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Sie ist die tödlichste Assassine des Universums und hat soeben wieder einen Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Doch ihr Auftraggeber will Nygen und ihre KI, Emma, dennoch beseitigen. Während des Katz-und-Maus-Spiels stößt Nygen nicht nur auf Hinweise zu einer großen Verschwörung, sondern auch auf ihre eigene, lang vergessene Vergangenheit. Und welche Rolle spielt der Agent Liam, der Nygen das Leben rettet? Die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen zunehmend auf der abenteuerlichen Reise quer durch das Universum. Kann Nygen die Geheimnisse um Liam und ihre Widersacher lüften?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Danksagung
Leseprobe
Chris Mueller
Imperialis
Band 1:
Erwachen
Science-Fiction-Roman
Ein Science-Fiction-Roman
vonChris Mueller
Impressum:
Adressenservice “Die Bachmühle”
Bachmühle 1
97922 Lauda
E-Mail: [email protected]
Copyright © 2024 Chris Mueller
Lektorat, Korrektorat, Buchsatz E-Book & Print:
Herzblut-Lektorat – Stephanie Bösel
www.herzblut-lektorat.de
Umschlaggestaltung: Chris Müller
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Urheberrechtlich geschütztes Material
Widmung
Für Leo und Jessi
Nygen schoss mit ihrem kleinen Jäger hinter einem Asteroiden hervor, hörte das vertraute Summen der Zielerfassung und das Surren der Elektromotoren, die ihre Waffen auf den letzten verbliebenen Angreifer ausrichteten. Die Raketen waren ihr schon vor zehn Minuten, bei dem Katz-und-Maus-Spiel durch das Asteroidenfeld, ausgegangen.
Ihr Gegner suchte sie, bemerkte sie jedoch erst, als die Ionenkanonen die Reste seiner Schilde dezimierten. Das darauffolgende Ausweichmanöver hatte sie vorausgeahnt. Die Partikelkanonen fraßen sich durch die schon sehr angeschlagene Hülle und zerstörten das, was vom Antrieb des feindlichen Jägers noch übrig war. Der Pilot musste den Notausstieg aktiviert haben, denn seine Kanzel wurde weggesprengt und schoss auf das nahe gelegene Ende des Asteroidenfeldes zu.
Nygen jagte der Kapsel hinterher und feuerte auf das kleine Ziel. Ihre Schüsse streiften die Rettungskapsel und zerstörten die Schubdüsen. Kurz danach erschienen unverkennbare Risse in der Kapselscheibe, und es war deutlich zu erkennen, dass der Sauerstoff austrat. Der Pilot würde kein angenehmes Ende haben, sollte er überhaupt noch am Leben sein. Sie zuckte mit den Schultern.
Die Bewegung der Schultern zeigte ihr, wie angespannt sie durch die vorangegangenen dreißig Minuten war. Obwohl ihr Raumanzug ihren Schweiß aufsaugen und wieder aufbereiten sollte, merkte sie die unangenehme Feuchtigkeit an ihrem Körper, nachdem das Adrenalin etwas nachgelassen hatte. Höchste Zeit, zu Emma zurückzukehren.
Nygen drehte ihren Jäger in Richtung des Zentrums des Asteroidenfeldes. Wie immer musste sie beim Anblick ihres Schiffes in der Form eines silbernen Diskus breit grinsen. Emma, ihr umgebautes Bergbauschiff, das sie als ihre Einsatzzentrale nutzte, hing leicht schief über ihrer Cockpitscheibe, was den Anflug vereinfachte. Nygen steuerte die unten liegende Landeschleuse an. Ihr großes Schiff war ringförmig aufgebaut. Im Zentrum lag der Reaktor, der einen deutlichen Energieüberschuss lieferte, deutlich mehr, als ein Schiff dieser Größe benötigte. Im nächsten Ring lagen die Hangarkammern für bis zu sechs kleinen Schiffen. Aktuell lagen dort zwei Transporter, die sie normalerweise für Handelstransporte einsetzte und ein weiterer leichter Jäger, der auf Geschwindigkeit ausgelegt war. Die anderen Kammern ließ sie bewusst frei für zufällige Funde von für sie nützlichen Schiffen, die ein neues Zuhause suchten. Neben den Hangarkammern gab es ein Lager für Raketen und Fusionsbomben, um ihren Jäger auszurüsten. Im äußeren Ring lagen die Wohnräume, die Waffenkammer für Handfeuerwaffen, Lagerräume und Werkstätten.
Als sich Nygens Jäger der Schleuse näherte, übernahm Emma die Steuerung. Nygen schnallte sich bereits ab, löste die Versorgungsschläuche, die ihren Anzug mit den Lebenserhaltungssystemen des Jägers verbanden, und ging nach hinten zur Ausstiegsluke. Der Jäger dockte automatisch an. »Emma, bitte eine Schadensanalyse des Jägers vornehmen und neu mit Raketen bestücken.«
»Sehr gern.«
Nygen hörte bereits das Summen der Scanner starten, als sie die ersten Schritte in die Hangarkammer machte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Ersatzraketen direkt auf die Werferkammern zuschwebten.
Am liebsten hätte sie sich sofort eine Dusche gegönnt, doch es gab vorher noch einiges zu tun. Nygen erreichte die Brücke und rief die Scanner auf. Sie hatte zum Schutz vor eventuellen Verfolgern bereits außerhalb des Asteroidenfeldes Sensorbojen verteilt, die sie frühzeitig warnten, falls sich unfreundliche Gesellschaft näherte wie vor wenigen Minuten. Aktuell lag der Weltraum ruhig vor ihr. Anscheinend hatte sie für den Moment etwas Zeit zum Durchatmen. »Emma, ist die automatische Annäherungswarnung weiterhin aktiv?«
»Selbstverständlich«, bestätigte Emma.
Als Nächstes rief Nygen die Scannereinheiten auf und verschaffte sich ein Bild von dem vorhandenen Treibgut nach dem Kampf. Sie konnte bereits einige wertvolle Komponenten ausmachen und entsendete die wendigen Minendrohnen, um den Schrott einzusammeln. Die Drohnen verließen Emmas Rumpf aus einer Schleuse kurz vor den Triebwerken.
Das Wertvollste jedoch war das, zwar etwas lädierte, aber nicht voll zerstörte Schiff ihres letzten Kontrahenten. Emma würde automatisch die Minendrohnen die von ihr identifizierten Komponenten einsammeln lassen und gegebenenfalls die Position anpassen, falls die Trümmer nicht in Reichweite der Drohnen sein sollten. Das Sortieren nach dem Einsammeln würde etwas Zeit in Anspruch nehmen. Zum Glück war die Weiterverarbeitung weitestgehend automatisiert. Inklusive der Trennung der wichtigen Metalle direkt in den Schmelzöfen sowie die Einlagerung der Metallbarren nach dem Schmelzprozess.
Nygen kontrollierte, ob alles nach ihren Wünschen in die Wege geleitet wurde, und machte sich dann auf den Weg in ihr Quartier. Sie freute sich auf eine heiße Dusche und frische Kleidung. Rasch betrat sie ihre Kabine, den größten Raum direkt in der Nähe der Brücke. Sie warf ihren verschmutzten Raumanzug und ihren Overall achtlos auf den Boden.
Emma hatte eine Armee an spinnenartigen Robotern erschaffen, die von Wartungsarbeiten bis hin zur Reinigung alle möglichen Aufgaben erledigten. Diese würden auch umgehend ihre Kleidung zur Reinigungsanlage bringen und ihr frische Kleidung bereitlegen, bis sie aus der Dusche kam. Genauso würden die mechanischen Helfer ihren Raumanzug überprüfen und wieder an seinem Platz direkt auf dem Weg zwischen Brücke und den Hangarkammern hängen, sodass sie im Notfall sofort abflugbereit wäre.
Sie genoss den Luxus einer echten Dusche mit Wasser. Nicht diese unkomfortablen Ultraschallduschen, mit denen man sich danach immer noch schmutzig und verschwitzt fühlte. Dafür hatte sie extra die Aufbereitungssysteme von Emma angepasst. Es ging kein Tropfen Wasser verloren und es wurde alles wieder aufbereitet. Deswegen hatte sie auch kein schlechtes Gewissen, als sie unter die Dusche stieg.
Nygen schloss die Augen und ihre Muskeln entspannten sich, als das warme Wasser über ihre hellviolette Haut hinunterlief. Zu ihrem Leidwesen hatte sie komplett glatte Haut und war manchmal etwas neidisch auf die menschlichen Haare, insbesondere lange glatte Haare fand sie wunderschön. Das Hauptmerkmal an ihrem Kopf waren ihre mandelförmigen Augen sowie eine etwas ungewöhnliche Kopfform aus menschlicher Sicht. Ihr Körper war sehr schlank mit etwas längeren Beinen, als es für Menschen üblich wäre. Dazu kamen besondere Fähigkeiten wie ein Gespür für Magnetfelder, die Wahrnehmung von ultraviolettem als auch infrarotem Licht und manchmal eine gewisse Vorahnung, was um sie herum passierte, bevor es Realität wurde. Ihr spitzes Kinn verlieh ihrem Gesicht ein leicht dämonenhaftes Aussehen.
Nygen betrachtete sich gedankenverloren im Spiegel. Sie hatte mit ihrem Körper bereits so manchem Mann den Kopf verdreht. Insbesondere Menschen schienen sie besonders anziehend zu finden. Sie hatte noch nie jemanden mit ähnlichem Aussehen oder vergleichbaren Eigenschaften getroffen und war sich ziemlich sicher, dass sie kein Mensch war. Definitiv nicht ausschließlich. Ansonsten wusste sie wenig über ihre Herkunft.
Ein Piepsen von Emma riss sie aus den Gedanken der vergangenen Begegnungen. »Ja, Emma?«
»Die Schadensanalyse ist abgeschlossen. Der Jäger ist einsatzfähig. Er hat allerdings einige Schäden an der Außenhülle abbekommen.«
Nygen hörte einen leicht sarkastischen Ton heraus und der unausgesprochene Hinweis, dass sie lernen sollte, besser zu fliegen. »Haben wir die Ersatzteile hier beziehungsweise können wir sie mit dem Schrott von den Angreifern reproduzieren?«
»Einen Teil haben wir vorrätig und ich habe den Austausch bereits veranlasst. Die beschädigten Teile werden eingeschmolzen, wie immer. Den Rest können wir nach meiner Einschätzung aus der Beute herstellen.«
Wieder dieser leicht süffisante Unterton, insbesondere beim ersten Satz. »Danke für das Update, Emma. Ich bin gleich da.« Nygen zog sich den bereitliegenden Overall an und ging auf die Brücke. Sie rief zunächst den Status der Minendrohnen auf. Bereits einiges an Schrott war eingesammelt und die Lagerräume füllten sich langsam. Die total demolierten Komponenten, die nicht mehr verwendet werden konnten, hatte Emma direkt in die Schmelzöfen geschickt. Entsprechend zeigte sich auch ein leicht erhöhter Energieausstoß des Reaktors.
»Wow«, entwich es ihr leise. Das hätte sie nicht gedacht. Nicht nur eines der Schiffe der Kontrahenten war nahezu unversehrt, sondern sogar zwei. Zum Ausschlachten guter Komponenten sah ein weiteres vielversprechend aus. Vielleicht war auch etwas dabei, um ihren eigenen Jäger zu verbessern.
»Die lohnenswerten Komponenten sind eingesammelt und werden verarbeitet«, meldete Emma nach kurzer Zeit.
»Tolle Bestandsliste«, murmelte Nygen. Sie rief sich die Details der Angreifer auf und analysierte die Aufzeichnungen des Kampfes. »Emma, zeige mir bitte die öffentlichen Informationen zu den Kennungen der Jäger.«
»Alles Schiffe von HELENIC Industries, stationiert auf der gleichen Basis einige Sprünge entfernt.« Als Bestätigung der Aussage blendete Emma die Informationen aus den öffentlichen Verzeichnissen auf einen der Bildschirme. »Ich hacke mich gerade in das System der Station. Zusätzliche Informationen sollten in einigen Momenten verfügbar sein.« Nach und nach ergänzten sich die Details zu jedem der Schiffe mit Modifikationen, Wartungshistorie und zugeordneten Piloten.
»Was hast du zu HELENIC im Allgemeinen?«
»Die offizielle Version kennst du als großen Industriekonzern. Ursprünglich aus den menschlichen Sektoren, aber im Grunde im gesamten bekannten Raum aktiv. Handel, Bergbau, Schiffbau und zugehörige Waffenproduktion. Aber auch einer unserer Auftraggeber, als auch zum Teil Ziel unserer Aufträge. Nichts Außergewöhnliches, ein paar Morde, Sabotagen, Industriespionage.«
»Sind wir ihnen zu sehr auf die Füße getreten?«
»Nicht, dass das meine Analysen aktuell ergeben hätten. Unsere Aufträge haben wir wie immer erfolgreich abgeschlossen. Unsere Ziele waren nie in den oberen Etagen der Firma oder kritische Teile der HELENIC Aktivitäten.«
»Also eigentlich kein Grund, uns zu belästigen. Und wie haben sie uns gefunden?«
»Die Analysen laufen aktuell, doch bisher kann ich keine Spuren erkennen, die wir hinterlassen haben. Ich melde mich, wenn ich auf etwas stoße.«
»Danke. Auf die Frage brauchen wir schnellstmöglich eine Antwort. Nimm jetzt Kurs aus dem Asteroidenfeld und sammle dabei die Sensorbojen ein. Dann bring uns nach Sheruta Alpha.«
Jede Boje hatte einen kleinen Antrieb und setzte sich in Richtung Emma in Bewegung, sodass das Einsammeln keinen weiteren Zeitverzug bedeutete. Emma würde den Sprungantrieb aktivieren, sobald sie in sicherer Entfernung zu dem Asteroidenfeld waren. Den Sprungantrieb in einem Asteroidenfeld zu starten, grenzte an Selbstmord. Der Antrieb musste auf ein Sprungtor als Ziel fokussiert werden und generierte einen Übergang, der das Schiff dorthin zog. Das Schiff selbst war zwar vor der außergewöhnlichen Schwerkraft geschützt, allerdings wurden die Asteroiden zu Geschossen beschleunigt, die die Schilde von Emma problemlos durchschlagen würden und im schlimmsten Fall bis zum Reaktor durchdringen konnten.
»Nygen, die drei beschädigten Gleiter sind in den Hangarkammern«, meldete sich Emma, als sie das Asteroidenfeld verließen. »Die Analyse hat ergeben, dass die Navigationscomputer noch unbeschädigt sind. Soll ich die Verschlüsselung umgehen und die Daten extrahieren? Zusätzlich habe ich noch Bereiche auf den Bordcomputern mit Spezialkryptosicherung identifiziert. Wie soll ich damit verfahren?«
»Bitte?« Spezialkryptosicherungen waren sehr ungewöhnlich für Gleiter dieser Größe. Ein Durchbrechen der Verschlüsselung war nahezu unmöglich und typischerweise mit Selbstzerstörungsmechanismen verbunden, die allein schon bei dem Versuch des Decodierens entweder nur die Speichereinheit oder sogar das ganze Schiff zerstören konnten. »Okay, lade bitte die Navigationsdaten und stelle sie auf dem Nebenbildschirm auf einer Weltraumkarte dar. Die Spezialkryptobereiche unangetastet lassen. Ich muss zuerst einige Analysen machen.«
»Sehr gern«, kam die Antwort von Emma, »Die Ergebnisse stehen voraussichtlich in zehn Minuten bereit.« Sie fuhr die Triebwerke hoch, um sich weit genug von den Asteroiden zu entfernen, und nahm die letzten Sensorbojen an Bord. Emma kontrollierte ein letztes Mal die Umgebungsscanner, bevor sie den Sprungantrieb aktivierte.
Nygen lächelte in Erwartung des typischen leichten Ziehens in ihrem Bauch, der mit der Aktivierung des Sprungantriebes einherging, genauso wie der Lichtblitz, der sie umschloss und den sie mehr spürte als sah.
Sie tauchte wenige Augenblicke später wie geplant in ihrem Zielsystem aus dem Sprungtor auf.
Liam beobachtete den Lichtblitz und aktivierte seinen Antrieb, sobald er sicher war, dass der Pilot des Bergbauschiffes ihn nicht mehr erfassen konnte. Er hatte alles erfahren, was es zu erfahren gab. Kampftaktik, Vorgehen und Vorsichtsmaßnahmen.
Auf dem Weg zum Sprungtor, ließ Liam die letzten zwei Standardzeiten Revue passieren. Er rechnete immer noch in seine gewohnte Erdzeit um, und die zwei Standardzeiten entsprachen circa zweieinhalb Tagen. Standardzeiten waren ein Konstrukt, auf das sich die Völker vor einiger Zeit geeinigt hatten, um einfacher Absprachen treffen zu können. Genauso verhielt es sich mit einem Click. Ein Click repräsentierte ungefähr dreißig Erdminuten. Liam rechnete auch das intuitiv um.
Er hatte die Anweisung bekommen, mit seinem Spionagegleiter in ein Asteroidenfeld zu fliegen, sich zu verstecken und alles zu beobachten und aufzuzeichnen, was passieren würde. Die Ankunft des Bergbauschiffes war das erste Event gewesen. Als der Pilot das Bergbauschiff in das Asteroidenfeld gesteuert hatte, nahm er zunächst an, es wäre eine dieser elendig langweiligen Missionen, die auch eine KI hätte übernehmen können. Das erste interessante Detail war aber, dass das Bergbauschiff Sensorbojen verteilt hatte. Nicht zufällig und zum Auswerten der Asteroiden wie es üblich gewesen wäre, sondern als Frühwarnsystem. Er wäre niemals durch die Scanner gekommen, wäre er nicht schon an einem Asteroiden mit abgeschalteten Systemen verankert. Selbst die Lebenserhaltung war auf das absolute Minimum reduziert und seine Energiesignatur war auch mit guten Scannern nicht messbar.
Dann passierte tatsächlich für fast eineinhalb Standardzeiten nicht viel. Die Minendrohnen begannen, einige der Asteroiden auszubeuten und alles erweckte einen fast schon normalen Eindruck. Lediglich der Energieausstoß des Bergbauschiffes war etwas merkwürdig. Eigentlich hätte die Verarbeitung der Erze den Reaktor auf Hochleistung bringen müssen, doch der Reaktor schien nicht einmal bei fünfzig Prozent Auslastung zu laufen.
Nach der Phase der äußerlichen Ruhe begann es, interessant zu werden. Auf einmal flirrten die Schutzschilde des Bergbauschiffes auf, wie es bei einer Aktivierung typisch war. Die Minendrohnen kehrten zurück und ein Jäger schoss aus einem gut in die Hülle eingearbeiteten Hangartor. Bergbauschiffe hatten normalerweise keinerlei Hangar für kleine Schiffe. Jedes bisschen Raum wurde für Lager und Erzverarbeitung eingesetzt. Das war alles, nur kein normales Bergbauschiff. Der Pilot des Jägers flog zunächst in seine Richtung und er befürchtete schon, dass er entdeckt worden war. Liam war kurz davor, einen Notstart seiner Systeme durchzuführen, um sich zumindest etwas zu verteidigen. Er wollte schon die Notroutine aktivieren, da drehte der Pilot ab und schwenkte auf einen Kurs hin zum Rand des Asteroidenfeldes ein. Den Grund dafür erkannte er erst einige Minuten später. Seine Scanner zeigten ihm die Signaturen von sieben Jägern. Drei der Schiffe waren schwere Raumkampfgleiter, die anderen vier mittelschwere Kampfversionen. Das war nichts anderes als ein Exekutionskommando, und kein unerfahrenes, wie man an der Formation und Ausrüstung der Gleiter erkennen konnte. Der Pilot hatte keinerlei Chance. Er musste durch die Scannerbojen sogar deutlich besser wissen, was ihn erwartete und dennoch machte er keine Anstalten, zu fliehen. Ganz im Gegenteil, Liam hatte den Eindruck, dass er sich ohne Angst, sondern mit kühler Professionalität, dem entgegenstellte, was da aufgetaucht war. Auch erklärte sich der Kurs, den der Pilot eingeschlagen hatte. Er hatte die Angreifer von dem Bergbauschiff weggelockt, war fast am anderen Ende des Feldes auf den Scannern der Angreifer erschienen. Die Wahl war exzellent, da durch den hohen Erzgehalt der Asteroiden die Scanner nur eingeschränkt funktionierten, wenn sie nicht zuvor genau auf die Umstände eingestellt worden waren. Die Angreifer reagierten sofort und stürzten sich auf den einzelnen Piloten.
Was danach folgte, war eine Lehrveranstaltung für alle Kadetten. Das Schiff des Piloten war offensichtlich schwächer bewaffnet, aber dafür weniger träge als die schweren Jäger. Er nutzte die Asteroiden perfekt als Deckung. Die Raketen der Angreifer verfolgten den Piloten, der in wahnwitzigen Manövern auswich. Durch die extrem engen Vorbeiflüge an Asteroiden schlugen die Raketen am Ende in einen der Gesteinsbrocken ein und hinterließen nur eine im Raum schwebende Wolke Staub. Das Schiff des Piloten blieb dabei nahezu unbeschädigt. Gleichzeitig schaffte er es, sich immer wieder in eine vorteilhafte Position zu manövrieren und einen Angreifer nach dem anderen auszuschalten. Nachdem fünf der Angreifer vernichtet waren, gingen dem Piloten die Raketen aus und er musste sich umso mehr auf das eigene Flugtalent und die Bordbewaffnung verlassen. Ein Scan des Jägers zeigte, dass auch dieser kein Standardmodell war. Normalerweise dürfte ein mittlerer Jäger – so wie dieser – nicht die Anzahl an Waffen gleichzeitig abfeuern können. Dies müsste seinen kleinen Reaktor nach der zweiten Salve komplett überlasten. Und dennoch tat der Pilot genau das. Er speicherte das gesamte Kampfgeschehen, auch für die spätere Analyse. Liam war kurz geneigt, eine kleine Scannerboje zu dem Bergbauschiff zu senden, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, da es seine Position umgehend verraten hätte und er den eindeutigen Befehl hatte, sich, egal, was passieren würde, in nichts einzumischen, sondern alles nur aufzuzeichnen. Es war schnell klar, wer am Ende als Sieger aus dem Kampf hervor gehen würde. Irgendwie taten ihm die Angreifer fast ein bisschen leid, so vorgeführt zu werden. Wie Kadetten im ersten Lehrgangsjahr, die gerade ihre erste Flugstunde nahmen. Nur dass es hierbei um Leben und Tod ging und nicht um eine Lektion. Der letzte Pilot rettete sich mit einem Notausstieg. Der Verteidiger drehte eine Runde und suchte nach der Rettungskapsel. Wie er es erwartet hatte, eröffnete er das Feuer auf die Kapsel. Ihm fiel auf, dass sie zwar schwer beschädigt wurde, aber nicht explodierte. Der einzelne Pilot schien damit zumindest zufrieden zu sein, kehrte zu seinem Basisschiff zurück und begann mit genau dem, was er an seiner Stelle ebenfalls gemacht hätte.
Der Schutzschild blieb aktiviert, aber die Minendrohnen begannen erneut, auszuschwärmen. Diesmal nicht zu den Asteroiden für das Erz, sondern zu den Trümmerhaufen, die früher prachtvolle Jäger gewesen waren. Die noch verwertbaren Gleiter wurden in die gleiche Luke gezogen aus der der Pilot zu Beginn des Kampfes geschossen kam. Es mussten also mehrere Hangars vorhanden sein, nicht nur für einen Jäger. Die restlichen Trümmer wurden zu der Luke der Minendrohnen gebracht, wie er es erwartet hatte. Dieses Schiff hatte also einige Überraschungen auf Lager. Liam hoffte, niemals in eine offene Konfrontation mit dem Schiff oder seinem Piloten zu geraten.
Es dauerte einige Zeit, bis die Drohnen alles an Bord geschafft hatten. Äußerlich zeigte sich weder eine Regung am Schiff noch zeigten sich zusätzliche Angreifer. Nach dem schnellen und tödlichen Ende der Schiffe, hatte er fest damit gerechnet, dass nochmals eine Welle an Angreifern auftauchte, um das zu beenden, was die erste Welle nicht erreicht hatte, doch anscheinend waren auch die Einsatzplaner etwas zu sicher gewesen und von einem einfachen Sieg ausgegangen.
Kurz nachdem alles an Bord gebracht worden war, setzte sich das Bergbauschiff in Bewegung. Es sammelte die Scannerbojen ein und manövrierte auf einem perfekten Kurs aus dem Feld, ohne die minimalste Abweichung oder Energieverschwendung. Also auch noch eine hochentwickelte KI. Eigentlich waren hochentwickelte KIs verboten, nachdem es immer wieder zu mehr oder weniger großen Aufständen von KIs gekommen war. Keiner der eingebauten Schutzmechanismen hatte mehr funktioniert und die jeweiligen Besitzer verloren die Kontrolle über ihre Schiffe oder Raumstationen. In einem Fall hatte es sogar dazu geführt, dass die halbe Militärflotte der Menschen angefangen hatte, nur eigene Ziele zu verfolgen und einen Teil des bewohnten Weltraums in Schutt und Asche zu zerlegen. Seitdem gab es eine klare Begrenzung, dass KIs auf keinen Fall eine eigene Persönlichkeit entwickeln durften. Und es war ein schmaler Grat, den Maschinen komplexe und lernende Methoden anzueignen und gleichzeitig zu verhindern, dass sie im Zweifelsfall unbemerkt anfingen, eigene unabhängige Entscheidungen zu treffen - oder im schlimmsten Fall auf dieser Basis eine Persönlichkeit zu entwickeln.
Wie weit die KI in dem Schiff vor ihm entwickelt war, konnte er nicht abschätzen, doch sein Bauch sagte ihm, dass sie deutlich weiter war als erlaubt.
Liam notierte auch diese Information als Anmerkung zu seinen Scanneraufnahmen. Er weitete seine Augen, als das Schiff exakt in sicherer Sprungentfernung von den Asteroiden den Antrieb ausschaltete und der Reaktor tatsächlich auf nahezu Höchstleistung sprang. Wie konnte dieses Schiff auch noch einen Sprungantrieb haben? Das war normalerweise ausschließlich Großkampfschiffen ab der Corvetten-Klasse vorbehalten. Dieses Schiff war eindeutig zu klein dafür. Aber dennoch erschien kurz darauf der charakteristische Lichtblitz, als das Schiff verschwand.
Hinter dem Sprungtor lag ein Träger im Raum und eine Einsatzbesprechung für die nächsten Schritte wartete auf ihn. Er überprüfte, ob seine Scanner die Zielkoordinaten aus der Sprungaufzeichnung auslesen konnten. Der Kurs, den Liam programmiert hatte, brachte ihn an der Rettungskapsel des einsamen Piloten vorbei, der den Notausstieg genutzt hatte. Er aktivierte den Fanghaken im Vorbeiflug. Dann steuerte er auf das nächste Sprungtor zu. Dahinter lag sein Weitertransport. Es war quasi nur ein Sprungantrieb mit drei Halterungen für kleine Schiffe, um keinen großen und auffälligen Träger nutzen zu müssen. So würde er zu seinem eigentlichen Ziel gelangen, dem Flaggschiff der TYRAS Allianz. Admiral Lee wartete schon auf seinen Bericht und würde auch einige Verhörspezialisten oder Forensiker bereit haben, um die notwendigen Informationen aus dem Piloten herauszuholen.
Liam hörte das Einrasten des Magnethakens an der Rettungskapsel und wie das Kabel aufgerollt wurde. Bei dem Sprung durch das Tor würde ein zu großer Abstand zwischen ihm und der Kapsel womöglich fatale Folgen haben. Nicht, dass er besonders besorgt um den Piloten in der Kapsel gewesen wäre. Nach den Treffern war es unwahrscheinlich, dass er überlebt hatte. Wenn doch, wäre das wahrlich ein Wunder. Er hatte wenig Lust, die Informationen zu verlieren, die im schlimmsten der Fälle die Leiche hergeben würde. Vielleicht konnte der Körper noch für postmortale Analysen verwendet werden. Wenn der Pilot überlebt haben sollte und entsorgt werden müsste, na ja, er hatte auch Verbindungen zu einigen Sklavenhändlern. Nicht sein typischer Umgang, doch manchmal ganz nützlich, um unliebsame Personen loszuwerden und sicherzustellen, dass sie unauffindbar blieben.
Nach kurzer Zeit war die Kapsel nah genug am Rumpf seines Schiffes und die Magnetanker fixierten die Kapsel fest an Ort und Stelle.
Es war immer wieder ein beeindruckender Anblick. Die Ironclad, das Flaggschiff der TYRAS Allianz, lag nicht in der Nähe des Sprungtores, sondern war in die Umlaufbahn um einen gelb leuchtenden Gasriesen eingeschwenkt, der sich am Rand des Sonnensystems befand. Man sah einen konstanten Strom von Versorgungsschiffen, Händlern, Frachtdrohnen und Ähnlichem von den bewohnten Planeten und den drei Sprungtoren des Systems zu dem Schiff.
Die TYRAS Allianz wurde durch die Aqua gegründet. Das Volk stammte von einem vollständig mit Wasser bedeckten Planeten, atmete durch Kiemen am Hals und oberen Rücken und ihr Ursprung schlug sich auch im Design ihrer Schiffe nieder.
Die Ironclad war einem Rochen nachempfunden, einem Tier, das bereits vor Jahrhunderten auf der Erde ausgestorben war. Dort, wo die Schwingen des Rochens waren, befanden sich unzählige Hangarbuchten sowohl für kleine Schiffe, Frachter als auch mehrere Jagdgeschwader. Die Anzahl war selbst für ihn geheim, obwohl er seit Langem in der Spionageorganisation von TYRAS tätig war und zu den hochrangigen Offizieren zählte. Er schätzte aber, dass es mindestens Platz für zweihundertfünfzig Schiffe an Bord geben musste, wobei nur circa die Hälfte der Buchten belegt war. Die restlichen Schiffe waren auf Einsätzen unterwegs oder die Buchten in Reserve. In die Oberfläche integriert waren unzählige Geschütztürme gegen angreifende Jäger sowie große Kanonen gegen Großkampfschiffe. In der Mitte, entlang des imaginären Rückgrates des Rochens, lagen mehrere Reaktorkerne, die das Schiff mit Energie versorgten.
Viel war über den Koloss nicht bekannt, außer, dass es eine Machtdemonstration der TYRAS Allianz war. Zu der Flotte gehörten ebenfalls noch zwei Zerstörer und drei Corvetten.
Liam steuerte in einem vorgegebenen Anflugwinkel die Ironclad an, identifizierte sich und lehnte sich zurück, während der Autopilot die restliche Steuerung bis zur Landung übernahm. Er informierte seinen Führungsoffizier über die besondere Fracht und übermittelte bereits alle gesammelten Daten. Die Analytiker würden sich über das Paket sicherlich freuen.
Liam verließ sein Schiff und wurde von seinem Führungsoffizier empfangen. »Willkommen zurück an Bord, Liam.«
»Hi Dendro.«
Dendros Stimme hatte einen leicht metallischen Klang durch die Lautsprecher in seinem Anzug. Er führte Liam zu den Sicherheitskontrollen.
»Deine Daten sehen vielversprechend aus. Die Analysten arbeiten sich bereits durch. In einem halben Click gibt es eine Besprechung bei der du dabei sein solltest.«
Liam nickte und speicherte sich beim Durchschreiten der Sicherheitsschleuse die Lage des Besprechungszimmers und den Termin ein. »Habe ich wieder mein übliches Zimmer?«
»Selbstverständlich. Es ist alles bereit. Ich habe durch die Wahl des Hangars vermieden, dass du durch eine Wasserebene musst. Ehrlich gesagt stinkst du erbärmlich und solltest dich unbedingt duschen, bevor du zu der Besprechung gehst. So verunreinigst du auch kein kostbares Wasser auf einer der Ebenen.«
Liam schaute ihn etwas säuerlich an, sparte sich jedoch eine Erwiderung und ging in sein zugewiesenes Zimmer. Es lag in einer der wenigen Ebenen mit Sauerstoffatmosphäre.
Die Dusche fühlte sich fantastisch an. Erfrischt machte er sich auf den Weg zur Besprechung. Seine Uniform bestand aus einem eng anliegenden Neopren ähnlichem Material und war perfekt für die Wasserebenen geeignet. Liam erreichte die wassergefüllten Lifte. Vor dem Einsteigen passierte er die Schleuße, welche die Wasser- und Luftbereiche voneinander trennte. Die Atemmaske war ein schmales silbernes Gerät von der ungefähren Größe eines Fingers. Er musste sie lediglich an seinen Kragen heften. Bei Kontakt mit Wasser formte das Gerät ein kaum sichtbares Kraftfeld um den Kopf und füllte es mit Sauerstoff. So konnte Liam normal weiteratmen, als sich die Schleuße mit Wasser füllte. Es war immer noch ein ungewohntes Gefühl auf einem Raumschiff und dennoch unter Wasser zu sein.
Liam verließ den Aufzug mit einer eleganten Schwimmbewegung. Der Gang war belebt und viele Aqua schwammen den Flur entlang. Liam steckte seine Hand durch eine der Transportschlaufen und scannte sein Ziel. Die Schlaufe zog ihn an seinen Bestimmungsort. Er war trotz der Hilfe bei der Fortbewegung deutlich langsamer unterwegs als die schwimmenden Aqua in ihrem Element.
Liam schwamm durch eine Tür an der Stirnseite in den Meetingraum und begrüßte die bereits Anwesenden mit einem Kopfnicken. Er wandte sich an einen der Analysten, den er aus vergangenen Nachbesprechungen kannte. Es war eine, zumindest für Liams Wahrnehmung, große Aqua, die durchaus gern mit ihm flirtete. »Hi Pachyseride.«
Sie drehte sich um. Liam sah ihren Blick aufleuchten und an seinem Körper nach unten wandern. Als sie ihm wieder ins Gesicht schaute, glaubte Liam, eine gewisse Gier zu sehen.
»Hi, mein Guter. Da hast du uns ja was Spannendes mitgebracht.«
»Ich bin überrascht wie viel Aufregung ein Schmuggler auslösen kann.«
»Ich bin mir nicht sicher, dass das wirklich ein Schmuggler war. So wie er durch die anderen Piloten gepflügt ist, hättest selbst du keine Chance gegen ihn gehabt. Wäre schade um deinen Hintern gewesen, aber zum Glück bist du gesund und munter zurück.«
»Meinst du? Da bin ich gespannt, was die weiteren Analysen so ergeben. Du schaust dir wie üblich den Antrieb und das Flugverhalten an?«
»Genau. Lass uns direkt einmal deine Eindrücke mit den Aufzeichnungen abgleichen.«
»Klar, wo willst du starten?«
»Lass uns beim Flugverhalten anfangen. Vielleicht erlaubt uns das dann schon Rückschlüsse auf den Antrieb selbst.«
Ohne auf Liams Antwort zu warten, blendete sie einige Sequenzen auf den Bildschirmen vor ihr ein. Die Manöver des Piloten nochmals aus Sicht der externen Kameras mit den eingeblendeten Sensordaten zu sehen, verstärkte den Respekt, den Liam bisher schon hatte. Einige der Manöver hätten ihn über seine körperliche Belastungsgrenze gebracht. Geduldig beantwortete er alle Fragen von Pachyseride, bevor er sich dem nächsten Analysten zuwandte.
Die Analytiker waren intensiv mit den Scannerdaten beschäftigt und überhäuften ihn mit einer Reihe von Fragen: Anzeichen spezieller Manövrierdüsen, die die beobachteten Manöver erklären konnten, Energiesignaturen der Reaktoren sowohl des Jägers als auch des Bergbauschiffes, Kennung des Jägers, sonstige Besonderheiten, Merkmale des Piloten, Hinweise auf weitere Piloten oder versteckte Waffensysteme, die dem Einzelkämpfer geholfen haben könnten, den Angriff abzuwehren.
Er sortierte die Fragen, dann machte er die Runde zu allen Analysten und ihren Spezialgebieten. Von den Energiesignaturen des Jägers und des Bergbauschiffes, Kennungen, verwendete Waffen im Kampf, Hinweise auf weitere versteckte Waffensysteme und Schutzschilde. Liam fühlte sich leer, als er alle Fragen zu dem Schmuggler beantwortet hatte und sich erschöpft im Raum umsah. Die Analyse würde nun verfeinert werden.
Die Ergebnisse der Autopsie des Piloten trafen ein und ergänzten das Bild zur Herkunft der Angreifer. Die Kennung der Schiffe stammte von HELENIC. Der Pilot war, wie erwartet, ein Mensch und hatte zumindest die letzten Monate seines Lebens in einem Drako-System verbracht. Zumindest hatte das die Strahlenanalyse ergeben. Was ein Mensch in der normalerweise feindlich gesinnten Gegend des Weltraums getan, und insbesondere wie er so lange überlebt hatte, war eine weitere bisher ungelöste Frage, die es zu beantworten galt. Zusätzlich hatte der tote Pilot auch Hinweise auf einem persönlichen Aufnahmeimplantat gespeichert. Insbesondere einige Details zum durchzuführenden Einsatz, Sammelkoordinaten und Anflug, Zielperson und Hintergründe zu erwarteten Verteidigungsmaßnahmen. All dies bezog das Analystenteam in ihre Arbeit mit ein. Das Bild, das sich zeichnete, wurde immer konkreter.
Liam bemerkte an der Wand auf einem Nebenschirm eine Übersicht der »Most Wanted«. Anscheinend war der Schmuggler doch deutlich mehr, als ihm in seinem Missionsbriefing vor dem Start mitgeteilt worden war. Eine Liste, die die großen Konzerne trotz der sonst heftigen, durchaus auch gewaltsamen Konflikte, erstaunlicherweise gemeinsam unterhielten. Es fanden sich keinerlei Konzernnamen darauf, sondern ausschließlich »Freiberufliche«, die alles über die Stränge geschlagen und als nicht mehr kontrollierbar galten oder übelste Piraten, Halsabschneider und Despoten, die sich jeglicher Ordnung entziehen wollten. Mit anderen Worten, man musste sehr viel auf dem Kerbholz haben, um auf dieser Wand zu erscheinen. Für die meisten waren Bilder vorhanden mit ein paar Details zum letzten bekannten Aufenthaltsort. Dahinter lagen noch mehr Informationen zu bekannten Gewohnheiten, Präferenzen, Kontakten und weiteren Merkmalen. Für einige war die Informationslage jedoch sehr dünn. Auf der Liste mit den insgesamt fünfzig Namen waren vier enthalten, zu denen kein Bild vorhanden war, zu zwei davon existierten ausschließlich oberflächliche Informationen und bei einer Person war ausschließlich ein Codename verfügbar.
Je weiter die Analyse fortschritt, desto mehr Bilder verschwanden nach und nach von der Wand, sie passten nicht zu den vorliegenden Informationen und konnten als mögliche Kandidaten ausgeschlossen werden. Nach vier weiteren Clicks, was ungefähr umgerechnet zwei Erdenstunden entsprach, war die Liste auf zwei Profile begrenzt. Liam konnte die Anspannung im Raum nahezu greifen.
»O mein Gott!«
Er schnellte so schnell herum, wie es das Wasser zuließ und blickte gespannt in die Richtung des Kommunikationsanalysten, mit dem er zuvor die aufgenommenen Daten durchgegangen war. Er schaute wie gebannt auf zwei Videosequenzen. Eine zeigte eine ausschweifende Orgie mit einem der zwei verbliebenen Namen auf der Wand. Er hatte den Zeitstempel vergrößert und zusätzlich die Echtheit der Aufnahmen validiert. Die zweite Aufnahme zeigte die gleiche Hauptperson, allerdings zwei Clicks später und kaum mehr bekleidet. Jedoch war darauf eine brutale Hinrichtung zu sehen – mit einer Botschaft. Schickt das nächste Mal einen besseren Spion. Die weiteren Informationen rund um die zweite Aufnahme zeigten die Aufzeichnung der Lebenszeichen der Person, die das erste Video gemacht hatte und in der zweiten Aufnahme ermordet wurde. Auch die Zeitstempel passten zu denen aus den Videoaufzeichnungen. Damit stand nun eindeutig fest, wem Liam im Asteroidenfeld begegnet war.
Liam blickte auf den Schattenschnitt, der ein fehlendes Profilbild ersetzte, die leeren Zeilen aufgrund der nicht vorhandenen Informationen und ein riesiger Codename.
»The Note«, sagte er mehr zu sich selbst.
Der Codename kam nicht von ungefähr. Er war eine sichere Adresse für Spezialaufträge jeder Art. Die Kommunikation zwischen ihm und den Auftraggebern erfolgte niemals direkt, nur über nahezu altertümliche Notizen, die aber nicht auf Papier, sondern elektronisch übermittelt wurden. Durch sein verwendetes System von Datenclouds, verdeckten Übertragungen oder physischen Transfers von Datenträgern mittels nicht involvierter und komplett ahnungsloser Personen, war er unauffindbar. Es war nicht irgendwer, es war ein Schatten, über den nichts bekannt war. Und das vor allem, weil keiner, der dieser Person bewusst begegnete, die Begegnung überlebte. Er war übervorsichtig und verwischte sämtliche Spuren normalerweise sehr gründlich.
Liam wurde auf einmal bewusst, wie knapp er dem Tod entgangen war. Und dennoch, jemand hatte gewusst, oder zumindest vermutet, dass The Note einen Zwischenstopp in dem Asteroidenfeld einlegen würde. Jemand bei HELENIC hatte versucht, ihn zu überrumpeln. Die geringe Anzahl der Jäger sprach entweder für eine hektisch vorbereitete Aktion oder für den Versuch, die Operation sehr klein zu halten. Sollte The Note unbekannte Informanten oder Quellen haben, sollte wahrscheinlich so vermieden werden, dass er etwas von den Vorbereitungen erfahren konnte.
Was war hier im Gange? Es entstanden immer mehr Fragezeichen in seinem Kopf und keine der möglichen Antworten auf die Fragen gefiel ihm. Normalerweise wusste er immer, worauf er sich einließ und stellte durch eine sorgfältige Vorbereitung sicher, dass er seine Risiken kannte. Mit der Erkenntnis, dass The Note das Ziel der Operation war, hatten sich die Risiken exponentiell erhöht. The Note war unberechenbar. Würde er jemals erfahren, dass er ihn beobachtet hatte, wäre er ein toter Mann. Er war sicher, dass The Note umgehend auf die Suche nach den Hintermännern des Angriffs gehen würde, wer alles von seinem Aufenthalt wusste, und dafür sorgen würde, dass er wieder zu dem Geist wurde, der er die letzten Jahre war.
Liam überschlug, wie hoch seine Überlebenschancen für das nächste Jahr wären. Er kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass diese wohl irgendwo zwischen null und null Komma eins Prozent lägen.
Verflucht! Liam schwebte zum Rand des Raumes und hielt sich fest. Er atmete tief durch und erfasste nur noch Bruchstücke von dem Geschehen im Raum.
Die Anspannung war auf einmal hektischer Betriebsamkeit gewichen. Zusätzliche Spezialisten strömten in den Raum und gesellten sich zu ihren Kollegen. Die Analysten diskutierten über die Flugmanöver, welche Modifikationen dafür technisch notwendig waren. Die Liste der Anpassungen wurde immer länger, die dieser Gleiter haben musste.
Insbesondere die Biotechniker, die eine komplett neue Arbeitsstation umringten, machten sich über die Informationen her. Sie kombinierten die Flugmanöver mit den Auswirkungen auf den Körper des Piloten, welche Kräfte auf ihn gewirkt haben mussten und welche technischen Mittel zur Verfügung standen, die man in Gleiter dieser Größe einbauen konnte, die diesen entgegenwirkten. Sie versuchten damit, die Herkunft von The Note einzugrenzen und das Profil zu ergänzen. Die Ergebnisse waren allerdings nicht schlüssig. Einige der Werte waren für Menschen zu extrem und hätten zum sofortigen Blackout des Piloten führen müssen. Die Möglichkeit, dass eine KI zwischenzeitlich die Steuerung übernommen hatte, konnte aufgrund der Flugcharakteristika ausgeschlossen werden. Das gemessene Strahlungsniveau des Reaktors hätte jeden Sektoiden gegrillt. Insofern auch keine Möglichkeit, da der benötigte Strahlenschutz für dieses Volk keinen Platz mehr für ein akzeptables Cockpit gelassen hätte. Für Aqua fehlte in der Konstruktion die typischen Merkmale für die von ihnen benötigte Flüssigkeit im Cockpit. Für einen Drako war das Cockpit und die sichtbare Kanzel schlicht nicht groß genug. Es wäre zwar mit Umbauten im Inneren immer noch eine theoretische Option, doch auch für dieses Volk wären die Beschleunigungswerte auf den Körper während der aufgezeichneten Flugmanöver zu extrem gewesen und hätten höchstwahrscheinlich zu Beeinträchtigungen im Verlauf des Kampfes geführt. Dafür gab es allerdings keinerlei Anzeichen, eher im Gegenteil. The Note schien sich im Verlauf des Kampfes immer besser auf die Gegner einzustellen und die Taktiken und Flugmanöver vorauszuahnen. Sie hatten also eine umfangreiche Datensammlung, allerdings keine eindeutige Schlussfolgerung, die sie daraus ziehen konnten.
Somit war es immer noch ein Rätsel, von welcher Rasse The Note abstammte. Von Gen-Experimenten in diesem Ausmaß war bei keiner der Rassen etwas bekannt. Bei manchen Militärprojekten konnte man zwar nicht genau wissen, wie weit diese gegangen waren, bevor im bekannten Weltraum weitgehende Geneingriffe verboten wurden. Aber auch das war bereits über fünfzig Jahre her. Und The Note tauchte erst vor knapp zehn Jahren in der Agentenszene auf. Ein Start mit vierzig, war eindeutig zu alt in der Szene, in der die meisten zu der Zeit schon im Einsatz verschollen waren. Wenn jemand dieses Alter erreichte, war er bereits seit Jahren als Ausbilder tätig. Die Option, dass The Note also ein altes Experiment sein könnte, war somit extrem unwahrscheinlich.
Dendro gesellte sich zu Liam.
»Du siehst etwas blass aus. Selbst für einen Menschen.«
»Und du hättest mir sagen können, auf wen ihr mich ansetzt!« Liams Stimme klang aggressiver, als er es geplant hatte. Ihm tat es fast augenblicklich leid, als Dendro zusammenzuckte.
»Hör zu, wir haben nur den Hinweis bekommen, dass ein ›High Value Target‹ dort plant, einen Stopp zu machen. Dass es The Note ist, haben wir uns nicht einmal zu träumen gewagt.«
»Also, was genau haben die Analysen ergeben?«
»Viel mehr Fragen als Antworten zugegebenermaßen. Wir haben im Grunde nur eine handfeste Information, die wir konkret nutzen können. Das Zielsystem von The Note, allerdings ist auch das nicht unbedingt eine gute Neuigkeit.«
Liams fragender Gesichtsausdruck nötigte Dendro, weiterzusprechen.
»Die Zielkoordinaten, die du aus The Notes Sprung ausgelesen hast, sind aus Sheruta Alpha.«
»Du meinst das schlimmste Outlaw-Gebiet? In das sich nicht einmal wirklich das Militär wagt?«
»Genau das. Was die Sache noch komplizierter macht, ist, dass die beiden Videoaufnahmen von vorhin ebenfalls aus dem System kamen.«
Liam erkannte die Konsequenzen sofort.
»Die sind bei jedem Neuankömmling sowieso schon extrem argwöhnisch. Die Aktion mit dem Spion hat sich unter Garantie verbreitet wie ein Lauffeuer. Sie werden jeden, den sie nicht kennen, erst pulverisieren und dann Fragen stellen. Das ist Selbstmord, eine Infiltration zu versuchen.«
»Da hast du absolut recht. Die Analysten arbeiten mit Hochdruck an der Vorhersage der nächsten Schritte von The Note. Sobald sie etwas liefern, schauen wir weiter.«
»Also sind wir im Grunde nicht wirklich viel weiter als vorher, oder?«
»Nein, leider nicht.«
Liam schwieg einen Moment und entschied sich für etwas Abstand. Er musste unbedingt seinen Kopf frei kriegen nach den Neuigkeiten der letzten Stunden. Er verabschiedete sich von Dendro mit einem Kopfnicken und deutete auf seinen Kommunikator. Dendro würde sich bei ihm melden, sobald es Neuigkeiten gab. Mit einigen kräftigen Bewegungen war er bei den Aufzügen und kurz danach wieder in der normalen Atmosphäre seines Zimmers. Er ließ sich zunächst auf sein Bett fallen, doch er fand keine Ruhe. Also schnappte er sich seine Sachen und ging in den Fitnessbereich, um sich auf diesem Weg abzulenken.
Der leicht grünliche Lichtblitz verblasste in Nygens Blick. Sprünge fühlten sich für sie immer etwas komisch an. Wenn der Sprung initiiert wurde, hatte sie für den Bruchteil einer Sekunde den Eindruck, dass sich ein Tunnel vor ihr auftun würde. Sie glaubte, einen hellen grünen Schlauch vor ihrem Cockpit zu sehen, der sie und ihr Schiff durch das angewählte Tor ausspuckte.
Nygen fiel es schwer, das Gefühl zu beschreiben. Bei jedem Sprung spürte sie, wie das Schiff durch den Raum gerissen wurde – quer durch den ganzen Raumsektor und vorbei an anderen Sonnensystemen – und dann aus dem designierten Tor hinaustrat. Sie fühlte sich zwar bei jedem Sprung immer etwas mulmig, fast schon schwindlig, aber es war auch so, als käme sie nach Hause.
Nygen schob den Gedanken etwas zur Seite und betrachtete das Sonnensystem Sheruta Alpha, als sie das Sprungtor verließ. Das Sprungtor schwebte, typischerweise wie auch in anderen Systemen, in der Nähe des zentralen Gestirns und bewegte sich harmonisch mit den anderen Toren auf einer Umlaufbahn um die weiße Sonne. Neben dem Tor, aus dem sie gerade geflogen war, gab es noch drei weitere in diesem System. Sie sah die riesigen silbernen Ringe mit der grünen schimmernden Oberfläche des Ereignishorizonts auf ihrem Scanner.
Es war wie immer ein beeindruckender Anblick, den der Eintritt in ein System hatte. Es verlor nie an Faszination und Nygen genoss es, die ersten Eindrücke aufzusaugen. Vor ihr erstreckte sich das unendlich erscheinende Schwarz des Universums. Im Hintergrund konnte sie ferne Galaxien erkennen, zu denen es keine bekannte Torverbindung gab, als auch etwas näher die Sterne anderer Systeme, von denen sie einige auch schon auf einer ihrer vielen Reisen besucht hatte.
Das System, in dem Nygen gerade angekommen war, war für sie nicht weniger faszinierend. Es wurde von keinem der Völker beansprucht und war eine Art Niemandsland. In der aktuellen Konstellation der Planeten, von der Torposition aus gesehen, waren die ersten beiden Planeten nicht viel mehr als große Felskugeln, die von der Sonne so sehr erhitzt wurden, dass die niedrigste Temperatur bei ungefähr fünfhundert Grad Celsius lag.