Irrlicht 36 – Mystikroman - Vanessa Crawford - E-Book

Irrlicht 36 – Mystikroman E-Book

Vanessa Crawford

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. »So, geschafft!« Zufrieden betrachtete Sophie Cochrane die Schindeln auf dem Dach. Nie zuvor hatte sie ein Dach reparieren müssen, aber diese Tatsache reihte sich ein in die lange Reihe von Dingen, die sie nie zuvor getan hatte. Seit mehr als einem Jahr jedoch fand sie sich immer wieder in der Situation, das Unmögliche zu meistern. Denn genausolange war sie Besitzerin von Spensers Lodge, einem etwas in die Jahre gekommenen Hotel am Hafen von Clydesdale an der irischen Ostküste. Ihr Vater hatte dieses Hotel mitsamt einem großzügigen Grundstück und einer ausgedehnten Hafeneinfahrt geerbt. Dann hatte er alles Geld, das er besaß und auftreiben konnte, hineingesteckt und war dann überraschend gestorben. Sophies erster Gedanke war damals gewesen, dieses unerwünschte Erbe so schnell wie möglich zu verkaufen. Auch ihre eigenen Ersparnisse steckten schon darin, und die bildhübsche rothaarige Werbegrafikerin hatte nie vorgehabt, den Beruf zu wechseln. Doch obwohl allein das Grundstück viel Geld wert war, hatte sich bislang kein Käufer gefunden. Das mochte mit daran liegen, daß es in Spensers Lodge spukte – zumindest behaupteten das die Bewohner von Clydesdale. Sophie selbst hatte nie etwas mit einem Geist zu tun gehabt. Gideon Spenser war ein Pirat gewesen und hatte vor mehr als 300 Jahren gelebt, aber noch immer ging sein ruheloser Geist um. So zumindest erzählten die Leute, und es war schon schwierig gewesen, jemanden zu finden, der ihr zur Hand ging, bis sie an Francis O'Donnell geraten war, dem das Gerede nichts auszumachen schien. Sophie glaubte nicht an Geister. Die öfter auftretenden Geräusche schrieb sie dem alten Gemäuer zu, zerbrochenes Geschirr wurde ihrer Meinung nach von Mäusen, Ratten oder Katzen verursacht, und der Rest mußte einfach eine Sinnestäuschung sein. So hatte sie bislang argumentiert, auch wenn die freundlichen Nachbarn – Patrick Fitzmoran, Seamus Finnegan, Marylou O'Brien und all die anderen – sie vor dem Jähzorn und dem skurrilen Humor des Geistes gewarnt hatten. Mit einem nachsichtigen Lächeln war die 29jährige bislang über alle Warnungen hinweggegangen. Jedenfalls bis vor drei Tagen. Da war sie mitten in der Nacht aufgewacht und hatte sich urplötzlich dem verleugneten Geist gegenübergesehen.

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Irrlicht – 36 –

Nur der Tod lebt ewig

Du kannst den Fluch nicht brechen, Sophie!

Vanessa Crawford

»So, geschafft!« Zufrieden betrachtete Sophie Cochrane die Schindeln auf dem Dach.

Nie zuvor hatte sie ein Dach reparieren müssen, aber diese Tatsache reihte sich ein in die lange Reihe von Dingen, die sie nie zuvor getan hatte. Seit mehr als einem Jahr jedoch fand sie sich immer wieder in der Situation, das Unmögliche zu meistern. Denn genausolange war sie Besitzerin von Spensers Lodge, einem etwas in die Jahre gekommenen Hotel am Hafen von Clydesdale an der irischen Ostküste. Ihr Vater hatte dieses Hotel mitsamt einem großzügigen Grundstück und einer ausgedehnten Hafeneinfahrt geerbt. Dann hatte er alles Geld, das er besaß und auftreiben konnte, hineingesteckt und war dann überraschend gestorben. Sophies erster Gedanke war damals gewesen, dieses unerwünschte Erbe so schnell wie möglich zu verkaufen. Auch ihre eigenen Ersparnisse steckten schon darin, und die bildhübsche rothaarige Werbegrafikerin hatte nie vorgehabt, den Beruf zu wechseln.

Doch obwohl allein das Grundstück viel Geld wert war, hatte sich bislang kein Käufer gefunden. Das mochte mit daran liegen, daß es in Spensers Lodge spukte – zumindest behaupteten das die Bewohner von Clydesdale. Sophie selbst hatte nie etwas mit einem Geist zu tun gehabt.

Gideon Spenser war ein Pirat gewesen und hatte vor mehr als 300 Jahren gelebt, aber noch immer ging sein ruheloser Geist um. So zumindest erzählten die Leute, und es war schon schwierig gewesen, jemanden zu finden, der ihr zur Hand ging, bis sie an Francis O’Donnell geraten war, dem das Gerede nichts auszumachen schien. Sophie glaubte nicht an Geister. Die öfter auftretenden Geräusche schrieb sie dem alten Gemäuer zu, zerbrochenes Geschirr wurde ihrer Meinung nach von Mäusen, Ratten oder Katzen verursacht, und der Rest mußte einfach eine Sinnestäuschung sein. So hatte sie bislang argumentiert, auch wenn die freundlichen Nachbarn – Patrick Fitzmoran, Seamus Finnegan, Marylou O’Brien und all die anderen – sie vor dem Jähzorn und dem skurrilen Humor des Geistes gewarnt hatten. Mit einem nachsichtigen Lächeln war die 29jährige bislang über alle Warnungen hinweggegangen.

Jedenfalls bis vor drei Tagen. Da war sie mitten in der Nacht aufgewacht und hatte sich urplötzlich dem verleugneten Geist gegenübergesehen. Im ersten Moment hatte sie an einen Traum gedacht. Gideon Spenser sah aus wie auf dem Bild, das unten in der Schankstube hing. Hochgewachsen, breit in den Schultern, mit einem dichten roten Bart und schulterlangen Haaren, auf denen ein Dreispitz thronte. Seine Kleidung wirkte zusammengewürfelt und vernachlässigt, aber der Säbel an seiner Seite schien absolut intakt. Irritierend war jedoch der Strick, der um seinen Hals hing und am Rücken herabbaumelte.

Das alles konnte Sophie gut erkennen, obwohl die ganze Erscheinung irgendwie durchsichtig war.

Schlaftrunken rieb sich die junge Frau über die Augen, verbot sich selbst in Panik auszubrechen und tastete nach dem Lichtschalter.

»Nicht, laß das«, grollte die Baßstimme des Geistes. »Im Licht muß ich wieder verschwinden. Aber ich will, daß du mich siehst.«

»O Gott, ja, ich sehe, aber ich träume«, murmelte Sophie. Sie schrak zusammen, als Spenser die Hand ausstreckte und ihr die Bettdecke wegzog. Kälte breitete sich in seiner Umgebung aus, und sie begann zu frieren.

»He, was soll das?« protestierte sie empört und raffte die Decke wieder an sich. »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Und wie kommen Sie überhaupt in mein Zimmer?«

Dröhnendes Gelächter klang auf und machte ihr endgültig klar, daß sie nicht träumte.

»Stell dich nicht dümmer, als du wirklich bist, Weib. Du weißt recht gut, wer ich bin. Und was ich will, ist in wenigen Worten gesagt. Ich will, daß du Spensers Lodge nicht verkaufst. Du hast hier viel Geld und auch eine Menge Arbeit investiert. In Francis O’Donnell hast du einen fleißigen und ehrlichen Helfer gefunden, und selbst die Leute hier respektieren dich. Außerdem bist du meine leibliche Nachfahrin. Das sind Gründe genug, um hierzubleiben.«

Sophie hatte ihre Fassung wiedergefunden und versuchte, diese absurde Situation als ganz normal anzusehen. Sie saß hier mitten in der Nacht in ihrem Bett und unterhielt sich mit einem Geist. Klar, warum auch nicht? Andere Leute hatten noch ganz andere Wahnvorstellungen.

»Ich müßte ja verrückt sein, wenn ich das täte«, gab sie zurück. »Ich habe eine gute Ausbildung, einen ordentlichen Beruf und bin wahrhaft nicht dazu geboren, in einer heruntergekommenen Kneipe die Wirtin zu spielen. Ich will zurück nach Dublin und mein eigenes Leben wieder aufnehmen.«

»Quatsch, du bist Blut von meinem Blut, es steckt in dir drin. Allerdings wirst du noch ein bißchen tun müssen, um die Lodge wieder ansprechend aussehen zu lassen. Es ist eine Schande, was in den letzten Jahren, also in der Zeit vor deinem Vater, hier passiert ist.«

Sophie machte sich nichts mehr daraus, daß sie nur mit einem einfachen Pyjama bekleidet im Bett saß. Sie stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte mit ihren wundervollen grünen Augen den Geist des Piraten an.

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Mr. Spenser...«

»Käpt’n Spenser, bitte, so viel Zeit muß sein.«

»Okay, Käpt’n Spenser. Ich sage es noch einmal. Diese Lodge wird nicht auf Dauer mein neues Zuhause sein. Sobald ich einen Käufer gefunden habe, werde ich drei Kreuze machen und diesen Ort voller Freude verlassen. Bis dahin muß ich das Notwendigste tun, damit mir nicht das Dach über dem Kopf zusammenfällt. Aber nicht mehr. Und kein Gespenst wird mir hier vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe – ist das klar?«

»Ganz und gar nicht«, donnerte Spenser, der nicht damit gerechnet hatte, sich mit einer jungen starrköpfigen Frau auseinandersetzen zu müssen. Er war überrumpelt von ihrer Hartnäckigkeit. Doch schon zu Lebzeiten hatte er niemals nachgegeben, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte. Irgendwie machte ihm die Sache sogar Spaß. Sophie schlotterte nicht vor Angst, und sie gab auch nicht klein bei. Aber lange würde er sich das nicht bieten lassen.

»Ich habe deine Worte gehört, Mädchen, aber du glaubst doch nicht ernsthaft, daß du mit dieser dummen Ansicht bei mir durchkommst. Du gehörst hierher, und alles andere ist unwichtig.«

»He, rede ich eigentlich gegen eine Wand«, fauchte Sophie. »Ein für allemal, sobald ich einen Käufer gefunden habe, bin ich weg. Ich wüßte nicht, wie ausgerechnet ein Geist mich daran hindern sollte. Aber bis dahin muß ich bleiben, weil ich nämlich kein anderes Zuhause mehr habe.«

»Das hier ist dein Zuhause.«

»Für eine begrenzte Zeit«, erwiderte sie spöttisch. »Und nun wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich allein lassen. Ich möchte nämlich noch etwas schlafen.«

»Du hast einen ganz ordentlichen Charakter, Mädchen, aber auch einen ziemlichen Dickschädel. Doch du wirst schon sehen, wer einmal hier in der Lodge zu Hause ist, geht nicht wieder. Solltest du Probleme haben, gib mir Bescheid. Ich will dir gern unter die Arme greifen.«

»Sie sind ein Geist.«

»Ja, und?«

Sophie seufzte. »Das einzige Problem, das mich quält, ist das fehlende Geld, um hier alles zu reparieren, damit ich einen Käufer finden kann.«

»Wenn es weiter nichts ist«, brummte der Geist. »Geld ist genug vorhanden, und das darf nicht der Grund sein, warum du verkaufen willst. Ich habe auf dem Grundstück einen Schatz vergraben, als ich noch lebte. Das ist mehr als genug...«

»Ich nehme doch kein Geld, an dem Blut klebt«, fuhr sie auf.

»Vergessen Sie es, Käpt’n. Wenn ich Ihren Ruf bedenke, sollte ich mich schon hüten, nur mit Ihnen zu reden.«

Er lachte dröhnend auf. »Heroische Worte aus dem Mund eines Weibes, das bis vor einer Viertelstunde nicht einmal an Geister glaubte. Mach dich nicht lächerlich, Mädchen. Du wirst jeden Penny brauchen, um Spensers Lodge wieder herzurichten. Sei also keine Närrin.«

»Raus jetzt hier«, forderte Sophie kühn.

Er lachte wieder auf. »Ich werde dich im Auge behalten, Sophie Cochrane. Außerdem solltest du dich darum kümmern, daß diese lächerliche Brücke zur Halbinsel hinaus nicht gebaut wird. Erstens grenzt die Straße dafür direkt an mein Land, und zweitens braucht niemand dieses Ding wirklich.« Die bislang fast greifbar erscheinende Gestalt wurde völlig durchsichtig und verschwand ganz. »Überlege es dir gut, und gib mir Bescheid, wann du den Schatz ausgraben willst. Du mußt nur meinen Namen rufen, ich werde in der Nähe sein – meistens jedenfalls.«

»Den Teufel werde ich tun«, murmelte Sophie zornig. »Ich will Ihr Blutgeld nicht«, setzte sie lautstark hinzu und ließ sich dann kopfschüttelnd wieder auf ihr Bett fallen. Hatte sie gerade tatsächlich eine Unterhaltung mit einem Geist geführt? Verrückt, total verrückt! Oder doch nicht ganz. Sie wußte zumindest, daß sie nicht träumte.

An diese Begegnung mußte Sophie denken, als sie jetzt auf dem Dach stand. Eigentlich hätte das ganze Dach neu gedeckt werden müssen, aber auch dafür fehlte es am notwendigen Geld. Das wenige, das sie im Augenblick mit der Lodge und auch durch ein paar kleine Werbeaufträge verdiente, verschlang dieser Moloch mühelos. Sollte sie nicht doch das Angebot von Spenser annehmen? Um was für einen Schatz mochte es sich wohl handeln? Hatte der Pirat tatsächlich im Laufe seines Lebens Gold und Edelsteine zusammengeraubt? So viel, daß es reichen würde? Dann gehörten all diese Dinge aber doch sicher den Erben? Nur, wie wollte man nach mehr als 300 Jahren noch die Besitzer ausfindig machen? Nein, am besten blieb der Schatz einfach dort, wo er sich befand – wo auch immer das sein mochte.

Eine Bewegung drüben bei der Landzunge, die weit ins Meer ragte und nur bei Flut die Insel vom Festland trennte, erregte ihre Aufmerksamkeit.

Baumaschinen!

Alle Proteste waren also wirklich erfolglos geblieben?

Die Landzunge sollte mit einer Brücke endgültig mit der Insel verbunden werden. Bisher war der Verkehr über die kleinen Fährschiffe der Einwohner abgewickelt worden. Doch seit ein reicher Unternehmer dort ein Hotel bauen wollte, genügte diese Verbindung nicht mehr. Hätte dieser Mann denn nicht ihre Lodge kaufen können, dachte Sophie nicht zum erstenmal. Aber egal. Lord Preston hatte seine eigenen Pläne, und die riefen bei den Einwohnern von Clydesdale nicht gerade Begeisterung hervor. Niemand wollte diese Neuerung, und niemand wollte das neue Hotel. Zusätzlich zu der Brücke sollte auch die Straße verbreitert und besser angebunden werden. Unruhe würde das neue Hotel bringen, viele fremde Menschen und eine neue Art von Fortschritt, den keiner hier wollte – auch Sophie nicht. Eingaben bei der übergeordneten Baubehörde hatten nichts genutzt, und selbst ein Gespräch mit dem Abgeordneten war zwecklos gewesen.

Was blieb jetzt noch zu tun, um diese Brücke, die neue Straße und damit auch das unerwünschte neue Hotel zu verhindern?

Pat Killarney hatte den Vorschlag gemacht, mit einem Sitzstreik die Baumaßnahmen zu sabotieren. Da sich das Recht jedoch auf seiten des Unternehmers befand, würde Constable O’Brien diese Protestler letztendlich vertreiben müssen. Eine Möglichkeit war es aber allemal. Sobald es Verzögerungen gab, stieg der Preis für die Baumaßnahmen, dann bestand eine geringe Hoffnung, daß das Vorhaben abgesagt wurde.

Sophie kletterte wieder vom Dach und stand plötzlich vor einem Fremden. Ein bewundernder Blick aus leuchtend blauen Augen traf sie, und sie spürte die sympathische Ausstrahlung des Mannes.

»Die Gastwirtschaft hat noch nicht geöffnet«, sagte sie.

»Nun, dann werde ich eben später auf ein Bier kommen. Aber wie ist das mit der Lodge als Hotel? Ist das auch geschlossen?«

Schon seit Wochen hatte es keinen Gast in den Zimmern gegeben, aber das durfte sich Sophie nicht anmerken lassen.

»Sie können selbstverständlich ein Zimmer bekommen, Mr…?«

»Marc Kennedy. Ich bin der Architekt und Bauleiter...«

Ihr Gesicht verdüsterte sich abrupt, als sie das hörte. Er spürte ihre Verstimmung.

»Stimmt etwas nicht?«

»Sie werden hier nicht sehr willkommen sein, Mr. Kennedy. Niemand hier aus dem Ort will die Brücke und die Straße.«

»Ist das auch für Sie ein Problem?« fragte er sanft. Marc Kennedy hatte diesen Ort erst einmal besucht, als er sich für die Planung mit dem Gelände vertraut machen mußte. Schon damals war ihm aufgefallen, daß hier keine große Begeisterung herrschte über diesen Neubau, der doch eigentlich Fortschritt und Wohlstand bringen sollte. Warum nur war ihm damals diese bildschöne Frau nicht aufgefallen?

»Ich habe auch ein Problem mit dem Neubau, aber das muß für Sie keine Rolle spielen. Außerdem werde ich mir in Ihrem Beisein sicher keine Gedanken darüber machen. Sie wollen ein Zimmer? Sie werden eines bekommen. Aber viel Luxus dürfen Sie nicht erwarten.«

Das war Marc völlig egal, Hauptsache, er konnte in der Nähe dieser bezaubernden jungen Frau bleiben und mehr über sie erfahren. Er war schon viel zu lange auf der Suche nach der Frau seines Lebens, und diese junge Lady sah aus wie die Erfüllung seiner Wunschträume.

Sophie hatte für einen Augenblick erwogen, ihm das Zimmer zu verweigern. Aber sie brauchte das Geld, da gab es kein langes Zögern.

»Francis«, rief sie so laut, daß O’Donnell im Innern es hören konnte. Gleich darauf kam der bärenstarke gutmütige Helfer heraus.

»Das ist Mr. Kennedy, er bekommt das Kapitänszimmer. Bitte, kümmern Sie sich um sein Gepäck und seine Anmeldung.«

»Das Kapitänszimmer?« stieß der hochgewachsene ältere Mann hervor und bekam große Augen.

»Ja. Und Spenser soll es nicht wagen... ach, was soll’s? Sie haben mich gehört, Francis? Ich habe noch zu tun.« Sie ging zum Schuppen hinüber, in dem Werkzeug und Baumaterial aufbewahrt wurden – und in einem kleinen Anbau eine Segeljolle, mit der Sophie ab und an einen Ausflug unternahm.

Die beiden Männer blickten der schlanken Gestalt hinterher, Francis kopfschüttelnd, Kennedy bewundernd.

»Eine tolle Frau«, stellte er beeindruckt fest. »Hat sie denn keinen Mann, der ihr helfen könnte?«

»Sie hat den Kapitän, der muß schon reichen«, erklärte der Hausdiener rätselhaft und ging mit schweren Schritten voran.

»Wie kannst du es wagen, einen wildfremden Menschen in meinem Zimmer einzuquartieren?« fragte

Käpt’n Spenser dröhnend, so daß Sophie aus dem leichten Schlaf erwachte, in den sie gerade erst gefallen war.

»Und wie können Sie es wagen, sich schon wieder ungefragt in meine wohlverdiente Nachtruhe einzudrängen?« knurrte sie schlaftrunken.

»Ich gehe, wohin ich will und wann ich will.«

»Na fein, dann tu ich, was ich will und wie ich es will. Das Kapitänszimmer ist das einzige, das noch so gut in Ordnung ist, daß ich dafür einen ordentlichen Preis verlangen kann. Wenn Ihnen das nicht paßt, ist mir das auch egal. Verschwinden Sie, ich will endlich schlafen.«

»Du weißt, wer dieser Mann ist? Er baut die neue Brücke. Er wird das Land verwüsten und keine Rücksicht nehmen auf die Menschen, die hier seit Jahrhunderten wohnen.«

»Dann passen Sie beide ja hervorragend zusammen. Sie nehmen schließlich auch keine Rücksicht. Der Mann macht seine Arbeit. Wenn nicht er, dann ein anderer, im Prinzip macht das keinen großen Unterschied.«

»Du bist ganz schön halsstarrig. Warum nimmst du mein Angebot nicht an? Du wärst nicht darauf angewiesen, solche Leute aufzunehmen.«

»Ich werde kein Blutgeld anfassen.«

»Der Tag wird kommen, an dem du anders darüber denkst.« Der Kapitän verschwand, und Sophie knuffte wütend ihr Kopfkissen. Warum mußte ausgerechnet sie mit einem Geist gestraft sein, der sich so aufdringlich in ihr Leben mischte? Sie hatte genug damit zu tun, um ihr tägliches Leben zu kämpfen, da brauchte sie das real gewordene Gespenst nicht auch noch. Zur Hölle mit dem Kapitän, wo er vermutlich auch hingehörte. Die junge Frau kuschelte sich in ihre Decken, schloß die Augen und versuchte wieder einzuschlafen, was jedoch gar nicht so einfach war.

Gideon Spenser hingegen hatte noch längst nicht vor sich zurückzuziehen. Er tauchte unvermittelt in seinem Zimmer auf – dem Kapitänszimmer, in dem Marc Kennedy über seinem Laptop brütete. Er bemerkte die Anwesenheit des Geistes zunächst gar nicht. Doch plötzlich blickte er auf und sah die wilde bärtige Gestalt vor sich stehen. Erschreckt sprang er auf, nestelte aus seiner Hosentasche ein Taschenmesser hervor und versuchte die Klinge aufzuklappen. Dröhnendes Gelächter ließ ihn zusammenzucken.

»Was willst du denn mit diesem Spielzeug, Junge? Wenn du wirklich kämpfen möchtest, empfehle ich dir einen ordentlichen Säbel.« Mit einem leisen Zischen glitt die scharfe Klinge aus der Scheide.

Marc fühlte sein Herz bis zum Halse schlagen. Das Taschenmesser fiel aus seiner Hand, und er wurde kreidebleich.

»Ich habe nicht vor zu kämpfen, Sir«, sagte er leise. »Aber ich wäre Ihnen doch sehr verbunden, wenn Sie mir sagen, wie Sie in mein Zimmer kommen und was Sie von mir wollen?«

»Dein Zimmer?« lachte Spenser. »Mein Junge, dies hier war schon mein Zimmer, bevor deine Ururururgroßmutter geboren wurde.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Bist du taub oder dumm?« grollte der Kapitän. »Na gut, zum Mitschreiben für Minderbemittelte. Ich bin Kapitän Gideon Spenser, oder vielmehr das, was seit ein paar Jahrhunderten von ihm übrig ist und hier herumspukt. Es liegt mir eine Menge daran, Spensers Lodge zu erhalten, was die kleine Sophie aber auch noch nicht erkannt hat. Um dieses Ziel erreichen, bin ich bereit, eine Menge zu tun.«

»Sie sind also ein Geist?« fragte Marc völlig entgeistert.

»Bei Neptuns Bart, ist das wirklich so schwer zu begreifen?«

»Verzeihung, Sir, aber ich hatte noch nie mit einem Gespenst zu tun.« In diesem Augenblick huschten einige Bilder über den Monitor des Laptops, und eine weibliche Stimme verkündete: »Sie haben Post.«

Es war bemerkenswert, den Piraten zu beobachten. Er zuckte sichtbar zusammen, schaute sich wild im Raum um, als wollte er sich im nächsten Moment auf einen imaginären Angreifer stürzen, und hielt dann verblüfft inne.

»Das war nur mein Computer«, versuchte Marc zu erklären, erntete jedoch nur einen wilden aggressiven Blick.

»Hier ist niemand. Und du willst mir erzählen, du hast noch nie mit den Geistern zu tun gehabt? Wer ist es, der hier sonst noch herumspukt?«

»Das ist ein Computer, ein technisches Gerät. Haben Sie noch nie erlebt, daß ein Telefon klingelt und jemand am anderen Ende spricht?«

»Telefon? Dieses abscheuliche Ding, in das Sophie hineinredet, ohne daß jemand antwortet?«

Auf dem Gesicht des jungen Mannes erschien ein Lächeln. Er begann widerwillig die Tatsache zu akzeptieren, daß er hier einem Geist gegenüberstand, so verrückt das auch sein mochte. »So etwas Ähnliches. Sie müssen keine Angst vor der Technik…«

»Gideon Spenser hat vor nichts und niemand Angst«, donnerte der Kapitän.

»Ja, gut, ich verstehe, so habe ich das auch nicht gemeint. Doch die Welt hat sich weiterentwickelt in der Zeit, seit Sie – nun ja – tot sind. Aber was wollen Sie nun von mir?« Marc entspannte sich ein wenig.

»Ich will, daß dieser ganze Unsinn aufhört. Dieses neue Hotel, die Straße und die Brücke. Überflüssiger Mumpitz ist das.«

»Und Sie glauben, ich könnte den Bau verhindern? Nein, ganz bestimmt nicht«, erklärte der Architekt mit Entschiedenheit.

»Aber du bist der Bauherr.«

»Nein, ich bin der Bauleiter und Architekt. Der Bauherr hat mich beauftragt. Und glauben Sie mir, sollte ich mich weigern, wird schon einen Tag später jemand anders meine Stelle einnehmen. Dieses Bauvorhaben ist nicht zu verhindern.«