die Hand nicht frei gehabt. So packte ich sein Handgelenk und schlug ihm den Knauf meines Messers mit der Linken gegen die Schläfe – er brach zusammen und blieb liegen.
„Old Shatterhand hat gesiegt! Das Leben Vupa Umugis gehört ihm!“ Ein lautes Geheul brach los, doch nur unter Vupa Umugis Comanchen, während ich aus Schiba-bigks Gruppe anerkennende Blicke empfing.
„Wird Old Shatterhand Vupa Umugis Leben nehmen? Er hat das Recht dazu“, fragte mich Eisenherz, während er mir forschend in die Augen sah.
„Schiba-bigk kennt meine Antwort, er weiß, dass ich niemanden töte, wenn ich nicht dazu gezwungen werde. Vupa Umugi wird zu sich kommen und frei sein, wenn er sein Wort hält und Winnetou und mich gehen lässt.“
„Er wird es tun, dafür sorgt Schiba-bigk. Howgh.“ Eisenherz lächelte leise und nickte zufrieden. In diesem Moment bewegte sich Vupa Umugi, griff mit der Hand nach seinem Kopf und setzte sich dann langsam auf. „Hier ... liegt mein Messer ... ist ... Old Shatterhand ... tot?“
„Nein. Ich lebe.“ Er sah erst jetzt, dass ich vor ihm stand, nach wie vor im Kreis des Kampfes, während er selbst durch die Wucht meines Schlages über den Rand hinausgeflogen war. „Ich habe verloren ... töte mich!“
Jetzt verließ auch ich den Kreis und trat auf ihn zu. „Ich werde Vupa Umugi nicht töten. Ich will ihm zeigen, dass es auch anders geht. So wie damals am blauen Wasser und im Llano Estacado habe ich dich ohne Blutvergießen besiegt, denn ich will deinen Tod nicht. Nicht den deinen und nicht den deiner Comanchen. Es muss ein Ende haben, dieses endlose Töten. Es muss auch für euch etwas Anderes geben als Hass und Mord und ein Sterben ohne Ende. Hier ist dein Messer. Ich vertraue darauf, dass du dein Wort halten und uns freigeben wirst.“
Er starrte auf meine Hand und das Messer, griff jedoch nicht danach, sondern stand langsam und doch noch ein wenig schwankend auf. Seine Augen blitzten, als er mich ansah. „Das kann nur eine Lüge sein“, fauchte er. „Wie kann Old Shatterhand nach dem, was wir mit Winnetou getan haben, vom Ende des Hasses sprechen? Wie kann er Vupa Umugi das Leben schenken, wenn das Blut des Apachen dort in den Boden des Waldes fließt?“
Ich schluckte, doch hielt ich seinem Blick stand. Er hatte nicht ganz Unrecht, denn leicht fiel es mir nicht, ihn so ungeschoren davonkommen zu lassen – und doch wusste ich in diesem Augenblick, dass so viel mehr auf dem Spiel stand. Dass hier mehr entschieden wurde, als nur Winnetous und mein Leben. Es ging um all das, wofür Winnetou und ich während all der Jahre eingestanden hatten.
„Wie viel Blut ist vergossen worden, in den letzten Jahren und Jahrzehnten, zwischen den Comanchen und den Apachen? Seit ich aus meiner Heimat in den Westen kam, habe ich miterlebt, wie eure beiden Stämme immer wieder aufeinander losgegangen sind. Ihr kennt keine Gnade, kein Erbarmen, keine Liebe, obwohl ihr zu ein und derselben Rasse gehört. Kann das nicht endlich ein Ende haben? Schiba-bigk hat den Anfang gemacht – und auch Apanatschka und seine Kaneans-Comanchen gehen den Weg der Vernunft und der Gnade, nicht den des Hasses. Warum können das die anderen Comanchen nicht auch?“
Vupa Umugi knirschte mit den Zähnen. „Winnetou hat fünfhundert unserer Krieger getötet, er hat sie erschießen lassen wie tolle Hunde! Wie sollen wir das je vergessen können? Er ist der Häuptling aller Apachen. Was er tut, das geschieht auch in ihrem Namen. Wie sollen wir uns da nicht rächen wollen? Wie kann ein Volk den Tod von fünfhundert Kriegern vergessen und das Kriegsbeil begraben?“
„Vupa Umugi ... hat Recht ... Was damals passiert ist ... war Unrecht ...“, hörte ich plötzlich die leise, vor Schmerz gepresste Stimme meines geliebten Freundes, der ja nur wenige Schritte von uns entfernt im Gras lag und das Gespräch offensichtlich gehört hatte. „Winnetou traf damals ... eine Entscheidung ... die er als unvermeidlich ansah ... Heute würde er anders entscheiden. Der Mord an ... den Comanchen ... liegt auf seiner Seele wie ein schwarzer Schatten, eine ... Schuld, die er nie vergessen kann ...“
„Uff, uff, uff“, riefen die Naiini voller Verwunderung, dass Winnetou auf diese Weise Reue zugab, etwas, was in ihrer Welt für einen Häuptling ein Ding der Unmöglichkeit war.
Ich wandte mich wieder an Vupa Umugi und sah, dass seine Hände zitterten. Schnell verschränkte er die Arme vor der Brust, um es zu verbergen. „Der Große Donner war damals nicht dabei, Old Shatterhand jedoch ist Zeuge dessen, was in dieser Nacht geschah“, versicherte ich. „Ich habe damals gemeinsam mit Old Death alles versucht, eure Krieger zur Aufgabe zu überreden. Winnetou ebenfalls, doch niemand hörte auf uns. Es war, als seien sie fest entschlossen, in ihr Verderben zu rennen. Auch sie kannten nur Hass und keine Gnade – keiner dachte auch nur daran, den Kriegsplan gegen die Apachen aufzugeben. Es war entsetzlich, und auch mich verfolgen die Todesschreie der Comanchen bis heute. Doch jetzt frage ich Vupa Umugi: Hättet ihr an Winnetous Stelle anders gehandelt als er?“
Es trat tiefe Stille ein. Vupa Umugi senkte den Kopf und schwieg lange. Dann sah er Schiba-bigk einen Moment lang fast grübelnd an und sagte: „Wie kann mein jüngerer Bruder das ertragen? Weiße Mörder haben seinen Vater Tevua-schohe getötet, und doch sitzt er hier neben einem Weißen und nennt ihn seinen Freund. Spürt er keinen Hass, wenn er ihn sieht?“
„Old Shatterhand war ein Freund meines Vaters, und nach dessen Tod mein Lehrer und auch mein Freund. Wie kann ich ihn hassen, wenn er mir doch nur Liebe geschenkt hat, seit ich ihn das erste Mal sah?“
Der Große Donner blickte zu Boden. Die ergrauten Haare fielen ihm über das Gesicht, so dass ich seine Miene nicht erkennen konnte. Nur seine Hände ballte er immer wieder zu Fäusten. Nach langen Minuten des Schweigens sagte er, mit den Zähnen knirschend: „Old Shatterhand hat in einem Recht. Hätten wir damals im Tal der Fünfhundert oder auch im Llano Estacado gesiegt, wären wir sicherlich härter mit den Apachen und den Weißen umgegangen als er mit uns. Wir hätten euch alle getötet. Ihr wart von uns angegriffen worden, und doch ließt ihr uns ziehen. Ich habe es nie verstanden, ebenso wenig wie Nale-Masiuv und die anderen Häuptlinge. Wir schalten Schiba-bigk ein unreifes Kind und trieben auch Apanatschka fort, dem wir es nicht verzeihen konnten, dass er mit euch das Kalumet der Freundschaft rauchte. Der Große Donner sah sehr wohl, dass manche seiner Krieger euch dankbar waren und keinen Hass mehr empfinden wollten, doch er kannte nichts Anderes und wollte es nicht einmal verstehen. Und nun hast du zum dritten Mal mein Leben verschont.“
Ich sah, dass er tief aufgewühlt war und in seinen Augen jetzt nicht mehr nur Hass und Verachtung lagen, eher so etwas wie eine tiefe, geistige Erschöpfung. Doch die alten Denkweisen seines Stammes waren tief, so tief in ihm verwurzelt, dass es ihm schwer wurde, sie zu überwinden.
Wieder war es eine tiefe Stille, die uns minutenlang umfing. Ich sah auch in den Gesichtern seiner Krieger jetzt eher Erstaunen und Verunsicherung. Manche sahen fragend zu Schiba-bigk und seinen Leuten, als erwarteten sie jetzt von ihm eine Antwort, und nicht mehr vom Großen Donner. Und ich sah die bewundernden, ja fast liebevollen Blicke, die Schiba-bigks Männer auf ihren jungen Häuptling warfen. Sie sahen in ihm mehr als nur einen Kriegshäuptling, während Vupa Umugis Männer diesen schon damals nicht geliebt, sondern nur für seine Härte und seine Tapferkeit bewundert hatten. Wie stolz war ich auf Eisenherz.
Endlich hob der Große Donner den Kopf und machte eine Geste der Ratlosigkeit zu Schiba-bigk, als wollte er sagen: Nun gut, ich weiß nicht mehr weiter, also entscheide du.
Der Jüngere verstand und ergriff wieder das Wort. „Meine Brüder haben das Blut Winnetous vergossen und auch das seines Begleiters Yato-Ka. Vupa Umugi hat mit Old Shatterhand gekämpft. Ist das als Rache für vergangene Tage nicht genug? Sag mir, älterer Bruder, hat Winnetou an deinem Marterpfahl nicht schon entsetzliche Qualen erlitten? Würde sein Tod dich alles vergessen lassen, was damals war, deinem Herzen wirklich Frieden bringen?“ Es blieb still. Nicht einmal Vupa Umugi antwortete auf seine Frage.
„Ich bitte meine Brüder, auch über Folgendes nachzudenken. Schiba-bigk hat von Old Shatterhand gelernt, dass weniger Blutvergießen für mehr Glück und Zufriedenheit in seinem Lager sorgt. Die Familien können sich sicherer fühlen, sich um die Jagd und ihre Kinder kümmern und brauchen weniger Überfälle zu fürchten. Wir sind stark, weil wir gesund und glücklich sind. Kannst du das auch von deinen Kriegern sagen, Vupa Umugi?“
Die Blicke, die die umsitzenden Krieger untereinander wechselten, sprachen Bände. Ich hörte so manchen leisen Seufzer und sah einige, die über frische Narben an Armen und Beinen strichen, andere, die düster in die Ferne blickten.
Vupa Umugi durchbohrte Eisenherz fast mit seinem Blick. „Gnade statt Hass ... Schiba-bigk will mein ganzes Leben auf den Kopf stellen“, stieß er schließlich heiser hervor. „Wie sollen wir Krieger sein, wenn wir so denken?“
„Bin ich kein Krieger, der sich mit jedem Gegner zu messen weiß? Sind Winnetou und Old Shatterhand keine Krieger? Sie lieben ihre Feinde, verzeihen und lassen Gnade walten – und doch geht der Ruf ihrer Stärke und Unbesiegbarkeit durch das ganze Land.“
Vupa Umugi hob den Kopf und sah mich an, fast so, als sähe er mich zum ersten Mal. „Ich frage Old Shatterhand noch einmal: Wie kann er verzeihen, dass ich seinen Blutsbruder fast getötet habe?“
Ich brauchte ihm nicht zu antworten, denn hinter mir sagte Winnetou leise und stockend: „Er hat es längst getan ... ich weiß es ... Kannst nicht auch du mir den Tod ... Wasápes verzeihen, Vupa Umugi?“ Da sprang der Häuptling auf, stieß einen langen, heiseren Schrei aus und ging schnellen Schrittes fort. Alle sahen ihm nach, als er im Wald verschwand.
„Meine Brüder mögen mir helfen, Winnetou in eines der Zelte zu tragen, wo wir seine Wunden behandeln werden. Lasst uns die Verhandlung morgen weiterführen – wir alle müssen erst über das, was gesprochen wurde, nachdenken“, erklärte Schiba-bigk, und ich bedankte mich, indem ich seine Hand ergriff und sie einen Augenblick an mein Herz zog. Er sah mich leise lächelnd an und ging dann zu seinen Kriegern, die eine Trage für Winnetou vorbereiteten. Vupa Umugis Männer zogen sich von uns zurück an den Waldrand. Sie mussten abwarten, was ihr Häuptling tun würde.
Ich kniete mich neben den Apachen und sah ihm in das fast graue, blutleere Gesicht, als ein Comanche zu mir trat und mir eine Kürbisschale mit frischem Wasser reichte. Sanft strich ich meinem Freund das wirre Haar aus der Stirn und wusch ihm vorsichtig die tiefen Schnittwunden an Brust und Armen.
„Ich dachte, es wäre mein letzter Traum ... ich hörte deine Stimme und war so froh ...“, flüsterte er. „Nur ein Windhauch hielt mich noch am Leben ... und dann sah ich dich und konnte es nicht glauben ... hat dich deine Ahnung zu deinem Bruder geführt, Scharlih?“
Ich sah ihm lächelnd in die Augen, obwohl ich viel lieber laut aufgeschluchzt hätte. „Meine Ahnung, du hast es erfasst. Ich war schon unruhig, bevor Yato-Ka uns fand, und wäre auch ohne seine Warnung gekommen, aber sicherlich zu spät.“ Allein bei diesem Gedanken krampfte sich mein Herz zusammen und nun konnte ich die Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Winnetou griff nach meiner Hand, und wir schwiegen beide, bis die Comanchen mit der Trage kamen und ihn in ein Zelt brachten, wo ich ihn endlich genauer untersuchen konnte.
Wie sah er aus! Es war, als bestünde sein ganzer Körper nur aus Wunden. Wieder kroch mir die Angst ins Herz, dass er ein Wundfieber, so schwach wie er war, nicht würde aushalten können. Schiba-bigk trat ins Zelt und brachte mir ein wenig Fleischbrühe für den Freund. Er hockte sich neben uns und sah zu, wie ich Winnetous Kopf hielt, um ihm zumindest ein paar Schlucke einflößen zu können. Er würde jede Stärkung dringend brauchen in den kommenden Tagen und Wochen.
„Ich habe meine Krieger in den Wald gesandt, Heilkräuter zu holen. Winnetou ist stark, er wird auch diesen Kampf überstehen.“ Er nickte mir zu und ließ uns wieder allein.
Vupa Umugi sah ich an diesem Abend nicht mehr. Die Angst um den Apachen hielt mich an seiner Seite, ich wollte nichts Anderes hören und sehen, als seine dunklen Augen, die er voller Liebe auf seinen weißen Bruder richtete. Zum Sprechen war er zu schwach. Immer wieder schlief er kurz ein, bis ihn die Schmerzen wieder weckten. Oft sah ich, wie er den Kopf von mir abwandte, sich seine Muskeln verkrampften und er die Lippen aufeinanderpresste, bis sie fast weiß waren. Schiba-bigks Krieger brachten die erhofften Kräuter, die ich ihm mit frischen Bastbandagen auf die Wunden legte, was ihm neue Qualen bereiten musste. So viele Wunden ...
Am nächsten Morgen trat Schiba-bigk früh ins Zelt, und als er sah, dass Winnetou endlich ruhiger schlief, winkte er mich leise nach draußen. „Vupa Umugi ist fort, mit all seinen Kriegern. Er lässt dir sagen, dass er sein Leben von dir annimmt, als Sühne, doch seinen Hass nicht wirklich überwinden kann, und so sei es besser, sich von euch zu entfernen. Eines Tages wolle er mit dir sprechen, offen und ehrlich und vielleicht ohne Hass. Für den Augenblick gebe er euch beide frei, mehr jedoch sei ihm nicht möglich.“
„Es ist schon viel mehr, als ich erwartet habe, und das ist vor allem dein Verdienst, mein Bruder“, dankte ich ihm, doch er schüttelte lächelnd den Kopf.
„Oh nein, es ist der Verdienst meines weißen Bruders Shatterhand, der damals, nach dem Tod meines Vaters die Worte des guten Geistes wie einen Samen in mein Herz pflanzte. So nanntest du es doch, damals im Llano, nicht wahr? Es hat lange gedauert, bis er wirklich aufgegangen ist, doch nun hat er starke Wurzeln bekommen und die Liebe wachsen lassen in Schiba-bigk, für alle Menschen.“
Ich konnte nicht anders, ich musste ihn umarmen. Dann bat ich ihn: „Könntest du einen Krieger zu Hammerdull und Holbers schicken und sie und den verletzten Apachen holen lassen? Dann brauche ich mich nicht auch noch um diese drei zu sorgen.“
„Es soll sofort geschehen!“
Ich beschrieb ihm die Lage unseres kleinen Wäldchens am Creek und gab ihm einen schnell geschriebenen Zettel und Anweisungen mit, die verhindern sollten, dass die beiden Toasts womöglich auf seinen Boten schossen. Drei Stunden später kamen sie angeritten, und ich sah mit Freuden, dass auch Yato-Ka bei ihnen war, die rechte Schulter in einer Schlinge, aber doch nicht mehr ganz so schwach wie am Vortag.
Als meine Gefährten zu Winnetou ins Zelt traten, traf sie der Anblick des Freundes wie ein Schlag. Der gute alte Dick Hammerdull sank neben dem Apachen auf die Knie und hätte ihm fast übers Haar gestrichen, wenn ihn der große Respekt vor dem Häuptling nicht doch davon abgehalten hätte. Er griff stattdessen nach seiner Hand und streichelte sie leise. „Es ist doch ein Elend, lieber Sir. Wie sich die Menschen nur so viel Leid antun können in dieser schönen Welt. Da liegt unser lieber Freund Winnetou und hat so viele Stiche und Löcher in der Haut wie damals mein Rock, als mich das Bärenbaby umklammert hatte. Wie wünschte ich, Euch ein paar dieser Löcher abnehmen zu können, lieber Sir. Du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?“
„Wenn du meinst, dass mich der Anblick unseres lieben Freundes genauso dauert wie dich, so magst du Recht haben, lieber Dick“, seufzte der lange Holbers, und ich sah, wie er sich schnell eine kleine Träne aus den Augenwinkeln wischte. „Komm, lass uns Yato-Ka auch hier ins Zelt holen, damit auch er gepflegt werden kann, wie es sich gehört.“
Die beiden lieben Gefährten entfernten sich leise und Winnetou lächelte ein wenig, wenn auch sichtlich wieder unter Schmerzen. „Sehe ich ... wirklich aus wie Hammerdulls Rock nach seinem Tanz mit dem Bärenkind?“
„Schlimmer, und leider kann ich dich nicht mit Nadel und Faden wieder zusammenflicken.“
Nun führte Dick auch Yato-Ka herein, der sich mühsam auf einer zweiten Decke neben Winnetou niederließ. Die beiden Freunde sahen sich an und reichten sich die Hand, erleichtert, am Leben zu sein und auch den anderen nicht verloren zu haben.
* * *
Die nächsten Tage waren hart, sehr hart. Winnetou bekam ein so heftiges Wundfieber, dass es ihn mehrmals an die Schwelle des Todes brachte. Auch Yato-Ka blieb vom Fieber nicht verschont. Ich war Schiba-bigk unendlich dankbar, denn er blieb mit seinen Kriegern bei uns, bis das Schlimmste endlich überstanden war. Seine Comanchen versorgten uns mit allem, was wir brauchten, mit den Wundkräutern gegen das Fieber und mit dem notwendigen Mundvorrat, so dass wir uns ganz auf die beiden Verletzten konzentrieren konnten. Und endlich, endlich ging es ihnen besser. Yato-Ka erholte sich, wie zu erwarten, ein wenig schneller als Winnetou, der erst drei Wochen später das erste Mal wieder auf eigenen Beinen stand, abgemagert bis auf die Knochen und schwach wie ein neugeborenes Kind, wie er sich leise lächelnd beklagte. Erst nach weiteren drei Wochen kehrte seine Kraft dann doch langsam und allmählich wieder zurück, so dass wir an einen Aufbruch in den Pueblo am Rio Pecos denken konnten. Der Ritt zu den Navajos wurde aufgeschoben, bis sich Winnetou wieder gänzlich erholt hatte. Auch Schiba-bigks Comanchen, die jetzt mit uns umgingen wie mit guten Freunden, zog es nach Hause ins Sommerlager zu ihren Familien.
Am letzten gemeinsamen Nachmittag im Lager saßen Winnetou und ich allein am Creek und genossen die warmen Sonnenstrahlen, als wir einen Reiter auftauchen sahen. „Uff, uff, es ist Vupa Umugi“, wunderte sich Winnetou.
Der Naiini ritt langsam heran und stieg zögernd neben uns vom Pferd. Er sah anders aus als an dem Tag, an dem er seinen vermeintlichen Todfeind fast zu Tode gemartert hatte. Es war, als sei er um ein paar Jahre gealtert, doch vor allem sein Gesichtsausdruck war jetzt ein ganz anderer. Müdigkeit, Trauer und eine gewisse Unsicherheit lagen in seinen Augen, aber nichts mehr von diesem abgrundtiefen Hass. Langsam ließ er sich neben uns am Bach nieder.
„Ich habe in meinen vielen Sommern nur für die Rache gelebt, habe fest daran geglaubt, dass meine Trauer und meine Wut nur mit Blut gestillt werden können“, sagte er nach einer Weile, fast so, als spräche er nur zu sich selbst. „Als dann Winnetous Blut floss, wollte ich Triumph fühlen und endlich auch ein Ende meiner Trauer, doch da war nichts, nur Leere. Es war fast, als müsste ich mich dazu zwingen, ihn wirklich töten zu lassen. Als sei alles nur ein Ritual, das ich glaubte, erfüllen zu müssen, das aber mehr Macht über mich hatte, als mir lieb war. Tief in meinem Inneren bewunderte ich Winnetou, der keinen Schmerzenslaut von sich gab. Als dann Old Shatterhand vor ihn trat, das Zaubergewehr in der Hand, fühlte ich einen Augenblick lang so etwas wie Erleichterung, doch das machte mich nur noch wütender. War der Große Donner eine alte Frau, die den Tod eines Feindes nicht ertrug? Ein Greis ohne Zähne, der den Grizzly, den er in seiner Jugend hatte töten wollen, im Alter aus Angst verschont?“
Er schwieg und blickte ins Wasser des kleinen Creeks, als suchte er dort nach den richtigen Worten. „Gehe in den Mokassins eines anderen. Schöne Worte von Schiba-bigk, die Vupa Umugi für die Schwäche eines Weibes hielt und nicht hören wollte. Doch als er dieses Tal verließ, war etwas anders geworden. Ich wollte ihn nicht mehr, diesen Hass, der mein Leben bestimmt hatte, seit dem Tod meines Bruders. Zum ersten Mal begriff ich, dass es auch eine andere Seite dieses entsetzlichen Tages gab, eine andere Seite auch zu alledem, was im Llano Estacado mit uns geschehen war. Es war, als hätte ich in ein ruhiges Wasser geblickt und mein Spiegelbild darin entdeckt, zum ersten Mal. Ich sah auch das Gesicht Old Shatterhands vor mir, als er mir das Messer reichte, mit dem er doch mein Leben beenden konnte. Und plötzlich verstand ich auch die Worte über Rache und Gnade, Tod und Liebe, die mir zuerst wie die kindischen Worte eines kleinen Mädchens vorgekommen waren. Ich bin allein geblieben in den letzten Tagen, habe in den Bergen gefastet und nach der Wahrheit gesucht. Und ich sah, dass es vielleicht noch nicht zu spät ist, meinem Leben eine andere Richtung zu geben – ohne Hass und vielleicht sogar mit Liebe, auch wenn dieses Wort mir immer noch schwer über die Lippen kommt.“
Wieder schwieg er lange, dann sah er Winnetou in die Augen und sagte: „Ich weiß nicht, ob ich das Richtige tue. Aber ich werde versuchen, etwas zu verändern, für mich und vielleicht auch für die Naiini. Ich will lernen, ohne Hass zu leben und den Frieden mehr zu schätzen und zu achten als den Krieg.“
Winnetou nickte leise. „Wenn mein Blut, das ihr vergossen habt, nun dazu beitragen kann, dass Frieden herrscht, in deinem Herzen und auch zwischen meinem Volk und dem deinigen, so war es die Schmerzen am Marterpfahl wert. Will der Große Donner das Kalumet des Friedens mit uns rauchen?“
Vupa Umugi zögerte noch einen Augenblick, dann ging es doch wie ein leises Lächeln über sein Gesicht. „Es soll Frieden sein, auch wenn es mir immer noch schwerfällt. Doch der Hass muss ein Ende haben. Ich bin ihn leid.“ Und so wurde es ein denkwürdiger Abend. Zwei Comanchen-Häuptlinge, zwei Apachen und drei Weiße, im Rauch des Kalumets friedlich vereint.
„Es geschehen tatsächlich noch Zeichen und Wunder, meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon? Willst du nicht vielleicht auch ein paar Tage in meinen Mokassins gehen, um endlich ein neues Leben anfangen zu können?“, grinste Dick Hammerdull, als wir uns schließlich müde und zufrieden in unsere Decken wickelten.
„Wenn du glaubst, dass ich in deine Siebenmeilenstiefel passe, so muss ich dich leider enttäuschen, mein lieber Dick“, brummte es verschlafen aus Pitt Holbers’ Richtung.
„Ob du da nun hineinpasst oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn du nur bleibst, wie du bist“, folgte die versöhnliche Antwort von unserem Dicken. „Träum schön!“
1Präriefeuerzeug
2Bär
Weggefährten