Irrepressible Desire - Mila Summers - E-Book

Irrepressible Desire E-Book

Mila Summers

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Beschreibung

dramatisch ~ leidenschaftlich ~ gefühlvoll Prudence fährt nach New York, um mit ihrer Mom und ihrer Schwester Hope Weihnachten zu feiern. Im Gepäck hat sie einen Brief, dessen Inhalt sie bis ins Mark erschüttert. Plötzlich ist alles wieder da, was die Staubschicht der Vergangenheit gerade erst bedeckt hat. Weder Geld noch Ruhm sind Bradley wichtig. Der Juniorchef einer millionenschweren Holding würde alles dafür geben, die furchtbaren Bilder, die ihn verfolgen, aus seinem Kopf zu vertreiben. Als sich ihre Lebenswege unverhofft kreuzen, glaubt noch keiner der beiden an die Macht der Liebe … Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von Band 1 gelesen werden. Allerdings erzählen Band 1 und 2 die Geschichte der beiden Schwestern Hope & Prudence. Leserstimmen Teilweise habe ich bei diesem Buch gedacht, ich habe mich im Genre geirrt, denn es war spannend wie ein Krimi, so dass ich es nicht aus der Hand legen konnte, dann wieder war es so herzzerreißend, dass ich Pipi in den Augen hatte, so entsetzlich, dass ich den Mund nicht zubekam und so überwältigend, dass ihr es einfach lesen müsst. Gabi R. - GabisBuecherChaos Mit den Manhattan Lovestories hat Mila es geschafft eine Reihe zu erschaffen, die sowohl Herzschmerz, als auch Herzklopfen, Adrenalinschübe und Lachfältchen hervorruft. Jasmin Paul - Federblüte Diese Geschichte geht wirklich unter die Haut! Mila Summers hat es geschafft mich von Anfang an zu fesseln. Andra J. Weitere Bücher der Autorin: Die Manhattan Love Stories Irresponsible Desire (Band 1) Irrepressible Desire (Band 2) Irresistible Desire (Band 3) Die Tales of Chicago: Küss mich wach (Band 1) Vom Glück geküsst (Band 2) Ein Frosch zum Küssen (Band 3) Küsse in luftiger Höhe (Band 4) Zum Küssen verführt (Band 5) Liebe lieber einzigartig Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in (wahlweise Hamburg, Leipzig, Wien oder Würzburg) Rettung für die Liebe (Band 4 der Sieben Sommersünden ein Projekt mit sechs weiteren Autorinnen und Autoren) Schneegestöber (Charitybuch für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden) Hoffnungsschimmer - Im Dunkel ein Licht: Anthologie zu Gunsten von Herzenswünsche e.V Die Taschenbuchausgabe umfasst 328 Seiten.

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Mila Summers

Irrepressible Desire

Über das Buch:

Prudence fährt nach New York, um mit ihrer Mom und ihrer Schwester Hope Weihnachten zu feiern. Im Gepäck hat sie einen Brief, dessen Inhalt sie bis ins Mark erschüttert. Plötzlich ist alles wieder da, was die Staubschicht der Vergangenheit gerade erst bedeckt hat.

Weder Geld noch Ruhm sind Bradley wichtig. Der Juniorchef einer millionenschweren Holding würde alles dafür geben, die furchtbaren Bilder, die ihn verfolgen, aus seinem Kopf zu vertreiben.

Als sich ihre Lebenswege unverhofft kreuzen, glaubt noch keiner der beiden an die Macht der Liebe …

Über die Autorin:

Mila Summers, geboren 1984, lebt mit ihrem Mann und der kleinen Tochter in Würzburg. Sie studierte Europäische Ethnologie, Geschichte und Öffentliches Recht. Nach einer plötzlichen Eingebung in der Schwangerschaft schreibt sie nun dramatische und humorvolle Liebesromane mit Happy End und erfreut sich am regen Austausch mit ihren LeserInnen.

Bisher von der Autorin erschienen:

»Manhattan-Love-Stories«

Irresponsible desire (Band 1)

Irrepressible desire (Band 2)

»Tales of Chicago«–Reihe

Küss mich wach (Band 1)

Vom Glück geküsst (Band 2)

Ein Frosch zum Küssen (Band 3)

Küsse in luftiger Höhe (Band 4)

Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings gibt es ein Wiedersehen mit den Protagonisten der vorhergehenden Bücher.

Weitere Bücher der Autorin:

Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in (wahlweise Hamburg, Leipzig, Wien oder Würzburg)

Rettung für die Liebe (Band 4 der Sieben , ein Projekt mit sechs weiteren Autoren und Autorinnen)

Alpakas auf Durchreise

Schneegestöber (Charity-Buchprojekt für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden)

MILA

SUMMERS

Irrepressible Desire

Roman

Band 2

Manhattan Love Stories

Deutsche Erstauflage November 2016

Copyright © Mila Summers

Lektorat und Korrektorat: Dorothea Kenneweg

Covergestaltung: Nadine Kapp

Covermotiv: Fotolia © solominviktor

Impressum: D. Hartung

Frankfurter Str. 22

97082 Würzburg

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Danksagung

Weitere Bücher der Autorin

 

Kapitel 1

Prudence

Das Läuten der Glocken über der Tür kündigt mich als neuen Kunden in Emmas kleinem Gemischtwarenladen an. Verstohlen blicke ich mich nach allen Seiten um, ehe ich mich leise aufmache, in den Regalen nach den Dingen zu suchen, die auf der Einkaufsliste stehen.

Auch wenn es undankbar klingt, aber heute möchte ich mich nur ungern mit Emma über ihren herzkranken Kater Mr. Honeytree unterhalten. Nicht weil ich für das Tier nichts übrig hätte oder Emma nicht leiden mag. Ganz im Gegenteil.

Emma und Mr. Honeytree sind mir während der letzten Wochen sehr ans Herz gewachsen. Neben Mom sind sie meine einzigen Bezugspersonen in dieser fremden Stadt. Ich habe auch sonst nie viele Freunde gehabt, leider bestand auch nicht die Möglichkeit dazu.

Wenn man in der Kindheit dazu genötigt wird, Freundschaften als Nichtigkeiten zu betrachten, dann prägt einen das für das ganze Leben. Wie ein Hamster renne ich immer wieder im Kreis, dabei merke ich es nicht einmal.

Erleichtert nehme ich zur Kenntnis, dass weit und breit niemand zu sehen ist. Die winterlichen Temperaturen und die noch immer geschlossene Schneedecke über Washington D.C. lassen die Menschen lange darüber nachdenken, ob ein Verlassen der warmen Wohnung überhaupt notwendig ist. Die meisten entscheiden sich dagegen.

Im Gegensatz zu uns haben sie sich gut mit Vorräten eingedeckt, horten Konserven im Keller oder in den Vorratsschränken in der Küche und haben sich ihrem Schicksal ergeben. Mom und ich haben da noch so unsere Probleme, uns in dieser neuen Lebenssituation zurechtzufinden. Diese Tatsache ist nicht nur dem Wetter geschuldet.

Der Zeugenschutz, in den wir uns flüchten mussten, nachdem Dad hinter Schloss und Riegel gelandet ist und uns ewige Rache geschworen hat, stellt uns vor neue Herausforderungen. Meist schlagen wir uns ganz gut, doch heute ist mir alles zu viel.

Wenn Mom mich nicht so bekniet hätte, noch mal nach draußen zu gehen, hätte ich heute mit Sicherheit mein Zimmer nicht mehr verlassen. Zu beängstigend war die Nachricht, die heute Morgen für mich in der Post lag.

Ich weiß, was du getan hast. Wenn du nicht schweigst, werde ich ihnen dein Geheimnis verraten.

Jemand hat uns aufgespürt. Wir schweben wieder in Gefahr. Wieder schwebt das Damoklesschwert über unseren Köpfen. Dennoch kann ich keinem etwas von dieser Nachricht sagen. Niemand darf erfahren, was damals passiert ist.

Abermals ist die Türglocke zu hören. Ich blicke mich um und sehe geradewegs in die grauen Augen eines älteren Herren. Seine Mundwinkel heben sich leicht nach oben und lassen den Blick auf zwei gelbliche Zahnreihen frei.

Vor lauter Schreck lasse ich das Päckchen Mehl, das ich eben noch in Händen hielt, zu Boden fallen. Es platzt auf und meine schwarzen Lederstiefel sehen plötzlich so aus, als wären sie mit Puderzucker bestäubt worden.

Hektisch sinke ich zu dem weißen Haufen zu meinen Füßen, um mich von den anzüglichen Blicken abzuwenden.

»Emma, hast du den Brandy, den ich bestellt habe?«

Erleichtert nehme ich wahr, dass die Aufmerksamkeit des Mannes nicht länger auf mir ruht. Mir behagt es nicht, wenn mich fremde Menschen anstarren.

»Hey, Raphael, nein, die Lieferung ist bisher noch nicht angekommen.«

Mit lautem Grollen, das wohl seinem Unmut über Emmas Antwort geschuldet ist, wendet er sich ab und verlässt ohne ein weiteres Wort den Laden.

»Ach, Prudence, schön dich mal wieder zu sehen. Wie geht es dir?«, ertönt Emmas glockenklare Stimme dicht hinter mir.

Ohne mich zu Emma umzudrehen, versuche ich das Mehl in die Packung zu schaufeln, in der Hoffnung, noch irgendetwas retten zu können. Tränen steigen mir plötzlich in die Augen. Ich kämpfe dagegen an. So wie ich es immer tue.

»Entschuldige bitte, Emma … Das war nicht meine Absicht … Ich …« stottere ich verlegen, noch immer darum bemüht, meinen Blick nicht von dem vergilbten PVC-Boden abzuwenden. Das gesprenkelte Muster versuche ich wie beim Malen-nach-Zahlen in eine Struktur zu bringen. Etwas, woran ich mich festklammern kann. Leider gelingt es mir heute nicht.

Die Situation ist mir unangenehm. Ich spüre förmlich, wie Emma mich prüfend ansieht. Hartnäckig arbeite ich daran meine Gefühle endlich unter Kontrolle zu bringen, während mein Herz immer schneller rast.

Aber nach den Vorkommnissen des Tages ist mein Nervenkostüm durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Jedes Geräusch, jedes unerwartete Ereignis wirft mich sprichwörtlich aus der Bahn.

Mit zittrigen Händen bemühe ich mich noch immer darum, das Mehl zurück in die Verpackung zu befördern, als könnte ich damit noch irgendetwas retten.

»Hey, Prudence.« Emma legt mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Über meine Wangen kullern einzelne, dicke Tropfen, fallen schließlich auf das weiße Mehl und färben es grau ein, ohne dass ich sie aufhalten könnte.

Alles beginnt mir zu entgleiten. Panisch muss ich feststellen, dass mein sicheres Korsett aus Selbstbeherrschung allmählich bröckelt. »Weinst du etwa? Was ist denn passiert?« Dabei geht Emma neben mir schwerfällig in die Hocke und blickt mir mitleidig und unsicher ins Gesicht.

»Nein, nein. Ich habe eine … Stauballergie … Das hat nichts zu bedeuten …« Ich wage es nicht, Emma in die Augen zu sehen, während ich ihr diese Lüge auftische.

»Dann komm mal lieber wieder hoch. Das Mehl kehre ich später zusammen. Mach dir darüber bitte keine Sorgen.« Sie reicht mir ihre Hand zum Aufstehen, während sie mich aufmunternd angrinst.

»Aber … Das war doch meine Schuld. Gib mir bitte einen Besen! Ich fege es gleich zusammen.« Dankend greife ich nach ihrer Hand und komme wieder auf die Beine.

»Ach, papperlapapp. Ich werde den Laden etwas früher schließen als sonst. Wenn ich mir das Wetter da draußen so ansehe, dann wird heute sicher keiner mehr den Weg auf sich nehmen.«

Emma rückt sich die kleine Nickelbrille auf der Nase zurecht, während sie einen prüfenden Blick durch die große mit allen möglichen Werbeaufdrucken versehene Schaufensterfront nach draußen wirft.

Es hat abermals zu schneien begonnen. Dicke Flocken bahnen sich emsig und dennoch gleichmäßig ihren Weg nach unten, tauchen die Stadt in ihr blütenreines Weiß und hüllen sie gleichsam in tiefes Schweigen.

Schon in meiner Kindheit hatte ich etwas für diese Jahreszeit übrig. Nicht weil Weihnachten bevorstand oder zeitweise sogar die Schule wegen der ungünstigen Witterung ausfiel.

Nein, irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass diese weiße Pracht eine Art magischen Schutzschirm bildet und all das Böse dieser Welt unter sich begräbt, zumindest zeitweise.

Als ich noch klein war, habe ich oft stundenlang auf dem Boden im Schnee gelegen und Engelsfiguren mit Armen und Beinen gemacht, bis meine Lippen schon ganz blau waren und das Schlottern meiner Zähne weit über die Stadtgrenzen Manhattans hinaus zu hören waren.

Auch wenn es keinen direkten Zusammenhang gibt: Ich fühle mich einfach sicher, wenn es schneit, so bescheuert es sich anhören mag. Schließlich passieren in dieser Zeit unsagbar viele Verkehrsunfälle, der Strom bleibt aus oder Blizzardstürme legen ganze Flughäfen lahm.

Während ich an diese ganz besondere Zeit im Jahr denke, umklammere ich meine Schmetterlingskette mit den blass rosa Flügeln und den gelben Punkten darauf. Ein Geschenk meiner Großmutter zu meinem vierten Geburtstag. Später habe ich nie mehr etwas von ihr gehört oder gesehen, da Vater den Kontakt unterbunden hat. Es ist alles, was mir von ihr geblieben ist.

»Magst du wieder den grünen Tee trinken, der dir das letzte Mal so gut geschmeckt hat? Wo hab ich denn nur …? Ach, ich habe hier auch eine Weihnachtsmischung mit Zimt und Koriander. Wollen wir die mal probieren?«

Die kleine rundliche Ladenbesitzerin hat sich in dem schmalen Kämmerchen neben dem Verkaufsraum auf einen Schemel gestellt und kramt in dem Schrank oberhalb der Spüle nach besagtem Tee.

»Ja, gerne«, beeile ich mich zu antworten, auch wenn ich viel lieber nach Hause gegangen wäre. Ich bin Emma heute sicher keine gute Gesprächspartnerin und will sie nur ungern mit meiner Gesellschaft traurig stimmen.

Emma liebt es, sich mit mir über New York zu unterhalten. Natürlich habe ich ihr nicht verraten, dass ich dort gelebt habe. Das ist das Erste, was sie einem im Zeugenschutz beibringen: Vergiss alles, was vorher war.

Irgendwie sind wir bei unserem ersten Zusammentreffen in ihrem Laden auf die New York Yankees zu sprechen gekommen. Ich kann nicht mal mehr genau sagen, wie es dazu kam. Jedenfalls bemerkten wir beide sehr schnell, wie viel uns an der Stadt, die niemals schläft, liegt, und waren damit irgendwie miteinander verbunden.

»Ah, da ist er ja. Magst du dir aus dem Laden ein paar Kekse aussuchen? Die Packung vom letzten Mal ist schon leer«, ruft sie mir über die Schulter zu, während sie den Tee aufbrüht.

Hilfesuchend blicke ich nach draußen auf den Schnee, als könnte er mir Halt geben, als könnte er mir einen Ausweg aus dieser Situation zeigen. Doch da ist nichts. Nur ungern möchte ich Emma vor den Kopf stoßen, aber im Moment gibt es für mich nichts Schlimmeres, als mich über New York zu unterhalten.

Gerade nach der Nachricht vom frühen Morgen gäbe ich alles dafür, in meinem Kopf einen Schalter umlegen zu können und all das, was ich mit dieser Stadt verbinde, einfach zu löschen.

Führen die anonymen Zeilen mir doch schmerzlich vor Augen, was ich meiner Schwester Schreckliches angetan habe. Nie werde ich mir das verzeihen können. Wenn Hope je davon erfahren würde, könnte ich ihr nicht mehr in die Augen schauen. Ich schäme mich unglaublich für meine abscheuliche Tat.

»Ich …«, beginne ich also zu sprechen, während ich noch nach den richtigen Worten suche, um nicht mehr preiszugeben, als mir lieb ist.

Da kommt Emma auch schon mit dem kleinen Tablett in der Hand zurück in den Verkaufsraum. Die beiden Tassen darauf dampfen, während ihr weihnachtlicher Duft betörend zu mir herüberweht.

»Komm, Prudence, setz dich zu mir.« Emma hat sich auf das kleine Bänkchen hinter dem Verkaufstresen gesetzt. Ihr wärmendes Lächeln trotzt den Temperaturen und erweicht sogar mein Herz.

Ich verharre noch einen weiteren Moment an Ort und Stelle.

Emma bemerkt mein Zögern. »Sag mal, Prudence. Geht es dir nicht gut? Hast du etwas auf dem Herzen? Kann ich irgendetwas für dich tun?«

Ob ich etwas auf dem Herzen habe? Nun, der Stein, der mir auf der Seele liegt, ist mittlerweile so groß, dass ich unter seiner Last nur noch gebückt laufen kann. Ich beiße mir verlegen auf die Unterlippe, als mir bewusst wird, dass ich Emma noch immer warten lasse.

Es kostet mich große Überwindung, zu ihr zu gehen. Sehnsüchtig blicke ich ein letztes Mal auf den Ausgang, den ich aus dem Augenwinkel sehen kann. Wie ein Tier, das in die Enge getrieben wird und keine andere Möglichkeit sieht, ergreife ich die Flucht nach vorne.

Auf dem Weg zu Emma schnappe ich mir eine Packung Kekse aus dem Regal, ohne weiter darauf zu achten, welche es ist. Es ist mir egal. Ich werde sowieso keinen Bissen herunterbekommen. Immer wieder scheinen diese Bilder in meinem Kopf auf, die mich im Nullkommanichts in die Zeit zurückkatapultieren, die ich seit Jahren hartnäckig aus meinem Gedächtnis verbannt habe.

»Ah, Liebes, diese Kekse kann ich nicht essen. Ich reagiere auf Walnüsse allergisch. Das weißt du doch«, höre ich Emma, wie aus der Ferne zu mir sprechen. Ihr Tonfall ist nicht vorwurfsvoll, sondern eher besorgt. Auf ihrer Stirn bildet sich eine tiefe Furche, während sie mich fragend anblickt.

Ich wende meinen Blick schließlich ab, weil ich Emmas Besorgnis nicht länger ertrage. Dabei entdecke ich die Teetasse vor mir. Das tiefe, satte Rot des Früchtetees erinnert mich wieder an die Bilder, die mir ständig durch den Kopf schwirren. Je länger ich in die Tasse starre, desto mehr verschwimmen ihre Konturen, werden flüssiger, zerlaufen und bilden eine riesige Lache.

»Prudence? Hörst du mir überhaupt zu? Kind, ich mache mir wirklich Sorgen um dich!«

Nicht nur du, Emma. Nicht nur du.

Kapitel 2

Bradley

»Bradley, wir müssen dringend etwas an dir verändern.« Während Mr. Edwards in aller Seelenruhe seine Brille mit dem Wildledertuch aus seinem Etui putzt, droht mir allmählich die Hutschnur zu platzen. Was bildet sich dieser alte, knochige Sack eigentlich ein?

»Wie darf ich das bitte schön verstehen? Soll ich mir einen Bart wachsen lassen? Haben meine Anzüge die falsche Farbe? Oder passt Ihnen mein Gesicht einfach grundsätzlich nicht?«

»Na, na, wer wird denn gleich die Beherrschung verlieren?« Noch immer überaus gelassen, setzt sich Mr. Edwards andächtig die Nussholzbrille mit den blankpolierten Gläsern auf die Nase, verschränkt daraufhin ohne Eile seine Arme vor der Brust und lässt seinen eisernen Blick durch mich hindurchfahren.

Seine Ruhe bringt mich nur noch mehr auf die Palme. Ich greife mit meinen Fingern fest in die lederne Stuhllehne und richte meinen Blick nach draußen auf den verschneiten Central Park.

Dicke Flocken schweben an meinem Fenster im zweiunddreißigsten Stockwerk vorbei in die Tiefe und hüllen die ganze Stadt in dieses kitschige Weiß, das zu Verspätungen auf den Flughäfen und übertrieben guter Laune bei den Kindern führt.

Ich weiß, dass es nichts bringt, mich mit Mr. Edwards anzulegen. Er sitzt, dank seiner guten Beziehungen zu meinen Eltern, nach wie vor am längeren Hebel.

Seine graue Eminenz, wie ich ihn in Gedanken schimpfe, arbeitet nun schon mehr als sein halbes Leben für die Holding meiner Familie. Der gelernte Anwalt hat in unserem Unternehmen im Laufe der Jahre bereits unzählige Karrierestufen nach oben erklommen und sich bis in den Aufsichtsrat vorgearbeitet.

Ferner ist er Dads rechte Hand, was mich noch eine Spur wütender stimmt. Schließlich würde diese Position vielmehr mir gebühren. Ich arbeite wöchentlich nahezu sechzehn Stunden täglich, mein Apartment unweit des Rockefeller Center sehe ich selten bis nie von innen.

Meist lasse ich mir etwas zum Abendessen ins Büro liefern, um mich nicht von der Arbeit an den Unterlagen erheben zu müssen und schlafe anschließend auf meiner schwarzen Ledercouch gegenüber an der Wand.

In der zweiten Schublade von oben, in dem kleinen Container unterhalb meines Schreibtisches verwahre ich eine Zahnbürste, Zahnpasta und einen Rasierapparat, sowie eine Haarbürste und ein Deo.

In dem Garderobenschrank gleich neben der Eingangstür zu meinem Büro lagern vier weiße Hemden, sowie ein Ersatzanzug. Sollte mir etwas ausgehen, schicke ich meine persönliche Assistentin Michelle in meine Wohnung und lasse es mir von ihr bringen.

Wenn ich recht darüber nachdenke, dann ist die kleine korpulente Mittfünfzigerin öfter in meiner Wohnung als ich.

»Was genau stellen Sie sich unter einer Veränderung vor?«, frage ich so sachlich, wie es mir in der Situation möglich ist. Ich ermahne mich inständig dazu, mich von dem bärtigen, eingefallenen Gesicht nicht provozieren zu lassen.

»Nun, ich habe mich gestern lange mit deinem Vater über die Zukunft der Holding unterhalten. Du weißt selbst, dass es in unserer Branche wichtig ist, zukunftsweisend zu agieren.« Mr. Edwards setzt zu einer bedächtigen Schweigeminute an, während es in mir immer lauter brodelt. In Zeitlupe hievt er sein altersschwaches, von Rheuma geplagtes Bein über das andere und blickt mich dabei noch immer ausdruckslos an.

Sein von Falten zerfurchtes Gesicht hängt an den Wangenknochen schwerfällig in Hautlappen nach unten. Vor einigen Jahren war der kleine Mann jenseits der Siebzig noch um einiges korpulenter.

Während ich ihn mustere und wie der Angeklagte eines Mordprozesses auf mein Urteil warte, verzieht Mr. Edwards noch immer keine Miene.

Was will dieser Kerl eigentlich von mir und warum spricht Dad nicht persönlich mit mir? Wozu sein Mittelsmann? Was führt er im Schilde?

Noch immer konzentriere ich mich darauf, meinen inneren Aufruhr nicht nach außen dringen zu lassen. Ich kralle meine Finger immer tiefer in das weiche Leder meiner Stuhllehne und versuche gleichmäßig ein- und auszuatmen.

»Sicher«, presse ich zwischen den Lippen hervor.

»In Anbetracht der Lage sind dein Vater und ich zu dem Entschluss gekommen, dass es immer wichtiger wird, dich als eigenständige Marke zu etablieren.«

Noch immer klingen seine Worte in meinen Ohren wie undefinierbares Kauderwelsch, dessen genauer Inhalt mir weiterhin unklar bleibt.

»Was genau soll das bedeuten?«

Während Mr. Edwards abermals zu einer Erklärung anhebt, klingelt mein Telefon im denkbar ungünstigsten Augenblick. Mein Blick ist noch immer fest auf seine Lippen geheftet.

»Willst du das Gespräch nicht entgegennehmen?«

Seine stoische Ruhe bringt mich beinahe um den Verstand. Entnervt greife ich schließlich nach dem Hörer und schnaube ein vernichtendes »Ja?« hinein.

»Mr. Cunningham, eine Miss Mason ist in der Leitung und bittet um ein Gespräch mit Ihnen. Ich weiß, dass ich Ihnen derlei Anrufe nicht durchstellen soll, aber die Dame hat überaus verzweifelt gewirkt.«

Nicht auch noch das. Jetzt rufen mich diese Weiber auch noch in der Firma an. Woher hat sie überhaupt meine Nummer?

»Michelle, Sie kennen meine Haltung diesbezüglich. Ich werde heute keine Ausnahme machen. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«

Harscher als für gewöhnlich belle ich meiner Assistentin die Worte entgegen. Michelle ist ein Herz von einem Menschen und kümmert sich wie eine Mutter um mich. Sie bestellt mir mittags etwas zu Essen, wenn ich es mal wieder vergessen habe, sie fragt mich fast täglich nach meinem Befinden und ermahnt mich abends auf ihre ganz eigene, liebenswerte Art, ein wenig früher als sonst die Arbeit ruhen zu lassen.

Michelle ersetzt mir wirklich die Mutter, die ich nie hatte. Wohlgemerkt sitzt meine eigene Mutter keine zehn Meter von meinem Büro entfernt. Trotz der räumlichen Nähe bekomme ich sie nur selten und dann auch nur aus rein geschäftlichen Gründen zu sehen.

»Aber, ich …«, versucht sie sich zu erklären. Nach kurzem Schweigen ergänzt sie schließlich. »Ja, das haben Sie.«

Als ein Tuten in der Leitung zu hören ist, bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich gerade das Richtige getan habe. Nicht wegen dem Mädchen, sondern wegen Michelle. Ich stoße sie nur ungern vor den Kopf. Unsere bisherige Beziehung ist nahezu ungetrübt. Gerne würde ich es auch weiterhin so halten.

Schließlich ist Michelle die erste Assistentin, die es länger als sechs Monate mit mir aushält. Die meisten ihrer Vorgängerinnen waren einfach zu jung und zu hübsch und sind damit viel zu leicht nackt und willenlos auf meinem Schreibtisch gelandet.

Eine enge Zusammenarbeit ist unter diesen Umständen einfach nicht mehr möglich. Die meisten Frauen verwechseln ungezwungenen und belanglosen Sex mit der großen Liebe und halten mich für den Prinzen auf dem weißen Pferd.

Irgendwann war ich es leid, mir das Trauerspiel weiterhin mitanzusehen, und entschied mich in der Konsequenz ganz gezielt für die von Krampfadern gebeutelte Michelle.

Auch wenn ihr Lebenslauf etwas holprig klang. Das Maklerbüro, in dem sie zuvor gearbeitet hat, genoss einen recht zweifelhaften Ruf, ehe es dichtmachte. So habe ich es zumindest von meinen Geschäftspartnern gehört, die einiges zu der Firma in Erfahrung bringen konnten.

Bei ihrem beruflichen Abstecher als Teilhaberin eines kleinen Cafés unweit des Battery Parks konnte sie mir allerdings glaubhaft versichern, dass die Zusammenarbeit nicht an zwischenmenschlichen oder gar wirtschaftlichen Problemen gescheitert ist.

Vielmehr war Michelle einfach körperlich nicht länger in der Lage gewesen, sich tagein, tagaus in den Laden zu stellen und von früh bis spät zu backen, um anschließend noch die Kunden im Café zu bedienen.

Ihre gesundheitliche Verfassung hat sie schließlich dazu gezwungen, sich abermals nach einem neuen Job umzusehen. Die anderen Referenzen waren gut, also habe ich mich für sie entschieden und es bisher keinen Tag bereut.

Denn Michelle würde es unter Garantie nie darauf anlegen, irgendeinen verklärten Mädchentraum mit mir auszuleben. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben und liebt ihren Ehemann Bill, den ich bisher leider nicht persönlich kennenlernen durfte, abgöttisch.

Eine gewisse Konstante in meinem sonst so turbulenten und ausschweifenden Leben tut mir gut. Schließlich bin ich bereits Mitte dreißig und kein pubertierender Teenager mehr.

Während ich noch immer meinen Gedanken nachhänge, räuspert sich mein Gegenüber plötzlich.

»Ich möchte dich nur ungern aus deinen Tagträumen reißen, Bradley, aber ich habe einen vollen Terminplan und ich möchte meine Kunden nicht länger als nötig warten lassen.«

Da sind sie wieder: die Sticheleien und Seitenhiebe. Die Anspielungen auf meinen unsteten Lebenswandel und die Verfehlungen meiner frühen Jugend. Herrgott, jeder ist doch mal jung gewesen, oder? Wobei ich mir da bei Mr. Edwards gar nicht mal so sicher bin.

Bei ihm könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er bereits mit einem Stock im Arsch auf die Welt gekommen ist. Allein seine Haltung spricht Bände. Anstatt es sich in dem Stuhl mir gegenüber bequem zu machen, sitzt er kerzengerade da, presst die Schulterblätter so stark durch, dass seine Brust unnatürlich angespannt wirkt.

»Mr. Edwards, sagen Sie endlich, wozu Sie gekommen sind, und lassen Sie mich dann wieder meiner Arbeit nachgehen!«

Ich übe mich noch in dem sachlichen Tonfall, den Mr. Edwards nahezu perfektioniert hat. Auch versuche ich gelassen über die Tatsache hinwegzusehen, dass er als Reaktion auf meine Äußerung seinen linken Mundwinkel spöttisch nach oben zieht. Nur eine Spur. Kaum merklich. Doch ich weiß, dass es so ist.

»Bradley, deinem Vater und mir ist es sehr wichtig, dass du die Firma als solche gut nach außen hin repräsentierst. Bisher hat dein Vater die meisten Pressetermine und Spendenübergaben stellvertretend für das Unternehmen übernommen. Wir sind nun beide zu der Überzeugung gelangt, dass es wichtig ist, einen würdigen Nachfolger für diesen repräsentativen Posten heranreifen zu lassen.«

»Nur über meine Leiche«, sprudelt es unerwartet heftig aus mir heraus.

Was bilden sich diese beiden tatterigen Greise eigentlich ein? Sie können doch nicht einfach so über mich bestimmen, ohne mich auch nur ansatzweise nach meiner Meinung zu ihren Plänen zu fragen.

Wie einen dressierten Affen wollen sie mich abrichten und der tosenden Menge zur Schau stellen. So weit kommt es noch. Bisher habe ich meine Würde behalten und nichts getan, was mit meinem Gewissen nicht vereinbar wäre. So würde es auch bei dieser Sache sein.

Ich bin ein prima Zahlenjongleur, weiß immer, welche Anlage sich lohnt, welche Firmenanteile uns nachhaltig Gewinn bringen werden. Aber eins bin ich ganz sicher nicht: ein händeschüttelnder Clown, der am Ende des Tages seine Gesichtsmuskeln nicht mehr spürt, weil er permanent wie ein grenzdebiler Dackel zum Grinsen genötigt worden ist.

Ferner verstehe ich mich kein bisschen mit Kindern. Mich mit ihnen vor den Kameras zu zeigen, wird sicher auch zu meinen Aufgaben gehören. Ich kann diese tollende und schreiende Meute nicht leiden, ertrage ihr fröhliches Wesen einfach nicht.

Womöglich hat das etwas mit meiner eigenen Kindheit zu tun. Aber die liegt weit im Verborgenen, zugeschüttet von all den beruflichen Ereignissen und Erfolgen, die danach kamen und mich freudiger stimmen.

Ja, eine Miss Mason, die sich auf meinem Schreibtisch räkelt, ist mir dabei allemal lieber als der Gedanke an die einsamen Stunden damals in unserem Zweitwohnsitz in den Schweizer Alpen.

»Du wirst dich doch nicht dem Wunsch deines Vaters widersetzen? Muss ich dich erst daran erinnern, was er alles für dich getan hat? Vor gar nicht allzu langer Zeit hättest du um ein Haar das Titelblatt der New York Times geziert. Muss ich das jetzt wirklich alles auf den Tisch bringen?«

Wenn man glaubt, dass Mr. Edwards die Stimme erhoben hat oder wutentbrannt auf mich dreinsieht, während er das sagt, so liegt man gänzlich daneben. Lediglich die rechte Augenbraue hat sich unmerklich aus ihrer starren Verankerung gelöst und um wenige Millimeter erhoben.

»Mr. Edwards, Sie können mich nicht erpressen. Ich mache meinen Job gut und mein Vater sieht das sicher ganz ähnlich.« Gesagt hat er es allerdings bisher noch nie. Er hat mir bis zum heutigen Tag noch kein einziges Mal anerkennend auf die Schulter geklopft oder mich für einen besonders gelungenen Coup oder einen guten Geschäftsabschluss beglückwünscht.

Für ihn ist alles immer ganz selbstverständlich. Man hat in meiner Familie zu funktionieren, sonst ist man kein Cunningham. So einfach ist das. Wer nicht spurt, um dem Unternehmen seinen bestmöglichen Dienst zu erweisen, der hat auch nichts in der Firma oder gar in der Familie zu suchen.

Mr. Edwards räuspert sich, hustet schließlich gekünstelt in seine zur Faust geballten Hand.

»Bradley, ich kenne dich schon dein ganzes Leben und ich bin mir sicher, dass du Vorzüge hast, die du nach und nach wie einen guten Wein zur Reifung bringen wirst. Wenn du an der Spitze dieses Unternehmens stehen, ja, wenn du in diesem Business überleben willst, musst du lernen, mit den Medien umzugehen. Ich weiß ja, dass du da so deine Berührungsängste hast, aber …«

Nun verliere ich doch die Beherrschung. »Einen Scheißdreck wissen Sie. Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung davon, wie es mir seither geht. Seit Jahren habe ich … Sie können sich nicht mal ansatzweise vorstellen, wie es sich anfühlt, jeden Morgen aufzuwachen und sich nach dem Warum zu fragen.«

»Ich bin mir sicher, dass du …«

»Sie wissen rein gar nichts. Dieses Gespräch ist beendet«, setze ich energisch nach, nachdem mein Unterkiefer so heftig zu beben beginnt, dass ich ihn kaum noch unter Kontrolle habe.

»Wie du meinst. Aber das ist ein großer Fehler, den du da begehst«, erwidert Mr. Edwards, noch immer die Ruhe selbst.

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«

Dabei springe ich von meinem Stuhl auf und weise dem alten Mann mit zittriger Hand, aber bestimmt die Tür.

Dieser erhebt sich im Schneckentempo von seinem Sitz, greift nach den Unterlagen und seinem Brillenetui, das er bei seinem Eintreten auf meinem Schreibtisch abgelegt hat, und geht gemächlichen Schrittes zum Ausgang.

Als er die von Altersflecken übersäte Hand auf die Klinke legt, dreht er den Kopf noch ein letztes Mal zu mir um und sagt: »Du warst nicht der Einzige, der gelitten hat. Glaub mir! Deine Verbitterung in allen Ehren, aber es geht hier nicht nur um dich.«

»Raus, ehe ich mich vergesse!«, zische ich so laut, dass ich mich beinahe selbst erschrecke. Mit der Faust schlage ich unterdessen hart auf der Nussholzplatte meines Schreibtisches auf. Das Blut in meinen Ohren beginnt dabei so wild zu rauschen, dass ich beinahe den Halt verliere.

»Einen schönen Tag noch, Bradley. Wir sprechen uns morgen noch mal.« Mit diesen unheilverkündenden Worten verlässt Mr. Edwards mein Büro, als wäre nichts gewesen.

Ich lasse mich schwer in meinen Sitz zurückfallen, höre noch immer das unheilverkündende Rauschen meines Blutes in den Ohren, während ich händeringend die Bilder in meinem Kopf wegzuwischen versuche. Doch es gelingt mir einfach nicht.

Kapitel 3

 

 

Prudence

 

 

Als ich vor der Wohnungstür unseres Apartments ankomme, halte ich einen Moment inne. Immer wieder stampfe ich auf, um den in den Sohlenrillen meiner Stiefel zu einer festen Masse verkrusteten Schnee abzuschütteln.

»Mom? Ich bin wieder da«, melde ich mich lautstark beim Betreten der Wohnung, um sie nicht zu erschrecken. Noch immer ist sie sehr ängstlich und zuckt zusammen, wenn man sie nur leicht an der Schulter antippt. Bisher hat sie es noch nicht einmal gewagt, unser neues Zuhause zu verlassen.

Ich habe sogar das Gefühl, dass sie sich ob der vielen Möglichkeiten, die ihr jetzt offenstehen, überfordert fühlt. Wenn man nahezu dreißig Jahre lang wie in einem Gefängnis gelebt hat und von seinem Mann wie eine Leibeigene behandelt wurde, dann ist es sicher nicht weiter verwunderlich.

Mir ging es während der ersten Tage nicht anders. Auch ich musste lernen, meinen Tagesablauf selbst zu strukturieren, mir mein eigenes Weltbild zu kreieren, und kann noch immer nicht behaupten, dass mir beides gelingt.

Ich stoße an allen Ecken und Enden an meine Grenzen. Das Schneckenhaus, das ich sorgsam um mich herum errichtet habe, ist zwar löchrig geworden. Doch mich davon gänzlich zu trennen, ist mir bisher noch nicht geglückt.

Nach wie vor arbeite ich daran, mich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden, meinen Platz darin aufzuspüren. Immerhin lerne ich dazu, werde offener im Umgang mit meinen Mitmenschen und kann von mir behaupten, auf einem guten Weg zu sein.

Leider ist das bei Mom nicht der Fall. Noch immer quälen sie furchtbare Gewissensbisse, ihren Mann verraten und ihn den Behörden ausgeliefert zu haben. Dies ist jedoch nicht mit der bedingungslosen Liebe zu erklären, die die beiden einst womöglich miteinander verbunden hat.

Vielmehr sind das noch die Nachwehen des Stockholm-Syndroms, die das Opfer trotz seiner Demütigungen und Qualen auf eine merkwürdige Art und Weise emotional mit dem Täter vereint. Anders kann ich es mir beim besten Willen nicht erklären.

Wobei Mom nicht darüber spricht. Sie vermeidet es nach wie vor tunlichst, das Geschehene in Worte zu fassen und blendet alles aus, was damit im Zusammenhang steht. Sie lebt im Hier und Jetzt und scheint gleichzeitig so weit weg zu sein.

»Mom?«, rufe ich erneut, als ich die Küche betrete. Erst jetzt nehme ich die weihnachtlichen Klänge wahr, die mir entgegenschallen.

Nur wenige Schritte von mir entfernt, steht meine Mom und summt die alljährlichen Evergreens von Elvis, Bing Crosby und Frank Sinatra freudig mit. Das wäre sicher nichts Außergewöhnliches, wenn Mom nicht in den letzten schätzungsweise zwanzig Jahren in unserem Zuhause in Manhattan kein einziges Mal derlei Musik abgespielt hätte.

Weihnachten an sich war meinem Vater von Grund auf zuwider. Er hasste alles, was damit im Zusammenhang stand, verbot uns einen Baum, die obligatorischen Socken über dem Kamin und ließ keinen Zweifel daran, was uns bevorstünde, wenn wir seinen Weisungen nicht gehorchten.

Noch immer hat Mom mich nicht bemerkt. Ich räuspere mich laut, um abermals auf mich aufmerksam zu machen.

»Ach, Schätzchen, da bist du ja schon wieder.« Mom nimmt mir die Tasche aus der Hand und sucht darin nach den Zutaten, die ich ihr in Emmas Gemischtwarenladen besorgen sollte. Dabei summt sie munter weiter und strahlt mich übers ganze Gesicht freudig an.

»Hast du denn alles bekommen?«, fragt sie ungewöhnlich heiter. So kenne ich sie ja gar nicht. Ein Lächeln liegt ihr auf den Lippen, während sie alles einräumt und gar nicht weiter auf eine Antwort von mir wartet.

Abermals stimmt sie in die weihnachtlichen Klänge ein und wendet sich ihrer Küchenzeile zu.

»Wie geht es deiner Freundin Emma? Du bist heute so schweigsam.« Und du so unglaublich redselig, ergänze ich in Gedanken.

»Bei Emma war viel los«, lüge ich.

Von Emma habe ich mich nach dem Tee recht schnell verabschiedet. Trotz guten Willens war ich einfach nicht in der Lage, mich zwanglos mit ihr zu unterhalten. Noch immer konnte ich nur an die Mahnung am frühen Morgen denken, die sich zentnerschwer auf mein Gemüt gelegt hatte und nicht daran dachte, mich wieder freizugeben.

»Ach, tatsächlich? Bei dem Wetter hätte ich nicht erwartet, dass so viel los sein würde.« Mom wendet sich dem kleinen Fenster neben der etwas in die Jahre gekommenen Spüle der kleinen Küchenzeile zu. Die Wohnung wurde uns von der Polizei gestellt und wir sind nach wie vor dankbar dafür.

Das Geld, das mein Vater veruntreut hat, ist weg. Ferner wurden auch alle weiteren Konten eingefroren, bis die Herkunft des Geldes darauf penibel genau nachgewiesen werden konnte. Da mein Vater die meisten Finanzmittel im Ausland angelegt hat, sind die zuständigen Behörden noch immer mit dem Fall beschäftigt.

Mom und ich haben kein eigenes Geld zur Verfügung. Doch auch wenn wir auf die Finanzen meines Vaters zugreifen könnten, würde ich mir lieber die Hand abhacken, als sein Geld anzufassen.

Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Der Gedanke, weiterhin von dem Menschen abhängig zu sein, der meine Schwester, meine Mom und mich durch die Hölle hat gehen lassen, wäre mir unerträglich.

Noch immer blickt Mom verträumt nach draußen. »Wie ist … Ich meine, wie fühlt sich der Schnee auf der Haut an?«

»Mom, warum machst du dir nicht selbst ein Bild davon?« Meist stimme ich milde Töne an, wenn sie mich nach der Welt vor unserem schützenden Apartment fragt. Heute bin ich zu aufgewühlt, um auf gut Wetter zu machen.

»Das … Ich bin noch nicht so weit«, entgegnet sie mit schlaff herunterhängenden Schultern. Das Lächeln auf ihren Lippen erstirbt und verschwindet so schnell, wie es gekommen war. Zurück bleibt nur die monotone Tristesse, die ihr seit jeher anhaftet.

In Gedanken schelte ich mich für mein Benehmen. Meine Mom macht endlich einen Schritt nach vorne und was mache ich? Anstatt sie in dem, was sie tut, zu bekräftigen, nehme ich ihr sehenden Auges den Wind aus den Segeln.

Ich erschrecke förmlich, als ich feststellen muss, dass mein Vater ganz ähnlich gehandelt hätte. Ungewollt habe ich mich in seine tief ins Erdreich eingegrabenen Fußstapfen gestellt. Mit Schaudern nehme ich zur Kenntnis, wie leicht es mir fiel.

»Weißt du was? Wir könnten ja später noch mal einen kleinen Sparziergang um den Block machen. Was meinst du?« Ich eile zu ihr, lege meine Arme um ihre Schultern und ziehe sie in meine Umarmung.

Während ich ihr einfühlsam über den Rücken streiche, erwidert sie: »Ich weiß nicht … Das ist … Aber ich werde es versuchen müssen. Schließlich …«

Ein Lächeln stiehlt sich zurück auf Moms Lippen.

»Hope hat sich gemeldet.«

Ich weiche einen Schritt zurück, starre sie mit vor Schreck geweiteten Augen an.

»Was?«, entfährt es mir.

Mom legt ihre Hände auf meine und strahlt mich an.

»Ja, sie hat sich wohl über Bill unsere Kontaktdaten geben lassen. Na ja, es ist ja bald Weihnachten und …«

Weiter kommt sie nicht.

»Aber das geht doch nicht?« Mir dämmert langsam, dass der Brief, der die Hiobsbotschaft heute Morgen in unser Heim getragen hat, durchaus nicht nur eine leere Drohung sein könnte.

Auf dem Briefumschlag war meine Adresse vollständig angegeben worden, sodass ihn mir der Briefträger ohne Weiteres zustellen konnte.

Wenn ich jetzt erfahre, wie leicht es ist, an unsere Daten heranzukommen, fährt mir ein eiskalter Schauer über den Rücken, während sich mein Magen zu einer klumpigen Masse zusammenballt.

»Was ist denn mit dir los, Liebes? Freust du dich denn gar nicht, von Hope zu hören?«