Innere Bilder – Der Schlüssel zur Veränderung (Leben Lernen, Bd. 343) - Ilka R. Hoffmann-Bisinger - E-Book

Innere Bilder – Der Schlüssel zur Veränderung (Leben Lernen, Bd. 343) E-Book

Ilka R. Hoffmann-Bisinger

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Beschreibung

Mit dem Ask!-Modell Teufelskreise durchbrechen - Das Buch zur Aus- und Weiterbildung: für Systemische Therapie und Coaching - Integrativer Ansatz, individuell auf Klient:innen abgestimmt - Mit einem Vorwort von Prof. Jürgen Kris Von Problemen sprechen wir meist dann, wenn die Realität nicht so ist, wie wir sie gern hätten. Sind unsere Versuche, das Problem zu lösen, fehlgeschlagen, bewegen wir uns meist in »Teufelskreisen« im Denken, Fühlen und Handeln und werden dabei von automatisiert ablaufenden inneren Bildern gesteuert.  Was muss passieren, um solche Blockaden zu lösen und wieder in Flow zu kommen? Für dieses Kernthema in Psychotherapien und Coachings bietet der von der Autorin entwickelte Ansatz eine erfolgreiche,  in der Praxis bereits bewährte Herangehensweise. Im Zentrum steht die gemeinsame Arbeit auf der analogen, intuitiven Ebene an den inneren Bildern der Klient:innen, welche einen Perspektivwechsel bisher verhindert haben. Das Buch beschreibt die theoretischen und methodischen Hintergründe des Ansatzes und das genaue therapeutische Vorgehen.

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Seitenzahl: 493

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Cover for EPUB

Ilka R. Hoffmann-Bisinger

Innere Bilder – Der Schlüssel zur Veränderung

Analoge Systemische Kurztherapie und Coaching – Das Ask!-Modell

Klett-Cotta

Leben Lernen

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter:

www.klett-cotta.de/lebenlernen

Wenn unsere Versuche, ein persönliches Problem zu lösen, fehlgeschlagen sind, bewegen wir uns meist in eingefahrenen »Teufelskreisen« im Denken, Fühlen und Handeln und werden dabei von inneren Bildern gesteuert, die sich automatisiert haben. Was muss passieren, um solche Blockaden zu lösen und wieder in Flow zu kommen? Für dieses Kernthema in Psychotherapien und Coachings bietet das von der Autorin entwickelte Ask!-Modell® eine erfolgreiche und in der Praxis bereits bewährte Herangehensweise. Im Zentrum steht die gemeinsame Arbeit auf der analogen, intuitiven Ebene an den inneren Bildern der Klient:innen, welche einen Perspektivwechsel bisher verhindert haben. Das Buch beschreibt die theoretischen und methodischen Hintergründe des zu den systemischen Kurztherapien gehörenden Ansatzes. Der Hauptteil zeigt anhand von Beispielen das genaue therapeutische Vorgehen.

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von 49pauly / iStock by Getty Images

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-608-89317-5

E-Book ISBN 978-3-608-12181-0

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20632-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort

Einleitung

Teil I

Theorie der Analogen Systemischen Kurztherapie (Ask!-Modell)

Kapitel 1

Wurzeln und Entwicklung des Ask!-Modells

1.1 Das Palo-Alto-Modell – Veränderung zweiter Ordnung

1.2 Das Ask!-Modell als eigenständige Form der Systemischen Kurztherapie

1.3 Verortung des Ask!-Modells innerhalb der Systemischen Kurztherapien

Kapitel 2

Prinzipien der Veränderung – Wirkfaktoren im Ask!-Modell

2.1 Die Perspektive wechseln – Konstrukteur der eigenen Wirklichkeit

2.1.1 Implikationen von Systemics und Science

2.1.2 Sich als Konstrukteur der eigenen Realität begreifen

2.1.3 Systemisch-konstruktivistische Haltung im Ask!-Modell

2.2 Muster identifizieren – Problementstehung und Musterbildung

2.2.1 Wie entstehen eigentlich Probleme?

2.2.2 Musterbildung – Teufelskreise von »mehr desselben«

2.2.3 Muster als Bild-Reaktionssysteme verstehen

2.2.4 Das Bild-Reaktionssystem als systemische Diagnose

2.3 Muster unterbrechen – innere Bilder als Schlüssel zur Veränderung

2.3.1 Veränderung zweiter Ordnung als allgemeines Prinzip

2.3.2 Veränderung zweiter Ordnung im Ask!-Modell

2.3.3 Verschiedene Arten der Musterunterbrechung

2.4 Nachhaltigkeit etablieren – Gewohnheit, Motivation und Übung

2.4.1 Die Macht der Gewohnheit

2.4.2 Motivation und Ambivalenz

2.4.3 Übungen, Empfehlungen und Rituale

Teil II

Praxis der Analogen Systemischen Kurztherapie (Ask!-Modell)

Kapitel 3

Anwendungsgebiete des Ask!‑Modells

Kapitel 4

Haltung im Ask!-Modell

4.1 Implikationen der konstruktivistischen Perspektive

4.2 Implikationen der systemischen Perspektive

Kapitel 5

Die Phasen des Ask!-Modells – Veränderung in drei Schritten

5.1 Mit wem wie arbeiten?

5.2 Das Ask!-Modell im Überblick

5.3 Phase I: Systeme analysieren – Muster identifizieren

5.3.1 Ziel, Auftrag, Problem und Problemfokus

5.3.2 Probleme dekonstruieren – empathisches Nichtverstehen

5.3.3 Bild-Reaktionssysteme identifizieren

5.3.4 Muster identifizieren – methodisches Vorgehen

5.4 Phase II: Muster unterbrechen – innere Bilder verändern

5.4.1 Vorbereitung

5.4.2 Aufmerksamkeitsfokussierung

5.4.3 Kooperative Analoge Interventionen – Ask!-Langform

5.4.4 Analoge Prozesse begleiten statt interpretieren

5.4.5 Die Verwendung von Sprache in der Arbeit mit inneren Bildern

5.5 Phase III: Veränderung nachhaltig gestalten – neue Muster bahnen

5.5.1 Analoge Verschreibungen – eine doppelte Musterunterbrechung

5.5.2 Klassische Aufgaben, Übungen und Experimente

5.5.3 Folgesitzung – Veränderung vertiefen und verankern

5.5.4 Motivation und Wachstum – auf dem Weg bleiben

5.6 Kommentiertes Fallbeispiel Ask!-Langform – einengende Angst

5.7 Indikationen, Kontraindikationen und typische Fehler

5.8 FAQ – Häufig gestellte Fragen zur Umsetzung

Kapitel 6

Variationen des Ask!-Modells mit Beispielen

6.1 Thema und Variationen des Ask!-Modells

6.1.1 Das Thema – Basis des Ask!-Modells

6.1.2 Ask!-Langform – Kooperative Analoge Intervention als Imagination

6.1.3 Ask!-Kurzform – Kooperative Analoge Intervention als »visuelles Memo«

6.1.4 Ask!-Skulpturarbeit – Kooperative Analoge Intervention als Körperhaltung

6.1.5 Ask!-Teilearbeit – Kooperative Analoge Intervention mit inneren Anteilen

6.1.6 Ask!-Mojo-Übung – Selbstsupervision durch implizites Wissen

6.1.7 Das Ask!-Modell und Psychosomatik

Kapitel 7

Analoge Systemische Paartherapie – das Ask!-Modell für (private und berufliche) Paare

7.1 Die innere Haltung verändern

7.2 Phase I – Systemanalyse

7.2.1 Situationsanalyse: Ziel, Auftrag, Problem und Problemfokus

7.2.2 Problemdekonstruktion

7.2.3 Paartanzanalyse

7.3 Phase II – analoge Musterunterbrechung bei Paaren

7.4 Phase III – Nachhaltigkeit etablieren

7.5 Fallbeispiele

Statt eines Nachworts – wie das Ask!-Modell entstanden ist

Danksagungen

Literatur

Das Ask!-Modell ist der Menschlichkeit in der Arbeit mit Menschen gewidmet.

Zum Geleit

Die Autorin dieses Buches, Frau Ilka Hoffmann-Bisinger, hat das vorliegende Konzept einer »Analogen Systemischen Kurztherapie« (Ask!-Modell) in seinen wesentlichen Grundzügen im Team von Paul Watzlawick und Richard Fisch am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (USA) erarbeitet. Zusätzlich konnte sie die Arbeit mit weiteren »Meistern« der systemtherapeutischen Szene, wie Heinz v. Foerster oder Mony Elkaim, diskutieren und erhielt für eine erste Publikation dieses Ansatzes (in englischer Sprache im Carl-Auer Verlag) 2007 den Forschungspreis der »Systemischen Gesellschaft«. Diese Hinweise sind als Empfehlung zu verstehen, im großen Spektrum der systemischen Ansätze das Ask!-Modell nicht zu übersehen, sondern sich mit diesem Ansatz auseinanderzusetzen; zumal dessen Praxistauglichkeit bereits seit Jahren an etlichen Einrichtungen erprobt wird.

Von seiner Grundkonzeption ist das Ask!-Modell im Spektrum jener Ansätze anzusiedeln, welche die Komplementarität von unmittelbarem Erleben einerseits und dessen Beschreibung andererseits nutzen, um die Veränderung von (Er-)Lebensprozessen zu unterstützen. Ist es doch inzwischen ein Credo des Systemansatzes, dass vor allem die Beschreibungen unserer komplexen Erlebenswirklichkeit zur Problemerhaltung beitragen. Denn Beschreibungen sind nicht nur wesentlich reduzierter als das Erleben selbst. Sondern sie neigen dazu, sich in der interpersonellen Kommunikation gegenseitig zu stabilisieren und weiter zu reduzieren.

Besonders Systemiker haben daher schon immer ihre Arbeit auf die Verflüssigung solcher erstarrten Beschreibungen fokussiert – das heißt die Aufmerksamkeit der Klienten auf die Komplexität des Erlebens in der Vielfalt unterschiedlicher Situationen und Kontexte gelenkt. Allerdings wurde lange und vielfach den sprachlich-kognitiven Prozessen bei dieser Verflüssigung ein hoher Stellenwert eingeräumt – etwa mit Fragetechniken, sokratischen Dialogen, paradoxen oder lösungsorientierten Erzählkonstruktionen usw. Mit dem gewachsenen Bewusstsein für die große Bedeutung subcortikaler Prozesse für unser Erleben und Verhalten hat sich dieser Fokus verschoben: Wir wissen inzwischen, wie stark Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Erinnern und Verhalten durch affektiv-emotionale Prozesse und implizites Wissen (mit) beeinflusst werden. Die rational-kognitiven Prozesse des Neocortexes werden oft von den Netzwerkaktivitäten des limbischen Systems unterlaufen oder gar dominiert. Zu diesen Prozessen aber haben wir wenig Zugang über sprachliche, logische und rational-digitale Denkvorgänge; sondern diese präsentieren sich in analoger Form als »innere Bilder«. Wobei die Bezeichnung »Bilder« bereits eine metaphorische Bezeichnung für jene hochkomplexen Erregungsmuster ist, deren Wirkung wir weit stimmiger mit analogen optischen sowie Laut- oder Bewegungsbildern Ausdruck verleihen können als mit digitaler Sprache.

Das Besondere beim Ask!-Modell ist, dass der Prozess der Musterunterbrechung möglichst weitgehend auf der analogen Ebene gehalten wird. Durch Verzicht auf Interpretation können die o. a. sprachlichen Reduktions- und Stabilisierungsdynamiken nicht greifen. Auch werden die Bilder nicht von den Therapeut:innen »ins Spiel« (ein-)gebracht, sondern es geht um die sorgsame Beachtung der Bilder der Klient:innen. Daher spricht die Autorin von »Kooperativer Analoger Intervention« (KAI). Anders als in der lösungsorientierten Arbeit (z. B. de Shazers) geht es bei der KAI aber nicht nur um »Lösungsbilder«, sondern auch um jene überstabilen Bilder, welche mit den Problemen – also den erfolglos (gewordenen) Lösungen – verbunden sind.

Sympathisch ist, dass Ilka Hoffmann-Bisinger das Ask!-Modell nicht als »den« neuen Ansatz anpreist, dem nun alle zu folgen hätten. Sondern ihr Anliegen ist, wie sie schreibt, »dass dieses Buch die professionelle Arbeit mit Menschen bereichert«. Ich wünsche dem Buch daher viel Erfolg – auf dass es in der Profession wahrgenommen wird und so zum Diskurs beitragen kann.

Osnabrück, Februar 2023

Prof. Dr. Jürgen Kriz

Vorwort

Analoge Systemische Kurztherapie und Coaching – das Ask!-Modell – habe ich in den Jahren 1996 bis 1999 am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (USA) entwickelt und dort sowohl im research committe als auch im Brief Therapy Team des MRI regelmäßig vorgestellt und diskutiert. Die ersten Publikationen erfolgten 2005 im Rahmen der Dissertation und 2007 durch das Buch »Changing Perspective – Changing Solutions. Activating Internal Images for Change in Systemic Brief Therapy«. Damals wurde das Ask!-Modell noch unter dem Namen »EAI-Kurztherapie – Explizit Analoge Interventionen in der Kurztherapie« veröffentlicht. Im Mai 2007 wurde dieser Ansatz durch den Forschungspreis der Systemischen Gesellschaft (SG) ausgezeichnet. Die erste Präsentation auf einem internationalen Kongress fand im November 2007 auf der 3. Europäischen Konferenz für Strategische Kurztherapie und Systemische Therapie in Arezzo (Italien) statt. Seitdem habe ich das Ask!-Modell kontinuierlich weiterentwickelt und durch verschiedene Kongressbeiträge und Fachartikel publiziert. Inzwischen wird das Ask!-Modell sowohl in Therapie als auch im Coaching angewandt, das Anwendungsgebiet wurde im Laufe der Jahre von Einzelnen auf Paare und Gruppen erweitert.

Immer wieder haben mich Teilnehmer in Workshops und Ausbildungen zur Analogen Systemischen Kurztherapie oder zum Analogen Systemischen Coaching gefragt, wann denn endlich mein deutsches Buch erscheint. Seitdem sind viele Notizen entstanden, Fälle ausgewertet und Texte verfasst worden. Da ich lange unentschlossen war, ob ich ein Fachbuch oder ein Buch für meine Klienten schreiben möchte, habe ich beide Bücher angefangen, mich nun aber entschieden, das Fachbuch als Erstes zu beenden. Dabei habe ich mich bewusst entschieden, kein rein wissenschaftliches Lehrbuch zu schreiben. Ich möchte Sie mit diesem Buch inspirieren, die Dinge anders zu betrachten und etwas Neues auszuprobieren. Genau das ist es auch, worum es mir in der Arbeit mit meinen Klientinnen und Klienten geht.

Berlin, im April 2023

Einleitung

Sicherlich haben auch Sie schon oft von anderen gehört oder vielleicht sogar selbst gesagt: »Vom Kopf her ist mir das alles völlig klar, aber das verändert nichts.« Menschen erzählen in Therapie und Coaching immer wieder von dem Gefühl »festzustecken«. Sie fühlen sich gefangen in bewussten und unbewussten Mustern, die sie daran hindern, das zu erleben, was sie erleben möchten, oder das zu erreichen, was sie erreichen möchten. Es handelt sich hier um vitiöse Zirkel, sogenannte »Teufelskreise«, aus »mehr desselben« im Denken, Fühlen und Handeln. Im weiteren Gespräch stellt sich häufig heraus, dass die beschriebenen Muster biografisch geprägt sind.

Um aktuelle Muster zu verdeutlichen, kann es hilfreich sein die Biografie miteinzubeziehen und die »wunden Punkte« besser zu verstehen. Allerdings hat man in der Psychotherapie inzwischen verstanden, dass Einsicht in den Inhalt oder die Herkunft dieser Muster alleine für deren Veränderung nicht ausreicht. Zu entdecken, dass sich die eigenen alten Muster auch heute noch zeigen, hilft zwar, diese Muster in der Gegenwart besser »wahr«-zu-nehmen, verändert sie aber noch nicht. Im Zusammenhang mit menschlichem Unbehagen und Leid spielen blockierende Muster eine zentrale Rolle. Wenn das Prinzip von Veränderung und Wachstum Musterbildung und Musterunterbrechung ist, ist die entscheidende Frage, wie man Muster erfolgreich und nachhaltig unterbrechen kann, wenn dies nicht durch Einsicht geschieht. Genau darum geht es in diesem Buch! Es geht um den Schlüssel zur Veränderung.

Der Schlüssel zur Veränderung sind innere Bilder

Warum? Da innere Bilder uns von klein auf prägen, leiten sie unser Denken, Fühlen und Handeln. Aufgrund dieser inneren Bilder, die immer wieder abgerufen werden, bilden sich Muster. Manche dieser Bilder öffnen uns für neue Erfahrungen und lassen uns wachsen, manche tragen dazu bei, dass wir uns verschließen, an Gewohntem, aber längst Überholtem festhalten und stagnieren, ja sogar leiden. Innere Bilder können uns sowohl positiv als auch negativ beeinflussen: Sie können uns einerseits »einschließen« und andererseits auch Türen öffnen. Sie haben zwei Gesichter.

Innere Bilder sind der Schlüssel dafür, ob wir uns unwohl fühlen, feststecken und leiden oder ob es uns gutgeht, wir uns entwickeln und am Leben erfreuen. Genau diese Funktion von inneren Bildern lässt sich methodisch für Veränderungsprozesse nutzen. Innere Bilder haben nicht nur die Macht, den Zugang zu Ressourcen – durch negative Prägung bzw. Musterbildung – zu verschließen. Sie können auch in Therapie und Coaching genutzt werden, um Ressourcen zu erschließen bzw. Muster zu unterbrechen. Durch die bildhafte Sprache der analogen Ebene können hilfreiche innere Ressourcen aktiviert werden, die im Alltag vom Verstand blockiert werden. Ich nenne diese Ressourcen »implizites Wissen«. Implizites Wissen beschreibt innere Ressourcen, über die jeder Mensch verfügt, die er aber häufig nicht nutzt. Die Arbeit mit inneren Bildern ermöglicht die Kommunikation mit diesem impliziten Wissen. Analoge Systemische Kurztherapie und Coaching – das Ask!-Modell – bietet eine Methode an, die dieses Wissen systematisch und systemisch für Veränderung und Weiterentwicklung aktiviert und nutzt.

Ask! the client!

Beim Ask!-Modell geht es mir um Menschlichkeit. Damit meine ich, wirklich mit der »Realität« der Menschen zu arbeiten, die zu uns kommen, mit ihrer Sicht auf die Dinge, mit ihren inneren Bildern. Ich möchte dazu inspirieren, sie als Experten für das, was sie als problematisch empfinden, zu sehen; und sie zugleich als Experten für die Lösung ihres Problems ernst zu nehmen, sie danach zu fragen und ihr Wissen zu nutzen. »Ask! the client« bezieht sich in diesem Zusammenhang sowohl auf das Wissen, welches den Klientinnen bereits zugänglich ist, als auch auf das Wissen, welches ihnen noch nicht zugänglich ist. Nur wenn ich erfrage, was für mein Gegenüber wirklich wesentlich ist, erfahre ich, welches innere Bild ihn oder sie im Denken, Fühlen und Handeln leitet. Worte werden schnell interpretiert und mit eigenen Hypothesen der Therapeuten oder Coaches vermischt.

Die für die Klientinnen stimmige Lösung ist oft nicht auf der rationalen Ebene zugänglich. Um also das, was ich »implizites Wissen« der Klientinnen nenne, zugänglich und für sie nutzbar zu machen, ist es hilfreich, auf die analoge Ebene, die Ebene der inneren Bilder, zu wechseln. »Ask! the client« ist eine Haltung zur Veränderungsarbeit und dadurch auch eine Haltung zum Leben und seinen Prozessen. Mir geht es darum, Menschen mit sich selbst in Kontakt zu bringen und ihnen dabei als Therapeutin oder Coach mit eigenen Vorstellungen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Man könnte es als ein »Hebammenprinzip« bezeichnen.

Entwicklung des Ask!-Modells

Analoge Systemische Kurztherapie und Coaching, das Ask!-Modell, basiert auf Watzlawick et al.’s (1974) Konzept der Veränderung zweiter Ordnung. Dieses Konzept beschreibt, wie sogenannte »Teufelskreise«, d. h. problemerhaltende Muster, erfolgreich unterbrochen werden können, und ist zentral für jegliche Veränderungsprozesse. Das Ask!-Modell wurde von mir am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (USA) entwickelt und erforscht und setzt an Watzlawick et al.’s Brief Therapy Model an. Das Mental Research Institute (MRI) und das Brief Therapy Model kann als die Wiege der Systemischen Therapie, insbesondere der Systemischen Kurztherapie, angesehen werden. Ich hatte das Glück, von 1996 bis 1999 Teil des Brief Therapy Team am MRI zu sein. In dieser Zeit konnte ich das Brief Therapy Model – auch Palo-Alto-Modell genannt – von Paul Watzlawick, Richard Fisch, Karin Schlanger und Barbara Anger-Diaz intensiv erlernen. Als research associate des MRI habe ich in meinem Forschungsprojekt, dem »Chronic Pain Project«, eine eigenständige Form der Systemischen Kurztherapie, die Analoge Systemische Kurztherapie, entwickelt.

Therapie und Coaching

Der Titel dieses Buches umfasst bewusst Therapie und Coaching. Mir geht es um Menschen, den Menschen als Ganzes, in all seinen Lebensbereichen. Somit ist eine Unterscheidung in Therapie und Coaching, basierend auf einer Unterscheidung von Lebens- und Arbeitswelt, für mich manchmal etwas künstlich. Natürlich ist Psychotherapie als heilkundliche Tätigkeit definiert, die sich auf menschliche Schwierigkeiten mit »Krankheitswert« bezieht und länger dauern kann. Aber es geht um Menschen, die feststecken und Hilfe suchen, und um die Frage, was Menschen helfen kann, sich aus dem Feststecken zu befreien. In der Therapie fehlte mir oft der Fokus und im Coaching – dem »business coaching« vor allem – fehlte mir die Menschlichkeit. Man kann Menschen nicht teilen. Auch im business sind wir Menschen. Probleme entstehen oft genau durch diese Teilung: Hier bin ich »business«, da bin ich Mensch.

Hinweise zu diesem Buch

Apropos Menschen: Da alle »korrekten« Lösungen zum Gendern den Lesefluss stören, habe ich mich entschieden mal die weibliche, mal die männliche Form zu verwenden und manchmal einfach von »Menschen« zu sprechen. Es sind jedoch immer alle gemeint. Dasselbe gilt für Therapie und Coaching: Ich führe Beispiele aus beiden Bereichen auf, das Gesagte gilt aber meistens für beide.

Alle Fallbeispiele in diesem Buch sind in Personenbeschreibungen und Kontexten so verändert worden, dass die Personen nicht mehr zu identifizieren sind. Da wir Menschen viel miteinander gemeinsam haben, erkennen Sie sich möglicherweise jedoch in einem Beispiel wieder, das von jemand anderem stammt.

Das Arbeiten mit inneren Bildern wird häufig entweder über- oder unterschätzt. Da innere Bilder starke Emotionen hervorrufen können, ist in jedem Fall Achtsamkeit geboten. Beim Ask!-Modell ist zu beachten, dass die Arbeit mit inneren Bildern Teil eines Gesamtkonzeptes in drei Phasen ist: Die Vorarbeit in der ersten Phase ist unerlässlich und mindestens genauso wichtig, wie die Arbeit mit dem Bild selbst (Phase II). Im Ask!-Modell setzt die Arbeit mit inneren Bildern am individuellen oder interaktionellen Muster an, nicht am Problem! Mit »Muster« ist der Umgang mit dem Problem gemeint, dort wo die Personen selbst etwas tun, sagen oder denken. Wenn dies nicht beachtet wird, ist die Arbeit mit dem inneren Bild im besten Fall wirkungslos oder könnte – bei unerfahrenen Praktikern – eventuell unerwünschte Folgen haben (vgl. hierzu Kap. 5.4 und 5.7). Wenn Sie jedoch das Gesamtkonzept beachten, bewegen Sie sich auf sicherem Boden und können mit zunehmender Übung Veränderungsprozesse in Therapie und Coaching erfolgreich begleiten.

Teil I

Theorie der Analogen Systemischen Kurztherapie (Ask!-Modell)

Kapitel 1

Wurzeln und Entwicklung des Ask!-Modells

In Therapie und Coaching sind wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie wir sowohl positive als auch nachhaltige Veränderungen anstoßen können. Haben Sie sich jedoch schon mal gefragt, wie »echte« Veränderung eigentlich spontan, ohne professionelle Hilfe, im Alltag auftritt?

Wie geschieht »echte« Veränderung im Alltag?

In meinem Umfeld hatte ich beobachtet, dass einige Menschen, ausgelöst durch eine Lebenskrise, wie z. B. der Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit oder durch den Verlust einer Beziehung, plötzlich ihr Leben veränderten. Sie taten auf einmal das, was sie schon immer tun wollten, bisher aber nicht gewagt hatten. So brach z. B. ein Mann, nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde und er erfuhr, dass er nur noch ein Jahr zu leben habe, sein Medizinstudium ab und wendete sich seiner Leidenschaft, dem Fotografieren, zu. Er erfreut sich heute als Fotograf bester Gesundheit. AIDS-Patienten, die ich im Zen-Hospiz in San Francisco betreute, berichteten, dass diese Krankheit ihnen, trotz des erheblichen Leidens, eine neue Perspektive auf das Leben vermittelt habe, die sie als sehr bereichernd erlebten und die ihnen vielleicht sonst verborgen geblieben wäre. Ähnliches wurde mir von professionellen Helfern beschrieben, die mit Menschen in Krisen arbeiten.

Natürlich verändert nicht jeder Mensch aufgrund einer Krise sein Leben grundlegend, aber in vielen Fällen entsteht zumindest oft ein Gefühl, welches als eine tiefgehende, innere Veränderung beschrieben wird. Krisen und »Schocks« scheinen bei spontan auftretenden, nachhaltigen Veränderungen eine zentrale Rolle zu spielen. Sie unterbrechen die eingefahrenen Muster im bisherigen Leben der Betroffenen derartig, dass eine »echte«, d. h. nachhaltige Veränderung eintritt. Plötzlich sehen sie das Leben mit anderen Augen und es entstehen neue Perspektiven. Hürden, die vorher einer Veränderung im Weg standen, werden nun überwunden, da bisher ungenutzte Ressourcen zum Tragen kommen.

Ich fragte mich, wie diese Art der Veränderung – weniger schmerzhaft – in der Therapie genutzt werden kann. Wie können diese inneren Ressourcen, die oft spontan innerhalb einer Krise freigesetzt werden, in der Psychotherapie zugänglich gemacht und aktiviert werden? Hier erwies sich das Palo-Alto-Modell und das Konzept der Veränderung zweiter Ordnung als wegweisend.

1.1 Das Palo-Alto-Modell – Veränderung zweiter Ordnung

Das Brief Therapy Model, in der Literatur auch »Palo Alto Model« oder »MRI Model« genannt, wurde von Paul Watzlawick, John Weakland und Richard Fisch am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (USA) konzipiert und erforscht (Watzlawick et al. 1974; Fisch et al. 1982, 1999). Dieser Kurztherapieansatz basiert auf einem Konzept von Veränderung, welches zentral für jegliche Art von Veränderung ist: dem Konzept der Veränderung zweiter Ordnung.

Das Phänomen der Veränderung zweiter Ordnung

Das Phänomen der Veränderung zweiter Ordnung beschreibt Veränderungen, bei denen das System an sich verändert wird. Veränderung zweiter Ordnung ist eine »Veränderung der Veränderung«, im Gegensatz zur Veränderung erster Ordnung, bei der lediglich eine Veränderung innerhalb des Systems stattfindet, während das System selbst unverändert bleibt (vgl. auch Kap. 2.3.1).

Falls Ihnen das zu theoretisch ist, stellen Sie sich einmal vor, dass Sie einen sehr wichtigen Termin am nächsten Tag haben und gerne ausgeschlafen sein möchten. Sie gehen früh zu Bett, lesen noch etwas und versuchen einzuschlafen. Wenn Sie nach einer Stunde immer noch wach sind, werden Sie vermutlich unruhig und fangen an zu überlegen, wie Sie sich endlich zum Einschlafen bringen können. Vermutlich findet auch ein innerer Dialog statt, der in die Richtung geht von: »Ich sollte jetzt wirklich schlafen, sonst bin ich morgen nicht fit …!« All das, was Sie versucht haben, um einzuschlafen, würde man auf »Watzlawickanisch« eine Veränderung erster Ordnung nennen. Warum? Weil alle Einschlafversuche nur Variationen desselben Themas waren: »Ich muss wieder einschlafen!« Sie haben also »mehr desselben« versucht, sind innerhalb des »Systems« geblieben und haben nicht das »System«, also das Muster an sich, verändert. Das »System« bzw. Muster besteht in diesem Beispiel aus: Je mehr Druck Sie sich machen, um einzuschlafen, desto wacher sind Sie. Je wacher Sie sind, desto mehr setzen Sie sich unter Druck einzuschlafen. Eine Veränderung zweiter Ordnung wäre eine Veränderung dieses Musters aus »mehr desselben«. In unserem Beispiel würden Sie sich dann nicht mehr unter Druck setzen, um endlich einzuschlafen. Sie würden sich selbst sagen: »Mal sehen, womit ich mich wie lange wach halten kann!« Wenn eingefahrene Muster, sogenannte »Teufelskreise«, unterbrochen werden, kann etwas qualitativ Neues entstehen. Um im Beispiel zu bleiben: Sollten Sie »mehr desselben« fortsetzen, kann sich daraus ein vitiöser Zirkel entwickeln, der das Problem des nicht Einschlafens zu einer ernsthaften Schlafstörung verkompliziert. Wenn Sie jedoch aufhören, sich unter Druck zu setzen, um einzuschlafen, bzw. stattdessen vorübergehend versuchen, sich wach zu halten, wird der natürliche Prozess des Einschlafens mit der Zeit nicht mehr von Ihnen gestört.

Das Palo-Alto-Modell – Systemische Kurztherapie

Watzlawick, Fisch und Weakland (Watzlawick et al. 1974; Fisch et al. 1982, 1999) beantworteten die Frage, auf welche Weise Veränderung zweiter Ordnung innerhalb der Psychotherapie hervorgerufen werden kann, durch die Entwicklung des Palo-Alto-Modells.

Problementstehung und Musterbildung im Palo-Alto-Modell

Dem Palo-Alto-Modell liegt die Annahme zugrunde, dass Probleme dann entstehen und/oder aufrechterhalten werden, wenn Menschen mit »Alltagsschwierigkeiten« »unangemessen« umgehen: Wenn eine Schwierigkeit, wie z. B. nicht Einschlafen zu können, nicht gelöst werden kann, wird dieselbe (erfolglose) Lösungsstrategie – die sogenannte »versuchte Lösung« – wiederholt, indem man »mehr desselben« macht. Man setzt sich z. B. innerlich weiterhin unter Druck. »Unangemessen« bedeutet in diesem Zusammenhang, dass trotz des ausbleibenden Erfolges dieselbe Strategie beibehalten wird. Nicht umsonst kennen wir das Sprichwort »steter Tropfen höhlt den Stein« oder Glaubenssätze wie: »Du hast dich noch nicht genug angestrengt.«

Menschen versuchen, Probleme meist aufgrund bestimmter Vorstellungen über das Problem und dessen Lösbarkeit anzugehen. In der Regel folgen diese Versuche einem bestimmten Muster, das in mehreren Variationen immer wieder angewandt wird. Interessant daran ist, dass die Menschen auch dann bei ihrer Lösungsstrategie bleiben, wenn diese offensichtlich nicht die gewünschte Änderung bewirkt. Im Gegenteil, diese »Lösungen erster Ordnung« führen sogar oft zu einer Verschlimmerung der ursprünglichen Schwierigkeit. So wird z. B. genau dieser Lösungsversuch »sich Druck machen« zum Problem »Schlafstörung«. Schließlich hält ein Teufelskreis aus »unerwünschtem Zustand« und »unangemessenen Lösungsversuchen« das Problem aufrecht, für welches gegebenenfalls therapeutische Hilfe oder ein Coaching aufgesucht wird. Im Palo-Alto-Modell wird somit die Entstehung von Problemen durch das Konzept der Veränderung erster Ordnung beschrieben.

Watzlawick et al. (1974) gehen also von zwei verschiedenen Arten von Veränderung aus: Veränderung, die innerhalb eines Systems auftritt, welches selbst unverändert bleibt (Veränderung erster Ordnung), und Veränderung, die das System selbst verändert (Veränderung zweiter Ordnung).

Problemlösung und Musterunterbrechung im Palo-Alto-Modell

Die Lösung eines Problems erfordert somit eine Veränderung zweiter Ordnung: Das, was getan wird, um das Problem zu lösen, muss unterbrochen werden. So muss die Person, die nicht einschlafen kann, aufhören, sich unter Druck zu setzen, um endlich wieder schlafen zu können. Dies kann durch psychotherapeutische Interventionen erreicht werden, die entweder neues Verhalten oder eine veränderte Perspektive bei den Klienten hervorrufen. Im Palo-Alto-Modell wird angenommen, dass vitiöse Zirkel aus »mehr desselben« und »Verschlimmerung« deshalb durch Interventionen von Expertinnen unterbrochen werden müssen, da die Lösungsversuche der Klienten selbst nicht erfolgreich genug waren. Weitere eigene »neue« Lösungsversuche würden vermutlich nur Variationen desselben Themas (z. B. »sich unter Druck setzen«) sein. Weiterhin wird angenommen, dass echte neue Lösungen, welche die versuchte Lösung aus »mehr desselben« unterbrechen würden (z. B. »sich wach halten«), meist dem »gesunden Menschenverstand« widersprechen und es somit unwahrscheinlich ist, dass diese von den Klienten selbst entwickelt werden.

Eine Expertenintervention im »klassischen« Palo-Alto-Stil könnte z. B. sein, der Klientin, die an Schlafstörungen leidet, bis zur nächsten Sitzung ein Experiment vorzuschlagen. Dieses Experiment würde der Klientin gegenüber so gerahmt werden, dass es nötig sei, um weitere Daten für den therapeutischen Prozess zu sammeln. Die Klientin solle bis zur nächsten Sitzung ihre inneren Dialoge im Zusammenhang mit Schlaf experimentell erforschen. Bevor sie ins Bett gehe, solle sie eine Münze werfen. Ist die »Zahl« oben, erforscht sie in dieser Nacht, durch welchen inneren Dialog sie sich am wirkungsvollsten und am längsten wach halten könne. Ist »Kopf« oben, erforscht sie in dieser Nacht, welche Dialoge eher unwirksam sind, um sich wach zu halten. Sie solle sich – am besten währenddessen– auch Notizen dazu machen.

Implizite Ressourcenaktivierung

Diese Art von Experteninterventionen nenne ich »implizite Ressourcenaktivierung« (Hoffmann 2007): »Implizit«, da Zweck und Funktionsweise der Interventionen für die Klienten nicht transparent sind. Die wohl bekannteste Intervention dieser Art ist die »Paradoxe Intervention« (Watzlawick 1969). »Ressourcenaktivierung«, da die Intervention das Muster unterbricht, damit Ressourcen aktiviert werden und die Selbstorganisationsprozesse wieder in Gang kommen können.

Bei den Interventionstechniken im Palo-Alto-Modell geht es darum, die versuchte Lösung aus »mehr desselben« gezielt zu unterbrechen, aber nicht darum, das System zu instruieren, d. h. in eine bestimmte Richtung zu steuern. Die Musterunterbrechung ermöglicht eine Lösung, indem sie den blockierenden Teufelskreis auflöst, sie ist aber nicht die Lösung. Wohin sich das System dann entwickelt, ist nicht vorhersagbar. Es ist wie bei einem Auto, welches im Schlamm feststeckt: Die Räder drehen durch, wenn man auf das Gaspedal tritt, und das Auto wühlt sich nur noch tiefer in den Schlamm. Die Intervention gleicht einem Brett, was man vor die Räder des Autos legt: Mithilfe des Bretts kann das Auto aus dem Schlamm fahren, wohin das Auto dann fährt, ist durch das Brett nicht festgelegt.

Hürden bei der Musterunterbrechung

Wenn die Interventionen von den Klientinnen angenommen werden, ist das Brief Therapy Model sehr hilfreich und äußerst effektiv. Problematisch an diesem Modell kann jedoch sein, dass die Richtung der therapeutischen Interventionen, wie z. B. einer Paradoxen Intervention, so sehr dem »Common Sense« der Klientinnen widerspricht, dass diese nicht akzeptiert wird (vgl. Hoffmann 2007, 2008). In den zweieinhalb Jahren hinter dem Einwegspiegel des Brief Therapy Centers in Palo Alto (USA) beobachtete ich, dass dieser Widerspruch auch zum Therapieabbruch führen kann. Richard Fisch bestätigte mir, dass die Schwierigkeit, eine Intervention zu »verkaufen«, als eine Hürde dieses Ansatzes gesehen werden kann. Unter anderem an dieser Stelle setzten meine Überlegungen zur Weiterentwicklung des Palo-Alto-Modells an.

1.2 Das Ask!-Modell als eigenständige Form der Systemischen Kurztherapie

Wie bei Hoffmann (2008) beschrieben, war das Ziel meiner Arbeit am MRI, das Nützliche des Palo-Alto-Modells zu bewahren und für die Art der therapeutischen Intervention eine andere Möglichkeit zu finden.

Das Nützliche bewahren

Für nützlich halte ich das Konzept der Veränderung zweiter Ordnung. Dieses Konzept der Musterunterbrechung beschreibt den Kern jeglicher Veränderungsarbeit. Es ist ein zentrales Element der Systemischen Therapie, wenn nicht der Psychotherapie allgemein. Aus diesem Konzept ergibt sich ein vielseitig anwendbares Metamodell, welches den Prozess rund um das Problem beschreibt, aber keine Aussagen über dessen Inhalt macht: Auf der Metaebene wird beschrieben, wie unsere Versuche, ein Problem zu lösen, das Problem letztlich aufrechterhalten oder gar verkomplizieren. Problem und versuchte Lösung sind zirkulär miteinander verknüpft. Über das Problem an sich werden jedoch keine inhaltlichen psychologischen Annahmen gemacht. Stattdessen wird eine systemisch-konstruktivistische Sichtweise konsequent umgesetzt. Menschen werden als Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit begriffen und nicht aus Expertensicht gedeutet oder interpretiert. Mit diesem Verzicht auf »Deutung« ist eine konsequent respektvolle Haltung gegenüber Menschen und deren Perspektive verbunden. Der Therapeut begibt sich dadurch auf Augenhöhe mit den Klienten.

Die bestehenden Methoden, um eine Veränderung zweiter Ordnung anzustoßen, wurden vor allem in Deutschland teilweise als zu »interventionistisch«1 und nicht mehr kompatibel mit dem Weltbild der Postmoderne sowie der therapeutischen Position des »Nicht-Expertentums« gesehen. Somit gerieten auch problemerhaltende vitiöse Zirkel in der Systemischen Therapie aus dem Fokus. Die Identifizierung und Unterbrechung der zirkulären Verknüpfung von Problem und versuchter Lösung, des »Teufelskreises«, klingt simpel, ist aber in der Umsetzung höchst anspruchsvoll. Ob man diese Musterunterbrechung nun à la Palo Alto mit gezielten Interventionen, wie z. B. der Paradoxen Intervention, vornimmt oder auf eine andere Art und Weise, z. B. durch innere Bilder wie im Ask!-Modell, ist eine Frage der therapeutischen Haltung. Das Palo-Alto-Modell auf die Art der Musterunterbrechung zu reduzieren und deshalb kritisch beiseitezulegen, wird diesem Ansatz nicht gerecht.

Der Blick auf Muster und deren Unterbrechung ist vor allem in Bezug auf chronische Probleme sehr relevant. Selbst wenn man die Frage hinsichtlich der Entstehung chronischer Probleme als letztlich unentscheidbar – in Anbetracht all der verschiedenen Erklärungsansätze – betrachten möchte, so könnte man sich vermutlich darauf einigen, dass chronische Probleme meist durch die erfolglosen Lösungsversuche der Klienten und die daraus resultierende Verschlimmerung aufrechterhalten werden. Aus diesem Grund ist die Veränderung zweiter Ordnung ein beachtenswerter Aspekt in Psychotherapie, Gesundheitspsychologie und Coaching.

Ob man systemisches Arbeiten im Kontext des therapeutischen Expertentums sowie der impliziten Ressourcenaktivierung präferiert, ist einerseits eine Frage der therapeutischen Haltung und des Menschenbildes. Andererseits ist es aber auch eine Frage dessen, wie ernst man die Ergebnisse der Psychotherapieforschung nehmen möchte: Nach Hubble et al. (1999; Miller et al. 2000; 2001) sind 40 % des positiven Therapieerfolges auf extratherapeutische Faktoren wie z. B. Klientenfaktoren zurückzuführen. Wenn ein Hauptaspekt für Therapieerfolg die Berücksichtigung der eigenen Theorie der Klienten in Bezug auf Veränderung innerhalb der Therapie darstellt (Miller et al. 2001, S. 6), dann scheint der Kontext des therapeutischen Nicht-Expertentums sinnvoller und legt nahe, das Wissen der Klienten bezüglich des eigenen Problems und dessen Veränderung therapeutisch verstärkt zu nutzen (Hoffmann 2008).

Veränderung zweiter Ordnung explizit (offen) statt implizit (verdeckt)

Meine Idee war folgende (Hoffmann 2008): Wenn Klientinnen therapeutische Interventionen zur Unterbrechung ihrer versuchten Lösung nicht akzeptieren, könnten eventuell eigene Ideen der Klientinnen akzeptabler sein. Das hieße, eine Veränderung zweiter Ordnung müsste durch explizite – also offene – anstatt durch implizite – verdeckte – Ressourcenaktivierung angeregt werden. Unter expliziter Ressourcenaktivierung verstehe ich, dass die eigenen Ressourcen, z. B. das implizite Wissen, für die betreffenden Klientinnen transparent aktiviert werden. Während einer Diskussion mit Richard Fisch und Paul Watzlawick bezüglich meiner Idee entgegneten diese: »Wenn Klientinnen eigene versuchte Lösungen unterbrechen könnten, hätten sie dies bereits getan und wären nicht in Therapie.« Meine Vermutung war jedoch, dass die Klientinnen eine Musterunterbrechung deshalb bisher nicht selbständig erreicht hatten, weil sie auf der rational-logischen Ebene über ihr Problem nachdachten und ihnen deshalb ihr »Common Sense«, ihr logisches Alltagsdenken, im Weg war. Anders ausgedrückt: Meine Annahme war, dass der Verstand das Problem sein könnte und nicht die Lösung! Durch einen Perspektivwechsel auf die analoge (bildhafte) Ebene könnten sie das »Ja, aber« des rationalen Denkens umgehen und das Muster ihrer versuchten Lösung mithilfe ihrer eigenen inneren Ressourcen unterbrechen. Die bildhafte Ebene eröffnet den Zugang zu anderen Ressourcen wie z. B. zum impliziten Wissen und zu Gefühlen. Aus dieser Hypothese entstand damals mein Konzept der Veränderung zweiter Ordnung durch Explizit Analoge Interventionen (EAI) sowie das EAI Brief Therapy Model, welches unter dem Namen EAI-Kurztherapie und Coaching veröffentlicht wurde (Hoffmann 2005, 2006, 2007, 2008, 2013).2

Als ich 2016 meine Arbeitsweise neu konzipierte, wurde mir klar, dass die bisherigen Namen EAI-Kurztherapie und EAI-Coaching zu »kurz« greifen, um das, was tatsächlich in diesem Ansatz methodisch umgesetzt wird, zu integrieren. Da ich meine Arbeit durch Lehre und Praxis seit der Veröffentlichung meines ersten Buches im Jahr 2007 immer weiterentwickelt habe, war es mir wichtig, diese Entwicklung auch in einer Änderung des Namens abzubilden. Somit wurde der Name von Explizit Analoge Interventionen in der Kurztherapie und im Coaching umgewandelt in Analoge Systemische Kurztherapie und Analoges Systemisches Coaching, kurz: Ask!-Modell. Der neue Name verdeutlicht einerseits, dass die analoge, bildhafte Ebene in meiner Arbeit weiterhin eine zentrale Rolle spielt und verschiedene Interventionen integriert. Andererseits beschreibt dieser Name aber auch, dass es sich hier nicht lediglich um eine (beliebig integrierbare) Interventionsform handelt, sondern um ein Gesamtkonzept: einen spezifischen Ansatz der Systemischen Kurztherapie und des Systemischen Coachings. Die Phasen des Ask!-Modells bauen aufeinander auf. Sie sind eingebettet in eine systemisch-konstruktivistische Haltung, eine damit verbundene Perspektive auf menschliche Probleme sowie einem daraus resultierenden methodischen Vorgehen. »Ask!« beinhaltet dabei noch mehr als lediglich eine griffige Abkürzung. Es drückt eine Haltung aus (vgl. Kap 4), die grundlegend in diesem Ansatz ist: Ask! the client! Es geht darum, die Autonomie der Klienten zu respektieren, den Klienten auf Augenhöhe wirklich zuzuhören, sowohl auf der rationalen Ebene als auch auf der bildhaften, analogen Ebene. Und es geht darum, dass die Klienten sich selbst zuhören bzw. anders zuhören als bisher, über die bildhafte Ebene und über den Zugang zu ihrem bisher »Unsagbaren«, ihrem impliziten Wissen.

Inzwischen ist das Ask!-Modell ein Modell in drei Phasen3, welches in Therapie und Coaching angewandt wird, sowohl im Einzel- als auch im Mehrpersonensetting (vgl. Kap. 3). Ich lehre diesen Ansatz seit 2007, stelle ihn auf verschiedenen Tagungen und Kongressen vor und entwickle ihn beständig theoretisch und methodisch weiter.

1.3 Verortung des Ask!-Modells innerhalb der Systemischen Kurztherapien

Das Ask!-Modell ist in der Systemischen Therapie, insbesondere der Systemischen Kurztherapie, verortet. Kurz(zeit)therapie4 ist inzwischen recht beliebt geworden, und das Interesse an zeitbegrenzten psychotherapeutischen Methoden ist in den letzten Dekaden stark angewachsen. Heute bieten fast alle Psychotherapieschulen Kurz(zeit)therapie als eine Interventionstechnik an. Kürzere Therapieansätze wurden in psychodynamisch orientierten Schulen, Verhaltenstherapie, Systemischer Therapie, Gruppentherapie und für die Krisenintervention entwickelt. In der Kurzzeittherapie ist die begrenzte Anzahl der Sitzungen geplant. Es wird frühzeitig eine Übereinkunft darüber erzielt, wann die Therapie enden soll und woran sowohl der Klient als auch der Therapeut merken, dass die Therapie beendet werden kann.

»Fokus« ist ein Hauptcharakteristikum für Kurz(zeit)therapie (Wells & Phelps 1990). Mit einem »Fokus« zu arbeiten, kann bedeuten, dass der Therapeut, oder Therapeut und Klient gemeinsam, einen relevanten Bereich wählen, der das Ziel der therapeutischen Intervention sein wird. »Fokus« kann sich auch darauf beziehen, dass der Therapeut seine therapeutische Konzentration auf den ausgewählten und/oder vereinbarten Schwierigkeitsbereich beibehält. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum für Kurz(zeit)therapie ist das Nutzen von Aufgaben innerhalb und außerhalb der Behandlung als ein Mittel, um den Veränderungsprozess zu stimulieren. Das können Rollenspiele oder Einüben von bestimmtem Verhalten während der Sitzung sein oder Aufgaben, die zwischen den Sitzungen ausgeführt werden.5

Im Gegensatz zur einsichtsorientierten Therapie, ist Kurz(zeit)therapie auf Aktion ausgerichtet. Es geht darum, den Klienten dazu zu bringen, etwas zu tun. Dem Klienten Aufgaben, z. B. Experimente und Übungen, außerhalb der Sitzungen zu erteilen, signalisiert ihm, dass er sich aktiv am Erreichen seiner Ziele beteiligen kann. Aufgaben sind auch nützlich, um die Therapie auf die reale Lebenssituation des Klienten zu beziehen. Diese Aufgaben genau auf den Klienten und den Kontext der Situation zuzuschneiden, ist eine der großen Herausforderungen in der Kurz(zeit)therapie.

Die Systemische Kurztherapie kann als eigene Untergruppe innerhalb der Systemischen Therapie angesehen werden und umfasst verschiedene Modelle (Hoffmann-Bisinger 2020):

Palo Alto/MRI-Kurztherapie-Modell (Watzlawick et al. 1974, 1982)

Lösungsfokussierte Kurztherapie (z. B. de Shazer 1988,1989, Berg 1992)

Ressourcenfokussierte Kurztherapie (Ray & Keeney 1993)

Strategische Kurztherapie (z. B. Nardone 1993, 1999)

Hypnosystemische Therapie (z. B. Schmidt 1999, 2011, 2012)

Client-Directed, Outcome Informed Clinical Work (z. B. Hubble et al. 1999; Miller 2000; Duncan & Miller 2000)

Integrationsmodell der Kurzzeittherapien (Geyerhofer & Komori 1999)

Analoge Systemische Kurztherapie (z. B. Hoffmann-Bisinger 2006)

Die oben genannten allgemeinen Kriterien für Kurz(zeit)therapie (geplante Dauer, Fokus und Aufgaben) treffen auch auf die Systemische Kurztherapie zu, jedoch im Kontext des systemischen Denkens und Handelns. Gemeinsamkeiten der Systemischen Kurztherapiemodelle sind: Eingrenzung der Daten, mit denen gearbeitet wird, Umsetzung der interaktionellen Perspektive, Fokus auf Aktivierung der Klientinnen und die Formulierung konkreter Ziele (Hoffmann 2006, 2007).

Das Ask!-Modell ist, ebenso wie die anderen Modelle der Systemischen Kurztherapie, eingebettet in eine systemisch-konstruktivistische Perspektive, basiert darüber hinaus aber auf einigen grundlegenden Konzepten, die Im folgenden Kapitel erläutert werden.

Abbildung 1: Hintergrund und Entwicklung des Ask!-Modells

Kapitel 2

Prinzipien der Veränderung – Wirkfaktoren im Ask!-Modell

Leben bedeutet Veränderung und Veränderung ist gekennzeichnet durch Musterbildung und Musterunterbrechung. Daraus lassen sich für das Ask!-Modell vier Prinzipien ableiten, die sich in der systemischen Praxis als hilfreich bei der Unterstützung von Veränderungsprozessen erwiesen haben: die Prinzipien des Perspektivwechsels, der Musterbildung (Veränderung erster Ordnung), der Musterunterbrechung (Veränderung zweiter Ordnung) und der Nachhaltigkeit. Die in diesem Kapitel dargestellten Konzepte bilden die theoretische Grundlage zu diesen vier Prinzipien des Wandels. Wie diese Wirkfaktoren im Ask!-Modell praktisch umgesetzt werden, wird im zweiten Teil dieses Buches anhand zahlreicher Fallbeispiele beschrieben. Die ersten drei Prinzipien sind für die Veränderung selbst relevant, das vierte Prinzip vor allem für die Nachhaltigkeit der Veränderung.

Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass das Veränderungskonzept im Ask!-Modell auf allen drei beschriebenen Prinzipien, bzw. zusammen mit der Nachhaltigkeit von Veränderung, auf allen vier Prinzipien basiert. Das dritte Prinzip fokussiert zwar Veränderung in Form von Musterunterbrechung, aber bereits die Veränderung der Haltung bzw. der Perspektive (Prinzip eins) und die Identifizierung der Blockade bzw. des Bild-Reaktionssystems (Prinzip zwei) sind wichtige Elemente des Schlüssels zur Veränderung. Dies wird im praktischen Teil des Buches noch deutlicher.

2.1 Die Perspektive wechseln – Konstrukteur der eigenen Wirklichkeit

Zentral und methodisch wegweisend für das Ask!-Modell ist das erste Prinzip – eine systemische Grundhaltung, die auf der Perspektive des Konstruktivismus basiert.

2.1.1 Implikationen von Systemics und Science

Beim ersten Prinzip des Ask!-Modells geht es um die Relevanz der Perspektive bzw. der Haltung bei Veränderungsprozessen. Je nachdem, ob man sich als getrennt von der Welt (apart of the world) oder als einen Teil der Welt (a part of the world) betrachtet, hat man laut Heinz von Foerster (1990) zwei verschiedene Perspektiven auf die »Realität«: die »peep-hole position«, auch »science« genannt, und die »part-of-the-world position«, auch »systemics« genannt. Beide Perspektiven haben unterschiedliche Implikationen für unser Handeln in der Arbeit mit Menschen.

Mit »science« (Kybernetik erster Ordnung) ist die klassische Position eines objektiven Beobachters gemeint: Es gibt eine objektive Betrachtung der Realität, der Beobachter kann quasi durch ein »peep-hole«, also ein Guckloch, von außen auf die Realität sehen. Man kann etwas, z. B. ein System, von außen, als »Objekt«, unbeeinflusst von der eigenen Position, betrachten. Aus der Perspektive von »science« ist der Beobachter vom Objekt getrennt und vom Kontext unbeeinflusst. Wenn wir so denken, hat das Auswirkungen auf die Arbeit mit Menschen: Wir gehen davon aus, dass man gezielt durch Interventionen in Systeme eingreifen kann. Dafür sammelt man Informationen über das System als externer Beobachter. Es gibt eine Wahrheit, man kann »Recht« haben und das »objektiv Richtige« raten. Man nimmt eine eher normative Perspektive ein und identifiziert z. B. dysfunktionale Muster oder auch pathologische Kommunikation. Aus der Sicht von »science« ist es möglich und hilfreich, als neutraler Experte mit anderen zu arbeiten.

»Systemics« (Kybernetik zweiter Ordnung), die »part-of-the-world position«, sieht das anders. Diese Position beschreibt eine Beobachterin, die sich als »Teil der Welt« wahrnimmt: Wann immer ich handle, verändere ich mich selbst und meine Umwelt, das soziale System, an welchem ich teilnehme. Die Beobachterin beobachtet sich selbst als untersuchende Beobachterin und geht davon aus, dass sie das, was sie beobachtet, konstruiert. Objektivität und »Wahrheit« sind weder ein Ziel noch werden sie als möglich betrachtet. Die Sichtweise von »systemics« hat andere Implikationen auf unser Handeln im therapeutischen oder beraterischen Kontext: Probleme werden jetzt aus der Sicht des Systems betrachtet und Interaktionen basieren auf der Realität der jeweils Beteiligten. In der Zusammenarbeit geht es um Kooperation statt um Expertentum. Therapeutin und Klientin kooperieren, um ein Ziel zu erreichen, Therapeutin oder Coach passt sich an die Klientin an. Therapie und Beratung werden als ein Dialog betrachtet, der die Veränderung autonomer Individuen unterstützt; autonom insofern, als man nun davon ausgeht, dass man ein System nicht gezielt beeinflussen, sondern nur »verstören« kann. Hier zählt das Kriterium der Nützlichkeit statt der »Wahrheit«: Was funktioniert? Was ist hilfreich? Normative Annahmen werden in diesem Zusammenhang eher weniger als hilfreich betrachtet, ebenso wenig Konzepte von Pathologie, Widerstand und »eigentlicher Ursache«.

Beide Positionen – systemics und science – ergänzen sich. Welche der beiden Positionen »richtig« ist, ist eine »im Prinzip unentscheidbare« Frage (von Foerster 1990). Nach Heinz von Foerster müssen solche Fragen subjektiv entschieden werden. Wenn »im Prinzip unentscheidbare« Fragen subjektiv entschieden werden, ohne ein Bewusstsein darüber zu haben, dass es eine freie Entscheidung ist, entsteht die Idee des »Rechthabens«, was zu Konflikten führen kann. Das bedeutet: Wenn ich mir nicht darüber im Klaren bin, dass ich mich frei entschieden habe, eine bestimmte Betrachtungsweise einzunehmen, sondern davon ausgehe, dass meine Sichtweise »objektiv« und somit »richtig« ist, werde ich in der Auseinandersetzung mit einer anderen Person darauf beharren, dass meine Sichtweise die einzig mögliche und somit richtige ist. Wie schon Paul Watzlawick (1997) sagte: Der Glaube, dass die eigene Sicht der Realität die einzige Realität ist, ist die gefährlichste aller Täuschungen.

2.1.2 Sich als Konstrukteur der eigenen Realität begreifen

Wenn ich mich in einem vollen Vortragsraum vorne an das Mikrofon stelle und das Wort »Bergsteigen« sage, wird ein Teil der Menschen im Raum freudig, gar begeistert reagieren, ein Teil neutral und ein anderer Teil hat dazu unangenehme Gefühle. Im systemisch-konstruktivistischen Denken wird davon ausgegangen, dass wir unsere eigene Realität erschaffen, sie »konstruieren«. Eine direkte Wahrnehmung der Realität ist uns kaum möglich, da sich sofort Gedanken über das, was wir wahrnehmen, einschleichen, ob wir das wollen oder nicht. Es gibt zwar meistens eine (äußere) Realität, auf die sich Menschen im Zusammenleben einigen können, aber jeder nimmt diese gemeinsame Realität anders wahr und reagiert entsprechend dessen, was er für »wahr« hält. Anders ausgedrückt kann man auch mit Gunther Schmidt (2017) sagen: »Wir erzeugen zwar nicht unser Leben selbst, aber im Wesentlichen unser Er-Leben.« Laut Watzlawick (Watzlawick & Kaufmann 1994) ist Konstruktivismus das »Studium jener Prozesse, mit welchen wir uns unsere Wirklichkeit, unsere Sicht der Welt, konstruieren und dann felsenfest annehmen, so sei die Welt wirklich«. Diese Annahme sei häufig die Ursache menschlicher Schwierigkeiten, da die andere Person eine andere Meinung dazu hat. Für Paul Watzlawick ist der Konstruktivismus selbst auch nur eine Konstruktion, aber eine »nützliche Konstruktion«, mit der man etwas erreichen kann. Watzlawick (Watzlawick & Kaufmann 1994) sagt, dass dem Konstruktivismus oft vorgeworfen wird, ein »wieder aufgewärmter Nihilismus« zu sein, »der alle Werte leugnet«. Dem widerspricht er entschieden. Im Gegenteil, wenn der Mensch sich wirklich »als Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit« begreifen würde, wäre er »erstens ein freier Mensch. Denn wer weiß, dass er seine Wirklichkeit jederzeit ändern kann, der ist natürlich frei. Zweitens wäre dieser Mensch im tiefsten Sinne ethisch. Denn wer weiß, dass er selbst seine Wirklichkeit erzeugt, kann sich nicht mehr mit Sachzwängen oder dem schlechten Verhalten anderer Personen herausreden. Drittens wäre ein solcher Mensch konziliant. Denn wer weiß, dass er seine eigene Wirklichkeit erschafft, muss dem anderen notwendigerweise dasselbe Recht geben«. Watzlawick spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von »nicht leidschaffenden« Wirklichkeiten, ihm war klar, dass Menschen sich auch überaus destruktive Wirklichkeiten schaffen können (und nennt als Beispiel den Faschismus). Paul Watzlawick sagt, dass er in seinem Leben nur zwei Menschen getroffen habe, die sehr weit auf diesem Wege waren, d. h. sich weitgehend bereits als Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit gesehen haben und dies auch anderen vermitteln konnten. Der eine war Graf Dürckheim, der andere war Jiddu Krishnamurti, den er in Bombay persönlich kennengelernt hatte.

Eine systemisch-konstruktivistische Haltung klingt erst mal einleuchtend. Sie ist aber nicht so einfach umzusetzen, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wenn es dennoch gelingt, hat diese Haltung enorme Auswirkungen darauf, wie Menschen miteinander umgehen, und vor allem, wie wir in Therapie und Coaching mit Menschen umgehen. Die Konsequenz solch einer Haltung ist, den Kampf um Wahrheit und Rechthaben loszulassen, und sich stattdessen gemeinsam zu fragen: Was ist nützlich und was hilft weiter?

2.1.3 Systemisch-konstruktivistische Haltung im Ask!-Modell

Zunächst erfahren wir die Welt durch unsere Sinne. Diese direkte Sinneserfahrung, könnte man als »primäre Realität« oder »beobachtbare Realität« bezeichnen.6 Dann bewerten, kategorisieren oder assoziieren wir sofort zu dem, was wir sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen. Wir interpretieren unsere Erfahrung. Auf diese Gedanken über die Welt reagieren wir mit Gefühlen und umgekehrt. All das übersetzen wir in ein inneres Bild und erschaffen so eine eigene, »sekundäre« Realität bzw. »innere Realität«. Wir sehen uns selbst, andere und die Welt durch diese subjektive »Brille«. Diese Brille ist getönt durch unsere inneren Bilder. Es ist eine Gewohnheit – und angesichts der Komplexität auch eine Fähigkeit – unseres Verstandes, alles einzuordnen, was wir wahrnehmen. Den Geist ruhig und still zu halten ist eine Kunst, die wir erst (wieder) erlernen müssen. Die »reine« Beobachtung der Realität von unserer Bewertung dieser zu trennen, fällt schwer.

Dass unsere Wahrnehmung der Realität auf inneren Bildern basiert, lässt sich gut an folgendem Beispiel verdeutlichen: Soldaten, die im Krieg verwundet wurden und die gleichen Verletzungen wie Zivilisten davontrugen, litten laut Untersuchungen von Beecher weniger unter diesen Verletzungen als die Zivilisten (nach Wall 1982). Warum? Dieselbe Verletzung hatte für beide eine andere Bedeutung. Die Soldaten waren froh, überlebt zu haben, die Zivilisten fokussierten mehr auf die Verletzung. Selbst bei etwas so scheinbar »Objektiven« wie einer körperlichen Verwundung oder Schmerz scheint also die Bewertung, das innere Bild, einen Einfluss auf die erlebte Wirklichkeit zu haben.

Auch die Beobachtung, dass Menschen sich auf aktuellen Fotos häufig als »zu alt« wahrnehmen, zeigt, wie sehr innere Bilder unsere Wahrnehmung lenken: Unser Gehirn »datet« das Selbstbild nur 10 Jahre verzögert »up«. Jede Realität zu beobachten und einzuordnen wäre für das Gehirn unlösbar, daher greift es auf gespeicherte Bilder zurück und überprüft diese nur sporadisch.

Unsere inneren Bilder und unsere Erfahrungen mit der Welt stehen in einer permanenten Wechselwirkung miteinander. Die Interaktionen mit uns selbst, mit anderen und mit der Welt werden durch unsere subjektiven Bilder gesteuert. Durch unsere »Brillen« werden Dinge, Menschen und Situationen zu dem, was wir darin sehen. Und dann reagieren wir darauf. Mit den Jahren verfestigen sich sowohl Brillen als auch Reaktionen zu Gewohnheiten. Diese Muster bilden die eigene Realität, oft die einzige. Meistens sind wir uns unserer Brille nicht bewusst, kommen nicht auf die Idee, sie abzunehmen, zu putzen oder auszutauschen. Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen und handeln automatisch. So ist die eigene Realität oft das Opfer einer Theorie, die uns nicht einmal bewusst ist.

Mit diesen inneren Bildern haben wir es im therapeutischen oder beraterischen Kontext eher zu tun als mit »science«, der »beobachteten Realität«. Probleme und Konflikte ergeben sich dann, wenn die »beobachtbare Realität« nicht dem eigenen inneren Bild entspricht, bzw. sobald das eigene innere Bild nicht mit dem Bild anderer übereinstimmt. Ich empfinde eine systemisch-konstruktivistische Haltung nicht nur immer wieder als hilfreich für meinen eigenen Perspektivwechsel in der Arbeit mit Menschen, sondern nutze sie auch als Intervention, vor allem bei der Dekonstruktion von Problemen innerhalb der ersten Phase des Ask!-Modells, wo es u. a. um eine Unterscheidung von »Beobachtung« und »innerem Bild« geht.7

Erstes Prinzip – Systemisch-konstruktivistische Perspektive und ihre Implikationen:

Die Dinge bzw. Ereignisse an sich sind neutral.

Wir machen Erfahrungen und übersetzen diese in ein inneres Bild.

Unsere Wahrnehmung der Realität basiert auf diesen inneren Bildern, unserer Konstruktion der Realität, unserer »Brille« und umgekehrt.

Unsere Wahrnehmung der Realität ist somit subjektiv.

unsere Interaktion mit uns selbst, anderen und der Welt basiert auf unserer Realitätskonstruktion, unseren inneren Bildern, unserer »Brille«.

Sobald die »Realität« nicht dem inneren Bild entspricht, können sich Schwierigkeiten ergeben.

Sobald das eigene innere Bild nicht dem inneren Bild eines anderen entspricht, können sich Konflikte ergeben.

Wenn es keine »Wahrheit« gibt, dann rücken in der Therapie die Realität der Klienten und ihre Ressourcen in den Vordergrund.

Therapie bewirkt Veränderung durch eine Veränderung der Realitätskonstruktion, der sogenannten »inneren Landkarte« der Klienten.

Essenz:

Durch Erfahrung machen wir uns ein Bild von der Realität und nehmen diese durch einen Filter wahr. Das anzuerkennen hilft, eingefahrene Muster in der Wahrnehmung loszulassen und neue Möglichkeiten zu sehen, die hilfreicher sind.

2.2 Muster identifizieren – Problementstehung und Musterbildung

»Probleme sind oft Kunstwerke von verrückten Vorstellungen, wie man das Leben hinkriegen sollte.« (Uli Clement 2019, Kap. 8)

Das zweite Prinzip des Ask!-Modells beinhaltet ein Konzept zur Problementstehung bzw. Musterbildung: das Bild-Reaktionssystem.

Prolog

Fast jeder Mensch möchte zufrieden sein, sich gut fühlen, vielleicht sogar glücklich sein. Für viele ist »Glück« oder zumindest Zufriedenheit zu erleben der Sinn des Lebens. So weit so gut. Das Problem an diesem Konzept ist die logische Konsequenz daraus: Es bedeutet, sich um all das zu bemühen, was einen glücklich und zufrieden sein lässt, und all das zu meiden, was dem im Weg steht. Was unangenehm ist oder Angst macht, ist somit unerwünscht. Logisch. Die Frage ist, welchen Preis zahlen wir dafür, uns täglich darum zu bemühen, die Dinge so zu lenken, wie wir sie haben möchten? Kann das überhaupt gelingen? Wie viel Einfluss haben wir auf uns selbst, andere Menschen oder die Welt? Was machen wir, wenn etwas nicht so läuft wie erwartet? Und wenn es doch gelingen würde? Wie lange mögen wir etwas, wenn wir es jeden Tag bekommen? In meiner Arbeit mit Klientinnen nutze ich manchmal die Übertreibung, um etwas klarer werden zu lassen, und sage: »Lassen Sie uns Ihre Idee gemeinsam zu Ende denken. Stellen Sie sich mal vor, dass Ihnen alles, was Sie anpacken, gelingt, einfach so, und das ihr Leben lang. Dazu scheint noch jeden Tag die Sonne, es ist genau Ihre Temperatur, Sie erhalten immer Ihr Lieblingsessen und alle Menschen rings um Sie herum sind jeden Tag gleich freundlich zu Ihnen. Was glauben Sie, würde Sie motivieren, morgens aufzustehen? Was glauben Sie, womit Sie sich gedanklich beschäftigen werden?« Wenn man diesen Gedanken also zu Ende denkt und etwas übertreibt, ergibt sich ein recht eintöniges Leben: Wir haben, was wir wollen, und erleben keinerlei Herausforderungen mehr. Möglicherweise bekommen wir Angst, all das zu verlieren, und sind nun vor allem damit beschäftigt, wie wir es schützen können.

2.2.1 Wie entstehen eigentlich Probleme?

Was bedeutet es, wenn jemand sagt: »Das ist ein Problem!«? Nehmen wir einmal an, dieser Ausspruch bezieht sich auf einen Obstfleck auf dem weißen Hemd, nach dem Mittagessen und vor dem Vortrag. Für die Kollegin ist der Fleck kein Problem. Richtiger müsste es also heißen: »Das ist ein Problem für mich!« Probleme entstehen dann, wenn etwas nicht so ist, wie es meinen Vorstellungen nach sein sollte. Jemand anderes, der andere Vorstellungen über Hemden und Vorträge hat, würde den Fleck vielleicht mit Humor nehmen und daraus eine belebende Einleitung gestalten. Probleme entstehen aufgrund unserer inneren Bilder, unserer Vorstellungen darüber, wie wir, andere oder die Welt sein sollten – letztlich also durch unsere Vorlieben. Wir ziehen bestimmte Dinge oder Erfahrungen anderen vor. Da das Leben und die Dinge aber nun mal so sind, wie sie sind, sind eher wir und unsere Vorstellungen das Problem als die Dinge an sich. Wir erschaffen die Welt nicht, aber wir erschaffen die Art und Weise, wie wir diese Welt erleben. Diese Sichtweise ist nicht nur nützlich in der systemischen Arbeit. Selbst schwere Schicksalsschläge werden von Menschen nur »gemeistert«, wenn zunächst die eigene Haltung dazu aktiv gestaltet wird (vgl. Frankl 2015).

Prägung und innere Bilder

Wir machen im Laufe unseres Lebens Erfahrungen. Wenn alles gut läuft, verarbeiten wir diese Erfahrungen und lassen sie wieder los. Wir sind lebendig, haben Energie und Lebensfreude, die Dinge sind »im Fluss«. Wenn die Erfahrungen für uns jedoch sehr angenehm oder sehr unangenehm waren, wollen wir sie festhalten oder vermeiden. Solche Erfahrungen sind laut wissenschaftlicher Forschung vor allem in den ersten sechs Jahren der menschlichen Entwicklung prägend. Sie werden in Form »innerer Bilder« gespeichert, was sich auch neurophysiologisch beschreiben lässt (Hüther 2015). Aber auch spätere Erlebnisse können bleibende Eindrücke hinterlassen. Diese inneren Bilder wirken wie Filter, durch welche wir die Welt (»primäre«, »beobachtbare Realität«) wahrnehmen. Neue Erfahrungen werden durch diese Bilder interpretiert und bewertet. Wir nehmen sozusagen nicht mit neutralen Augen bzw. Sinnen wahr, sondern durch »Brillen«, die unterschiedlich »getönt« sind. Durch diese inneren Bilder projizieren wir unsere subjektive Sicht auf uns selbst, andere und die Welt. Man könnte sagen, dass eine »sekundäre«, »interpretierte Realität« entsteht.

Lösungsversuche und Reaktionen

Aufgrund dieser inneren Bilder entwickeln wir bestimmte Vorlieben und Abneigungen. Wir haben Vorstellungen, wie etwas sein oder auch nicht sein sollte. Dementsprechend reagieren wir: Wenn die Dinge so sind, wie wir sie möchten, öffnen wir uns. Wenn sie unseren Vorstellungen nicht entsprechen, verschließen wir uns. Wenn z. B. jemand etwas tut, was uns nicht gefällt, verschließen wir uns innerlich, und umgekehrt öffnen wir uns, wenn der andere das tut, was uns entspricht. Man denke nur an die Phase der Verliebtheit, in welcher man nicht nur für den anderen völlig offen ist, sondern auch für die »ganze Welt«. Da dieser Zustand von »offen sein« so angenehm ist, möchten wir ihn erhalten und versuchen die andere Person dazu zu bewegen, sich weiterhin so zu verhalten. Tut sie das nicht, reagieren wir. Ebenso, wenn wir etwas als »problematisch« interpretieren. Dann versuchen wir, die Situation entsprechend unserer inneren Bilder zu lösen und nehmen Einfluss. Unsere eigene Reaktion oder die Reaktion der anderen Person bestätigt und verfestigt wiederum das eigene Bild. Diese inneren Bilder prägen unseren Blick auf die Welt und lenken unser Leben. Wir sind sozusagen nicht »frei«, sondern begegnen den Erfahrungen im Leben mit unserer konditionierten Wahrnehmung.

So erzählte mir z. B. ein Mann von seiner Zeit als Azubi für Fernsehtechnik im Außendienst in den 70er Jahren: Er wurde zu einer älteren Dame gerufen, deren Fernseher kaputt war. Vor Ort erkannte er rasch, dass lediglich der Stecker des Fernsehers beim Staubsaugen gezogen wurde, steckte diesen wieder ein, demonstrierte ihr den einwandfrei funktionierenden Fernseher und sagte ihr freundlich, mit einem Blick auf die Uhr: »Wenn ich jetzt sofort wieder gehe, muss ich Ihnen nichts berechnen.« Als er zurückkommt, erwartete ihn sein wütender Chef. Die alte Dame hatte bereits angerufen und sich beschwert, dass der Azubi ihren Fernseher nicht richtig repariert habe. Der völlig perplexe Azubi wird vom Chef wieder zu der Dame geschickt, mit einer neuen, teuren Röhre. Er setzt diese ein und, weil er so wütend war, noch ein weiteres unnötiges, jedoch teures Ersatzteil, kassiert eine entsprechende Summe und bekommt diesmal sogar ein Trinkgeld. Das innere Bild der Realität des angehenden Fernsehtechnikers hat sich durch diese Erfahrung verändert, das der älteren Dame hat sich verfestigt.

Entsprechend der eigenen Präferenzen möchten wir das bekommen oder behalten, was wir bevorzugen, und das vermeiden oder loswerden, was uns nicht zusagt. Wenn die wahrgenommene Realität im Leben nicht der eigenen Norm entspricht, wird dies meist als unangenehm empfunden, wenn nicht sogar als Leid oder als ein Problem. Probleme entstehen dann, wenn etwas verändert werden soll, was sich (so) nicht verändern lässt, oder ein Zustand bewahrt werden soll, der sich verändern kann, anstatt zu akzeptieren, dass es ist, wie es ist. So können sich z. B. Partner, Kinder oder auch Kollegen anders verhalten, als man es gerne hätte, für angemessen oder richtig hält. Es kann aber auch sein, dass man sich selbst auf eine Art verhält oder reagiert, die nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Selbst die Welt kann den eigenen Vorlieben widersprechen, wenn es z. B. regnet, obwohl man eine Wanderung geplant hat, oder ein Flug sich verspätet, obwohl man zu einem wichtigen Termin muss. In all diesen Fällen empfinden Menschen Unbehagen. Die natürliche Reaktion auf Unbehagen ist der Versuch, etwas an der erlebten Situation zu verändern. Diese Reaktionen oder Lösungsversuche können bewusst oder auch unbewusst ablaufen und reichen von innerer Auflehnung wie z. B. »sich ärgern« bis hin zu geplanten Lösungsstrategien nach dem Motto »Vielleicht habe ich es noch nicht genug versucht«.

Sind diese Reaktionen bzw. Lösungsversuche erfolgreich, schwindet das Unbehagen. Wir sind zufrieden. Laut Watzlawick et al. (1974) beobachten wir z. B. ein körperliches Symptom, bewerten es im Vergleich zu sonst und starten dann sofort einen Lösungsversuch. In den meisten Fällen kann diese Abweichung vom Sollzustand durch eine Veränderung wieder reguliert werden. Wenn z. B. der Blutzuckerspiegel abnimmt und ich Hunger bekomme, kann ich die Blutzuckernorm wiederherzustellen, indem ich etwas esse. Hier bewirkt die Anwendung des Gegenteils (niedriger Blutzucker vs. hoher Blutzucker) die gewünschte Veränderung. Wenn die Änderung nach ein wenig Essen nicht zufriedenstellend war, würde mehr Essen wahrscheinlich das Problem lösen. In diesem Beispiel war das Problem durch Logik und durch »mehr desselben« lösbar.

Etwas sehr zu wollen, was man nicht hat, oder nicht zu wollen, was man hat, ist nicht falsch, es funktioniert nur nicht, wenn man glücklich und zufrieden sein möchte. Warum? Weil man sein Glück an Bedingungen knüpft, die sich sicherlich im Laufe der Zeit verändern werden. Wie in Tabelle 1 dargestellt, ergeben sich daraus folgende Lösungsversuche bzw. Reaktionen, die sich mit der Zeit zu Problemen entwickeln können: Man will etwas, was man hat, und hat Angst, es zu verlieren (z. B. Vermögen); man will etwas, was man nicht hat, und kämpft darum, es zu bekommen (z. B. Anerkennung); man will etwas nicht, was man hat, und versucht, es loszuwerden (z. B. Angst), oder man will etwas nicht, was man nicht hat, und versucht zu verhindern, es zu bekommen (z. B. Corona).

Tabelle 1: Lösungsversuche und Reaktionen, die den meisten Problemen zugrunde liegen

Situation

Zustand

Motivation

HABEN

(vorhanden)

NICHT HABEN

(nicht vorhanden)

WOLLEN

(Begehren)

Nichtveränderung

Festhalten und Angst, etwas zu verlieren, was man behalten möchte (z. B. Vermögen)

Veränderung

Dafür kämpfen, etwas zu bekommen, was man nicht hat (z. B. Anerkennung)

NICHT WOLLEN

(Ablehnung)

Veränderung

Gegen etwas ankämpfen, was man hat (z. B. Angst)

Nichtveränderung

Vermeiden und Angst, etwas zu bekommen, was man nicht hat (z. B. Corona)

2.2.2 Musterbildung – Teufelskreise von »mehr desselben«

Sind Reaktionen bzw. Lösungsversuche jedoch nicht erfolgreich, läuft meist dieselbe unbewusste Reaktion automatisch weiter ab oder es wird dieselbe Lösungsstrategie in verschiedenen Variationen wiederholt angewandt, bis man feststeckt. Wie in Kapitel 1 als »Veränderung erster Ordnung« beschrieben, gibt es Probleme, bei denen die Anwendung des Gegenteils, gefolgt von »mehr desselben«, das Problem nicht nur nicht löst, sondern noch verschärft. Das eigentliche Problem ist dann dieser Lösungsversuch (Watzlawick et al. 1974). Ein großer Teil der eigenen Energie kreist in solchen Fällen um diese Blockade. Der Verstand beschäftigt sich ständig damit, es fühlt sich emotional unangenehm an. Je mehr man um diese Blockade herum kreist, desto stärker wird sie. Sie beeinflusst zunehmend das Leben, indem sie das Denken, Fühlen und Handeln lenkt. Die Wahlmöglichkeiten schränken sich ein, das Leben wird enger, es schließt sich eher, als dass es sich öffnet. So kann aus Unbehagen (aufgrund eines Ereignisses oder einer Situation) ein Problem werden.