In den Armen des Marquis - Connie Mason - E-Book
SONDERANGEBOT

In den Armen des Marquis E-Book

Connie Mason

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Liebe gegen alle Widerstände: Das Regency-Highlight „In den Armen des Marquis“ von Bestseller-Autorin Connie Mason als eBook bei dotbooks. London, 1817. Lady bei Tag und Straßenräuberin bei Nacht: Seit dem Tod ihres Vaters kann Olivia Fairfax ihre Familie nur durch ihre Diebesbeute über Wasser halten – bis das Schicksal sie auf einem Ball mit dem Marquis Gabriel von Bathurst zusammenführt. Eben jenen berüchtigten Frauenhelden hat sie nur wenige Nächte zuvor auf seinem Rückweg von einem Stelldichein überfallen. Olivia weiß, sie sollte sich um jeden Preis von Gabriel fernhalten, aber sie hat nicht mit seinen leidenschaftlichen Küssen gerechnet, die ein wildes Verlangen in ihr entfachen. Ist Gabriel nur jedes Mittel recht, um hinter ihr Geheimnis zu kommen – oder ist er tatsächlich bereit, für sie seinen Schwur zu brechen, niemals zu lieben? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman „In den Armen des Marquis“ von Romantik-Queen Connie Mason. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 545

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

London, 1817. Lady bei Tag und Straßenräuberin bei Nacht: Seit dem Tod ihres Vaters kann Olivia Fairfax ihre Familie nur durch ihre Diebesbeute über Wasser halten – bis das Schicksal sie auf einem Ball mit dem Marquis Gabriel von Bathurst zusammenführt. Eben jenen berüchtigten Frauenhelden hat sie nur wenige Nächte zuvor auf seinem Rückweg von einem Stelldichein überfallen. Olivia weiß, sie sollte sich um jeden Preis von Gabriel fernhalten, aber sie hat nicht mit seinen leidenschaftlichen Küssen gerechnet, die ein wildes Verlangen in ihr entfachen. Ist Gabriel nur jedes Mittel recht, um hinter ihr Geheimnis zu kommen – oder ist er tatsächlich bereit, für sie seinen Schwur zu brechen, niemals zu lieben?

Über die Autorin:

Connie Mason hat früh ihre Leidenschaft für das Lesen und Schreiben entdeckt. 1984 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Im Jahr 1990 wurde die Amerikanerin vom »Romantic Times Magazine« zur »Erzählerin des Jahres« gekürt. Die Bestsellerautorin hat bereits mehr als 50 historische Liebesromane erfolgreich veröffentlicht. Heute lebt Connie Mason mit ihrem Mann in Florida. Sie hat drei Kinder und neun Enkel.

Bei dotbooks veröffentlichte Connie Mason bereits ihre Romane »In den Armen des Lords«, »Rebell meines Herzens«, »Die Liebe des Outlaws«, »Die Leidenschaft des Outlaws«, »Das Verlangen des Outlaws«, »In den Fängen des Wikingers«, »Die Gefangene des Ritters«, »Das Herz des Schwarzen Ritters«, »In den Armen des Ritters«, »Die Gefangene des Lairds«, »Der Rebell und die Schöne«, »In den Armen des Rebellen« und »Ein unwiderstehlicher Rebell«.

Die letzten drei Romane sind auch im Sammelband »Die Liebe der Rebellen« erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2018

Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel »Bezaubernde Diebin« bei Bastei Lübbe.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2002 by Connie Mason

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »The Rogue and the Hellion« bei Dorchester Publishing Co., Inc.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Die Einzelbände wurden vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg. By arrangement with Natasha Kern Literary Agency.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Book Cover Photos, jlynx

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-418-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »In den Armen des Marquis« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Connie Mason

In den Armen des Marquis

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Moreno

dotbooks.

1. Kapitel

London, 1817

Die elegante schwarze Kutsche rumpelte durch die mondlose Nacht über die kurvenreiche Landstraße nach London. Ihre Petroleumlaternen warfen einen unheimlichen gelblichen Schein durch den dichten Nebel, der über der Landschaft lag.

Im Inneren der Kutsche lehnte der Marquis von Bathurst seinen dunklen Kopf an die prachtvollen Polster aus Samt und streckte müde seine langen Beine aus.

Wunderbar ermattet und zufrieden schloss Gabriel die Augen und rief sich die angenehmen Stunden in Erinnerung, die er im Bett der Gräfin von Barrow verbracht hatte. Als die Gräfin ihn in ihr Landhaus eingeladen hatte, war er ihrer Einladung nur allzu gern gefolgt. Es war nicht das erste Mal, dass er von Leslie aufgefordert worden war, ihr Bett zu teilen, während ihr Ehemann, der Graf von Barrow, in seiner Jagdhütte in Schottland weilte, und es würde ganz gewiss auch nicht das letzte sein.

Da der Graf allerdings schon am nächsten Tag zurückerwartet wurde, hatte Gabriel es für ratsamer gehalten, sich von der Gräfin zu verabschieden, obwohl es ihm wirklich nicht gerade leichtgefallen war, sich aus ihrer Umarmung zu lösen. Sie hatte ihn zu einem letzten Lebewohl ins Bett zurückgelockt, und dann führte eins zum anderen, sodass er doch später als geplant aufgebrochen war.

Ein zufriedenes kleines Lächeln umspielte Gabriels sinnliche Lippen, als er sich von seinen erotischen Gedanken langsam in den Schlaf lullen ließ. Das Letzte, was er vor seinem inneren Auge sah, bevor der Schlaf ihn übermannte, waren weiche weiße Brüste, ihn sanft umschlingende Arme und einladend gespreizte Schenkel. Schade, dass Lord Barrow sich nicht öfter auf Reisen befand.

Verborgen im dichten Nebel, der in dicken, grauen Schwaden von der Erde aufstieg, warteten zwei Reiter an der verlassenen dunklen Straße. Mit ihren knöchellangen Umhängen und den tief in die Stirn gezogenen Hüten waren sie in der Dunkelheit kaum zu sehen.

»Es ist spät, Ollie. Wir sollten uns jetzt besser auf den Heimweg machen. Heute Nacht scheint jedenfalls niemand unterwegs zu sein.«

Ollie seufzte bitter. »Es sieht ganz so aus, Pete. Wir versuchen es ein ander...«

»Psst, Ollie, vielleicht haben wir ja doch noch Glück«, unterbrach Pete seinen Partner. »Ich höre eine Kutsche die Straße hinunterkommen. Aber denk daran – Vorsicht ist das Allerwichtigste. Wenn ich zulasse, dass sie dich erwischen, ist der Teufel los. Beim ersten Anzeichen von Problemen will ich, dass du auf der Stelle verschwindest.«

»Was kann schon schiefgehen? Wir machen das schließlich nicht zum ersten Mal und ganz bestimmt auch nicht zum letzten.«

»Das ist schon richtig, aber trotzdem musst du nicht unbedingt Gefallen daran finden«, brummte Pete.

»Du bist viel zu besorgt um mich«, erklärte Ollie. »Aber hab keine Angst, es wird schon nichts passieren.«

Ollie spähte in die Dunkelheit und wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass die Kutsche um die Kurve bog. Als das Gefährt schließlich in Sicht kam, zischte Ollie: »Dem Aussehen der Kutsche nach zu urteilen, werden wir heute gute Beute machen.«

»Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Ollie«, warnte Pete erneut, bevor er sein Pferd auf die Straße führte und seine Pistole zog. Der zweite Bandit folgte ihm, und seine Finger, die die Waffe umklammerten, waren kalt und steif vor Anspannung, als er sein Pferd neben das seines Komplizen lenkte.

Gabriel schlief tief und fest, als seine Kutsche derart abrupt zum Stehen kam, dass es ihn zu Boden warf. Noch immer ganz benommen, schüttelte er den Kopf, rappelte sich auf und zog den ledernen Fensterschutz hoch. Da er jedoch außer dem grellen Schein der Kutschenlichter nichts erkennen konnte, schickte er sich an, die Tür zu öffnen.

»Geld her!«

Gabriels Hand erstarrte. Straßenräuber! Inzwischen vollends wach und auf der Hut, griff er rasch nach seiner Waffe.

»Das würde ich an Eurer Stelle nicht tun«, fuhr der Wegelagerer Gabriel mit leiser Stimme an.

Und die durch das Fenster auf ihn gerichtete Pistole war groß und lang und tödlich.

»Werft Eure Waffe aus dem Fenster!«

Mit einem unterdrückten Fluch zog Gabriel die kleine Pistole aus seiner Rocktasche und ließ sie aus dem Fenster fallen.

»Und nun steigt aus. Aber keine Dummheiten – wir sind zu zweit, und mein Partner zielt auf Euren Kutscher.«

Vorsichtig stieg Gabriel aus der Kutsche. Er wollte nichts tun, was das Leben seines Kutschers in Gefahr bringen konnte. Erleichterung erfasste ihn, als er Jenkins bei den Pferden stehen sah, unverletzt, aber aufs Schärfste von dem zweiten Wegelagerer bewacht.

Und so wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Straßenräuber zu, der mit seiner Pistole vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Obwohl die Situation wirklich absolut nicht amüsant war, hätte Gabriel am liebsten laut gelacht. Er konnte nichts Bedrohliches an dem Banditen finden.

»Leert Eure Taschen«, befahl dieser ihm nun in einem barschen Ton, der irgendwie erzwungen klang.

»Ihr werdet ohnehin nicht mehr als ein paar Pfund bekommen«, bemerkte Gabriel gedehnt, während er mehrere Banknoten aus seiner Tasche zog und sie dem Straßenräuber reichte. »Diesmal habt ihr die falsche Kutsche angehalten. Kein Schmuck, kein Geld, nur ein Mann auf dem Weg von einem Stelldichein nach Hause.«

Gabriels tiefblaue Augen verengten sich, als er durch die Dunkelheit in das Gesicht des Räubers spähte. Die Kerle haben genau die richtige Nacht gewählt, dachte er. Der hinter Wolken und Nebel verborgene Himmel spendete so gut wie gar kein Licht, und die Gesichter der Wegelagerer waren fast vollständig unter ihren Hüten verborgen, was eine Identifizierung nahezu unmöglich machte. Trotzdem konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der unmittelbar vor ihm stehende Bandit von schlanker Statur und auch noch ziemlich jung war. Und einmal, als der Bursche das Gesicht anhob, glaubte Gabriel einen Hauch von Grün und Rot unter dem Rand des Huts aufblitzen zu sehen. Ein grünäugiger, rothaariger Bandit ... die Anhaltspunkte vermehrten sich.

Für die Dauer eines Herzschlags begegneten sich ihre Blicke, worauf ein kurzer Austausch einer schwer zu definierenden Emotion zwischen ihnen folgte. Gabriel blieb nicht einmal die Zeit, sich zu fragen, was es sein mochte, als der Bandit ihn fragte: »Ist das da ein Ring an Eurem Finger?«

Ganz unwillkürlich schloss Gabriel die Hand zur Faust. Der Ring hatte seinem toten Bruder gehört, der, wenn er nicht gestorben wäre, das Erbe seines Vaters angetreten hätte.

»Gebt ihn her«, zischte der Wegelagerer.

»Das kann ich nicht.«

Der Bandit senkte die Pistole und zielte auf Gabriels intimste Körperteile. »Ich sagte, gebt ihn her. Wovon würdet Ihr Euch lieber trennen, von Eurem Ring oder von Euren ... Familienjuwelen? Macht bloß keinen Fehler. Ich schrecke vor nichts zurück, um zu bekommen, was ich will.«

Gabriel zögerte nur einen winzigen Moment, bevor er den Ring abstreifte und ihn in die ausgestreckte Hand des Straßenräubers legte. Der Mann klang irgendwie mehr verzweifelt als gefährlich. Seine Stimme war um mehrere Oktaven gestiegen, und er wirkte überaus nervös. Und für einen gewöhnlichen Straßenräuber drückte er sich auch erstaunlich gut aus. Gabriel prägte sich all diese Eindrücke genauestens ein. Er würde nicht eher ruhen, bis er diese Wegelagerer auf dem Tower Hill vom Galgen baumeln sah. Niemand beraubte den Marquis von Bathurst und kam ungestraft davon!

»Sind das Diamanten da an Eurem Hemd?«

»Wollt ihr mir denn überhaupt nichts lassen?«, gab Gabriel in trügerisch gelassenem Ton zurück.

»Wenn Ihr reich genug seid, um diamantene Manschettenknöpfe zu tragen, wird Euch ihr Verlust wohl kaum zu sehr bekümmern. Also los, ich warte.«

»Was ist das Problem, Ollie? Macht er dir Ärger?«

»Es ist alles in Ordnung, Pete. Ich warte nur auf seine Manschettenknöpfe.«

»Soll ich den Kutscher fesseln und dir helfen?«

»Ich schaffe das schon allein«, rief Ollie.

Gabriel wünschte, er hätte daran gedacht, sein Schwert an diesem Abend anzulegen, als er seine Manschettenknöpfe abnahm und sie mit einer verächtlichen Bewegung in die Hand des Banditen fallen ließ. Aber das Schwert hatte er in Leslies Bett natürlich nicht gebraucht.

»Sonst noch etwas?«, fragte Ollie.

»Das war alles«, sagte Gabriel und musterte den Straßenräuber mit einem neugierigen Blick. »Deine Stimme verändert sich, Ollie. Bist du nicht ein bisschen jung für diese Art von Arbeit? Und deine Ausdrucksweise ist erstaunlich kultiviert für einen Straßenräuber.«

»Steigt wieder ein«, befahl Ollie ihm barsch.

Gabriel wollte protestieren, besann sich dann aber eines Besseren. Nicht nur sein Leben war in Gefahr. Obwohl er nicht das Gefühl hatte, dass ihnen von diesem jungen Burschen Gefahr drohte, war das bei dessen Partner etwas völlig anderes. Unter halb gesenkten Lidern beobachtete er, wie Ollie vorsichtig zurücktrat. Einen Moment später bestiegen die Wegelagerer ihre Pferde und verschwanden schnell im dichten Nebel.

»Alles in Ordnung mit dir, Jenkins?«, rief Gabriel, als er aus der Kutsche sprang und auf dem Boden nach seiner Pistole suchte.

»Ja, Mylord. Und es tut mir leid, dass ich das geschehen ließ. Diese verfluchten Banditen! Sie kamen praktisch aus dem Nichts heraus. Ich hatte verdammte Mühe, die Pferde unter Kontrolle zu bringen.«

»Es ist nicht deine Schuld, Jenkins. Hilf mir, meine Pistole zu suchen. Es ist zu spät, um die Kerle noch aufzuhalten, aber wenigstens die Waffe möchte ich nicht verlieren. Sie gehörte meinem Bruder.« Wie der Ring, dachte Gabriel zornig.

Kurz darauf hatten sie die Pistole gefunden, und Gabriel begab sich in die Kutsche zurück. Jenkins nahm die Zügel auf, und das Gefährt begann die Straße wieder entlangzurumpeln. Gabriel lehnte sich zurück und trommelte nervös mit den Fingern auf den Sitz, während er die wenigen Hinweise, die die Banditen ihm geliefert hatten, in Gedanken noch einmal Revue passieren ließ. Die Kerle hießen Pete und Ollie. Ollie war jung und hatte vermutlich rotes Haar und grüne Augen. Den anderen hatte Gabriel nicht genau genug erkennen können, um irgendwelche hilfreichen Anzeichen für sein Aussehen zu registrieren.

Gabriel schloss die Augen und versuchte, sich den jüngeren Banditen noch einmal vorzustellen. Die Erinnerung an Ollies grüne Augen flößte ihm ein wenig Unbehagen ein, und er hatte den Verdacht, dass dieser junge Bursche jemand anderer war, als er zu sein vorgab.

Am nächsten Abend, als Gabriel zu Brook's auf der St. James Street ging, war er noch immer sehr verärgert über den Überfall der vergangenen Nacht.

»Wir sind hier drüben, Bathurst!«

Gabriel sah Ramsey Dunsford, Graf von Braxton, der ein Lebemann wie er und ein guter Freund von ihm war, in der Tür des Spielsaals stehen und wandte sich erfreut in seine Richtung.

»Westmore und ich haben dich gestern Nacht vermisst«, sagte Ram statt einer Begrüßung. »Wir haben dich zuerst bei White's gesucht und sind dann zu Crocker's Spielsaal gegangen. Wo wir dann beide ein Vermögen verloren haben«, brummte er.

»Ich brauche etwas zu trinken«, meinte Gabriel und winkte einem würdevollen, ganz in Schwarz gekleideten Diener.

»Du siehst aus, als wäre etwas geschehen«, erriet Ram. »Erzähl es mir aber erst, wenn Westmore bei uns ist. Ich möchte, dass er es auch hört.«

»Sucht ihr mich?«

Lucas, Viscount von Westmore, kam mit fragend erhobenen Augenbrauen zu seinen beiden Freunden herüber.

»Du kommst im rechten Augenblick, Luc«, sagte Ramsey. »Bathurst wollte mir gerade von dem Missgeschick, das ihm offenbar gestern Abend widerfahren ist, berichten.«

»Missgeschick?«, erwiderte Luc gedehnt.

»So finster, wie er dreinblickt, kann es sich nur um eine echte Katastrophe handeln«, meinte Ram. »Ich habe noch nicht gegessen, wollen wir uns nicht gleich in den Speisesaal begeben? Bathurst kann uns seine Leidensgeschichte erzählen, während wir etwas essen.«

Gabriel kochte innerlich vor Wut, als er seinen Freunden in den Speisesaal folgte und sich eine üppige Mahlzeit aus gebratenem Fasan, Forelle und Kartoffeln bestellte. Er war den ganzen Tag über so damit beschäftigt gewesen, seine Angreifer aufzuspüren, dass er darüber ganz vergessen hatte zu essen. Er hatte sogar einen Detektiv von der Bond Street engagiert, um diese verdammten Schurken ausfindig zu machen.

Gabriel betrachtete seine Freunde düster. Sie waren die besten Freunde, die ein Mann sich wünschen konnte. Der blauäugige Luc hatte rötlichbraunes Haar und klassisch gut aussehende Gesichtszüge. Luc hatte mit ihm in Waterloo gekämpft. Der dunkelhaarige Ramsey mit den hellen grauen Augen war sein Freund seit ihrem gemeinsamen Studium in Eton.

»Also raus mit der Sprache, Mann«, drängte Ramsey. »Welche Frau ist es, die dich so durcheinanderbringt? Wo warst du gestern Nacht?«

»In Lady Barrows Bett. Aber nicht sie ist es, was mich so durcheinanderbringt.«

»Ihr Mann hat dich also in ihrem Bett erwischt!«, rief Luc vergnügt. »Das sieht dir aber gar nicht ähnlich, dass du so unvorsichtig bist.«

»Barrow hat mich natürlich nicht erwischt«, gab Gabriel pikiert zurück. »Du kannst dir dein süffisantes Lächeln also sparen. Und damit du Bescheid weißt – ich habe das Bett der Dame kurz nach Mitternacht verlassen.«

»Aber es ist etwas geschehen, das ist für mich nur allzu offensichtlich«, stellte Ramsey fest.

»Ja, es ist in der Tat etwas passiert«, gab Gabriel zu. Dann nahm er einen kräftigen Schluck von dem Brandy, den der Diener ihm kurz zuvor serviert hatte, und stellte das Glas dann klirrend wieder auf den Tisch.

Ramseys Oberlippe kräuselte sich vor Belustigung. »Du hast eine Jungfrau verführt, und ihr Vater hat dich zum Duell gefordert. Wann wirst du endlich lernen, dass man von Jungfrauen besser die Finger lässt?«

»Herrgott noch mal!«, knurrte Gabriel. »Hör mit diesem Unsinn auf, Ramsey. Du weißt, dass ich erfahrene Frauen vorziehe. Mit ängstlichen kleinen Jungfrauen will ich nichts zu tun haben. Es geht um etwas völlig anderes. Gestern Abend, als ich auf dem Heimweg war, haben zwei Straßenräuber meine Kutsche überfallen und mir den Ring meines Bruders und die Diamantmanschettenknöpfe gestohlen.«

Ram musste sich sichtlich zusammennehmen, um nicht zu lachen. »Sie wussten offenbar nicht, dass du ein berühmter Kriegsheld bist. Es passt so gar nicht zu dir, Bathurst, dich so überrumpeln zu lassen.«

»Ich war eingeschlafen«, murmelte Gabriel.

Ein kurzes Schweigen folgte, als ihr Essen gebracht wurde. »Lady Barrow ist eine legendäre Verführerin und bekannt dafür, dass sie die Männer schnell verschleißt«, stellte Luc fest, als er sein Besteck aufnahm. »Ich befürchte, dass sogar ich nach ein paar Stunden in ihrem Bett erschöpft wäre.«

Gabriel warf ihm einen anzüglichen Blick zu. »Du bist doch sonst so unermüdlich, Westmore. Nicht einmal ich kann mit dir mithalten.«

»Eine dreistere Lüge habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört«, erklärte Ramsey lachend. »Es gibt keine willige Dame, deren Reize wir noch nicht erprobt haben, kein Bordell, das wir noch nicht aufgesucht und keine Spielhölle, die wir noch nicht frequentiert haben. Man nennt uns schließlich nicht ganz ohne Grund die Bonvivants von London.«

»Und wir sind stolz darauf«, pflichtete Luc ihm bei. »Aber erzähl uns doch von dem Überfall, Bathurst. Zwei ziemlich zweifelhafte Wegelagerer haben vor ein paar Wochen auch Lord Trowbridge und seine Frau überfallen. Wahrscheinlich waren es die gleichen, die auch dich ausraubten.«

»Raubüberfälle auf offener Straße häufen sich in letzter Zeit«, bemerkte Ram versonnen.

»Ich hatte von diesen Überfällen gehört«, gab Gabriel zu, »aber ich hätte natürlich nie gedacht, dass ich einem zum Opfer fallen würde. Ich habe die Bow Street-Detektive auf sie angesetzt. Ich kenne die Namen der Täter und bin fest entschlossen, sie vor Gericht zu bringen.«

»Du hast gehört, wie sie heißen?«, fragte Ram mit großen Augen. »Das war aber ganz schön unvorsichtig von den Kerlen.«

»Sie nennen sich Ollie und Pete. Und unvorsichtig oder nicht, es ist zumindest ein ausgesprochen guter Anhaltspunkt für mich.«

Ihr zweiter Gang wurde aufgetischt, und sie aßen schweigend weiter, aber Gabriel gingen die Straßenräuber nicht mehr aus dem Kopf, während er kaute und schluckte, ohne sein Essen wirklich zu genießen. Irgendetwas an einem der Banditen ließ ihm keine Ruhe. Die Verhaltensweise und Stimme des jüngeren waren völlig anders als die des älteren gewesen. Wenn er diesem Jungen noch einmal begegnete, würde er ihn auch ganz bestimmt erkennen.

»Vergiss die Gauner, Bathurst«, sagte Ram, während er sich zurücklehnte und sich eine Zigarre anzündete. »Die Polizei wird sich schon um sie kümmern. Früher oder später werden sie einen Fehler machen und am Galgen enden.«

»Wer ist für Crocker's?«, fragte Luc. »Ich würde heute gern etwas von meinem Geld zurückgewinnen.«

»Ich glaube, es ist eine andere Art von Unterhaltung, die Gabriel braucht, um ihn von dem Überfall abzulenken«, meinte Ram. »Wie wäre es also stattdessen mit Madame Bella?«

Gabriel grinste. Madame Bella war genau das Richtige. »Also auf zu Madame Bella«, sagte er. »Greift tüchtig zu, wir werden Energie für die nächsten Stunden brauchen können. Ich hoffe, keiner von euch will die große, grünäugige Rothaarige mit dem ausgefallenen Namen, denn die gedenke ich heute die ganze Nacht ganz für mich allein zu beanspruchen.«

Warum hast du das gesagt?, fragte Gabriel sich gleich darauf. Rote Haare und grüne Augen hatten ihn gestern Nacht im Traum verfolgt, aber sie gehörten zu einem Mann und keineswegs zu einer Frau.

»Du meinst Fifi?«, fragte Luc. »Die kannst du gerne haben. Mir sind zierliche Blondinen mit großen, weichen Brüsten sowieso lieber.«

»Dann lasst uns gehen«, schlug Ramsey vor.

Und so erhoben sich die berüchtigten Bonvivants von London und schlenderten davon, um ihren üblichen nächtlichen Beschäftigungen wie Huren, Spielen und Zechen nachzugehen.

Olivia Fairfax unterdrückte ein Gähnen, als sie gute drei Stunden später, als man es sonst von ihr gewohnt war, in die Küche kam, um sich ihr Frühstück zuzubereiten. Es war kurz vor zehn, und Peterson, ihr einziger ganztags beschäftigter Diener, stand neben dem Herd und nahm gerade etwas aus dem in der Wand eingelassenen Ofen.

»Guten Morgen, Peterson«, begrüßte ihn Olivia.

Eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen, als er Olivia prüfend ins Gesicht sah. »Alles in Ordnung, Miss Livvy?«

Olivia lächelte heiter ... zu heiter. »Aber natürlich. Warum sollte es das auch nicht sein? Hast du meine Tante schon gesehen?«

»Ich bin hier, Liebes.« Eine zierliche Frau mittleren Alters eilte geschäftig durch die Tür. Bis auf einige wenige graue Strähnen hatte ihr Haar den gleichen dunklen Rotton wie das ihrer Nichte.

»Guten Morgen, Tante Alma«, sagte Olivia und schaffte es sogar, ein Lächeln aufzusetzen.

Denn heute Morgen war ihr ganz und gar nicht nach Lächeln zumute, und das mit gutem Grund. Die magere Beute der Nacht zuvor würde nicht einmal ausreichen, um die täglichen Hilfskräfte zu bezahlen und die Dachreparaturen vornehmen zu lassen, ganz zu schweigen von den Studiengebühren ihres Bruders und seinen anderen Ausgaben, die er in Oxford hatte. Und der arrogante Mann, dem sie bei diesem Überfall begegnet war, hatte ihr ein ausgesprochen ungutes Gefühl beschert. Ihr Instinkt sagte ihr, dass er ihr Ärger bereiten könnte und sie gut daran täte, auf der Hut zu sein.

»Guten Morgen, Livvy.« Helle blaue Augen blickten Olivia prüfend ins Gesicht, während Almas kleine Hände nervös mit ihrer weißen Schürze spielten. »Du siehst erschöpft aus, Liebes. Du weißt, dass ich nicht billige, was du tust. Und Neville, der arme Junge, wäre entsetzt, wenn er von den ... ungewöhnlichen Aktivitäten seiner Schwester erführe.«

Olivia stieß einen Seufzer aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Das haben wir doch alles schon hundertmal besprochen, Tantchen. Ich tue, was ich tun muss, um für die Familie zu sorgen. Neville verdient eine anständige Ausbildung. Niemand außer uns weiß, dass Vater ihm nichts als seinen Titel hinterlassen hat, und ich möchte, dass das auch so bleibt.«

Alma bedachte Peterson mit einem anklagenden Blick. »Es ist seine Schuld. Ohne ihn würdest du nicht dein Leben mit diesen nächtlichen Ausritten gefährden.«

»Ohne Peterson hätten wir nie so lange überlebt«, widersprach Olivia. »Papa hat uns keinen Penny hinterlassen. Er starb unter Umständen, die alles andere als ehrenhaft waren und hinterließ einen ganzen Berg von Schulden und Skandalen. Nachdem seine Rechnungen beglichen waren, war uns nichts geblieben.«

»Du hättest es Neville sagen sollen, anstatt ihn in dem Glauben zu lassen, es sei genügend Geld für seine Erziehung da.«

»Das konnte ich ihm nicht antun. Papa versprach Neville, dass er in Oxford studieren könnte, und ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu enttäuschen. Ihn jetzt heimzuholen würde ihm das Herz brechen.«

»Und was ist mit deinem Herz?«, gab Alma zu bedenken. »Du wirst nie einen Ehemann finden, wenn du weiter dein Leben riskierst, um deiner Familie beizustehen.«

»Hast du einen besseren Vorschlag?«, entgegnete Olivia. »Vielleicht könntest du ja für andere Leute waschen. Ich selbst könnte immer noch als Gouvernante arbeiten, aber das Geld würde niemals ausreichen, um dieses Haus zu unterhalten und Nevilles Studium zu bezahlen.«

Alma errötete. »Du brauchst gar nicht so leichtfertig daherzureden. Für andere Leute zu waschen wäre immer noch besser als das, was du jetzt tust. Das muss aufhören, Livvy. Eines Tages wird dich das Glück verlassen – und was dann?«

»Ich kann nicht aufhören, Tante, oder zumindest jetzt noch nicht«, entgegnete Olivia. »Unser Streifzug gestern Nacht war leider nicht so einträglich, wie ich erwartet hatte.«

Alma ließ die Schultern hängen. »Livvy, Liebes, bitte denk noch einmal darüber nach. Kutschen auszurauben könnte den Tod für dich bedeuten.«

Olivia, der plötzlich eine Idee kam, wurde nachdenklich. »Vielleicht gibt es ja doch noch einen anderen Weg, das Geld zu beschaffen, das wir zum Überleben brauchen.«

»Was willst du damit sagen?«

»Haben wir nicht kürzlich erst eine Einladung zu Herzogin Stanhopes Ball erhalten? Du wirst dich daran erinnern, dass sie die reiche Witwe ist, die sich Papa zu angeln versuchte. Es wäre nicht schwierig, mich während des Balls zu ihrem Schlafzimmer hinaufzuschleichen und ...«

»Das kommt absolut nicht in Frage! Ich verbiete es. Du wirst keine Menschen bestehlen, die wir kennen.«

»Du weißt so gut wie ich, dass die Gräfin eine boshafte alte Schreckschraube ist. Wahrscheinlich hat sie mich ohnehin nur zu ihrem Ball eingeladen, um mich zu demütigen. Sie hat es Papa nie verziehen, dass er sie abgewiesen hat. Das einzig Vernünftige, was er je getan hat, meiner Meinung nach.«

»Wir gehen fast nie zu gesellschaftlichen Veranstaltungen«, erinnerte sie ihre Tante.

»Aus gutem Grund. Weil wir es uns nicht leisten können. Wir werden beide neue Ballkleider benötigen, und wir müssen eine Droschke mieten, um dort hinzufahren.«

»Habt Ihr wirklich vor, dorthin zu gehen, Miss Livvy?«, fragte Peterson.

»Es ist eine zu gute Gelegenheit, um sie uns entgehen zu lassen. Könntest du einen Hehler für die Diamanten und den Ring von gestern Abend finden?«

»Das tue ich doch immer, Miss Livvy.«

»Ach Gott, das ist ja schrecklich!«, jammerte Tante Alma, nachdem Peterson den Raum verlassen hatte. »Ich war seit Jahren nicht mehr auf einem Ball. Geh ohne mich, Livvy, und spar das Geld, das du für ein neues Kleid für mich ausgeben müsstest, lieber.«

»Du weißt, dass ich das nicht kann, Tantchen. Neville, der mich begleiten könnte, ist nicht hier, und daher werde ich eine Anstandsdame brauchen, obwohl ich schon seit mehreren Jahren gewissermaßen eine alte Jungfer bin.«

»Man kann dich ja wohl kaum als alte Jungfer bezeichnen, Liebes!«, protestierte Alma. »Du bist schließlich erst vierundzwanzig.«

»Fast fünfundzwanzig und noch immer unverheiratet«, beharrte Olivia. »Aber das macht nichts, Tantchen, ich habe mich an meine nicht vorhandenen Heiratskandidaten schon gewöhnt. Ohne Mitgift besteht nun einmal wenig Hoffnung, einen Mann zu finden.«

»Was ist mit Lord Palmerson? Er würde dich auch ohne Mitgift heiraten.«

»Viscount Palmerson ist eine Kröte«, stellte Olivia fest.

Alma zuckte mit den Schultern. »Was das betrifft, bin ich geneigt, dir zuzustimmen. Es zirkulieren ein paar sehr hässliche Gerüchte über ihn.«

»Ich verachte ihn. Er hat eine Kaufmannstochter geschwängert, und sie stürzte sich von der London Bridge, als er sich weigerte, sie zur Frau zu nehmen. Außerdem trinkt er zu viel und spielt zu häufig mit zu hohen Einsätzen. Und vergiss nicht, dass er meinen Vater in Schulden gestürzt und ihn zu allen möglichen Ausschweifungen verführt hat«, fügte sie bitter hinzu. »Den Gerüchten nach sind seine Taschen ebenso leer wie unsere, weshalb ich mich frage, warum er die mittellose Tochter eines Grafen heiraten will.«

»Es gibt nichts, was das Gerücht erhärtet, dass Palmerson das Mädchen geschwängert hat. Und auch jeder andere Mann hätte deinen Vater vom rechten Weg abbringen können; es war eben nur rein zufällig Palmerson.«

»Also wirklich, Tantchen! Du magst Palmerson doch genauso wenig wie ich.«

»Du hast schon Recht, Liebes, aber ich mache mir immer solche Sorgen um dich, wenn du etwas Gefährliches oder Leichtsinniges unternimmst. Ich habe furchtbare Albträume, in denen ich dich am Galgen baumeln sehe.« Ihre Stimme zitterte. »Das ist schrecklich, einfach schrecklich.«

Olivia nahm die zierliche Frau in die Arme und drückte sie beruhigend. Sie liebte Alma sehr. Sie war die einzige Mutter, die sie und Neville gekannt hatten, seit ihre leibliche Mutter vor achtzehn Jahren bei Nevilles Geburt gestorben war. Nach dem Tod seiner Frau hatte ihr Vater sich von seiner Familie zurückgezogen und den Rest seines Lebens damit verbracht, profaneren Vergnügungen nachzugehen. Vor vier Jahren, als er in einem Duell die Ehre einer Prostituierten verteidigt hatte, war er gestorben und hatte ihnen einen Berg von Schulden hinterlassen.

»Mach dir keine Sorgen, Tante. Ich werde vorsichtig sein. Und Peterson würde sowieso nicht zulassen, dass mir etwas geschieht.«

»Trotzdem kann alles Mögliche passieren«, klagte Alma. »Ich verwünsche den Tag, an dem Peterson dich zu diesen Torheiten überredet hat, mit denen du dich heute abgibst.«

»Es war meine Idee, nicht Petersons«, erinnerte Olivia sie. »Er hat sich mir nur angeschlossen, weil ich fest entschlossen war, diesen Weg auf jeden Fall zu gehen.« Trotzig hob Olivia ihr Kinn. »Außerdem bereitet es mir keine Schuldgefühle, was ich tue. Die Leute, die ich bestehle, sind die gleichen, die Vaters Hang zu Ausschweifungen genährt haben. Seine so genannten guten Freunde haben nicht einmal versucht zu verhindern, dass er in den Ruin abglitt, obwohl ihnen durchaus bewusst war, dass er es sich nicht leisten konnte, mit ihnen Schritt zu halten. Fairfax House am Grosvenor Square ging für die Bezahlung von Vaters Spielschulden drauf. Wenn er nicht dieses heruntergekommene Stadthaus gekauft hätte, hätten wir jetzt nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf.«

»Gibt es denn gar nichts, was ich sagen kann, um dich umzustimmen?«, fragte Alma.

»Nein. Wenn auf dem Ball alles klappt, kann ich meine nächtlichen Ausritte vielleicht einstellen.«

»Ich kann es nur hoffen«, sagte Alma seufzend.

»Geh und hol deinen Hut und Schal, Tantchen. Sobald ich etwas gegessen habe, werden wir der Schneiderin einen Besuch abstatten.«

Olivia aß eine Scheibe geröstetes Brot und nippte an ihrem Tee, während ihre Gedanken wieder zu dem Mann zurückkehrten, der gestern Nacht in der Kutsche gesessen hatte, die sie überfallen hatten. Er entsprach genau der Art von Mann, von der sie sich geschworen hatte, sich unter allen Umständen fernzuhalten. Ein Lebemann, wie er im Buche stand, auf dem Heimweg von einem amourösen Stelldichein. Wie viele Unschuldige mag er schon ins Verderben gestürzt haben?, fragte sie sich irritiert.

Obwohl er mehr als gut aussehend war, hatte dieser Mann trotz seiner beachtlichen Körpergröße und seiner breiten Schultern etwas Verlebtes an sich. Olivia hielt ihn für einen übersättigten Aristokraten mit einem Hang zur Zügellosigkeit. Er war wie Lord Palmerson, der ihren Vater in den Ruin und in einen frühen Tod getrieben hatte.

Olivia konnte nicht umhin, sich zu fragen, wer der Mann wohl war. Seine Kutsche trug kein Wappen, doch er roch geradezu nach Geld und einer ausgezeichneten Erziehung. Und sein sardonisches Lächeln, bei dem sich ihr die Nackenhaare gesträubt hatten, war ihr noch immer unheimlich.

Sie streifte das Vorgefühl nahenden Unheils, das sie jäh beschlich, jedoch mit einem Achselzucken ab und beendete ihr Frühstück. Sie hatte Besseres zu tun, als sich Gedanken über einen Mann zu machen, den sie vermutlich ohnehin nie wieder sehen würde.

Mit auf dem Rücken verschränkten Händen und verdrießlichem Gesicht ging Gabriel vor seiner Großmutter, der Witwe des Marquise von Bathurst, auf und ab.

»Spar dir die Theatralik, Bathurst«, tadelte ihn Lady Patrice. »Du weißt, wie ich über deine mangelnde Bereitschaft denke, einen Erben für den Titel und die Ländereien zu produzieren. Ich bin sicher, wenn dein Bruder noch am Leben wäre, hätte er seine Pflicht schon längst getan.«

»Verdammt, Großmama, musst du ständig daran herumnörgeln, dass ich noch ledig bin? Ich bin schließlich erst dreißig. Papa hat auch erst mit fünfunddreißig geheiratet.«

»Lass deinen lieben Vater aus dem Spiel«, versetzte Lady Patrice scharf. »Ich werde älter und möchte einen Erben sehen, bevor ich das Zeitliche segne. Wenn du bereit wärst, deine Laster aufzugeben, würdest du vielleicht endlich eine nette junge Dame finden. Wie ich hörte, ist das Aufgebot an heiratsfähigen jungen Debütantinnen dieses Jahr ganz außerordentlich.«

»Außerordentlich weshalb, Großmama?«, versetzte Gabriel. »Weil sie besonders jung sind? Besonders farblos? Oder ganz besonders hohlköpfig? Ich habe kein Interesse an solchen Frauen.«

Lady Patrice klopfte mit ihrem Gehstock laut genug auf das Parkett, um Gabriels Aufmerksamkeit zu erregen. »Die Witwe von Graf Stanhope gibt heute Abend einen Ball. Alles, was Rang und Namen hat, wird dort versammelt sein. Ich nehme an, auch du hast eine Einladung erhalten.«

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Möglich. Grimsley kümmert sich um diese Dinge.«

»Ich erwarte, dass du auf dem Ball erscheinst«, erklärte Lady Patrice in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Du kannst dir die jungen Damen wenigstens ansehen, während du dort bist.«

Gabriel liebte seine Großmutter von Herzen, aber sie konnte ziemlich tyrannisch sein, wenn es darum ging, Ordnung in sein Leben zu bringen. Trotzdem käme er nicht einmal auf die Idee, sie zu enttäuschen. Er würde zu dem Ball gehen, aber ganz gewiss nicht, um seine Heiratsaussichten zu fördern. Nicht einmal Großmama konnte ihn zu seinem Glück zwingen.

Gabriel beugte sich vor und küsste Lady Patrice auf die Wange. »Na schön, Großmama, ich werde an Lady Stanhopes Gesellschaft teilnehmen. Aber erwarte bitte nicht von mir, die Liebe meines Lebens dort zu finden. Ich habe nicht die Absicht, mich irgendwann in nächster Zeit vor den Altar zerren zu lassen.«

Lady Patrices tiefblaue Augen, die jenen ihres Enkelsohns so ähnlich waren, glitzerten vor Befriedigung. »Du bist ein guter Junge, Bathurst. Ich wusste, dass du mich verstehen würdest. Ach, übrigens«, fügte sie mit einem unschuldigen Blick auf ihn hinzu, »hast du deine letzte Mätresse schon durch eine andere ersetzt? Diese Schauspielerin entsprach jawohl kaum deinem üblichen Niveau.«

Gabriel lachte. »Du erstaunst mich immer wieder, Großmutter. Ich sehe Colette nicht mehr, und ich habe bisher auch noch keine andere gefunden, die sie ersetzen könnte.«

»Dann such bitte auch nach keiner«, sagte Lady Patrice. »Ich habe ein gutes Gefühl in Bezug auf heute Abend. Du bleibst doch zum Tee, mein Lieber?«

»Natürlich. Aber ich kann nicht lange bleiben. Wenn ich schon zu Lady Stanhopes Ball gehen muss, möchte ich wenigstens Verstärkung mitnehmen.«

»Du meinst damit doch wohl hoffentlich nicht diese zweifelhaften Freunde von dir? Es ist höchste Zeit, dass sie sich selber Bräute suchen, und allerhöchste Zeit, diesen Bund der Bonvivants von London aufzulösen. Gebt den Leuten ausnahmsweise einmal etwas anderes zu reden. Ich bin es gründlich leid, von den Eskapaden meines Enkelsohns zu hören. Und nun setz dich, während ich nach dem Tee klingele – dein ständiges Hin- und Hergelaufe macht mich ganz nervös.«

Eine Stunde später verließ Gabriel das Haus seiner Großmutter, stieg in seinen wartenden Landauer, nahm die Zügel auf und lenkte seine beiden temperamentvollen Grauschimmel in Richtung White's. Braxton und Westmore wussten es noch nicht, aber sie würden ihn heute Abend zu einem Ball begleiten.

2. Kapitel

In Begleitung seiner beiden Freunde mischte Gabriel sich unter die Gäste, die zu Gräfin Stanhopes Ball erschienen waren, und ihm graute schon beim bloßen Anblick der Unmengen in jungfräuliches Weiß gekleideten jungen Frauen, denn Weiß war die Farbe aller jungen Damen, die erst vor kurzem in die Gesellschaft eingeführt worden waren.

»Ich weiß nicht, warum ich mich von dir überreden lassen habe hierher zu kommen«, beschwerte Ramsey sich bei Gabriel. »Sieh doch nur, was für eine Aufmerksamkeit wir erregen. Dieser Raum enthält mehr eifrige Mütter, die darauf aus sind, ihre Töchter mit Titeln zu verheiraten, als ich je gesehen habe.«

»Ich suche keine Frau«, bemerkte Luc gedehnt, »und zum Glück versucht auch niemand, mich zu einer Heirat anzustiften. Mein Titel ist ohnehin nicht bedeutend genug, um das gleiche Interesse wie die euren zu erregen.«

»Großmama meint es nur gut«, erwiderte Gabriel. »Sie kann einfach nicht verstehen, warum ich mich weigere, eine Frau zum Altar zu führen.«

Ramsey lachte. »Weiß deine Großmutter, dass du zu sehr damit beschäftigt bist herumzuhuren, um zu heiraten? Du, Westmore und ich sind eben einfach unverbesserliche Schürzenjäger. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir alle in der Hölle landen, nachdem wir das Zeitliche gesegnet haben.«

»Und wenn schon«, gab Gabriel zurück. »Ich werde jetzt Großmama begrüßen und mir dann ordentlich einen hinter die Binde gießen.«

»Ist das da drüben nicht deine Großmutter, die mit der Dame des Hauses spricht?«, fragte Luc, in die Richtung der beiden alten Damen blickend.

Gabriel stieß einen leidgeprüften Seufzer aus. »Allerdings. Entschuldigt mich, meine Herren, die Pflicht ruft.«

»Oh, oh, da kommt Lady Hayworth mit ihren beiden garstigen Töchtern«, warnte Luc, bevor Gabriel Gelegenheit bekam, die Flucht zu ergreifen. »Und die unbeugsame Dame hat diesen ganz gewissen Blick in ihren Augen. Zeit für mich, mich aus dem Staub zu machen. Ich sehe euch dann später.«

»Feigling«, zischte Gabriel, als Luc schnellstens den Rückzug antrat und es Ram und Gabriel überließ, Lady Hayworth und ihren beiden heiratsfähigen Töchtern gegenüberzutreten.

»Lord Bathurst, Lord Braxton«, begrüßte Lady Hayworth sie entzückt. »War das gerade Lord Westmore, den ich davoneilen sah?«

»Das war er, ja«, bestätigte Gabriel. »Er erinnerte sich ganz plötzlich wieder an eine Verabredung.«

»Und Ihr erinnert Euch doch sicherlich an meine Töchter? Honoria, Lucinda – macht Euren Knicks vor dem Marquis und dem Graf.«

Gabriel setzte ein zuvorkommendes Lächeln auf. Er kannte die beiden jungen Damen natürlich, fand aber weder die eine noch die andere auf irgendeine Weise anziehend. Honoria hatte etwas zu große Zähne und war ziemlich mollig, während Lucinda, die Jüngere und Hübschere, etwa genauso unbedarft wie ein Schmetterling war. Er empfand die Art, wie sie mit ihren Wimpern klimperte und ihre Hände flattern ließ, als überaus ermüdend.

Nachdem sie ein paar harmlose kleine Nettigkeiten ausgetauscht hatten, wandte Gabriel sich zum Gehen. »Wenn die Damen mich nun entschuldigen würden – Großmama erwartet mich.«

»Ich begleite dich, Bathurst«, bot Ram sich an. »Ich muss doch noch unsere Gastgeberin begrüßen.«

»Puh, das war knapp!«, sagte Gabriel. »Sobald ich mit Großmama gesprochen habe, verschwinde ich. Ich bin immerhin erschienen und habe meine Pflicht getan. Sollen wir Westmore holen und zu Brook's hinübergehen? Hier ist wenig ...« Er unterbrach sich mitten im Satz. »Du meine Güte, wer ist denn das?«

Gabriel konnte nicht umhin, die junge Dame anzustarren, die so selbstsicher im Eingang stand. Wieso war sie ihm nicht schon vorher aufgefallen? Wo hatte sie sich versteckt? Es war offensichtlich, dass sie nicht neu auf dem Heiratsmarkt war, denn ihre Selbstsicherheit und Reife kennzeichneten sie als eine Frau, die die erste Blüte ihrer Jugend bereits überschritten hatte. Aber ihr Alter beeinträchtigte in keinster Weise ihre auffallende Schönheit.

Ram folgte Gabriels Blick. »Sieh mal einer an! Was für ein seltener Zufall, Lady Olivia Fairfax hier zu treffen. Sie ist wirklich sehr erstaunlich, nicht?«

Und das war noch gewaltig untertrieben, dachte Gabriel. Diese Frau war wirklich in jeder Hinsicht mehr als erstaunlich. Mit ihrem dunkelroten Haar und ihrem makellosen hellen Teint konnte man sie schon als Seltenheit bezeichnen. Die meisten Rothaarigen hatten teigige Gesichter und Sommersprossen, aber Lady Olivia stellte eine erfreuliche Ausnahme dieser Regel dar.

»Ist sie verheiratet? Ich sehe keinen Mann an ihrer Seite. Glaubst du, sie wäre bereit, sich einen Liebhaber zu nehmen?«

»Lass die Finger von ihr, Gabriel«, riet Ram. »Lady Olivia Fairfax ist die Tochter des verstorbenen Grafen von Sefton, und sie ist noch unverheiratet.«

»Den Namen habe ich schon gehört, aber er sagt mir nicht sehr viel.«

»Der Graf starb ziemlich unehrenhaft, während du mit Wellington in Spanien gekämpft hast.«

»Unehrenhaft?«

»Er duellierte sich wegen einer Prostituierten aus Covent Garden. Das war reichlich dumm von ihm, aber nach dem Tod seiner Frau hatte der Mann fast den Verstand verloren. Bedauerlicherweise nutzten das einige seiner Freunde aus. Es heißt, er hinterließ einen Berg von Schulden, die sein junger Sohn und seine Tochter abbezahlen mussten.«

»Dann müssen sie ihre Sache ausgesprochen gut gemacht haben. Lady Fairfax und ihre Begleiterin sind nach der allerneuesten Mode gekleidet.«

»Ihre Begleiterin ist Lady Alma Fairfax, die unverheiratete Schwester des verstorbenen Lord Sefton. Sie sprang ein und zog Seftons Kinder auf, nachdem ihre Schwägerin gestorben war.«

»Warum hat Lady Olivia nicht geheiratet? Es ist doch kaum zu glauben, dass eine so auffallend schöne Frau wie sie so lange unverheiratet geblieben ist.«

»Sie hat keine Mitgift«, erwiderte Ramsey achselzuckend. »Soviel ich hörte, brachte Sefton das gesamte Familienvermögen durch, einschließlich der Mitgift seiner Tochter. Nachdem seine Schulden beglichen waren, blieb ihnen kaum genug, um in vornehmer Armut zu existieren und den jungen Erben nach Oxford zu schicken. Das sind natürlich alles nur Gerüchte, verstehst du, denn niemand kennt den genauen Stand ihrer Finanzen. Die Dame nimmt nur äußerst selten an gesellschaftlichen Veranstaltungen teil.«

»Kennst du sie?«

»Ich bin ihr schon begegnet.«

»Dann stell mich ihr vor. Wenn sie einen Beschützer braucht, bin ich ihr Mann.«

Ram grinste. »Ich sagte doch schon, lass die Finger von ihr, Bathurst. Für Männer wie uns sind Jungfrauen tabu. Du willst doch nicht vor den Altar gezerrt werden?«

»Du vermutest also, dass die Dame noch Jungfrau ist«, sinnierte Gabriel. »Nur weil noch nicht über sie geklatscht wird, heißt das noch lange nicht, dass sie sich keinen Liebhaber genommen hat. Sieh doch. Ist das nicht Lord Palmerson, der dort um sie herumscharwenzelt? Sie scheinen einander gut zu kennen. Wenn sie diesen widerwärtigen Mistkerl kennt, kann sie nicht so tugendhaft sein, wie du zu glauben scheinst. Hat er nicht eine Kaufmannstochter geschwängert und sich dann geweigert, sie zu heiraten? Das Mädchen hat sich umgebracht, nicht wahr?«

»So heißt es jedenfalls.«

»Trotz ihrer offenkundigen Freundschaft mit Palmerson möchte ich sie kennen lernen. Stell mich vor, Ramsey.«

Olivia versuchte, sich ihre Verachtung nicht anmerken zu lassen, als sie ihren Blick über das Gewimmel der Gäste in dem eleganten Ballsaal schweifen ließ. »Das wird kinderleicht sein«, bemerkte sie zu ihrer Tante. »Bei dieser Menschenmenge wird mein kurzes Verschwinden überhaupt keinen Verdacht erregen.«

»Ich wünschte, du würdest das nicht tun, Liebes. Was ist, wenn du erwischt wirst? Was, wenn ...«

»Mach dir keine Sorgen, Tante, ich werde schon vorsichtig sein. Wir brauchen das Geld, und dies ist der einzige Weg, es zu bekommen. Lass uns unsere Gastgeberin begrüßen gehen.«

»Olivia, meine Liebe, was für eine angenehme Überraschung!«

Olivia unterdrückte ein Stöhnen. Palmerson war der letzte Mensch, den sie sehen wollte. Dieser Mann verursachte ihr eine Gänsehaut. »Lord Palmerson«, erwiderte sie knapp.

»Ich habe an Euch gedacht, Olivia. Wann werdet Ihr endlich meinen Antrag annehmen? Ich habe immer noch die Sondererlaubnis, die ich mir beschafft habe, als ich Euch das erste Mal um Eure Hand bat. Eure Weigerungen werden langsam wirklich lästig.«

»Ich habe meine Meinung nicht geändert, Mylord. Ich habe nicht die Absicht, Eure Frau zu werden.«

Palmerson fuhr sich mit einer schlanken Hand durch sein glänzendes Haar und betrachtete Olivia kühl. »Das überrascht mich. Ich weiß, dass Sefton Eure Mitgift durchgebracht hat. Ich bin Eure einzige Hoffnung, je an einen Mann und eine Familie zu kommen.«

»Ihr hättet den Untergang meines Vaters verhindern können, wenn Ihr gewollt hättet«, entgegnete Olivia mit eisiger Verachtung.

»Warum hört Ihr nicht auf, mich für seinen Tod verantwortlich zu machen? Er hat seinen eigenen Untergang herbeigeführt. Es gab nichts, was ich hätte tun können, um ihn daran zu hindern.«

»Das sagt Ihr. Aber Ihr wart sein Freund, Ihr hättet ihm beistehen müssen.«

»Das ist Schnee von gestern, Olivia. Oh, da beginnt gerade eine Quadrille – sollen wir tanzen?«

»Nein, ich ...«

Palmerson ließ ihr jedoch keine Gelegenheit abzulehnen, sondern hakte sich einfach bei ihr unter und zog sie förmlich auf die überfüllte Tanzfläche. Olivia blickte sich nach ihrer Tante um, sah die alte Dame ein bisschen schwanken und versuchte, sich von Palmerson loszureißen, um ihr zu helfen. Aber er zog sie einfach weiter und begann mit ihr zu tanzen. Aus dem Augenwinkel sah Olivia noch, wie ein Mann eine stützende Hand an die Taille ihrer Tante legte.

Dieser eine kurze Blick genügte allerdings, um Olivia das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Es war der Mann, dessen Kutsche sie überfallen hatte! Verdammt! Was für ein verfluchtes Pech. Aber dann sagte sie sich, dass er keinen Grund hatte, sie zu verdächtigen, und beruhigte sich wieder.

»Entspannt Euch, Olivia. Ich beiße nicht.«

»Für Euch noch immer Lady Olivia«, wies sie ihn kühl zurecht. »Zu große Vertraulichkeit erzeugt Verachtung.«

»Wir sind alte Freunde, Olivia. Wir kennen uns schon seit vielen Jahren.« Er beugte sich ein wenig vor. »Und wir würden mehr sein als nur Freunde, wenn Ihr Euch bereit erklären würdet, meine Frau zu werden.«

Glücklicherweise endete in diesem Augenblick der Tanz. »Sollen wir hinausgehen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen?«, fragte Palmerson.

»Nein, danke«, erwiderte Olivia. »Meine Tante braucht mich. Sie sieht gar nicht gut aus.«

Olivia wandte sich ab und ging auf ihre Tante zu, blieb aber im nächsten Moment erschrocken stehen, als sie Alma mit dem Fremden plaudern sah. Ein zweiter Mann war bei ihm, der Olivia irgendwie bekannt vorkam. Sie hätte sich am liebsten umgedreht und die Flucht ergriffen, aber nach einem raschen Blick über die Schulter sah sie Palmerson in ihre Richtung kommen. Es blieb ihr somit keine andere Wahl, als sich zu ihrer Tante zu begeben, wenn sie weitere Begegnungen mit Palmerson vermeiden wollte. Sie würde eben einfach dafür sorgen müssen, dass sie diesem beängstigenden Fremden keinen Anlass gab, sie des Überfalls auf seine Kutsche zu verdächtigen.

Beide Männer wandten sich ihr mit erwartungsvollen Blicken zu, als sie sich zu ihrer Tante gesellte, doch nur einer weckte ihr Interesse. Im Licht von Hunderten von Kerzen ließen seine gut aussehenden, markanten Gesichtszüge nichts von der Verlebtheit erkennen, die sie in der Nacht des Überfalls an ihm bemerkt zu haben glaubte. Sein hocheleganter, dunkelblauer Rock betonte seine breiten Schultern, und seine eng anliegende, gelbbraune Hose überließ nichts von seinem Körperbau der Fantasie. Seine tiefblauen Augen waren fast so dunkel wie sein schwarzes Haar, und seine Brauen hatten eine unverkennbar aristokratische Wölbung.

Er roch nach Arroganz und Lasterhaftigkeit und war der Typus Mann, dem sie weder Vertrauen noch Sympathie entgegenbrachte. Sein Freund war ebenfalls sehr gut aussehend und wirkte auch nicht weniger blasiert als er. Obwohl sie ihn zu kennen glaubte, konnte Olivia sich nicht an seinen Namen erinnern.

»Olivia, Liebes«, sagte Tante Alma, »du erinnerst dich doch sicher an Lord Braxton? Wir sind ihm vor einem Jahr bei den Eggerlys begegnet. Und der Herr bei ihm ist Lord Gabriel Wellsby, der Marquis von Bathurst. Lord Bathurst, das ist meine Nichte, Lady Olivia Fairfax.«

Ich habe einen Marquis beraubt!, dachte Olivia entsetzt und schluckte, als sie Lord Bathurst ihre leicht zitternde Hand reichte. Er nahm sie wie ein perfekter Gentleman und beugte sich darüber, doch die Art, wie er mit den Fingerspitzen ihre Handfläche berührte, war mehr als nur beängstigend. Olivia spürte die Hitze seines Atems durch den dünnen Stoff ihres Handschuhs und entzog ihm die Hand, bevor ihm ihr Zittern auffallen konnte.

»Sie spielen einen Walzer, Lady Olivia. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, ihn mit mir zu tanzen?«

Olivia war überrascht, dass die immer sehr auf Förmlichkeit bedachte Witwe des Herzogs den Musikern erlaubte, den noch immer sehr umstrittenen Walzer auf ihrem Ball zu spielen. Diese Art von Tanz wurde nach wie vor nicht als salonfähig betrachtet, und Olivia hatte sich bisher nicht einmal die Mühe gemacht, die Schritte zu erlernen.

»Tut mir leid, Mylord, aber ich kann keinen Walzer tanzen«, wandte Olivia ein.

»Es ist nicht schwierig. Lasst Euch einfach von mir führen.«

Ohne Olivia auch nur um Erlaubnis zu bitten, legte er einen Arm um ihre Taille und führte sie zur Tanzfläche. Und dann nahm er sie in die Arme und zog sie an sich heran – viel zu nahe für Olivias Geschmack.

»Ihr habt ganz ungewöhnlich grüne Augen«, bemerkte Gabriel, als er sie in einer Drehung schwenkte, die sie fast ins Stolpern brachte.

Sie umklammerte seine Schultern noch ein wenig fester, während er sie mit seinen starken Armen stützte. »Keine Angst, ein kleiner Fehltritt ist noch keine Katastrophe. Lasst Euch einfach von mir führen. Eins, zwei, drei – Drehung. Eins, zwei, drei – Drehung. Ja, so ist es gut«, sagte er, als sie sich dem Rhythmus langsam anpasste. »Ihr scheint über ein natürliches Gespür fürs Tanzen zu verfügen.«

Olivia, die fast völlig außer Atem war und sich ganz und gar auf die Musik konzentrierte, antwortete nicht.

»Sind wir uns schon einmal begegnet, Lady Olivia?«, fragte Gabriel und blickte ihr prüfend in die Augen.

»Ich besuche nur sehr wenige gesellschaftliche Anlässe«, sagte Olivia, als sie endlich ihre Stimme wiederfand. »Daher bezweifle ich, dass wir uns schon irgendwo einmal begegnet sind.«

»Komisch«, bemerkte er versonnen. »Ich hätte schwören können ...«

»Ihr müsst Euch täuschen«, unterbrach Olivia ihn kurz.

Er legte den Arm noch fester um ihre Taille, und für einen beunruhigenden Augenblick lang konnte sie sein Bein zwischen ihren Schenkeln spüren, als er eine weitere elegante Drehung mit ihr vollführte. Und obwohl es keine eindeutig sexuelle Bewegung war und sie durchaus den Tanzschritten entsprach, verspürte Olivia ein merkwürdiges Ziehen in den verbotenen Bereichen ihres Körpers. Als sie mit Palmerson tanzte, hatte sie nichts als Abscheu empfunden, doch Bathurst war nicht Palmerson, und es war zweifellos kein Abscheu, was sie nun empfand. Der Druck seines harten Körpers an dem ihren war ausgesprochen irritierend.

»Seid Ihr gut bekannt mit Palmerson?«, fragte Gabriel.

Olivia blinzelte. »Was? Was sagtet Ihr?« Worauf wollte er mit dieser Frage hinaus?

»Dieser Palmerson – ist er ein guter Freund von Euch?«

Olivia stolperte über Bathursts Fuß, aber er stützte sie und hielt sie fest in seinen starken Armen. Jäher Zorn erfasste sie, und sie versuchte, sich ihm zu entziehen, kam aber gegen seinen unerbittlichen Griff um ihre Taille nicht an. Und so konnte sie ihn nur mit Worten zurechtweisen. »Was untersteht Ihr Euch! Wenn Ihr damit sagen wolltet, was ich glaube, irrt Ihr Euch gewaltig!«

»Verzeiht mir, Mylady, ich wollte nicht impertinent erscheinen.«

Olivia hob den Blick zu dem schmunzelnden Gesicht des Marquis und sah dort nicht einmal ein Fünkchen des Bedauerns. Dieser Mann war geradezu unglaublich arrogant. Er verdiente es, beraubt zu werden. Während der restlichen Takte schwieg sie hartnäckig, hielt sich so steif wie möglich und weigerte sich, ihn anzusehen.

»Habe ich Euch verärgert?«, fragte Gabriel mit einem Anflug von Belustigung.

»Ganz und gar nicht«, log Olivia. »Ich bin kein hohlköpfiges junges Ding, das einen unverbesserlichen Wüstling nicht von einem Gentleman unterscheiden kann.«

»Wie viele unverbesserliche Wüstlinge kennt Ihr denn noch außer Palmerson, Lady Olivia?«

»Nur einen, Lord Bathurst«, erwiderte Olivia und sah ihm dabei direkt in die Augen.

Zu ihrer großen Beschämung warf der gut aussehende Marquis den Kopf zurück und lachte. »Touché, Mylady. Gut gemacht.«

Bevor Olivia sich zu ihrer Schlagfertigkeit beglückwünschen konnte, zog Bathurst sie durch die offenen Terrassentüren auf den Balkon hinaus. Dort fand sie sich in einer dunklen Ecke wieder, eingeschlossen zwischen der Balustrade in ihrem Rücken und Bathursts makellos bekleideter Gestalt.

»Ihr saht aus, als könntet Ihr ein bisschen frische Luft gebrauchen«, stellte er mit einem blasierten Lächeln fest.

»Ihr täuscht Euch«, erwiderte Olivia kühl. »Bringt mich unverzüglich in den Saal zurück. Meine Tante wird sich Sorgen machen, wenn sie mich dort nicht finden kann.«

Olivia versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, was er allerdings zu verhindern wusste, indem er seine Hände rechts und links von ihr auf die Balustrade stützte. »Ich lasse Euch erst gehen, wenn Ihr mir eine einfache Frage beantwortet, Lady Olivia.«

Sie hatte keine andere Wahl, als nachzugeben, und konnte nur hoffen, dass seine Frage nichts mit dem Überfall zu tun hatte. Was zum Glück auch nicht der Fall war, wie sich herausstellte.

»Seid Ihr so unschuldig, wie Ihr es für Euch in Anspruch nehmt?«

»Wie könnt Ihr es wagen!«, rief sie, während sie mit der Hand ausholte und ihm einen gut gezielten Schlag ins Gesicht versetzte. Er taumelte zurück, nahm aber immer noch nicht seine Hände vom Geländer.

»Was habe ich getan, um eine solch anmaßende Behandlung zu verdienen?«, herrschte Olivia ihn an. »Warum müsst Ihr mir eine solch beleidigende Frage stellen?«

»Weil ich gern Euer Liebhaber wäre«, gab Gabriel zurück, »und weil ich Jungfrauen wie die Pest meide. Ich sah Euch mit Palmerson sprechen. Sein zweifelhafter Ruf übertrifft sogar den meinen.« Bathurst zuckte mit den Schultern. »Ich setzte eben einfach nur voraus ...«

»Ihr setzt zu viel voraus«, schnitt Olivia ihm kühl das Wort ab.

Gabriel starrte in ihre wutblitzenden grünen Augen und verspürte erneut dieses eigenartige Gefühl von Vertrautheit. Er glaubte sich an irgendetwas zu erinnern, doch das Gefühl war nur sehr flüchtig und zu schwer zu fassen. Er hatte diese smaragdgrünen Augen schon einmal gesehen, dessen war er sich ganz sicher. Aber wo? Und wann? Gabriel wusste, dass er sich wie ein skrupelloser Schuft benahm, doch er konnte einfach nichts dagegen tun. Diese Olivia Fairfax hatte etwas an sich, das seine schlechtesten Seiten zum Vorschein brachte.

Ihre glatten Schultern schimmerten verführerisch im Mondlicht, und die Empiretaille ihres grün-goldenen Musselinkleids betonte die sanften Rundungen ihrer festen Brüste. Wenn sie den Geboten der derzeitigen Mode folgte, trug sie nichts als einen Unterrock unter dem tief dekolletierten Kleid. Der verführerische Gedanke, wie wenig Stoff sie nur voneinander trennte, genügte, um ein heftiges Ziehen in Gabriels Lenden auszulösen.

Er begehrte sie. Aber wieso kam diese Frau ihm so bekannt vor? Verdammt! Warum musste sie noch unberührt sein? Aber war sie das überhaupt? Sie hatte seine Frage im Grunde nicht beantwortet. Sichtlich widerstrebend löste er seine Hände von der Balustrade und trat zurück.

»Ich bitte Euch noch einmal um Vergebung, Lady Olivia. Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die mein Blut derart in Wallung bringt. Ihr seid eine Dame, und ich war respektlos Euch gegenüber, was Ihr mir aber eigentlich nicht zum Vorwurf machen könnt. Ihr seid außergewöhnlich schön und überaus faszinierend, Lady Olivia.«

»Ihr scherzt doch wohl, Mylord. Ich wurde bereits vor einigen Jahren in die Gesellschaft eingeführt und bin in ihren Augen inzwischen schon so etwas wie ein ›altes Mädchen‹. Wendet Eure zweifelhafte Aufmerksamkeit also einem der jungen Dinger zu, die einen Ehemann suchen. Ich habe keine Mitgift und keine Zukunftsaussichten und bin sehr zufrieden mit dem Leben, das ich führe.«

»Und Ihr habt auch keinen Liebhaber«, veranlasste ein abartiger kleiner Teufel Gabriel hinzuzufügen. »Das ist wirklich jammerschade. So viel ich hörte, befindet Ihr Euch in finanziellen Schwierigkeiten. Ich könnte aushelfen, wenn Ihr auf der Suche nach einem Beschützer wäret.«

»Ich kann mich selbst beschützen, vielen Dank«, erwiderte Olivia gekränkt, während sie sich vorsichtig von ihm entfernte. Wenn sie sich nicht irrte, hatte der Marquis ihr gerade angeboten, seine Mätresse zu werden. Die Dreistigkeit des Mannes kannte keine Grenzen.

Nach einem letzten hochnäsigen Blick auf ihn ging Olivia um ihn herum und rannte fast durch die Terrassentüren in den belebten Ballsaal zurück. Sie hatte eine Mission, und niemand würde sie daran hindern können, und erst recht nicht ein so anmaßender Strolch wie dieser Bathurst.

Olivia fand ihre Tante bei einer Gruppe von Matronen, die am Rand der Tanzfläche saßen und nach möglichen Heiratskandidaten für ihre Töchter spähten. Alma erhob sich augenblicklich und zog Olivia in eine Nische.

»Wo warst du, Livvy? Ich sah dich mit Lord Bathurst tanzen, aber dann warst du plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Ich hatte schon angefangen, mir Sorgen zu machen, besonders nach dem, was ich über den Marquis erfahren habe.«

Olivia horchte auf. »Was hast du über ihn erfahren, Tante?«

»Dieser Mann ist ein gefühlloser Filou, ein Spieler und ein Schürzenjäger, Livvy. Seinen Titel verdankt er dem Umstand, dass sein älterer Bruder bei einem Bootsunfall ertrank. Bathurst war damals mit Wellington in Spanien. Er ist ein Kriegsheld, erzählt man. Er wollte die Militärlaufbahn einschlagen, bis er nach dem Tode seines Bruders heimgerufen wurde. Gerüchten zufolge wollte Bathurst den Titel nicht, doch er hatte keine andere Wahl. Sein Bruder hatte eine Ehefrau, aber keinen Erben hinterlassen.«

»Man braucht kein Hellseher zu sein, um Bathurst zu durchschauen«, bemerkte Olivia.

»Ich sprach kurz mit seiner Großmutter, der Witwe des Marquis. Sie macht sich große Sorgen um ihn und seine mangelnde Bereitschaft, einen Erben für den Titel und die Ländereien hervorzubringen. Sei vorsichtig, Liebes. Ich fürchte, er hat ein Auge auf dich geworfen. Und da er anscheinend nicht bereit ist, eine Ehe einzugehen, können seine Aufmerksamkeiten auch nicht ehrenhaft sein.«

»Keine Sorge, Tante, ich bin sehr gut in der Lage, auf mich aufzupassen.«

»Das ist aber noch nicht alles«, flüsterte Alma. »Die Leute sagen, dass er nicht heiraten will, weil er die Gattin seines Bruders liebt. Dass er zur Armee ging, weil die Frau, die er liebte, ihn verschmähte und seinen Bruder heiratete. Seit er vor drei Jahren heimkehrte, hat Bathurst den Familiensitz in Derbyshire und seine Schwägerin nicht mehr besucht.«

»Bathurst scheint mir nicht der Typ zu sein, der einer verlorenen Liebe nachtrauert«, spottete Olivia.

»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen, Liebes, aber die Leute werden reden.« Alma beugte sich ein wenig vor. »Der Marquis ist einer der berüchtigten ›Bonvivants von London‹, du weißt schon, einer dieser skandalösen Männer, über die wir in den Zeitungen gelesen haben.«

»Meiner Beobachtung nach ist der Marquis ein unverbesserlicher Wüstling, der vermutlich nicht mal zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann. Ich bezweifle sehr, dass er die Witwe seines Bruders liebt. Ich glaube, er hat kein Herz und schon gar keine Skrupel.«

Alma warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Hat der Marquis dich beleidigt, Livvy?«

»Von mir aus kannst du es ruhig wissen, Tante. Es war seine Kutsche, die Peterson und ich letzte Nacht überfallen haben.«

Alma schwankte und stieß scharf den Atem aus. Ihre Augen wurden groß vor Panik.

»Keine Angst, Tante, Bathurst hat mich nicht erkannt. Er hat keinen Grund zu glauben, dass ich irgendetwas anderes bin als das, was ich zu sein scheine.«

»Dass er hier ist, ändert alles«, stellte Alma mit unsicherer Stimme fest. »Wir sollten auf der Stelle gehen.«

»Es ändert überhaupt nichts, Tantchen. Nevilles vierteljährliche Studiengebühren sind fällig, und das Dach wird sich auch nicht von allein erneuern. Ich muss es tun.«

»Bist du sicher, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt?«

»Wir haben dieses Thema schon oft genug besprochen,

Tantchen. Geh zurück zu den Damen und amüsier dich.«

»Und was wirst du tun?«

Die Frage beantwortete sich von selbst, als ein junger Mann Olivia ansprach und sie bat, mit ihm zu tanzen. Sie stimmte höflich zu und ließ sich von ihm zur Tanzfläche begleiten. Schon während der ersten Schritte begann sie ein seltsames Kribbeln in ihrem Nacken zu verspüren und sah Bathurst, der am Rande des Parketts stand und sichtlich überrascht zu ihr hinüberstarrte. Sie tanzte noch mehrere Tänze mit verschiedenen Partnern, und dann stand sie plötzlich wieder Bathurst gegenüber. Er warf den jungen Männern, die sie umschwärmten, einen vernichtenden Blick zu, worauf sie sich wie Laub im Wind zerstreuten.

»Ich habe darum gebeten, dass sie noch einen Walzer spielen, und kann mir niemanden vorstellen, mit dem ich ihn lieber tanzen würde als mit Euch«, sagte Bathurst und verbeugte sich galant vor ihr.

»Ich habe beschlossen, den nächsten Tanz auszulassen«, erwiderte Olivia schroff. Als sie sich dann aber abwandte, um zu gehen, musste sie feststellen, dass die Herzogin Stanhope ihr den Weg verstellte.

»Olivia, meine Liebe, wie reizend, dass Ihr gekommen seid«, sagte die alte Dame mit allem anderen als aufrichtiger Freude. »Wir sehen Euch in letzter Zeit ja nur noch selten bei Gesellschaften. Aber verratet mir doch –« Ihre Augen funkelten vor Neugier, als sie sich ein Stück zu Olivia vorbeugte –, »woher Ihr die Mittel für diese entzückenden Kleider habt, die Ihr und Eure Tante tragt? Habt Ihr eine Bank ausgeraubt? Oder einen reichen Beschützer gefunden? Hechelt Palmerson Euch noch immer nach?«

Olivia wäre am liebsten im Boden versunken. Wenn die alte Stanhope sie vor dem Marquis hatte beleidigen wollen, dann war es ihr gelungen. »Tante Alma und ich kommen sehr gut zurecht mit dem, was Papa uns hinterlassen hat, aber dennoch vielen Dank für Euer Interesse«, erwiderte Olivia höflich. »Und nun entschuldigt mich bitte, ich muss meinen Füßen ein bisschen Ruhe gönnen«, fügte sie hinzu, bevor sie schnell den Rückzug antrat.

Gabriel sah Olivia davoneilen und blickte ihr belustigt nach.

»Sie ist ein hoffnungsloser Fall, die Arme«, bemerkte die Herzogin mit einem Anflug von Gehässigkeit. »Der zweifelhafte Ruf ihres Vaters und die Tatsache, dass sie nicht mit einer Mitgift rechnen kann, machen sie nicht gerade sehr begehrenswert.«

»Ich war während der Kriegsjahre nicht in England und weiß daher so gut wie nichts über Lady Olivias Familie.«

»Lord Sefton hätte mich heiraten können, nachdem seine Frau gestorben war, doch stattdessen entschied er sich für ein Leben der Ausschweifung und Lasterhaftigkeit. Soviel ich weiß, ließ er seine Familie bis auf ein kleines jährliches Einkommen völlig mittellos zurück. Ich weiß nicht, wie Olivia es schafft, ihre Familie zu unterhalten.«

Gabriel hatte keine Mühe, die böse Absicht hinter ihren Worten zu erkennen; für ihn war es nur allzu offensichtlich, dass die Witwe des Herzogs ihre Enttäuschung über den Vater an der Tochter ausließ. Er fragte sich nur, warum Olivia Fairfax zu dem Ball gekommen war, wenn die Gastgeberin sie so verachtete? Wie viele potenzielle Ehemänner mochte die Witwe wohl schon mit ihrem Klatsch über Olivias Vater und die finanziellen Angelegenheiten der Familie vertrieben haben?

»Lady Olivia und ihre Tante sind nach der neuesten Mode gekleidet«, bemerkte Gabriel. »Vielleicht täuscht Ihr Euch ja hinsichtlich ihrer finanziellen Mittel.«