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Beschreibung

Kultur hat andere Referenzpunkte ihres Wirkens als die Grenzen von Staaten. Was ist Innen, was ist Außen? Ist Außen nicht auch Innen geworden und das neue Innen Basis eines veränderten Außen? Angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Digitalisierung, Ungleichheit und Corona-Pandemie sind Innenkulturpolitik und Außenkulturpolitik mehr denn je aufeinander angewiesen und müssen konsequent aufeinander bezogen sein. Doch es gibt derzeit zu wenig Synergien zwischen beiden Politikfeldern. Nach wie vor besteht die Gefahr, dass die Außenkulturpolitik zu wenig davon vermittelt, wie das Land sich aus innenkulturpolitischer Perspektive darstellt, und die Innenkulturpolitik zu wenig versteht, in welchen größeren Zusammenhängen sie auch außerhalb ihrer staatlichen Grenzen wirkt. Der Band Innen – Außen. Perspektiven einer integrierten Kulturpolitik lotet aus, wie eine integrierte Kulturpolitik gestaltet werden könnte, in der das Innen und das Außen stärker ineinandergreifen. Dabei werden Wege für neue Synergiebildung, Bezüge und langfristige Kooperationen aufgezeigt.

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Ronald Grätz und Markus Hilgert (Hg.)

Innen — Außen

Perspektiven einer integrierten Kulturpolitik

Steidl

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Vorwort der Herausgeber

Michelle Müntefering, Ein neuer Reiseführer für unser globales Dorf

Sigrid Weigel, Interkulturelles Expertenwissen nutzen

Carsten Brosda und Andreas Görgen, Diversität im Innern und im Außen gemeinsam gestalten

Hortensia Völckers, »talk to the people« – Postkoloniale Aufbrüche in transnationalen Kooperationsprojekten

Johannes Ebert, Die AKBP ist ein multipolares Geflecht. Einige Gedanken zur Verschmelzung von Innen und Außen in der Kulturpolitik und zur Rolle des Goethe-Instituts

Peter Limbourg, Das Innen nach Außen? Oder was wohin? Zur Arbeit der Deutschen Welle

Hartmut Dorgerloh, Wie das Humboldt Forum Innen und Außen verbindet

Odila Triebel, Weltoffen statt total glokal

Olaf Zimmermann, Wo sind die Freigeister?

Günter Winands, (Innen-) Kulturpolitik in Deutschland. Geschichte und Perspektiven auf Bundesebene

Annika Hampel, Die Geschichte der Auswärtigen Kulturpolitik in Deutschland

Ulrike Guérot, Ein Europa?

Stuart MacDonald und Andrew Murray, Innen und Außen in der Kulturpolitik der Europäischen Union

Maria Hirvi-Ijäs und Sakarias Sokka, Grenzen überschreiten in der heimischen Kulturpolitik – das Beispiel Finnland

Katrin Maiste, Kultur sammeln, synthetisieren und übersetzen – das Beispiel Estland

Camilla Mordhorst, Einfluss nehmen in einem kleinen Land – das Beispiel Dänemark

Rafael Soriano Ortiz, Das Instituto Cervantes: Weltoffene Kulturdiplomatie

Aušrinė Žilinskienė, Offen für kreative Kollaboration – das Beispiel Litauen

Eckart Köhne, Die Museumsarbeit als Synergiefeld zwischen Innen- und Außenkulturpolitik

Mohamed Al Mubarak, Kulturpolitik in den Vereinigten Arabischen Emiraten – das Lokale, Nationale und Internationale verbinden

Marc Grandmontagne, Ulrich Khuon und Birgit Lengers, Das Theater als Schwellenraum

Helena Waldmann, Die Diebe der Kunst

Georg Schütte und Thomas Brunotte, Synergien von Innen und Außen in der Wissenschaft

Über die Beiträgerinnen und Beiträger

Impressum

Vorwort der Herausgeber

Innen- und Außenkulturpolitik leben in einer seltsamen Beziehung. Man kennt sich etwas zu lange und lässt dem Anderen seine Eigenwilligkeiten lieber durchgehen, als sich auseinanderzusetzen, um eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. So lebt man fast beziehungslos nebeneinander her. Gleichzeitig besteht auch eine gegenseitige Anziehung, eine tiefe Sehnsucht nach dem Anderen – eine Hassliebe?

Manchmal werden Innen- und Außenkulturpolitik auch als zwei Seiten einer Medaille bezeichnet. Da Münzen aber selten auf dem Rand stehen bleiben, ist letztlich immer einer oben und einer unten. Dadurch ergeben sich zu wenig Synergie, zu wenig wechselseitiger Bezug, zu wenig Gemeinsamkeit. Es besteht die Gefahr, dass die Außenkulturpolitik zu wenig von dem Deutschland vermittelt, wie es tatsächlich ist, und die Innenkulturpolitik zu wenig versteht, wo sie sich global befindet.

Dabei sind Innen- und Außenkulturpolitik – nicht nur in Deutschland – angesichts gegenwärtiger und wohl auch künftiger Herausforderungen weltweit wie Nationalismus, Abschottung, Rassismus und einer Politik etablierter Ungleichheit mehr denn je aufeinander angewiesen, um im Sinne kultureller Vielfalt, antidiskriminatorisch und zur Wahrung von Freiheit und Menschenrechten wirken zu können.

Die tiefgreifende Veränderung der Lebenswelt durch Digitalisierung verändert die Formen und Inhalte der Kommunikation –im jeweils eigenen Land, aber auch in den grenzüberschreitenden Beziehungen. Kultur, kulturelle Projekte und Produkte sind Kernkommunikationen jeder Gesellschaft. Die Umwälzungen durch den Klimawandel sowie durch Flucht- und Migrationsbewegungen, die gesellschaftlichen Zusammenhalt fordern, benötigen Bewältigungsstrategien innerhalb der Länder und Regionen – und den Blick über den Tellerrand auf globale Zusammenhänge und auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens. Auch die Covid-19-Pandemie zeigt, dass ein Dichtmachen der Grenzen und das Schnüren nationaler Maßnahmenpakete nur eine erste Schadensbegrenzung sein können und dass eine Überwindung der globalen Bedrohung nur durch das Lernen von den Erfahrungen der Anderen, den Austausch von Wissen und ein kollektives, solidarisches Handeln gelingen kann. All diese Herausforderungen erfordern einen geschärften Blick auf den eigenen politischen, ökonomischen und kulturellen Kontext und gleichzeitig eine internationale Vernetzung. Innen ist Außen und Außen ist Innen. In einer globalisierten und digitalisierten Welt sind Innen- und Außenkulturpolitik nur als Einheit denkbar.

Deshalb wollen in diesem Buch versuchen, die ›Münze zu drehen‹, sodass sie nicht mehr auf nur eine Seite fällt, sondern auf dem Rand rotiert. Zahl und Wappen sollen ineinander verschmelzen und ein – vielleicht noch unscharfes – gemeinsames Bild ergeben.

Es geht uns deshalb darum, Möglichkeiten der Synergiebildung, neuer Bezüge und langfristiger Kooperationen von Kulturinnen- und -außenpolitik auszuloten. Wir wollen einen Raum zur gemeinsamen Reflexion schaffen – in diesem Band und in der Folge. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge in diesem Band wurden eingeladen, zu den Aspekten, die die Herausgeber für wichtig erachten, aus dem jeweiligen Bereich und der Perspektive der Innenkulturpolitik und Außenkulturpolitik Grundsatzüberlegungen anzustellen und / oder gelungene Praxis zu reflektieren. Bei dem Versuch einer solchen ›integrierten‹ Sicht auf Innen- und Außenkulturpolitik geht es um mehr als darum, Themen und Inhalte der Innenkulturpolitik auf internationale Ebene zu ›transponieren‹ oder die Außenkulturpolitik lediglich als eine weitere ›Dimension‹ des innenkulturpolitischen Handelns wahrzunehmen. Vielmehr sollten beide Sphären konsequent aufeinander bezogen sein.

Dies umfasst zum einen die Darstellung dessen, was bereits erfolgreich unternommen wird und welche Erfahrungen gemacht wurden, zum anderen Vorschläge für neue, kreative ›Experimente‹, Perspektiven und Möglichkeiten.

Ein solcher Versuch ist naturgegeben fragmentarisch, ein Schlaglicht, zeitbedingt. Aber in der Summe der Beiträge zeigt sich das breite Spektrum gemeinsamer Fragestellungen, Sichtweisen und Desiderata. Interessant ist dabei für uns, was gegebenenfalls möglich wäre – nicht, was nicht ist.

Neben grundsätzlichen Darstellungen zum momentanen Stand der Strategien und Konzepte der Innen- und Außenkulturpolitik finden sich in dem Band Erfahrungen von Kulturakteuren und –akteurinnen sowie von Ländern innerhalb und außerhalb Europas.

Unter anderem fragen die Autorinnen und Autoren nach dem Denken in nationalstaatlichen Kategorien als Konstituente der Abgrenzung von Innen- und Außenkulturpolitik. Welche Geschichte steht dahinter? Was ist in globalisierten Zeiten sinnvoll und erforderlich?

Weiterhin geht es um Europa nicht nur als ökonomisches, sondern auch als kulturelles Projekt. Dennoch betreiben die Mitgliedstaaten der EU ihre jeweils eigenen Kulturpolitiken im In- und Ausland. Die Eigenschaften und Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten der EU und auch die Differenzen untereinander spiegeln sich in ihren jeweiligen Kulturpolitiken. Dabei bestimmen historische Erfahrungen wie beispielsweise der Kolonialismus sowohl Inhalte als auch Zielgruppen mancher Kulturpolitik im In- und Ausland. Es zeigen sich auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das System Kulturpolitik strukturiert sein sollte und welche Ziele es verfolgt: Nation-Branding? Förderung der Wirtschaft über die Kulturindustrien? Stärkung der Zivilgesellschaft und Bereitstellen von Freiräumen für Kreativität und Reflexion über Mittlerorganisationen, die gebührenden Abstand zu Politik und Geldgebern wahren? Wie sieht das Verhältnis von Innen- und Außenkulturpolitik in einzelnen Mitgliedstaaten der EU aus, und wo werden Synergien auf eine Art und Weise genutzt, von der andere Mitglieder lernen können?

Auch die Kulturpolitik der EU kommt zur Sprache: Wie ist es um eine gemeinsame europäische Außenkulturpolitik gegenüber Drittstaaten bestellt? Mit der Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) wurde das institutionelle und personelle Gefüge für die außenkulturellen Beziehungen der EU geschaffen. Welche Erfahrungen wurden bislang damit gemacht? Wie stark wird auf innenkulturpolitische Strukturen, Akteure, Programme und Initiativen zurückgegriffen, wenn es darum geht, die Außenkulturpolitik gegenüber Drittstaaten zu gestalten?

Zahlreiche Themen beschäftigen die Innen- wie die Außenkulturpolitik, viele Arbeitsfelder im Kultursektor benötigen eine Expertise aus beiden Bereichen. Wo gehören Synergien zwischen Innen- und Außenperspektive in der Kulturarbeit bereits zum Alltag, und wie lassen sich diese Synergien künftig noch besser nutzen?

Die Bildstrecke dieses Bandes umfasst Aufnahmen des Fotografen Götz Schleser. Auch hier geht es um das Verhältnis von Innen und Außen – wenngleich nicht im geographischen, sondern im metaphorischen Sinne. Die Bilder von halberleuchteten Straßenfluchten und Bahntrassen, von leeren Treppen, verlassenen Konzertsälen und trüben Wasserspielen zeigen eine inhumane und ausgrenzende Seite von Kultur. Und doch wirkt es so, als warteten die Orte nur darauf, wieder in Besitz genommen, belebt und beseelt zu werden – auf dass die Kultur ihr Angebot der Begegnung und Teilhabe wieder voll entfalten könne. Wir danken Götz Schleser, dass er seine Bilder zur Verfügung gestellt hat.

Außerdem danken wir Dr. Mirjam Schneider für die redaktionelle Betreuung des Bandes und Daniel Frisch vom Steidl-Verlag für das Lektorat und die Zusammenarbeit. Unser Dank gilt auch allen Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen zum Gelingen des Buches beigetragen und die Diskussionen beflügelt haben. Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, wünschen wir eine anregende und inspirierende Lektüre.

Roland Grätz/Markus Hilgert (Hg.)

Ein neuer Reiseführer für unser globales Dorf

Von Michelle Müntefering

Es ist einer der großen Widersprüche unserer Zeit: Die Welt wächst zusammen und rückt gleichzeitig auseinander. Der »Lonely Planet« ist längst zu einem globalen Dorf geworden. Wir erfahren in Echtzeit, was Tausende von Kilometern entfernt passiert. Bewegungen wie »Me Too« und »Black Lives Matter« verbreiten sich über soziale Medien in rasantem Tempo über den gesamten Planeten.

Gleichzeitig erleben wir eine zunehmende Tendenz, das vorgeblich »Eigene« von »den Anderen« abgrenzen zu wollen. In dem Moment, in dem uns die technischen Mittel zur Verfügung stehen, Begrenzungen von Raum und Zeit zu überwinden, werden neue geistige Mauern errichtet, die versuchen, Innen und Außen wieder voneinander zu trennen.

»America First« war der vielleicht klarste Ausdruck dieses Denkens: Wir (Innen) gegen die Anderen (Außen). Präsident Trump wurde abgewählt. Der Trumpismus jedoch wird uns wohl noch länger begleiten.

Kulturpolitik muss Antworten auf diese Spannungsfelder in unseren Gesellschaften finden, sie muss Brücken schlagen, auch über tiefe Risse in aufgeheizten Debatten.

Dafür muss sie ihre Strukturen und Instrumente anpassen, um im gesellschaftlichen Wandel demokratische Impulse und einen Rahmen für Fortschritt und Zusammenhalt geben zu können.

Mehr Multilateralismus, mehr Europa

Kultureinrichtungen und Stiftungen arbeiten heute längst selbstverständlich international. Städte und Regionen sind zu global vernetzten Akteuren geworden. Neue virtuelle Formate machen Zusammenarbeit über Grenzen hinweg einfacher, und doch sehen wir in der Corona-Krise, wie wesentlich die persönliche Begegnung ist.

Die schematische Aufteilung von Kulturinnen- und Kulturaußenpolitik mit ihren unterschiedlichen Strukturen und Förderinstrumenten stammt aus einer Zeit, als der Planet tatsächlich noch ziemlich »lonely« war. Sie ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Wir brauchen ein kulturpolitisches Update: eine Europäisierung unserer Kulturpolitik, die Einbeziehung der Städte als internationale Akteure im Rahmen einer »Urban Diplomacy«, einhergehend mit einer Stärkung des Multilateralismus, flexibleren Förderinstrumenten und einer viel engeren Verknüpfung von Kulturinnen- und Kulturaußenpolitik sowie der Wissenschaftsdiplomatie.

Die Grundlage für eine stärkere europäische Zusammenarbeit bei der internationalen Kulturpolitik haben wir mit der »Strategie für Internationale Kulturbeziehungen der EU« bereits gelegt. Während unserer Ratspräsidentschaft haben wir uns zudem dafür eingesetzt, das Instrument NDICI (das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und Internationale Zusammenarbeit) für die europäische Kulturförderung zu öffnen.

Daran gilt es jetzt anzuknüpfen. Bei Themen wie dem Schutz von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit oder dem Kulturerhalt können und sollten wir als Europäer sehr viel enger zusammenarbeiten. Teilhabe und Vermittlung von Medienkompetenz sowie kulturelle Bildung müssen als gemeinsamer europäischer Auftrag begriffen werden, denn Kulturpolitik darf nicht ausschließen, sondern muss auch Verständnis schaffen für ihre Anliegen, für Offenheit, für Diskurs, für das Erleben des Anderen, für kreative Schaffensprozesse. Daneben bleibt die Stärkung der UNESCO als dem zentralen multilateralen Forum für internationale Kulturpolitik eine wichtige Aufgabe.

Gemeinsam statt nebeneinander arbeiten

Zweitens ist es wichtig, altes Schubladendenken auch strukturell hinter sich zu lassen, wenn es zum Beispiel um Förderkriterien, Finanzierungsfragen und institutionelle Grenzen geht. Kunst und Kultur sind oft viel globaler und vernetzter als die gegenwärtigen Förderstrukturen. Es wird Zeit, auch hier neue Konzepte zu entwickeln, die der föderalen Vielfalt Rechnung tragen und zugleich die unterschiedlichen Ebenen besser miteinander verzahnen und koordinieren.

Die Künste sind ein fester Bestandteil unserer Demokratie in ihrer ganzen Vielfalt – ihr Wesen und Wirken ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wesentlich. Deswegen sollte die Kultur auch als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden.

Bund, Länder und Kommunen sollten miteinander statt nebeneinander an der Stärkung der Kultur arbeiten. Was man alles erreichen kann, wenn die unterschiedlichen Ebenen eng zusammenwirken, zeigen die Diskussion und die Ergebnisse der letzten drei Jahre: die Leitlinien zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam entwickelt haben. Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte zeigt, wie wichtig nicht nur die Zusammenarbeit der Institutionen, sondern auch die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses ist, ohne das ein solcher Prozess zum Scheitern verurteilt wäre. Und natürlich braucht es auch hier ganz besonders das Zusammenwirken von Innen und Außen, die Verständigung mit den Herkunftsgesellschaften und -Staaten.

Zu einer engeren Verzahnung von Innen und Außen gehört aber auch, dass die Mittlerorganisationen des Auswärtigen Amtes in Zukunft noch stärker auch in die deutsche Gesellschaft hineinwirken. Internationale Kulturpolitik generiert Wissen und Ideen, deren Potenzial wir viel mehr nutzen sollten. Ich denke hier zum Beispiel an die Integration von Menschen, die neu zu uns kommen, aber auch an den Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und nicht zuletzt an die Umsetzung der Agenda 2030 mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen.

Was uns ausmacht und was uns bewegt

Damit das gelingen kann, muss unsere Kulturpolitik aber auch selbst die Vielfalt unserer Gesellschaft stärker widerspiegeln. Inzwischen hat jeder vierte Mensch in Deutschland Eltern oder Großeltern, die neu nach Deutschland gekommen waren. Viele dieser Menschen sprechen mehrere Sprachen und verfügen über einen enormen Schatz an interkultureller Kompetenz, den wir intensiver nutzen und entsprechend auch unsere Institutionen diverser gestalten sollten. Denn: Viele der aktuellen Fragen sind im Kern kulturelle Fragen.

Das alles ist kein Selbstzweck. Kulturpolitik muss in den kommenden Jahren tiefgreifende Veränderungsprozesse gestalten. Die Öffnung und Neuausrichtung unserer internationalen Kulturpolitik hat ein klares Ziel. Wir werden die großen globalen Herausforderungen nicht lösen können, wenn wir nicht über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Planetares Denken für globales Handeln ist nur möglich, wenn es uns gelingt, das Denken in nationalen Grenzen zu überwinden.

Das war übrigens schon immer so: Gerade erst wurde auf Antrag mehrerer europäischer Länder das Bauhüttenwesen in das UNESCO-Register guter Praxisbeispiele aufgenommen. Ohne das Bauhüttenwesen wären viele große Bauten wie etwa der Dom in Naumburg oder in Köln niemals möglich gewesen. Werkstätten des europäischen Handwerks haben schon immer international gearbeitet und Wissen geteilt. Was früher für den Bau von gotischen Kathedralen zentral war, gilt heute in unserer globalisierten Welt erst recht, zum Beispiel wenn es um den Klimaschutz geht: Innovation entsteht durch Austausch und Kooperation.

Internationale Kulturpolitik ist grenzenlos

Tendenzen zu Globalisierung und Abschottung stehen heute nebeneinander. Die Zukunft ist so offen wie schon lange nicht mehr. Noch ist nicht klar, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Eins aber ist bereits klar: Internationale Kulturpolitik darf bei dieser Aushandlung nicht am Seitenrand stehen. Sie kann und muss ihr Gewicht in die Waagschale werfen.

Auch in der Kulturpolitik ist Fortschritt möglich. Wir müssen uns daran machen, die Veränderung zu gestalten. Es geht nicht darum, die Welt neu zu erfinden, aber zumindest darum, sie in Zukunft etwas besser zu machen. Das Zusammenleben der Menschen als kulturelle Aufgabe zu begreifen und politisch die besten Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, ist gemeinsame Verantwortung all derer, die daran mitwirken.

Dafür braucht es Konzepte, Ideen und den Mut, neue Wege zu gehen. Um im Bild zu bleiben: Die Tipps und Karten aus dem guten alten »Lonely Planet« zu den schönsten Orten und interessantesten Plätzen dieser Welt sind auch in Zukunft nicht obsolet. Für ein gutes Zusammenleben in unserem globalen Dorf braucht es aber eine neue Kartierung – für eine Kulturpolitik, die Grenzen überschreitet.

Interkulturelles Expertenwissen nutzen

Von Sigrid Weigel

Als Hans von Herwarth (damals Staatssekretär im Bundespräsidialamt, später in den 1970er-Jahren Präsident des Goethe-Instituts) 1965 formulierte, dass Auswärtige Kulturpolitik im eigenen Land beginnen müsse (von Herwarth 1965: 407), und Ralf Dahrendorf (damals Staatssekretär im AA) 1969 den Übergang von einer Außenpolitik der Staaten zu einer Außenpolitik der Gesellschaften postulierte (Dahrendorf 1969: 1255), war nicht absehbar, wie viele Jahrzehnte ins Land gehen würden, bis sich diese Einsichten mehr und mehr durchsetzen würden. Jüngst ist im Diskurs zur AKBP die Verbindung von Innen und Außen immer deutlicher in den Vordergrund gerückt, ohne dass jedoch Konsens darüber bestünde, was darunter zu verstehen sei. Während manche eine Lösung in der Zusammenlegung der Innenkultur- und Außenkulturpolitik – etwa in einem Bundeskulturministerium (Zimmermann 2018: 26) – sehen oder auch größere Kohärenz in den Aktivitäten der verschiedenen Mittlerorganisationen fordern, denken andere dabei eher an die Einbindung der Zivilgesellschaft im Inland und in den Partnerländern als Teil einer seit langem diskutierten Neuausrichtung der Auswärtigen Kulturpolitik in ihrer Verpflichtung zur Demokratieförderung, Begleitung von entwicklungspolitischen Transformationsprozessen und auf die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt.

Solche Gegensätze sind Symptom unterschiedlicher Vorstellungen von Kultur und der Rolle Auswärtiger Kulturpolitik: Kultur als Instrument zur »Förderung eines positiven Deutschlandbildes im Ausland« (Grütters 2010: 55) oder zur Krisenbewältigung, als Joker im Wettbewerb der Systeme bzw. Narrative, oder aber Kulturpolitik – verstanden als interkultureller Austausch und internationale Gesellschaftspolitik –, die kultur- bzw. bildungspolitische Initiativen aus Deutschland mit Akteuren der Partnerländer vernetzt. Nebenschauplätze dieser Kontroverse sind die Debatte über einen »erweiterten Kulturbegriff«, die Bedenken gegenüber einer Instrumentalisierung oder einer Überforderung der AKBP und die Sorge, dass die ordnungspolitische Ausrichtung des kulturpolitischen Engagements auf Kosten des künstlerischen Niveaus der geförderten Vorhaben gehen könne.

Die Tatsache, dass die Forderung einer Neuausrichtung den Diskurs über die AKBP wie ein Cantus firmus begleitet, muss kein schlechtes Zeichen sein. Denn die Ziele, Aufgaben und auch die Grenzen Auswärtiger Kulturpolitik bedürfen angesichts sich verändernder Herausforderungen in den Partnerländern vor Ort oder akuter Krisen und Notlagen einer permanenten Reflexion. Aufgrund der dramatischen Verschiebungen der wirtschafts- und geopolitischen Kräfteverhältnisse im Zeichen der Globalisierung, in deren Folge zahlreiche Steuerungsfunktionen von der Politik auf transnationale Konzerne übergegangen sind, gilt es, Kulturpolitik noch einmal von Grund auf neu zu bestimmen. Dass die immer gleichen Streitfragen zur AKBP in regelmäßigen Abständen wiederkehren, zeugt aber davon, dass die Debatte in vielerlei Hinsicht hinter dieser Aufgabe und auch hinter der Praxis der AKBP zurückbleibt.

Erweiterter bzw. offener Kulturbegriff

Die AKBP geht in der Praxis schon deshalb von einem offenen Kulturbegriff aus, weil »Kultur« in unterschiedlichen Regionen, Sprachen, ethnischen oder religionsspezifischen Gruppierungen durchaus Verschiedenes bedeutet und in sehr verschiedener Form zum Ausdruck kommt. Ein erweiterter Kulturbegriff meint auch mehr und anderes als »eine additive Hinzufügung von Bildung, Religion und Wissenschaft zur Kunst« (Fuchs 2006:41-45). Wogegen ein enger Kulturbegriff, der Kulturpolitik mit Kunstförderung gleichsetzt, das Produkt einer spezifisch europäischen Geschichte ist; in ihr werden die geschichtlich entstandenen Einrichtungen, die Kunst produzieren, lehren und präsentieren, zusammenfassend als Kulturbetrieb definiert. Aufgrund international unterschiedlicher Kultur- und Kunstformen geht eine erfolgreiche Auswärtige Kulturpolitik den Weg, in- und ausländische Köpfe, Interessen und Themen in Gestalt bi- oder multilateraler Netzwerke zu fördern.

Kulturpolitische Ambitionen, die über die Vermittlung von Sprache, künstlerischen und literarischen Werken aus Deutschland hinausgehen, gehen keineswegs auf Kosten der Qualität, wenn sie die »kulturpolitische und zivilgesellschaftliche Kraft der Künste« nutzen (Lehmann 2020:22). Dagegen werden Künste und Künstler, die ins Ausland geschickt werden, um ein angemessenes Deutschlandbild zu vermitteln (wie im traditionellen Konzept der AKBP), auf ihre Rolle als Repräsentanten einer nationalen Kultur reduziert. Eine solche Rolle korrespondiert mit der Reduzierung von Künstlern anderer Länder auf Vertreter ihrer Kultur im »interkulturellen Dialog«, wenn Beiträge von Autoren, Videokünstlern, Tänzern, Musikern oder Intellektuellen z.B. als »arabische, muslimische Kunst« präsentiert und für eine »arabisch-islamische Identität« in Anspruch genommen werden, anstatt sie als individuelle, genuine Aussagen wahrzunehmen (Knopp 2007).

Zusammenlegung und Kohärenz

Für das Ziel einer stärkeren Verknüpfung von Innen und Außen wäre eine Zusammenführung von Bundeskulturpolitik und Außenkulturpolitik in einem Ressort eher kontraproduktiv; dies nicht nur, weil sie der föderalen Dimension deutscher Kulturpolitik widerspräche. Auch hat die inländische Kulturpolitik im Wesentlichen den Charakter einer an Sparten und Institutionen ausgerichteten Förderpolitik, während eine zeitgemäße Außenkulturpolitik ressortübergreifend, dezentral und transnational agieren muss und auf das Engagement unterschiedlichster Akteure im Innern und in den Partnerländern angewiesen ist.

Zudem widersprächen Zentralisierung und vereinheitlichte Zielsetzung der erfolgreich durchgeführten Dezentralisierung der Arbeit der Goethe-Institute, mit der die Programmverantwortung auf 14 »Weltregionen« verlagert wurde. Auf diese Weise kann sich die Programmarbeit direkt auf die konkreten Erfahrungen, das regionale Wissen, die aktuelle Lage und die Bedürfnisse in den jeweiligen Partnerländern stützen.1

Da inländische Kulturförderung und Außenkulturpolitik unterschiedliche Aufgabengebiete haben und von unterschiedlichen Kulturbegriffen ausgehen, erfordert ein verstärktes Ineinander von Innen und Außen eine übergreifende, ressortpolitisch asymmetrische Kooperation. Das Aufgabenfeld der AKBP ist – im Blick auf die Herausforderungen und Aufgaben – vielleicht stärker noch mit der Politik anderer Ressorts verbunden als mit dem Bundeskulturministerium.

Außenwirtschaftspolitik und Kulturpolitik

Kulturelle Vielfalt ist nicht nur Ziel der AKBP, sie ist zugleich Voraussetzung für und elementarer Bestandteil nachhaltiger Entwicklung (Müller 2016: 177-180). So scheint es unstrittig, dass die Aufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik eng mit denen des BMZ verknüpft sind. Die AKBP ist aber mindestens genauso stark mit den entwicklungspolitischen Effekten verbunden, die die deutsche Politik generell und insbesondere die Wirtschafts- und Umweltpolitik in den Partnerländern zeitigen.

Die Teilhabe an Kultur und Bildung sind ein Menschenrecht und kein Instrument, weder »für den Wettbewerb der Systeme noch für eine Instrumentalisierung im Dienst der Hegemonie oder der Wirtschaftsförderung« (Lehmann 2012: 203). Eher verhält es sich umgekehrt so, dass Außenhandels- und -wirtschaftspolitik Instrumente globaler Kulturpolitik sind. Als solche müssen sie allerdings erst noch ins politische Bewusstsein treten, indem ihre kulturpolitischen Folgen und Nebenwirkungen als Handlungsmaßstab anerkannt werden. So könnte beispielsweise das seit langem geplante, aber immer wieder blockierte Lieferkettengesetz ein effektives Instrument der Auswärtigen Kulturpolitik sein, wenn ihm nicht im Verlaufe der Verhandlungen die Reichweite auf ein Minimum gestutzt worden wäre. Denn Kinder, die arbeiten (etwa in den westafrikanischen Kakaoplantagen) können nicht zur Schule gehen, sind in der Folge von der Partizipation an Kultur und Bildung ausgeschlossen und fallen somit als Adressaten bildungspolitischer Projekte der AKBP aus.

Auswärtige Kulturpolitik, die im eigenen Land beginnt

Unter den heutigen Bedingungen der ökologisch, sozial und politisch entgleisten Globalisierung beginnt Auswärtige Kulturpolitik mehr denn je im eigenen Land. Sie beginnt u.a. am Ladentisch, wo man sich entscheidet, welche Schokolade man kauft und welche Kleidung man trägt. Die zunehmende Sensibilisierung für die ethische Dimension unseres Konsums und die Aufklärung über Kinder-, Zwangs- und Sklavenarbeit, über gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen und ökologisch verheerende Anbau- und Produktionsweisen muss allerdings folgenlos bleiben, wenn diese in den Endprodukten unsichtbar sind und solange die Konsumverantwortung allein der privaten Kaufentscheidung überantwortet bleibt.

Wo es noch an klaren Vorgaben und Auflagen mangelt, besteht allerdings die Möglichkeit zur Selbstorganisation transnationaler Netzwerke, wie sie bereits erfolgreich praktiziert werden. Solche Netzwerke verdanken sich einem veränderten Blick auf die »Lieferketten«, deren Definition sich ja aus der Perspektive und Interessenlage der europäischen Produzenten herschreibt. Stattdessen werden alle Glieder der Kette als kooperierende Akteure betrachtet, um Netzwerke zu organisieren, die über eine Verknüpfung von zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation mit Marktmechanismen funktionieren, im Interesse einer verbesserten Arbeits- und Lebenskultur in den Exportländern. Modellbildend sind Netzwerke, die über die Zertifizierung einer mit nachhaltigen Bewirtschaftungsmethoden produzierten Ware die ökonomischen Bedürfnisse der lokalen Produzenten mit dem ökologisch-ethischen Konsumverhalten der Verbraucher verknüpfen (zum Beispiel der ökologisch bedeutsamen Nutzholzbewirtschaftung, vgl. Kern 2004: 285-307).

Nachhaltigkeit – künftige Stellung Deutschlands und Europas