Inselhochzeit - Sandra Lüpkes - E-Book
SONDERANGEBOT

Inselhochzeit E-Book

Sandra Lüpkes

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

«Die Liebe ist wie das Wattenmeer der Nordsee: Erst wenn die Strömungen des Alltags sie bedecken, wird deutlich, wo die eigentlichen Gefahrenstellen lauern.» Jannike hat es gewagt: Auf der kleinen Nordseeinsel konnte sie das heruntergekommene Leuchtturmwärterhaus in ein charmantes Hotel verwandeln. Genauer: in ein romantisches Hochzeitshotel! Ob Heiratsantrag beim Dünenpicknick oder Hochzeit im Watt – Jannike macht alles möglich. Doch ihr eigenes Liebesleben liegt brach. Erst, als der ehemalige Postbote Mattheusz auf die Insel zurückkehrt, schöpft sie neue Hoffnung. Läuten am Ende die Hochzeitsglocken der kleinen Inselkirche auch für Jannike?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 396

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sandra Lüpkes

Inselhochzeit

Roman

Über dieses Buch

«Die Liebe ist wie das Wattenmeer der Nordsee: Erst wenn die Strömungen des Alltags sie bedecken, wird deutlich, wo die eigentlichen Gefahrenstellen lauern.»

 

Jannike hat es gewagt: Auf der kleinen Nordseeinsel konnte sie das heruntergekommene Leuchtturmwärterhaus in ein charmantes Hotel verwandeln. Genauer: in ein romantisches Hochzeitshotel! Ob Heiratsantrag beim Dünenpicknick oder Hochzeit im Watt – Jannike macht alles möglich. Doch ihr eigenes Liebesleben liegt brach. Erst als der ehemalige Postbote Mattheusz auf die Insel zurückkehrt, schöpft sie neue Hoffnung. Läuten am Ende die Hochzeitsglocken der kleinen Inselkirche auch für Jannike?

Vita

Sandra Lüpkes kennt sich an der Nordsee und auf den Inseln bestens aus: Die Autorin ist auf Juist aufgewachsen und war viele Jahre selbst Gastgeberin für Nordseeurlauber. Sie hat zwei Töchter und wohnt seit einigen Jahren mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Jürgen Kehrer in Münster. Zahlreiche Romane, Sachbücher, Drehbücher und Erzählungen hat Sandra Lüpkes bereits veröffentlicht. Nach dem Erfolg von «Das kleine Inselhotel» folgt hier nun der zweite Band um Jannike Loog und ihr umgebautes Leuchtturmwärterhaus.

 

Weitere Veröffentlichungen

Wencke-Tydmers-Reihe

Die Sanddornkönigin

Der Brombeerpirat

Das Hagebutten-Mädchen

Die Wacholderteufel

Das Sonnentau-Kind

Die Blütenfrau

 

Weitere Romane

Das kleine Inselhotel

Die Inselvogtin

Fischer, wie tief ist das Wasser

Halbmast

Inselweihnachten

Nordseesommer

Natürlich sind die Insulaner oft skurril und die Gäste manchmal nervig, trotzdem wurden alle Figuren in diesem Roman erfunden und die Dinge, die sie tun, auch. Leider.

Nein, das geht nicht. Viel zu abgedroschen. Schon tausendmal formuliert, in Filmen, in Romanen, in Songtexten, vielleicht sogar im wahren Leben. Zwar entspricht es genau dem, was ich mir wünsche, denn seit wir uns kennen, hat sich alles zurechtgerückt wie in einem dieser Tetris-Spiele aus den frühen Neunzigern: Wenn die Mauer schon fast bis zum oberen Rand gewachsen ist und man denkt, das war’s, gleich ist die Sache gelaufen, Game over, fällt ein Baustein genau so, dass er das verkantete Teil neben ihm ergänzt, was eine Kettenreaktion auslöst, sodass endlich alles passt und der riesige Haufen in sich zusammenfällt. Aber so etwas kann man nicht schreiben: Hey, du hast den Highscore in meinem Leben erhöht. Mit dir starte ich ins nächste Level.

Oder doch?

Woher soll ich das wissen? Ich habe noch nie einen Heiratsantrag gemacht. Ich kann das nicht. Du wirst mich langweilig finden und nein sagen. Also streiche ich die Zeilen durch, mehrfach, zerknülle anschließend das Blatt und schleudere den Papierball in den Korb unterm Tisch. Treffer! Wenigstens da kann ich zielsicher landen. Für einen Moment bin ich frustriert. Schaue aus dem Fenster. Sieht nach schlechtem Wetter aus, die Möwen fliegen tief. Egal, tröste ich mich. Muss ja nicht heute sein. Morgen starte ich einen neuen Versuch. Und wenn das wieder nichts wird, den nächsten und übernächsten und jeden Tag einen, bis es endlich passt.

Bis ich sicher sein kann, ein Ja von dir zu hören.

Vierundzwanzig Gäste waren anwesend. Männer und Frauen in festlichen Kleidern saßen eng beieinander auf Holzstühlen, die rund um das große Leuchtfeuer aufgestellt worden waren. Draußen kreisten neugierige Möwen um die Spitze des Leuchtturms. Während Theelke mit ihrer wunderbar klaren Mädchenstimme ein altes plattdeutsches Liebeslied sang, wurden – wenn Jannike richtig zählte – achtzehn Taschentücher gezückt. Das ergab eine Heulquote von 75 Prozent und war somit neuer Rekord!

Na gut, heute waren die Bedingungen natürlich auch optimal: Bis elf hatte der Himmel über der Insel wie ein zerwühltes Federbett ausgesehen. Dicke, schwere Wolken, die wie ausgeleiert über der Nordsee durchhingen, hatten die Gesellschaft bangen lassen, ob der Tag vielleicht komplett ins Wasser fallen würde. Doch dann – pünktlich mit dem Einsetzen der Flut – schob die grauweiße Decke Richtung Osten ab, und die Sonne ging an wie ein Megascheinwerfer, der all das, was da unten auf dem Fleckchen Erde mitten im Wattenmeer gerade passierte, perfekt in Szene setzte.

So etwas macht rührselig, wusste Jannike. Wer befürchten muss, dass es regnet, empfindet die Sonne als Geschenk. Wäre das Wetter bereits heute Morgen makellos gewesen, man hätte es für selbstverständlich gehalten. Wie im echten Leben, dachte Jannike, denn immer wenn sie ganz oben auf ihrem Leuchtturm stand, fing sie das Philosophieren an: Wer schon erlebt hat, dass Pläne gründlich in die Hose gehen können, weiß das Glück des Augenblicks viel mehr zu schätzen. Und dann kullern auch schon mal ein paar Freudentränen.

Der Bürgermeister räusperte sich. «Und nun frage ich Sie, Franziska Neemann, wollen Sie den hier anwesenden Sönke Schonebeck …»

Jannike kannte die Leute gar nicht, sie wusste nicht, ob Franziska und Sönke sich vielleicht schon seit dem Sandkasten liebten, sich auf der Arbeit kennengelernt oder eine Internet-Partnerbörse in Anspruch genommen hatten. Trotzdem ging ihr dieser Moment ans Herz. Hochzeiten waren eben etwas ganz Besonderes: gleichzeitig Happy End und der Start in eine ungewisse Zukunft als Ehepaar.

Die Schonebecks kamen aus dem Münsterland und hatten im Februar angefragt, ob sie im Wonnemonat Mai das gesamte Hotel für ein verlängertes Wochenende buchen könnten, um ihre Hochzeit zu feiern, mit allem Drum und Dran. Das bedeutete: vier Übernachtungen mit Frühstück für knapp zwanzig Personen, was schon mal nicht schlecht war, denn bislang hatte es für die Tage um Himmelfahrt nur ein paar vage Anfragen gegeben. Dann wünschten die Gäste noch Musik während der Trauung und einen Champagnerempfang danach, beides sollte oben im Leuchtturm stattfinden, Blumenschmuck inklusive, sowie eine Kutschfahrt zum Strand und anschließend eine Gartenparty auf der Hotelterrasse. Das Ganze im Friesenstil, also mit Shantychor und landestypischen Gerichten. Ob das möglich sei, ob man das in der kurzen Zeit organisiert bekomme?

Danni und Jannike hatten nicht lange gezögert. Gerade waren mit der Post die ersten Zahlen ihres Steuerberaters gekommen und machten deutlich: Sie mussten etwas tun. Der Hotelbetrieb allein würde nicht reichen, um über die Runden zu kommen. Also warum nicht zusätzlich ein bisschen was anbieten, das über Frühstück und täglichen Zimmerservice hinausging? Zweitausend Euro würde der Spaß kosten, zuzüglich Zimmermiete, Speisen, Getränke und sonstiger Extras, ließen sie die Schonebecks per Kostenvoranschlag wissen, und die willigten gleich ein. Na also. Danni war ohnehin sofort Feuer und Flamme gewesen, Partys auszustatten hatte ihm schon in ihrer gemeinsamen Zeit in Köln viel Spaß gemacht. Und heute war es also so weit, die Gäste waren angereist, das Paar war furchtbar aufgeregt, Jannike und Danni waren beinahe genauso nervös. Hoffentlich klappte alles.

«Ja», hauchte eine zittrige Stimme. Die Braut trug ein Kleid, das fast zu ausladend für den schmalen, 172 Stufen langen Aufstieg zur Leuchtturmspitze gewesen war. Jannike hatte eine Picknickdecke aus dem Wäscheraum holen und über den Rock breiten müssen, sonst hätten Satin und Pailletten an den rauen Steinwänden gescheuert. Was man alles bedenken musste, wenn man den großen Tag im Leben anderer Menschen plante!

Siebelt Freese, der Inselbürgermeister, war da zum Glück weniger problematisch. Er trug Fischerhemd und dunkelblaue Jeans. Darauf standen die meisten Brautleute, und wenn der Standesbeamte dann auch noch einen Vollbart hatte und mit sonorer Bassstimme sowie in friesischem Slang sprach – perfekt.

«Und wollen Sie, Sönke Schonebeck, die hier anwesende Franziska Neemann …»

Trauungen auf dem Leuchtturm wurden schon länger von der Tourismuszentrale angeboten. Seit Jannike im letzten Jahr die Verwaltung des fünfzig Meter hohen Seezeichens übernommen hatte, war dies die dritte Hochzeit. Die beiden Feiern davor waren jedoch vergleichsweise bescheiden ausgefallen. Nur Trauung, Sektempfang und einmal ein mit Luftballons geschmücktes Tandem, auf dem das Paar ins Dorf zurückradeln konnte. Kein Vergleich zum Schonebeckschen Rundum-sorglos- und Romantikgarantiepaket.

«Ja!», antwortete der frischgebackene Ehemann.

«Dann erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau.»

Die Hochzeitsgesellschaft klatschte, und zwar nicht nur die Gäste, die zum VIP-Kreis gehörten und ganz oben einen Stuhl ergattert hatten, nein, auch die Freunde und Verwandten, die auf der Wendeltreppe sowie am Fuße des Leuchtturms standen und das Eheversprechen via Lautsprecherboxen mitbekommen hatten. Die Schonebecks ließen es krachen. 80 Leute waren auf die Insel gereist, um Franziska und Sönke unter die Haube zu bringen. Wer nicht im kleinen Hotel am Leuchtturm hatte untergebracht werden können, wohnte nebenan bei Jannikes Freundin Mira Wittkamp in der Pension am Dünenpfad oder in einem der anderen Gästehäuser. Auch das hatten Jannike und Danni organisiert. Eigentlich hätte man für den Aufwand auch mehr als zweitausend Euro nehmen können.

Danni schmiss sein in die Ecke beim Stromkasten gequetschtes E-Piano an, stellte auf Orgelklang und spielte den Hochzeitsmarsch. Schon ein bisschen schmalzig, aber so war es ausdrücklich gewünscht. Da – das neunzehnte Taschentuch! Diesmal heulte der Brautvater, passgenau in dem Moment, als die Ringe auf die Finger geschoben wurden. Die neben ihm sitzende Frau tätschelte zärtlich seine fleischigen Hände. Irgendwie süß! Wie lange die beiden wohl schon ihre Trauringe trugen?

Siebelt Freese stand auf, sagte noch ein paar Worte zum Abschluss, riss wieder den bewährten Witz über den Ostfriesen, der seine Braut am Hochzeitstag über die Schwelle ins Schlafzimmer trägt, obwohl den inzwischen wirklich jeder kannte, dann sang Theelke die letzte Strophe des friesischen Liebesliedes, und die Zeremonie war vorbei.

Wie verabredet öffnete Jannike die Tür nach draußen. Das Rauschen der Wellen wehte herein, ebenso die heiseren Schreie der Möwen, die nun noch aufgeregter flatterten, weil da oben auf dem Plateau des Leuchtturms so viel los war. Der Inselfotograf schlüpfte als Erster auf den schmalen Balkon und brachte sich in Position, gefolgt von Jannike, die sich sofort zum Tisch mit den bereitgestellten Gläsern begab. Dann traten die Frischvermählten heraus, der Wind griff leicht unter den Schleier, hob ihn an und wehte dem Bräutigam den weißen Tüll ins Gesicht. Beide lachten, der Fotograf hielt drauf, das würde wunderschöne Bilder geben.

«Herzlichen Glückwunsch!», sagte Jannike, ließ den Champagnerkorken knallen, schenkte ein und reichte Glas um Glas an die Gäste weiter. Die Möwen ringsherum machten Jannike ein wenig nervös, denn die großen weißen Vögel kreisten so nah um die Köpfe der Hochzeitsgesellschaft, dass man das Gefühl nicht loswurde, sie wollten mitfeiern. Die beiden Blumenkinder standen direkt am Geländer, lachten, streckten ihre Hände erst in eine Papiertüte, dann in die Luft. Sie verteilten aber keine Rosenblätter, nein, das war getrocknetes Brot. Was machten die denn da? Jannike hielt die Luft an und drängte sich in der Enge am Reifrock der Braut vorbei, um zu den kleinen Mädchen in ihren rosafarbenen Kleidchen zu gelangen.

«Bitte, ihr dürft auf keinen Fall die Möwen füttern!», warnte sie mit einer Stimme, die sich zwischen Strenge und Flüstern nicht so recht entscheiden konnte. «Das ist gefährlich!»

«Aber die Möwen sind doch so schön», erwiderte das eine Kind und warf gleich noch eine Handvoll Krümel in die Luft. Drei Möwen kamen herabgeflogen, schnappten sich die Brosamen, kreischten, schwangen sich wieder in die Höhe. Die Leute auf dem schmalen Balkon zeigten sich begeistert. Auch der Fotoknipser war ganz aus dem Häuschen, die Kamera im Anschlag. «Bitte recht freundlich! Und dreht euch mal so, dass man diese wunderschönen Flügel vor dem blauen Himmel … ach ja, herrlich!»

Jannike wollte nach der Brottüte greifen. «Das ist keine gute Idee, ihr beiden, die Tiere sind …»

«Aber nun lassen Sie doch die Kinder», mischte sich der Brautvater ein. «Woanders lassen sie nach einer Trauung weiße Tauben fliegen, hier auf der Insel sind es eben Möwen!»

Tauben war ein gutes Stichwort, dachte Jannike. Niemand, der in einer Großstadt lebte, mochte Tauben. Als sie selbst noch in Köln gewohnt hatte, also vor etwas mehr als einem Jahr, da hatte es beinahe täglich in der Zeitung gestanden: Schäden am Dom, Verschmutzung im Park – die Ratten der Lüfte wurde das Federvieh gemeinhin genannt. Und was die Tauben in Köln waren, waren die Möwen auf der Insel. Vielleicht sogar noch schlimmer, denn die Meeresvögel entpuppten sich als nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, etwas zum Fressen zu ergattern oder Konkurrenten zu verjagen.

«Glauben Sie mir, als Fotomotiv sind sie wunderschön, aber wenn man die Viecher füttert …»

Das kleinere Mädchen streckte, vor Vergnügen quietschend, seine Hand aus, was die größte der Möwen natürlich mitbekam. Wie gewaltig die Spannbreite der Flügel war, begriff man erst aus der Nähe, so wie jetzt, als der muskulöse, gefiederte Körper im Sturzflug auf den Leuchtturm zugeschossen kam und sich mit seinem weit aufgerissenen gelben Schnabel die Beute schnappte.

«Hilfe!», schrie das Blumenkind, es hatte nur noch einen kläglichen Papierfetzen in der Hand, der Rest der Tüte flog gerade davon. Die herausfallenden Brotreste kamen gar nicht erst auf dem Boden auf, vorher hatte ein halbes Dutzend Möwen die Brocken schon gierig im Flug verschlungen. Dann schwangen sie sich wieder hinauf und verschwanden zufrieden Richtung Meer. Bis auf die eine, die Größte, die noch kurz zurückkam, um einen persönlichen Dank zu hinterlassen.

«Iiiihh!!!», kreischte die Braut.

Jannike hatte es kommen sehen.

«Das schöne Kleid!», rief die Brautmutter. «Ausgerechnet auf die kostbare Spitze!»

Der Fleck war grün-schwarz und ungefähr halb so groß wie das Saarland, zumindest musste es für Franziska, frischvermählte Schonebeck, so aussehen, wenn sie an sich herunterblickte.

«Scheißviecher!», brüllte der Brautvater. Bestimmt hatte er das Kleid bezahlt. Wieso musste er auch Jannikes Warnungen in den Wind schlagen? Eigentlich wäre jetzt die Gelegenheit gewesen für ein kleines bisschen Schadenfreude, doch Jannike riss sich zusammen, als sie die tränenfeuchten Augen der Braut sah. Die ganze Schminke drohte davonzuschwimmen, und das durfte nicht passieren, höchstens bei Freudentränen. Aber ganz bestimmt nicht, weil eine fette Möwe auf das edle Hochzeitskleid gekackt hatte. Wenn diese erste große Inselhochzeit nicht zum Megaflop werden sollte, musste Jannike etwas unternehmen.

Danni, der drinnen gerade das E-Piano zusammenklappte, fing ihren verzweifelten Blick auf. Doch auch er zuckte nur hilflos mit den Schultern, ebenso der Bürgermeister, der sich ja sonst im Prinzip für alle größeren und kleineren Probleme auf der Insel zuständig fühlte.

«Hat denn hier keiner eine Ahnung, wie man Möwenschiete aus Satin entfernt?», rief Jannike ohne große Hoffnung.

«Essig», sagte Theelke so beiläufig, als hätte Jannike lediglich nach der Uhrzeit gefragt. Theelke war die Tochter von Mira Wittkamp, der benachbarten Pensionswirtin, mit der Jannike sich im letzten Jahr angefreundet hatte. Das Mädchen war keine zehn Jahre alt, aber in diesem Fall wohl weiser als alle anderen zusammen. «Macht meine Mutter immer, wenn auf der Leine im Garten die Gästebettwäsche bekleckert wurde. Essig und danach ganz viel Wasser!» Dann schnappte sie sich den Umschlag, in dem der kleine Obolus steckte, den sie für die Gesangseinlage vereinbart hatten.

«Wenn das funktioniert, bekommst du eine Gehaltserhöhung», versprach Danni und strich ihr über den Scheitel.

Nach dem maritimen Malheur löste sich die Festgesellschaft weit schneller auf als geplant. Alle machten den Weg frei für die Braut, die mit hochrotem Kopf und wie vom Teufel gejagt die Wendeltreppe hinunterrannte. Eigentlich hatten die Schonebecks sich einen feierlichen Ausmarsch mit Rosenblattregen und Spalier stehenden Gästen geradewegs zur Kutsche vorgestellt, doch dafür blieb keine Zeit, jetzt ging es um Essig, alles andere war unwichtig.

Jannike flog hinterher. Zum Glück schwor Bogdana, ihre Hausdame, auf genau dieses Zeug, um Kalkflecken von Duschwänden und Armaturen zu entfernen, sie hatten mindestens drei Flaschen davon im Putzraum stehen.

Während kurz darauf die polnische Sauberkeitsexpertin nebst zwei Brautjungfern am Satin herumschrubbten, half Jannike der Braut, trotz kleinfummeliger Hochsteckfrisur halbwegs unbeschadet in die Ersatzkleidung zu steigen: einen mausgrauen Jogginganzug.

«Wennschon, dennschon», hatte Franziska Schonebeck kurz entschlossen bestimmt. «Wenn Sönke und ich jetzt unsere Kutschfahrt machen und ich dabei mein Brautkleid nicht tragen kann, dann soll es auch kein Sommerkleid oder Hosenanzug sein.»

«Und warum nicht?», fragte Jannike.

Zum Glück hatte die junge Frau ihr Lächeln inzwischen wiedergefunden. «Wenn mich irgendwann mal unsere Kinder oder Enkelkinder fragen, warum ich auf den Fotos so einen ollen Schlabberlook trage, dann kann ich ihnen wenigstens eine richtig gute Geschichte erzählen, oder?»

Das fand Jannike ziemlich sympathisch. Gemeinsam wischten sie noch das zerflossene Make-up aus dem Gesicht, denn ungeschminkt passte die Braut besser zu ihrem neuen Outfit – und der Inselfotograf, der nun Bilder machte von einem eleganten Bräutigam in schwarzem Zweireiher neben einer Frau in schlabberigem Sweater mit Kapuze, kriegte sich gar nicht mehr ein. «Das ist vollkommen krass!», jauchzte er und lichtete auch gleich noch die schwarzen Friesenhengste mit den geflochtenen Mähnen ab, die Rosengirlande rund um die Kutschlehne und zum Schluss sogar die Dosen, die hinter dem Gespann klapperten, als es sich Richtung Strand in Bewegung setzte.

Zurück blieben Jannike und Danni, die auf der Sonnenterrasse standen und erst einmal durchatmen mussten. Hinter dem Hotel wehte das Brautkleid auf der Wäscheleine. Den Fleck konnte man von hier aus nicht mehr erkennen, und bei der Sonne und dem lauen Maiwind wäre der Stoff bei der Rückkehr des Brautpaares vielleicht schon wieder trocken.

Danni legte den Arm um Jannike und küsste sie auf die Wange. «Das haben wir doch großartig gedeichselt, oder?»

Jannike nickte.

«Könnten wir öfter machen!»

«Hab ich auch schon überlegt.»

«Wollen wir einen Partyservice gründen?»

«Danni …»

«Oder als Wedding-Planner einsteigen?»

«Du hast Ideen!»

«Ja, hab ich, mehr als genug.» Danni klatschte in die Hände. «Aber hopp jetzt, gleich nach dem Strandausflug kommen achtzig Gäste, wir sollten uns ranhalten! Lucyna deckt derweil die Tische ein, ich mache in der Zeit die Sanddornbowle klar.» Er fasste nach ihrer Hand. «Hey, Janni, du wolltest doch die Hochzeitssuppe …»

Typisch Danni, er war immer in Bewegung, immer voller Tatendrang. Jannike ließ sich nicht von ihm mitziehen, sondern blieb, wo sie war. Sie schaute in den Himmel, sah die blöden Möwen, die von hier unten doch wieder so malerisch schön waren, und seufzte.

Nicht wegen der Beinahekatastrophe mit dem Kleid, nicht wegen der Champagnerflaschen, die noch halb voll da oben in fünfzig Meter Höhe herumstanden, genau wie die Stühle, die sämtliche 172 Stufen wieder heruntergeschleppt werden mussten, weil sie später auf der Sonnenterrasse gebraucht wurden. Nein, sie seufzte nicht wegen der Arbeit, die jetzt anstand. Die machte sie gern. Die hatte sie sich ausgesucht, damals, vor einem Jahr, als sie einen mutigen Neustart auf der Insel hingelegt und ein kleines Hotel mit acht Doppelzimmern gekauft hatte.

Wenn sie ehrlich war, seufzte sie wegen dem, was die Braut vorhin gesagt hatte. Die Sache mit den Kindern und Enkelkindern. Sie seufzte wegen der Vorstellung, dass irgendwann jemand fragen würde: Hey, Jannike, wie war denn deine Hochzeit damals?, und sie hätte keine Geschichte zu erzählen, keine mit Glücksmomenten und kleinen Anekdoten am Rande. Ob es an ihrer Hochzeit geregnet haben würde, der Pastor betrunken oder der Wein nach einer Dreiviertelstunde von ihren Freunden leer gesoffen gewesen wäre – sie würde solche Geschichten niemals erzählen können. Denn sie war knapp über vierzig, ledig, und ein passender Mann nicht in Sicht, Kinder und Enkelkinder waren also erst recht keine Option. Blöd, dass sie ausgerechnet jetzt von solchen Gedanken heimgesucht wurde. Das durfte ihr aber nicht bei jeder Hochzeit passieren! Eigentlich war sie auch kein grüblerischer Typ, das passierte ihr – wie gesagt – höchstens mal auf der Spitze des Leuchtturms. Hier und jetzt stand sie aber mit beiden Beinen auf dem sandigen Grund ihrer neuen Heimat. Warum also diese Melancholie?

Nun, es war Mai, und Mattheusz hatte sich noch immer nicht gemeldet.

Ach, Unsinn, dachte Jannike, daran liegt es nicht. Sie machte auf dem Absatz kehrt und pflückte auf dem Weg in die Hotelküche noch ein bisschen Schnittlauch und Petersilie im kleinen Kräutergarten. Nein, sie hatte Mattheusz längst abgeschrieben. Der war in Polen und hatte sie vergessen.

Nachts und bei Flaute war die Insel noch stiller als still. Und noch dunkler als dunkel, denn der Inselrat hatte vor einigen Jahren aus Sparsamkeitsgründen beschlossen, um Mitternacht die Straßenbeleuchtung abzustellen.

Trotzdem fand Bischoff den Weg. Den hätte er auch mit verbundenen Augen gefunden, seit Jahren schon nahm er ihn jede Woche einmal, das Werkzeug im Rucksack verstaut, eine Tüte für den Abfall in der Jackentasche. Wenn er sein Hotel verließ, musste er nur kurz links den Deichweg entlang, dort gab es einen kleinen Trampelpfad zwischen den Häuschen hindurch, wo um diese Uhrzeit kein einziges Licht mehr brannte. Seeluft macht müde, die Gäste wurden abends nicht besonders alt. Und die Insulaner waren auch k.o. vom Saisonstress und mussten morgen wieder früh raus.

Also war keine Menschenseele unterwegs. Nur er. Gerd Bischoff. Einflussreichster Hotelier der Insel, stellvertretender Bürgermeister und waschechter Insulaner. Ein Mann von Format, bei dem niemand groß nachfragen würde, was er vorhatte, um zwei Uhr nachts in den Randdünen der Insel, deren Betreten strengstens untersagt war. Und sollte ihm doch jemand über den sandigen Weg laufen, dann würde er schnell den Spieß umdrehen und sich aufregen, einen auf laut machen, mit Anzeige drohen: «Die Dünen schützen unsere Insel vor Sturmfluten. Wer hier einfach in der Gegend herumtrampelt, macht die Wurzeln vom Strandhafer kaputt, die unser Eiland zusammenhalten! Ich hole gleich den Dünenwärter, der schreibt Ihren Namen auf, und dann wird es ziemlich unangenehm für Sie!» Ja, so eine Tirade würde er loslassen, sollte ihm jemand begegnen. Was in all den Jahren noch nicht einmal passiert war.

Direkt hinter der Pension Seeliebe wurde der Marsch anstrengender, die Sandberge ragten steil in den wolkenlosen Nachthimmel, und bei jedem Schritt, den er machte, rutschte er die halbe Strecke wieder hinunter, fast als liefe man auf einer abwärtsfahrenden Rolltreppe nach oben. Gut, er war nicht gerade ein Spargeltarzan, und sein Körpergewicht erschwerte den Aufstieg, aber es musste sein. Er hielt kurz inne und wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß aus dem Gesicht. Der Sand rieselte ihm unter den Füßen weg, erst als er sich an einer knorrigen Silberpappel festhielt, kam Bischoff wieder ins Gleichgewicht. Früher, als er mit seinem Vater unterwegs gewesen war, ebenfalls nachts, mit demselben Gepäck ausgerüstet, da war ihm die Strecke richtig abenteuerlich erschienen. Er hatte sich gefühlt wie ein Dieb auf Beutezug. Und verboten war das Ganze ja auch wirklich. Aber heute war es kein Abenteuer mehr. Eher eine lästige Pflicht. Und zwar eine, die man leider nicht auf die polnischen Saisonkräfte abschieben konnte. Nein, das musste Bischoff schon selbst erledigen.

Das Störtebeker lag direkt an der Promenade neben dem Abgang zum Hauptbadestrand und sah ein bisschen aus wie ein Dreimaster im Dünenmeer, denn die Terrasse war schiffsförmig, und die Sonnensegel waren an drei großen, beflaggten Masten befestigt. Tatsächlich hieß es dort immer, volle Fahrt voraus: von Mittag bis Mitternacht, zwölf Stunden Bier zapfen, Waffeln backen, Modegetränke wie diesen Prosecco mit irgend so einem orangefarbenen Zeug kredenzen, ein halbes Dutzend Austern gab es auch für zwölf Euro, in der Happy Hour für zehn. Mit dem Laden machte Bischoff unterm Strich mehr Gewinn als mit allen Restaurants und Bars im Hotel zusammen. Die Leute liebten diese Bude, Urlauber und Insulaner verabredeten sich hier, seit Generationen schon hieß es: «Heute Abend noch auf ’n Absacker ins Störtebeker?» Und es blieb nie bei einem. Dafür sorgten das gut aussehende Personal, die fetzige Schlagermusik und nicht zuletzt der einzigartige Ausblick auf den Strand. Bei gutem Wetter gab es sogar noch einen romantischen Sonnenuntergang inklusive. «Darauf musst du immer achten, mien Jung», hatte sein Vater ihm damals bei den Nachtwanderungen eingebläut. «Die Gäste wollen das Meer sehen. Das ist wie Kino – und die Vorstellung läuft gratis rund um die Uhr. Du musst nur zusehen, dass das Publikum dabei auch keinen trockenen Hals kriegt.»

Bischoff war angekommen und schob sich an den gläsernen Wänden vorbei, die als Windfang für die Terrasse dienten. Er setzte den Rucksack ab, öffnete die Schnallen und holte das Werkzeug heraus. Die Klingen waren so scharf, dass ein herabfallendes Blatt in zwei Teile geschnitten würde. Einmal im Monat schleifte Hausmeister Uwe das Metall. Er hatte nie nachgefragt, wofür, wollte schließlich seinen Job nicht verlieren. Zwei-, dreimal ließ Bischoff die Schere auf- und zuschnappen, eine Angewohnheit, denn natürlich bewegte sich das Ding einwandfrei, Uwe benutzte Caramba-Spray für die Mechanik, da rostete nichts mehr. Dann ging Bischoff in die Hocke und begann zu schneiden. Büschel für Büschel büßte der Strandhafer seine Spitzen ein. Es hatte geregnet gestern, das Zeug war gewachsen wie Unkraut. Mehrere Zentimeter mussten dran glauben. Die Abschnitte warf er direkt in die mitgebrachte Tüte. Bloß keine Beweise herumliegen lassen.

Einmal hatte es Ärger mit den Ökofuzzis gegeben. Die hatten es gewagt, auf der Inselratssitzung diesen ungeheuerlichen Verdacht zu äußern: dass es kein Zufall war, wenn ausgerechnet das Störtebeker Jahr für Jahr den besten Umsatz machte. Es gab noch drei andere Strandbars, die Nixengrotte, das Windeck und den Strandlooper, aber alle waren bei weitem nicht so gut besucht. Bischoff hatte erklärt, dass es an der Küche liege, an der langen Tradition, am netten Personal. Doch jeder wusste, das war Quatsch. Bei den Mitbewerbern wuchsen die Dünen bis dicht an den Windfang, nicht mal ein Zweimetermann auf Zehenspitzen könnte darüber hinwegschauen. Doch bei ihm war der Blick frei.

«Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, der Bischoff schneidet nachts seinen Strandhafer», hatte es geheißen. «Wie sonst ist zu erklären, dass bei ihm kein Sand hängen bleibt? Der Punkt, wo das Störtebeker steht, ist die Sollbruchstelle im gesamten Dünenkamm. Bei Sturmflut könnten dort böse Abbrüche zu beklagen sein.»

Bischoff hatte damals direkt seinen Anwalt konsultiert, der den Ökofuzzis per einstweiliger Verfügung das Reden verbot, und weil sie den Prozess scheuten, hielten sie dann auch brav die Klappe. Meine Güte, er machte das seit fünf Jahrzehnten, davor waren sein Vater und sein Großvater für den guten Zweck in die Dünen geschlichen. Wenn man es drauf ankommen ließ, könnte man die Aktion schon als Gewohnheitsrecht deklarieren, eine lange Familientradition, bei der die Bischoffs zum Wohl der Gäste ein bisschen Dünenfriseur spielten. Halb so wild. Ist ja noch nie was passiert, das Störtebeker thronte bombensicher über dem Hauptbadestrand.

Plötzlich schreckte er hoch. Bischoff war eigentlich so gut wie fertig gewesen, wollte nur noch die Gräser ganz am östlichen Rand ein wenig stutzen, damit der Unterschied nicht so auffiel, als er Stimmen hörte. Und zwar direkt neben sich, hinter einem Sanddornstrauch, Flüstern, Stöhnen … Dann raschelte es. Er versuchte, sich hinter dem Busch zu ducken, und verwünschte seinen dicken Bauch, der ihn so unbeweglich machte.

«Wann wir sehen uns wieder?», fragte eine Frauenstimme so leise, dass sie bei Windstärke zwei schon nicht mehr zu hören gewesen wäre.

Die Antwort verstand er nicht, doch dass es sich um einen Mann handelte, war unverkennbar. Eine muskulöse Gestalt erhob sich und zog ein T-Shirt über.

Aha, ein nächtliches Stelldichein in den Dünen, wie romantisch. Die Disco war nicht weit entfernt und machte um zwei dicht, da kam es öfter vor, dass das Jungvolk anschließend noch ein bisschen unterm Sternenzelt rumpoussierte. Es war bald Juni und selbst nachts nicht mehr so richtig kalt, zumindest nicht, wenn man sich mit Leidenschaft warm hielt.

Nun erhob sich auch der weibliche Part des Liebespaares. Eine kleine, sehr schmale Silhouette zeichnete sich vor dem Nachthimmel ab. Leider schon wieder bekleidet, dachte Bischoff, die Frau hätte nackt bestimmt ein ganz hübsches Bild abgegeben, trotz der Dunkelheit. Bischoff hatte ja durchaus Phantasie und könnte sich den Rest dazudenken.

Die beiden Schatten umarmten sich. Der Mann hielt das Kinn seiner Gespielin, sie blickten sich lange in die Augen. Sah nach einer ernsthaften Sache aus. Waren wohl auch Erwachsene, kein Jungvolk. Aber warum trafen sie sich dann in den Dünen statt im deutlich behaglicheren Doppelbett?

«Was ist los mit dich?», fragte die Frau. Polnischer Akzent. Keine Seltenheit auf der Insel. Die meisten Saisonkräfte kamen aus Osteuropa. Dem Stress wollten sich deutsche Arbeitnehmer lieber nicht aussetzen: Sechstagewoche, in der Hauptsaison zwei halbe freie Tage, aber auch nur, wenn es in den Putzplan passte, Überstunden waren nichts, was verhandelbar war, die mussten akzeptiert werden und basta. Unterkunft im Dreibettzimmer mit Etagendusche. Essen im Personaltrakt. Und reich wurde man mit dem Job auch nicht. Warum auch? Es gab eben Unterschiede zwischen Hoteldirektor und Putzfräulein, so funktionierte die Welt, vor allem hier auf der Insel. Aber die Polinnen waren robust und wenig anspruchsvoll. Bis auf ein paar Ausnahmen, die sich was Besseres wünschten und Ärger machten. Hatte Bischoff auch schon erlebt. Letztes Jahr, bei Ferienbeginn, da hatte eine neue Mitbewerberin ihm gleich zwei seiner besten Arbeitskräfte abgeluchst, indem sie den Frauen wer weiß was geboten hatte. Eine Riesensauerei. Hatte sich aber nicht ausgezahlt für die Konkurrenz, soweit Bischoff informiert war, rechnete sich das Hotel am Leuchtturm vorne und hinten nicht, und diese Jannike Loog machte jetzt einen auf Partyservice, um sich vor der Pleite zu retten. Aus gut unterrichteten Kreisen wusste er zudem, dass ihr schon ganz bald der Gastronomie- und Hotelverband einen Besuch abstatten würde, um nach dem Rechten zu schauen. Zwar war Bischoff selbst noch nicht dort im Haus im äußersten Inselwesten gewesen, um sich alles mit eigenen Augen anzuschauen, und angeblich hatte Jannike Loog durchaus ein paar Modernisierungen vorgenommen, aber nichtsdestotrotz würde sie maximal auf drei mickrige Sterne kommen. Und ein Hotel ohne besonderen Luxus, noch dazu dermaßen weit ab vom Schuss, das hatte keine Chance auf dem hart umkämpften Gästebettenmarkt. Es war also bloß eine Frage der Zeit, bis die Großstadttante das Handtuch warf. Und dann würden Lucyna und Bogdana bei ihm zu Kreuze kriechen und fragen, ob er sie nicht bitte, bitte wieder bei sich im Hotel arbeiten ließ.

«Ich kann das nicht.» Der Mann hatte ihm jetzt den Kopf zugewandt, deswegen verstand Bischoff besser, was er sagte. «Es ist nicht so einfach.»

«Warum nicht?»

«Die Erwartungen. Die Pflicht. Das Geld.»

«Ist mir alles egal!»

«Das ist nicht egal, Lucyna!»

Lucyna? Bischoff horchte auf. Ja, tatsächlich, die Figur passte, die Stimme auch. Lucyna hatte letztes Jahr in seiner Hotelküche und an der Mangel gearbeitet, bis diese Pseudo-Leuchtturmwärterin ihr eingeredet hatte, dass eine kleine Schnittwunde am Daumen ein Grund sei, sich krankschreiben zu lassen. Er konnte es kaum fassen, hatte er hier tatsächlich gerade seine untreue Aushilfskraft in flagranti erwischt? Na, der könnte er jetzt aber mal so richtig den Marsch … Bischoff wollte sich gerade erheben, da löste der Dünen-Casanova die Umarmung und wandte sich ab. In dem Moment, als ein wenig fahles Mondlicht auf das Gesicht des Mannes fiel, kauerte sich Bischoff wieder zusammen. Das durfte doch nicht wahr sein! Hatte er richtig gesehen? War das etwa …? Ja, eindeutig. Nie hätte er gedacht, dass dieser Kerl es heimlich mit einer polnischen Putzfrau trieb. Nie! Was für eine Sensation! Wenn das rauskam …!

«Aber du sagst, du liebst mich!», jammerte Lucyna.

«Das tu ich auch. Wirklich!» Der Mann seufzte und verschwand Richtung Promenade.

Tatsache, er ließ das junge, unglückliche Ding da einfach in den Dünen stehen. Hut ab!

Einmal drehte er sich noch um, schön theatralisch, das Ganze: «Aber Liebe ist eben nicht alles!»

«Ist es wohl!», flüsterte Lucyna. Doch die Worte erreichten den Adressaten nicht mehr, er war schon viel zu weit weg.

Bischoff blieb einfach da hocken, bis auch Lucyna mit hängenden Schultern ihr Liebesnest im Strandhafer verlassen hatte. In aller Seelenruhe blickte er dem Mädchen hinterher, bis seine Silhouette mit dem Dunkel verschmolz. Dann räumte er Heckenschere und Grasabschnitt zusammen und schlich davon. Was für eine Nacht! Was für eine Begegnung! Er wusste, das würde ein Nachspiel haben. Und zwar eines, aus dem er als Gewinner hervorging.

Waahh! Das ist ja noch viel schlimmer als der erste Brief, der noch immer ganz unten im Papierkorb lag. Ich kann es nicht klingt wie Ich will es nicht.

Und dabei will ich ja.

Doch wie ginge es danach weiter? Wenn der Brief zugestellt und gelesen wurde, wenn du dich entschieden hast, mit ja oder nein oder einem Bedenkzeit-Vielleicht, was dann? Die Antwort per Postweg? Das kann dauern, denn wenn man auf der Insel einen Brief verschickt, so geht der erst mit der Fracht aufs Festland, mit dem Laster nach Oldenburg, wird dort sortiert, um denselben umständlichen Weg zurück zu nehmen. Bis ich hier Klarheit habe, warte ich mindestens drei Tage, und das auch nur, wenn du dich zu einer spontanen Entscheidung entschließen kannst und dich gleich meldest. Drei Tage? Die überlebe ich definitiv nicht.

Oder soll man sich verabreden? Ich erwarte deine Antwort bis morgen um Mitternacht? Treffpunkt Störtebeker? Oder Hafen? Kurplatz? Leuchtturm?

Geheime Verabredungen an entlegenen Orten, um endlich die Wahrheit herauszufinden. Das klingt doch nach Kinder-Detektivroman. Dabei ist das hier eine ziemlich erwachsene Angelegenheit. Hochzeit! Telegramm? Gibt es das noch? Nein, entschließe ich mich und streiche wieder durch, knülle wieder zusammen, treffe wieder den Papierkorb. Und bin da, wo ich gestern schon war.

Am Anfang.

Und mit den Nerven am Ende.

Jannike musste sich regelrecht querstellen, um Danni zu bremsen. Denn seit gestern das Schreiben vom Gastronomie- und Hotelverband angekommen war, hatte er eine Vision: vier Sterne fürs Hotel am Leuchtturm. Mindestens!

«Dann haben wir es geschafft, Jannike. Stell dir das vor, so ein kleines Hotel und dann vier Sterne – also ich würde da sofort Urlaub machen.»

«Du und Urlaub?» Sie lachte. «Erholung ist für dich doch der schlimmste Stress überhaupt.»

Eigentlich hatten sie gerade Kaffeepause – was bedeutete, dass sie sich irgendwann zwischen Sonnenauf- und -untergang mal eine halbe Stunde klauten, um zusammen auf der kleinen Terrasse neben dem Hintereingang einen Cappuccino zu trinken. Behaglich war es hier, denn die Sitzecke schmiegte sich an den dunkelroten Backstein, daneben rankte Efeu sich bis zu den pittoresk gebogenen Dachziegeln und den dunkelgrünen Fensterläden im zweiten Stock. Der Zauber dieses alten Mauerwerkes hatte es Jannike damals unmöglich gemacht, das kleine Hotel in den Dünen nicht zu kaufen. Es gab ein paar unschöne Ecken, und bestimmt hatte das Gebäude auch eine unzweckmäßige Raumaufteilung und schnitt in Sachen Energieeffizienz denkbar schlecht ab. Aber welcher geradlinige, topisolierte Zweckbau könnte je so einladend wirken? Die Heckenrosen blühten, und man schaute direkt auf den Leuchtturm, der einige Meter vom Hotel entfernt in den Himmel ragte und an dessen Schönheit Jannike sich nach all den Monaten immer noch nicht sattgesehen hatte. Sogar Katze Holly, früher verwöhnter Stubentiger, heute glückliche Dünenmieze, ließ sich immer mal wieder blicken, aber sonst bevorzugte sie schon seit einem Jahr das Sandloch neben der Kastanie als ersten Wohnsitz, den sie sich mit einem wilden Kaninchen teilte. Ja, die Insel brachte seltsame Paarungen zustande.

In dieser heiligen Kaffeepause waren alle Themen rund ums Hotel tabu. Keine Diskussionen darüber, ob man die hornhautfarbenen Badfliesen im Erdgeschoss einfach weiß überstreichen oder doch besser ganz abschlagen sollte. Auch keine Lästereien über die Marotten der Gäste, beispielsweise das Schnarchen von Herrn Feger aus Zimmer 6, das wahrscheinlich gegen die auf der Insel gültigen Lärmschutzverordnungen verstieß. Oder – im Zimmer 2 – die Mutter von Celine-Maralina, die ihrer Tochter auch bei 30 Grad im Schatten noch einen Rollkragenpullover anziehen würde, weil man sich an der See so schnell einen Schnupfen holte. Nein, darüber wurde schon beim Frühstück, Mittagessen und Abendbrot gequatscht, meistens in großer Runde, denn Bogdana und Lucyna gehörten gewissermaßen mit zur Familie. Aber die heilige Kaffeepause war zum Schweigen da.

Bis auf heute. Da kriegte Danni sich einfach nicht mehr ein. Er hatte eine Tabelle hervorgezogen und rechnete irgendwelche Punkte zusammen.

«Warum haben wir eigentlich keine Rezeption?», bemängelte er jetzt.

«Vielleicht, weil wir niemanden haben, der dahinter stehen würde?» Jannike seufzte.

«Ich könnte das machen. Wenn wir mein kleines Büro öffnen und mit einem Tresen davor versehen …»

«Danni, wir haben nur acht Doppelzimmer. Wie albern würde allein unsere Schlüsselabgabe aussehen?» Jannike nippte am Milchschaum. «Überhaupt, warum willst du plötzlich eine Rezeption? Ging doch bislang auch super ohne. Die Gäste wissen schon, wo sie uns finden können.»

«Eine Rezeption ist Mindestvoraussetzung für vier Sterne und bringt drei Punkte, wenn sie länger als den halben Tag besetzt ist», antwortete er und notierte sich etwas auf einem Zettel. «Und wenn wir dann noch Kaffee, Tee und Wasser rund um die Uhr bereitstellen, bekommen wir noch zehn Punkte obendrauf.»

Jannike lehnte sich auf ihrem Sonnenstuhl zurück. Danni war ein Schatz, ein Energiebündel und kreativ bis in die Fingerspitzen. Und zwar seit je, sie kannten sich immerhin mehr als zehn Jahre. Damals hatte Jannike – mit vielversprechendem Musikdiplom in der Tasche, aber ohne Job – nach einem neuen Bandprojekt gesucht und war auf Danni – Schaufensterdekorateur mit Schlagermusik-Ambitionen – gestoßen. Dass gleich ihr erster, in der Garage seines damaligen Freundes zusammengeschusterte, Song ein Riesenhit wurde, war einzig und allein auf Dannis Talent zurückzuführen. Was er anfasste, wurde zu etwas Großartigem. Ohne ihn wäre auch das Hotel nicht das, was es heute war. Doch manchmal konnte er eben auch eine furchtbare Nervensäge sein. So wie jetzt.

Danni blätterte weiter und schüttelte den Kopf. «Was für ein Unsinn, für Lautsprecher im Bad gibt es ganze fünf Punkte. Für einen Safe mit integrierter Steckdose – wofür auch immer man die brauchen soll – sogar acht. Aber wenn man den Gästen das Frühstück ans Bett serviert, zählt das nur läppische zwei.»

«Danni, bitte!»

«Ich hab’s!», rief er plötzlich aus, und Jannike hätte sich fast ihren Cappuccino über das T-Shirt gekippt. «Eine Sauna! Wir brauchen eine Gartensauna! Platz genug wäre ja, und von außen ist das Grundstück nicht einsehbar …»

«Wie viele Punkte?»

«Fünf.»

«Lächerlich.» Jannike schnappte sich die Papiere und warf das erste Mal selbst einen Blick darauf. Sie hatte keine solchen Ambitionen. Okay, sie waren knapp bei Kasse, und ein paar Gäste mehr wären nicht schlecht. Doch im Grunde reichte es vielleicht auch, wenn die Zimmer im Sommer ausgebucht waren und sich darüber hinaus in der Nebensaison ein paar Menschen am Westende der Insel einquartierten. Das Kaffee- und Kuchengeschäft an den Tagen, an denen der Leuchtturm geöffnet war, lief ebenfalls ganz gut. Außerdem war Jannike entschlossen, alles dafür zu tun, dass sich ab und zu eine Hochzeitsgesellschaft hier blicken lassen würde. Warum sollte sie also einen weiteren Kredit aufnehmen, um eine Sauna zu bauen? Für fünf Punkte auf der nach oben offenen Sternevergabeskala? Die zudem äußerst merkwürdige Kriterien belohnte. «Schau mal, Danni», sagte sie und beugte sich erneut über die Liste, «eine individuell regulierbare Klimaanlage bringt das Dreifache, egal, ob das Hotel am Äquator oder an der Nordsee steht. Diese Liste ist doch Humbug.»

Doch Danni ignorierte ihren Einwand, holte sein Smartphone heraus und suchte im Internet nach Angeboten für Wellnesseinrichtungen. Schnell war sein Plan perfekt: Die Blockhütte Finnenglück sah er neben dem Fahrradkeller, das Kaltwasserbecken Helsinki würde am Zaun seinen Platz finden, die Outdoordusche, die den wenig skandinavischen Namen Tropical Rain trug, konnten sie am Wasseranschluss daneben installieren. Und einen schicken Namen hatte er sich auch schon für das ganze Areal überlegt.

«Danni, du hast den Brief gelesen, die Delegation kommt schon in vier Wochen! Nicht viel Zeit für dein Leuchtfeuer-SPA.»

«Das schaffen wir!»

«Wir?»

«Siebelt und ich.»

Ach, daher wehte der Wind. Danni wollte die Gelegenheit für ein gemeinsames Projekt mit seinem Traummann nutzen. «Nie im Leben hat der Inselbürgermeister Zeit und Lust, in der Hauptsaison einen Saunagarten zu bauen.»

Danni zuckte mit den Schultern. «Ich weiß, dass er körperliche Anstrengung liebt. Als Ausgleich zu seinem Job im Rathaus.»

«Und dich liebt er so sehr, dass er diesen Ausgleich in unserem Garten vollziehen will?»

«Ich glaub schon.» Danni grinste. Wie immer, wenn man ihn auf den bärtigen Beamten ansprach. Die beiden waren seit neun Monaten zusammen und ziemlich glücklich. Wie überhaupt die meisten Menschen jemanden zu haben schienen, der ihnen das Herz wärmte. Außer Jannike natürlich. Und Lucyna war, soweit Jannike wusste, auch noch allein.

«Dann frag ihn meinetwegen», versuchte Jannike das Thema abzuschließen. «Vier Sterne bringt uns das aber trotzdem nicht, denn dazu bräuchten wir ein Restaurant, in dem jeden Abend mindestens drei Gänge serviert werden. Und das, mein lieber Danni, ist einfach utopisch.»

Doch Danni grinste noch immer. So, als habe er auch dafür eine Idee in der Hinterhand. «Wir haben eine große Küche, einen sehr schönen Speisesaal, und die Gäste lieben unsere Terrasse. Zudem sind wir schon bei der Hochzeit gastronomisch an unsere Grenzen gestoßen. Mit einem Restaurant könnten wir bei solchen Familienfeiern üppiger auftischen, uns ein neues Segment eröffnen, Hochzeit von A bis Z quasi, und somit auch mehr verdienen.»

Sie richtete sich auf. «Was meinst du damit?»

«Wir sollten das professionell aufziehen.»

«Du denkst doch nicht etwa an eine … Wie nennt man das überhaupt: Hochzeitsagentur? Oder Wedding-Planner? Wie in diesem albernen Film mit Jennifer Lopez?»

«Wäre doch ’ne tolle Sache. Wir könnten auch Verlobungspartys anbieten, die sind wieder groß in Mode!»

«Scheidungspartys auch», gab sich Jannike ein bisschen sarkastisch, in der Hoffnung, Danni damit auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

«Es kann uns doch egal sein, was die Leute feiern wollen. Wir sorgen für den passenden Rahmen. Mit Kreativität, Professionalität und einem hervorragenden Restaurant.»

«Fehlt immer noch ein wesentlicher Punkt», bremste Jannike ihn. Heute war es aber auch wirklich besonders schlimm mit ihrem Geschäftspartner. «Der Koch!» Auch Danni wusste nämlich ganz genau, wie schwer es war, vernünftiges Personal auf die Insel zu bekommen. Sie konnten froh sein, mit Bogdana und deren Tochter Lucyna zwei zuverlässige, gründliche und zudem noch liebenswerte Arbeitskräfte gefunden zu haben. Aber ein Koch? Mit Ausbildung und Enthusiasmus, bestenfalls sogar Talent – nein, das wäre zu schön, um wahr zu sein, zudem unbezahlbar.

«Ich hätte da jemanden an der Hand», sagte Danni so beiläufig, dass Jannike mit einem Mal klar wurde: Diese ganze Zettelblätterei, dieses Punkte-Addieren und Saunaanlagen-Planen, das war gar kein spontaner Aktionismus, sondern von langer Hand vorbereitet. Danni hatte bereits einen Masterplan ausgesponnen, den er ihr so nebenbei präsentierte, als ginge es um eine kleine, unaufwändige Schönheitsreparatur, für die man ein Pfund Spachtelmasse beim Baumarkt benötigte, nicht um mindestens fünfzigtausend Euro Investition, nicht um ein völlig neues Hotelkonzept.

Bravo, Danni! Fast hättest du mich reingelegt! Jannike ließ sich nichts anmerken, stattdessen lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und rekelte sich auf dem Liegestuhl, als wäre jetzt Zeit für ein kleines Nickerchen. Und tatsächlich … Es dauerte höchstens eine Minute, bis Danni sanft ihren Oberarm streichelte. «Janni, meine Lieblingsfrau, hast du nicht gehört: Ich hätte da die richtige Person für unser Restaurant. Eine Köchin. Sehr erfahren.» Jannike hielt die Augen weiter geschlossen und passte höllisch auf, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, begann er jetzt doch tatsächlich, ihr den Kopf zu massieren. «Diese Köchin würde sehr gern hier arbeiten. Sie hat Familie auf der Insel.»

Nun, das klang nicht schlecht.

«Sie ist auch bezahlbar. Also, bis der Laden richtig brummt, wäre sie mit demselben Lohn einverstanden, den Lucyna und Bogdana bekommen. Und das müsste, soweit ich unsere Finanzen eingesehen habe, zu stemmen sein. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass wir neben den Hotelgästen auch noch externe Besucher bewirten könnten.»

Was sollte das schon für eine Köchin sein, überlegte Jannike, wahrscheinlich wusste die gerade mal, wie man mit einem Dosenöffner umging und die Mikrowelle einschaltete. Danni war manchmal wirklich ein bisschen naiv. Natürlich wurden ihre beiden Hotelkräfte ordentlich bezahlt und auch deutlich besser als damals im Hotel Bischoff, aber das Gehalt war trotzdem nicht gerade fürstlich, sondern deutlich weniger, als Jannike ihnen eigentlich aufgrund ihres unermüdlichen Einsatzes zahlen müsste. Eine ausgebildete Köchin würde sich dafür jedenfalls nicht ins Zeug legen.

«Na ja, sie ist nicht mehr die Jüngste, das ist wohl der Haken», ergänzte Danni, als hätte er Jannike beim Denken zugehört. «Schon fast siebzig. Aber dafür bringt sie gleich noch einen Hilfskoch mit.»

Nun musste Jannike sich doch wieder aufsetzen. «Das ist jetzt wohl ein Scherz!»

Danni schaffte es, sehr ernst und treuherzig zu gucken. «Ist es nicht. Die beiden sind übrigens schon hierher unterwegs.»

«Du hast sie eingeladen? Ohne mich zu fragen?»

Er nickte nur.

«Und wo sollen wir, bitte schön, noch zwei Personen unterbringen? Wir haben nur die beiden kleinen Personalzimmer unterm Dach, die Privatwohnung reicht gerade für uns beide, und der Rest der Quadratmeter ist für die Gäste da. Wir brauchen jeden Winkel zum Vermieten, Danni, sonst sind wir in einem Jahr pleite. Willst du das?» Er schüttelte bloß den Kopf. Konnte es sein, dass er gerade den Spieß umdrehte und sie mit seiner neuen Gelassenheit aus der Fassung bringen wollte? Was ihm auf jeden Fall gelang, Jannike kochte fast schon vor Wut über die Hirngespinste ihres unvernünftigen, übermütigen Kollegen und Freundes. «Mir würden drei Sterne vollkommen genügen, Danni. Mir reicht die Arbeit, die wir haben, und wenn wir bei Hochzeitsfeiern etwas mehr fordern und unser Hotel sich langsam, aber sicher einen Namen macht, verdienen wir vielleicht auch genug Geld. Warum musst du mich mit deinem übertriebenen Eifer nerven?»

Danni schaute ihr direkt in die Augen. Es tat immer wieder gut, wenn er das machte. Sie kannten sich so lange, sie hatten so vieles zusammen erlebt, Erfolge und Skandale, das volle Programm. Und wenn er sie dann so mit seinen hellblauen vertrauten Augen ansah, wusste sie, mit Danni an ihrer Seite würde sie immer eine ganze Menge mehr schaffen, als sie für möglich hielt. «Janni, sei ehrlich», sagte er, «so richtig reicht dir das hier doch auch nicht, oder?»

«Was meinst du damit?»

Er legte Daumen und Zeigefinger seiner Hände zusammen und formte ein Herz. «Das meine ich!»

Wie gemein von ihm. Er war glücklich verliebt und sie seit einem Jahr – nach einer Katastrophenbeziehung mit ihrem damaligen Produzenten – solo. Es war fies, ihr jetzt auf diese Tour zu kommen. Beleidigt schürzte sie die Lippen und stemmte ihre Hände in die Hüften. «Dass eine fast siebzigjährige Köchin mein Liebesleben in Ordnung bringen soll, halte ich für eine gewagte These.»

«Die nicht. Aber vielleicht der Hilfskoch.»

«Wie kommst du denn darauf?»

In diesem Moment hörten sie Stimmen im Hausflur. Bogdana jubelte, was selten geschah, sie war lange nicht so extrovertiert wie ihre Tochter Lucyna, die jetzt vor Freude geradezu quiekte. Was war da los? Jannike sprang auf und stürzte ins Hotel, Danni hinterher. Ihre Augen mussten sich nach dem Sonnenbad erst einmal an das Zwielicht im Inneren gewöhnen. Da standen zwei Neuankömmlinge im Flur und wurden von Bogdana und Lucyna aufs herzlichste willkommen geheißen. Nanu, heute war doch gar keine Anreise. Herr Feger aus Zimmer 6 würde morgen abreisen, und alle anderen Zimmer waren bis zum Wochenende belegt. Trotzdem wurden die beiden von den Empfangsdamen begrüßt, als hätten sie die Präsidentensuite gebucht – die es in diesem Hotel selbstredend gar nicht gab. Warum das Theater?

«Da sind sie», flüsterte Danni ihr ins Ohr. «Unser neues Küchenteam. Verstehst du jetzt, was ich meine?»

Ja, Jannike verstand. Und ihr war, als rutschte das Herz, um das Danni sich eben noch so liebevoll gesorgt hatte, in unmittelbare Nachbarschaft ihres großen Zehs. Der Mann, der neben einer sehr kleinen, eher dicken Frau stand, war ihr nur allzu gut bekannt. Er war ebenfalls kein Riese, trug Cargojeans und ein weißes T-Shirt, seine dunkelblonden Locken standen zu allen Seiten ab.

«Mattheusz!»

Fast sah es aus, als wäre er ebenso erschrocken, sie hier zu sehen. Dabei hatte er doch damit rechnen müssen, ihr zu begegnen, fast ein Jahr nach seinem letzten Lebenszeichen, das zugleich so etwas wie eine Liebeserklärung gewesen war. Den Brief bewahrte Jannike in ihrer Nachttischschublade auf. Anfangs hatte sie ihn täglich gelesen, um sich immer wieder zu versichern, dass er es ernst meinte, dass sie ihm wichtig war, dass eine Chance bestand und aus ihnen was werden könnte. Doch als dann ihr Antwortbrief – in dem sie gestand, ihn zu vermissen und sich auf seine Rückkehr zu freuen – unbeantwortet geblieben war, hatte sie die Zeilen mit anderen Augen gelesen. Und irgendwann gar nicht mehr, war sie doch mittlerweile unsicher, ob sein Versprechen, wiederzukommen, nicht auch ganz anders gedeutet werden konnte. Wer weiß, vielleicht hatte er damals schon darauf spekuliert, bei ihr in der Küche zu arbeiten. Ja, das machte Sinn. Und nun sah sie sich bestätigt. Sie hatte gehofft, er komme ihretwegen zurück, doch es war ihm um das Hotel gegangen. Um einen Job auf der Insel. Wahrscheinlich auch darum, mit seiner Schwester Lucyna und seiner Mutter Bogdana zusammenarbeiten zu dürfen. Und ob Jannike dabei seinen Lohn zahlte oder der ätzende Gerd Bischoff, das war ihm wahrscheinlich im Grunde egal. Wie peinlich, sie hatte Mattheusz von ihren Gefühlen geschrieben, obwohl er nur auf Arbeitssuche gewesen war. Sie schaffte es kaum, ihm die Hand zu geben.

«Hallo, Jannike», sagte er.

«Hallo.» Und dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief zur Kaffeemaschine. Es war das Einzige, womit sie ihre Verlegenheit halbwegs überspielen konnte. Denn von damals wusste sie noch: Er liebte den Kaffee schwarz und ohne Zucker.

G