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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient, Note: 1,3, Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese geostrategische Fallstudie aus dem Herbst 2008 behandelt die Frage, ob der Iran wirklich die größte Bedrohung für die Stabilität des Nahen Osten darstellt, wie auch deutsche Medien immer wieder gern behaupten, oder ob nicht viel mehr der Iran selbst bedroht wird, angesichts seiner überschaubaren militärischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten von seinen hochgerüsteten Nachbarn und den allgegenwärtigen USA. Denn spätestens seit dem Amtsantritt des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005, wird die islamische Republik Iran offen als Bedrohung gehandelt, vor allem in Hinsicht auf ihr Atomprogramm, aber auch wegen der Unterstützung diverser paramilitärischer Gruppen, wie der Hisbollah im Libanon. Bei seiner Rede vor der Knesset am 15. Mai nannte Präsident Bush den Iran wörtlich „the world's leading sponsor of terror“ und stellte gar eine Analogie zum Appeasement von Hitler auf. Sogar das Raketenabwehrsystem der USA in Polen und Tschechien wurde primär mitder Bedrohung durch iranische Langstreckenraketen begründet. Dazu wurde die ominöse Al-Quds-Brigade der Pasdaran von den USA offiziell als Terrororganisation eingestuft, als erste militärische Formation eines souveränen Staates überhaupt, und der Prospekt eines Präventivschlags gegen iranische Nukleareinrichtungen durch die USA oder Israel wird immer wieder mal angedroht, für den Fall des Scheiterns einer diplomatischen Lösung. Zwar ist so eine Lösung dank des Kurses von Präsident Obama nun sehr viel wahrscheinlicher geworden, was zum Zeitpunkt der Erstellung noch nicht absehbar war, doch wie diese Arbeit en´ Detail zeigt, gab es auch sonst nie eine ernsthafte Alternative zu einem "Deal", denn einerseits ist der Iran sehr viel schwächer als die Medien und öffentliche Stellen behaupten, insbesondere in Sachen Langstreckenraketen, andererseits jedoch ist das Land auch sehr viel stärker als manche vermuten; So können sie mit ihren zahlreichen hochmobilen und vergleichsweise billigen Guerillaeinheiten ihren enorm reichen und bestens bewaffneten arabischen Nachbarn in den Golfstaaten enorme Schäden zufügen, ebenso wie den Israelis, beispielsweise durch eine Blockade der Straße von Hormuz oder der Zerstörung von Entsalzungsanlagen und Kraftwerken. Atomraketen hingegen, sofern sie überhaupt welche bauen können, wären angesichts der faktischen numerischen Überlegegenheit der Iraner, ihrer knappen Kasse und technischen Unterlegenheit, militärisch weitgehend nutzlos und allenfalls ein Prestigeobjekt.

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Veröffentlichungsjahr: 2009

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Einordnung der Situation im Nahen Osten
2.2. Methodik und Definition von Begriffen
3. Die Balance-Politik der Golfstaaten von 1980 bis heute
4. Irans Stärken und Schwächen
4.1. Das Heer und die Pasdaran
4.2. Luftwaffe
4.3. Marine
4.4. Sondertruppen und Paramilitärs
4.5. WMD
5. Die Golfstaaten
5.1. Saudi-Arabien
5.2. Die Vereinigten Arabischen Emirate
5.3. Die kleineren Staaten am Golf
5.4. Die strategische Rolle der USA im Golf
6. Szenarien: Möglichkeit einer anti-iranischen Koalition?
7. Fazit
Quellen und Literatur

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1. Einleitung

Diese geostrategische Fallstudie dreht sich um die Frage, ob und wie ein derart bedrängtes Land wie der Iran, seine sicherheitspolitischen Interessen durchsetzen kann, also nicht nur die Sicherung seines Regimes, sondern auch die Stärkung seiner noch ziemlich isolierten Position innerhalb der Region. Und zwar, obwohl es militärisch relativ schwach ist in einer feindseligen Umgebung, seine Wirtschaft alles andere als rund läuft, und mehrere Nuklearmächte versuchen es einzudämmen.

Denn spätestens seit dem Amtsantritt des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005, wird die islamische Republik Iran als eine der größten Bedrohungen für die Stabilität des Nahen Ostens gehandelt, vor allem in Hinsicht auf ihr Atomprogramm, aber auch wegen der Unterstützung diverser paramilitärischer Gruppen, wie der Hisbollah im Libanon. Bei seiner Rede vor der Knesset am 15. Mai nannte Präsident Bush den Iran wörtlich „theworld's leading sponsor of terror“und stellte gar eine Analogie zumAppeasementvon Hitler auf1.

Sogar das neue Raketenabwehrsystem der USA in Polen und Tschechien wird primär mit der Bedrohung durch iranische Langstreckenraketen begründet2. Dazu wurde die ominöse Al-Quds-Brigade der Pasdaran von den USA offiziell als Terrororganisation eingestuft, als erste militärische Formation eines souveränen Staates überhaupt, und der Prospekt eines Präventivschlags gegen iranische

Nukleareinrichtungen durch die USA oder Israel wird offen angedroht, für den Fall des Scheiterns einer diplomatischen Lösung. Besonders seit Juni 2008, wurde über westliche Medien eine massive Drohkulisse aufgebaut, so dass es im Hochsommer so aussah, als würde ein Luftschlag unmittelbar bevorstehen3.

Die Streitigkeiten zwischen den USA und Iran einerseits, und Iran und regionalen Mächten wie Israel und Saudi-Arabien andererseits, haben natürlich eine weit längere Vorgeschichte, doch hat die Ablösung des gemäßigten Reformers Chatami durch die neokonservative Regierung Ahmadinedschad4die Spannungen mehr als nur erhöht.

1Die Rede vom 19.05.08 unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2008/05/20080515-1.html

2Proposed U.S. Missile Defense Assets in Europe,DOS/DOD, Stand Juni 2007, http://www.mda.mil/mdalink/pdf/euroassets.pdf

3Besonders deutlich in: Der Spiegel:Plan zum Angriff,Ausgabe 25/08, S. 112-15

4Den wahrscheinlich besten Einblick in die überaus komplexe iranische Innenpolitik bieten Ehteshami, Anoushiravan/Zweiri, Mahjoob:Iran and the Rise of its Neoconservatives,Tauris, London 2007

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Dies begründet sich natürlich auch mit der aggressiven Rhetorik gegenüberShaytan´e bozorgundShaytan´e kushek,dem großen und kleinen Satan alias USA und Israel, und den bei öffentlichen Anlässen obligatorischenMardsch bar Amrika, Mardsch bar Israel/„TodAmerika und Israel“-Rufen, obwohl man dazu zwei Dinge bedenken sollte. Zum einen gibt es im postrevolutionären Iran so etwas wie „Revolutions-Folklore“, die für das Selbstverständnis des Regimes und zu seinem Machterhalt einfach wichtig ist, obwohl besagte „Tod-Amerika“-Rufe in den letzten Jahren beim Freitagsgebet eher gelangweilt gemurmelt als inbrünstig gerufen werden, selbst wenn ein Aufpasser dahintersteht.

Zum anderen sind die berüchtigten rhetorischen Ausfälle gegen Israel5, Teil einer wohlkalkulierten Strategie, den persischen Iran näher an die arabisch/muslimische Welt zu rücken, um damit der amerikanischenContainment-Strategieden Boden zu entziehen. Und wie die Ereignisse der Jahre 2006-2008 zeigen, und ganz besonders der September 2008, so geht diese Strategie offenbar voll auf.

Denn wie an späterer Stelle noch detailliert gezeigt wird, vereinbarten Irans arabische Nachbarn im Golf, obwohl sie am ehesten von iranischen Militäroperationen bedroht sind, zahlreiche Wirtschaftsabkommen, darunter Gaslieferungen an Oman und die VAE, und Bahrain, der Heimathafen der 5. US-Flotte, kündigte sogar an, im Kriegsfall nicht als „Sprungbrett“ für US-Angriffe dienen zu wollen6. Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Iran werden ohnehin seit Jahren unterlaufen, nicht nur von Dubai, in dessen Hafen ein Großteil der in den Iran zu liefernden Konsumgüter gelöscht werden, sondern auch China, und nicht zuletzt sogar Österreich, dessen Gasversorger OMV den bislang lukrativsten Gasvertrag abschloss.

Und die lang angedrohte vierte Sanktionsrunde der UN5+1, wurde durch Druck von Russland und China Ende September ohne weitergehende Konsequenzen verabschiedet, natürlich als Reaktion auf die US-Diplomatie nach dem 4-Tage-Krieg in Georgien, der die strategische Kalkulation nicht nur im Nahen Osten völlig veränderte. Vom Bankencrash ganz zu schweigen.

Allerdings hat auch der Iran eine Wirtschaftskrise, trotz der Rekordpreise für Rohöl, vor allem aufgrund galoppierender Inflation, einer Benzinsanktionierung durch veraltete

5Die in der Regel aber mit voller Absicht in härterer Wortwahl übersetzt werden als es die persische Sprache überhaupt hergibt, so muss es statt „Israel von der Karte wischen“ eher „das Okkupationsregime wird aus dem Zeitgeschehen verschwinden“ heißen. Zumal es sich dabei um ein altes Khomenei-Zitat handelt. Zu diesem Punkt im besonderen und dem Schlingerkurs der persisch- und später iranischisraelischen Beziehungen im allgemeinen: Parsi, Trita:Treacherous Alliance. The Secret Dealings of Israel, Iran and the U.S.,Yale University Press, New Haven 2007. Zum Zitat siehe Fußnote 1, S. 285.

6Bahrain no „launchpad for strike on Iran“,PressTV, 24.9.2008, http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=70458&sectionid=351020205

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Raffinerien, massiver Jugendarbeitslosigkeit und ganz besonders wegen seiner völlig korrupten und ineffizienten Verwaltung7.

Wenn man weiterhin bedenkt, dass für die endgültige Entscheidung in Sicherheitsfragen und die langfristige Strategie des Iran nicht die eigentliche Regierung des Präsidenten zuständig ist, sondern der RevolutionsführerRahbarChamenei und Ayatollah Ali Akbar Rafsandschani, der Vorsitzender des Gremiums ist, welches den nächstenRahbarwählen wird, so relativiert sich die Bedrohung durch Iran nochmals deutlich. Denn besagte Herren fahren seit 1990 nachweislich einen eher moderaten und defensiven Kurs. Nach den heftigen internationalen Protesten gegen Ahmadinedschads Leugnung des Holocaust, wurde ihm sogar ausdrücklich verboten diese zu wiederholen8, und seit ab Mitte 2007 die direkten Verhandlungen auf Botschafterebene im Irak zwischen den USA und Iran laufen, wurden die „Tod Amerika“-Rufe und Flaggenverbrennungen vor der immer noch nicht wiedereröffneten Teheraner US-Botschaft auf ein absolutes Minimum reduziert. Sie finden eigentlich nur noch zu besonderen Anlässen wie dem al-Quds-Tag am letzten Freitag des Ramadan statt.

Der iranische Vizepräsident Esfandiar Rahim Mashai ging sogar soweit, Iran als „Freund aller Völker der Welt, auch Israels“ zu nennen, wovon sich später aber nicht nur er selbst, sondern auch der Präsident und sogar Chamenei distanzierten, allerdings nur sehr halbherzig9, obwohl es zu massiven Protesten, nicht nur der eigenen Hardliner, sondern vor allem auch seitens der arabischen Presse kam.

Man beachte, dass dies der erste hochrangige iranische Offizielle war, der jemals öffentlich das Wort „Israel“ in den Mund nahm, statt dem sonst üblichen „zionistischen Gebilde“, und dann auch noch im Gespann mit „Freundschaft“.

Dennoch, gibt es in der Tat radikale Hardliner in der iranischen Regierung, die sich auch zunehmend aus den Reihen der Revolutionswächter rekrutiert. Und nachdem diePasdaran(oder auchSepah,Krieger) nicht nur weite Teile der Rüstungsindustrie kontrollieren, sondern auch den lukrativen Schmuggel, haben sie durchaus ein Interesse die Spannungen aufrecht zu erhalten oder sogar auszuweiten, nachdem sie von weiteren Sanktionen profitieren würden. Außerdem lehrt die Vergangenheit, dass die Intentionen eines Staates im Endeffekt nicht wirklich absolut sicher im Voraus zu erkennen sind,

7Bakthiar, Abbas:Iran and its Economy,Scoop Independent News, 26.1.08, http://www.scoop.co.nz/stories/HL0801/S00238.htm

8Parsi:Treacherous Alliance,2007, S. 261-69

9Behnoud, Massoud:What He Will Bring From America,Rooz, 25.9.2008, http://www.roozonline.com/english/archives/2008/09/what_he_will_bring_from_americ.html

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ganz besonders im Zeitalter der Massenmedien, wo die öffentliche Meinung sehr schnell aufgepeitscht werden kann. Das gilt erst recht für ein Land wie den Iran, welches zum einen eine äußerst volatile Bevölkerung hat, und zum andern bewusst unkalkulierbar erscheinen will, um Feinde abzuschrecken10. Es ist kein Geheimnis, dass vor allem die US-Nachrichtendienste nie wirklich verstanden haben, was in den Köpfen der Teheraner Führung vor sich geht, und Spötter vergleichen ihre zahlreichen Gedankenspiele schon mit der berüchtigten „Kremlinology“, also dem völligen Scheitern jedes Versuches der CIA eine hochrangige Quelle im Kreml zu platzieren, weshalb man bis zum Ende des Kalten Krieges nie wirklich verstand, was die andere Seite eigentlich dachte11.

Deshalb empfiehlt es sich, weniger auf dieIntentionszu blicken, die man ohnehin immer erst dann wirklich erkennt, wenn es bereits zu spät ist, sondern vielmehr auf dieCapabilitieseines Staates zu achten12.

Denn diese grenzen den Spielraum eines Staates effektiv ein, und lassen sich zudem deutlich besser einschätzen als seine Absichten. Schließlich kann sich die Politik eines Landes über Nacht ändern, aber eine ernstzunehmende Armee aufzubauen dauert viele Jahre, selbst wenn die Wirtschaft nicht am Boden liegt. Dabei hat der Iran nüchtern betrachtet seit dem Iran-Irak-Krieg 1980-88 keinen bewaffneten Konflikt mehr geführt, und damals war er zumindest ursprünglich in der Rolle des Verteidigers. Zudem verlor er in diesem Krieg einen Großteil seines Inventars, welches auch nie wieder vollständig aufgefüllt wurde.

Überhaupt ist die Rüstung des Iran angesichts seiner Größe im Vergleich zu den anderen Golfstaaten geradezu winzig, obwohl Vergleiche der Rüstungsausgaben durch Kaufkraftdisparitäten nur bedingt aussagekräftig sind, wie das bekannte Beispiel Chinas zeigt. So ist Deutschland in der 2008er Edition des SIPRI-Jahrbuchs13zwar auf Platz 6 der höchsten Rüstungsausgaben, was sich aber eher mit dem Höhenflug des Euro erklärt, als mit den realen Ausgaben von grob 1,5% seines GDP14. Außerdem ist der Iran mittlerweile militärisch weitgehend ein Selbstversorger, und daher nicht mehr unbedingt auf Importe angewiesen. Mit weitem Abstand in Sachen Verteidigungsausgaben führen regional aber in jedem Fall Saudi-Arabien und die VAE.

10Parsi:Treacherous Alliance,2007, S. 271-72

11Zu letzterem Punkt äußerst ausführlich Weiner, Tim:Legacy of Ashes. The History of the CIA,Anchor Books, New York 2008

12Zu der altenIntentions versus Capabilities-Debattevon Waltz über Walt zu Mearsheimer mehr in Kapitel 2

13SIPRI Yearbook 2008, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/export/sipri2008.html

14BICC Jahresbericht 2007/8, Bonn,

http://www.bicc.de/publications/jahresbericht/2008/bicc_annual_report_2007_2008.pdf

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Weiterhin ist der Iran im Westen und Osten von US-Koalitionstruppen im Irak und der Nato in Afghanistan und in der Türkei geradezu eingerahmt, und dazu befinden sich noch ein bis zwei US-Trägergruppen im Persischen Golf. Allenfalls über das Kaspische Meer von Norden her droht dem Land keine direkte Bedrohung, außer die Beziehungen zu Russland würden sich massiv verschlechtern.

Außerdem ist der Iran sicherheitspolitisch weitgehend isoliert, sein einziger Bündnispartner ist das von den USA (noch) ähnlich bedrängte Syrien, doch auch dieser Partner könnte ihm abhanden kommen, sobald die Regierungsbildung in Israel abgeschlossen ist. Denn falls Syrien mit Israel nach der Rückgabe der Golanhöhen endlich Frieden schlösse, stände die Hisbollah allein und ohne Nachschubweg da. Bislang aber ist die Miliz Irans Trumpf gegen einen Angriff Israels, denn vom Südlibanon aus können die mit den Pasdaran eng verbundenen Milizionäre Tausende vergleichsweise billige Kurzstreckenraketen, gelenkt wie ungelenkt, auf Israels Wirtschaftszentren abfeuern, wogegen sogar Israels ansonsten immer besser werdende Raketenabwehr machtlos ist.

Der Versuch, die Hisbollah militärisch zu vernichten, scheiterte 2006 jedenfalls kläglich und bescherte Hassan Nasrallah und seinen iranischen Unterstützern einen gewissen Heldenstatus in der arabischen Welt. Dieser zahlte sich im Mai 2008 auch aus, denn in der Konferenz von Doha im Emirat Katar, bekam die Miliz eine de Facto Regierungsbeteiligung durch ihr Vetorecht, und der Libanon einen pro-syrischen Präsidenten. Außerdem wurde dadurch Saudi-Arabien, der mächtigste regionale Konkurrent der Iraner und Vorreiter der Eindämmung des schiitischen Einflusses am Mittelmeer, durch seine anfängliche Unterstützung Israels völlig blamiert15, und durch seinen Hauptrivalen innerhalb desGulf Cooperation Council,Katar, diplomatisch an die Wand gespielt. So vertritt nun auch Katar die Position der Golf-Araber bei der Friedensinitiative zwischen Syrien, der Türkei, Frankreich und Israel. Mittlerweile bemüht sich aber auch König Abdullah von Saudi-Arabien um Détente in der ganzen Region, nicht zuletzt um die extrem hohen Einnahmen aus dem Ölgeschäft nicht zu gefährden16.

Von diesem „vorgeschobenenDeterrent”im Libanon abgesehen, im Festungsbau würde man dabei wohl von einer „Bastion“ sprechen, sind die offensiven Möglichkeiten der Iraner aber sehr überschaubar.

15Bhadrakumar, M.K.:US, Saudis grapple Iran challenge,Asia Times, 17.5.2008, http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/JE17Ak02.html

16Friedman, George:Oil and the Saudi Peace Offensive,2.6.08, http://www.stratfor.com/weekly/oil_and_saudi_peace_offensive

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Außer ihren vieldiskutiertenShahab-3-Mittelstreckenraketen,wobei es sich um stark modifizierteScud-Raketenhandelt, die je nach Variante bis zu 1800km Reichweite haben sollen, aber noch gar nicht voll ausgereift sind, besteht IransPower Projection Capabilityeigentlich nur aus seiner rapide alternden Luftflotte aus Schahzeiten und einigen neueren russischen Maschinen, wovon vielleicht noch 150 einsatzbereit sind17. Am Boden ist die Lage kaum besser. Sein Heer von 340.000 Mann und noch mal 120.000 Pasdaran ist zwar das Größte der Region, und dazu großzügig mit Artillerie ausgestattet, doch ist der überwiegende Teil davon gezogen. Für eine schnelle Bodenoffensive stehen ihnen nur rund 500 modernisierte T-72-S, knapp 300 Panzerhaubitzen und 600 Schützenpanzer zur Verfügung. Im Falle eines Bodenkrieges würde es also seitens des Iran fast zwangsläufig auf einen Grabenkrieg wie 1980-88 gegen Irak hinauslaufen, oder auf ein Szenario wie 2006 im Libanon.

Deshalb haben sie sich auch ganz bewusst mit modernen Panzerabwehrwaffen und Anti-Schiffs-Raketen chinesischer Bauart eingedeckt. Auch moderne tragbare Luftabwehrraketen sind reichlich vorhanden, doch gegen hochfliegende Ziele sind die Iraner weitgehend wehrlos, weswegen auch Luftschläge gegen seine nuklearen Anlagen zumindest in Betracht kommen.

Was letzteren Punkt angeht, so hat der Iran das Hauptziel seines Atomprogramms offenbar längst erreicht, wie der IAEA Direktor Mohammed el-Baradei selbst konstatiert18, nämlich das konkrete Wissen und die technische Expertise zu besitzen, um als „virtuelle Atommacht“ zu gelten. Sprich, sie können im Fall der Fälle ihr ziviles Atomprogramm dazu nutzen, um in relativ überschaubarer Zeit zumindest eine primitive Uran-Bombe in der Art vonLittle Boyzu bauen. Vorausgesetzt es gibt keine Verhandlungslösung und sie treten vorher aus dem NPT aus. Während die Raketen der Hisbollah im Libanon Irans Parade gegen einen Angriff der Israelis sind, so besteht ihre Verteidigung gegen die USA insbesondere aus der Kontrolle über die Straße von Hormuz, und die daraus folgenden Konsequenzen für die GCC-Staaten.

Um ihre Drohung die Straße im Kriegsfall zu schließen, und damit einen guten Teil der Ölversorgung der Welt zu kappen, wahrmachen zu können, baute der Marinezweig der Pasdaran eine formidable Kombination asymmetrischer Fähigkeiten bestehend aus

17Die wohl beste verfügbare Literatur über das iranische Militärwesen ist: Cordesman, Anthony H./Kleiber, Martin:Iran´s Military Forces and Warfighting Capabilities. The Threat in the Northern Gulf,Center for Strategic and International Studies, Washington 2007

18IAEA chief: Iran mastering nuclear bomb-making technology,Haaretz, 27.9.2008, http://www.haaretz.com/hasen/spages/1024822.html

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Raketen, Schnellbooten, Minen und Mini-U-Booten auf, wobei zudem mit Selbstmordattacken zu rechnen ist19. Angesichts der ungeheuren Werte die täglich durch die Straße bewegt werden, wirkt diese Drohkulisse offenbar. Andererseits haben die GCC-Staaten, allen voran die Saudis, aber sogar das winzige Kuwait, einen gewaltigen Berg an modernen und modernsten Waffensystemen angehäuft, in der Tat sind es sogar mehr als sie effektiv bemannen können20. Und nachdem die iranische Marine kaum ein Regiment amphibisch einsetzen kann, ist die Wahrscheinlichkeit gleich null, dass der Iran irgendein arabisches Land effektiv erobern könnte, solange US-Soldaten im Irak stehen. Doch selbst wenn diese nach letztem Stand der Dinge bis 2011 abziehen sollten, wäre der Widerstand gegen eine iranische Offensive immer noch formidabel, zumal sich der Irak nach massiven Waffenkäufen zumindest militärisch rasend schnell erholt.

Doch ist der Iran fähig, seinen direkten Nachbarn immensen wirtschaftlichen und politischen Schaden zuzufügen, gegen den sich diese aufgrund ihrer exponierten Lage und Verwundbarkeit kaum schützen können.

Daraus schließe ich, dass es nicht im Interesse der Golfstaaten liegt, den Iran militärisch selbst einzudämmen, zumal die Wirtschaftsbeziehungen immer besser werden, und die religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten in der Region allgemein abnehmen, auch auf Initiative des Königs von Saudi-Arabien. So ergeben sich für mich 2 Hypothesen, von denen die zweite aber eher den Charakter einer Arbeitshypothese hat.

Denn es handelt sich dabei um einen noch nicht abgeschlossenen dynamischen Prozess, der durch ein unvorhersehbares Ereignis, zum Beispiel ein politisches Attentat auf einen der Potentaten, über Nacht eine völlig andere Richtung nehmen könnte, wofür gerade diese Region berüchtigt ist.

1. Der Iran folgt seit dem Ende des Krieges mit dem Irak 1988, einer grundsätzlich defensiven Strategie. Seine Waffensysteme zwingen ihn zu einem „Warof Attrition“,und er ist nicht in der Lage irgendeinen Nachbarn effektiv zu erobern, doch kann er durchaus gewaltigen Schaden anrichten, selbst ohne WMD.

19Haghshenass, Fariborz:Irans Asymmetric Naval Warfare,The Washington Institute for Near East Policy, Washington, September 2008

20Zum Vergleich der Armeen und Rüstungsbestrebungen aller Golfstaaten siehe Cordesman, Anthony H./al-Rhodan, Khalid R.:Gulf Military Forces in an Era of Asymmetric Wars,Band 1 und 2, Praeger Security, London 2007

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2. Solange keine kritische Bedrohung vorliegt, neigen Staaten zuBuck-Passing.Nur wenn der Iran den Irak faktisch unter seine direkte Kontrolle bekäme, würden die Golfaraber eine formaleBalancing-Coalitionzusammen mit den USA eingehen, doch ist dies zum einen unwahrscheinlich, und zum andern sind die GCC-Staaten untereinander derart zerstritten, und ihre Bevölkerung derart anti-amerikanisch, dass sie auch innerhalb der Koalition internesBuck-Passingbetreiben würden.

Diese Hypothesen werden in den folgenden Kapiteln empirisch untermauert. Doch gibt es dabei allerdings einige Unwägbarkeiten, was bei einem Thema wie diesem kaum vermeidbar ist. So ist es zum Beispiel die reine Anzahl von Panzern völlig nichtssagend, selbst dann, wenn ältere T-72 neuesten M1A2 gegenüberstehen. Das berüchtigte RED TEAM der Ausbilder der US-Panzerschule zum Beispiel, gewinnt fast immer mit seinen echten oder simulierten T-7221, meist durch überaus hinterhältige Taktiken. Zudem sind Vergleichswerte wie die inRHA/Rolled Homogenous Armourangegebene Panzerungsstärke rein theoretisch, weil spätestens seit dem T-34 niemand mehr einfach nur Walzstahl rechtwinklig anbringt.

Moderne Kompositpanzerung hat ohnehin völlig andere Eigenschaften, und ältere Modelle sind stark abgeschrägt und zudem meist mit reaktiver Panzerung versehen. Noch stärker ist die Unsicherheit bei Seegefechten, denn seit den großen Schlachten im Pazifik während des Weltkrieges, gab es kaum noch welche. So basieren die Garantien der USA, die Straße von Hormuz offen zu halten, auf ihrer Performance während des „TankerWar“gegen einen bereits geschlagenen Gegner, und neueren Manöverspielen. Selbstredend hat die Simulation von asymmetrischer Kriegsführung ihre Tücken. Außerdem hinge jeder Konflikt mit dem Iran letztendlich von deren Moral ab, gegen technisch weit überlegene Gegner auszuhalten. Doch darf man davon ausgehen, dass diese im Falle eines Angriffs auf ihr Land ausgesprochen hoch wäre, besonders nachdem die Gegner Amerikaner, Briten und Araber wären.

Dennoch lässt sich die konventionelle Stärke, bzw. Schwäche der Iraner, angesichts der Quellenlage ganz passabel einschätzen, auch wenn ihre Streitkräfte im Gegensatz zu westlichen Armeen ganz und gar nicht transparent sind. Dies gilt aber ausdrücklich nicht für ihre WMD-Programme, deren Status ist fast völlig unbekannt22.

21Biddle, Stephen, D.:Military Power: Explaining Victory and Defeat in Modern Battle,Princeton University Press, New York 2004, S. 145

22Cordesman, Anthony H./al-Rhodan, Khalid R:Iran´s Weapons of Mass Destruction. The Real and Potential Threat. CSIS,Washington 2006

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Wesentliche Quellen dieser Arbeit, neben einer Vielzahl von (möglichst regionalen) Zeitungsartikeln und aktuellen Studien, sind die bereits erwähnten Bücher des CSIS von Anthony Cordesman et alii, deren Zahlen wiederum größtenteils auf der Military Balance 2006/7 desInternational Institute for Strategic Studies, Jane´s Defenceund derFederation of American Scientistsbasieren. Diese erscheinen mir als die ausgewogensten und neutralsten Quellen, während z.b. dasJaffa Center of Strategic Studieszwar sehr präzise Zahlen nennt, aber dazu neigt, jedes auch nur gerüchteweise an den Iran verkaufte Waffensystem in ihreMiddle East Military Balanceaufzunehmen.

In theoretischer Hinsicht folgt diese Arbeit grundsätzlich dem neorealistischen Paradigma in der sog. Offensiven Variante, wie sie John J. Mearsheimer wesentlich prägte23. Allerdings ist sie keine neorealistische Abhandlung in Reinform, da nicht nur der reine Sicherheitsaspekt auf zwischenstaatlicher Ebene behandelt wird, sondern auch interne Sicherheit und damit letztendlich auch Innenpolitik, sowie die religiösen Hintergründe der Rivalitäten im Golf, was sich bei dieser Thematik gar nicht vermeiden lässt. Durch die Addition von bestimmten Elementen des „SecondImage“,trägt diese Arbeit daher auch gewisse Züge des von Randall L. Schweller und anderen vertretenen neoklassischen Realismus24.

Darüber hinaus werden auch Theorien mit begrenzterer Reichweite einbezogen, zum Beispiel dieOffense-Defense-Balance25mit ihrer spezifischen Unterscheidung von offensiven und defensiven Waffensystemen und den daraus folgenden Implikationen für die Kriegswahrscheinlichkeit, die ältereConventional Deterrence26von John Mearsheimer, die eben davon handelt, und der von Stephen D. Biddle eingeführte und konkret auf Ausnützung des Terrain abzielende Begriff desForce Employment27. Diese theoretischen Dinge werden im folgenden Kapitel besprochen, zusammen mit einem Überblick über die verwendete Literatur und die eine oder andere Kritik daran. Hinzu kommt ein Exkurs über die verwendete Methodik und die Definition der relevanten Begriffe für diese Arbeit, wieBalancing, Buck-Passing.Daneben werden auch Konzepte wie diePrimacy of Landpower,dieStopping Power of Water,und Dinge wie die 3:1 Übermacht-„Daumenregel“ besprochen.

23Mearsheimer, John, J.:The Tragedy of Great Power Politics,Norton, New York 2001

24Besonders deutlich in Schweller, Randall L.:Unanswered Threats. Political Constraints on the Balance of Power,Princeton University Press, Princeton 2006

25Brown, M.E./Lynn-Jones, S.M., et al.(Ed.) :Offense, Defense and War,MIT Press, Cambridge 2004

26Mearsheimer, John, J.:Conventional Deterrence,Cornell University Press, Ithaca 1983

27Biddle:Military Power,2004

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In Kapitel 3 findet sich eine historische Abhandlung über das bisherige Verhalten der Golfstaaten und ihre mehr oder weniger wechselhaften Beziehungen zu den USA während des Iran-Irak-Krieges 1980-88 und des Golfkrieges von 1990/91, besonders im Hinblick auf ihre Allianzpolitik und die Eindämmung des Iran und später des Irak. In Kapitel 4 wird die militärische Stärke des Iran im Detail beschrieben, also im Endeffekt was ihm seine Bevölkerung, Geographie und Wirtschaft erlauben, und wie das Land versucht seine jahrelange Isolierung von den westlichen Waffenmärkten zu kompensieren.

Dem stehen in Kapitel 5 die militärischen Potentiale der arabischen Golfstaaten gegenüber, und wie sie versuchen sich sowohl gegenseitig als auch den Iran auszubalancieren, ebenso wie ihre allgemeine Abhängigkeit von externen Schutzmächten, und die Anfälligkeit für internen Terrorismus gerade aufgrund der Abhängigkeit von den USA.

Im 6. Kapitel erfolgt die Analyse der jeweiligen Verwundbarkeiten und der daraus resultierenden Strategien anhand der zuvor gewonnenen Erkenntnisse. Und im 7. und letzten Kapitel schließlich, werden die Ergebnisse nochmals zusammengefasst, verdeutlicht und durch einige allgemeine Anmerkungen ergänzt.

Eins ist aber noch anzumerken. Als diese Arbeit im Frühjahr 2008 begonnen wurde, sah die Welt noch deutlich anders aus. Der Iran war in einer scheinbar grauenhaften Situation, links und rechts eingekeilt zwischen US-Bodentruppen, und sowohl die USA als auch Europa verhängten immer schärfere Wirtschaftssanktionen, die Russland und China zwar behinderten, aber auch nicht verhinderten. Dazu kamen die offenen Drohungen aus Israel, einen Luftangriff durchzuführen.

Nun, im Herbst, ist der Afghanistankonflikt voll auf Pakistan durchgeschlagen, Russland hat durch den Georgienkonflikt den sicherheitspolitischen Blickpunkt wieder einmal voll auf Europa gelenkt und dadurch wohl eine neue Aufrüstungsrunde ausgelöst, außerdem ist das internationale Finanzsystem beinahe zusammengebrochen, und als ob das alles noch nicht genug wäre, sind in nächster Zeit in den USA, Iran, Irak, und wohl bald auch in Israel Wahlen, von denen jede einzelne die Situation völlig verändern könnte. Fast unnötig zu erwähnen, dass diese hektischen Zeiten Prognosen sogar noch gewagter machen als sonst, doch scheint der Iran nun in der Tat der große Gewinner des Irakkrieges zu sein.

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