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Was hat das Thema Tanz mit Bildung zu tun? Tanzen ist doch Freizeit - und Bildung ist büffeln! Diese Trennung ist jedoch etwas, das dringend überwunden werden muss, schließlich weiß die Didaktik schon seit längerem, dass das, was mit Freude an Wissen erworben wird, viel leichter und effektiver gelernt wird. Dafür bietet die Theorie des Spiralmodells (eine Abbildung der vollkommenen Entwicklung des Menschen - von präpersonal-personal bis zu transpersonal und dem höchsten Kern des ‚Seins´) im Bild des Tanzes den idealen Hintergrund. Mit dem Schwung der Freude und des glückvollen Augenblicks eine neue Drehung vollziehen, mit und durch die eigene Kraft eigenständig und natürlich lernen: Damit wird einer vertikalen Entwicklung des Lernprozesses die Tür geöffnet, nach der sich viele junge Menschen sehnen. Die Erziehungswissenschaftlerin Daniela Michaelis legt mit den von ihr hier versammelten vier erziehungswissenschaftlichen Beiträgen weitere Denkanstöße in Richtung einer innovativen Pädagogik vor, die auf dem von ihr mitentwickelten integralen Ansatz beruhen. Themen sind der Ansatz von Bildung als Offenbarung des Menschseins (Anja Theresa Burghardt), Selbstwert im integral-pädagogischen Kontext (Michaela Scheucher), mögliche Zusammenhänge zwischen integralen Lernzugängen und traditioneller orientalischer Kampfkunst (Michael Okorn) sowie dem suggestopädischen Lernen (Gundula Leodolter). Michaelis legt einen Fundus an pädagogischen Anregungen zu ganzheitlichen Lern-Modellen vor, die nicht nur für sich allein genommen sehr hilfreich sind, sondern gleichzeitig auch eine wertvolle Hilfe in der pädagogischen Praxis darstellen, um gut fundiert neue Wege des Lernens beschreiten zu können.
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Seitenzahl: 329
ibidem-Verlag, Stuttgart
Man kann sich ja wirklich fragen: Was hat Persönlichkeitsentwicklung und integrale Bildung miteinander zutun? Was ist überhaupt so eine integrale Bildung? Und dann noch dazu vertikal?
Wie schon im Band eins dieser Reihe betont wurde, reichen die alten Lösungsvorschläge bei weitem nicht mehr aus,um den Anforderungen einer heutigen Pädagogik gerecht zu werden!
Wo auch immer eine aufmerksame Person hinschaut – es gibt Konflikt undMissverständnisse– mehr als den meisten von uns lieb ist. Außerdem fehlen auch noch die jeweiligen Handlungsstrategien,um erfolgreich einen neuen Kurs einzuschlagen.
Von einemtheoriegeleiteten Handeln ganz zu schweigen.
Selbstreflexion,Hinterfragenvon eigenem Handeln, Bereitschaft,vor sich selber einzugestehen, was man doch missverstanden oder falsch gemacht hat,ist nicht gerade weit verbreitet! Man muss ja immer perfekt sein!!!
Aber weit gefehlt! Es ist schlicht gar nicht möglich! Der Mensch - ein lernendes Wesen! Schon in der Gestaltpädagogik der 70 Jahre hieß es „Machst du einen Fehler – feiere ein Fest!“ Ja,aber wer macht das denn noch?
Gut geraten wäre uns schon, denn dann hätten wir eine ganz andere Bildungslandschaft, einen ganz anderen Selbstwert und viel mehr persönlicheRessourcen...
So hat es sich diese Schriftenreihe zur integralen Pädagogik zur Aufgabe gemacht,ein Sprachrohr zu sein für das, was neue Wege in einer innovativ zu gestaltenden Bildungslandschaft sein könnten–und zwar sowohl theoretisch wie auch praktisch!
Dieser Reihe liegt das fundamentale Wissen einer Theorievorallem von Ken Wilber und seinen Vorreitern zugrunde, sodass wir ein weites Spektrum von Ost und West,von vertikal und horizontal hier mit herein nehmen dürfen, um allmählich etwas fundierter und letztlich zufriedener in einer sich ständig entwickelnden Bildungslandschaft die Prozesse begreifen zu können. Schließlich ist Bildung das Allerwichtigste in einem Land, das auf Fortschritt und innerer Zufriedenheit baut. Demokratie und Selbstbewusstsein können nur aus einer fundierten Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowieeinem wachen Interesse an dem, was sich in einer offenen Gesellschaft ereignet,wachsen.
Damit auch wir Anschluss finden an dienordeuropäischenLänder wie Finnland und Dänemark,die uns wegweisende Modelle für eine fördernde und persönlichkeitsbildende Pädagogik sind,und zwar vom Kindergarten an, ist es mehr und mehr dringend notwendig,kompetente und selbstbewusste LehrerInnen und KindergartenpädagogInnen zu haben,die liebevoll und gleichzeitig klar und in einer begleitenden und wertschätzenden Haltung Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von heute Wegweiser sein können. Genährt von einem Vertrauen,das auf Kompetenz und Herzweisheit beruht.
Wie dieses alles imGenauerenzu verstehen ist,sei in diesem Buch näher erläutert.
Wir laden nun ein, die unterschiedlichen Denk-und Handlungszugänge zu einer Bildung als Offenbarung des Menschseins (A. Burghardt), einer Reise zu mehr Selbstwert im pädagogischen Kontext(M. Scheucher),einer Überlegung,welchen Stellenwert körperliche, asiatische Kampfkunst auf einem Weg in ein integrales Verständnis hat(M. Okorn) und last but not leastwiedurch neue Lernzugänge die Persönlichkeit gestärkt werden kann(G. Leodolter).
So bleibt mir als Herausgeberin dieser Reihe nur noch diesem Buchprojekt viel Erfolg zu wünschen.
Mögen die Beiträge in diesem Buch zur Anregung dienen, sodass Diskussionen und Gespräche sowie der Mut für neue eigene Wege die erfreulichen nächsten Schritte sein könnten?
Daniela Michaelis
(2015)
Anja Theresa BURGHARDT
Neue pädagogische Ansätze, wie die der integralen Pädagogik, gewinnen in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung. Aufgrund von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Anforderungen ist es nun an der Zeit, jene in die pädagogische Arbeit und in unseren Alltag zu integrieren.
DieserBeitragmit dem Titel „Bildung als Offenbarung des Menschseins - eine integrale Annäherung“ entstand im Zuge des SeminarsMethoden pädagogischer Handlungsfelder (integrale Pädagogik - Einführung in Theorie und Praxis)unter der Leitung von Dr.inDaniela Michaelis. Sie soll einen Einblick in die umfassende, ausgewogene und ganzheitliche Weltsicht der integralen Pädagogik geben.
In einer sich stets weiter entwickelnden Welt ist es von großer Bedeutung, das Lernen bewusst zu gestalten. Dies sollte das Ziel von Bildung, Erziehung und Pädagogik sein. Alle Menschen dieser Welt sind von Geburt an fixe Bestandteile der Entwicklungen, die in unserer Weltvonstattengehen. Rücken wir uns doch in den Mittelpunkt!
Nur aus einem Grund ist es uns allen möglich, Entwicklungen in jeglicher Form auf der Erde zu bewältigen: indem wir lernen. Nicht nur als Individuen, sondern auch in Systemen, zum Beispiel als Lehrkräfte, Eltern, pädagogische PartnerInnen und in staatlichen Institutionen. Das Erreichen des Zustandes der Verinnerlichung der integralen Lebensweise scheint sich als Ziel für Leben und Beruf anzubieten.
Die Methode, das Interview, wurde von der Verfasserin aus dem Grund ausgewählt, um die Individualität und Komplexität des Menschen besser erläutern zu können. Nur durch den persönlichen Austausch zwischen zwei Menschen scheint es möglich zu sein, mit dem Individuum in direkten Kontakt zu treten.
Die Befragungen, die einen wichtigen Bestandteil dieser Arbeit darstellen, erfolgten an der Universität Graz, im Anschluss an das SeminarMethoden pädagogischer Handlungsfelder. Die Aufzeichnungen der mündlichen Befragungen erfolgten mittels Videokamera (Kamera wurde aus Gründen derAnonymität weggedreht) und konnten so anschließend Wort für Wort transkribiert werden.
„Transkription ist die Verschriftlichung von gesprochener Sprache.“ (Kittl, 2005, S. 216).
Um das Interview für den Leser und die Leserin verständlicher zu gestalten, entschiedsich die Verfasserin, ein kommentiertes Protokoll hinzuzufügen. Dabei werden Aspekte wie Mimik, Pausen im Gespräch, Lachen, Gestik etc. berücksichtigt und ebenso verschriftlicht.
Die Schwerpunktsetzung während der Interviewführung erfolgte hinsichtlich der Fragen:
Bestehen Vorerfahrungen mit dem integralen Ansatz?
Ist der integrale Zugang geeignet, sich einander näher zu bringen bzw. sich selbst? Der persönliche Lernprozess steht dabei im Vordergrund.
Sind neue Blickwinkel auf die pädagogische Arbeit entstanden? Wodurch war das der Fall?
Wäre es auch zukünftig vorstellbar, die Methoden zu verwenden?
Daraus ergibt sich für diese Arbeit folgende Haupthypothese:
„Wird der Mensch durch integrale Maßnahmen der umfassenderen Bildungnäher gebracht?“
Esgehtzu Beginnum die theoretische und methodische Auseinandersetzung mit der integralen Pädagogik. Das Spiralmodell und das Quadrantenmodell werden an dieser Stelle als fürdie Verfasserinwichtige integrale Grundlagenmodelle angeführt.
Des Weiterenbeinhaltetdie Arbeitwichtige Definitionen und einen für diesenBeitragrelevanten Diskurs um die aktuellen Bildungs- und Erziehungswissenschaften. Ebenso beschäftigtersich mit einem Einblick in den historischen Hintergrund der humanistischen Pädagogik, besonders wird die Entwicklung der integralen Pädagogik thematisiert.
Nicht zu vergessen sei der Versuch der Integrierung der erhobenen Daten in die gesamte Arbeit.
Als InterviewpartnerInnen fungierten StudentInnen der Universität Graz und TeilnehmerInnen der Seminare der integralen Pädagogik bei Dr.inDaniela Michaelis. Deren Alter liegt zwischen zwanzig und fünfzig Jahren.
Die Auseinandersetzung mit der Hypothese befindet sich gegen Ende der Arbeit.
Das Resümee rundet diesen Beitragab.
Mit der vorliegendenArbeitmöchtedie Autorinmittels Theorie und selbst erhobenen Daten einen Einblick in den in Österreich kaum bekannten integralen Ansatz geben.
Ebenso möchtesiedazu beitragen, einerseits die Relevanz der Unterscheidung von esoterischen Ansätzen und dem integralen Ansatz deutlich zu machen, als auch mehr Interesse für die wissenschaftliche Seite der integralen Pädagogik wecken.
Dabei ist esihrein großes Anliegen nicht nur zu demonstrieren, welche Bedeutung die integrale Pädagogik fürihreVertreterInnen und für jene, die mit diesem Ansatz arbeiten, hat, sondern dass es sich dabei um viel mehr als nur eine intensiv betriebene Freizeitbeschäftigung handelt. Im Vordergrund stehen neben dem grundsätzlichen Interesse zu lernen, das Bedürfnis aktiv mitzudenken und eigene Interessen und Gedanken einzubringen und auch erleben zu können.
Im integralen Kontext zu arbeiten und zu forschen beinhaltet, wie bei anderen geisteswissenschaftlichen Studien, die qualitative Sozialforschung. Interviews zu führen, dabei in Kontakt mit Menschen zu treten und ihrem Wissen und ihren Erfahrungen Bedeutung einzuräumen, bildet einen großen Teil dieser Arbeit. Ein weiterer Abschnitt besteht darin, das Erfahrene auszuwerten und damit die Theorie mit der Praxis zu verbinden, um sie einerseits zu bestärken und andererseits aufmerksam zu machen, dass es bereits zu Weiterentwicklungen gekommen ist.
Qualitative Forschungsarbeit wurde lange Zeit als nicht wissenschaftliche Methode betrachtet. In der jetzigen Zeit findet wieder ein Trend in Richtungqualitatives Arbeitenstatt. Quantitative und qualitative Forschungen sollen sich nicht gegenseitig ausschließen, sie sollten einander ergänzen. Nicht nur schriftliche Quellen lassen sich analysieren, sondern ebenso Audiodateien (Interviews), audiovisuelle Daten (Filme) und grafisches Material (Bilder) (vgl. Kittl 2005, S. 215).
Qualitative Verfahren wollen weder auf die Quantifizierung, noch auf die Anwendung passender statistischer Auswertungsverfahren verzichten. Derwichtigste Unterschied resultiert aus der Art und Weise der Annäherung an die soziale Realität: durch offene Verfahren nämlich, d. h. ohne standardisierte Erhebungsinstrumente (vgl. Hopf/Weingarten 1984, S. 14).
Typische qualitative Vorgehensweisen sind nach Hopf und Weingarten:
vDie unstrukturierte oder wenig strukturierte Beobachtung
vDas qualitative Interview oder das geführteExperteninterview
vDie Erhebung und Analyse von Dokumenten unterschiedlichster Natur (z. B. Biographien, Zeitungen, Protokollen etc.) (Hopf/Weingarten 1984, S. 14-15).
Für diese Arbeit steht besonders die Methode des qualitativen Interviews im Vordergrund.
Mit großem Respekt gegenüber dem Interviewpartner oder der Interviewpartnerin muss es dem Interviewer oder der Interviewerin gelingen, sowohl möglichst Tiefgreifendes als auch eine große Datenmenge in Erfahrung zu bringen (vgl. Hermanns 2004, S. 363).
Der Interview-Leitfaden ist vor allem zur Herstellung der gleichen Bezugspunkte für einen Vergleich besonders wichtig. Nur so kann man sich vergewissern, dass die Daten im gleichen Zusammenhang zu den gleichen Hypothesen stehen (vgl. Hopf/Weingarten 1984, S. 184-185).
Oft wird der Leitfaden auch zu streng genommen, wobei er für den Interviewer oder die Interviewerin wie eine Zwangsjacke wirkt. Der Leitfaden sollte jedoch nur Anregungen zu den Fragestellungen liefern. Oft kann es durch den „Missbrauch“ des Interview- Leitfadens dazu kommen, dass vielleicht schon ein Thema angesprochen wird, das für den Interviewten oder die Interviewte noch kein Thema war und deshalb als noch unpassend erscheint; ein unweigerlicher Bruch des Interviewverlaufs könnte die Folge sein.
Für die InterviewerInnen ist es daher unumgänglich, sich auf den implizierten Gehalt einer Frage zu konzentrieren, weshalb die Formulierung einer Frage, nämlich aus dem Stegreif, daher leichter fällt (vgl. Hopf/Weingarten 1984, S. 185).
Die verbalen Daten werden während des Interviews mittels Videokamera, Tonbandgerät etc. aufgenommen. Somit stehen die erhoben Daten zur Verfügung und können nun transkribiert werden, d. h. die Audiodateien werdenin eine schriftliche Form gebracht. Dieser Vorgang ist wahrlich kein einfacher, denn die Umgangssprache, das Verschlucken von Lauten oder abgebrochene Sätze, um nur einige der Probleme des Transkribierens zu erwähnen, machen ihn zu einem langwierigen und komplexen Prozess (vgl. Kittl 2005,S. 215-216).
Selbstverständlich gibt es auch unterschiedliche Arten, den ganzen Interviewverlauf zu protokollieren:
vDas selektive Protokoll
vDas zusammenfassende Protokoll
vDas wörtliche Protokoll
vDas kommentierte Protokoll
Bei den in dieser Arbeit durchgeführten Transkriptionen wurden die wörtliche Protokollart und zusätzlich auch die kommentierte Protokollart verwendet, d. h. auf einer Seite wurde Wort für Wort der erhobenen Audiodaten (wörtliches Protokoll) transkribiert, andererseits wurden auch die Mimik, die nonverbalen Gesten und Pausen (kommentiertes Protokoll) hervorgehoben (vgl. Kittl 2005, S. 218-219).
Ein besonderer Stellenwert wurde bei der Transkription auf die Anonymisierung der KollegInnen gelegt. Fakten, durch die mögliche Rückschlüsse gezogen werden könnten, wie zum Beispiel Name, Wohnort oder Institutionen müssen anonymisiert bleiben. Dies kann bereits während dem Interview durchgeführt werden, oder im Anschluss an die Transkription (vgl. Kittl 2005, S. 223).
„Zur Aufgabe des Interviewers gehört es, nicht nur dem Gesprächspartner einen klaren Auftrag zu erteilen, wie er sich aus der jeweiligen Interviewmethodik ergibt, sondern ein Gesprächsklima zu schaffen, in dem die gewünschte Darstellungsweise geradezu „ in der Luft liegt“(Hermanns 2004, S. 363).
„Regieanweisung zur Interviewführung“ nach Hermanns:
vDer Rahmen muss rechtzeitig klar gemacht werden
vSchaffen Sie ein gutes Klima
vGewähren Sie dem Gegenüber Raum sich zu darzustellen
vLassen Sie Möglichkeiten für Entwicklungen zu
vEntdecken Sie die Lebenswelt des Interviewpartners oder der Interviewpartnerin
(vgl. Hermanns 2004, S. 367-368)
Im Zuge des SeminarsMethoden pädagogischer Handlungsfelderbei Dr.inDaniela Michaelis an der Karl-Franzens- Universität Graz lernten 30 StudentInnen die Methodenvielfalt der integralen Pädagogik kennen. Fünf Blockeinheiten ermöglichten einen intensiven Einstieg in die komplexe Thematik der integralen Bildung. Eine der Aufgaben während des Seminars bestand darin, ein Protokoll über jede Einheit zu verfassen. Dies sollte uns als Unterstützung für die darauffolgende Reflexion dienen und ebenso als Hilfe bei der Umsetzung in die Praxis. Die Einheiten waren geprägt von abwechslungsreichen und vielfältigen Methoden. Nicht nur übersichtliche theoretische Inputs halfen den StudentInnen, sich in der Komplexität der integralen Pädagogik zu orientieren, sondern vor allem auch direkte praktische Umsetzungen ließen dieses Seminar zu einer einzigartigen und neuen Erfahrung im Universitätsstudium werden.
Auf dem integralen Bildungsweg ist der erste Schritt genauso wichtig wie jene, die folgen:
„Der integrale, unvorhersehbare Bildungsprozess wird und bleibt selbst unausweichliche, lebendige Aufgabe“(Girg 2007, S. 15-16).
In der integralen Wissenschaft stellen private und berufliche Lebenspraxis eine Einheit dar und nur deshalb ist es möglich, dass das unmittelbare Leben als integrale Schule dient.
Dies fordert von uns allen eine ständige bewusste Präsenz, nicht nur in geistiger, sondern auch in jeglicher anderer Form, um das Leben aktiv miterleben zu können. Jene Wege, die wir in der integralen Pädagogik beschreiten, gehen wir nicht alleine.„Integrale Wege sind Wege des Ichs im unabsehbaren, kosmischen Wir“(ebd., S. 16).
Dass man die integralen Wege nicht alleine betritt, wurde auch einigen InterviewpartnerInnen im Verlauf der Befragung immer klarer:
„Also ich kann jetzt auf jeden Fall sagen, dass i viel mehr auf andere Leute eingehen kann (…). (…) weil in dem Seminar sind wir wirklich a Gruppe, imGegensatz zu den anderen…da kämpft jeder irgendwie für sich selber…“(Interview 6).
„Ja also ich find es ist immer angenehm, wenn du die Leute vorher schon kennst… eben durch die ganzen Spiele undso, ….Anscheinend geht’s auch nur so… man kommt sich irgendwie blöd vor , aber nachher, wenn man irgendwie die Leute ein bissal kennt, und dadurch, dass man viel miteinander redet, hab ich mich wohler gefühlt… da hast halt doch irgendwie einen Bezug dazu… zuerst hab ich mir gedacht, was für ein Blödsinn, aber ich muss zugeben, es hat doch was gebracht (lacht)… ich muss sagen, das hat mir doch was gebracht… ich habs einfach schön gfunden, dass wir uns halt… naja… keine Ahnung… es war halt verbundener miteinander…“(Interview 14).
Veränderungen führen in der integralen Pädagogik zu einem Mehr an Arbeit, wie zum Beispiel: durch verändertes Wissenschaftsverhältnis, veränderte Wissenschaftsmethode, veränderte Sprache, veränderte Vorstellung von Lehren und Lernen und vor allem aber durch die veränderte Lebenspraxis.
Die befragten SeminarteilnehmerInnen betrachten das Integrale aus unterschiedlichen Blickwinkeln, natürlich auch nicht immer nur auf positive Art und Weise:
„Na,… na… überhaupt ned…iman ,wenn i mi mit sowas beschäftigen will, dann beschäftig i mi privat damit…und das hat für mi momentan gar nix mitn Studium zu tun…“(Interview 4).
Die meisten jedoch sehen in der integralen Bildung etwas Einzigartiges und die Möglichkeit, neue Dinge auszuprobieren:
„(…), also der integrale Zugang, also das Offene, das werd ich mir schon beibehalten!“(Interview 1).
„Jaaaa… würd ich schon sagen, es hat auf jeden Fall ein bisschen mehr geordnet in meinem Kopf, das was ma sich halt ab und zu so denkt (lacht)…, (…)ist relativ klassgewesen, wenn so wie bei uns ein bissal a Theaterstück dabei ist…das ist glaub ich vieleinfacher zu merken…(…)“(Interview 2).
„(…) ok… das hat mir jetzt eigentlich voll viel gebracht… aber kann das jetzt eigentlich gar nicht benennen warum… und ich versuch michwirklich auf das einzulassen, wurscht ich versuch das rund um mich auszublenden… und versuch wirklich, a so wie sie das immer sagt, … zu mir selber zu finden und wirklich ganz bei mir bleiben, … ich versuch das wirklich umzusetzen…weil ich merk, es tut mir eigentlich gut(…), weil im Endeffekt macht mas eh so weils anders nicht funktioniert, irgendwann kommt man drauf, es geht ja gar nicht anders, …und das bestätigt einen, dass das wissenschaftlich auch , … also halt wissenschaftlich auch untermauert ist… dass das jetzt nicht so … wir haben eine Spinnerei , sondern dass das schon irgendwie scho einen wissenschaftlichen Touch hat…“(Interview 7).
Eine Interviewpartnerin empfand die zur Verfügung gestellte Literatur als sehr ansprechend, empfand sie als weitere Methode, um zu einer umfassenderen Bildung zu gelangen:
„(…) also was mir total taugt, sind die…. Die Bücherlisten, die wir von Ihr kriegn, weil da sind echt tolle Bücher dabei gewesen, auch das was ich gelesen hab…(…)“(Interview 15).
An dieser Stelle ist schon zu sehen, dass jeder Mensch neue Ansätze und Gedanken unterschiedlich verarbeitet und verschiedene Aspekte für sich persönlich in den Vordergrund rücken lässt. Die jeweilige Lebensbiographie spielt dabei natürlich eine enorme Rolle, doch die Gewissheit, dass man keine Wege alleine betreten muss, erscheint als Licht am Ende des Tunnels.
DieKernaussage der integralen Pädagogik und deren Bildunglautet:
„Kinder und Erwachsene lernen gemeinsam in den ungetrennten, nicht- dualistischen Situationen des Lebens aus und in der Tiefedes universellen Einen. Sie erfahren im permanenten Wandel der kosmischen Relationen über die individuell und gemeinsam zu gehenden Wege ihre spezifischen Aufgaben. Im Eingebundensein in diesen Horizont sind Schulen Orte, in denen die integrale Ganzheit des Lebens immer wieder neu berührt, gelebt, erkannt und kreativ als Bildungspraxis gestaltet wird. Kinder, Jugendliche und Erwachsene können dann in ihrem Menschsein erblühen und ihren einzigartigen Beitrag in der Welt leisten“(Girg 2007, S. 22).
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass der Begriff Schule in der Kernaussage, als entinstitutionalisiert wahrgenommen wird, „(…)als Schule des ungeteilten Lebens“ (ebd., S. 22).
Integrale Arbeitsweisen sind für alle pädagogischen Aufgabenfelder geeignet und offen. Im Sinne des lebenslangen Lernens sind sie in den frühpädagogischen und förderpädagogischen Feldern, in den schulischen Bereichen wie auch in der Fort- und Weiterbildung und Erwachsenenbildung einzusetzen (vgl. ebd., S. 75).
Die integrale Pädagogik liefert jedem Menschen in jeder Lebenssituation die Unterstützung und den Halt, den er im Moment benötigt. Das Integrale zeigt nicht nur auf, wie wichtig die Individualität des Einzelnen ist, um im Leben zu einer umfassenderen Bildung zu kommen, sondern auch die Wichtigkeit der Kollektivität der Menschheit. Nachfolgend werden daher die Grundlagenmodelle, nämlich das Spiralmodell und das Quadrantenmodell des integralen Ansatzes näher erläutert.
Leben heißt, sich verändern.Vollkommen sein heißt, sich oft verändert haben.(Kardinal John Henry Newman)
Das Spiralmodell gibt dem Menschen eine Heimat.Man ist hier; das Sein des Menschen entwickelt sich hier Schritt für Schritt und der Mensch vergisst dabei nicht, dass der Weg das Ziel ist (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 110-111).
Erst in den letzten 50 Jahren gelang es WissenschaftlerInnen die unterschiedlichen Bewusstseinsgebiete zu erforschen. Dafür gibt es viele unterschiedliche Bezeichnungen: Bewusstseinsstufen, Bedürfnispyramiden, Wertepyramiden, Erkenntnisfelder etc.
Der amerikanische Forscher Clare Graves konnte beweisen, dass sich weltweit und kulturübergreifend immer dieselben Entwicklungsstufen zeigen. Sie sind aufeinander aufgebaut und bilden ganze Systeme. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Bezeichnung jener Erkenntnisse unter „Spiral Dynamics“ am meisten verbreitet. Er erkannte acht verschiedene Stufen, weitere beschrieb er theoretisch. Die von Clare Graves beschriebenen Stufen sind weder eng noch statisch. Man kann sie sich als weitläufige Ebenen oder Räume vorstellen. In jenen ist man stets im Austausch zwischen den etwaigen Umweltbedingungen und dem damit konfrontierten sozialen Organismus. Jener braucht geistige und körperliche Bewältigungsmechanismen („conditions for existence“), um somit in der seinigen Umwelt („conditions of existence“) zurechtzukommen. Manche Menschen überwinden in dieser Entwicklung Stufen schneller, andere brauchen lange, um ihre Gewohnheiten über Bord zu werfen zur Schaffung einer Umstellung. Sobald eine neue Stufe geschafft ist, stehen neue Möglichkeiten im Bereich der Wahrnehmung und des Verstehens zur Verfügung (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 21-22).
Das Spiralmodell stellt die menschliche Entwicklung horizontal und vertikal in 9 Stufen dar. Jede Stufe bzw. jede Farbe beinhaltet eine Entwicklungsstufe.Alle Stufen bis inklusive der grünen Stufe gehören sozusagen zu unserem alltäglichen Leben. Erst am Drehpunkt zwischen Grün und Gelb fangen Lösungen zweiter Ordnung an. Denn ab diesem Zeitpunkt vollzieht sich der Entwicklungsschritt vom Personalen zum Transpersonalen. In der darauffolgendentürkisenStufe ist es daher möglich, dass sich das autonome Selbst bildet.Auf der letzten Ebene, der korallenfarbigen Stufe, befindet man sich im höchsten Zustand des Bewusstseins, dem „Sosein“ (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 112, 119-121).
Eine besondere Erkenntnis erlangte Clare Graves bei der Ausarbeitung der einzelnen Bewusstseinsebenen. Wirklich große Themen scheinen immer wiederzukehren. Sie schwingen zwischen dem Einzelnen und der Gruppe hin und her, zwischen dem Ich und dem Wir. Einerseits nannte er das Selbst-Unterstützende „self-supporting“ und andererseits das Selbst-Opfernde „self-sacrificing“.
Die Ich-Stufen sind: Beige, Rot, Orange und Gelb; die Wir-Stufen: Purpur, Blau, Grün, Türkis. Dadurch erhält die Spirale und die Entstehung der Ebenen eine eigene Dynamik, daher der Begriff „Spiral Dynamics“ (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 37-40).
Abbildung1: Das Spiralmodell nach Don Beck und Christopher Cowan,http://integralesleben.org, 18.11.2014.
„Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ (Jesus in Johannes 14, 19).
Am Beginn des Weges befinden sich die Menschen am Ursprung ihrer Entwicklung.Das Leben lädt ein, erste Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln.
In dieser Ebene liegt das Hauptaugenmerk auf unseren Instinkten, die unser Überleben sichern. Sicherheit, Wärme, Nahrung, Wasser etc. befinden sich hier im Mittelpunkt des kindlichen Seins (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 113).
„Die Welt erscheint als undifferenzierte Masse sensorischer Aktivitäten. Neugeborene Säuglinge - wie der erste Homo Sapiens - haben eine archaische Weltansicht, in der keine Trennung zwischen ihnen und der Welt existiert“ (Wilber 2013, S. 126).
Für den Mensch 1.0 steht das reine Überleben an oberster Stelle. Es gibt kein ausgeprägtes Zeitempfinden, man lebt in der reinen Gegenwart. Ebenso hat man als Mensch 1.0. kein Wissen, was Gestalten betrifft. Keine komplexen Denkweisen oder Empathie können ihm inschwierigenSituation weiterhelfen. Bereits auf der ersten Ebene des Bewusstseins finden wir den Ursprung für Autismus, Narzissmus oder Borderlinestörungen. Denn klare emotionale Grenzen zu ziehen zwischen dem Selbst und dem anderen gelingt einem Menschen nicht, dessen Ablöseprozess aus der symbiotischen Einheitsphase nicht gelungen ist (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 47).
Wird dieser Drehpunkt nicht bewältigt, erfährt der Mensch Unsicherheit in Bezug auf seine körperlichen Grenzen. Er kann nicht unterscheiden, wo sein Körper aufhört und seine Umwelt beginnt. Schizophrene Psychosen, schwere Depressionen oder bipolare Störungen können die Folge sein (vgl. Weinreich 2005, S. 94ff).
„Du großes Geheimnis, dessen Stimme ich in den Winden vernehme, dessen Atem der Welt Leben gibt, höre mich“ (Überlieferung der Sioux).
Schreitet man nun auf dem integralen Weg weiter voran, so lernt man, dass das „WIR“ einen ganz besonderen Stellenwert in dieser Welt hat.Auch wenn sie noch so klein erscheinen mag.
Gute und böse Geister beeinflussen die ganze Welt und alles, was passiert. Soziale Gruppierungen entstehen und beeinflussen somit den sozialen Zusammenhalt in Familien und Gruppierungen. Kinder lernen hier besonders viel am Modell und etwaigen Vorbildern (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 113-114).
Magische Orte, Gegenstände, Ereignisse und Geschichten sind Stützen für Kinder und ebenso fühlen sie, dass sie sie beschützen müssen. Mystischen Zeichen und Wünschen muss das kindliche Verhalten gerecht werden, denn nur so ist es ihnen möglich, die Sicherheit und das Wohlbefinden der eigenen Gruppierung zu ermöglichen (vgl. Wilber 2013, S. 126).
Im Zauberreich des Kindes befindet man sich als Mensch 2.0. Hier beginnt man zu unterscheiden zwischen Familienangehörigen, der engsten Überlebensgruppe und den anderen weiter draußen. Körperlich kann man schondie Trennung spüren und erleben, doch die seelische Trennung ist noch nicht vollzogen. Daher werden zum Beispiel die Schmusedecke, die beruhigt, oder ein Kuscheltier, das sprechen kann, „animistisch“ belebt. Auf der purpurnen Ebene finden wir Märchen, kleine Hexen, Kobolde und Feen wieder. Viele Kinder haben auch unsichtbare Freunde, für die oftmals die Türe offen gelassen wird (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 57).
Es kommt hier zu einer Identifikation mit der eigenen Gefühlswelt, wodurch es zu einer Festigung des emotionalen Selbst kommt (vgl. Weinreich 2005, S. 98). Bei Störungen in diesem Bereich kann es zu narzisstischen Persönlichkeitsveränderungen kommen. Auch Borderline - Störungen und Suchterkrankungen sind möglich (vgl. Weinreich 2005, S. 99f).
„Wir kämpfen, bis die Hölle zufriert. Und dann kämpfen wir auf dem Eis weiter“(Patrick Buchanan).
Angekommen auf der roten Ebene erlebt der Mensch an dieser Stelle das erste Aufbäumen des eigenen Ichs: „Ich kann das alleine, das schaffe ich ohne dich!“
Das Selbst rückt in den Mittelpunkt und wird bis zum Äußersten ausgelebt und genossen. Es ist impulsiv, machtvoll und egozentrisch. Eindeutige Grenzen, die Erwachsene hier den Kindern aufzeigen sollten, sind auf dieser Ebene sehr wichtig für die Orientierung(vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 114).
Der Mensch 3.0 befindet sich auf der roten Ebene wieder auf einer Ich-Stufe. Die innere Urkraft wird entdeckt und das Sich-Ausprobieren steht an erster Stelle. Nun ist es an der Zeit, sich von der Gemeinschaft zu lösen und eigene Erfahrungen zu sammeln, eigene Vorstellungen zu entwickeln. Dazu muss man seine Ängste überwinden und sich vom gemeinschaftlichen Denken abheben.
Um sich selbst zu schützen, kämpft man mit allen Kräften um den eigenen Vorteil und das eigene Wohl. Der Mensch handelt an dieser Stelle impulsiv, manipulativ und egozentrisch (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 71).
Das rote Ich versucht des Weiteren, seinem Willen Ausdruck zu verleihen und seine Wünsche sofortzu erfüllen. Sie agieren nicht für die Zukunft, sondern nur für das Hier und Jetzt, die Gegenwart. Erledigungen von Dingen passieren auf dieser Ebene nur durch Einschüchterung und Einsatz von Macht und Druck (vgl. Wilber 2013, S. 126-127).
Das erste kognitive Selbstkonzept entsteht hier. Es kommt zur Differenzierung zwischen mentalen und emotionalen Bereich. Damit wird das Können generiert, den Körper und die Gefühle zu beherrschen (vgl. Weinreich 2005, S. 102). Ein Verhalten von Belohnung und Bestrafung der Bezugspersonen kann hier dazu führen, dass das Kind seine unerwünschten Gefühle unterdrückt und verdrängt. Neurotische Störungen wie z.B. Angstneurosen oder Phobien können sich entwickeln. Unterdrückte Gefühle können aber auch in den Körper verlagert werden und führen so zu psychosomatischen Erkrankungen. Wenn allerdings die Beherrschung von Impulsen und Emotionen von vornherein nicht gelingt, kommt es zu einem Versagen der individuellen Impulskontrolle (vgl. Weinreich 2005, S. 102f).
„Wo ein Staat gedeiht, hat der Gehorsam ihm das Haus gebaut“ (Sophokles).
Das Ich hat nun fürs Erste einen Platz auf dem integralen Weg gefunden und die Reise geht weiter, Regeln und Konsequenzen müssen akzeptiert werden.
Das eigene Leben hat nun einen Zweck und einen Sinn, wobei es dabei in Abhängigkeit zu anderen Ordnungen steht. Es werden Verhaltensregeln gelernt und verinnerlicht,man lernt die Unterscheidung zwischen richtig und falsch. Natürlich hat eine Missachtung dieser Regeln schwerwiegende Konsequenzen, im schlimmsten Fall auch lebenslängliche. Das Einhalten des Regelwerkes bringt wiederum Belohnungen und Zustimmung. Der Grundtonus dieser Ebene lautet: Recht und Ordnung, ebenfalls gegenüber den Gesetzmäßigkeiten der Welt (vgl. Michaelis/ Mikula 2007, S. 115).
Wer sich auf dieser Ebene besonders abmüht und gleichzeitig alle Regeln befolgt und auch seine Pflichten als Teil der Gemeinschaft erfüllt, ist absolut ehrbar. Polarisierte, schwarz-weiße und ethnozentrische Denkweisen sind allgegenwärtig. Schuldgefühle sind ebenfalls an der Tagesordnung und kontrollieren die Impulsivität der Individuen (vgl. Wilber 2013, S. 127-128).
Regeln zu lernen und zu befolgen, stellen, wie bereits erwähnt, für den Menschen 4.0 den Schwerpunkt auf der blauen Bewusstseinsebene dar. Um friedlich miteinander auszukommen, muss man die rote Ebene verlassen und lernen, dass die vorgegebenen Regeln verbindlich sind. Angefangen daheim, danach im Kindergarten, Schule und im späteren Leben selbst genauso.Diese Regeln und Strukturen bieten dem Kind wiederum einen sicheren Rahmen und somit kann das Kind ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem großen Ganzen, unabhängig von der Familie, entwickeln. „Einer für alle, alle für einen!“ (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 87).
Die egozentrische Haltung der vorherigen Ebene wird zugunsten einer soziozentrischen aufgegeben durch die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen(vgl. Weinreich 2005, S. 105). Bei Störungen in der Bewältigung dieses Drehpunktes kommt es z.B. durch falsche Vorbilder, zu nichthinterfragten Überzeugungen und dementsprechenden Handlungen, die andere Menschen oft abwerten und herabsetzen. Außerdem kann eine starke Rollendominanz entstehen, die zu einer Störung im sozialen Bereich des Lebens führen kann (vgl. Weinreich 2005, S. 106ff).
„Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ (Friedrich Schiller).
Doch können Regeln und vorgegebene Ordnungen alles im Leben sein?Der Mensch versucht während seiner Reise immer öfter,
die gesellschaftlichen Doktrinen zu hinterfragen und seinen eigenen Gedanken und Empfindungen Vorrang zu geben.
Auf dieser Ebene spielt die Individualität eine immer größer werdende Rolle. Das Selbst versucht sich von den gemeinschaftlichen Denkweisen zu lösen, um für sich die Wahrheit und den Sinn zu finden. Die natürlichen Gesetze der Welt werden an dieser Stelle für sich genutzt. Sie steuern die Politik, die Wirtschaft und sogar die menschlichen Ereignisse. Es wird stets Gewinner und Verlierer geben (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S.115).
Auf der orangen Ebene möchte man Fortschritt, Erfolg, Leistung, Unabhängigkeit, Status und Wohlstand erreichen. Durch gut durchdachtes und geplantes Handeln kann man, das Ziel stets vor Augen, ein neues Morgen erschaffen. Durch den Erfolg der Wissenschaft und der Technik wird der materielle Lebensstandard auf der ganzen Welt angehoben(vgl. Wilber 2013, S. 128).
Diese Phase 5.0 ist oft auch jene kritische der Pubertät. Die in der blauen Ebene gelernten Regeln werden wie bereits erwähnt hinterfragt und die Rebellion gegen jene und die bisherigen Gewohnheiten steht an erster Stelle. Mit besonders intelligenten Argumenten versuchen die Jugendlichen alles in Frage zu stellen, was ihnen von den Erwachsenen erzählt und nähergebracht wurde. Besonders wichtig dabei ist es für die Jugendlichen, reine Fakten und logische/schlüssige Begründungen zu erhalten. Ebenso im Vordergrund stehen die eigene Identitätsfindung und die Erfüllung eigener Wünsche und Bedürfnisse (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 107-108).
Eine Nichtintegration auf dieser Ebene führt zu einer Form der Egozentrik, die sich durch Intoleranz und Überheblichkeit darstellt (vgl. Weinreich 2005, S. 109ff).
„Der Mensch hat überhaupt nichts gesehen, wenn er nicht gefühlt hat. Güte ist die einzig sichere Kapitalanlage“ (Henry David Thoreau).
Da der Weg durch die Spirale ein an sich komplexer und durch Höhen und Tiefen geprägter ist, benötigt der Mensch trotz seiner Individualität und Einzigartigkeit das Zusammensein mit anderen Menschen.
Auf der grünen Ebene rückt das „Wir“-Gefühl in den Vordergrund der menschlichen Entwicklung. Beziehungen und Gruppenfindungen stehen im Mittelpunkt. Hierarchien werden immer öfter hinterfragt und an Stelle dieser etabliert man gleichrangige Bindungen und Verbindungen. Die Denkweisen sind subjektiv, nicht-linear. Wärme, Sensitivität und Fürsorge prägen sie, nicht nur für die Bewohner der Erde, sondern auch für sie selbst(vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 116).
Grün versucht Minderheiten, die unterrepräsentiert sind, in der Gesellschaft zu etablieren und ihnen sowie jeder anderen Ansicht Anerkennung und Vertrauen zu schenken. Auch im politischen Bereich ist es daher von großer Bedeutung, stets korrekt und im Wohle der Gemeinschaft Beschlüsse zu fassen. Ebenso wichtig ist es, den eigenen Blick über den Horizont schweifen zu lassen und sicherzugehen, keiner anderen Menschen Gefühle zu verletzen (vgl. Wilber 2013, S. 128- 129).
Herzenswärme, Verständnis und Empfindsamkeit prägen den Menschen 6.0. Besonders hervorheben muss man auf der grünen Ebene die Herzenswärme. Die Werte verlagern sich, Konkurrenz- und Leistungsdenken stehen nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Chancengleichheit aller. Jede Bewusstseinsebene hängt mit allem zusammen(vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 139).
Die Pathologie dieser Ebene zeigt sich in einer aperspektivischen Verwirrtheit. Die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen, führt zu einer kompletten Wertfreiheit, die wiederum zur Lähmung von Urteilskraft und Willenund letztendlich in den Zynismus führt. Wilber bezeichnet dies alsBoomeritis(2010, S. 30).
An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass das „Erste-Rang-Denken“ sein Ende gefunden hat und mit der gelben Ebene das „Zweite-Rang-Denken“ beginnt(vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 117).
„Ich suche nicht, ich finde. Suchen ist das Ausgehen von alten Beständen und ein Findenwollen von bereits Bekanntem. Finden ist das völlig Neue“ (Pablo Picasso).
Das kollektive Bewusstsein und das Bewusstsein des eigenen Selbst können nun den Menschen auf seinem Weg begleiten und unterstützen.
Es wird dem Selbst möglich nicht nur horizontal zu denken, sondern auch vertikal. Zum ersten Mal kann man das „ganze Innere“ als solches erfassen, genauso wie das Bewusstsein des Zusammenspiels aller Ebenen der Spirale. Jede Ebene geht über die andere hinaus, dennoch wird die unterenicht vergessen oder verdrängt, sie bleibt stets ein Teil unserer Selbst. Reaktivierungen jeglicher Ebenen sind zu jedem Zeitpunkt möglich (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 117-118).
„Die gesamte Spirale wird von einer Entwicklung erfasst!“ (Michaelis/Mikula 2007,S. 118).
An dieser Stelle rückt die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass weltzentrische Sichtweisen mehr Tiefe haben als ethnozentrische, die wiederum mehr Tiefe haben als egozentrische. Gelb umfasst sowohl die Breite als auch dieTiefe. Dies führt zu einem gewaltigen Entwicklungssprung. Probleme und Hürden werden als Herausforderungen betrachtet und die Suche beginnt, um positive Lösungswege für alle zu finden. Die Menschen auf dieser Ebene begegnen dem Leben mit einer gesunden Portion an Selbstinteresse und gleichzeitig nehmen sie Anteil am Wohlbefinden anderer (vgl. Wilber 2013, S. 129-130).
Auch das Wegfallen vieler Ängste und Zwänge ermöglicht dem Menschen 7.0 einen Überblick über das Bisherige zu erlangen. Spezifische Ängste werden bewusst einer Stufe zugeordnet und es wird bewusst wahrgenommen, dass sie beim Verlassen dieser Stufe nicht mehr wichtig waren. Auch die Angst vor keiner Gruppenbestätigung löst sich während dem Übergang von Grün nach Gelb auf. Auf der gelben Ebene ist es dem Menschen möglich die verschiedensten Szenen durchzuspielen, dabei werden Herz, Bauch und Kopf gemeinsam benutzt (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 171).
Dem Zweite-Rang-Denken ist diese Entwicklung voll bewusst, auch wenn es noch nicht möglich ist, sich konkret mitzuteilen, kann es das Gesamtbild erfassen, es kann alle Ebenen und die in ihnen vorhandenen Systeme begreifen und integrieren(vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 118).
„Richtet euren Blick auf die Einheit. Haltet euch beharrlich an das, was der ganzen Menschheit Wohlfahrt und Ruhe bringt. Diese Handbreit Erde ist eine Heimat und eine Wohnstatt“ (Bahá’u’lláh).
Die Reise bringt die Menschen immer näher an ihr Ziel.Sie wollen die Gesamtheit des menschlichen Daseins verstehen und begreifen.
Integrative Energien und die Vereinigung von Fühlen und Wissen der unterschiedlichen Ebenen sind nun zu einem bewussten System verwoben. Die universelle Ordnung steht im Vordergrund unseres Handelns und Tuns. Die türkise Ebene umfasst alles und erkennt die verschiedenen Ebenen der Interaktion (vgl. Michaelis/Mikula 2007, S. 119).
Der Mensch 8.0 empfindet die türkise Ebene als große dynamische Einheit. Der Mensch wird dabei als lebendiges Ökosystem betrachtet. Alle Zellen unseres Körpers kommunizieren miteinander und somit kann eine komplexe Bewusstseinsebene entstehen. Man ist offen für die Weisheit und dieWahrnehmungsfähigkeit des eigenen Körpers. Die ganzen Handlungen finden auf integralen Wegen statt, jenseits des wissenschaftlichen Materialismus (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 195-196).
„Türkis sucht nach dem Punkt, an dem sein Ich endgültig zugunsten des Selbst abtritt“ (Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 197).
Menschen 8.0. sind sehr gute Gesprächspartner, können sich durch ihre weitentwickelte Empathiefähigkeit gekonnt auf Menschen jeglicher Ebene einstellen. Sie liefern auch durchaus ungewöhnliche Ideen, neue Konzepte und können somit als Inspiration vieler dienen (vgl. Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher 2011, S. 197).
„Selbst in ihrem Alltagsdenken berücksichtigen sie in wachsendem Maße nicht nur unsere multidimensionale Komplexität, sondern auch die grundlegende Einheit aller Menschen, Geschöpfe und lebenden Systeme“(Wilber 2013, S. 130).
„Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“„Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest, sagte die Katze (...).“(Lewis Carroll)
„Ist man nun am Ziel der Reise angekommen?Geht es noch weiter?“ Diese Gedanken muss man sich an dieser Stelle der Reise nicht mehr machen.