In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten - Paul Heyse - E-Book

In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten E-Book

Paul Heyse

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 271

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Paul Heyse

In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten

Paul Heyse

In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962811-64-8

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

In der Geis­ter­stun­de

I. Die schö­ne Abi­gail.

II. Mit­tags­zau­ber.

III. ’s Li­sa­beth­le.

IV. Das Wald­la­chen.

Mar­tin der Stre­ber

Das Haus »Zum un­gläu­bi­gen Tho­mas«

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

99 Welt-Klas­si­ker

Der Tee der drei al­ten Da­men

Arme Leu­te und Der Dop­pel­gän­ger

Der Vam­pir

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der Idi­ot

Jane Eyre

Effi Briest

Ma­da­me Bo­va­ry

Ili­as & Odys­see

Ge­schich­te des Gil Blas von San­til­la­na

und wei­te­re …

Widmung

Mei­ner lie­ben Freun­din Frau Emma Rib­beck zu­ge­eig­net.

In der Geisterstunde

(1892)

I. Die schöne Abigail.

Wir hat­ten nach dem Abendes­sen in ei­nem be­freun­de­ten Hau­se bei Bow­le und Ci­gar­re bis in die spä­te Nacht hin­ein ge­plau­dert, zu­letzt über die Ent­lar­vung ei­nes spi­ri­tis­ti­schen Gauk­lers, die ge­ra­de vor we­ni­gen Ta­gen ge­lun­gen war und bei Gläu­bi­gen und Spöt­tern großen Lärm ge­macht hat­te. An den Be­richt über den Vor­gang – Ei­ner aus un­se­rem Krei­se war zu­ge­gen ge­we­sen – hat­te sich ein end­lo­ses Ge­spräch über das Für und Wi­der je­ner rät­sel­haf­ten Er­schei­nun­gen ge­knüpft, die auf der hell­dunklen Gren­ze zwi­schen See­len- und Ner­ven­le­ben ste­hen und selbst von der hoch­mü­tigs­ten Wis­sen­schaft nicht län­ger mit Schwei­gen und Ach­sel­zu­cken ab­zu­fer­ti­gen sind. In das leb­haf­te Ge­wir­re der wi­der­strei­ten­den Mei­nun­gen hin­ein er­klang plötz­lich der tie­fe Ton der al­ten Stand­uhr, die Mit­ter­nachts­stun­de an­kün­di­gend. Als der letz­te der zwölf har­ten, lang­sa­men Schlä­ge ver­hallt war und eine klei­ne Stil­le ent­stand, hör­ten wir aus dem So­fa­win­kel her­aus die hel­le Stim­me der jun­gen Schwes­ter der Haus­frau, die in ih­rer drol­lig tro­ckenen Ton­art aus­rief: So! die Geis­ter­stun­de wäre nun glück­lich an­ge­bro­chen. Ich er­lau­be mir den Vor­schlag zu ma­chen, dass jetzt die De­bat­te über Sug­ge­s­ti­on, Te­le­pa­thie, Au­to­hyp­no­se, und wie der kon­fu­se Spuk sonst noch hei­ßen mag, ge­schlos­sen wird und wir uns end­lich mit et­was So­li­de­rem be­schäf­ti­gen, ich mei­ne, mit ech­ten und rech­ten Ge­s­pens­ter­ge­schich­ten, wie sie zur Geis­ter­stun­de pas­sen. Ich glau­be zwar an die tan­zen­den Non­nen in »Ro­bert der Teu­fel« so we­nig wie an den flie­gen­den Hol­län­der, trotz­dem aber kann ich mich ei­nes an­ge­neh­men Gru­selns nicht er­weh­ren, wenn sie gut ge­spielt und ge­sun­gen wer­den, und nichts hab’ ich lie­ber, als wenn mir – in gu­ter Ge­sell­schaft – die Haut ein bi­schen schau­dert und das Haar zu Ber­ge steht. Gera­de dass man weiß, es ist Al­les Un­sinn, und doch hat es die­sen wun­der­li­chen Ef­fect, ist das Hüb­sche dar­an, wie man es ja auch bei al­lem Poe­ti­schen er­fährt, das uns mit fort­reißt, ob­wohl wir wis­sen, es ist ein Spuk der Fan­ta­sie. Ver­zei­hen Sie, Herr Dok­tor, wand­te sie sich lä­chelnd zu mir, ich schwat­ze da sehr un­be­schei­den über Din­ge, die Sie bes­ser ver­ste­hen. Aber warum sind Sie Alle, nach­dem die Uhr Zwölf ge­schla­gen, so wie auf Verab­re­dung ver­stummt? Der Ers­te, der den Mund öff­net, wenn ein En­gel durchs Zim­mer ge­flo­gen ist, sagt be­kannt­lich im­mer et­was Dum­mes.

Alle sie­ben Wei­sen könn­ten nichts Klü­ge­res über die Wir­kung der Poe­sie sa­gen, als was Sie eben ge­äu­ßert ha­ben, lie­bes Fräu­lein, er­wi­der­te ich, mich ge­gen sie ver­nei­gend. Ich freue mich, eine so tap­fe­re Idea­lis­tin in Ih­nen zu be­grü­ßen, wel­cher Schil­ler, wenn er sie hät­te re­den hö­ren, sei­ne Hochach­tung be­zeu­gen wür­de als ei­ner wer­ten Ge­sin­nungs­ge­nos­sin. Denn in der Tat mein­te er ja auch: was sich nie und nir­gend hat be­ge­ben, das al­lein ver­al­tet nie. Aber las­sen wir die­se äs­the­ti­schen Prin­zi­pi­en­fra­gen und kom­men zu un­se­rer mit­ter­näch­ti­gen Ta­ges­ord­nung. Sie wol­len Spuk­ge­schich­ten hö­ren? Wenn nun aber Nie­mand von uns eine recht aus­bün­di­ge, die nicht gar zu kin­disch und köhler­gläu­big wäre, in Be­reit­schaft hat?

Nein, sag­te das klu­ge Mäd­chen la­chend, das ver­steht sich, es darf nicht etwa auf einen blo­ßen Ba­de­man­tel hin­aus­lau­fen, der, zum Trock­nen auf­ge­hängt, vom Win­de hin und her ge­weht wird und sich für ein Ge­s­penst aus­gibt, wie ich selbst als klei­nes Mäd­chen ein­mal er­lebt habe. Es muss Et­was sein, was ei­nem ver­nünf­ti­gen Men­schen, und der kein Ha­sen­fuß ist, was auf­zu­ra­ten gibt, und wo­für auch nicht gleich eine pro­sa­i­sche Auf­klä­rung bei der Hand ist. Wie wär’s, wenn wir Um­fra­ge hiel­ten, und wer nichts der­art aus ei­ge­ner Er­fah­rung oder nach glaub­wür­di­ger Mit­tei­lung zu er­zäh­len wüss­te, müss­te ein Pfand ge­ben?

Dann rücke du selbst nur gleich mit dei­nem Pfand her­aus, sag­te ihre Schwes­ter lä­chelnd, denn schwer­lich sind dir au­ßer je­nem Ba­de­man­tel über­ir­di­sche Ge­sich­te zu Teil ge­wor­den.

Wer weiß! ver­setz­te die Mut­wil­li­ge und be­müh­te sich, eine ge­heim­nis­vol­le Mie­ne zu ma­chen. Aber ich kom­me zu­letzt. Der Dok­tor hat jetzt das Wort. Wir bit­ten um ein recht hüb­sches Ge­s­penst, Herr Dok­tor, Wahr­heit oder Dich­tung, in Pro­sa oder in Ver­sen ist uns gleich, nur dass es uns recht eis­kalt da­bei über den Rücken läuft und zu glei­cher Zeit eine sanf­te äthe­ri­sche Hand uns das Ge­sicht strei­chelt.

Da­mit kann ich nun frei­lich nicht die­nen, ver­setz­te ich, wenn ich nicht et­was zu­sam­men­fa­beln will, was ich doch aus dem Steg­reif nicht wa­gen wür­de. Das Höchs­te in die­ser Art hat schon ein Hö­he­rer ge­leis­tet, der Dich­ter der Braut von Ko­rinth. Mir selbst ist nur ein un­schein­ba­res Er­leb­nis in der Erin­ne­rung, das für eine ge­heim­nis­vol­le Wir­kung in die Fer­ne, die längst durch tau­send Tat­sa­chen be­stä­tigt ist, ein neu­es Zeug­nis ab­legt. Ich war als ein jun­ger Mensch von drei­und­zwan­zig Jah­ren in Rom und hat­te in Ber­lin die bei­den Men­schen zu­rück­ge­las­sen, de­nen von all mei­nen Nächs­ten ich am meis­ten fehl­te: mei­ne Mut­ter und mei­ne Braut. Im frü­hen Früh­ling des Jah­res 1853 nun, an ei­nem dunklen, stür­mi­schen Abend, sitzt mei­ne Liebs­te ru­hig mit ei­ner Hand­ar­beit bei ih­ren Ge­schwis­tern, als sie hef­tig un­ten an der Haus­tür klin­geln hört und mit dem Rufe: das ist Paul! hin­aus- und die Trep­pe hin­un­tereilt, um selbst das schon ver­schlos­se­ne Hau­stor zu öff­nen. Nie­mand stand drau­ßen an der Schwel­le, und sie muss­te sich, da sie zu­rück­kam, von den Brü­dern mit ih­rer »bräut­li­chen Fan­ta­sie« ne­cken las­sen. Am an­de­ren Mor­gen be­sucht sie mei­ne Mut­ter, die kommt ihr mit den Wor­ten ent­ge­gen: Den­ke nur, was mir ges­tern Abend be­geg­net ist! – und er­zählt ge­nau den­sel­ben Her­gang, wie sie plötz­lich die Haus­glo­cke ge­hört habe, mit dem leb­haf­ten Ton, den ich an­zu­schla­gen pfleg­te, zu mei­nem Va­ter hin­ein­ge­eilt sei und eben­falls aus­ge­ru­fen habe, das müs­se ich sein, der un­ten ste­he, wor­auf sich auch hier das Gan­ze als eine Sin­ne­stäu­schung er­wie­sen habe. Oder doch als et­was An­de­res? Denn acht Tage spä­ter kam ein Brief aus Rom mit der Nach­richt, dass ich an ei­nem Mala­ri­a­fie­ber be­denk­lich krank ge­le­gen, und ge­ra­de an je­nem Abend die Ge­fahr auf ihre Höhe ge­stie­gen sei.

Wie­der ward eine klei­ne Stil­le in der Run­de. Dann sag­te das Fräu­lein ru­hig: Eine nach­denk­li­che Ge­schich­te, von der ich je­des Wort glau­be. Denn von den Wir­kun­gen der See­len auf ein­an­der ohne die Ver­mitt­lung sinn­li­cher Zwi­schen­trä­ger ha­ben wir ja heu­te Abend schon ge­nug un­wi­der­sprech­li­che Be­wei­se ge­hört. Und so sol­len Sie ohne Pfand sich ge­löst ha­ben, ob­wohl es kei­ne ei­gent­li­che Ge­s­pens­ter­ge­schich­te ist, kei­ne sol­che, die un­glaub­lich ist und uns doch gru­seln macht. Jetzt ist die Rei­he an dem Herrn Obers­ten. Ich fürch­te nur, der wird uns auch im Stich las­sen. Denn so viel ich weiß, ha­ben die Ge­s­pens­ter einen hei­li­gen Re­spekt vor Leu­ten, die Waf­fen tra­gen und schon aus Be­ruf Cou­ra­ge ha­ben müs­sen.

Sie wand­te sich mit die­sen Wor­ten an mei­nen Nach­bar, der sich wäh­rend der letz­ten Stun­de, so lan­ge das Ge­spräch sich um die Ge­heim­nis­se des Zwi­schen­reichs ge­dreht, auf­fal­lend schweig­sam ver­hal­ten hat­te. Ein statt­li­cher Mann, zu An­fang der Fünf­zi­ger, Haar und Bart vor­zei­tig er­graut; die wet­ter­brau­ne Far­be des Ge­sichts stach mit ei­nem ge­wis­sen ko­lo­ris­ti­schen Reiz da­ge­gen ab, und nur ein lei­ses Zu­cken, das dann und wann den fes­ten Mund um­zog, ver­riet ein ge­hei­mes Lei­den. In der Tat hat­te der treff­li­che Mann, der mit Leib und See­le Sol­dat war und im Krie­ge von 70 und 71 mit Aus­zeich­nung ge­dient hat­te, we­gen tief ein­ge­nis­te­ter rheu­ma­ti­scher Be­schwer­den in Fol­ge sei­ner Feld­stra­pa­zen vor zwei Jah­ren den Ab­schied neh­men müs­sen, mit Obers­ten­rang und al­len sons­ti­gen Ehren, die ihn je­doch über sei­ne ge­zwun­ge­ne Un­tä­tig­keit so we­nig zu trös­ten ver­moch­ten, wie die kriegs­ge­schicht­li­chen Stu­di­en, mit de­nen er sei­ne Muße aus­füll­te.

Wir Alle schätz­ten ihn sehr und freu­ten uns, dass er in un­serm Krei­se sei­ner schwer­mü­ti­gen Stim­mung Herr zu wer­den im Stan­de war und bei den wit­zi­gen Tor­hei­ten, auf wel­che die Schwes­ter der Haus­frau zu­wei­len ver­fiel, das dank­bars­te Pub­li­kum ab­gab.

De­sto be­stürz­ter sa­hen wir nun, wie er auf die letz­ten Wor­te des Fräu­leins erb­lass­te, den Blick zu Bo­den kehr­te und eine Wei­le un­schlüs­sig schi­en, was er er­wi­dern soll­te.

Es war of­fen­bar, dass ir­gend eine wun­de Stel­le in sei­nem In­nern be­rührt wor­den war, und dass er nach sei­ner an­ge­bo­re­nen Tap­fer­keit sich be­müh­te, den Schmerz zu ver­win­den und nichts da­von zu Tage kom­men zu las­sen.

Eben woll­te das be­trof­fe­ne Mäd­chen, das bei all sei­nem Über­mut einen fei­nen Her­zen­stakt be­saß, die un­lieb­sa­me Übe­rei­lung wie­der gut ma­chen und un­ter ei­nem scherz­haf­ten Vor­wan­de den Oberst von der Pfän­der­pflicht frei­spre­chen, als die­ser die Au­gen mit ru­hi­gem Ent­schluss wie­der auf­hob und sag­te:

Ich hät­te al­ler­dings et­was zu er­zäh­len, was den An­for­de­run­gen, die Sie an eine rich­ti­ge Spuk­ge­schich­te stel­len, hin­läng­lich ent­spre­chen möch­te. Ich müss­te aber, um ver­ständ­lich zu ma­chen, warum dies Er­leb­nis mir so nahe ging, ziem­lich weit in mei­ne Ver­gan­gen­heit zu­rück­grei­fen und al­ler­lei Her­zens­aben­teu­er be­rüh­ren, die Ih­nen nicht sehr in­ter­essant sein kön­nen. Zu­dem ist die Po­li­zei­stun­de längst über­schrit­ten –

Das Fräu­lein ließ ihn nicht aus­re­den. Ich bin nicht die Haus­frau, sag­te sie mit ei­nem lieb­li­chen Er­rö­ten, und habe wohl über­haupt schon zu dreist das Wort ge­führt. Aber wie ich mei­ne Schwes­ter ken­ne – von dem lie­ben Schwa­ger gar nicht zu re­den – so ist es ihr nie zu spät, eine merk­wür­di­ge Ge­schich­te er­zäh­len zu hö­ren, zu­mal wenn es sich um Her­zens­aben­teu­er ei­nes so ver­ehr­ten Haus­freun­des han­delt. Über­dies ist die Bow­le noch nicht zur Hälf­te aus­ge­trun­ken, was mich, die ich sie ge­braut habe, krän­ken muss. Las­sen Sie mich also Ihr Glas wie­der fül­len, dann will ich mäus­chen­still sein und recht mit Won­ne mich grau­len.

Sie merk­te, dass sie doch nicht den rech­ten Ton ge­fun­den hat­te, denn auf sei­nem Ge­sicht er­schi­en kein Lä­cheln, wie sonst bei ih­rem schalk­haf­ten Ge­plau­der. Auch wir An­dern ge­rie­ten in eine et­was be­klom­me­ne Stim­mung, da wir den Freund jetzt auf­ste­hen und ein paar Mal das Zim­mer durch­schrei­ten sa­hen. Er stand end­lich an dem längst er­lo­sche­nen Ofen still, lehn­te sich mit dem Rücken dar­an und be­gann sei­ne Ge­schich­te.

Was ich Ih­nen er­zäh­len will, liegt schon eine ziem­li­che Stre­cke Zeit hin­ter mir, über zehn Jah­re. Doch bei der lei­ses­ten Erin­ne­rung dar­an steht Al­les wie­der so leib­haft vor mir, als hät­te sich’s ges­tern zu­ge­tra­gen, und ich habe ganz die­sel­ben Schau­er von Glut und Frost in mei­nem Blu­te zu über­ste­hen, wie in je­ner wun­der­sa­men Nacht.

Ich schi­cke dies vor­aus, da­mit Sie mich nicht im Ver­dacht ha­ben, Ih­nen einen lee­ren Traum vor­zu­tra­gen. Träu­me pfle­gen zu ver­schäu­men. Was ich da­mals er­leb­te – doch ich will ohne wei­te­re Vor­re­de zur Sa­che kom­men.

Es war also im Jah­re 1880, im Hoch­som­mer. Ich hat­te mir vier Wo­chen Ur­laub aus­ge­wirkt, da mein rheu­ma­ti­sches Lei­den eben da­mals an­fing, mich un­er­träg­lich zu pei­ni­gen. Das Wild­bad aber, auf das ich mei­ne Hoff­nung ge­setzt hat­te, tat Wun­der. Nach drei Wo­chen fühl­te ich mich wie neu ge­schaf­fen, und da die Hit­ze in je­nen Tal­grün­den mir im Üb­ri­gen nicht wohl­tat, sprach der Ba­de­arzt mich nach den üb­li­chen ein­und­zwan­zig Bä­dern frei und riet mir, den Rest mei­ner Fe­ri­en in ei­ner küh­le­ren Ge­gend zu­zu­brin­gen, mit al­ler Vor­sicht frei­lich, um nicht wie­der einen Rück­fall her­auf­zu­be­schwö­ren.

Nun hat­te ich in B. einen Ju­gend­freund, mit dem ich seit dem Frie­den nicht wie­der zu­sam­men­ge­kom­men war. Nach dem Krie­ge, den er als Re­gi­ments­arzt ge­ra­de in mei­ner Kom­pa­nie mit­ge­macht, hat­te er in die­ser sei­ner Va­ter­stadt die Lei­tung des Kran­ken­hau­ses über­nom­men, sich ver­hei­ra­tet und nur durch die Zu­sen­dung der Ge­burts­an­zei­gen sei­ner fünf oder sechs Kin­der die Fä­den un­se­rer al­ten Freund­schaft fort­ge­spon­nen.

Um so wohl­tu­en­der war mir’s, da ich ihn jetzt un­vor­be­rei­tet über­fiel, den gu­ten Ka­me­ra­den ganz so herz­lich ge­sinnt wie­der­zu­fin­den wie da­mals, als ich von ihm Ab­schied nahm, um nach mei­nem Wund­bet­te in Mainz eva­ku­iert zu wer­den. Ich muss­te zu Ti­sche bei ihm blei­ben – die ein­zi­ge Zeit des Ta­ges, neck­te ihn sei­ne lie­bens­wür­di­ge Frau, wo er nicht dem Ers­ten Bes­ten mehr ge­hör­te als sei­nem ei­ge­nen Fleisch und Blut –, und da ihn in den nächs­ten Stun­den sei­ne Stadt­pra­xis wie­der in An­spruch nahm, ver­ab­re­de­ten wir, dass ich ihn Abends nach dem Thea­ter in ei­nem Wein­hau­se, das er mir be­zeich­ne­te, er­war­ten soll­te.

Mein ein­sa­mer Nach­mit­tag ver­ging rasch ge­nug. Ich kann­te zwar, au­ßer mei­nem Kriegs­ka­me­ra­den, kei­ne le­ben­de See­le in der schö­nen al­ten Stadt, die ich als Fähn­rich vor lan­gen Jah­ren ein­mal flüch­tig durch­wan­dert hat­te. Aber es gab an al­len Ecken und En­den so viel Merk­wür­di­ges zu schau­en, so Man­ches reiz­te mich, ein paar Stri­che in mei­nem Skiz­zen­buch zu ma­chen, und das Wet­ter war so lieb­lich durch ein Mor­gen­ge­wit­ter ge­kühlt wor­den, dass ich das Thea­ter – eine sehr frag­wür­di­ge Som­mer­büh­ne – fah­ren ließ und die Zeit bis zu un­serm Stell­dich­ein lie­ber mit ei­nem Spa­zier­gang in der stil­len Abend­luft die baum­rei­chen Flus­sufer ent­lang aus­füll­te.

Ich hat­te mich da­bei so in mei­ne Ge­dan­ken ein­ge­spon­nen, dass ich erst an den Rück­weg dach­te, als es völ­lig Nacht ge­wor­den war. Eine Nacht frei­lich, in der sich’s so an­mu­tig lust­wan­del­te wie am Tage: denn der Mond ging fast schon mit sei­nem vol­len Schein über den Er­len­wip­feln auf und er­hell­te die Ge­gend der­ge­stalt, dass man an den fla­chen Ufer­stel­len die Kie­sel durch die Wel­len wie klei­ne Sil­ber­ku­geln schim­mern se­hen konn­te.

So auch er­schi­en die Stadt von ei­nem sil­ber­nen Duft um­wo­ben, wie aus ei­nem Mär­chen vor mich hin­ge­pflanzt, als ich mich ihr wie­der nä­her­te. Es schlug schon Neun von der al­ten Dom­kir­che, ich war müde und durs­tig von mei­nem lan­gen Streif­zu­ge und hat­te mir die Rast in dem Wein­hau­se, zu dem ein ge­fäl­li­ger Bür­gers­mann mich hin­wies, wohl ver­dient. Da ich mei­nen Freund noch nicht vor­fand, ließ ich mir et­was zu es­sen ge­ben und einen Schop­pen leich­ten Weins, mit dem ich den ers­ten Heiß­durst lösch­te. Noch im­mer ließ der Dok­tor auf sich war­ten. Er muss­te nun aber je­den Au­gen­blick kom­men, und so be­stell­te ich im Voraus einen feu­ri­gen Rau­entha­ler, von dem er mir bei Ti­sche ge­spro­chen hat­te, um ihm gleich in die­sem ed­len Trop­fen Will­kom­men zu­zu­trin­ken, so­bald er ein­trä­te. Es war wirk­lich ein »Trank voll sü­ßer Labe«, wür­dig, die Blu­me al­ter Freund­schaft da­mit zu be­gie­ßen. Doch ver­fehl­te er sei­nen Zweck. Statt mei­nes gu­ten Ka­me­ra­den er­schi­en, so ge­gen Zehn, ein Bote mit ei­ner Kar­te, auf der der Freund sein Aus­blei­ben zu ent­schul­di­gen bat; er sei über Land ge­ru­fen wor­den zu ei­nem schwe­ren Pa­ti­en­ten und kön­ne nicht ab­se­hen, ob er in die­ser Nacht über­haupt zu­rück­keh­ren wür­de.

So war ich auf mich selbst an­ge­wie­sen und auf den Wein, der mich lei­der nicht hei­ter zu stim­men pfleg­te, wenn ich ihn nicht in freund­li­cher Ge­sell­schaft trank. Seit ich mei­ne Frau ver­lo­ren habe, da­mals ging es ins drit­te Jahr, über­fiel mich bei der ein­sa­men Fla­sche re­gel­mä­ßig eine tie­fe Me­lan­cho­lie, die ge­flis­sent­lich zu näh­ren ich nicht mehr jung und sen­ti­men­tal ge­nug war. Um ihr auch dies­mal nicht zu ver­fal­len, griff ich nach den Zei­tun­gen, die mir fast alle zu Ge­bo­te stan­den, da die we­ni­gen Stamm­gäs­te an ih­ren ab­ge­son­der­ten Ti­schen sich eif­rig ih­rer Scat- oder Schach­par­tie hin­ga­ben.

Was mir zu­nächst – auf der letz­ten Sei­te des Lo­kal­blat­tes – ins Auge fiel, war die Lis­te der städ­ti­schen Se­hens­wür­dig­kei­ten. Da ich den gan­zen mor­gi­gen Tag noch zu blei­ben ge­dach­te, war mir die­ser Weg­wei­ser ganz er­wünscht, und ich no­tier­te mir Ei­ni­ges, was mei­ne Neu­gier­de reiz­te, in mein Ta­schen­buch. Da fiel mein Blick auf eine An­zei­ge, die mei­ne Ge­dan­ken plötz­lich in eine weit ent­le­ge­ne Zeit zu­rück­lenk­te: »Je­den Mon­tag und Don­ners­tag ist die Wind­ham’­sche Ge­mäl­des­amm­lung im Erd­ge­schoss des Rat­hau­ses un­ent­gelt­lich ge­öff­net.«

Wind­ham! Nein, ich irr­te mich nicht; das war der Name ge­we­sen. Ein Wind­ham hat­te im letz­ten Ka­pi­tel mei­nes Ju­gen­dro­mans die Haup­trol­le ge­spielt. Nun däm­mer­te es auch in mir auf, dass ich spä­ter ein­mal ge­hört hat­te, die­ser Wind­ham habe sich mit sei­ner jun­gen Frau hier in B. nie­der­ge­las­sen. Seit­dem war er mir ver­schol­len ge­blie­ben. Und nun hier so un­ver­hofft an ihn er­in­nert zu wer­den! –

Aber Sie kön­nen ja nicht ver­ste­hen, was mich an der un­schein­ba­ren Zei­tungs­no­tiz so selt­sam auf­reg­te. Ich muss nun doch noch wei­ter aus­ho­len.

Sie wis­sen, dass ich als Spröss­ling ei­ner un­ter­frän­ki­schen Sol­da­ten­fa­mi­lie im Ka­det­ten­hau­se zu Mün­chen er­zo­gen wor­den bin und es in dem Jah­re vor Aus­bruch des fran­zö­si­schen Krie­ges zum Ober­leut­nant ge­bracht hat­te. Ich war neun­und­zwan­zig Jah­re alt und hat­te au­ßer mei­nem Be­ruf, dem ich mit Leib und See­le an­hing, nicht viel er­lebt. Eine sehr idea­le Fähn­richs­lie­be, die ein al­ber­nes Ende nahm, hat­te mich vor den man­cher­lei Ver­ir­run­gen mei­ner Al­ters­ge­nos­sen be­wahrt, mir aber das weib­li­che Ge­schlecht nicht im bes­ten Lich­te ge­zeigt. Doch po­sier­te ich nicht als Wei­ber­feind, und da ich ein lei­den­schaft­li­cher Tän­zer war, selbst noch auf der Kriegs­aka­de­mie, mach­te ich auch den Kar­ne­val des Jah­res 70 als ei­ner der Flot­tes­ten mit, ohne mir die Flü­gel zu ver­bren­nen.

Bis auch mei­ne Stun­de ge­schla­gen hat­te.

Auf ei­nem der öf­fent­li­chen Bäl­le er­schi­en so um die Mit­te des Fe­bru­ar eine auf­fal­len­de jun­ge Schön­heit, die alle bis­he­ri­gen Ball­kö­ni­gin­nen ver­dun­kel­te.

Sie war erst vor Kur­zem mit ih­rer Mut­ter, da der Va­ter vor Jahr und Tag ge­stor­ben war, aus Ös­ter­reich her­über­ge­kom­men, um, nach­dem sie die Trau­er ab­ge­legt hat­te, noch et­was Win­ter­freu­den zu ge­nie­ßen. Ihre Ge­stalt, ihr Be­neh­men, ihre Art sich aus­zu­drücken, all das hat­te einen fremd­ar­ti­gen Reiz, der schon aus der selt­sa­men Mi­schung ih­res Blu­tes zu er­klä­ren war. Denn ihre Mut­ter, eine hoch­ge­wach­se­ne, röt­lich blon­de Schot­tin von stren­ger, pu­ri­ta­ni­scher Hal­tung und lang­sam un­ge­len­ken Ge­bär­den, hat­te einen stei­ri­schen Edel­mann ge­hei­ra­tet, der sich auf ei­ner Rei­se durch ihr hei­mat­li­ches Hoch­land in das jun­ge Mäd­chen ver­liebt hat­te. Sie war ihm nach sei­nem Gut ge­folgt, hat­te sich aber dort nicht zu ak­kli­ma­ti­sie­ren ver­stan­den. Trotz­dem schi­en sie in ei­ner glück­li­chen Ehe mit dem leicht­blü­ti­gen ka­tho­li­schen Gat­ten ge­lebt zu ha­ben und sei­nen Tod noch im­mer nicht ver­win­den zu kön­nen, als sie mit ih­rer Toch­ter auf Rei­sen ging.

Die­se, da­mals schon in den ers­ten Zwan­zig, hat­te von der Welt bis­her nichts ge­se­hen, als was auf zehn Mei­len in der Nach­bar­schaft ih­res Land­sit­zes sich ihr dar­ge­bo­ten hat­te. Der Va­ter, der im Punkt der ehe­li­chen Treue viel­leicht nicht der Ge­wis­sen­haf­tes­te ge­we­sen war und all­jähr­lich vie­le Mo­na­te in Wien zu­brach­te, hat­te sei­ne Frau den Ver­su­chun­gen der großen Stadt sorg­fäl­tig fern­zu­hal­ten ge­wusst und die Toch­ter vollends vor al­lem Ver­kehr mit jun­gen Män­nern be­hü­tet. Bei­de hät­ten es wahr­lich nicht be­durft, da ihr küh­les Tem­pe­ra­ment sie hin­läng­lich schütz­te. Denn hier­in war A­bi­gail – so war das Fräu­lein nach ei­nem ur­al­ten Brauch der müt­ter­li­chen Fa­mi­lie ge­tauft wor­den – das ech­te Kind ih­rer Mut­ter, der sie äu­ßer­lich durch­aus nicht ähn­lich sah, nicht ein­mal durch die Far­be des Haars, die bei der Toch­ter durch­aus kei­nen röt­li­chen Schim­mer hat­te.

Ich will aber nicht den tö­rich­ten Ver­such ma­chen, Ih­nen die­se rei­zen­de jun­ge Per­son zu be­schrei­ben. Nur Zwei­er­lei fiel mir gleich bei dem ers­ten Be­geg­nen auf und ver­folg­te mich bis in mei­ne Träu­me: der selt­sam glanz­lo­se Blick ih­rer großen grau­en Au­gen, die im­mer ernst blie­ben, auch wenn der Mund lä­chel­te, und dass sie die schöns­ten Arme hat­te, die ich je ge­se­hen. Sie trug sie ge­gen die da­ma­li­ge Sit­te ganz ent­blö­ßt, an den Ach­seln nur durch einen schma­len Flor­strei­fen von den herr­li­chen Schul­tern ab­ge­trennt, was die Da­men, zu­mal die Müt­ter, skan­da­lös fan­den, ob­wohl die Wie­ner Mode die­se Tracht sank­tio­nier­te und das Fräu­lein im Üb­ri­gen sich in Wor­ten und Ge­bär­den aufs Züch­tigs­te be­trug. Aber die Arme wa­ren zu schön, um nicht Auf­se­hen zu ma­chen und so viel Neid wie Be­wun­de­rung zu er­re­gen. Eine Far­be wie et­was ver­gilb­ter wei­ßer At­las, mit ei­nem mat­ten Glanz, und in der Bie­gung des El­len­bo­gens eine zar­te blaue Ader. Selbst die klei­nen, hel­len Nar­ben am lin­ken Obe­r­arm, die von der Na­del des Impf­arz­tes her­rühr­ten, hat­ten einen ei­ge­nen Reiz, als wä­ren sie mit ab­sicht­li­cher Ko­ket­te­rie der glat­ten Haut ein­ge­ätzt wor­den, um de­ren edle Fein­heit de­sto mehr be­merk­lich zu ma­chen.

Und so die Hän­de, als sie beim Sou­per die Hand­schu­he ab­streif­te, der schöns­te Fuß im weiß­sei­de­nen Schuh, ein Eben­maß und eine Schmieg­sam­keit der Glie­der, die sie dem ös­ter­rei­chi­schen blau­en Blut, nicht der schot­ti­schen Hoch­land­ras­se ver­dank­te.

Ich war, so wie ich den ers­ten Blick auf das herr­li­che Ge­schöpf ge­wor­fen hat­te, un­ter dem Zau­ber die­ser frem­den, küh­len Au­gen. So un­be­fan­gen ich sonst selbst den rei­zends­ten Frau­en ge­gen­über­trat, das Herz schlug mir hef­tig, und mei­ne Rede ver­wirr­te sich, als ich ihr vor­ge­stellt wur­de und sie um einen Tanz bat.

Auch fand ich mei­ne Be­sin­nung nicht so bald wie­der, wäh­rend ich mit ihr durch den wei­ten Saal mich um­schwang, und war wü­tend auf mich selbst, dass ich eine so un­be­hol­fe­ne Fi­gur mach­te. Be­stän­dig muss­te ich den­ken: Sie ist kein Weib wie alle an­de­ren. Eine Göt­tin! Kein Wun­der, dass ihre Bli­cke so kühl auf das arm­se­li­ge Men­schen­ge­wühl her­ab­sin­ken. Ist es zu den­ken, dass man einen sol­chen Mund küs­sen dürf­te? Und der Sterb­li­che, um des­sen Hals sich die­se Arme schlän­gen, müss­ten dem nicht die Sin­ne ver­ge­hen und er in die­sem über­mensch­li­chen Glück zu ei­nem Aschen­häuf­chen ver­lo­dern?

Sie se­hen, es war eine rich­ti­ge Be­zau­be­rung. Was man vom Blitz und Schlag ei­ner plötz­li­chen Ver­lie­bung re­det, hat­te ich an mir er­le­ben sol­len.

Ich ge­wann aber bald so viel Herr­schaft über mich, dass ich mich mit gu­ter Ma­nier in mein Schick­sal er­ge­ben und an die­sem ers­ten Abend die Rol­le ei­nes rit­ter­li­chen Ver­eh­rers spie­len konn­te, ohne mich zu so über­schwäng­li­chen Hul­di­gun­gen fort­rei­ßen zu las­sen, wie die Meis­ten mei­ner Ka­me­ra­den. Das kam mir mehr zu Stat­ten, als wenn ich an Schön­heit und Lie­bens­wür­dig­keit Alle über­glänzt hät­te. Denn das selt­sa­me Mäd­chen, ob­wohl dies ihr ers­ter Ball­win­ter war, nahm doch alle Aus­zeich­nun­gen, die ihr zu Teil wur­den, zu­mal die sü­ßen Re­den ih­rer Tän­zer, mit so küh­ler Mie­ne ent­ge­gen, als ob es ihr beim Tanz ein­zig und al­lein auf die Be­we­gung an­käme und die eit­len jun­gen Her­ren, so schön ge­putzt und fri­siert sie wa­ren, ihr nur als Mit­tel zu die­sem Zweck will­kom­men wä­ren.

Das ge­stand sie mir denn auch ganz harm­los, als wir beim Sou­per mit ein­an­der plau­der­ten, und dass es ihr eher läs­tig und lang­wei­lig sei, we­gen ih­rer Schön­heit be­stän­dig be­gafft und um­schmei­chelt zu wer­den. Kei­ne Spur von Ko­ket­te­rie konn­te ich an ihr be­mer­ken, doch einen Hang zur Iro­nie und Men­schen­ver­ach­tung, der in ei­nem min­der rei­zen­den We­sen sehr ab­sto­ßend ge­wirkt hät­te, an Fräu­lein Abi­gail aber nur wie ein selt­sa­mes Schmuck­stück, etwa ein blan­ker Sta­chel­gür­tel um den schmieg­sa­men Leib, sich aus­nahm.

Da ich ihr nicht ein ein­zi­ges schmei­cheln­des Wort sag­te, wur­den wir gleich an die­sem ers­ten Abend sehr gute Freun­de, und ich er­hielt so­gar von der Mut­ter die Er­laub­nis, sie in ih­rem Hau­se auf­zu­su­chen.

Ich mach­te, wie Sie den­ken kön­nen, gleich am an­de­ren Tage da­von Ge­brauch. Ich muss­te doch fra­gen, wie der Ball ih­nen be­kom­men sei, und fand die Da­men in ei­ner mö­blier­ten Woh­nung so be­hag­lich ein­ge­rich­tet, dass mir klar wur­de, sie leb­ten in den be­quems­ten Ver­hält­nis­sen. Gleich­wohl mach­te die Mut­ter kein Hehl dar­aus, dass sie nur ge­kom­men sei, um für die Toch­ter einen Mann zu fin­den, wozu auf dem ab­ge­le­ge­nen Land­sitz kei­ne Aus­sicht sei. Das Mäd­chen hör­te jede Äu­ße­rung, die in die­sem Sin­ne fiel, mit dem äu­ßers­ten Gleich­mut, wie wenn es sich durch­aus nicht um sie selbst da­bei hand­le, son­dern um eine Lau­ne der Mama, die hof­fent­lich auch wie­der ver­ge­hen wer­de.

Das Zu­trau­en, das sie so rasch zu mir ge­fasst hat­te, ent­zog sie mir auch nicht wie­der, son­dern gab mir im­mer neue Be­wei­se, dass ihr mei­ne Ge­sell­schaft an­ge­nehm sei, mei­ne Art, Welt und Men­schen zu be­trach­ten, ihr die rich­ti­ge schei­ne. Sie er­zähl­te mir ihr gan­zes Le­ben, das frei­lich kei­nem Ro­man ähn­lich sah. Ver­liebt war sie nie ge­we­sen und konn­te sich von dem Zu­stand ei­nes lei­den­schaft­li­chen Her­zens über­haupt kei­ne Vor­stel­lung ma­chen. Ge­liebt hat­te sie nur Ei­nen Men­schen, ih­ren Va­ter. Mit der Mut­ter ver­stand sie sich in kei­ner Sa­che und be­ob­ach­te­te alle kind­li­chen Pf­lich­ten fast me­cha­nisch, ohne das Ge­rings­te da­bei zu emp­fin­den. Ja, sag­te sie mir ein­mal, es ist viel­leicht so, wie Sie sa­gen, ich habe kein rich­ti­ges Mäd­chen­herz, und doch –

Da­bei drück­te sie die Au­gen ein, lehn­te den schö­nen blon­den Kopf zu­rück, und ihre halb ge­öff­ne­ten Lip­pen hat­ten einen halb schmerz­li­chen, halb wil­den Aus­druck von Dürs­ten und Ver­lan­gen.

Gleich dar­auf lä­chel­te sie und fing eine spöt­ti­sche Rede an über ge­wis­se jun­ge Da­men, die sie ken­nen ge­lernt und die ih­ren Freun­din­nen be­stän­dig Bulle­tins über die Zu­stän­de ih­rer zärt­li­chen Her­zen zu hö­ren ga­ben.

All die­se Ver­trau­lich­kei­ten wa­ren weit ent­fernt, mich ei­tel zu ma­chen und küh­ne Hoff­nun­gen in mir zu we­cken.

Ich ver­brach­te aber fast einen Abend wie den an­dern in der Ge­sell­schaft der bei­den Da­men, teils, so lan­ge der Kar­ne­val dau­er­te, bei öf­fent­li­chen Fes­ten, wo ich nun be­reits für den un­zer­trenn­li­chen Ka­va­lier und be­güns­tig­ten Be­wer­ber galt, teils an ih­rem be­hag­li­chen Tee­tisch als ein­zi­ger Haus­freund männ­li­chen Ge­schlechts. Nur dann und wann fand sich eine äl­te­re Dame, eine ös­ter­rei­chi­sche Be­kann­te der Mut­ter, dazu, und es wur­de ein klei­ner Tarok ge­spielt, bei dem Abi­gail die Zuschaue­rin mach­te. Sie ver­hehl­te ihre Lan­ge­wei­le nicht, wie sie über­haupt mit kei­ner ih­rer Emp­fin­dun­gen je zu­rück­hielt. Und doch blieb ein rät­sel­haf­ter dunk­ler Grund in ih­rem We­sen, der zu­wei­len in un­be­wach­ten Stun­den durch­blick­te und mich je­des Mal mit ei­nem lei­sen, un­heim­li­chen Frös­teln über­schau­er­te.

Ich war im Ver­lauf der Wo­chen und Mo­na­te so of­fen­her­zig ge­gen sie ge­wor­den, dass ich selbst die­ses nicht ge­ra­de schmei­chel­haf­te Ge­fühl dem ver­wöhn­ten Mäd­chen nicht ver­hehl­te.

Sie sah ru­hig und mit un­be­weg­li­chen Au­gen über mich hin­weg.

Ich weiß, was Sie mei­nen, sag­te sie. Es ist Et­was in mir, wo­vor ich mich selbst fürch­te, und kann es doch nicht nä­her be­zeich­nen. Vi­el­leicht die Ah­nung, dass ich nie er­fah­ren wer­de, was Glück ist, frei­lich auch An­de­ren kein Glück zu brin­gen be­stimmt bin, ohne ei­ge­ne Schuld, und dass mein in­ners­tes We­sen sich dann em­pört und auf ir­gend Et­was sinnt, um sich für die­se Zu­rück­set­zung zu rä­chen. Wis­sen Sie, wie ich mir vor­kom­me? Wie ein Eis­zap­fen, der eine Flam­me lus­tig fla­ckern sieht und sich schämt, so starr und kalt zu blei­ben, und nun nä­her her­an­rückt und da­bei nichts wei­ter er­reicht, als dass er lang­sam ab­schmilzt; wenn aber die letz­te ei­si­ge Starr­heit ge­schwun­den ist, wird er selbst nicht mehr vor­han­den sein. Das Gleich­nis hin­kt auf bei­den Fü­ßen, ich weiß es wohl; aber es ist doch Et­was dar­an, und Sie wis­sen viel­leicht auch, was mit der Flam­me ge­meint ist.

Es war das ers­te Mal, dass sie auf mei­ne längst nicht mehr ver­bor­ge­ne Nei­gung an­spiel­te, frei­lich un­barm­her­zig ge­nug, da sie mir jede Hoff­nung ab­schnitt. Wer weiß aber, wo­hin das Ge­spräch noch ge­führt hät­te, wenn die Mut­ter nicht da­zu­ge­kom­men wäre.

Und frei­lich hin­k­te das Gleich­nis. Denn auch die Flam­me brann­te nicht so lus­tig, wie ein recht­schaf­fe­nes Lie­bes­feu­er soll, son­dern hat­te wun­der­li­che An­fäl­le von Küh­le und Ver­su­chun­gen völ­li­gen Er­lö­schens.

So recht ins Lo­dern ge­riet sie nur, wenn ich mit dem wun­der­sa­men Mäd­chen un­ter vier Au­gen war oder im licht­er­hel­len Saal ihre gan­ze Schön­heit an mir vor­über­schweb­te. War sie mei­nen Au­gen ent­rückt, so kam sie mir durch­aus nicht aus dem Sinn, ja ich muss­te nun erst recht an sie den­ken, dann aber stets mit ei­ner rät­sel­haf­ten Ab­nei­gung, ob­wohl ich ihr nichts Be­stimm­tes vor­wer­fen konn­te. War’s eine Sün­de, mich nicht zu lie­ben? oder von der Lie­be über­haupt noch kei­nen Hauch ge­spürt zu ha­ben? Und je­ner dunkle Grund, der ihr selbst un­heim­lich war, konn­te er sich nicht ei­nes Ta­ges als ein ganz un­schul­di­ger Hin­ter­grund er­wei­sen, auf wel­chem al­ler­lei lich­te Freu­den sich de­sto far­bi­ger und rei­zen­der aus­nah­men?

Und den­noch, die Tat­sa­che stand fest: ich wünsch­te, ich hät­te das schö­ne Mäd­chen nie ken­nen ge­lernt, das mich doch im­mer von Neu­em zu sich hin­zwang und, wenn ich in ih­rer Nähe war, mei­ne Sin­ne in einen ma­gi­schen Aufruhr brach­te.

Nur Ein­mal mei­nen Mund auf die­se durs­ti­gen Lip­pen zu drücken, nur Ein­mal von die­sen wei­chen, schlan­ken Ar­men um­fan­gen zu wer­den – ich bil­de­te mir ein, da­mit wür­de der Zau­ber ge­bro­chen und ich mir selbst zu­rück­ge­ge­ben wer­den.

Die Mut­ter sah mich kom­men und ge­hen, ohne sich über mein Ver­hält­nis zu ih­rem Kin­de be­son­de­re Ge­dan­ken zu ma­chen. Dass ich ver­liebt war, fand sie nur in der Ord­nung, aber ganz un­ge­fähr­lich bei der Sin­nes­art des Mäd­chens, die sie nur zu gut kann­te und nicht zu be­kämp­fen such­te, da sie ih­rem bei al­ler äu­ßer­li­chen Fröm­mig­keit welt­lich spe­ku­lie­ren­den Geist sehr er­wünscht war. Sie woll­te hö­her hin­aus mit ih­rer ge­fei­er­ten Toch­ter, als ein schlich­ter Ober­leut­nant es ihr bie­ten konn­te, und hoff­te von mir vor Al­lem, dass ich durch mei­ne Be­kannt­schaf­ten ihr den Ein­tritt in die ari­sto­kra­ti­schen Krei­se er­leich­tern wür­de. Dann wür­de es, kal­ku­lier­te sie, auf die Län­ge an ei­nem gräf­li­chen oder gar mor­ga­na­ti­schen Schwie­ger­sohn nicht feh­len.

Der Som­mer mach­te zu­nächst einen Strich durch die­se Rech­nun­gen, da die »Ge­sell­schaft« sich zer­streu­te und aufs Land hin­aus­zog. Auch mei­ne bei­den Da­men mie­te­ten eine Vil­la in Te­gern­see, zu mei­nem Leid­we­sen, da ich jetzt nur ein­mal alle sie­ben Tage sie be­su­chen konn­te. Die Ent­beh­rung schür­te nun al­ler­dings die Flam­me der­ge­stalt, dass ich von Sams­tag zu Sams­tag in ei­ner fie­ber­haf­ten Un­ge­duld hin­leb­te, zu­gleich in ste­ter Angst, wäh­rend mei­ner lan­gen Ent­fer­nung möch­te sich ir­gend­je­mand an die ein­sa­men Frau­en he­randrän­gen, der den An­sprü­chen der Mama ge­nüg­te und der Toch­ter nicht un­will­kom­me­ner als ir­gend ein An­de­rer wäre.

Die­se Sor­ge war über­flüs­sig. Da­ge­gen ver­fins­ter­te sich plötz­lich die Luft über der gan­zen deut­schen Welt so dro­hend, dass alle Ein­zel­ge­schi­cke da­von über­schat­tet wur­den.

Der fran­zö­si­sche Krieg brach aus. Ich be­grüß­te ihn freu­dig, auch weil er mei­ner ei­ge­nen un­er­träg­li­chen Si­tua­ti­on ein Ende mach­te. Nur mit ge­nau­er Not, in­dem ich einen nächt­li­chen Ritt dar­an setz­te, konn­te ich die Zeit zu ei­nem Ab­schieds­be­such in Te­gern­see er­schwin­gen. Ich fand, am frü­hen Mor­gen, das schmerz­lich ge­lieb­te Mäd­chen im Gar­ten, da sie mein Kom­men nicht er­war­tet hat­te. Sie hat­te ein Bad im See ge­nom­men, und die Mor­gen­luft schau­er­te über ihre blas­se Haut und das blon­de Haar, das ihr wie ein wei­cher Man­tel über den Rücken hin­ab­hing. Als sie hör­te, was mich zu so un­ge­wohn­ter Zeit hin­aus­ge­führt, wech­sel­te sie die Far­be kei­nen Au­gen­blick, nur ihre Au­gen­li­der senk­ten sich, als ob sie einen Vor­hang über das nie­der­las­sen woll­te, was in ihr vor­ging.

Nun, sag­te sie, da wird ja Ihr sehn­lichs­ter Wunsch er­füllt. Non più far­fallon an­drai amo­ro­so – Sie wer­den Wun­der der Tap­fer­keit ver­rich­ten und als ein be­rühm­ter Sie­ger zu­rück­keh­ren. Ich wün­sche Ih­nen das bes­te Glück und wer­de Ih­rer täg­lich ge­den­ken.

Wer­den Sie das wirk­lich? sag­te ich. Und et­was herz­li­cher als je­des an­de­ren Mut­ter­sohns, der sei­ne Brust pro pa­tria den Ku­geln der fran­zö­si­schen Mi­trail­leu­sen aus­setzt?

Wie kön­nen Sie dar­an zwei­feln! sag­te sie und brach eine Blu­me ab, de­ren Duft sie wie­der mit je­nem sehn­süch­ti­gen Aus­druck ein­sog. Sie wis­sen, dass ich Ih­nen sehr gut bin. Habe ich Ih­nen nicht auch mehr Ver­trau­en be­wie­sen, als noch je ir­gend ei­nem jun­gen Mann? Sind Sie da­mit nicht zu­frie­den?

Nein, Abi­gail, sag­te ich, und Sie wis­sen ja auch sehr gut, warum. Und nun schüt­te­te ich mein gan­zes Herz zum ers­ten Mal – da ich dach­te, es sei viel­leicht das letz­te Mal – in lei­den­schaft­li­cher Er­re­gung vor ihr aus. Ich weiß, schloss ich, Sie emp­fin­den gar nichts Ähn­li­ches. Der Blitz, der in mein Herz ein­ge­schla­gen, hat Ih­nen nicht ein ein­zi­ges Haar Ih­rer Stirn­löck­chen ver­sengt. Ich bin auch nicht so ver­blen­det, zu glau­ben, Sie wür­den aus bloßem Mit­leid, um mich nicht ganz hoff­nungs­los ins Feld zie­hen zu las­sen, ein wär­me­res Ge­fühl heu­cheln. Es muss­te mir aber ein­mal von den Lip­pen, zu mei­ner ei­ge­nen Er­leich­te­rung – und nun emp­feh­len Sie mich Ih­rer Frau Mut­ter, de­ren Mor­gen­toi­let­te ich nicht stö­ren will, und be­wah­ren Sie mir ein ge­neig­tes An­den­ken.

Da schlug sie die Au­gen auf und sah mir ge­ra­de ins Ge­sicht, sehr ernst­haft, wäh­rend ihre sonst im­mer gleich­mä­ßig ge­färb­ten Wan­gen eine leich­te Röte über­flog, die sie sehr ver­schön­te.

Nein, sag­te sie, so dür­fen Sie denn doch nicht von mir ge­hen, und Gott weiß, ob man sich je wie­der sieht. Ich will Ih­nen das Ge­ständ­nis mit auf den Weg ge­ben, dass ich fest über­zeugt bin, wä­ren Sie noch ein paar Wo­chen oder Mo­na­te wie bis­her freund­lich und gut ge­gen mich ge­we­sen, so hät­te sich der be­wuss­te Eis­zap­fen in ein frisch grü­nen­des Reis ver­wan­delt und Blü­ten ge­trie­ben – wie­der ein hin­ken­des Bild, aber Sie ver­ste­hen mich. Vi­el­leicht den­ken Sie an die­ses Früh­lings­mär­chen, wenn Sie im kal­ten Bi­wak1 Nachts nicht ein­schla­fen kön­nen, und er­wär­men dar­an Ihr frös­teln­des Herz.

Ich kann nicht schil­dern, wie mir bei die­sen Wor­ten zu Mute war.

Was ich in dem ers­ten Schwin­del und Tau­mel al­ler Ge­füh­le ge­stam­melt habe, mö­gen die Göt­ter wis­sen. Nur so viel ist mir er­in­ner­lich, dass ich un­ter An­derm die Zu­mu­tung an sie stell­te, nun so­fort zur Mut­ter zu ge­hen, sie um ih­ren Se­gen zu bit­ten und da­durch un­ser Ein­ver­ständ­nis zu ei­ner re­gel­rech­ten Ver­lo­bung zu stem­peln.

Wenn Sie mit mei­ner ei­ge­nen Er­klä­rung nicht zu­frie­den sind, sag­te sie kalt­blü­tig, so tut mir’s leid; zu mehr aber fühl’ ich mich für jetzt nicht auf­ge­legt – wahr­haf­tig, auf­ge­leg­t