Im Zimmer Nr. 4 - Melitta Gögge - E-Book

Im Zimmer Nr. 4 E-Book

Melitta Gögge

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aurélie Bonnet, eine gutaussehende und lebensfrohe Mittvierzigerin mit französischen Wurzeln, steht schon immer auf der Sonnenseite des Lebens. Sie ist vermögend, auch ihr kleines Hotel in der Landshuter Altstadt läuft gut, sie könnte sorgenfrei leben – wäre da nicht ihr Liebhaber Wolfgang Aumeier, der nicht das ist, was er scheint und der ihre gesamte Existenz zu zerstören droht, und hätte nicht ihr guter Freund, Florian Frings, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar, irgendwie herausgefunden, dass sie Wolfgang ins Jenseits befördert hat. Kurzerhand beschließt sie, auch Florian aus dem Weg zu räumen, Freundschaft hin oder her. Und damit fangen die Probleme erst richtig an. Jemand schickt ihr seltsame Nachrichten vom Handy des Toten und schleicht in ihrer Wohnung herum. Nicht genug, dass der Unbekannte immer weiß, was sie gerade tut, er scheint auch über den Stand der Ermittlungen bestens informiert und hält ihr die Fehler vor, die ihr beim Morden unterlaufen sind. Doch Aurélie ist sich sicher, dass sie alles gut geplant und keine Fehler gemacht hat – bis ihr schließlich der größte Fauxpas ausgerechnet bei einer polizeilichen Vernehmung passiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 359

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19

Die Autorin:

Melitta Gögge, Jahrgang 1969, schrieb schon ihn ihrer Schulzeit Gedichte, Geschichten und Artikel für eine Schülerzeitung, später für eine Lokalzeitung. Kreatives Schreiben war für sie schon immer der perfekte Ausgleich zum Bürojob. Bis zur nächsten Veröffentlichung sollten jedoch viele Jahre vergehen. Ihr erster Roman Der Geist mit der blauen Lederjackeerschien 2020 im Tredition Verlag.

Melitta Gögge

Im Zimmer № 4

Roman

© 2023 Melitta Gögge

ISBN Softcover: 978-3-384-02944-7

ISBN Hardcover: 978-3-384-02945-4

ISBN E-Book: 978-3-384-02946-1

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:

tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Niemand begeht ein Verbrechen,

ohne etwas Dummes zu tun.

(Oscar Wilde)

Kapitel 1

Der Fall machte Hauptkommissar Florian Frings zu schaffen. Der Anwalt Wolfgang Aumeier war schon über zwei Wochen tot und es gab noch keinen einzigen brauchbaren Hinweis. Die Zeugenaussagen reichten von der jungen, attraktiven Frau bis zum kauzigen Greis in speckiger Lederhose. Manche wollen ein Auto beobachtet haben, das mit quietschenden Reifen davon gefahren war, sie waren sich nur nicht sicher, ob es ein roter Kombi oder ein schwarzer Sportwagen war und ob am Steuer eine Frau oder ein Mann gesessen hatte. Oder ein Mann in Frauenkleidung.

Seine einzige Verdächtige, Aurélie Bonnet, war die beste Freundin seiner Frau Nina, doch er hatte bisher keine eindeutigen Beweise gegen sie in der Hand, außerdem wollte er selbst es nicht glauben, dass sie zu so einer grausamen Tat fähig war. Der Haussegen hing immer noch ein wenig schief, seitdem Frings seine Frau zu diesem Fall befragt hatte. Na ja, versucht hatte, zu befragen. Nina war sofort ausgerastet, obwohl er sich, wie er meinte, nur unverfänglich nach einer möglichen Verbindung zwischen Aurélie und dem toten Anwalt erkundigt hatte.

Der Fall machte Frings auch deswegen zu schaffen, weil sein neues Team etwas schwierig war, sie hatten noch keinen richtigen Draht zueinander gefunden, seitdem er vor knapp zwei Monaten zurück nach Landshut versetzt worden war. Ganz besonders Richard Mühlbauer, der Wert darauf legte, gesiezt zu werden, war nicht gut auf ihn zu sprechen. Er hatte sich erhofft, zum Leiter des Dezernats ernannt zu werden, und wollte es nicht einsehen, dass seine feindselige, voreingenommene Art seiner Karriere schon immer im Weg gestanden hatte. Frauen, Ausländer und Homosexuelle waren sowieso schuld an allem. Meistens zumindest. Ansonsten war Mühlbauer ein äußerst fähiger Ermittler, mit einer erstklassigen Spürnase, wenn er sich nicht gerade an einem Verdächtigen festgebissen hatte, der seinem Feindbild entsprach.

Die junge Kollegin Silvia Renner litt am meisten unter seinen Schikanen. Sie war erstens eine Frau und zweitens bekennende Lesbe und das waren für Mühlbauer gleich zwei Gründe, warum so jemand bei der Polizei nichts zu suchen hatte. Um Konflikten vorzubeugen, hatte Frings die Teams geändert, die sein Vorgänger etwas unglücklich zusammengestellt hatte. ›Dass das junge Madl vom Mühlbauer was lernt‹, hatte dieser argumentiert. Das junge Madl war Jahrgangsbeste, die Kripo Landshut konnte sich glücklich schätzen, dass sie nach dem Studium wieder zurück, in ihre Heimatstadt wollte und nicht eine Karriere beim LKA in München anstrebte. Und Mühlbauer war nicht unbedingt ein Vorbild, von dem junge Kolleginnen etwas lernen konnten.

Deswegen ließ er Mühlbauer und Niedermeier zusammen ermitteln und hatte es Ertl überlassen, seinen Erfahrungsschatz mit der jungen Kollegin zu teilen. Thomas Ertl und er kannten sich seit der Schule. Ihre Wege hatten sich immer wieder gekreuzt, sie hatten einige Jahre beim Betrugsdezernat zusammen gearbeitet und waren auch privat öfter mal gemeinsam während der Dult im Bierzelt versackt.

Aber im Fall des ermordeten Anwalts taugte auch seine neue Teamzusammenstellung nicht viel, Mühlbauer und Niedermeier stritten ständig, Ertl und Renner kamen mit ihrer Zeugenbefragung keinen Schritt weiter.

Die Presse hatte kein gutes Haar an ihnen gelassen, nachdem sie bisher weder einen Verdächtigen noch ein plausibles Motiv präsentieren konnten. Von seiner einzigen Tatverdächtigen hatte er bisher niemandem erzählt, weil er immer noch glauben wollte, Aurélie habe sich aus einem anderen Grund mit dem Anwalt getroffen und nicht, um ihn zu töten.

Frings überflog gerade die unschmeichelhaften Schlagzeilen in der Onlineausgabe des Landshuter Boten, als sein Handy in der Hosentasche vibrierte. Der Akku war schon wieder leer, reichte aber gerade noch, um die SMS zu lesen:

›12 Uhr, Hotel Ritter, Zimmer Nr. 4. Kommen Sie allein! Und seien Sie pünktlich, wenn Sie etwas über den Mord an dem Anwalt erfahren wollen.‹

Unter anderen Umständen wäre er zu einem solchen Treffen gar nicht erst gegangen. Zumindest nicht allein. Unter den gegebenen Umständen war es vielleicht eine einmalige Gelegenheit, auf eine heiße Spur zu stoßen. Viel Zeit zum Überlegen blieb ihm nicht. Er hatte noch genau zehn Minuten.

Frings fand das Ladegerät in der Schreibtischschublade und steckte es in die einzige freie Steckdose hinter der Tür, aber er würde nicht mehr warten können, bis das Handy aufgeladen war.

»Bin mal kurz weg«, sagte er und war auch schon verschwunden.

***

»Servus, Aurélie«, begrüßte er die Frau an der Rezeption. »Die Chefin höchstpersönlich hat heute Dienst?«

»Ja, gleich zwei Angestellte haben sich krankgemeldet«, sagte diese. Es war Aurélie Bonnet, die beste Freundin seiner Frau. Seine Verdächtige. Ihr gehörte das Hotel Ritter.

»Ich treffe hier einen geheimnisvollen Zeugen. Kannst du mir sagen, wer das Zimmer Nr. 4 reserviert hat?«

»Warte mal«, sagte Aurélie und schaute im Computer nach. »Das warst du! Der Eintrag ist von gestern Abend.«

Frings starrte sie irritiert an.

»Ich war das nicht. Ich habe eine SMS bekommen, dass ich um 12 Uhr hier sein soll, in Zimmer 4!«

»Das Zimmer ist noch nicht belegt. Magst du einen Kaffee, während du wartest?«

»Gerne.« Er nahm den Schlüssel mit dem kleinen, bronzefarbenen Anhänger in Gestalt eines Ritters, den Aurélie ihm auf den Tresen gelegt hatte. Zu den Zimmern 1 bis 4 gelangte man über den Flur, der gleich hinter der Rezeption abging.

Vor der Zimmertür blieb er stehen und lauschte. Aurélie hatte gesagt, dass bisher niemand dieses Zimmer bezogen habe. Dennoch konnte sich jemand hier hereingeschlichen haben oder der Zeuge war jemand vom Hotelpersonal.

Er öffnete die Tür und spähte hinein. Das Zimmer schien leer zu sein. Auf dem Schreibtisch lag ein Sicherheitshinweis für den Brandfall und eine Fernbedienung, auf der dunkelgrünen Hotelmappe prangte der gleiche bronzefarbene Ritter und auf einem Aufsteller stand in geschnörkelter Schrift:

Verehrte Gäste,

wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Altstadt-Hotel Ritter! Bei Fragen und Wünschen wenden Sie sich bitte zwischen 6-22 Uhr an die Rezeption.

Es klopfte leise an der Tür. Er sah auf die Uhr, es war genau 12:03 Uhr.

»Ich bin’s«, hörte er Aurélies Stimme.

Sie stellte den Kaffee auf den kleinen Tisch am Fenster.

»Ich hoffe, du musst nicht lange auf deinen Zeugen warten. Wenn du noch was brauchst, lass es mich wissen.«

Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Zimmer und hinterließ nur einen Hauch von teurem Parfum.

Aurélies Mutter war Französin, eine elegante, anmutige ältere Dame, stets perfekt gestylt und mit Hang zu farbenprächtiger Pariser Mode, edlen Pelzen und protzigen, goldenen Accessoires. Aurélie war die zwanzig Jahre jüngere Ausgabe ihrer Mutter. An diesem Tag trug sie ein pastellgelbes Strickkleid mit flauschigem Pelzbesatz am Ausschnitt und an den Ärmeln. Nagellack und Lippenstift hatten den gleichen passenden Farbton wie der Rubin an ihrem aufwändig gearbeiteten Goldring. Ihre elegante Hochsteckfrisur saß perfekt und wurde von einer goldenen Spange gehalten.

Er setzte sich in den Sessel, trank seinen Kaffee und aß die Praline, die Aurélie ihm dazu gereicht hatte. Als er nach der Fernbedienung griff, um sich die Wartezeit mit Fernsehen zu vertreiben, versagten seine Finger. Ihm wurde schlecht. Er bekam keine Luft mehr. Der Weg bis ins Bad war nicht mehr zu schaffen, er fiel bäuchlings aufs Bett. Alles um ihn herum drehte sich. Er tastete in seiner Hosentasche nach dem Handy, doch das lag in seinem Büro. Auf der anderen Seite des Bettes war ein Telefon. Aurélie war an der Rezeption, sie würde Hilfe holen! Als seine Fingerspitzen den Hörer berührten, fiel dieser herunter.

***

Die Tür ging lautlos auf und Aurélie kam mit einem Korb herein. Als sie den Telefonhörer wieder auflegte, bemerkte Frings, dass sie Einweghandschuhe trug.

»Wusste ich doch, dass du meiner schönen Praline nicht widerstehen kannst!«

Er hätte ihr gerne gesagt, dass ihm übel war, stattdessen starrte er angsterfüllt in ihre kalten Augen und schnappte ein letztes Mal vergeblich nach Luft.

Frings stand neben dem Bett und beobachtete die Frau, die den Mann, der auf dem Bett lag, auf den Rücken drehte. Der Mann regte sich nicht mehr, er war bestimmt bewusstlos oder gar tot. Er hatte die gleiche Jeans und auch das gleiche gestreifte Hemd wie er. Mehr noch: Der Mann sah genau so aus wie er!

Panik machte sich breit. Was war gerade geschehen? Lag da auf dem Bett etwa sein toter Körper und er schwebte daneben, als Geist? In der Tat sah er etwas blass und farblos aus. Wieso fühlte er sich mit einem Mal so seltsam leicht?

»Was machst du da?«, wunderte er sich, als Aurélie seine Taschen kontrollierte. Aus dem Geldbeutel entwendete sie die Kreditkarte und verschwand damit.

»Aurélie, was soll das?«, fragte er, während er ihr nachlief. »Wieso klaust du meine Kreditkarte?«

An der Rezeption zog sie die Karte durch das Lesegerät, druckte den Beleg aus und studierte seine Unterschrift auf der Rückseite. Dann probierte sie auf einem Zettel, das schnörkelige F zu kopieren, es war der markanteste Buchstabe seiner Signatur. Als sie der Meinung war, dass die gefälschte Unterschrift der echten ähnlich genug sah, schrieb sie diese vorsichtig auf den Kreditkartenbeleg, der um 12:09 gedruckt worden war. Dann ging sie zurück ins Zimmer und steckte die Kreditkarte zurück ins Portemonnaie.

»Wieso hast du meine Unterschrift gefälscht?« Als Aurélie auch diese Frage unbeantwortet ließ, wurde Frings wütend. »Antworte mir gefälligst!«, schrie er sie an, doch Aurélie ignorierte ihn und tastete den leblosen Körper weiter ab.

»Wo ist das verdammte Handy?«, zischte sie.

»Das suchst du umsonst, das liegt in meinem Büro, der Akku war leer«, sagte Frings. Anscheinend hatte die Hotelbesitzerin ihn nicht gehört, denn sie durchstöberte noch einmal fahrig alle seine Taschen, auch die, die sie bereits abgesucht hatte.

»Verdammt!«, schimpfte sie nervös, dann holte sie aus dem Korb zwei Gläser und eine Flasche Sekt. Das meiste davon kippte sie im Bad ins Waschbecken, dann füllte sie die Gläser zur Hälfte, drückte eines davon dem Toten in die Hand und benetzte seine Lippen damit. Dann stellte sie das Glas und die Flasche auf seine Bettseite, knöpfte sein Hemd auf und zog ihm die Hose herunter. Sie zerwühlte die Laken auf der anderen Bettseite, platzierte das zweite Sektglas, mit dunkelroten Lippenstiftspuren am Rand, auf der Ablage, nahm die Kaffeetasse und verließ den Raum.

Frings setzte sich wieder an den kleinen Tisch am Fenster, wo er vor ein paar Minuten schon seinen Kaffee zu sich genommen hatte. Was wäre, wenn der Zeuge, mit dem er sich treffen wollte, jetzt hereinkäme und den Kommissar halbnackt auf dem Bett liegend fände? Hatte der Zeuge einen eigenen Schlüssel? Würde er vorher anklopfen? Würde Aurélie ihn überhaupt ins Zimmer lassen? Und wenn nicht, würde er sich dann an die Kollegen wenden? Dann hätte er doch gleich zur Dienststelle kommen können, um seine Aussage zu machen. Es musste einen bestimmten Grund geben, warum der Zeuge ausgerechnet ihn und dieses Hotelzimmer ausgesucht hatte.

Der leblose Körper auf dem Bett starrte ihn an. Der Blick eines Sterbenden in genau dem Moment, in dem er begreift, dass es in ein paar Sekunden vorbei sein wird. Er stand auf, ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Ein etwas verwirrter, aber durchaus entschlossen dreinblickender Florian Frings schaute zurück. Sein Spiegelbild war tadellos gekleidet, nur etwas blass und durchsichtig.

Tausend Gedanken schwirrten durch seinen Kopf und langsam begriff er, was geschehen war: Er war in eine Falle getappt und hatte das mit seinem Leben bezahlt. Er war jetzt nur noch ein Geist, den niemand sah, der niemandem sagen konnte, dass die Frau, von der er nicht glauben wollte, dass sie eine Mörderin war, sich als skrupelloses Biest entpuppt hatte, das auch vor Mord an einem Freund nicht zurückschreckte.

Er ging zurück ins Zimmer, das in diesem Zustand einen völlig falschen Eindruck von dem vermittelte, was gerade geschehen war. Hier hatte es kein romantisches Treffen mit einer Frau gegeben, auch wenn Aurélie sich die Mühe gemacht hatte, es danach aussehen zu lassen. Hatte Aurélie ihm die SMS geschickt und ihn in dieses Hotelzimmer einbestellt, um ihn hier zu ermorden? War an seinem Verdacht doch etwas dran? Er wünschte sich jetzt, er hätte sein Team eingeweiht. Aber Aurélie und er kannten sich schon so lange, er hatte noch mehr Beweise finden wollen, bevor er sie verhaftete. Hatte er sich von seinen Gefühlen verleiten lassen? Sonst war er doch immer so sachlich, konnte Beruf und Privatleben gut voneinander trennen, aber er hatte auch noch nie eine nahe stehende Person des Mordes verdächtigt. Er mochte sich die Folgen gar nicht ausmalen, wenn sich der Verdacht gegen Aurélie als falsch erwiesen hätte. Aber es gab nun mal keinen offiziellen Verdacht, er hatte es versäumt, sein Wissen mit dem Team zu teilen, das war ein Fehler, wie er nun erkannte. Vielleicht würde er einen Weg finden, mit den Kollegen zu kommunizieren und ihnen die fehlenden Informationen zuzuspielen.

Was würde passieren, wenn er das Hotel verließe? Oder war sein Geist in diesem Gemäuer gefangen? Legenden zufolge trieb in jedem alten Schloss, in jeder Burg ein ruheloser Geist sein Unwesen, weil ihm Unrecht widerfahren war und er deswegen keinen Frieden fand. Es war auch niemand da, der ihn an der Hand nahm und ihm das Geisterdasein erklärte. Dass er anscheinend unsichtbar war, das hatte er anhand Aurélies fehlender Reaktion gemerkt, das war aber auch schon alles. Er würde ausprobieren müssen, wie weit er sich vom Ort des Geschehens entfernen könnte, ob er die Lebenden hören könnte, wenn sie miteinander sprachen und ob sie versteckte Hinweise fänden, wenn er ihnen welche hinterließe.

Zuerst aber musste er seinem leblosen Körper wieder ein würdiges Aussehen zurückgeben, bevor jemand kam. Er zog die Hose hoch, steckte das Hemd hinein, so gut es eben ging, und knöpfte es zu. Was hatte Aurélie damit bezweckt, das Ganze wie ein heimliches Treffen mit einer Frau aussehen zu lassen? Und warum gerade in diesem Hotel? Negative Publicity konnte sie bestimmt nicht brauchen. Setzte sie in diesem Fall eine ganz besondere Diskretion der ermittelnden Beamten voraus?

Das Zimmermädchen, das ihn irgendwann finden würde, tat ihm jetzt schon leid. Er schloss dem Toten die Augen, um ihr wenigstens den entsetzten Blick zu ersparen.

Die Obduktion würde zweifelsfrei ergeben, dass er keinen Sekt getrunken hatte und seine Kollegen würden daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Sie waren als Team zwar wie Feuer und Wasser, aber jeder einzelne war ein guter Ermittler und hatte seine Vorzüge.

Richard Mühlbauer besaß jahrzehntelange Erfahrung und ein erstaunliches Durchhaltevermögen, wenn es um die Verfolgung einer Spur ging. Es machte ihm nichts aus, nächtelang auf der Lauer zu liegen oder bei einem Verhör stundenlang die gleichen Fragen zu stellen. Er würde sich auf Aurélie fixieren, denn eine attraktive Frau war für ihn ohnehin verdächtig.

Silvia Renner war das Technikgenie im Team, sie kannte alle Mittel und Wege, um an Informationen zu kommen. Sie würde sein Handy ohne große Mühe entsperren können, so würden sie auf die SMS stoßen, die ihn ins Hotel Ritter gelockt hatte.

Thomas Ertl, sein langjähriger Freund, war ein eher gemütlicher Zeitgenosse, der seinen Dienst nach Vorschrift tat und sich mit siebenundvierzig schon ausmalte, was er nach seiner Pensionierung so alles tun würde. Frings hätte sich oft etwas mehr Ehrgeiz gewünscht, dafür hatte Ertl aber etwas, was keiner der anderen besaß: ein einzigartiges Netzwerk von Informanten. In seinem Heimatort Gammelsdorf war Ertl als Gemeinderat aktiv, er kannte praktisch jeden im Dorf, seine offene und kameradschaftliche Art ließ die meisten vergessen, dass er Polizist war. Egal, ob bei einer Feuerwehrübung oder bei der Elternbeiratssitzung, dienstags beim Stammtisch oder sonntags beim Kirchgang: Es gab immer welche, die etwas wussten und ihre Neuigkeiten begierig weiter tratschten. Thomas und er hatten sich schon häufiger über Frauen und eheliche Treue unterhalten. In dieser Beziehung waren sie sich ziemlich ähnlich und Thomas wäre vermutlich der, der am wenigsten an die Existenz einer heimlichen Geliebten glauben würde, egal was die Spuren am Tatort besagten.

Markus Niedermeier war ein stiller Zeitgenosse, überaus intelligent, aber in sich gekehrt und unscheinbar. Er sagte nicht viel, wenn er aber etwas sagte, war das wohl überlegt. Er war derjenige, der als erster Zusammenhänge erkannte oder falsche Spuren entlarvte. Ihm traute Frings es zu, dass er die Berichte der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin auch zwischen den Zeilen lesen und erkennen würde, dass der Tatort nicht das war, was er schien.

Frings stand da, gerade im Begriff, die Türklinke herunter zu drücken, als er Stimmen hörte. Aurélie sprach mit jemandem an der Rezeption. Er hielt inne und lauschte an der Tür. Als es im Flur wieder still war, hängte er das Schild BITTE ZIMMER AUFRÄUMEN von außen an die Klinke, suchte sich ein Fernsehprogramm aus, hockte sich aufs Bett und wartete darauf, dass jemand seine Leiche entdeckte.

***

Nathalie Schröder, Aurélies Schichtwechsel war eingetroffen, hängte gerade ihren Mantel an die Garderobe und nahm hinter dem Tresen Platz.

»Irgendwas Besonderes heute?«

»Nein, wieso?«, antwortete Aurélie nervös. Dann atmete sie tief ein, um sich zu beruhigen, während sie ihren silberschimmernden Kaschmirmantel anzog und den roten Schal um den Hals wickelte. »Vier Gäste haben bereits ausgecheckt, eine neue Reisegruppe ist eingetroffen, die haben ihr Gepäck hinten abgestellt und sind gleich losgezogen, bis zum Abend müssten noch zwei Personen ankommen.« Ihre Stimme klang wieder normal.

Die junge Empfangsdame gab sich mit dieser Antwort zufrieden und widmete sich ihren Aufgaben. Aurélie murmelte einen leisen Abschiedsgruß und ging.

***

Im Büro wunderten sich seine Mitarbeiter, warum Frings schon den ganzen Nachmittag abwesend war.

»Vielleicht hat er einen Tipp wegen des Anwalts bekommen«, mutmaßte Renner.

»Ich glaub eher, dass er bei der Obrigkeit antanzen musste, weil wir noch nichts haben«, höhnte Mühlbauer.

»Also ich mach jetzt Feierabend, dann kann ich noch mit meinem Großen zum Fußballtraining gehen«, sagte Ertl, schnappte sich seine Jacke und verließ das Büro.

Auch die anderen räumten ihre Schreibtische auf, zogen ihre Jacken an, sahen sich ein letztes Mal im Büro um und gingen.

Kapitel 2

Frings hatte genug vom Fernsehprogramm. Er nahm den Schlüssel und verließ das Hotel. So untätig herumzusitzen hatte ihm noch nie gelegen, auch jetzt als Geist nicht. Erfreut über die Erkenntnis, dass er nicht am Ort des Geschehens gefangen war, machte er sich auf den Weg über die Isarpromenade zu seiner nahe gelegenen Dienststelle in der Neustadt.

Das Büro war leer. Entweder waren alle ausgeschwärmt, um neuen Spuren nachzugehen, wahrscheinlicher war es aber, dass sie seine Abwesenheit für einen frühen Feierabend ausgenutzt hatten. Er konnte es ihnen nicht verdenken, denn trotz unzähliger Überstunden tappten sie immer noch im Dunkeln, was den Mord an dem Anwalt anging, das war unbefriedigend und demotivierend, ihm ging es ja auch nicht anders. Kein Wunder also, wenn sie sich an diesem Freitagnachmittag in die Normalität ihres Familienalltags flüchteten, wo Hausarbeit, Schulnoten oder der leere Kühlschrank sie von ihrem beruflichen Frust ablenkten.

Sein Handy hing immer noch an der Steckdose. Er steckte es aus und betrachtete es. Etwas Seltsames geschah in dem Moment. Es war farblos geworden, als er es in die Hand genommen hatte. Was hatte das zu bedeuten? Er ging zu seinem Schreibtisch und nahm die Akte, die darauf lag. Auch sie wurde etwas farblos. Als er sie wieder auf den Tisch legte, war alles wie vorher. Er sah wieder aufs Handy. Sollte er es mitnehmen? Oder sollte er es hier liegen lassen, damit man die ominöse SMS fand?

Ein schelmisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er suchte sich Aurélies Nummer im Telefonverzeichnis und schrieb ihr eine Nachricht. Dann löschte er sie und hängte sein Handy wieder an die Steckdose hinter der Tür, damit niemand merkte, dass er hier gewesen war.

***

Aurélie hatte es sich zu Hause gemütlich gemacht. Ihre Mutter, die die Wohnung im Erdgeschoss bewohnte, war zu Verwandten nach Paris gefahren. Sie war ganz allein in dem großen Haus, das war gut so, sie brauchte jetzt Ruhe. Die gereizte Antwort auf die normale und alltägliche Frage ihrer Mitarbeiterin nach den Ereignissen des Tages war ein unverzeihlicher Fehler gewesen. Sie konnte nur hoffen, dass diese die Situation nicht überbewertete und am Ende noch eine Aussage bei der Polizei machte. War es auch ein Fehler gewesen, ihr nicht von Florians Aufenthalt im Hotel zu erzählen, von dem dieser glaubte, es sei ein Treffen mit einem Informanten?

Sie schaltete den Fernseher aus. Sie konnte sich sowieso nicht auf das Programm konzentrieren, zu sehr lenkte sie das Geschehen des Tages ab. Sie sah auf ihr Handy. Eine SMS war schon vor einer Weile eingegangen. Sie kam von Florians Handy, das sie vergeblich gesucht hatte!

›Jeder Mörder macht Fehler.‹

Mit der erhofften Ruhe war es vorbei. Aurélie ließ vor Schreck das Glas fallen, in das sie einen Schluck Bourbon eingeschenkt hatte. Jemand wusste, dass sie einen Mord begangen hatte! Diese Person würde ihr Wissen an die Polizei weitergeben. Oder sie damit erpressen.

Wer hatte ihr diese SMS geschickt? Was hatte sie zu bedeuten? Hatte jemand den Mord beobachtet? Das war unmöglich. Sie hatte alles genau durchdacht und auch am Tag vorher hatte der Zufall es gut mit ihr gemeint, als sie ihr Handy im Büro vergessen hatte. Ihre Angestellte war mit Gästen beschäftigt gewesen, sie konnte die Reservierung sogar vom Computer an der Rezeption aus eintragen und wie auf Bestellung hatte jemand mit einer unterdrückten Nummer angerufen, es musste ja niemand wissen, dass er sich bloß verwählt hatte. Sie war bei der Ausführung der Tat absolut planmäßig vorgegangen. Sie hatte ihn mittags einbestellt, um diese Zeit war im Hotel nichts los. Sie hatte extra ein Zimmer im Erdgeschoss ausgesucht, gleich neben ihrem Büro. Sie hatte in den Tagen zuvor darauf geachtet, die anderen Gäste oben unterzubringen, lediglich die Frau im Rollstuhl musste mit ihrem Mann ein Zimmer im Erdgeschoss beziehen, weil das Hotel keinen Aufzug hatte. Dieses unkalkulierbare Risiko hatte sie wieder kompensiert, indem sie dem Ehepaar eine große Stadtführung empfohlen und auch bei der Buchung freundlicherweise geholfen hatte, so würden sie lange genug wegbleiben. Das Fenster des Zimmers ging nach hinten hinaus, auf der Terrasse des Hotels saß zu dieser Jahreszeit noch niemand und sie hatte die Gardinen zugezogen, so dass auch nicht zufällig jemand hineinschauen konnte. Hatte sie etwa die Dosis des Giftes falsch berechnet und Frings war noch unter den Lebenden? Ausgeschlossen.

Nachdem sie die Scherben aufgesammelt und den Boden geputzt hatte, ging sie den Tag noch einmal durch, angefangen mit dem Moment, als sie ihm die SMS von einem eigens dafür besorgten Mobiltelefon geschrieben hatte:

›12 Uhr, Hotel Ritter, Zimmer Nr. 4. Kommen Sie allein! Und seien Sie pünktlich, wenn Sie etwas über den Mord an dem Anwalt erfahren wollen.‹

Sie hatte die SMS erst kurz vorher abgeschickt, damit Florian keine Zeit hätte, zu recherchieren, woher die Nachricht kam. Er war neugierig gewesen auf diesen geheimnisvollen Informanten und vielleicht auch ein wenig aufgeregt, weil er nicht wusste, was ihn erwartete. Aber ihr Gespräch war ganz normal verlaufen, freundschaftlich und unverbindlich. Und er hatte mit keinem Wort den Vorfall von Ninas Geburtstag erwähnt.

Hatte er etwa das Gift geschmeckt, die Praline wieder ausgespuckt, sich aufs Bett gelegt und so getan, als ob er tot wäre? Unmöglich. Das Gift war laut Beschreibung für die meisten Menschen geruch- und geschmacksneutral. Für durchschnittliche Menschen. War es bei Kriminalern anders? Hatten diese besonders ausgeprägte und geschulte Sinne? Unsinn! Florian war tot, sie hatte sein Sterben erlebt. So gut konnte niemand schauspielern, da war sie sich sicher.

Sie war unter dem Vorwand in die Küche gegangen, ein Glas Wasser zu holen, um ihre Kopfschmerztablette zu nehmen. Sie hatte das Glas mit den Lippenstiftspuren aus der Spülmaschine genommen und in ihre Tasche gesteckt, als die Küchenhilfe gerade mit dem Müll hinausgegangen war. Vorher hatte sie demonstrativ die Tablettenpackung aus der Tasche genommen. Dann hatten sie sich noch über wetterbedingte Kopfschmerzen unterhalten, Aurélie hatte ein paarmal mitleidsvoll genickt, als die Küchenhilfe ausschweifend von ihren Migräneanfällen erzählt hatte. War es denkbar, dass der Küchenhilfe das fehlende Sektglas aufgefallen war? Eher nicht. Sie war alleine in der Küche gewesen, niemand hatte sie beobachten können. Hatte jemand die fehlende Sektflasche bemerkt? Dafür wäre aber eine Bestandsaufnahme vorher und nachher nötig gewesen, von dieser Marke standen mindestens zehn Flaschen im Kühlschrank, eine fehlende würde nicht direkt auffallen. Und bedingt durch den Ausfall zweier Angestellten hatten die verbliebenen eh keine Zeit für Bestandsaufnahmen oder unnötige Beobachtungen. Egal wie sie es betrachtete, Aurélie fand keine Erklärung für die SMS von Florian.

›Jeder Mörder macht Fehler.‹

Aurélie beschloss, ins Hotel zu fahren und noch einmal nachzusehen, ob sie nicht doch einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte am Morgen beim Metzger eingekauft und ihre Tüte im Kühlschrank der Hotelküche vergessen. Unter diesem Vorwand würde sie noch einmal zurückgehen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung war, dass Florian immer noch tot im Hotelzimmer lag und auch noch keine Polizei im Haus herumschwirrte.

Als sie das Hotel betrat, sagte sie zur Begrüßung:

»Hallo Frau Schröder, ich habe meine Einkäufe hier im Kühlschrank vergessen, ich habe es erst gemerkt, als ich mir etwas zu Essen machen wollte.«

Ihr falsches Lächeln erstarrte, als ein markerschütternder Schrei durch das ganze Erdgeschoss klang.

***

Frings hatte nach seinem Ausflug in sein Büro wieder wartend im Hotelzimmer gesessen, als das Zimmermädchen hereingekommen war. Nur Sekunden später standen Aurélie und die junge Empfangsdame hinter ihr, fingen auch an zu schreien und starrten wie gebannt auf den reglosen Mann im Bett.

Aurélie war wie gelähmt, als sie feststellte, dass dieser ganz anders aussah, als sie ihn zurückgelassen hatte. Wie konnte das sein? Hatte Florian doch noch gelebt und es aus eigener Kraft geschafft, sich anzuziehen? Eher unwahrscheinlich. Hatte jemand sie dabei beobachtet, wie sie das Zimmer verließ? Hatte sie die Tür nicht fest genug zugezogen? Es lag auf der Hand, dass nach ihr noch jemand im Zimmer gewesen sein musste, der den Toten wieder angezogen hatte, dann aber verschwunden war, weil er nicht in den Fall hineingezogen werden wollte. War es derselbe gewesen, der ihr die SMS geschickt hatte? Sie überlegte fieberhaft, wer sich im Hotel aufgehalten hatte und jetzt Mitwisser war. Das Zimmermädchen hatte auf der ersten Etage gearbeitet. An der Rezeption war nur Nathalie Schröder gewesen, diese hätte sie aber sofort angerufen, wenn sie die Leiche entdeckt hätte. Die Küchenhilfe, die sich um das Frühstück kümmerte, war längst weg. Oder war sie noch einmal zurückgekommen? Wieso hatte dieser Unbekannte Florians Handy?

Ihr blieb nichts anderes übrig, als Ruhe zu bewahren und sich so zu verhalten, wie ihre Angestellten es von ihr erwarteten. »Wir müssen die Polizei rufen«, stammelte sie und zog die Zimmertür zu.

»Hier geht’s zum Zimmer Nr. 4.« Aurélie führte die beiden Polizisten an der Rezeption vorbei. Die Streife, die zunächst zum Leichenfund geschickt worden war, hatte Mühlbauer sofort benachrichtigt, nachdem sie festgestellt hatten, wer der Tote war. »Das ist ein Fall für die Kripo, kommen Sie schnell zum Hotel Ritter. Da ist was passiert!« Mehr hatte der junge, schüchterne Polizeimeister am Telefon nicht gesagt. Mühlbauer hatte Ertl zum Hotel beordert, nachdem er die beiden anderen nicht erreicht hatte.

»Ich muss Sie warnen. Der Tote ist einer Ihrer Kollegen«, sagte Aurélie.

»Sie kennen den Toten?«, wunderte sich Ertl.

»Ja, ich bin mit seiner Frau eng befreundet. Sein Name ist Florian Frings.«

»Nein ...«, stammelte Ertl, »der Florian!« Alle Farbe wich aus seinen sonst roten Wangen und auch Mühlbauer schien etwas blass um die Nase.

»Hilft nix, wir müssen den Leichenfundort jetzt in Augenschein nehmen«, sagte er und forderte Aurélie auf, die Tür zu öffnen.

Beide Kommissare blieben im Türrahmen stehen und ließen ihren geschulten Blick ein paar Minuten lang durch das Zimmer schweifen.

»Sperren Sie das Zimmer ab, damit niemand hier hereinkommt«, wies Mühlbauer sie an, »am besten sperren wir die gesamte Etage.«

»Das ist nicht möglich, ein weiteres Zimmer hier im Erdgeschoss ist belegt.«

»Können Sie die Gäste nicht in einem anderen Zimmer unterbringen?«

»Leider nein, die Frau sitzt im Rollstuhl, und wir haben keinen Aufzug.«

Mühlbauer machte ein mürrisches Gesicht, dann rief er die Spurensicherung und den Gerichtsmediziner an, während Ertl es nach mehrmaligen Versuchen schaffte, die beiden anderen Kollegen zu benachrichtigen.

Als genügend Beamte im Hotel waren, teilte Mühlbauer seine Kollegen zur Befragung der Anwesenden ein. Er hatte ganz selbstverständlich die Leitung des Teams übernommen, er war der Älteste von allen und schien sich in seiner Rolle sofort wohl zu fühlen. Nur dass der Tote sein Chef war, hatte sogar ihn bestürzt.

»Sollten wir das nicht lieber andere machen lassen, man könnte uns Befangenheit vorwerfen«, schlug Markus Niedermeier vor.

»Ach was!«, widersprach Mühlbauer. »Fräulein Renner, befragen Sie bitte das Zimmermädchen. Ertl, Sie klopfen an jede Tür und befragen die Gäste, die anwesend sind. Niedermeier, Sie befragen die Empfangsdame, gleich hier an der Rezeption. Wenn jemand kommt, halten Sie die Leute fest. Niemand verschwindet in seinem Zimmer, bevor er eine Aussage gemacht hat. Frau Bonnet, können wir beide uns irgendwo ungestört unterhalten? In Ihrem Büro vielleicht?«

Aurélie ging vor und befahl sich, ruhig zu bleiben.

Frings war neugierig, was sie nun aussagen würde, und folgte den beiden.

»Es ist so furchtbar!«, jammerte sie scheinheilig, während sie die Tür schloss, sich an ihren Schreibtisch setzte und Mühlbauer den Besucherstuhl anbot.

»Wissen Sie, warum Herr Frings heute in Ihrem Hotel war?«

»Er wollte sich mit einem Informanten treffen. Das hat er zumindest gesagt.«

»Ein Informant, so so. Hat dieser Informant mit Sekt auf ihn gewartet?«

»Ich kann Ihnen nur sagen, dass Herr Frings als erster hier war. Nachdem er aufs Zimmer gegangen war, habe ich hier, in meinem Büro gearbeitet, es war ziemlich ruhig, also hielt ich es nicht für notwendig, an der Rezeption zu sitzen.«

»Haben Sie danach jemanden gesehen oder gehört, der nach ihm ins Zimmer gegangen ist?«

»Nein, leider nicht. Wenn jemand gekommen ist, während ich telefoniert habe, hätte er unbemerkt an der Rezeption vorbei gehen können.«

»Mit wem haben Sie telefoniert?«

»Mit einer Mitarbeiterin, die am Wochenende für eine kranke Kollegin einspringen sollte.«

»Wie lange hat das Gespräch gedauert?«

»Zehn Minuten vielleicht, es könnten aber auch fünfzehn gewesen sein.« Zeit genug für jemanden, an der unbesetzten Rezeption vorbei zu schleichen, dachte sie. Es war eine geniale Idee gewesen, die Wochenendbesetzung gleich nach der Tat zu regeln, so lieferte sie der Polizei ein perfektes Zeitfenster.

»Herr Frings hat also keinen Sekt bestellt?«

»Nein, weder Herr Frings, noch sonst jemand. Das hätte ich mitbekommen.«

»War das Zimmer vorab gebucht?«

»Ja, Herr Frings hatte es reserviert.«

»Wann?«

»Am Abend vorher. Telefonisch.«

»Bei Ihnen?«

»Ja, bei mir. Zwar hatte Frau Schröder gestern Abend Dienst, aber ich war kurz hier, als er anrief.«

»Hat Herr Frings das Zimmer bezahlt?«

»Ja, mit seiner Kreditkarte. Gleich beim Check-in.«

Mühlbauer zog sein Handy aus der Tasche.

›Fragen Sie Frau Schröder, ob sie die telefonische Zimmerreservierung von Frings gestern Abend mitbekommen hat‹, schrieb er seinem Kollegen Niedermeier.

»Frau Bonnet, kam es häufiger vor, dass sich Herr Frings in Ihrem Hotel mit jemandem getroffen hat?«

»Nein, nie!«

Als sie merkte, worauf Mühlbauer hinaus wollte, täuschte sie Betroffenheit vor.

»Arme Nina! Das wird sie ziemlich mitnehmen. Erst Florians Tod und dann diese Affäre! Ich dachte immer, dass die beiden eine glückliche Ehe führen.«

»Wie kommen Sie darauf, dass er eine Affäre hatte?«

»Na ja, der Sekt, die beiden Sektgläser, das zerwühlte Bett. Als das Zimmermädchen ihn gefunden hat, war ich nur kurz im Zimmer, aber das hat gereicht, um mir ein Bild zu machen. Wie ein Gespräch mit einem Informanten sah es ganz sicher nicht aus.«

Silvia Renner hatte sich mit dem Zimmermädchen, welches immer noch zitterte und bisher kaum ein Wort gesagt hatte, in eine Ecke des Foyers zurückgezogen.

»Frau Nowak, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Also, Ihr Name ist Amelia Nowak, wie alt sind Sie?«, fragte sie ganz beiläufig, um die Frau etwas abzulenken.

»Sechsundzwanzig.«

»Wie lange arbeiten Sie schon hier, im Hotel?«

»Seit einem Jahr ungefähr. Ich habe vorher in einer Klinik in München gearbeitet, in der Küche, aber die Fahrerei war mir zu viel, nachdem ich zu meinem Freund nach Landshut gezogen bin. Im Krankenhaus hatte ich auch schlechtere Arbeitszeiten.«

»Und wie sind Sie an diese Stelle hier im Hotel gekommen?«

»Meine Großmutter hat hier gearbeitet. Als sie in Rente gegangen ist, hat sie mich Frau Bonnet empfohlen.«

Amelia Nowak hatte sich etwas beruhigt, während sie Renners unverfängliche Fragen beantwortet und das Glas Wasser ausgetrunken hatte.

»Beschreiben Sie Ihren heutigen Arbeitstag. Wann haben Sie angefangen?«

»Wie immer, so gegen acht Uhr. Dann kommt der LKW von der Wäscherei, bringt die saubere Wäsche und holt die schmutzige vom Vortag ab. Dann bringe ich die Sachen nach oben, räume sie in die Regale ein, oben wird mehr Wäsche benötigt als hier im Erdgeschoss. Die Zimmer oben sind moderner und schöner, deswegen bringt Frau Bonnet die Gäste meistens dort unter. Die Zimmer im Erdgeschoss sind nicht so oft belegt. Wenn die Gäste das Hotel verlassen, fange ich an, zu putzen. Erst die Zimmer, die gerade frei geworden sind und am gleichen Tag neu belegt werden. Die Empfangsdame gibt uns immer eine Liste. Danach kommen die anderen Zimmer dran. Meistens bin ich bis mittags fertig, weil wir ja zu zweit arbeiten. Aber heute war ich alleine und deswegen hat es länger gedauert. Ich habe also erst die Zimmer im 1. und 2. Stock gemacht, dann bin ich herunter gekommen, weil ich wusste, dass dort noch ein Zimmer zu machen ist. Ich habe mich gewundert, dass an der Türklinke von Zimmer 4 das Schild ›Bitte aufräumen‹ hing, denn auf der Liste stand ja nur Zimmer 1.«

»Das heißt, auf der Liste, die Sie heute Morgen bekommen haben, stand das Zimmer Nr. 4 als unbelegt drin?«

»Ja, aber das ist nicht ungewöhnlich. Wenn am Vormittag jemand eincheckt, dann bekommt er ja ein sauberes Zimmer, das wird erst am nächsten Tag wieder aufgeräumt. Deswegen habe ich mich ja gewundert, dass jemand am Vormittag eingecheckt und auch schon wieder ausgecheckt hat.«

»Welches Zimmer im Erdgeschoss haben Sie zuerst aufgeräumt?«

»Die Nr. 1, denn ich wollte fertig sein, wenn die Gäste zurückkommen. Dann erst habe ich Zimmer Nr. 4 geöffnet.«

Amelia Nowak begann wieder zu zittern. »Es war so furchtbar! Ich habe noch nie einen Toten gesehen.«

Silvia Renner legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter und ermunterte sie, das Auffinden der Leiche möglichst detailliert zu beschreiben.

»Ich habe nicht geklopft, weil ich dachte, dass das Zimmer leer sei. Als ich den Mann auf dem Bett liegen sah, habe ich mich sofort entschuldigt und gefragt, ob ich das Zimmer wirklich aufräumen soll, aber er hat nicht geantwortet. Dann bin ich näher hingegangen und habe ihn am Arm berührt. Erst da habe ich gemerkt, dass er tot ist.«

»Haben Sie im Zimmer etwas angefasst oder verändert?«

»Nein. Ich habe geschrien und dann kamen ja auch schon Frau Bonnet und Nathalie, also Frau Schröder.«

»Haben Sie zufällig mitbekommen, dass jemand das Zimmer Nr. 4 betreten oder verlassen hat? Haben Sie gesehen, wer in diesem Zimmer eingecheckt hat?«

»Nein, ich habe doch oben gearbeitet. Im Flur und in den Zimmern bekommt man nichts mit, schon gar nicht, wenn der Staubsauger brummt. Erst wenn man auf der Treppe steht, sieht man, was unten an der Rezeption los ist.«

»Es ist Ihnen also nichts Verdächtiges aufgefallen?«

»Nein, Frau Schröder hat an ihrem Schreibtisch gearbeitet, Frau Bonnet habe ich nicht gesehen, und von den Gästen war gerade keiner da.«

Nathalie Schröder saß am Schreibtisch hinter dem Tresen und zupfte nervös an ihrem Rock. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, ihr Atem ging unregelmäßig.

»Entschuldigen Sie bitte, sowas kenne ich eigentlich nur aus Fernsehkrimis. Wurde der Mann ermordet?«

Niedermeier zog seinen Notizblock aus der Jackentasche. »Das wissen wir noch nicht. Ich muss Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen, Frau Schröder.« Die junge Frau nickte zaghaft.

»Haben Sie gesehen, wie Herr Frings, also der Tote im Zimmer Nr. 4, das Hotel betreten hat?«

»Nein. Ich war erst kurz vor 14 Uhr hier, pünktlich zum Schichtbeginn, es war ziemlich ruhig, die Gäste waren um diese Zeit außer Haus. Ich hatte mir vorgenommen, die Ablage endlich zu erledigen. Seitdem zwei Kolleginnen krank sind, bleibt sowas meist liegen.«

»War Frau Bonnet noch da?«

»Ja, und sie war ziemlich gereizt. Aber dann hatte sie sich schnell wieder im Griff, wir haben die Übergabe gemacht und dann ist sie nach Hause gefahren.«

»Hat sie gesagt, warum sie gereizt war?«

»Nein, ich habe sie auch nicht danach gefragt. Wenn die Chefin schlechte Laune hat, sollte man sie lieber in Ruhe lassen.«

»Ist Ihnen heute etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Ein Streit? Jemand, der sich hier aufgehalten hat, aber nicht Gast des Hotels war?«

»Nein, tut mir leid.«

Niedermeiers Handy vibrierte in seiner Hosentasche.

›Fragen Sie Frau Schröder, ob sie die telefonische Zimmerreservierung von Frings gestern Abend mitbekommen hat‹, hatte Mühlbauer geschrieben.

»Hatten Sie gestern auch Dienst?«

»Ja, die gleiche Schicht wie schon den Rest der Woche. Von 14 bis 22 Uhr.«

»Dann haben Sie gestern Abend die telefonische Reservierung von Herrn Frings mitbekommen?«

»Was? Nein. Es ist schon lange her, dass jemand telefonisch gebucht hat. Heutzutage geschieht das fast ausschließlich über Buchungsportale oder über unsere Homepage.«

»Das heißt, gestern hat niemand hier angerufen?«

»Doch, natürlich haben auch Leute hier angerufen. Aber nicht wegen einer neuen Reservierung.«

»Waren noch weitere Angestellte hier?«

»Nein, ich war alleine. Aber Frau Bonnet war am Abend nur noch kurz hier. Sie hatte wieder einmal ihr Handy im Büro vergessen.«

Nathalie Schröder überlegte kurz.

»Ein Telefonat hat sie tatsächlich angenommen. Einige Gäste hatten ihr Gepäck noch hier, im Hotel, weil ihr Flieger erst am Abend ging. Das war so gegen 19 Uhr, als ich mit ihnen zum Gepäckraum gegangen bin. Gleichzeitig kam ein Anruf, Frau Bonnet sagte, sie würde das Gespräch annehmen. Vielleicht war das der Anrufer, der telefonisch reserviert hat.«

»Haben Sie vom Telefonat etwas mitbekommen?«

»Nein, leider nicht. Es gab ziemlich viel Tumult, bis endlich jeder seinen Koffer hatte.«

»Wie lange war Frau Bonnet hier?«

»Etwa zehn Minuten. Ich bin danach noch zur Toilette gegangen. Als ich zum Tresen zurückkam, wartete Frau Bonnet schon ungeduldig.«

»Das Telefonat war also beendet?«

»Ja.«

»Haben Sie eine neue Reservierung bemerkt? War erkennbar, dass jemand an dem Computer etwas gemacht hat?«

»Nein, der Bildschirm zeigte die gleiche Tabelle, an der ich vorher gearbeitet hatte.«

»Hat Frau Bonnet gesagt, wer angerufen hat?«

»Nein, ich habe sie aber auch nicht danach gefragt. Wie ich bereits sagte, sie wartete schon ungeduldig und schien auch vom Gegröle der abreisenden Gäste ziemlich genervt.«

»Verstehe«, sagte Niedermeier. »Arbeiten Sie gerne hier im Hotel?«

»Eigentlich schon. Ich mag die Gäste aus allen Herren Ländern, ich muss keine Nachtschichten machen, Frau Bonnet zahlt ganz gut, besser als die meisten anderen Hotels. Und die Chefin ist ja auch nicht immer hier.« Frau Schröder grinste dabei.

***

Mühlbauer trommelte seine Mannschaft wieder zusammen.

»Ich fahre jetzt mit der Kollegin Renner zu Frau Frings. Niedermeier, Ertl, Sie warten hier auf das Eintreffen der anderen Gäste. Wir treffen uns um 20 Uhr im Büro zu einer ersten Besprechung. Sorgen Sie dafür, dass das Zimmer versiegelt wird, wenn die Leute da drin mit ihrer Arbeit fertig sind.«

Als Nina Frings die Tür öffnete und die beiden Kollegen ihres Mannes sah, wusste sie, dass etwas Schlimmes passiert war. Das war genau der Moment, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte: dass zwei Polizisten vor der Tür standen und ihr mit steinerner Miene mitteilten, dass ihr Mann im Dienst verletzt worden war. Oder schlimmer.

»Frau Frings, dürfen wir einen Moment hereinkommen?«

»Was ist passiert? Jetzt sagen Sie schon, was los ist!«, schrie sie hysterisch, während sie den Kommissaren die Tür aufhielt.

»Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann heute Nachmittag tot aufgefunden wurde«, sagte Mühlbauer. »Es tut mir sehr leid!«

Zwei Teenager waren unbemerkt die Treppe herunter gekommen, standen da und starrten die beiden Polizisten an.

»Was ist mit Papa? Er ist tot?«, sagte einer der beiden. Er war großgewachsen, schlaksig und trug eine Zahnspange. Seine blonden Locken flogen durch die Luft, als er heftig den Kopf schüttelte und immer wieder ›Nein! Nein!‹ schrie, zu seiner Mutter lief und ihr in die Arme fiel.

Der andere Teenager, ein etwa gleichaltriger Schwarzer mit sportlicher Statur stand erst betreten am Treppenabsatz und betrachtete Mutter und Sohn. Dann ging er zu ihnen, legte seine Arme um die beiden und murmelte etwas Unverständliches.

»Rufen Sie einen Arzt an«, sagte Mühlbauer. »Heute ist Frings' Familie nicht mehr zu einer Befragung fähig. Wir kommen morgen wieder.«

Silvia Renner wusste von ihrem Chef, dass er mit den Nachbarn gut befreundet war. Sie klingelte an der Tür und bat die Nachbarin, bei Frau Frings und den Kindern zu bleiben und Verwandte zu benachrichtigen, die sich um sie kümmern könnten.

***

Frings hatte das Szenario beobachtet. Das Grauen, das seine Familie erlebte, schmerzte ihn. Aber noch mehr bedauerte er, dass er ihnen nicht beistehen konnte, sie nicht trösten konnte, denn sie sahen ihn nicht.

Ninas Schminke war verschmiert. Sie putzte sich die Nase und verwischte die schwarzen Ränder noch mehr mit dem Taschentuch. Frings setzte sich neben sie, berührte ihre Hand und sagte:

»Es tut mir so leid, Nina! Es tut mir so unendlich leid! Und ich hatte nicht Recht, als ich sagte, dass der Job in Landshut weniger gefährlich sei als früher im Münchener Drogendezernat. Ich wünschte, ich hätte euch besser auf diese Situation vorbereitet. Aber wer glaubt schon, dass sowas tatsächlich jemals passiert?«

Nina wurde von einem erneuten Weinkrampf geschüttelt, auch sein Sohn Dominik saß schluchzend auf dem Sofa und scheiterte kläglich bei dem Versuch, stark zu sein. Vergessen waren gerade die ständigen pubertären Dispute zwischen Mutter und Sohn, die Machtkämpfe eines Sechzehnjährigen gegen seine dominante und strenge Mutter.

Auch Matt saß auf dem Sofa und kämpfte mit den Tränen. Matthew Williams war Austauschschüler aus Philadelphia, er lebte seit Beginn des Schuljahres bei ihnen und hatte sich gut in die Familie eingefunden. Matt wollte auch Polizist werden und hatte ihm manchmal stundenlang Löcher in den Bauch gefragt.

Rita, die Nachbarin hockte ihnen gegenüber, auf der Kante des Couchtisches. Sie versuchte, beruhigend auf Nina einzureden, fand aber auch nicht die richtigen Worte. Was waren denn überhaupt die richtigen Worte an so einem Tag? Geschockte Angehörige wollten nicht hören, dass das Leben weiter ging, dass sie stark sein müssten für ihre Kinder, auch nicht, dass sie weinen dürften oder traurig sein. Am besten war es, nichts dergleichen zu sagen. Aber er hatte es auch viel einfacher gehabt. Er musste die drückende Stille nicht stumm ertragen, als Ermittler konnte er sich immer mit Fragen über diesen Moment hinaus retten.