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Für Harry Sullivan hatte seine Familie immer oberste Priorität. Auch wenn er dafür Molly, seine einzige wahre Liebe, aufgeben musste. Fünfzehn Jahre später hat er Molly immer noch nicht vergessen. Und jetzt, wo seine Geschwister alle ihr Glück in der Liebe gefunden haben, hofft Harry, dass es für ihn noch nicht zu spät ist für ein Happy End. Eines Tages klingelt es an seiner Haustür ... und das junge Mädchen, das davor steht, verändert absolut alles. Molly hatte geglaubt, sie würde Harry Sullivan nie wiedersehen. Als ihre fünfzehnjährige Tochter ihn wieder in ihr Leben führt, bringt sie das völlig aus dem Gleichgewicht. Damals, mit achtzehn, war Harry bereits stark, sexy und anständig gewesen. Jetzt ist er noch attraktiver, klüger, loyaler und fürsorglicher und Molly kann ihm ebenso wenig widerstehen wie damals. Seine heißen Küsse und die magnetische Anziehungskraft zwischen ihnen tun das ihrige dazu. Aber wird das genügen, um sie beide ihre früheren Fehler vergessen zu lassen und sich diesmal für immer ineinander zu verlieben? Zumal heute mehr auf dem Spiel steht, als sie je für möglich gehalten hätten? "Die Sullivans"-Reihe *** Die Sullivans aus San Francisco *** Liebe in deinen Augen Ein verfänglicher Augenblick Begegnung mit der Liebe Nur du in meinem Leben Sag nicht nein zur Liebe Nur von dir hab ich geträumt Lass dich von der Liebe verzaubern Du gehst mir nicht mehr aus dem Sinn *** Die Sullivans aus Seattle *** Eine perfekte Nacht Nur du allein Deine Liebe muss es sein Dir nah zu sein Ich mag, wie du mich liebst Ohne dich kann ich nicht sein *** Die Sullivans aus New York *** Vier Herzen vor dem Traualtar Bilder von dir Weil es Liebe ist Die Süße der Liebe Das Beste kommt erst noch Liebe ist kein Marchen Wer Liebe sät Irgendwo auf der Welt Halt mich "Die Maverick Milliardäre"-Reihe Verliebt bis über beide Ohren Liebe ist nur was für Mutige Keine Angst vor der Liebe Keine Chance gegen die Liebe Grenzenlos verliebt
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Seitenzahl: 360
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Die Sullivans aus New York
Bella Andre
Bucheinband
Titelseite
Copyright
Über das Buch
Eine Anmerkung von Bella
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache
Über die Autorin
Irgendwo auf der Welt
Die Sullivans aus New York
© 2019 Bella Andre
Übersetzung Christine L. Weiting – Language + Literary Translations, LLC
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Für Harry Sullivan hatte seine Familie immer oberste Priorität. Auch wenn er dafür Molly, seine einzige wahre Liebe, aufgeben musste. Fünfzehn Jahre später hat er Molly immer noch nicht vergessen. Und jetzt, wo seine Geschwister alle ihr Glück in der Liebe gefunden haben, hofft Harry, dass es für ihn noch nicht zu spät ist für ein Happy End. Eines Tages klingelt es an seiner Haustür … und das junge Mädchen, das davor steht, verändert absolut alles.
Molly hatte geglaubt, sie würde Harry Sullivan nie wiedersehen. Als ihre fünfzehnjährige Tochter ihn wieder in ihr Leben führt, bringt sie das völlig aus dem Gleichgewicht. Damals, mit achtzehn, war Harry bereits stark, sexy und anständig gewesen. Jetzt ist er noch attraktiver, klüger, loyaler und fürsorglicher und Molly kann ihm ebenso wenig widerstehen wie damals. Seine heißen Küsse und die magnetische Anziehungskraft zwischen ihnen tun das ihrige dazu.
Aber wird das genügen, um sie beide ihre früheren Fehler vergessen zu lassen und sich diesmal für immer ineinander zu verlieben? Zumal heute mehr auf dem Spiel steht, als sie je für möglich gehalten hätten?
Während der letzten zwei Jahre habe ich ungeduldig darauf gewartet, endlich die Geschichte von Harry Sullivan schreiben zu können. Wer würde sich wohl nicht in einen brillanten Helden verlieben, der seine erste Liebe niemals hat vergessen können, dem seine Angehörigen unheimlich viel bedeuten … und der besonders mit Brille total sexy aussieht?
Im Vergleich zu seinen drei Geschwistern wirkt Harry immer so, als hätte er sein Leben völlig unter Kontrolle. Deshalb sind alle, und auch er selbst, schockiert, als er plötzlich als derjenige der New Yorker Sullivans da steht, in dessen Leben aber auch wirklich alles drunter und drüber geht.
Ich hoffe, dass die Geschichte der zweiten Liebe von Harry und Molly Sie begeistern wird. Die beiden haben auf jeden Fall schon lange genug darauf gewartet!
Ein glückliches Leseerlebnis wünscht Ihnen Ihre
Bella Andre
PS: Lassen Sie sich auch Cassie Sullivans Geschichte nicht entgehen! Von den sieben Sullivans aus Maine ist sie die Erste …
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Die Feier zur Doppelverlobung von Harry Sullivans Bruder Drake mit seiner Freundin Rosa und von Harrys Schwester Suzanne mit ihrem Freund Roman lief perfekt. Alle Erwachsenen unterhielten sich angeregt. Die Kinder liefen lachend herum und spielten miteinander. Harrys Hund, Aldwin, behielt die Teller aller Beteiligten genau im Auge, in der Hoffnung, dass für ihn etwas zu fressen auf dem Boden landete.
Aber die ganze Zeit über musste Harry an Molly Connal denken.
Als Erstsemester hatten sie sich an der Columbia University kennengelernt und er hatte sich sofort unsterblich in sie verliebt. Nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch, weil ihre Intelligenz ihn immer wieder verblüffte. Er konnte es kaum fassen, dass sie dasselbe für ihn empfand.
Molly war das einzige stets leuchtende Licht in seinem Leben – sie war witzig, clever und sündhaft sexy. Während in seiner Familie das Leben eine unaufhörliche Achterbahnfahrt war, war Molly immer sanft und entspannt. Und gerade das verleitete ihn oft dazu, sie in die zweite Reihe zu stellen, einfach weil sie ihm eine selbstverständliche Begleiterin geworden war.
Natürlich war es da nicht gerade hilfreich, dass Harrys Familie gerade in dem Jahr, als er mit Molly zusammen war, eine ihrer härtesten Zerreißproben erlebte. Harry und seine Geschwister – Alec war der Älteste, als Zweiter kam Harry und danach Suzanne und Drake – hielten immer fest zusammen. Als Drake noch ein Kleinkind war, hatte der Tod der Mutter sie ganz eng zusammengeschweißt, besonders als ihr Vater vor Trauer kaum noch für seine Kinder dagewesen war.
Als Harry gerade aufs College kam, gingen Drake und Suzanne noch auf die Highschool und brauchten bei allem seine Hilfe, von den Hausaufgaben bis hin zu ihren eigenen College-Bewerbungen. Alec hingegen brauchte abends einen nüchternen Begleiter, der ihn davon abhielt, sich in den Bars, in denen er viel zu oft verkehrte, Ärger einzuhandeln. Aber am meisten hatte der Vater Harrys Hilfe gebraucht. Er trauerte immer noch um seine Frau und die Mutter seiner Kinder und ging völlig ziellos durchs Leben.
Nie würde Harry die Nacht vergessen, in der er seinen Vater in ungewaschenen Klamotten und nach zu viel Alkohol stinkend in seinem Haus am See auf dem Boden gefunden hatte, nachdem dieser nach tagelangem Essens- und Schlafentzug in Ohnmacht gefallen war. Jener Tag war nicht nur der Todestag von Harrys Mutter gewesen, sondern auch Mollys Geburtstag.
Damals war Harry klar geworden, dass er Molly freigeben musste. Es kam ihm zwar vor, als müsse er sich eigenhändig den schönsten, liebsten und wärmsten Teil seines Herzens aus dem Leib schneiden. Aber auch wenn er immer sein Bestes getan hatte, um seine Abwesenheit hinterher wieder gut zu machen, hatte sie etwas Besseres verdient als einen Freund, der kaum für sie da sein konnte. Nachdem er mit ihr Schluss gemacht hatte, hatte er sich bewusst von ihr ferngehalten, egal wie stark in den Jahren danach die Versuchung wurde, nach ihr zu suchen und sie um eine zweite Chance zu bitten.
Jetzt allerdings ging es seiner Familie endlich gut. Alec war glücklich verheiratet und hatte kürzlich vom steinreichen Inhaber eines Luftfahrtunternehmens auf Koch umgesattelt – im Gartencenter seiner Frau Cordelia. Suzanne hatte mit ihrem ehemaligen Leibwächter Roman die Liebe gefunden. Auch Drake und Rosa waren glücklich miteinander – allen unglaublichen Hindernissen zum Trotz. Und das Allerbeste war, dass William, ihr Vater, nachdem er drei Jahrzehnte lang mit dem Verlust ihrer Mutter gehadert hatte, nun endlich bereit zu sein schien, sein Leben richtig zu leben und wieder ein echter Vater zu sein.
Jetzt, wo das Privat- und Berufsleben von Harrys Geschwistern in geregelten Bahnen verlief, hatte Harry das Gefühl, endlich aufatmen und sein eigenes Leben etwas klarer sehen zu können.
Seitdem er in „Geschichte des Mittelalters“ seinen Doktortitel erworben hatte, widmete er sich als Professor an der Columbia University mit all seiner Leidenschaft seinen Studenten, seiner Forschung und dem Schreiben. Wenn ihm seine Bücher nicht mehr genügten, schaffte er sich einen gesunden Ausgleich durch körperliche Betätigung beim Turnierkampf mit der Lanze. Natürlich lebte er nicht wie ein Mönch.
Aber verliebt hatte er sich nie wieder.
Keine andere Frau war auch nur annähernd so klug, so lustig und sexy wie Molly. Ihre Beziehung war so natürlich, so leidenschaftlich, so verdammt gut gewesen.
Und er hatte nie aufgehört, sie zu vermissen.
Nachdem sie sich am Ende des ersten Studienjahres getrennt hatten, war Molly nicht an die Columbia University zurückgekehrt. Unzählige Male hatte Harry nach ihr suchen und sie bitten wollen, zu ihm zurückzukommen. Aber er hatte es sich immer wieder verwehrt, weil die Probleme in seiner Familie noch nicht behoben waren.
Und wenn er jetzt, da sich die Dinge tatsächlich geändert hatten, endlich nach ihr suchen würde? Was wäre, wenn er eines Tages aus heiterem Himmel vor ihrer Tür auftauchte und ihr sagte, dass er nichts mehr bereute, als ihr das Herz gebrochen zu haben? Was wäre, wenn er sie bitten würde, ihm noch einmal eine Chance zu geben?
Würde sie ihn hereinbitten und ihn anhören?
Oder war sie bereits verheiratet und hatte mit einem großartigen Mann und hübschen Kindern ein neues Leben angefangen, im Gegensatz zu ihm?
Langsam erhob sich Aldwin und kam herüber, um seinen breiten Kopf unter Harrys Hand zu schieben, wobei er ein leises, brummendes Geräusch von sich gab. So sagte ihm sein Hund, dass er raus musste, um sein Geschäft zu verrichten.
Harry hatte Aldwin adoptiert, nachdem er ihn in einem der Busse vom Tierheim gesehen hatte, die immer zum nahe gelegenen Bauernmarkt kamen. Alle Leute hatten sich um die Welpen geschart, aber Aldwin schlief in seinem Stand an der Ecke. Niemand sonst auf dem Markt schien einen so riesigen Hund mit unbekanntem Stammbaum mit nach Hause nehmen zu wollen, dessen Fell um die Schnauze herum bereits grau wurde. Aber Harry dachte schon seit einiger Zeit darüber nach, sich einen Hund zuzulegen. Einen, der ihm jetzt, wo alle, die er kannte, mit ihrem Liebesglück beschäftigt waren, Gesellschaft leisten würde. Außerdem wurde er selbst im Kinnbereich langsam grau, also passten sie Harrys Meinung nach perfekt zueinander.
Er griff sich gerade Aldwins Leine, um ihn in den Garten zu bringen, da klingelte es an der Haustür.
Jeder, der Harry oder seine Familie kannte, hätte die Aufforderung „Kommt rein“ auf dem Zettel beachtet, den Harry an die Tür gehängt hatte. Vielleicht war es ein Kurier. Oder ein Kind, das von Haus zu Haus ging und Schokolade für einen wohltätigen Zweck verkaufte.
Aber während er Aldwin die Leine anlegte und mit ihm in die Diele ging, überkam Harry eine Ahnung, dass es etwas Wichtigeres sein würde. Er hoffte, dass es keine Hiobsbotschaft für jemanden aus seiner Familie war. Drake und Rosa hatten schon mehr als genug durchgemacht, nachdem illegal aufgenommene Nacktfotos von ihr an die Presse gelangt waren. Suzanne und Roman hatten auch eine schwere Zeit gehabt, als sie Suzannes Unternehmen für digitale Sicherheit gegen bedrohliche Angriffe verteidigen mussten. Alec und Cordelia hatten gerade erst den Grundstein für ihre Liebe gelegt. Und der Vater brauchte noch Ruhe, nachdem er kürzlich einen Herzinfarkt erlitten hatte.
Das allerletzte, was Harry jedoch erwartete, war, dass ein Mädchen im Teenageralter an seiner Haustür auftauchen würde.
Sie kam ihm erstaunlich bekannt vor. Sein Herz setzte tatsächlich einen Schlag aus, denn sie sah fast genauso aus wie Molly, als sie noch Studenten waren. Der einzige wesentliche Unterschied war, dass dieses Mädchen etwas helleres Haar hatte.
Aldwin begrüßte sie als Erster und drückte ihr die Schnauze in die Hand. „Oh, hallo.“ Sie tätschelte ihm den Hals. Genau das, was er wollte. „Wie goldig bist du denn?“
Die Ähnlichkeit des Mädchens mit Molly war schon unheimlich. Aber als er ihre Stimme hörte, wäre Harry fast in Ohnmacht gefallen. Sie musste Mollys Tochter sein, daran bestand kein Zweifel.
Sofort begann er zu rechnen. Schließlich hatten sie sich vor fast sechzehn Jahren getrennt, und dieses Mädchen schien etwa fünfzehn Jahre alt zu sein.
War es möglich, dass …?
„Sind Sie Harrison Jack Sullivan?“, fragte sie. Aldwin lehnte sich an ihr Bein, so als hätte er das Gefühl, dass sie Schutz brauchte. Ihre Hand lag an seinem Hals.
„Ja“, antwortete er und die Ähnlichkeit war ihm immer noch unfassbar. Und das, was sie möglicherweise bedeutete. „Ich bin Harry.“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mädchens, aber gleich darauf wirkte sie wieder unsicher. „Harry“, sagte sie, als ob sie seinen Namen anprobieren würde. „Das gefällt mir besser als Harrison. Es klingt nicht so steif.“
Normalerweise hätte er fast lachen müssen – Jugendliche hatten es echt drauf, einen ohne große Anstrengung gleich ein paar Zentimeter kleiner werden zu lassen. Aber wie konnte er lachen, wenn er nicht aufhören konnte, sich zu fragen, ob …?
Er musste sich räuspern. „Und wer bist du?“
„Amelia.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und wirkte sehr nervös, als sie sagte: „Amelia Connal. Molly Connal ist meine Mutter. Ich bin fünfzehn. Ich weiß, dass Sie am College mit meiner Mutter zusammen waren.“ Sie reckte das Kinn nach oben und sah ihm direkt in die Augen. „Und ich denke, Sie sind mein Vater.“
Bei seinen Ritterturnieren erlebte es Harry oft, dass ihm nach einem Lanzenstoß die Luft weg blieb. Und im Laufe der Jahre hatte er auch beim Herumalbern mit seinen Brüdern und Cousins jede Menge Faustschläge in die Magengrube abbekommen. Aber so hatte er sich noch nie gefühlt. So, als würde er völlig hilflos nach Sauerstoff schnappen. So, als sei gerade die ganze Welt aus den Fugen geraten.
So, als könnte nichts mehr so sein wie früher.
„Ich habe das hier.“ Sie nahm ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche ihrer Jeans. „Es sind die Ergebnisse eines DNA-Tests, den ich online habe machen lassen. Sehen Sie?“ Sie gab ihm das Blatt. „Hier steht, dass fünfzig Prozent unserer DNA übereinstimmen.“
Harrys Hände zitterten, als er das Blatt entgegennahm. Als Professor für Geschichte des Mittelalters, der sich besonders für Ahnenforschung interessierte, war er gebeten worden, einen Aufsatz über jüngst wie Pilze aus dem Boden schießende DNA-Analysefirmen zu schreiben, die den Leuten nicht nur die Erforschung ihres Genoms anboten, sondern es ihnen angeblich auch ermöglichen wollten, in ihre eigene Vergangenheit zu blicken und ihre Abstammung zu entdecken. Als Teil seiner Recherchen im Rahmen des Projekts hatte er sich bei einer der bekanntesten dieser Firmen registriert und sogar das Kontrollkästchen aktiviert, mit dem man es der Firma erlaubte, anderen Personen, mit denen man möglicherweise verwandt war, Namen und Kontaktinformationen mitzuteilen. Es hatte ihm Spaß gemacht, einige um vier oder fünf Ecken mit ihm verwandte Groß-Groß-Groß-Cousins kennenzulernen, von deren Existenz er bisher nichts gewusst hatte. Aber nie hätte er geahnt, dass er seine eigene Tochter finden würde.
Oder besser gesagt, dass sie ihn finden würde.
Die Informationen auf dem Blatt hätten klarer nicht sein können.
Verwandtschaftsgrad zwischen Amelia Connal und Harrison Jack Sullivan:
50% gemeinsame DNA
Und dann noch ein Wort in der Zeile direkt darunter:
Vater.
Harry musste immerzu auf das Wort starren und konnte das, was irgendetwas in ihm bereits beim ersten Blick auf Amelia geahnt hatte, immer noch nicht ganz begreifen.
Aus Aldwins Kehle kam ein leises Geräusch, das ziemlich deutlich nach einer Warnung klang. Erst da erkannte Harry, dass er immer noch wie angewurzelt dastand und abwechselnd auf das Papier und dann auf Amelia starrte.
Auf seine Tochter.
Wie hatte Molly ihm dieses Geheimnis fünfzehn Jahre lang vorenthalten können? Sie war der letzte Mensch, von dem er je gedacht hätte, dass sie einen Vater von seinem Kind fernhalten könnte. Sie wusste, wie wichtig ihm seine Familie war und dass er vor nichts zurückscheuen würde, um sie zu beschützen. Tatsächlich wusste sie das besser als alle anderen.
„Ich muss Aldwin erst rauslassen“, sagte er und war überrascht, wie normal seine Stimme klang, obwohl sich seine Lunge anfühlte, als würde sie gerade in einem Schraubstock zerquetscht. „Und dann sollten wir beide reingehen, um zu reden.“
Sie nickte, aber als sie Gelächter aus seinem Haus hörte, runzelte sie die Stirn. „Hört sich an, als wären da viele Leute drin.“
Die Verlobungsfeier hatte er ganz vergessen. Jetzt hätte er alle, die im Haus waren verfluchen können. Alles, was er jetzt wollte, war ein ruhiger, geschützter Raum zum Reden für sich und Amelia.
Harrys Leben hatte sich manchmal angefühlt wie eine Reihe bedeutsamer Ereignisse. Erst der Tod seiner Mutter und dann der Schaden, den sein Vater angerichtet hatte, als er sich vor Trauer und Schuldgefühlen von seinen Kindern zurückzog. Und dann die vielen Jahre, in denen Harry für seine Brüder und seine Schwester die Kohlen aus dem Feuer holen musste, um die Familie zusammenzuhalten.
Aber niemals hätte er mit so etwas gerechnet. Dass er einen Menschen zum ersten Mal sehen und bereits lieben könnte. Ganz und gar und bedingungslos lieben, und zwar ohne irgendetwas mehr über dieses junge Mädchen zu wissen, als dass sie seine Tochter war. Und dass er sie von diesem Moment an mit jeder Faser seines Herzens beschützen würde.
Angefangen damit, sie von den neugierigen Blicken aller Partygäste fernzuhalten.
Aber er konnte Amelia ja nicht bitten, mit ihm ein Stück die Straße entlang zu gehen, und dann in einem Café zu reden. Sie hatte verdammt noch mal Besseres verdient, von einem Vater, der ihr ganzes Leben lang nie da gewesen war und den sie gerade erst gefunden hatte. Und sie konnten auch nicht von hinten ins Haus hineingehen, weil dort mindestens zwei Dutzend Leute auf der Terrasse und auf dem Rasen waren.
„Ich richte gerade eine Verlobungsfeier für meine Schwester Suzanne und ihren Verlobten und für meinen Bruder Drake und seine Verlobte aus.“
Zwischen ihnen hingen die unausgesprochenen Worte deine Tante und dein Onkel in der Luft. Und all die anderen Dinge, die er ihr gerne gesagt und die Fragen, die er ihr gerne gestellt hätte. Das waren so viele, dass sein Gehirn sich übervoll und durcheinander anfühlte und er nicht imstande war, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Vielleicht sollte ich später wiederkommen.“
Amelia wollte sich bereits aus dem Vorgarten zurückziehen, während Aldwin an der Leine zerrte und wie festgewachsen an ihr kleben blieb. Da rief eine vertraute Stimme: „Da bist du ja.“ Harrys Vater stand auf der Vordertreppe. „Ich habe gesehen, dass die Tür offen war und wollte sichergehen, dass Aldwin nicht rausgelaufen war.“ In diesem Moment bemerkte William Amelia. „Hallo.“
„Hallo.“ Sie stockte und hatte schon eine Hand am Riegel des Gartentors.
„Das ist mein Vater, William“, sagte Harry, ohne die Augen von seiner Tochter abzuwenden.
Würde er sich jemals an ihr sattsehen können? Würde er jemals das Gefühl haben, er hätte genug Zeit mit ihr verbracht, nachdem er die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens verpasst hatte?
„Dad …“ Harry drehte sich schließlich um, um dem neugierigen Blick seines Vaters zu begegnen. Er wollte, dass sein Vater es vor allen anderen erfuhr. Von Vater zu Vater. „Ich habe gerade erfahren, dass Amelia meine Tochter ist.“
„Deine Tochter?“
Völlig fassungslos wandte sich William Amelia zu und sah sie erst einmal richtig an. „Mein Gott“, flüsterte er. „Ich hätte die Ähnlichkeit gleich sehen müssen. Du hast Harrys Augen und seinen Mund.“ Er hielt sich am Geländer fest und stieg langsam die Treppe zu ihr hinab, was den Hund veranlasste, sich noch enger an sie zu drücken. William blickte sie verwundert an. „Du bist meine Enkelin.“ Er klang überwältigt, aber offensichtlich überglücklich. „Ich bin dein Großvater.“
Zum ersten Mal, seit Harry die Tür geöffnet hatte, lächelte Amelia. Ihr Lächeln war wie der schönste Sonnenstrahl, und dem Lächeln ihrer Mutter so ähnlich, dass Harry fast die Knie versagten.
Wie er es auch drehte und wendete, er konnte einfach nicht glauben, dass Molly seine Tochter absichtlich von ihm ferngehalten hätte. Egal wie furchtbar er sich als ihr Freund benommen hatte.
Aber welchen anderen Grund hätte es geben können?
Nachdem William Harry noch einmal angesehen und bemerkt hatte, wie schockiert sein Sohn war, bot er Amelia seinen Arm an. „Warum kommst du nicht einfach herein? Ich weiß, der Rest der Familie würde sich riesig freuen, dich zu kennenzulernen.“
Amelia sah Harry an. „Ist das für Sie okay?“
Aber er konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Sie ist meine Tochter, sie ist von mir, dachte er immer wieder. Meine Tochter. Ich habe eine Tochter.
„Harry?“ Im Ton seines Vaters lag gerade genug Schärfe, um die Schallmauer der in Harrys Kopf mit Lichtgeschwindigkeit herumsausenden Gedanken und Fragen zu durchbrechen. Nach Meinung seiner Schwester war es eine seiner schlimmsten Angewohnheiten, dass er manchmal einfach in seinen Gedanken stecken blieb.
Harry wusste, dass er seine Verwirrung und seinen Schock jetzt überwinden musste. All sein Mitgefühl, seine Liebe und seine Unterstützung mussten jetzt seiner Tochter gelten, die gerade etwas sehr Mutiges getan hatte, und zwar ohne jegliche Gewissheit, dass es gut ausgehen würde. Amelia hatte ja nicht im Geringsten wissen können, ob er ihren Anspruch etwa leugnen oder sie einfach hinauswerfen würde.
Die Angst stand ihr auch jetzt noch im Gesicht geschrieben. Dass er sie vielleicht nicht haben wollte. Dass er sie wegschicken würde.
Nein. Er würde sie niemals wegschicken.
„Ich hätte derjenige sein sollen, der dich hereinbittet.“ Er lächelte sie an, zumindest versuchte er es. Im Moment war er sich noch nicht einmal sicher, ob er imstande war, die Mundwinkel zu einem erkennbaren Lächeln nach oben zu bewegen. „Ich möchte gerne, dass du mit rein kommst, um deine Familie kennenzulernen. Und ich würde dir auch vorschlagen, dass wir uns duzen, wenn du einverstanden bist.“
Sie ließ die Schultern sinken, so als hätte sie nach langem Luftanhalten endlich ausgeatmet. Und dann lächelte sie, und es war das allererste Lächeln, das ihm ganz allein gehörte. „Gerne. Einverstanden.“
So, als hätte ein sechster Sinn Harrys Partygäste spüren lassen, dass etwas Wichtiges bevorstand, wurden plötzlich alle still, als er und sein Vater mit Amelia in ihrer Mitte ins Wohnzimmer kamen. Instinktiv stellte er sich vor sie, um sie vor den vielen Blicken zu schützen und sagte dann leise: „Dad, könntest du Alec, Suzanne und Drake bitten, in mein Arbeitszimmer zu kommen?“
Sein Vater nickte und ging auf die Gäste zu, während Harry Amelia ein Zeichen gab, mit ihm den Flur hinunter zu gehen und alle hinter sich zu lassen. „Ich denke, es wäre besser, wenn du deine Tante und deine Onkel in einer etwas ruhigeren Umgebung kennenlernen könntest.“
„Okay.“ Ihre Stimme klang kleinlaut und unsicher. „Danke.“
Während der ganzen Zeit blieb Aldwin an ihrer Seite, als ihr persönlicher, behaarter Wächter. Es war, als ob er in dem Moment, als sie ihm den Kopf getätschelt hatte, die Verantwortung für sie übernommen hätte.
Kluger Hund.
Es gab so vieles, was Harry ihr sagen und sie fragen wollte, während sie zusammen den Flur entlang gingen. So vieles wollte er über ihre Kindheit wissen, wo sie aufgewachsen war, was sie in der Schule lernte. Er wusste nichts über sie, nicht einmal die einfachsten Dinge, wie ihre Lieblingsfarbe, ihr Lieblingsessen, oder welche Bücher oder Filme sie mochte.
Aber zuerst musste er sie etwas anderes fragen: „Weiß deine Mutter, dass du hier bist?“
Anstatt zu antworten, hielt sie an der Schwelle zu seinem Arbeitszimmer inne. Es war ein großer Raum mit Deckengewölbe, in dem alle Wände mit Bücherregalen bedeckt waren. „Wow. Dieses Zimmer sieht aus, als gehöre es in ein Schloss.“ In seiner Privatbibliothek prangten edle Bände in Leder neben Taschenbüchern und gebundenen Büchern, Belletristik und Sachbüchern, wissenschaftlicher Literatur und Kartographiebänden. Wie verzaubert ging sie zum ersten Bücherregal und fuhr mit den Fingern an den breiten Lederrücken mittelalterlicher Schlachtplanreproduktionen entlang.
Es bewegte ihn sehr, zu sehen, dass seine Tochter sich so sehr für Bücher interessierte, und zu wissen, dass das etwas war, was sie gemeinsam hatten. Er hoffte, noch Dutzende weitere mögliche Gemeinsamkeiten zu entdecken – und auch die Unterschiede zwischen ihnen. Er wollte alle ihre Eigenarten kennenlernen und erleben, was an ihr außergewöhnlich und besonders war.
Kurz darauf betraten Suzanne, Alec, Drake und ihr Vater das Arbeitszimmer. Alec warf Harry einen fragenden Blick zu, als er Amelia sah. Aber Harry wusste genau, dass sein Bruder unmöglich mit so etwas gerechnet hätte.
Amelia stellte sich neben Harry und er hätte gern seinen Arm um sie gelegt, um sie zu beruhigen. Aber er wusste nicht, ob das in Ordnung wäre. Vielleicht müsste ja erst eine gewisse Zeit vergehen, bevor sie ihn wirklich als ihren Vater erleben konnte und nicht als einen Fremden, den sie gerade kennengelernt hatte.
„Es ist alles in Ordnung“, sagte er leise. „Sie sind alle deine Verwandten.“
„Harry“, fragte Alec und sprach aus, was sich offensichtlich jeder von ihnen fragte: „Was ist denn los?“
In dem Moment konnte Harry nicht anders, als seinen Arm um Amelia zu legen. Glücklicherweise wich sie nicht zurück, sondern lehnte sich direkt an ihn: „Amelia ist meine Tochter.“ Er ließ diese Bombe erst einmal einschlagen, bevor er weitersprach. „Molly Connal, meine Freundin vom College, ist ihre Mutter, und Amelia hat über die DNA-Testfirma, bei der ich mich Anfang des Jahres angemeldet habe, herausgefunden, dass wir verwandt sind.“
Seine Geschwister machten alle große Augen. Suzanne erholte sich als Erste, stürzte nach vorn und schlang ihre Arme um Amelia. „Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen! Ich bin Suzanne, und ich schwöre, das ist einer der schönsten Tage meines Lebens. Dass ich meine Nichte kennenlerne!“
Als Nächster kam Alec nach vorn und gab Amelia die Hand, weil er sie offensichtlich nicht mit einer weiteren Umarmung überwältigen wollte. Aber er hielt ihre Hand recht lange fest. „Wie schön, dich kennenzulernen, Amelia. Ich bin Alec.“
„Und ich bin Drake.“ Harrys jüngster Bruder umarmte sie. Obwohl seine Umarmung nicht ganz so überschwänglich war wie die von Suzanne, war sie nicht minder herzlich und einladend.
„Ich habe dein Bild online gesehen!“, platzte Amelia gleich heraus, als er sie losließ. „Du bist mit Rosalind Bouchard zusammen.“
Natürlich wusste Amelia, wer Rosa war – eine 15-Jährige, die nicht völlig out war, musste einfach wissen, wer der berühmteste ehemaligen Reality-TV-Star der Welt war.
„Rosa ist meine Verlobte“, bestätigte Drake lächelnd. „Sie ist im Wohnzimmer. Du wirst sie bald kennenlernen.“
Als er sah, wie einer nach dem anderen aus seiner Familie Amelia ohne Panik und ohne zynische Bemerkungen begrüßte, begannen sich einige der Knoten in Harrys Brust zu lösen. Bevor sie jedoch noch andere kennenlernte, mussten sie ein paar Einzelheiten klären.
„Warum setzen wir uns nicht alle einfach mal hin?“, sagte er und schloss die Tür zum Arbeitszimmer. „Dann können wir kurz über alles reden.“
Er war Suzanne dankbar, dass sie Amelia zu dem lederbezogenen Zweiersofa führte, den Hund immer an ihrer Seite. Suzanne hielt den Arm um Amelia gelegt, denn sie hatte offensichtlich erkannt, dass hier ein bisschen Frauenpower angesagt war. Aber obwohl seine Schwester aussah, als würde sie jeden Moment anfangen, ihn mit Fragen zu löchern, konnte sie sich zügeln und wartete wie alle anderen darauf, dass er etwas sagte.
Er stand mit der Hüfte an den Rand seines Schreibtisches gelehnt – so voller Adrenalin konnte er einfach nicht sitzen – und fragte noch einmal: „Amelia, weiß deine Mutter, dass du hier bist?“
Schuldbewusst verzog sie ihr Gesicht. „Sie denkt, ich übernachte bei meiner Freundin.“
Eine Reihe stiller Flüche schossen Harry durch den Kopf. Natürlich hätte Molly Amelia nach all den Jahren nicht zu ihm geschickt, besonders nicht ohne Vorwarnung. „Du musst sie anrufen und ihr sagen, wo du wirklich bist.“
„Wenn ich nur morgen Mittag rechtzeitig zu Hause bin, muss sie es gar nicht erfahren.“
„Sie ist deine Mutter, und wir werden weder die Testergebnisse noch deinen Aufenthaltsort vor ihr geheim halten.“ Ganze fünf Minuten war er erst ihr Vater und schon hielt er seiner Tochter Vorträge. „Ich kann sie anrufen“, sagte er etwas sanfter, „wenn das für dich leichter ist.“
Amelia dachte ein paar Sekunden nach. „Ich weiß nicht, es könnte auch alles schlimmer machen. Ich meine, da sie mir nie von dir hat erzählen wollen, glaube ich, dass sie nicht allzu froh darüber wäre, mit dir am Telefon zu reden.“
Ihre Worte trafen ihn wie ein Vorschlaghammer in die Magengrube. Natürlich würde Molly nicht mit ihm reden wollen. Pech gehabt, denn ihm war es scheißegal, was seine Ex wollte. Ja, er hatte ihr damals wehgetan. Aber nichts, was er getan hatte, konnte so schlimm sein, dass sie das Recht gehabt hätte, ihm seine Tochter vorzuenthalten.
„Also, wenn ich es mir recht überlege“, sagte Harry, „muss ich derjenige sein, der sie anruft.“
„Jetzt gleich?“ Amelia wirkte jetzt richtig panisch. Sie hatte sich zwar heimlich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht, aber Harry ahnte, dass dieser Regelverstoß eher die Ausnahme war.
„Bald.“ Er rückte vom Schreibtisch ab, setzte sich auf die Ottomane ihr gegenüber und berührte leicht ihre Hände. „Weiß sie, dass du den DNA-Test gemacht hast?“
Sie schüttelte den Kopf. „Aber nachdem ich ihr Tagebuch gelesen hatte, musste ich es tun.“
„Molly hat in ihrem Tagebuch über mich geschrieben?“ Dachte sie nach all den Jahren immer noch an ihn, so wie er nie hatte aufhören können, an sie zu denken?
„Nein. Ich habe eine Kiste mit ihren alten Tagebüchern auf dem Dachboden gefunden.“
Suzanne konnte nicht mehr schweigen. „Deine Mutter hat ihre alten Tagebücher auf dem Dachboden herumliegen lassen, obwohl du sie leicht hättest finden können?“
„Sie lagen nicht wirklich herum“, gab Amelia zu. „Ich habe schon danach suchen müssen.“ Sie blickte in die Runde, als wolle sie sich rechtfertigen. „Ich musste wissen, wer mein Vater ist. Und da sie sich weigerte, es mir jemals zu sagen, musste ich die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Sie leckte sich die Lippen und wirkte auf einmal wieder nervös. „Deshalb habe ich, sobald ich gelesen habe, dass sie und Harry zusammen waren, ihre Unterschrift zur Einwilligung zum DNA-Tests gefälscht.“ Ihr Mund bekam einen etwas störrischen Ausdruck, als sie sich wieder zu Harry umdrehte. „Nach dem, was ich gelesen habe, musste ich Gewissheit haben, ob du mein Vater bist.“
„Ich kann nicht glauben, dass Molly dich vor mir geheim gehalten hat.“ Harry hörte seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne. Trotz seiner Worte war sein Ton gefährlich kühl. Wo jeder andere geflucht und gewettert hätte, wurde Harry instinktiv rationaler, nicht weniger rational. Es hatte noch nie jemandem geholfen, sich in Emotionen zu verlieren. Und er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren, obwohl es das Naheliegendste war.
„Mein ganzes Leben lang“, sagte Amelia, „habe ich angenommen, dass mein Vater ein Nichtsnutz war. Warum hätte sie uns sonst getrennt halten sollen? Aber ich musste trotzdem wissen, wer ich bin und wo ich herkomme. Und jetzt, wo ich dich kennengelernt habe …“ Amelia sah so verwirrt und verletzt aus, wie Harry sich fühlte. „Ich dachte immer, ich hätte die beste Mutter der Welt. Aber all die Jahre hätte ich dich als Vater haben können.“ Sie sah alle anderen im Raum an. „Ich hätte euch alle als meine Familie haben können.“
Suzanne zog Amelia näher an sich. „Du hast uns jetzt. Und keiner von uns geht irgendwo hin, das verspreche ich dir.“
Amelia schniefte, dann zog sie sich zurück. „Ich wollte schon immer eine Tante.“ Sie wandte sich an Alec und Drake. „Und Onkel.“ Sie sah William an. „Und einen Opa.“ Und dann, endlich, Harry. „Und vor allem einen Vater.“ Aber noch bevor er sagen konnte, dass ihm im Leben niemals etwas Besseres passiert war, als zu erfahren, dass er eine Tochter hatte, fügte sie hinzu: „Bist du sicher, dass du meine Mutter jetzt anrufen willst? Ich meine, ich könnte einfach den Bus nach Hause nehmen und dann könnten wir uns später einen Plan ausdenken. Vielleicht könntest du in A Bay auftauchen und uns zufällig über den Weg laufen, und wenn sie dann sieht, dass du es bist, muss sie zugeben, dass du mein Vater bist. Und wir könnten ganz überrascht tun, so als hätten wir uns gerade erst kennengelernt.“
„A Bay?“ Er hatte Amelias tollen Plan kaum noch mitbekommen, nachdem er gehört hatte, von wo sie gekommen war. „Du bist heute mit dem Bus die ganze Strecke aus Alexandria Bay bis hierher gefahren?“ In seinem Bauch verkrampfte sich alles. „Allein?“ Inmitten des emotionalen Sturms, der in ihm wütete, keimte plötzlich tief in ihm die Angst.
„Es waren nur 42 Dollar und fünf Stunden.“ Sie sagte das, als wäre es normal, dass Teenager inmitten von Fremden so weit fahren, ohne jemanden dabei zu haben, der sie beschützt. „Das war nicht der Rede wert.“
Wäre jetzt nicht Drake hinter ihn getreten, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen, hätte Harry ausnahmsweise seine Reaktion nicht unbedingt kontrollieren können.
„Es geht ihr gut, Harry.“ Drake trat meisterhaft in Harrys Fußstapfen und beruhigte ihn, so wie dieser früher so oft seine Geschwister und seinen Vater davor bewahrt hatte, auszurasten. „Obwohl“, sagte Drake zu Amelia, „wir uns vielleicht darauf einigen könnten, dass du jetzt eine Weile nicht mehr allein mit dem Bus in der Weltgeschichte herumfährst, was meinst du?“
Amelia war immer noch hin und weg, dass Drake mit der prominenten Rosa zusammen war, und nickte unwillkürlich. „Okay. Obwohl ich nicht weiß, wie ich nach Hause kommen soll, wenn ich nicht den Bus nehme. Ein Flugticket kann ich mir nicht leisten.“
„Ich kann dich mit einem meiner Flugzeuge nach Hause fliegen“, bot Alec an.
„Du hast eigene Flugzeuge?“ Amelias Augen waren riesig.
„Ich bringe Amelia selbst nach Hause“, stieß Harry zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Oder, noch besser, sie würde bei ihm bleiben, anstatt nach Alexandria Bay zurückzukehren. Schließlich hatte Molly sie die ersten fünfzehn Jahre ganz für sich allein gehabt. Da standen ihm mindestens die nächsten fünfzehn Jahre zu.
„Wenn es dir recht ist, für ein paar Minuten mit Suzanne, Drake, Alec und meinem Vater abzuhängen“, sagte er so ruhig wie möglich zu Amelia, „dann ist es jetzt Zeit, dass ich deine Mutter anrufe, wenn du mir ihre Handynummer gibst.“
„Okay“, sagte Amelia und biss sich wieder auf die Unterlippe. „Sie musste aber heute zur Arbeit. Im Boldt Castle. Ich weiß nicht, ob sie abheben wird, wenn nicht ich es bin.“
„Dann sollte ich vielleicht von deinem Telefon aus anrufen, um sicherzugehen, dass sie abhebt.“
Amelias Hand zitterte ein wenig, als sie ihm ihr Handy gab. Aldwin schmiegte sich näher an sie und legte seinen großen Kopf in ihren Schoß.
Harry war schon halb aus der Tür, als sie sagte: „Harry?“ Er drehte sich um und wünschte, sie hätte Dad gesagt, obwohl er wusste, dass er es sich noch nicht verdient hatte. „Kannst du ihr sagen, dass es mir leidtut, dass ich das alles hinter ihrem Rücken gemacht habe?“
Sein Magen verkrampfte sich bei der Reue und der Liebe, die aus ihrer Stimme klangen. „Keine Angst Amelia. Es wird alles gut.“
Dafür würde er Himmel und Erde in Bewegung setzen.
Harry schloss sich im Obergeschoss in sein Schlafzimmer ein. Die Partygäste, die im hinteren Garten versammelt waren, sah er durch das Fenster nur verschwommen. Er ging Amelias Kontaktliste durch, fand Mom und drückt mit zitternden Fingern die Ruftaste.
Nach dem ersten Klingeln nahm Molly ab. „Amelia? Ist alles in Ordnung, Schatz?“
Nachdem er ihre Stimme so viele Jahre lang nur in seinen Träumen gehört hatte, verschlug es ihm einen Moment lang die Sprache, sie tatsächlich zu hören. „Hier spricht nicht Amelia. Hier ist Harry. Harry Sullivan.“
Am anderen Ende wurde es so still, dass er fast glaubte, die Verbindung sei abgebrochen. Offensichtlich fassungslos fragte sie: „Woher hast du Amelias Handy?“
„Sie hat mich gefunden.“ Er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder, so erstickt war sie von unterdrückter Wut und Frustration. „Sie ist hier in der Stadt.“
Molly schnappte nach Luft. „Amelia ist in New York?“ Der Schreck klang in jedem Wort nach.
„Sie ist mit dem Bus hierher gefahren. Fünf Stunden. Ganz allein.“ Allein schon, diese Worte zu sagen, machte ihn wieder wütend. „Es hätte ihr alles Mögliche passieren können.“
„Sie ist mit dem Bus bis New York gefahren?“ Er konnte hören, wie erschüttert sie war. „Geht es ihr gut?“
„Es geht ihr gut, Gott sei Dank.“
„Gib sie mir. Ich muss mit meiner Tochter reden.“
„Mit unserer Tochter. Und ich werde sie holen, sobald du und ich miteinander fertig sind.“ Ihm drehte sich der Magen um. „Warum zum Teufel hast du meine Tochter vor mir versteckt?“ Er konnte nicht länger so tun, als würde er die Ruhe bewahren. „Wie konntest du mir das antun? Und ihr?“
„Warte… was sagst du da?“ Sie klang völlig verwirrt, noch verwirrter als vorhin, als er sich gemeldet hatte. „Wie kannst du nur denken, dass Amelia deine Tochter ist?“
„Sie hat dein altes Tagebuch gelesen, Molly. Sie hat gelesen, was du über mich geschrieben hast.“
„Ich habe über dich geschrieben und dass wir zusammen waren, aber ich habe nie gesagt, dass du ihr Vater bist. Du bist es nicht. Du kannst es nicht sein.“
Er konnte nicht glauben, dass sie versuchte, es zu leugnen. „Ich habe den Beweis. Sie hat einen DNA-Test machen lassen und der hat ergeben, dass fünfzig Prozent ihrer und meiner genetischen Marker übereinstimmen.“
„Du hast vielleicht ein Stück Papier, auf dem das steht, aber es muss falsch sein. Das ist irgendein furchtbarer Witz, den sich jemand mit ihr erlaubt hat. Sie wurde noch nie zuvor gemobbt, aber vielleicht hat sich in der Schule etwas verändert, von dem ich nichts weiß. Vielleicht hat sie deinen Namen jemandem gegenüber erwähnt, nachdem sie mein Tagebuch gelesen hatte, und derjenige hielt es dann für lustig, ihr falsche Testergebnisse zu mailen.“
Was auch immer Harry erwartet hatte, das war es nicht. Nicht nur, dass Molly es rundheraus leugnete, sondern dass sie sich weigerte zu glauben, dass er Mollys Vater war. Schlimmer noch, sie schaffte es irgendwie, in ihm selbst Zweifel aufkommen zu lassen, obwohl er das DNA-Testergebnis in der Hand hielt.
„Herauszufinden, dass ich eine Tochter im Teenager-Alter habe, ist kein Witz.“
„Natürlich nicht, aber ich sage dir, es ist nicht möglich.“
„Sie ist meine Tochter, Molly.“ Hatte sein Vater nicht gesagt, dass Amelia seine Augen und seinen Mund hatte? Und hatte sie nicht zu seinen Geschwistern gepasst, als wäre sie schon immer ein Teil der Familie gewesen? So, als wäre sie eine Sullivan? „Meine Tochter.“
Ein frustriertes Geräusch kam von Molly durch das Telefon. „Ich muss Amelia holen, und wenn ich erst mal da bin, werden wir herausfinden, wie ihr dieses falsche DNA-Testergebnis in die Hände gelangen konnte.“
„Es ist kein Fehler“, betonte er. „Der Zeitpunkt passt genau – es sind fünfzehn Jahre und neun Monate vergangen, seit wir das letzte Mal zusammen waren.“
„Nein, wir hatten uns schon getrennt, als ich schwanger wurde.“ Sie blieb hartnäckig. „Sie ist nicht von dir.“
„Wir werden noch einen Vaterschaftstest machen – und dann kannst du die Wahrheit nicht mehr leugnen.“ Fast nie wurde Harry laut. Er war immer der Ruhige gewesen, der Mensch, bei dem sich jeder darauf verlassen konnte, dass er vernünftig blieb. Aber jetzt schrie er praktisch in Amelias Handy.
„Wage es nicht, etwas zu tun, bevor ich da bin.“ Mollys Schock verwandelte sich in einen heftigen Beschützerinstinkt. „Ich verstehe, dass du denkst, dass ich Amelia ihr ganzes Leben lang von dir ferngehalten habe. Aber ich schwöre, das habe ich nicht. Und selbst, wenn du mir nicht glaubst, wenn es um meine Tochter geht, werde ich sie beschützen, egal was geschieht.“ Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Es tut mir leid, dass du nicht ihr Vater bist, Harry. Aber ich denke wirklich, dass es das Beste ist, wenn wir alles persönlich und nicht am Telefon besprechen, um jedes Missverständnis auszuschließen. Und vor allem muss ich meine Tochter sehen und wissen, dass es ihr gut geht. Wo wohnst du?“
Der Gedanke, Molly wiederzusehen, und dass sie in sein Haus kommen würde, war so seltsam, dass er sich nicht einmal vorstellen konnte, wie es wohl sein würde.
Er gab ihr die Adresse. Dann sagte sie: „Ich werde so schnell kommen, wie ich es bei sicherem Tempo schaffe. Könnte ich jetzt bitte mit meiner Tochter reden?“
Das Letzte, was er wollte, war, Molly jetzt von der Angel zu lassen. Er wollte sie zwingen, ihm in dieser Sekunde alles zu sagen. Aber trotz seiner Verärgerung verstand er auch, wie verzweifelt ihr Bedürfnis sein musste, mit Amelia zu sprechen und dann persönlich herzukommen, um sich davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging. Und Amelia musste bereits ein Nervenbündel sein, während sie darauf wartete, herauszufinden, wie der Anruf gelaufen war.
„Ich bringe ihr jetzt das Handy.“ Während Harry hinunter zu seinem Arbeitszimmer ging, hörte er, wie darin gelacht wurde. Er war seiner Familie nie dankbarer gewesen als in diesem Moment, in dem sich alle bemühten, ihren eigenen Schock zu überwinden, um Amelia zu beruhigen. „Sie ist bei Alec, Suzanne, Drake und meinem Vater.“
„Du hast gleich alle zusammengetrommelt, als Amelia aufgetaucht ist?“
„Sie waren bereits hier. Wir feiern heute die Verlobungen von Drake und Suzanne. Sie werden beide dieses Jahr heiraten.“
Trotz der Zweifel, die Molly in ihm hatte wecken können und die jetzt an ihm nagten, lächelte er Amelia zu, als er das Arbeitszimmer betrat. „Deine Mutter wird heute Abend herkommen, also wirst du sie bald sehen. Sie ist am Telefon.“
Amelia nahm das Handy entgegen und ging zum Fenster, um in Ruhe sprechen zu können. „Mom!“
Jeder im Raum konnte hören, wie Molly ausrief, wie froh sie war, dass es Amelia gut ging, und dass die Nachricht, sie sei mit dem Bus gefahren, sie zu Tode erschreckt hatte.
Amelias ließ die Schultern sinken. „Ich weiß, ich hätte nicht so weit alleine mit dem Bus fahren sollen. Es tut mir echt leid.“ Dann reckte sie die Schultern wieder ein bisschen höher. „Aber ich musste wissen, wer mein Vater ist! Und er ist super. Alle hier sind super.“
Alle im Raum hoben die Brauen, als Molly Amelia sagte, dass sie alles erklären würde, wenn sie käme. Und als sie sie fast anschrie, sie solle ihr nächstens gefälligst sagen, was sie vorhatte – und sie hätte Hausarrest. Für immer.
Amelia ließ die Schultern wieder sinken. „Ich habe bereits gesagt, dass ich es nicht wieder tun werde – du musst mir keinen Hausarrest geben.“
Was auch immer Molly als Nächstes sagte, war leiser, aber Harry konnte die Worte Ich hab dich so lieb von der anderen Seite des Raumes aus hören.
„Ich hab dich auch lieb, Mom. Wir sehen uns, wenn du kommst.“ Amelia schob das Handy in ihre Gesäßtasche und drehte sich dann zur Gruppe um. Offensichtlich war ihr nicht klar, dass alle ihr Gespräch hatten hören können. „Sie ist ziemlich sauer.“
Harry trat neben sie. „Sie ist nur froh, dass es dir gut geht.“ Er lächelte sie an und sein Herz ging über für das junge Mädchen, das sofort zum Mittelpunkt seiner Existenz geworden war. „Und ich auch.“
Als sie zurücklächelte, breitete er ungeachtet der Zweifel, die Molly ihm in den Kopf gesetzt hatte, seine Arme für Amelia aus … und war überglücklich, dass sie sich umarmen ließ und ihren Kopf auf seine Brust legte.
„Ich bin so froh, dass du mich gefunden hast, Amelia.“
„Ich auch.“
Er hielt sie lange fest. Aber es würde nie lange genug dauern. Das wusste er bereits.
Als er sie zögernd losließ, versuchte er, seine wild herumwirbelnden Gedanken zu ordnen. Sie musste hungrig und durstig sein und sich fragen, wo sie wohl übernachten würde. „Wie wäre es, wenn ich dir dein Schlafzimmer zeige, während deine Tante, dein Onkel und dein Großvater die Partygäste verabschieden? Und dann können wir dir etwas zu essen und zu trinken besorgen?“
„Ich bin ziemlich ausgehungert“, sagte sie und rieb sich mit der Hand den Magen. „Ich halte nicht lange durch, ohne etwas zu essen. Mom sagt, dann werde ich misslaunig.“
„Genau wie Suzanne“, ließ Drake verlauten. „Gar nicht gut, wenn man ihren Blutzucker zu stark absinken lässt.“
Suzanne verdrehte die Augen und sagte dann zu Amelia: „Ich wette, du hast nicht erwartet, dass du dich mit zwei Onkeln wie diesen hier herumschlagen musst.“
„Ich denke, sie sind beide fantastisch! Alle seid ihr fantastisch.“
„Gleichfalls, Amelia“, sagte Alec grinsend. „Herzlich willkommen in der Familie.“
Und als Harry ihren Rucksack aufhob und sie nach oben in eines der Gästezimmer brachte, während Aldwin sich so nah an sie drückte, dass sie kaum geradeaus gehen konnte, strahlte sie die ganze Zeit.
Sie war bereits durch und durch eine Sullivan.
Molly hatte vergessen, wie dunkel und ruhig dieser Teil der Stadt mitten in der Nacht sein konnte. Ihre Erinnerungen an das Leben in New York waren immer hell und farbenfroh gewesen, besonders nachdem sie Harry kennengelernt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich wirklich lebendig gefühlt.
Nur weil sie sich bis über beide Ohren verliebt hatte.
