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Januar 1898 Benedict Hannan hat seinem Zölibat abgeschworen und sich stattdessen auf eine erotische Entdeckungsreise mit seinem geliebten Verbrecher Sebastian Cavell begeben. Außerdem versucht er vergeblich, sich aus den heimtückischen Fängen der abartigen Kabale "Fratres Seminis" zu befreien. Die Kabale verwickelte Benedict auf Geheiß von dessen Ex-Liebhaber Lord Euan Ardmillan in Ihre blasphemischen Pläne. Allerdings ist Lord Ardmillan inzwischen bei dem Anführer der Kabale, Lawrence Blake, in Ungnade gefallen und wird als Verräter betrachtet. Benedicts Liebesbeziehung mit Sebastian wird immer enger, aber seine neue Freundschaft zu Charles Ashe, ebenfalls Gefolgsmann der geheimen Bruderschaft, führt zu einer Entdeckung, die Lawrence Blake ein für allemal das schmutzige Handwerk legen könnte. Sie müssen sehr behutsam vorgehen, denn als der junge, blonde Hedonist Leopold von Liebenstein nach London zurückkehrt, kommt Blake in seinem ruchlosen Vorhaben, mittels schwarzer Magie ins Reich der Toten zu blicken, immer näher. Dieses Buch ist ein Kunstwerk menschlicher Fantasie. Für den Text und die Illustrationen wurde keine künstliche Intelligenz verwendet. Der Diebstahl des Buchinhalts oder des Covers für maschinelles Lernen (KI) ist strengstens untersagt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
PROLOG
Donnerstag, 17. Januar 1898
KAPITEL 1
FLEISCHPASTETCHEN!
KAPITEL 2
DAS GESETZ
KAPITEL 3
BEFRAGUNG
KAPITEL 4
DIE EINLADUNG
KAPITEL 5
SÜHNE
KAPITEL 6
DER KNÜLLER
KAPITEL 7
STILLLEBEN
KAPITAL 8
DIE DINNER PARTY
KAPITEL 9
DESERT
KAPITEL 10
VERFÜHRUNG
KAPITEL 11
GESTOHLENE GÜTER
Montag, 31. Januar 1898
KAPITEL 12
GESELLSCHAFTS-LEBEN
KAPITEL 13
DAS ROTE BUCH
Freitag, 18. Februar 1898
KAPITEL 14
TEMPEL DER MUSEN
Freitag, 25. Februar 1898
KAPITEL 15
DAS SEKRETUM
KAPITEL 16
DER CLUB
KAPITEL 17
MR. MOUNTJOY
Sonntag, 27. Februar 1898
KAPITEL 18
VERGEBUNG
KAPITEL 19
OH, HERAUS DAMIT!
Montag, 7. März 1898
KAPITEL 20
CAFÉ ROYAL
KAPITEL 21
DIE FABELHAFTE IDEE
KAPITEL 22
CLARIDGES
KAPITEL 23
BALLSAISON
KAPITEL 24
DIE REISE
Mittwoch, 6. April 1898
KAPITEL 25
SEABOURN ABBEY
KAPITEL 26
VORSTELLUNGEN
KAPITEL 27
PLÄNE
Donnerstag, 7. April 1898
KAPITEL 28
ST FABIANS
KAPITEL 29
KARFREITAG
Freitag, 8. April 1898
KAPITEL 30
KARFREITAGABEND
KAPITEL 31
DAS ZENTRUM ALLER DINGE
KAPITEL 32
DER OSTERBALL
KAPITEL 33
DER STIER UND DER ZIEGENBOCK
KAPITEL 34
DIE RETTERIN
KAPITEL 35
DIE ABRECHNUNG
EPILOG
Infernalisch
Laster
Resurrectionist #3
Aus dem Englischen übertragen
von
Betti Gefecht
Isobel Starling
www.decentfellowspress.com
Copyright © 2025 Isobel Starling
Aus dem Englischen von Betti Gefecht
Korrektorin: Veronika Kothmayer
ISBN: 9783759270641
Deutsche Erstausgabe
Alle Reche vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Autorin nachgedruckt oder anderweitig verwertet werden. Davon ausgenommen sind Rezensionen: Kurze Passagen können in einer Rezension zitiert werden und als Teil davon auch in Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt werden.
Die Figuren und Ereignisse, die in diesem Buch beschrieben werden, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Dieses Buch ist ein Kunstwerk menschlicher Fantasie. Für den Text und die Illustrationen wurde keine künstliche Intelligenz verwendet.
Der Diebstahl des Buchinhalts oder des Covers für maschinelles Lernen (KI) ist strengstens untersagt.
Infernalish Laster, Copyright © 2025 Isobel Starling
Cover Art by Noah Dao (@noahdeaart)
https://noahdea.portfoliobox.net/
Mr. Troy, mein Kammerdiener, weckte mich um sieben Uhr, indem er heftig an meine Zimmertür klopfte. Er hatte keine Ahnung, dass ich in meinem Geheimzimmer hinter dem Bücherregal in den Armen meines Geliebten schlief, dem berüchtigten Dieb Sebastian Cavell. Nachdem ich mich aus dessen Armen gelöst, meinen Hausmantel übergeworfen und die Tür geöffnet hatte, informierte mich Troy darüber, dass meine Silbersammlung geplündert worden war. Und dass mein Hausgast. Lord Euan Ardmillan auf höchst verdächtige Weise plötzlich abwesend war, machte mich sicher zu wissen, um wen es sich bei dem diebischen Schurken handelte.
Die schonungslose Realität meiner Situation wurde mir nun klar. Ich war ein gottesfürchtiger Mann in der fünften Dekade meines Lebens, und immer noch war ich viel zu gutmütig, denn es war nicht das erste Mal, dass ich von Lord Euan Ardmillan zum Narren gehalten worden war. Und so, nachdem ich die Kunde von dem Raub erhalten hatte, kleidete ich mich eilig an und zog mich sofort in mein Arbeitszimmer zurück, wo ich beschloss herauszufinden, was mein persönlicher Diener von den Geschehnissen in meinem Haus wusste, während ich geschlafen hatte. Ich hatte noch nicht gefrühstückt, und ich war nicht ich selbst, bevor ich nicht wenigstens eine Tasse Tee zu mir genommen hatte, aber das würde warten müssen.
Euan Ardmillan war ein alter Freund aus meinen Universitätstagen, und außerdem mein erster heimlicher Geliebter, der mich in meiner Jugend so schlecht behandelt hatte, dass ich den Weg zu Gott gefunden hatte, was dazu führte, dass ich die nächsten fast dreißig Jahre im Zölibat und in Verleugnung meiner Bedürfnisse lebte. Bei der Versteigerung des Nachlasses seines verstorbenen Vaters in Schottland hatte ich geplant, auf ein besonderes griechisches antikes Artefakt zu bieten, das der verstorbene Lord Ardmillan auf der griechischen Insel Aegina aus dem Tempel der Athene geplündert hatte - den vielgepriesenen Stab des Asklepios. Der antike Phallus war aus Obsidian geschnitten und besaß angeblich magische Kräfte. Er war nach dem griechischen Gott der Medizin und der Heilkunst benannt. Euan hatte versucht, unsere frühere Affäre neu zu entfachen, indem er mich bat, den Stab während eines Sexritual bei ihm anzuwenden, um seinenachlassende Manneskraft zurückzuholen. Dahinter steckte eine teuflische Manipulation. Als ich seinen wahren Plan entdeckte, wies ich ihn ab und schwor, den verdammten Narren nie wieder zu sehen. Allerdings hatte ich einen Engel hinter mir, in Form von Sebastian Cavell. Er stibitzte die Schatulle, die den griechischen Phallus enthielt und machte sie mir zum Geschenk. Und mit dieser freundlichen Geste ergab ich mich meiner Anziehung und öffnete mich Möglichkeiten, von denen ich zuvor nie in Erwägung gezogen hatte, dass sie einem gottesfürchtigem Mann wie mir passieren könnten. Sebastian wollte mich, verehrte mich, und hatte bereits lange vor unserer schicksalshaften Begegnung im kaledonischen Nachtzug nach Schottland ein Auge auf mich geworfen.
Seit jenem fürchterlichen Wintertag, als Euans wahre Absichten offenbar wurden, hatte der Mann sich weit von Gottes gerechtem Pfad abgewandt. Gegenwärtig trennte Lord Ardmillan nur noch eine Haaresbreite vom finanziellen Ruin. Dazu war er ein verblendeter und verzweifelter Anhänger einer Geheimgesellschaft von sexuell Pervertierten, den Fratres Seminis. Und durch Euans Einfluss war ich gegen meinen Willen in die Machenschaften dieser Bruderschaft hineingezogen worden.
Der Anführer dieser Kabale war ein amerikanischer Theosoph unter dem Pseudonym Lawrence Blake. Auch er begehrte den Stab des Asklepios zu besitzen, und Euan sollte ihm den geschnitzten Edelsteinphallus beschaffen, zusammen mit einem hübschen jungen Mann, bekannt als das Gefäß. Dies würde Blake befähigen, die Welt der Toten zu besuchen und wieder ins Leben zurückzukehren, zusammen mit den Geheimnissen aus dem Jenseits. Er hatte eine Handvoll mächtiger, einflussreicher Männer, die unsere ungesetzlichen Neigungen teilten, davon überzeugt, dass auch sie die Geheimnisse des Stabs erlernen und die Unsterblichkeit suchen konnten. Sie wollten Götter unter den Menschen sein. Der Diebstahl des Objekts durch Sebastian durchkreuzte diese Plane, und nun glaubte Blake, dass Euan ihn betrogen hatte.
Sebastian und ich waren zu einem verborgenen Stachel im Fleisch von Lawrence Blake geworden. Der junge Mann, der die Rolle des Gefäßes innehaben sollte, war Baron Leopold von Liebenstein, der zweiundzwanzigjährige Sohn Barons Maximilian von Liebenstein aus Thüringen in Deutschland. Die Genusssucht des Jungen führte dazu, dass er mit den Mitgliedern der Kabale in sexuellen Ausschweifungen verfiel, dann verschwand er aus der Londoner Gesellschaft. Sebastian hatte von von Liebensteins Assistent den Auftrag erhalten, Leo zu finden und zu ihm zurückzubringen. Ich half ihm bei einem Täuschungsmanöver und übergab den betrunkenen Jungen einem Diener, der an Bord eines Schiffes nach Hamburg ging. So befreiten wir Leopold aus dem Einflussbereich des manipulativen Lawrence Blake.
Ich hatte gedacht, wir wären mit der Entführung durchgekommen, aber ich steckte in der Klemme. Blake wusste nicht, dass ich beim Verschwinden des jungen Mannes, den er das Gefäß nannte, eine Rolle gespielt hatte. Auch wusste er nicht, dass ich den geheimen Phallus besaß, oder dass Euan Zuflucht in meinem Haus gefunden hatte. Und falls er meinen Betrug entdeckte, würde er den Einfluss der Kabale benutzen, um mich vollkommen zu ruinieren.
„Wenn ich der Polizei erzähle, dass Euan mein Hausgast war und mich bestohlen hat, dann finden die Fratres Seminis heraus, dass er bei mir war und dass ich sie belogen habe”, hatte ich mich bei Sebastian beklagt. Wir saßen auf der Chaiselongue in meinem Geheimzimmer, sodass unsere Unterhaltung nicht mitgehört werden konnte. Sebastian legte mir den Arm um die Schultern und zog mich an sich.
„Ich stimme dir zu. Du kannst an diesem Punkt nicht riskieren, Lawrence Blakes Zorn auf dich zu ziehen.” Und Sebastian wusste mehr über den Zorn des Mannes als ich. Als junger Mann war Sebastian während eines Pariser Seminars von den Listen des silberzüngigen Mannes aufs Übelste verführt und missbraucht worden. Sebastians tröstende Umarmung war höchst willkommen, aber seine Worte ließen mich frösteln. Das unangenehme Schaudern, das mich bei dem Gedanken an eine Enthüllung überlief, brachte das Gedankenkarussell in meinem Kopf zu einem abrupten Halt. Ich lehnte für einen Moment meinen Kopf an seine Schulter und inhalierte seinen Duft, eine Mischung aus seiner Haarpomade, Schweiß und unserem Sex. Gott, es war eine berauschende Mixtur sexueller Alchemie, und die vertrauten Düfte beruhigten meine Nerven. Wir versanken beide einige Minuten in unseren Gedanken, in denen Sebastians beruhigender Halt nicht wankte. Er brach die Stille zuerst:
„Sag der Polizei, du glaubst, dass der Diebstahl vom Dandy Rogue begangen wurde”, schlug er vor.
Ich entzog mich seiner Umarmung und sah ihn an. „Nein… nein, ich kann doch nicht–” Ich war geschmeichelt, weil er mich beschützen wollte, und gleichzeitig war ich entrüstet, dass Sebastian vorschlug, ich solle die Polizei anlügen und ihn eines Verbrechens beschuldigen, das er nicht begangen hatte.
„Du bist unschuldig. Ich weiß genau, wo du die ganze Nacht lang warst und würde für dich bürgen!”, sagte ich, ohne die Auswirkungen einer solchen Ankündigung zu bedenken. Erinnerungen an köstliche Unzucht nahmen meine Gedanken gefangen, und mein Gemächt zuckte.
Sebastian lachte stumm in sich hinein. „Du würdest gegenüber der Polizei bezeugen, dass ich die Nacht damit zugebracht habe, dich zu vernaschen, bis wir so erschöpft waren, dass keiner von uns sich mehr bewegen konnte?”
„Na ja…ähm, nein, ich nehme an, so weit würde ich nicht gehen”, gab ich zu. Meine Wangen begannen zu glühen. Sebastian hob amüsiert eine Augenbraue beim Anblick meines Unbehagens.
„Die Polizei kennt den Namen Sebastian Cavell, aber sie wissen nicht, wie ich aussehe. Ich habe vor Jahren dafür gesorgt, dass die paar Photographien von mir vernichtet wurden.”
„In der Tat. Ich erinnere mich, dass es Charles Ashe große Schwierigkeiten bereitet, ein Bild von dir für die Illustrierten Polizeinachrichten bereitzustellen.“
„Genau. Hier bin ich Foxford Robins, und der Name ist mit keinerlei Verbrechen verbunden. Aber ich weiß den Gedanken zu schätzen, mein Herz.”
Ich schaute ihm in die whiskyfarbenen Augen. Es durchfuhr mich warm. Mein Mund war so trocken wie die Wüste, und die Gefühle, die wortlos zwischen uns hin- und herwanderten, machten mir meine Kehle eng.
„Warum soll ich Euan mit seinem Verrat davonkommen lassen? Sollte er nicht die Konsequenzen für sein Verbrechen tragen?”
„-weil es deinen Ruf schützt, wenn du ihn gehen lässt. Und dich zu schützen ist meine Priorität. Ich bin sicher, Euan wird irgendwann seinem Schicksal ins Gesicht sehen müssen. Er fordert es ja genug heraus!”, sagte er weise. „Es ist schon gut. Sein Verbrechen wird nur ein weiterer Diebstahl sein, der zu einer langen Reihe von Diebstählen des Dandy Rogue gezählt wird.”
„Trotzdem. Sollten dir, Gott bewahre, die Obrigkeiten jemals auf die Schliche kommen, wäre ich entsetzt, dazu beigetragen zu haben, dass dir ein Verbrechen zur Last gelegt wird, dessen du nicht schuldig bist.”
„Ich kann dir versichern, es wäre nicht das Erste und auch nicht das Letzte. Ich habe insgesamt fünfzehn Aufträge im Zusammenhang mit der High Society Englands sowie sieben in Europa ausgeführt, aber die Polizei lastet mir sechsundfünfzig Verbrechen an.”
„Nein!” Ich war entrüstet.
„Der Dandy Rogue hat sich als sehr nützlicher Sündenbock für viele opportunistische Kriminelle erwiesen”, klärte Sebastian mich auf. „Ich werde in Zukunft immer eine Visitenkarte hinterlassen müssen, damit sie wissen, dass wirklich ich es war.“ Sebastian grinste resigniert.
„Du nimmst das überhaupt nicht ernst“, schnaubte ich und stieß ihm meinen Ellenbogen in die Rippen.
„Doch, tue ich“, lachte er und rückte aus der Reichweite meines Ellenbogens. „Ardmillan hat seinen ältesten Freund bestohlen. Er ist verzweifelt. Er weiß sehr wohl, dass du ein guter Mensch bist, ein gütiger Mensch, und dass du niemals seinen Namen beschmutzen und dadurch seine Frau und Kinder aus der guten Gesellschaft verbannen würdest.“
Um ehrlich zu sein, hatte ich die Ehefrau und die Kinder ganz vergessen, und wie es schien, hatte Euan selbst das ebenfalls getan! Die Erinnerung daran, dass Euan Familie hatte, machte seine Situation nur schlimmer.
„Für einen Mann, der so verloren und bedürftig ist wie Euan, sind die Fratres Seminis wie eine Droge. Das habe ich schon früher gesehen“, erklärte Sebastian. „Ich kenne den Druck, den Lawrence Blake auf die Jungen und Männer in seinem Bann ausübt. Sie sind nur die Bauern in seinem Schachspiel, verführt von Blakes Worten. Und Euan wird sich noch mehr die Blöße geben, um in den Reihen der Kabale willkommen zu sein.“
Ein weiteres Verbrechen zu Sebastians Liste hinzuzufügen, verursachte mir äußerstes Unbehagen, aber mir waren die Optionen ausgegangen.
„Du solltest dich jetzt ankleiden und die letzten Details von deinem Kammerdiener erfragen“, sagte Sebastian. „Sag ihm, dass der Dieb nicht Euan gewesen sein kann, da er früh aufgebrochen ist, um seinen Zug nicht zu verpassen“, erklärte er entschieden.
„Mein Geist war noch immer ein wenig schlaftrunken, aber mir fiel auch nichts Besseres ein, um mit der Situation umzugehen.
„Ja, natürlich, du hast Recht“, stimmte ich resigniert zu.
****
Ich überließ Mr. Wilkins seinen morgendlichen Pflichten, instruierte ihn jedoch, keinen Fuß in den Salon zu setzen. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um mich erst einmal zu beruhigen, und sprach ein hastiges Ave Maria, dann rief ich: „Kommen Sie herein, Mr. Troy!“ Mein Kammerdiener betrat mein Arbeitszimmer, schloss die Tür hinter sich und nahm, als ich meine Zustimmung nickte, im Stuhl vor meinem Schreibtisch Platz. Er war an diesem Morgen nicht so gut beieinander wie gewöhnlich. Sein schwarzer Dieneranzug war nicht gebügelt, und er hatte beim Zuknöpfen seines Hemdes einen Knopf übersehen. Die weiß behandschuhten Hände lagen in seinem Schoß, und seine Finger zuckten nervös wie die eines Schuljungen, der im Zimmer des Rektors saß.
Ich lehnte mich in meinem Arbeitssessel zurück, musterte mein zappeliges Gegenüber und legte die Fingerspitzen aneinander.
„Also, Mr. Troy, ich muss jedes Detail erfahren, verstehen Sie? Bitte berichten Sie mir von Anfang an ganz genau, was geschehen ist.“
„Ja, Sir, ich verstehe.“ Mr. Troy schwieg für einen Moment, als müsse er seine Gedanken sammeln, dann sagte er mit seiner sanften Stimme und seinem nördlichen Akzent: „Ich war heute an der Reihe – wir wechseln uns immer damit ab, sehen Sie – als Erster aufzustehen und die Feuer anzumachen. Es dauert immer eine Weile, bis der Herd warm genug ist, um darin Brot zu backen. Mrs. Twigg hat etwa eine Woche lang Frühdienst, dann ich, und danach Mr. Wilkins. Anne-Marie und Maud sind auch immer wieder einmal dran. Wir bringen den Herd in Gang und setzen Tee auf.“
Sehr zu meinem Verdruss musste ich zugeben, dass ich nie besonders über die Vorgänge im Untergeschoss meines Hauses nachgedacht hatte. Ich war ein zufriedener Arbeitgeber, solange es im Haus warm war und die Mahlzeiten pünktlich serviert wurden. Ich stand jeden Morgen um acht Uhr auf, und mein Teetablett wurde exakt fünf Minuten nach der vollen Stunde geliefert! Mir war nie bewusst gewesen, dass die Diener sich die Pflicht teilten, den Küchenherd zu so früher Stunde schon anzuheizen.
„Nun, diese Woche ist es meine Pflicht, früh aufzustehen“, fuhr Troy fort. „Mein Wecker klingelte um halb sieben. Es war eiskalt, und im Haus war es still. Ich zog meinen Hausmantel über und schlüpfte in meine Schlappen, dann trat ich hinaus auf den Treppenabsatz, mit meiner Lampe in der Hand. Ich mag es nicht, Gaslicht zu verschwenden, da um diese Zeit ja außer mir niemand im Haus wach ist. Ich bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war – die Tür zum Zimmer, wo Ihr unglücklicher Freund, Mr Euan, genächtigt hatte. Ich machte mir Sorgen, weil der Mann in schlechter geistiger Verfassung war, als Sie ihn mit nach Hause brachten, Sir. Ich war besorgt, dass es ihm nicht gut ging, also habe ich leise angeklopft. Ich bekam keine Antwort. Dann steckte ich meinen Kopf durch den Türspalt und sah, dass das Zimmer leer war. Ich hatte keine Ahnung, wohin Ihr Gast gegangen war. Ich ging die Treppe hinunter, nur im Schein meiner Lampe, und auf halbem Wege hörte ich ein seltsames Schaben. Am Fuße der Treppe sah ich ein schwaches Licht unter der Tür zum Salon flackern. Ich schauderte, da niemand unten im Haus sein sollte. Ich war ganz sicher, dass ich mit dem Frühdienst an der Reihe war. Ich weiß nicht, ob ich noch schlaftrunken war, Sir, aber ich biss die Zähne zusammen und öffnete die Tür. In dem Raum war es wie in einem Kühlhaus. Ich sah eine Lampe auf dem Kaminsims und hörte erneut das schabende Geräusch. Ich schaute durch die offene Tür und sah, dass die Vorhänge des rückwärtigen Fensters geöffnet waren. Sie wehten im Wind, und ein Mann in einem Opernumhang – Mr. Euan, Sir, er kletterte aus dem Fenster! Ich rief: ,Was, um Himmels willen, tun Sie da, Sir?‘ Aber er schaute nicht zurück oder nahm meine Anwesenheit zur Kenntnis. Ich stellte meine Lampe auf den Boden und eilte zum Fenster, genau in dem Moment, als er den Rest des Weges hinunterfiel. Ich beugte mich hinaus und packte seinen Umhang, um ihn wieder hereinzuziehen, aber er entkam meinem Griff und rannte durch den Garten davon. Ich war verwirrt, weil Mr. Euan nicht nach mir geklingelt hatte, damit ich ihm die Vordertür öffne, da er so eilig abreisen musste. Erst da drehte ich mich um und sah, dass der Mahagoni-Schrank mit ihrer Silberschublade offen stand, Sir.“ Mr. Troy verstummte und starrte auf seine Füße. Dann blickte er auf und fuhr mit flehender Stimme fort: „Ein schrecklicher Anblick, Sir, einfach schrecklich. Ihre wundervolle Sammlung“, flüsterte er. „Die Mädchen haben erst gestern das ganze Silber poliert, und ich war bei Mr. Wilkins, als er ihre Arbeit inspizierte. Selbst die kleinsten Gegenstände sind fort, Sir.“
Ich knirschte mit den Zähnen. Ich wollte meinen Diener nicht sehen lassen, wie sehr mich der Verlust betrübte. Ich konnte nicht einmal mir selbst erlauben, mir das Desaster meiner kostbaren Sammlung vorzustellen, denn das würde mich nur von dem ablenken, was ich versuchte, hier zu erreichen. Ich beugte mich vor, faltete die Hände auf meinem Schreibtisch und fragte ruhig: „Was haben Sie dann getan?“
„Ich gab natürlich Alarm! Oh, Sir, ich verstehe es einfach nicht!“, rief Troy aus. „Verzeihen Sie, wenn ich so offen spreche, aber Sir Euan ist Ihr Freund. Sie sind ein gütiger, frommer Mann, Sir, Sie haben ihm Ihr Haus geöffnet, als er seine dunkelste Stunde erlebte“, schluchzte er, rang die Hände und schüttelte erschüttert den Kopf.
„Mr. Troy“, sagte ich mit erhobener Stimme, um ihn aus seiner verdrießlichen Stimmung zu reißen. „Ich glaube, Sie ziehen hier voreilige Schlüsse.“
Er blickte auf und sah mich an. Seine Augen verengten sich verwirrt.
„Wie sicher sind Sie, dass es Mr. Euan war, den Sie gesehen haben?“, fragte ich und sah wie die Saat des Zweifels ihr Ziel traf.
„Ich…ähm, gebe zu, ich sah nicht das Gesicht des Mannes, aber wer sonst hätte mit den Taschen voll mit Ihrem Silber dort aus dem Fenster klettern können? Mr. Euans Zimmer ist leer. Alle Diener sind anwesend, und sie alle waren noch im Bett. Wer sonst hätte es sein können?“
„Sie kennen die Zeitungsberichte, Mann! Sie wissen so gut wie ich, dass die Stadt in letzter Zeit von zahlreichen Einbrüchen heimgesucht wurde–“, sagte ich eindringlich. Ich hasste es, meinen Kammerdiener zu täuschen, aber ich steckte in der Klemme. Damit der Schwindel funktionierte, durfte Mr. Troy seinen eigenen Augen nicht trauen und musste ganz von selbst die gewünschten Schlüsse ziehen.
„Nein, Sir!“, rief er entsetzt aus. „Es kann nicht sein, es kann nicht sein… ich wurde doch nicht Zeuge eines Einbruchs vom Dandy Rogue!“, keuchte er theatralisch. Er bedeckte seinen Mund mit einer behandschuhten Hand und riss die Augen auf. Die Gerüchte um seine wahre Identität gingen durch alle Schichten der Gesellschaft. Es hieß, Cavell gehöre dem Adel an, und im Gegenzug verbreitete sich Misstrauen unter Freunden und Bekannten. Die breite Presse hatte Cavell zu einer Art Held des einfachen Volkes hochstilisiert. Es wurde angenommen, dass er ein radikaler Anti-Imperialist war – einer, der nicht an das gottgegebene Recht Ihrer Majestät glaubte, jedes fremde Land zu zivilisieren, das sie begehrte. Cavell bestahl die Reichen, besonders jene, die ihr Geld mit Sklavenhandel und der Plünderung britischer Kolonien verdienten. Und mein Gott, ich liebte ihn abgöttisch.
„In der Tat, ich glaube, Sie könnten den Meisterdieb gesehen haben, von dem die Zeitungen sprechen. Das war mein erster Gedanke. Sehen Sie, Mr. Euan klopfte gestern zu später Stunde an meine Schlafzimmertür, um sich für meine Gastfreundschaft zu bedanken. Er sagte mir, dass er vorzeitig aufbrechen würde, um den ersten Zug von Euston zu erwischen. Sie hatten sich zu dem Zeitpunkt bereits für die Nacht zurückgezogen, und ich wollte Sie nicht wecken. Ich stand auf und ließ ihn zur Vordertür hinaus. Der Mann, den Sie aus dem Fenster klettern sahen, kann also nicht mein armer Freund gewesen sein, da er bereits vorher das Haus verlassen hatte.“
„Oh Gott, oh Gott“, rief Troy aus und rang aufgebracht die Hände. „Bitte vergeben Sie mir, so leichtfertig die Ehrlichkeit Ihres Freundes verleumdet zu haben, Sir. Ich schäme mich dafür. Ich wusste nicht, dass er uns bereits verlassen hatte. Nicht für eine Sekunde hatte ich in Erwägung gezogen, dass der Mann in dem Zimmer nicht er gewesen sein könnte.“
Ich hob beschwichtigend meine Hände. „Beruhigen Sie sich, mein guter Mann. Ein solcher Fehler kann leicht passieren. Und ich kann sehen, dass die Entdeckung des Diebstahls Sie in einen Schockzustand versetzt hat.“
„In der Tat, Sir, in der Tat. Ich kann immer nur daran denken, was hätte passieren können, wenn eine der Damen Frühdienst gehabt hätte. Der Dieb hätte über das arme, wehrlose Mädchen herfallen können!“ Troy legt den Kopf in seine Hände, und ich hatte wirklich Mitleid mit ihm.
„Ist es noch zu früh für ein Schlückchen Brandy?“, sagte ich. Mehr ein Vorschlag als eine Frage. Er blickte auf und nahm die Hände vom Gesicht. „Mir geht es gut, Sir. Ich kann nur nicht fassen, dass ich den Dandy Rogue gesehen habe. Gott, dieser Schurke! Oh, Mr. Hannan, was sollen wir nur tun? Was werden die Nachbarn sagen? Ich fürchte, Sie werden zum gesellschaftlichen Klatschthema werden, und ich weiß doch, wie sehr Sie Ihre Privatsphäre schätzen!“
Da hatte er durchaus recht! Ich würde alles unternehmen müssen, was ich konnte, um die Information über den Einbruch zu kontrollieren. „Sagen Sie, wurde bereits ein Polizeibeamter herbeordert?“
„Ja, ja. Ich rief Jasper, unseren Zeitungsjungen, herbei und sagte ihm, er solle schnell einen Bobby finden und zu uns schicken.“
„Hören Sie mir zu, Mr. Troy“, sagte ich ganz ruhig. Ich musste behutsam vorgehen, um den Mann nicht noch mehr aufzuregen, als er ohnehin schon war. „Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?“
Troy nickte. „Um jeden, Sir.“
„Ich will ganz direkt sein. Es ist kein angenehmer Gefallen, aber… unsere Leben könnten in Gefahr sein.“
„Ich werde tun, was ich kann, Sir“, antwortete Troy eifrig.
„Sehr gut. Bitte erzählen Sie der Polizei nicht, dass Mr. Euan hier im Haus war.“
Der Moment des Schweigens, der folgte, zog sich unangenehm in die Länge, bevor ich fortfuhr:
„Ich bin ein schreckliches Risiko eingegangen, indem ich ihn mit in mein Haus gebracht habe. Ich erwähnte Ihnen gegenüber ja zuvor, dass er einige… sagen wir, fehlgeleitete Entscheidungen getroffen hatte. Nun, wie es scheint, war das eher eine Untertreibung, und bevor er uns verließ, eröffnete er mir, sich einige recht erschreckende Feinde gemacht zu haben“, erklärte ich. „Es wäre schlimm für uns alle, sollten diese Feinde entdecken, dass ich ihm Schutz gewährt habe. Verstehen Sie?“ Wir sahen einander in die Augen und Troys wurden weit.
„Sie… Sie wollen, dass ich… die Polizei anlüge?“, keuchte er.
„Nicht direkt anlügen“, versicherte ich. „Aber verschweigen, dass Mr. Euan je hier war.“
„Aber… aber, Sir? Lügen ist Sünde!“
„Ich weiß, ich weiß. Ich finde es schrecklich, Sie darum bitten zu müssen. Hätte dieser Diebstahl nicht stattgefunden, gäbe es überhaupt kein Problem, aber, wie Sie sagten, ein Diebstahl durch den Dandy Rogue wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf unser Haus ziehen und unerwünschtes Interesse wecken, und ich muss an die Sicherheit meines gesamten Haushalts denken.“ Ich hielt kurz inne, um den Gedanken sacken zu lassen.
„Ich habe eine schnelle Lösung. Wir werden den Mittagsgottesdienst in St. Giles besuchen und danach noch zur Beichte dort bleiben. Auf diese Weise muss keiner von uns die Last dieser kleinen Sünde tragen, die wir zum Schutz dieses Haushalts begangen haben. Auf lange Sicht tun wir ja etwas Gutes, nicht wahr? Wir beschützen Mrs. Twigg, Maud und Anne-Marie vor unerwünschtem Interesse. Durch meine Einmischung befindet sich Mr. Euan wieder auf einem rechtschaffenen Weg, und durch unsere Verschwiegenheit sorgen wir für die Sicherheit meines Haushalts.“ In meinem Kopf klang das wie ein großartiger, edler Plan, aber würde Mr. Troy das auch so sehen? Einige angespannte Momente lang sahen wir einander mit scharfem Blick in die Augen, dann stimmte Troy zu: „Sehr wohl, Sir.“
****
Troy und ich schreckten beide beim Klang der Türklingel hoch. Mr. Troy erhob sich, verbeugte sich vor mir und eilte aus meinem Arbeitszimmer zur Vordertür, aber es klang, als wäre ihm Wilkins bereits zuvorgekommen. Troy kehrte eine Minute später mit einem uniformierten Polizisten im Schlepptau zurück. Der Polizeibeamte war groß, schlaksig und hatte ein jugendliches Gesicht. Ein paar flauschige Barthaare, die ich als Anzeichen für einen Spätentwickler wahrnahm, bedeckten sein Kiefer. Es sah aus, als versuche er, sich einen Bart wachsen zu lassen, um vielleicht älter und maskuliner zu wirken. Seine dunkelblaue Uniform aus Melton-Wolle sah neu aus, und die Nummer auf seinem Kragen lautete 7074. Er war geradezu regimentarisch stramm gekleidet, und der Brunswick-Stern auf seinem typisch geformten Polizeihelm glänzte. Eine silberne Trillerpfeife hing aus einem Knopfloch, und die Knöpfe selbst waren so gründlich poliert, dass sie silbrig glänzten.
„Constable Atkins, das ist mein Herr, Mr. Benedict Hannan“, stellte Troy mich ihm vor.
„Guten Morgen, Sir, wie ich h-öre, hat in diesem Haus hier ein Verbrechen stattgefunden, ist das richtig?“ fragte Atkins. Sein Akzent klang nach Innenstadt-Cockney, aber er versuchte sich in korrekter Grammatik und Aussprache, wobei er es ein wenig übertrieb.
„In der Tat, in der Tat“, seufzte ich resigniert und ließ mich wieder in meinen Schreibtischsessel fallen. „Mein Silber wurde gestohlen von diesem… diesem Schurken“, setzte ich betont hinzu.
„Diesem Dandy Rogue-Kerl!“
Der Constable riss die Augen auf, als er diesen bestimmten Spitznamen hörte. „Si…sind Sie sicher, Sir?“, wollte er wissen.
„Natürlich bin ich sicher!“, gab ich arrogant zurück. „Mr. Troy hier sah ihn fliehen.“ Ich wandte mich zu Mr. Troy und warf ihm einen Blick zu.
„Ja…ja, ich sah ihn aus dem Fenster in den Garten flüchten. Ich versuchte, ihn zurück ins Zimmer zu ziehen, aber oh, er war wie ein glitschiger Fisch!“, fügte Troy hinzu. Ich war sehr erleichtert, dass wir uns in dieser Hinsicht einig waren!
Ich sah, wie die Augen des Bobbys plötzlich funkelten. „Ich… ich muss eine Nachricht an Scotland Yard schicken!“, sagte er aufgeregt. Es war, als könnte ich sehen, wie die Zahnräder in seinem Verstand begannen sich zu drehen vor Aufregung, der erste Polizist am Tatort der letzten Eskapade des Meisterdiebes zu sein. Er holte sein Notizbuch heraus, ließ eilig die Blätter an seinem Daumen vorbeigleiten, um die nächste leere Seite zu finden und begann dann zu schreiben.
„Soll ich einen Boten finden?“, fragte Mr. Troy. Constable Atkins faltete sein Blatt Papier und gab es Troy.
„Ja, und sagen Sie dem Jungen, dass er dies zu Polizeikommissar Dancer bringen soll. Er soll es ihm direkt aushändigen, niemandem sonst!“, sagte er drängend.
Troy nickte und verließ das Zimmer.
Der Constable fuhr fort, Notizen in seinem Büchlein zu machen, das Kratzen seines Bleistiftes klang besonders laut in meinem stillen Arbeitszimmer. Ich unterbrach das Schweigen mit einer Frage.
„Sagen Sie, Constable, wer ist dieser PolizeikommissarPolizeikommissar Dancer?“
Atkins fuhr mit seinen Notizen fort und antwortete abwesend: „Oh, er ist ein feiner Pinkel.“ Der Constable blickte auf und schien sich plötzlich wieder bewusst zu werden, mit wem er sprach. „Verzeihen Sie bitte, Sir, ich meinte es nicht so“, sagte er kleinlaut. „Der Polizeichef selbst hat Dancer auf den Fall dieses Meisterdiebs angesetzt. Polizeikommissar Dancers Vater ist Herzog oder sowas… draußen in Northumberland. Er hätte einfach so wie die Made im Speck leben können, aber er wählte das Leben eines ehrlich arbeitenden Bullen, weil er an Wahrheit und Gerechtigkeit glaubt. Er steht aufrecht im Dienste Ihrer Majestät und ist eine Inspiration für uns alle, Sir“, erklärte der Polizeibeamte inbrünstig und fuhr unaufgefordert fort:
„Der Polizeichef glaubt, dass der Meisterdieb aus der feinen Gesellschaft stammt.Es geht das Gerücht, dass er nur zum Spaß die Gentlemen der Gesellschaft bestiehlt. Dancer weiß alles, was es über diesen Gauner nur zu wissen gibt“, sagte er grinsend und mit stolzgeschwellter Brust.
Ich setzte mich aufrechter in meinen Sessel und griff nach einem leerem Blatt Papier und meinem Stift. Ich konnte sehen, dass der junge Polizist diesen Polizeikommissar Dancer wie einen Helden verehrte.
„Er weiß also alles über ihn, schon klar“, murmelte ich und begann zu schreiben. „Außer, wie dieser Teufel aussieht und wie man ihn fangen könnte“ stieß ich hervor. „Der Mangel an Fortschritten bei diesem entsetzlichen Jack the Ripper-Fall hat mein Vertrauen in die Effizienz der Polizeikräfte hart auf die Probe gestellt“, sagte ich höhnisch. „Wenn Polizeikommissar Abberline es nicht schafft, einen Serienmörder der Gerechtigkeit zuzuführen, glaube ich kaum, dass dieser Polizeikommissar Dancer auch nur einen einfachen Safeknacker rügen kann!“
Ich blickte auf und sah Atkins schmollend die Lippen schürzen. Er schwieg einen Augenblick lang, dann sagte er noch inbrünstiger: „Dancer wird diesen Mann fassen; merken Sie sich meine Worte, Sir. Er ist wie ein Bluthund und wird nicht nachlassen, bis der Dieb am Galgen hängt.“
Würde meine Lüge Sebastian in das Fadenkreuz eines Polizisten bringen, der einen Weg suchte, um Ruhm zu erlangen? Eine Welle der Furcht durchfuhr mich. Was hatte ich getan? Ich schluckte und biss mir auf die Lippe. Ich unterdrückte ein Zucken und machte automatisch das Zeichen des Kreuzes.
„Mr. Wilkins!“, rief ich aus, als ich hörte, wie die Vordertür geschlossen wurde. Mein Hausmeister betrat das Arbeitszimmer.
„Ich brauche einen zweiten Boten. Diese Briefe müssen überbracht werden. Einer in mein Büro, der andere in das Büro meines Versicherers in der Lothbury 41“, sagte ich, während ich noch hastig den letzten Schrieb verfasste, die Papiere in Umschläge steckte, die ich dann adressierte und versiegelte. Ich gab die Umschläge meinem Hausmeister, der mich dann wieder mit dem noch grün hinter den Ohren Constable allein ließ.
„Mein Versicherungsagent besitzt ein Buch mit Photographien und Wertbezeichnungen aller meiner Sachen. Jeder Artikel in meinem Silberkabinett kann einer Photographie zugeordnet werden“, erklärte ich.
„Das wird sehr hilfreich sein bei der Feststellung, was der Lump sich angeeignet hat“, sagte Atkins aufgeregt. Ich wusste, das würde auch für Sebastian hilfreich sein. Euan hatte mich bestohlen, weil er Geld brauchte, und zwar schnell. Sebastian hatte angeboten, seine Kontakte in der Halbwelt zu nutzen, um herauszufinden, wo Euan mein Silber verkaufte. Er würde sich rar machen und sich erneut im Haus melden, sobald die Polizei gegangen war.
„Ich glaube, eine Tasse Tee wäre angebracht, während wir auf Ihren Bluthund warten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, Mrs. Twig zu sagen, sie möge eine Kanne machen? Sie können mit den Dienstboten in der Küche sitzen.“
„Sehr verbunden, Sir“, sagte der Constable, dann verließ er mein Arbeitszimmer und folgte den Korridor hinunter dem Duft der backenden Brötchen.
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Zwanzig Minuten später, nach meiner Uhr auf dem Kaminsims – ich hatte meinen Tee zur Beruhigung der Nerven mit einem Schluck Brandy genommen, jedoch Wilkins mitgeteilt, das Frühstück auf später zu verschieben, bis der ganze Unsinn erledigt war – hörte ich Constable Atkins im Laufschritt den Flur herunterkommen. Er hielt vor der Tür zu meinem Arbeitszimmer an und klopfte.
„Herein.“ Die Tür ging auf, und Atkins streckte seinen Kopf herein. Er hatte immer noch seinen Helm auf. Der Anblick amüsierte mich ein wenig. „Ich muss noch alle Einzelheiten aufnehmen und den Tatort inspizieren bevor Polizeikommissar Dancer kommt, Sir."
Mein Amüsement löste sich auf. Ich erhob mich aus meinem Sessel. „Natürlich. Mein Silberkabinett befindet sich im Salon“, sagte ich, als ich an dem Constable vorbei und über den Flur ging. Ich hatte den Tatort selbst noch gar nicht in Augenschein genommen, weil ich das Chaos gar nicht hatte sehen wollen, um mich von den Verwicklungen der Unwahrheit abzulenken, die ich selbst in Gang gesetzt hatte.
Als ich den Salon betrat, sah ich, dass die schweren Seidendamastvorhänge vor dem Fenster, das auf den Bedford Square hinausging, immer noch geschlossen waren, aber die Vorhänge für das rückwärtige Fenster mit Blick auf den Garten waren offen, genau wie das Schiebefenster selbst. Ein eisiger Januarwind kam zugleich mit den Strahlen der Morgensonne herein und ließ mich bis auf die Knochen schaudern. Sofort ging ich zum Fenster mit der Absicht, es zu schließen.
„Bitte nix anfassen, Sir. Polizeikommissar Dancer ist sehr streng, was die Sicherung möglicher Beweise angeht.“ Ich war nicht begeistert davon, mir sagen lassen zu müssen, was ich in meinem eigenen Haus zu tun und zu lassen hatte. Ich drehte mich und betrachtete das ganze Zimmer. Mein Blick blieb in der rechten Ecke des Zimmers hängen, wo mein Silberkabinett stand, verwüstet. Ich kochte vor Wut.
Der elegante, dunkle Mahagonischrank stand auf exquisit gedrechselten und geriffelten Beinen. Die gebogenen Türen an der Vorderseite waren hochglanzlackiert, und zu beiden Seiten standen geschnitzte Säulen mit Kapitellen. Innen war die Rückseite mit roter Rohseide ausgeschlagen, und die Einlegeböden waren aus Glas. Dieses Kabinett war das erste große Möbelstück, das ich für mich selbst gekauft hatte, als ich anfing, als Auktionator zu arbeiten, daher hatte es für mich einen besonderen, ideellen Wert. Beide Türen standen nun offen, und ich konnte sofort sehen, dass dem Schloss erhebliche Gewalt angetan worden war, um sich Zugang zu verschaffen. Ein kleines, spitzes Küchenmesser lag auf dem Boden neben dem Schrank. Die Glasfenster waren zu meiner Erleichterung unbeschädigt. Aber der Schaden am Schloss und an den Einlegearbeiten aus Rosenholz um das Schloss herum machten mich wütend. Ich würde einen Schlossschmied und einen Kunstschnitzer beauftragen müssen, um das Kabinett zu restaurieren und zu seiner früheren Herrlichkeit zu bringen.
Ich trat einen Schritt näher an den entweihten Schrank und sah, dass meine einst sorgfältigst geordnete Kollektion verwüstet war. Ich wünschte in diesem Moment, meine Dienerschaft wäre nicht so effizient beim Staubwischen gewesen. Die Staubmuster auf den Glasböden hätten mir verraten, welche Gegenstände fehlten. Natürlich wusste ich auf den ersten Blick, dass Euan die kleineren Stücke der Sammlung gestohlen hatte – die Vesta-Kästchen, Briefmarkenetuis, Schnupftabak-Boxen, Kartenetuis. Alles, was man einstecken konnte, ohne das es einen beschwerte. Mit einem entsetzten Keuchen wurde mir klar, das die exquisite, fischförmige Gewürzdose fehlte, die ich von Lawrence Blake gekauft hatte. Ich kochte vor Wut, als ich sah, wie eine Kollektion, die ich in über zwanzig Jahren kreiert hatte, dezimiert worden war. Mir drehte sich der Magen um, und ich spürte einen nahenden Kopfschmerz. Ich hob die Hände und massierte meine Schläfen mit den Fingern.
„Fehlen viele Stücke, Mr. Hannan?“, fragte der Constable.
„Ja“, antwortete ich scharf. „Es sieht so aus, als hätte der Dieb alle kleineren Stücke gestohlen. Aber begehen Sie nicht den Fehler, Größe mit Wert gleichzusetzen, Constable“, sagte ich ungehalten. „Mehrere der Stücke stammen von berühmten Kunstschmieden und sind unbezahlbar“, erklärte ich in scharfem, betrübten Ton.
„Ich verstehe, Sir.“ Der Constable kritzelte etwas in sein Notizbuch, während er sprach. „Womit, wenn ich fragen darf, bestreiten Sie Ihr Einkommen, Sir?“
„Ich muss doch sehr bitten!“, rief ich entsetzt aus. Die Frage war impertinent! Atkins verzog erschrocken das Gesicht.
„Ich wollte Sie nicht beleidigen, Sir, aber ich muss alle wichtigen Details aufnehmen.“
„Ich bin Geschäftsmann, Auktionator für Kunstgegenstände und Möbel. Ich bin Inhaber des Hannan Auktionshauses in Fitzrovia“, stieß ich hervor. Dann wurde ich vom Läuten der Türglocke unterbrochen.
Eine Minute später betrat Mr. Wilkins den Salon, zusammen mit einem Herrn im Anzug sowie einem uniformierten Beamten.
„Ah! Polizeikommissar Dancer!“, verkündete Constable Atkins aufgeregt.
Polizeikommissar Dancer trug eine Melone auf dem Kopf, die er abnahm. Gleichzeitig schlüpfte er aus seinem Mantel. Dann reichte er beides wie selbstverständlich Wilkins, ohne ihn auch nur anzusehen, so als wäre er der Herr des Hauses hier. „Atkins, richtig?“ Der große, breitschultrige Neuankömmling hatte gepflegte Koteletten und einen pomadigen, dunkelbraunen Haarschopf. Sein Akzent war seltsam, aber kultiviert mit einem Hauch Yorkshire. Er klang irgendwie vertraut, aber ich konnte ihn nicht richtig zuordnen. Hatte Atkins nicht gesagt, Dancers Vater war ein Herzog im Norden Englands? Besuchte dieser adelige Polizeibeamte denselben Club wie ich?
„Ja, Sir“, sagte Atkins und warf sich in die Brust. Er sprach in übertrieben offiziellem Ton weiter. „Sir, Polizeikommissar Dancer, Sir, das ist Mr. Benedict Hannan, Sir. Mr. Hannan ist das Opfer eines abscheulichen Diebstahls durch den Dandy Rogue, Sir.“
Dancer massierte sich den Nasenrücken, schüttelte den Kopf und stieß einen Seufzer aus. „Constable Atkins“, sagte er resigniert. „Wie lange machen Sie nun diesen Job?“
„Seit sechs Wochen, Sir.“
„Dann sollten Sie inzwischen wissen, dass es nicht an Ihnen ist, zu Schlüssen über ein Verbrechen oder den Verdächtigen zu kommen. Ich bin der zuständige Kommissar in diesem Fall, und ich werden den Einbrecher ermitteln! Haben Sie verstanden?“, brüllte er.
„Ja, Sie. Tut mir leid, Sir“, antwortete Atkins erschüttert. Er hatte ein knallrotes Gesicht und tat mir ehrlich leid. Der zweite Constable, der zusammen mit Dancer hereingekommen war, stand hinter ihm, mit kerzengeradem Rücken, und schmunzelte, während der junge Rekrut auf demütigende Weise zurechtgewiesen wurde.
„Sie tun gut daran, nicht zu vergessen, welchen Rang Sie bekleiden. Und jetzt machen Sie Ihren Job und helfen mir, die Fakten dieses Falls zusammenzutragen.“
„Ja, Sir. Verzeihung, Sir“, stammelte Atkins kleinlaut und starrte auf seine polierten Stiefel.
„Fakten nennen Sie mir die Fakten, die Sie über die Geschehnisse hier gesammelt haben.“ Constable Atkins verzog das Gesicht und wirkte zutiefst beschämt. Er blätterte durch sein Notizbuch und sagte:
„Ähm, Polizeikommissar Dancer, Sir… Ich habe festgestellt, dass Mr. Hannans Kammerdiener, Mr. Troy, den Dieb um etwa zehn Minuten vor sieben an diesem Morgen entdeckte. Er unterbrach den Dieb, als der Schurke durch das rückwärtige Fenster hier im Salon flüchtete“ – Atkins deutete auf das fragliche Fenster – „Es führt direkt in den Garten hinter dem Haus, durch den er dann entkam.“ Dancer hielt eine Hand hoch, um den Vortrag zu unterbrechen. Er ging im Salon umher, dann nickte er dem Constable zu, mit seinem Bericht fortzufahren. Der andere Polizeibeamte blieb an der Tür stehen und beobachtete alles.
„Mr. Troy entdeckte, dass das Silberkabinett um eine beträchtliche Menge von Gegenständen geplündert worden war. Mr. Hannan informierte mich, dass sein Geschäft das eines Auktionators in Fitzrovia ist. Er sagte, sein Versicherungsagent habe ein Buch mit Photographien des Inhalts des Kabinetts.“ Atkins gestikulierte zu dem verwüsteten Silberschrank.
Während der Befragung seines Constable sah Polizeikommissar Dancer nicht ein einziges Mal in meine Richtung. Es war, als wäre ich überhaupt nicht im Raum.
„Ist jemand geschickt worden, um dieses Buch abzuholen?“, fragte Dancer.
„Ja, ja, Sir. Ein Brief wurde mit einem Botenjungen zum Versicherungsagenten gesandt, vor etwa zwanzig Minuten.“
Erst in diesem Moment wandte Dancer seine Aufmerksamkeit vom Silberkabinett ab und richtete seine bernsteinfarbenen, verschlagenen Fuchsaugen auf mich. Mein Blut gefror zu Eis, und ich trat unbewusst einen Schritt zurück.
„Hannan, richtig?“ Dancer schlenderte durch den Raum auf mich zu und streckte die Hand aus. „Polizeikommissar Jack Dancer“, stellte er sich vor. Ich stand stocksteif da, beide Hände hinter dem Rücken. Der Gedanke, von seiner klammen, fleischigen Hand berührt zu werden, ließ mich schaudern, und so bot ich ihm nicht meine Hand. Er stand vor mir, das Gesicht misstrauisch verzogen, und schien meine Zurückweisung seines Handschlags beleidigend zu finden.
„Ich leide an einer Krankheit“, enthüllte ich ungewollt. „Ich schüttele keine Hände.“ Er musterte mich einen Moment lang, als wäre ich ein Krimineller und nicht tatsächlich das Opfer. Seine Augen glichen denen eines Fuchses – sie waren gerissen und stets fest auf ihre Beute gerichtet. Sie warteten auf den perfekten Moment, um zuzuschlagen. Ich konnte an seiner Knochenstruktur, dem arroganten Aussehen und an der überheblichen Art seines Auftretens erkennen, dass er definitiv von adeliger Abstammung war. Furcht erfasste mich angesichts der Macht und Befehlsgewohnheit des Mannes. Sein Auftreten schrie geradezu ,Ich bin dir überlegen, und du sagst mir besser, was ich wissen will.‘
Ich hatte den Eindruck, dass Polizeikommissar Dancer die Sorte Ermittler war, dem es egal war, wem er auf der Suche nach der Wahrheit auf die Füße trat. Er wollte nur Ergebnisse, soviel war sicher. Ihn interessierte nur die Aufregung der Jagd und der Ruhm des erfolgreichen Fangs. Auf gewisse Weise bewunderte ich Männer wie ihn, Männer, die schworen, sich getreu an das Gesetz zu halten und nicht aufzuhören, bis sie den Täter gefunden hatten, aber tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich auf Messers Schneide lebte. Ein kleiner Schritt nach rechts oder nach links, und ich würde mich in einer gefährlichen Situation wiederfinden. Ich würde sehr vorsichtig im Umgang mit diesem Mann sein müssen. Ein Kerl wie Dancer konnte wahrscheinlich schon aus großer Entfernung einen Lügner entlarven! Und in diesem Fall, Gott steh mir bei, war ich der Lügner! Ich musste die Kontrolle über mein Zuhause zurückgewinnen.
„Ich sage, Herr Kommissar, das hier ist ein garstiges Geschäft. Ich gehe davon aus, dass Sie und Ihre Männer dieses Tohuwabohu mit äußerster Diskretion behandeln werden. Ich hätte es nicht so gern, dass demnächst jeder zwielichtige Reporter Londons an meine Tür klopft“, grummelte ich genau so, wie ein Mann meiner Klasse es in einer solch unangenehmen Lage tun würde.
„Wir alle halten uns sehr genau an Sir Howard Vincents Polizeicode. Jeder Polizist, der über diesen Fall mit der Presse redet, wird auf das Schärfste bestraft werden.“
„Gut, gut.“
„Nun, Mr. Hannan. Wer war der erste, der den Diebstahl bemerkt hat?“ Dancer sprach mit mir, als hätte er nicht ein einziges Wort von dem gehört, was ihm der Constable zuvor berichtet hatte.
„Mr. Troy, mein Kammerdiener. Er weckte mich um etwa sieben Uhr, denke ich. Er hatte den Dieb auf frischer Tat ertappt, als dieser aus diesem Fenster hier flüchtete.“ Ich deutete auf das Fenster.
Dancer schlenderte wiederum an das Schiebefenster und schob es ein wenig höher. Die Damastvorhänge bauschten sich in der eisigen Januarbrise. Die Kälte drang ins Zimmer und prickelte auf meiner Haut wie tausend winzige Nadelstiche. Er streckte seinen Kopf hinaus, schaute hinauf und hinunter und musterte das Blumenbeet unter dem Fenster. Dann, zu meinem Entsetzen, kletterte er hinaus.
Ich wechselte einen verwirrten Blick mit den beiden Constables, dann eilte ich zum Fenster. Es war ein strahlender Morgen mit einem blassblauen Winterhimmel, aber die Brise brachte rasch Wolken mit sich. Dancer war dabei, dass Äußere meines Hauses zu betrachten. Sein Blick wanderte die Mauern auf und ab, fixierte jedes Fenster und jedes Abflussrohr. Dann rief er:
„Constable Barnabus!“ Ich trat zurück, und der zweite Constable eilte ans Fenster. „Hier ist ein verdammt guter Fußabdruck in dem Blumenbeet. Messen Sie ihn und sehen wir, wie groß die Füße des Schurken sind!“, befahl Dancer, „Aber erst helfen Sie mir wieder hinein.“
Constable Atkins eilte ebenfalls ans Fenster, um Barnabus dabei zu helfen, Inspector Dancer zurück ins Zimmer zu ziehen.
„Es war eine geschwinde, ungehinderte Flucht, Mr. Hannan. Es überrascht mich, dass Sie keine Maßnahmen getroffen haben, um Ihr Haus korrekt abzusichern, vor allem, da Sie hier solche Schätze verwahren. Sie sollten ein besseres Schloss an dem Fenster anbringen, und vielleicht einige Stechpalmen in dem Beet darunter pflanzen“, riet er.
Der Pflanzenratschlag überraschte mich, aber ich sah ein, dass ich in Bezug auf die Sicherheit meiner Kollektion nachlässig gehandelt hatte. Ein neues Schloss und ein Stechpalmenbusch konnten bei etwaigen zukünftigen Dieben als Abschreckung dienen.
„Atkins, ich würde gern mit Ihnen unter vier Augen reden, und ich will, dass Sie eiligst zum Hauptquartier zurückkehren und einen Fotografen herschicken. Bringen Sie auch das Stuckgips-Set mit, wenn Sie zurückkommen. Machen Sie einen Abdruck von der Fußspur. Barnabus, es wird gleich regnen, bedecken Sie den Fußabdruck, um ihn zu erhalten, und schauen Sie sich in der Gasse hinter dem Haus und auf dem Platz gründlich um, um zu sehen, ob da vielleicht irgendwas fallen gelassen wurde. Dann gehen Sie von Tür zu Tür und befragen die Anwohner, vor allem die Hausdiener – die sind gewöhnlich die ersten, die am Morgen schon auf sind. Dieser Platz ist stets geschäftig, irgendjemand muss die Flucht beobachtet haben.“, instruierte Dancer.
Ich wusste genau, dass der Fußabdruck bei der Identifizierung des Täters keine Hilfe sein würde. Als wir Euan aus den Fängen der Kabale befreit hatten, trug er keinen Faden am Leib, und ganz sicher keine Schuhe. Alles, was Euan anhatte, gehörte mir. Sodass diese Richtung der Ermittlung gewiss in einer Sackgasse enden würde.
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Während die beiden Constables ihren Pflichten nachgingen, sagte Polizeikommissar Dancer, er wolle Troy einige Fragten stellen. Er verschwand für mehrere Minuten irgendwo in meinem Haus, dann kehrte er zurück in den Salon. Dort saß er nun schwer in einem Lehnsessel und seufzte. Dann machte er eine Geste, die mich aufforderte, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Mein Kragen fühlte sich zu eng an, und mir war warm, obwohl es im Salon eisig kalt war.
„Na gut“, sagte ich und setzte mich. Ich musste mich wappnen und mich auf mein höchstes Gut konzentrieren, meine gegenwärtigen und früheren Geliebten vor Verdächtigungen zu schützen.
„Mr. Hannan. Ich habe Fragen an Sie, die diese Ermittlung betreffen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie so offen sein könnten wie möglich. Ihre Antworten mögen sehr wohl die Identität des Schurken enthüllen.“
„Wollen Sie sich keine Notizen machen?“, fragte ich, verwirrt darüber, dass Dancer einfach so dasaß, die Hände vor dem Bauch gefaltet, und mich mit seinen Fuchsaugen anstarrte.
„Oh, nein. Mein Verstand arbeitet wie ein Tellereisen. Was er einmal geschnappt hat, lässt er nicht mehr los.“ Er klatschte in die Hände, um den Vergleich zu betonen, dann grinste er vor Freude, mich erschreckt zu haben. „Ich mag Puzzles“, fuhr Dancer fort, „Und ich erinnere mich an alles. Man weiß nie, welches kleinste Detail sich möglicherweise als Schlüssel zur Lösung des Falls herausstellt. Ich bin höchst entschlossen, diesen speziellen Einbrecher in die Finger zu kriegen.“
Dancer schien ein würdiger Gegner für meinen brillanten Sebastian zu sein. Diese Erkenntnis bereitete mir große Sorge.
Dancer begann sein Verhör mit einer harmlosen Frage. „Wie viele Personen wohnen hier im Haus?“ Ich hatte die Romane von Conan Doyle gelesen und bemerkt, dass der Detective in seinen Büchern seine Zeugenverhöre immer erst mit einer einfachen Frage begann. Dancer wiegelte mich in trügerischer Sicherheit. Aber ich würde nicht mit mir spielen lassen!
„Sechs. Der Hausmeister und zwei Dienstmädchen haben Zimmer unter dem Dach, das Quartier meines Hausdieners befindet sich im Untergeschoss, und mein Kammerdiener hat ein Zimmer im zweiten Stock. Meine Privatgemächer sind im ersten Stock.“
„Keine Mrs. Hannan?“ Der Mann fixierte seinen fragenden Blick auf mich, und ich starrte ihn wütend an.
„Nein. Und ich sehe nicht, was Sie das angehen würde.“ Ich antwortete schnippisch, bereute meinen harschen Ton aber, sobald die Worte meine Lippen verließen. „Ich kann nicht sehen, wie eine so impertinente Frage dabei helfen könnte, den Schurken zu finden!“ Ich blickte Dancer fest in die Augen und sah, wie seine Mundwinkel zuckten. Mit meinem Ausbruch hatte ich mir gewiss keinen Gefallen getan. Er hatte mich provoziert, und meine scharfe Reaktion war genau das, was er damit hatte erreichen wollen.
„Verzeihung, Verzeihung.“ Dancer hob beschwichtigend die Hände. „Sie sind als… Junggeselle bekannt.“ Seine Augen leuchteten voller Neugier.
Ich wusste, oh, ich wusste genau, worauf er anspielte. „Ich habe nicht den Wunsch zu heiraten, und ich sehe nicht, was mein Mangel an einer Ehefrau damit zu tun hat, einen Einbrecher stellen“, beklagte ich mich. Ich konnte dem Blick seiner honigfarbenen Augen nicht länger ertragen. Also stand ich auf und trat an den Kaminsims. Dancer blieb stumm, aber aufmerksam. Ich massierte meine Nasenwurzel. Der Kopfschmerz wurde schlimmer.
„Vergeben Sie mir. Ich wurde heute Morgen recht früh und unsanft aus dem Schlaf gerissen und hatte bis jetzt noch kein Frühstück.“ Ich drehte mich zu ihm um und bot ihm ein müdes Lächeln an.
Dancer tippte sich mit einem Finger an die Unterlippe, als wäre er tief in Gedanken. „Ich verstehe, dass eine solche Befragung unangenehm sein kann. Ich will Sie auch nicht allzu lange aufhalten.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich will nur die bekannten Fakten sammeln. Und die Fakten sind, dass in Ihrem Heim ein Verbrechen stattgefunden hat, eine beträchtliche Menge Silber gestohlen wurde, und niemand, abgesehen von Ihrem Kammerdiener, hat etwas gesehen oder gehört. Die erste Regel in diesem Fall besagt, dass Ihr Mr. Troy als Dieb in Erwägung gezogen werden muss, und dass seine Aussage reine Fiktion ist.“
„Nein!“ Ich wandte mich vom Kaminsims ab und starrte den Mann scharf an. „Das ist empörend! Mr. Troy ist seit vielen Jahren bei mir. Er ist ein beispielloser Diener und ein guter, christlicher Mann.“
Erneut hielt Dancer die Hände hoch, um mich zu beruhigen.
„Atkins durchsuchte Troys Zimmer, bevor ich eintraf, und es wurde kein Silber gefunden.“
Verdammt sollte der Kerl sein. Ich hatte ihn zum Teetrinken in die Küche geschickt, und er hatte im Haus herumgeschnüffelt, ohne mich um Erlaubnis zu fragen.
„Ich bemerkte auch, dass seine Schuhgröße eine andere ist als die des Diebes, daher betrachte ich seine Rolle in dieser traurigen Geschichte als unverdächtig. Ich glaube, dass er genau so unvermittelt über das Verbrechen gestolpert ist, wie er es geschildert hat.“
Ich entspannte mich ein wenig, als ich hörte, dass nicht länger in Erwägung gezogen wurde, dass Troy in den Diebstahl verwickelt war.
„Meine primäres Problem ist es, das Motiv des Diebes zu verstehen. Was glauben Sie, was das ist, Mr. Hannan?“
„Was ich glaube?“, rief ich entrüstet aus. „Was ich glaube?“, wiederholte ich. Das Hin und Her und die Wendungen von Dancers Fragerei gingen mir auf die Nerven. „Sein Motiv ist dasselbe wie bei jedem anderen Dieb. Er braucht Geld und Mittel und will vom Verkauf meines Silbers profitieren.“ Ich hatte Mühe, vor diesem impertinenten Mann mein Temperament im Zaum zu halten.
„Hmm, das ist ein Motiv, aber was ist mit Furcht?