Isabelle und Madeleine - Christine Erkens - E-Book

Isabelle und Madeleine E-Book

Christine Erkens

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Beschreibung

„Ich spaziere durch mein provenzalisches Traumhaus, öffne die Schlagläden und schaue auf die üppig grünen Weinfelder und lila blühenden Lavendelreihen. Ich fühle die kühlen Fliesen im Flur unter meinen nackten Füßen und die Hitze des Mittags, als ich vor das Haus trete und in die Sonne blinzle. Ein Platanenblatt segelt vor meiner Nase auf den hellen Kies im Hof. Eine Eidechse huscht in ihre Mauernische, als mein Schatten auf sie fällt.“ Isabelles Traum ist wahr geworden. Der Anblick des alten Hauses und die Vorfreude auf ein Leben in Südfrankreich lassen ihr Herz höherschlagen. Findet sie in dem Haus mit dem Maronenbaum eine neue Heimat, ihre Berufung und ihr Glück? In ihrem Umzugsgepäck erwarten sie ein Kräuterbuch und das Tagebuch von Madeleine, die vor langer Zeit in dieser Gegend lebte. Das Schicksal der kräuterkundigen Frau zieht Isabelle in ihren Bann und sie fühlt sich eng mit ihr verbunden. Doch das Buch gibt Rätsel auf, die nicht nur die Vergangenheit mit Madeleine, sondern auch sie selbst betreffen. Ein Sommer voller Abenteuer in einem kleinen provenzalischen Dorf und der Weg zu ihrem wahren Ich liegen vor Isabelle. Ein Roman für Frankreich-Liebhaber über das Leben und die Liebe, über alte Bücher, ihre Geheimnisse und die Welt der Heilkräuter.

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Seitenzahl: 606

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Christine Erkens

Isabelle und Madeleine

Das Haus mit dem Maronenbaum

Prinzengarten Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Copyright 2021 by Prinzengarten Verlag

Dr. Hans Jacobs, Am Prinzengarten 1, 32756 Detmold

Bild Umschlag: Sabine Erkens

ISBN 978-3-89918-829-5

Kapitel 1

Ich spaziere durch mein provenzalisches Traumhaus, öffne die Schlagläden und schaue auf die üppig grünen Weinfelder und lila blühenden Lavendelreihen. Ich fühle die kühlen Fliesen im Flur unter meinen nackten Füßen und die Hitze des Mittags, als ich vor das Haus trete und in die Sonne blinzele. Wo sind meine Sonnenbrille und meine Flip-Flops? Ein Platanenblatt segelt vor meiner Nase auf den hellen Kies im Hof. Eine Eidechse huscht in ihre Mauernische, als mein Schatten auf sie fällt. »Träumst du? Bist du noch bei uns oder schon im Süden?« Mühsam löse ich meinen Blick von der Seite mit dem Bilderbuchdorf im Süden Frankreichs und schlage das Buch zu. Der Tee in meinem Becher ist jetzt nur noch lauwarm. Fröstelnd ziehe ich die Ärmel meiner Wolljacke bis auf den Handrücken und verbanne die Gedanken an das graue und feuchte Wetter. Die Heizung bemüht sich, meinem Wunsch nach einem warmen Büro nachzukommen und blubbert emsig. Eine Kollegin klappert mit den Türen und dem Geschirr und geht mit der Kaffeekanne durch den Flur. Ich trenne mich ungern von den eben eingetroffenen Bildbänden, die auf meinem Schreibtisch liegen, von den Fotos der herrlichen Häuser und Gärten mit Beeten prall gefüllt mit Lavendel und Rosmarin, der Töpfe mit Lorbeerbäumen, der Haine mit Olivenbäumen und romantischen Gartenpavillons und erst recht nicht von den Kochbüchern mit Gemüseplatten, gegrilltem Fisch oder zauberhaften Desserts. Ich rieche den Süden. Ich rieche die Kräuter, die Pinien, das Meer, das Essen, das frische Brot und höre Zikaden und Schwalben. Sie rufen mich und ich sitze hier in der Bücherei und schaue mir das an, von dem ich träume und das in meiner Vorstellung zum Leben erwacht.

Kapitel 2

Die Nachmittagssonne vergoldet das zartgrüne Laub der Platanen im Innenhof der Bücherei und ich bleibe am offenen Fenster stehen, um die Maifarben zu genießen. Im Büro riecht es herrlich nach Kaffee und ich höre das Radio in der kleinen Küche und die Stimmen der Kollegen. Der Duft von frischem Hefezopf zieht zielstrebig aus der benachbarten Backstube in Richtung Kaffeemaschine und leistet dem Kaffeegeruch seine appetitanregende Gesellschaft. Ich seufze erleichtert auf, als mir bewusst wird, dass in wenigen Stunden mein neues Leben beginnt.

Das Licht und die Wärme im Süden Frankreichs sind ähnlich, aber hier fehlt mir das Konzert der Zikaden, das unverwechselbare Kennzeichen des Südens, denke ich mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick nach draußen und wende mich in Richtung Flur. Ich kremple unterwegs die Ärmel meiner Bluse hoch, wasche mir in dem kleinen Waschbecken die Hände und fasse die Haare in einem lockeren Pferdeschwanz zusammen. Ein Abgleich mit dem angestaubten Spiegel der Damentoilette zeigt mir mein Ich, Isabelle, meine leichten Sommersprossen, die braungrauen Augen, die unbändigen Locken jetzt halbwegs gezähmt. Ein wenig müde sehe ich aus, aber gut gelaunt und aufmunternd lächele ich meinem Spiegelbild zu und streiche eine widerspenstige Haarsträhne fest. Manchmal wäre ich gerne etwas größer und ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um mich besser im Spiegel zu sehen. Aber es ist, wie es ist, und es gibt neben den Zehenspitzen Hocker, um die fehlende Größe wettzumachen, zum Beispiel an den Buchregalen. Bücher lese ich für mein Leben gerne, schon immer und fast alles, was mir in die Finger kommt. Hier in der Bonner Stadtbücherei sortiere und katalogisiere ich neue Bücher und bin das Mädchen für alles.

Zurück im Büro zieht mich der Karton auf dem Schreibtisch mit seinem vielversprechenden Inhalt und den beiden Büchern, die in ihm schlummern, magisch an. Die Bücher sind in festes Papier eingehüllt und mit einer Schnur gesichert, zum Schutz beim Transport und vor meiner Neugier. Ich streiche nachdenklich über das Paket und spüre, das sind mehr als Bücher und freue mich auf das Auspacken. Sie erscheinen mir zu wertvoll, als dass ich sie im Auto liegen lassen möchte, und daher begleiten sie mich in die Bücherei und warten geduldig auf den Feierabend.

Meine Arbeitskollegin unterbricht die gedankenverlorene Betrachtung der Kiste und stellt einen Becher mit dampfendem Kaffee in das Durcheinander auf den Schreibtisch, dem Schauplatz meiner Tätigkeit.

»Na, wie weit bist du mit der Aufräumaktion? Dein Tisch sieht noch durcheinander und du müde aus. Da kann nur eine Tasse Kaffee Abhilfe schaffen, oder?«

Ich lache. Das ist typisch Kollegen, die Sorgen um liegenbleibende Arbeit.

»Ça va, es sieht zwar chaotisch aus«, versichere ich, »aber ich bin guter Dinge und werde dir den Schreibtisch aufgeräumt übergeben. Merci für den Kaffee.«

Tartine unter dem Tisch schläft trotz der Unruhe und des verführerischen Duftes aus der Bäckerei. Er ist ein junger Hund, dreifarbig wie eine Glückskatze, aber etwas größer, und mein Fund auf einer Autobahnraststätte im letzten Jahr. Ein vierbeiniger Freund und angenehmer Begleiter, denn nach anfänglicher Skepsis über das Leben mit einem Hund ist eine harmonische Beziehung entstanden.

Der Name Tartine, zu Deutsch Butterbrot, ist ihm wegen seiner ersten Mahlzeit aus dem Proviantkorb zuteilgeworden: Käsebrote, die für die Fahrt nach Trier zu meinen Eltern gedacht waren. Ich hatte es an diesem Nachmittag zu Beginn der Semesterferien nicht über das Herz gebracht, das Häufchen Hundeelend zurückzulassen oder es im Tierheim abzugeben. Es war purer Zufall, dass ich den Hund hinter einem überquellenden, stinkenden Mülleimer gefunden habe. Wer weiß, wie lange er dort gesessen hat. Jetzt ist er in einem weitaus besseren Zustand, mit glänzendem Fell und immer fröhlich und ausgelassen. Und erstaunlicherweise brav und unauffällig im Alltagsleben. Er hört auf fast jedes Wort und passt sich meinem Rhythmus an, vermutlich ist er froh, es so fantastisch angetroffen zu haben und als umsorgter Mitläufer und Mitesser ein Teil meines Lebens zu sein.

Ich schaffe die versprochene Ordnung auf dem Schreibtisch, packe die letzten persönlichen Dinge in meine Kiste zu dem Bücherpaket und werde mich gleich von den Arbeitskollegen in meiner Bücherei verabschieden. Hier war ich gerne, umgeben von den vielen Büchern und nie in Sorge, dass mir der Vorrat an Lesefutter auf dem Nachttisch ausgeht.

Jetzt steht mir ein aufregender Lebensabschnitt bevor, denn ich ziehe in den Süden, in meine Seelen-Heimat. Bonn und Trier, Rhein und Mosel, alles gut und schön, aber zuhause bin ich nicht nur im Elternhaus oder meiner Wohnung, sondern gleichzeitig in Südfrankreich. Ein schwer zu beschreibendes Gefühl, diese Mischung aus Heimweh und Fernweh, aus Sehnsucht nach einem mir unbekannten Zuhause in der Provence und Furcht vor der Veränderung.

Der Grund für diese Vorfreude und meine »Auswanderung« liegt auf dem Schreibtisch: Das Paket meines Lieblings­onkels Eduard, das Unterlagen und die alten Bücher enthält. Die Krönung ist der auf den Büchern thronende Schlüsselbund mit einem rasselnden Gemenge alter und neuer Schlüssel für ein Bauernhaus, das ich nur von Fotos und Erzählungen kenne. Das Paket ist wie eine Wundertüte und ich freue mich wie ein Schneekönig auf das Auspacken.

Ich hole etwas aus: Mein Onkel, ein gefragter und bekannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Archäologie, wurde dieses Frühjahr für längere Zeit ins Ausland berufen. Dem Ruf folgte er gerne, denn der Tod seiner Frau – meine Tante Josephine war im Winter an ihrer Krebserkrankung gestorben – hatte ihm die Freude und die gemeinsamen Pläne mit dem neu erworbenen Haus zunichtegemacht. In Übersee erhofft er sich Ablenkung von der Trauer durch seine Arbeit und Forschung. Josephines Herzenswunsch in ihrem Leben und vor allem in den letzten Jahren war, trotz oder sogar als Einsatz im Kampf gegen ihre Erkrankung, ein Haus mit Garten unter der südlichen Sonne zu haben. Urlaube und Forschungsreisen führten Onkel und Tante oft nach Südfrankreich und dort fanden sie ein Haus, das ihren Vorstellungen entsprach, und kauften es. Sie verbrachten viele Wochen vor Ort, begannen mit den ersten Arbeiten beziehungsweise beauftragten Handwerker mit der Instandsetzung und Renovierung und erweckten es aus dem Dornröschenschlaf.

Heute steht das »Gemäuer«, wie mein Onkel das Haus ironischerweise nennt, leer und verlassen am Rand eines Dorfes in der Einsamkeit der Hügel. Er bringt es aus sentimentalen Gründen nicht über das Herz, es zu verkaufen, was ich verstehen kann. Das Haus ist ein unschätzbares Andenken an seine Frau und die gemeinsame Zeit. Die Handwerkerarbeiten ruhen und der Dschungel der südfranzösischen Botanik überwuchert ohne Erbarmen bereits mühsam freigelegtes Gelände, von der noch nicht angerührten Wildnis auf dem Grundstück ganz zu schweigen. Nachbarn schauen nach dem Nötigsten und schicken dem Onkel ab und zu Fotos.

Das Haus heißt Mas Châtaigner. Mas ist der Begriff für ein Bauernhaus in Frankreich und Châtaigner steht für die Esskastanie, die Marone.

Und ich, Isabelle, bin auserkoren, nein, die einzige Möglichkeit des Onkels, das Haus zu erhalten. Kein anderer in unserer Familie ist so frei, ungebunden – und verrückt – und kann kurzentschlossen und kurzfristig seine Zelte abbrechen und auswandern. Kein anderer lebt wie ich in den Tag hinein, hat kaum Verpflichtungen und Bindungen in einem Beruf oder einer Partnerschaft.

Durch mein Studium, die Études Franco-Allemandes, die deutsch-französische Studien, die ich erfolgreich beendet habe, wenigstens etwas, auf das ich stolz bin, ein Praktikum in Paris und meine mir selbst unerklärliche Liebe zu diesem Land fühle ich mich als halbe Französin und freue mich auf die neue Heimat. Der Job in der Bücherei, den ich heute beende, besserte meine Finanzlage auf und doch hatte ich viel Freizeit. Es geht mir rundum gut. Aber stimmt das?

Bisher hatte ich noch keine Idee, was ich mit meinem Studium anfange. Wie ein Blatt im Wind der Berufswahl flattere ich durch mein Leben. Ich lasse mich treiben, jobbe mal hier und da, und bin doch unzufrieden – mit mir und dem Dasein. Meine Eltern fragen mich schon nicht mehr, was ich plane oder wo ich jobbe. Mein Vorzeigebruder, zielstrebig und mit ausgezeichneten Noten, ist anders als ich. Ich liebe meine Familie, aber sie halten mir einen Spiegel vor, in den ich nicht schauen mag. Ich könnte weiter studieren und auf eine Lösung »von oben« warten, die an einem unbekannten Termin eintrudelt – oder auch nicht. Und zu meinem Glück erschien die Rettung in Form von Onkel Eduard und so fügt sich alles, wie es sich fügen soll, und jetzt bin ich überglücklich und voller Lebensfreude.

Der Onkel und ich setzten uns zusammen und ein Schriftstück auf, in dem wir alles Wichtige in Bezug auf das Mas Châtaigner festlegten. Dieses Papier besagt, dass ich kostenfrei im »Gemäuer« lebe, über das Guthaben auf dem vor Ort befindlichen Konto für Lebensunterhalt, Ausbau und Renovierung des Hauses verfüge und ebenso entscheiden kann, was gemacht werden soll. Gleichzeitig musste das unangenehme Thema beziehungsweise die Regelung unserer Abmachung für den Fall des Todes von Onkel Eduard und ein Testament mit Berücksichtigung meiner Person erarbeitet werden. Jetzt bin ich nicht nur versorgt, sondern habe eine solide Absicherung und einen vertrauenswürdigen Notar und Finanzexperten im Rücken.

Meine Gegenleistung besteht neben dem Hausprojekt in der Übersetzung einiger Schriftstücke vom Französischen ins Deutsche sowie dem Lüften des Geheimnisses der »alten Bücher«, die mir der Onkel gut verpackt im vielversprechenden Paket übergeben hat. Wie er an die Bücher gelangt ist und was es mit ihnen auf sich hat, ist mir schleierhaft, aber des Rätsels Lösung wird sich ergeben.

Es kommt mir so vor, als hätte der Onkel sich Hausaufgaben überlegt, damit ich mir nicht überreich beschenkt und ausgehalten vorkomme, sondern gefordert und beschäftigt. Damit hat er sicher Recht, aber eine unangenehme Ausgabe hat er mir damit nicht aufgebürdet.

Ich kann mein Glück nicht fassen. Wenn ich morgens beim Aufwachen in meine alten, trüben Gedanken verfallen möchte, erfüllt mich die Vorfreude auf das vor mir liegende Abenteuer und ich bekomme gute Laune. Die Wartezeit auf die Lösung meiner Lebensfrage hat ein Ende und sie hat sich gelohnt. Es ist wie ein Sechser im Lotto oder ein erfüllter Wunsch durch eine Fee. Ich werde entlohnt für Tätigkeiten, die ich liebe, das bedeutet Lesen und Übersetzen und natürlich Leben. Leben wie Gott in Frankreich, was will ich mehr?

Mit dem Job in der Bücherei, dem Zusammenräumen, Packen und Auflösen meines alten Zimmers habe ich viel zu tun. Ich plane den Aufenthalt in Frankreich akribisch, denn ich werde aufgrund der weiten Strecke nicht nach Hause fahren, um Vergessenes oder im Nachhinein Wichtiges und vermeintlich Unentbehrliches zu holen. Mein Kopf steckt voller Pläne und ich schreibe Listen, die nach Themen wie Haushalt, Kleidung, Hund und Auto geordnet sind, um den Überblick zu behalten. Der Papierkram ist mein steter Begleiter, denn oft fällt mir unvermittelt eine Kleinigkeit ein, die ich fast vergessen hätte und vergessen würde, da bin ich mir sicher, wenn ich sie nicht im gleichen Atemzug aufschreibe.

Ich schaue auf meine gefüllte Kiste und lege das Paket des Onkels obenauf. Der Schlüsselbund klimpert leise, als ich alles auf einen Stuhl stelle. Mein Schreibtisch überzeugt mit ungewohnter Ordnung der wenigen Dinge, die zu ihm und auf ihn gehören, und fühlt sich nicht mehr wie mein Tisch an.

»Fertig! Ich bin fertig!«, sage ich erleichtert, doch ich stehe allein am Schreibtisch. Die anderen höre ich im Nebenraum lärmen, Stühle und Tische schieben und meinen Ausstand vorbereiten. Im Kreis der Kollegen gibt es Kaffee und Kuchen und ein Glas Sekt und mir werden nach einer Dankes- und Abschiedsrede Ratschläge aller Art erteilt. Im Raum breitet sich Aufbruch- und Ferienstimmung aus, denn ich stecke alle mit meiner Vorfreude an.

Ich rufe ein lautes »Á bientôt, au revoir und auf Wiedersehen!« in die schwatzende Runde, die die Feierstunde auch ohne mich weiter in vollen Zügen, mit vollem Mund und Gelächter genießt, und breche auf. Die Kiste wird im Wagen verstaut und ein letztes Mal mustere ich den vertrauten Anblick der Bücherei, des Platzes mit den Bäumen, die Passanten, die geschäftig durch die Innenstadt strömen. Ich bin gerne hier und ich schnuppere noch einmal Bonner Großstadtluft – vermischt mit dem Geruch der Platanenblätter und dem Bäckereiduft.

Auf der Fahrt zur Wohnung in der Altstadt, die ich mit meiner Freundin Susa bewohne, gehe ich im Geist meine Listen durch und Kopfschmerzen vom Überlegen und Nachdenken bohren hinter meiner Stirn. Zuhause trinke ich einen weiteren Kaffee, schalte das Radio ein und konzentriere mich auf das Wesentliche, das heißt das Packen der letzten Dinge und Staubsaugen. Mein Zimmer ist gut wie leer und fühlt sich, wie mein Schreibtisch in der Bücherei, fremd an.

»Ach Isa, das ist so schade, dass du ausziehst und mich einsam und auf der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin zurücklässt! Es war eine schöne Zeit mit dir in unserem kleinen Reich unter dem Dach.« Susa schaut traurig in das leere Zimmer und nimmt mich zum wiederholten Mal in die Arme.

Zu fortgeschrittener Stunde ist alles, bis auf die Kiste vom Onkel und mein Waschzeug, im Auto verstaut und wir lassen uns zu einem erinnerungsträchtigen Abschiedstrunk nieder. Die Nacht wird unbequem, da ich in meinem alten Schlafsack auf einer ebenso alten Luftmatratze schlafe oder es zumindest versuche, schon halb auf Reisen, aufgeregt und ruhelos.

Kapitel 3

Nach einem kleinen Frühstück in der Morgensonne möchte ich aufbrechen. Susa lacht.

»Was bist du zappelig und unruhig! Das ist morgens selten bei dir«, sagt sie mit einem letzten Bissen Brot im Mund und lässt mir den Vortritt im Badezimmer.

»Ich weiß auch nicht. Einen so großen Schritt habe ich noch nie getan und bisher war es um einiges leichter mit dem Verreisen oder Umziehen in eine neue Wohnung. Diese Aktion flößt mir einen Hauch von Respekt ein.«

Über meine Antwort denke ich beim Zähneputzen nach. Es ist anders, aber es wird prima, sage ich mir, nicke meinem Spiegelbild zu und schaue, dass ich fertig werde.

Nach der herzlichen Verabschiedung packe ich den Hund auf den Rücksitz des vollgestopften Autos und die Kiste mit den Büchern in den Fußraum des nicht vorhandenen Beifahrers. Ich fahre die vertrauten Straßen, eine Abschiedsrunde mit Erinnerungen an schöne und unbeschwerte, aber ebenso angespannte und traurige Zeiten und fühle Wehmut und Melancholie.

»Was fällt uns Aufmunterndes zum Abschied ein, Tartine?«, frage ich den Hund, der jedoch keine Antwort kennt oder sie nicht preisgeben möchte und sich genüsslich auf dem Rücksitz zusammengerollt hat.

Nach einer eintönigen Fahrt zu meiner Familie nach Trier und einem raschen Mittagessen geben wir uns an das Aus- und Umladens der Siebensachen, die sich plötzlich als hunderte Sachen entpuppen. Ich würde gerne einen Mittagsschlaf halten, aber dazu fehlt die Zeit und ich drücke die Sehnsucht nach einem Nickerchen auf dem Sofa energisch beiseite. Die Dachbox wird montiert und mein Bruder Frederik erklärt mir zum x-ten Mal Einzelheiten über Reifenwechsel, Ölkontrolle oder andere Autofeinheiten. Auch meinen Eltern fallen Tipps und Anregungen ein, die sich auf alles vom Autofahren über die Haushaltsführung und Gartenarbeit bis zu Renovierungsmaßnahmen beziehen.

Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir endlich fertig und ich bin hundemüde vom Schlafmangel der letzten Tage und dem üppigen Abend-Abschiedsessen. Mein Kinderzimmer wartet mit dem gemütlichen Bett und dem Zuhause-Geruch auf mich und ich schlüpfe dankbar unter die Decke. Ein leises Schnarchen am Fußende lässt keine Zweifel offen: Tartine schläft schon tief und fest.

»Noch eine letzte Nacht zu Hause und in Deutschland. Morgen sind wir in Frankreich und schlafen in Lyon bei Sylvie, meiner Freundin aus der Pariser Studienzeit,« flüstere ich erklärend in Richtung Schnarchen, schließe die Augen und schlafe sofort ein.

Im Morgengrauen wache ich durch einen Alptraum erschrocken auf. Ich erinnere mich an das Gefühl der Einsamkeit und Angst, es war dunkel und kalt in der Traumwelt, obwohl die Sonne schien. Ich war wie gelähmt und konnte nicht die Augen öffnen, wollte und musste es aber doch, um zu fliehen. Vor wem oder vor was? Spiegelt der Traum meine Befürchtung vor der »Auswanderung« wider? Ich bleibe nachdenklich liegen, schaue an die Decke, genieße das Gefühl »es war doch nur ein Traum« und lenke meine Gedanken in Richtung Süden und Sonne.

Nach dem Frühstück, einer heißen Dusche und letzten Durchsicht des Handgepäcks verstaue ich die Kühltasche vor dem Beifahrersitz, die Handtasche und den Proviantkorb neben mir und den Hund auf der Rückbank.

»Auf Wiedersehen Isabelle, pass gut auf und fahr vorsichtig. Wenn etwas passiert, ruf an, aber was soll sein ...«

Meine Mutter hält mich im Arm und würde mich am liebsten hierbehalten. Ich umarme meinen Vater und Bruder und zwinge mich loszufahren, ohne in Endlosschleife alles durchzugehen, was ich vergessen habe. Der Magen krampft sich um das Frühstück, die Hände sind feucht und ein Gefühl wie vor einer Prüfung macht sich breit. Meinen Eltern merke ich die zwiespältigen Gefühle zwischen der Sorge um mich und gleichzeitig einem Aufatmen nach dem Motto »nun ist das Kind versorgt, hat endlich eine Aufgabe und die Finanzen stimmen« an. Es wird nicht ausgesprochen, aber die Bemerkungen und Blicke, die zwischen ihnen wechseln, sind eindeutig.

Kapitel 4

In Luxemburg tanke ich vor der französischen Grenze, lasse Tartine auf einer Rasenfläche laufen und starte dann in Richtung Provence. Beim Fahren werde ich ruhiger und sehe mich am nächsten Tag in der neuen Heimat, beim Auspacken des Autos und Erkunden des Mas Châtaigner. Gleichzeitig bleibt das mulmige Gefühl, weil ich dort allein sein werde. Einerseits ist es das, was ich suche nach den Jahren des Stadtlebens und meiner Ziellosigkeit, vor allem in puncto Berufswahl und Zukunft, andererseits ist es eine riesige Herausforderung.

Es hat Zeiten gegeben, in denen wollte ich das Handtuch, also das heiß ersehnte Studium, hinschmeißen und fortlaufen. Es waren Zeiten der riesengroßen Trauer und des Schocks nach dem Tod meines Freundes Johannes. Er wurde während seines Solo-USA-Trips im vergangenen Jahr Opfer eines tödlichen Verkehrsunfalls. Wir hatten eine gemeinsame Zukunft geplant, wollten die Ausbildung und Studien zu Ende bringen, waren immer in Kontakt und verbrachten jede freie Minute zusammen. Das Loch war tief, in das ich fiel, und ich wundere mich, wie ich ohne meinen Freund auf dieser Welt geblieben bin und weitergemacht habe.

Der Tod von Johannes nahm meine Lebensplanung mit in die Urne, denke ich oft. Oder schiebe ich seinen Tod als die Ursache meiner Ziellosigkeit vor und als willkommenen Vorwand, um in Trauer und Depression zu versinken? Ich verliere mich für den Augenblick - trotz Sonnenschein - in diesen düsteren Gedanken und fühle mich wie die alte Isabelle: mutlos, kraftlos, traurig.

Das Frankreich-Projekt weckte wieder meine Lebensgeister. Mir ging es besser und meine Gedanken beschäftigten sich wie in früheren Zeiten mit Planen und Organisieren und ich hatte ein neues, aufregendes Ziel vor Augen. Der Schmerz über den Verlust ließ nach und die Erinnerung an Johannes bescherte mir nicht mehr so häufig feuchte Augen. Er ist immer bei mir und ich denke oft an ihn. Sein Foto steht auf meinem Nachttisch und sein Passfoto steckt im Portemonnaie. Ich habe ein Sweatshirt und T-Shirt von ihm, die ich an meinen traurigen Tagen trage. Einige seiner Bücher stehen neben meinen. Seine Tasse, ein Urlaubssouvenir aus Paris, steht neben meinen Bechern. Erinnerungen sind in mir verankert, die mir niemand nehmen kann, die ein Teil von mir sind. Die glücklichen Erinnerungen und gemeinsamen Erlebnisse bleiben und auf der anderen Seite die unschönen. Beide Seiten gehören zum Leben. Dieser Einbruch im Höhenflug des Lebens in Form des Unfalltodes hat mich reifen lassen. Nicht zu einem verschrumpelten Apfel, aber der Tod hat innerliche Runzeln und Falten hinterlassen. Ich bin ernsthafter und erwachsener geworden, aber mein Lebensziel und meine Lebensfreude waren verloren - bis Onkel Eduard mir neue Horizonte eröffnete.

»Ach, Johannes, warum bist du so früh gestorben?« Immer wieder stelle ich ihm diese Frage und bekomme doch keine Antwort.

Ich halte häufig Zwiesprache mit ihm und höre ihn auf seine besonnene Art antworten. Johannes ist mein Schutzengel. Nicht im kitschigen Sinn mit weißem Kleid und Kerzchen in der Hand, doch seine Energie und Kraft sind bei mir und stärken mich. Ich lächele und in Gedanken sehe ihn auf dem Beifahrersitz, wo aber kaum Platz für ihn wäre. Ich lächele bewusst weiter und ziehe die Mundwinkel hoch. Das bringt mich immer zum Gähnen, macht gute Laune und vertreibt die Trauer.

Glücklicherweise kenne ich die Strecke gut und brauche weder Straßenkarte noch Navigation. Ich konzentriere mich auf den Verkehr und hänge meinen wieder optimistischeren Gedanken nach.

Das Mas Châtaigner kenne ich nur von Fotos und den Beschreibungen des Onkels und ich bin gespannt auf die Realität. Die Ausstattung wird einfach und unvollständig sein und ich kann das Haus nach meinem Wunsch ausbauen und einrichten.

Das ist mein Kindheitstraum: ein Haus mit Garten und Tieren, ein selbstbestimmtes und freies Leben. Aus dem Fenster gucken und nach Wetterlage und Jahreszeit den Tag planen oder spontan etwas unternehmen. Kochen und backen. Kräuter kennenlernen und anbauen, schreiben, malen, Bleibendes und Schönes schaffen.

Meine Vorstellungskraft zur Gestaltung von Haus und Hof ist groß und dank des Budgets, das mir der Onkel überlassen hat, werde ich diese Ideen umsetzen können. Ich bin ein Glückskind und könnte jubilieren vor Freude über dieses Geschenk.

Die Autobahn geht bergab Richtung Lyon. Nach dem Durchfahren der Tunnel, was zu einer Reise nach Südfrankreich dazugehört, und einigen Minuten konzentrierten Kurvens durch die engen Seitenstraßen erreiche ich die Adresse der Freundin. Mein Sturmklingeln lockt Sylvie ans Fenster und an die Haustür.

»Bonjour und salut, bin ich froh, dass du endlich hier bist. Ich freue mich riesig auf den Abend. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Ewigkeiten! Komm, wir parken zuerst das Auto.«

Ich lache und drücke Sylvie, eine typische Französin, klein, dunkelhaarig, bunt gekleidet, temperamentvoll wie ein Espresso, gestikulierend und zur Begrüßung ausgiebig küssend. Mit meinem Handgepäck für die Nacht und dem Hund an der Leine steigen wir unzählige Stufen hoch zu Sylvies Wohnung, außer Atem vom gleichzeitigen Sprechen und Treppensteigen.

Der Abend verläuft wie erwartet: Essen und Trinken in unzähligen Gängen, dann schauen einige Freunde von Sylvie vorbei und bleiben bei uns an dem langen Tisch sitzen. Es wird Wein nachgeschenkt und alle reden und lachen durcheinander. Zum Abschluss genießen wir die Aussicht über das nächtliche Lyon und das glänzende Wasser der Rhône vom Balkon aus und trinken einen letzten Schluck Wein. Morgen Abend wird es still um mich sein. Ich lehne mich zurück und schaue in den Nachthimmel. Morgen habe ich keine nächtliche Glitzeraussichten, keinen Straßenverkehr bei Tag und Nacht, kein Hupen, keine Leute über uns in der Wohnung, die so laut fernsehen, dass man den Filmtitel erraten kann.

Kapitel 5

Der Morgen beginnt mit einem landestypischen Frühstück, also nicht viel, der Schwerpunkt liegt auf dem Kaffee. Die Stadt erwacht, die Ferne lockt und ich bin froh, als ich die Garagen­einfahrt hochfahre und im Rückspiegel Sylvie zuwinke.

Tartine und ich genießen die Fahrt auf dem letzten Stück der bekannten Autobahn der Sonne oder Autoroute de soleil entlang der Rhône. Der eine schläft und die andere guckt. Die Landschaft wird südländisch, die Temperatur steigt und endlich endet die Autobahnfahrt an der Zahlstelle für die Maut. Es heißt Kleingeld suchen, bezahlen und die Schranke hebt sich und entlässt uns auf die Landstraße.

Jetzt wird es richtig schön! Oleanderbüsche und Tamarisken wachsen am Straßenrand und die wunderbarsten und für deutsche Gemüter fremdartig anmutenden und fantasievoll gestalteten Kreisverkehre laden zum Rundfahren ein. Platanenalleen, lichtdurchflutet und schnurgerade, rechts und links Weinfelder, Obstplantagen, in der Ferne liegen kleine Ortschaften auf den Hügeln. Ich bin überglücklich und singe lauthals die Lieder im Radio mit. Armer Hund! Doch Tartine schaut interessiert aus dem Fenster, als würde er mich nicht hören.

Ich unterbreche die Fahrt an einem Parkplatz abseits der Straße und packe mein zweites Frühstück aus: leicht eingedrückte Croissants, eine Frischhaltedose mit Obststückchen und eine Thermoskanne mit immer noch glühend heißem Tee. Für Tartine findet sich in dem Überraschungspaket von Sylvie sogar eine kleine Dose Hundefutter und ich staune, denn da hat die Freundin trotz der frühen Stunde beim Zusammenpacken an alles gedacht. Ich setze mich auf einen der Steintische mit dem Rücken in Richtung der wärmenden Maisonne und stelle die Füße auf die Bank davor. So früh im Jahr sind wenige Touristen unterwegs, dafür Lieferanten, Handwerker und Landwirte. Ich nehme mir Zeit, esse abwechselnd Croissant und Obst, schlürfe Tee und beobachte meinen Hund, der nach den rasch verschlungenen Futterhappen die Örtlichkeit untersucht. Nach einem letzten Schluck wische ich mir die Hände an der Jeans ab und gebe die Ziel­adresse in das Navi ein: Salazac und chemin de Vacaresse, 12. Darauf habe ich mich lange gefreut und ich warte ungeduldig, bis der gute Geist im Fahrzeuginneren sich orientiert und im Straßenatlas fertig geblättert hat, um den restlichen Streckenverlauf preiszugeben.

Ich habe Zeit, ich habe viel, ganz viel Zeit. Eigentlich ist es egal, wann ich ankomme. Keiner erwartet mich, keiner wird ungeduldig, also kann ich entspannen und genießen. Ich koste den Moment aus, bevor ich den Motor starte. Ungewohnt, aber angenehm, und diese Einstellung werde ich üben. Ich strahle in die Landschaft, kann es trotz Entspannung kaum erwarten anzukommen und mich weiter zu freuen.

Und dann endlich nähern wir uns dem Ziel. Der Weg schraubt sich in Kurven einen Hügel herauf und wir erreichen das Ortsschild von Salazac und ich halte an. »Willkommen in der neuen Heimat, Isabelle et Tartine. Bienvenue.« Ich bin gespannt, wie es an unserem Ziel aussieht, und mir wird sehr warm. Schweißperlen rollen in Richtung Hosenbund. Die Hände sind feucht und ich wische mir mit dem Handrücken über die Stirn. Auch Tartine hechelt vor sich hin. Nun noch das gesuchte Haus finden. Kommt der Schweiß von der Sonne oder ist es die Aufregung? Ich vermute eine Mischung von beidem, aber es ist nebensächlich, jetzt zählt etwas anderes.

Die alten Häuser im Ortskern gefallen mir besonders. Sie stehen eng beieinander, die Schlagläden sind meist geschlossen, was die Häuser verschlafen aussehen lässt. Die verwitterten Holztore mit einem grauen Briefkasten oder einem Parkverbotsschild verwehren meinen neugierigen Blick in den Hinterhof und verwinkelten Anbau. Ich fahre an einem antiken Waschhaus mit Brunnen vorbei, dann über einen Platz, an dem die Dorfkirche steht. Daneben sehe ich das Bürgermeisteramt, die Mairie, und einen kleinen Lebensmittelladen, eine Bäckerei und eine Kneipe. Riesengroße Platanen erheben wie Sonnenschirme mit dichtem Blätterdach und grauer, schuppiger Rinde schützend über dem Platz. Eine Seitenstraße und die Navigation führen das Auto durch ein Wohngebiet mit neuen Häusern und dann zwischen Steinmauern und Gebüsch vor ein Tor. Hier endet der asphaltierte Weg. Hier soll das Mas Châtaigner sein? Meine Zieladresse? Viel zu sehen gibt es nicht, das Tor ist halb zugewachsen, nein, ganz zugewachsen und die Hecken und Büsche an den Seiten sind hoch und undurchdringlich. Das Tor ist abgeschlossen, nicht mit einem Schloss und einer Kette, sondern mit Efeu und Gestrüpp. Brombeeren, wirkungsvolle botanische Sperren, kriechen mir entgegen und krallen sich schon bei ehrfurchtsvollem Abstand in meine Hosenbeine. Die werde ich noch besser kennenlernen und mir Arme und Beine zerkratzen, ob beim Zurückschneiden oder Brombeerfrüchte pflücken. Das Tor wird von einem Rundbogen eingefasst, der mich an eine Burg erinnert, aus Bruchsteinen gemauert und mit Dachziegeln als Abschluss. Tartine findet alles aufregend und vertreibt sich die Zeit meines Überlegens vor dem Hindernis mit Schnüffeln. Neben dem Tor befindet sich auf der rechten Seite ein Gebäudeteil mit einem Fenster hoch über meinem Kopf. Die verwitterten Schlagläden sind geschlossen, dahinter liegt wieder Gebüsch, Brombeergestrüpp, ein undurchdringlicher Dschungel. Ich bin ratlos und will doch so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben. Das Haus muss hinter dem Hindernis liegen, ich schaue mir noch einmal die Fotos im Handy an und bin mir sicher. Ich suche auf der anderen Seite weiter, die lockerer bewachsen wirkt, und finde eine bodennahe Lücke im Buschwerk. Einmal bücken und auf allen vieren krabbele ich unter der Hecke durch, Tartine dicht hinter mir, und betrete zum ersten Mal den Innenhof meines Dornröschenschlosses, des Mas Châtaigner.

Das Haus thront auf einem Unterbau aus Mauerwerk und Felsen. Eine steinerne Treppe führt ein Stockwerk hoch zu einer Terrasse und zur Haustür. Die Schlagläden sind geschlossen, als würde das Mas, wie die Häuser im Dorf, im Mittagsschlaf ruhen und gelassen auf uns warten. Es duftet nach Pinien, nach Harz und Sommerwald. Die Zikaden schreien in dem Wäldchen hinter dem Haus, ich finde das Geräusch herrlich, das ist Südfrankreich pur. Ich drehe mich einmal um mich selbst, um die Gesamtheit des Eindrucks aufzunehmen und wedele mit meinem feuchten T-Shirt, um zu trocknen und abzukühlen. Eine kalte Dusche, ein frisches Top und kurze Hose wären jetzt eine Wohltat. Egal, das Haus ist ein Traumhaus, ich bin begeistert und staune schwitzend vor mich hin. Ich fühle mich trotz der Hitze wohl und die restliche Anspannung fällt ab. Ich bin angekommen. Nachdenklich mustere ich den Platz vor dem Haus, denn genau hier hätte ich gerne mein Auto. Der Boden ist eben und befahrbar, eine sonnenverbrannte Grasfläche mit kleinen blauen Blüten durchsetzt, bewohnt von Unmengen an Grashüpfern.

Doch wie komme ich auf den Hof? Das Tor fällt im Augenblick aus, doch ich könnte durch eine vergrößerte Lücke in der Hecke fahren und schreite daher suchend entlang der Büsche. Tatsächlich stoße ich einige Meter weiter auf einen Durchlass, der in der Vergangenheit die Lösung für das seltene Befahren des Grundstückes gewesen sein könnte. Jetzt muss es für mein Auto gehen. Einige Minuten später holpere ich mit dem Wagen in den Hof und hoffe, dass er mir die Lackkratzer durch das Buschwerk verzeihen wird.

Vor dem Winkelbau finden wir Schutz vor der Mittagssonne und mir fallen Steine vom Herzen, dass ich es bis hierhin geschafft habe. Nach einer kurzen Verschnaufpause öffne ich zum Lüften alle Autotüren, trinke einen Schluck mittlerweile warmes Wasser aus der Flasche und gebe Tartine den Rest in seine Wasserschüssel. »Auf geht es! Liebes Haus, wir kommen!«

Die Schlüssel liegen im Handschuhfach und sind warm wie der Rest des Autos. Der riesige Schlüsselbund erinnert mich an einen Fund vom Flohmarkt und umfasst antike und abenteuerlich aussehende Exemplare, kein Vergleich zu heutigen Schlüsselchen, die sich in der Minderheit im Bund finden. Manche sind leicht angerostet und manche eher ein Kunstwerk als ein Türöffner, dazu gibt es einen Anhänger in Form einer Zikade am alles zusammenhaltenden Ring. Bewaffnet mit dem klimpernden Symbol des Hauseigentümers steige ich die Treppe empor. Breite Steinplatten strahlen die Wärme des Tages aus und in den Fugen trotzt Thymian der Trockenheit und Hitze. Ein zerfallendes Holzgeländer bröselt unter meinem Griff, malerisch, aber nach Restaurierung rufend, und ich lasse die Hände besser bei mir als an ihm Halt zu suchen. Der passende Schlüssel zum Schloss der Haustür ist einer der alten und großen Exemplare, glücklicherweise nicht der allergrößte und nicht verrostet. Ich drehe und drehe und mit Gekrächze und Geraune öffnet sich die Tür in einen dämmrigen Flur. Lichtschalter sind an der Wand, doch ohne Strom, und es bleibt dunkel. Die Tür an der rechten Seite öffnet sich in eine Küche mit glattem Steinboden. Ein großer Raum mit Holzmöbeln und bunten Fliesen an der Wand erwartet mich. Weiße Tücher bedecken wie in einem Hollywood-Klassiker das Mobiliar und der Raum wirkt wie aus einer anderen Zeit. Das Fenster über der Anrichte und der großen Spüle in Richtung Hof kann ich ohne Widerstand öffnen und die Fensterläden bewegen sich zäh und krächzend wie die Haustür. Sonne flutet in den Raum, Staub tanzt im Licht. Eine Küche mit weißen Wänden, zum Teil freiliegendes Mauerwerk, dunkle Balken an der Decke, ein glänzender Holzboden im hinteren Bereich, wo sich viel Platz findet. Dort ist ebenfalls ein Fenster und als dieses geöffnet ist, schmelze ich dahin. Ich habe einen verwilderten Garten vor mir, allerlei Bäume und Sträucher, zu erahnende, überwucherte Beete umgeben von kleinen Mauern, alles terrassenartig sanft abfallend in den Hang mit lichtem Wald und Buschwerk. Im Hintergrund liegt das Bilderbuchdorf mit dem Kirchturm, einem Glockenturm, verschachtelten Dächern und rechts und links Landschaft.

Der Buchtitel »Die schönsten Dörfer der Provence« taucht vor meinem inneren Auge auf – alte Ausgabe, wird nicht mehr neu aufgelegt – hier habe ich das schönste Bild daraus. Das ist besser als die Bildbände in der Bücherei. Und noch besser als meine Tagträume, denn hier sehe, fühle, rieche und höre ich Südfrankreich, kann es anfassen und begreifen, einatmen, erleben. Ich lehne mich an den Fensterrahmen, ich liebe das alles und kann mein Glück und meine Freude kaum fassen. »Bin ich ein Glückskeks? Ich bin einer, definitiv. Ein riesengroßer Keks und mit Schokolade überzogen mit dazugehörendem Glückshund, nicht wahr Tartine?«

Doch der Hund hat wenig Interesse an der Aussicht und meiner Schwärmerei und schnuppert sich durch die Küche und den angrenzenden Raum, in dem ein Esstisch, eine Bank entlang der Wand und Stühle unter den Tüchern schlafen. An dem Durchgang steht ein großer Ofen, Kachelofen und Kochherd in einem Teil vereint, das habe ich noch nie gesehen. Ich gehe zurück in den Flur. Hier sind weiße Wände und antik aussehender Fliesenboden, sonst nichts. Gegenüber der Küchentür wartet eine weitere Tür. Dahinter liegt ein Zimmer, das nach dem Öffnen des Fensters offenbart, dass es ein Büro ist. Ein Schreibtisch steht vor dem Fenster, an den Wänden sind Bücherregale, es gibt leere und gefüllte Fächer, einen gemütlichen Sessel, einen Schrank und wieder alles unter Tüchern versteckt. Ich sehe in meiner Vorstellung den Onkel am Schreibtisch sitzen und schreiben, die Tante im Sessel und in einem Buch blättern. Ein gemütliches Zimmer, das zum Arbeiten und Lesen einlädt. Die Luft ist kühl und ein wenig muffig, doch das ändert sich, als die Fenster offenstehen und Sonne und Zikadenmusik ins Haus wehen. Ich ziehe die Schlagläden ein Stück zu und befestige sie in dieser Stellung mit den im Mauerwerk verankerten Haken. Nun kommt frische Luft in den Raum und es bleibt trotzdem schattig und kühl. Im Flur sehe ich am Ende eine rustikale Tür, die sich unter Murren und mit ein wenig mehr Nachdruck auf die hintere Terrasse öffnen lässt. Ein Traum von Terrasse und mein zukünftiger Lieblingsplatz. Mein Grinsen wird immer ausgeprägter und es ist gut, dass mich keiner sieht, ich mache sicher einen seltsam irren Eindruck. Wir steigen die Stufen in die erste Etage. Holz knarrt, Tartines Krallen kratzen über die Stufen, seit Ewigkeiten ist niemand hier gewesen und die Stiege wundert sich hörbar über das ungewohnte Gewicht. Oben finden wir im Halbdunkeln, mittlerweile habe ich die Handy-Taschenlampe eingeschaltet, ein funkelnagelneues und schlichtes Badezimmer. Von der Badewanne kann man sich bei geöffnetem Fenster in den Garten und das Land träumen, das wird mein zweiter Lieblingsplatz. Hinter den anderen drei Türen liegen leere Zimmer, alle wunderschön mit weißen Wänden und dem dunklen Holzboden, der helleren Decke mit Balken und Putz, den Sprossenfenstern, aber ohne Einrichtung, ohne Steckdosen, ohne Lampen, nur die Kabel winken mir aus der Wand zu. Hier suche ich mir ein Schlafzimmer aus und habe etliche Zimmer zur Verfügung für Gäste, ein Arbeitszimmer oder was man sonst brauchen kann. Von dem Raum zur Hofseite gelange ich durch eine Tür in das Obergeschoss des Anbaus. Hier wohnen ebenso Leere und Schlichtheit in zwei Räumen. Von den Fenstern sehe ich, soweit ihr Sauberkeitsgrad es zulässt, in alle Ecken um das Haus, in den Garten, rechts neben das Haus in die Wildnis und die dahinter liegenden Weinfelder, nach vorne in den Hof, auf das Auto, die Felder und den Wald.

Eine schmale Treppe führt auf den Speicher, der stockdunkel und drückend warm ist. Für hiesige Verhältnisse ist er ordentlich isoliert, aber in der Mittagszeit zu warm für einen längeren Aufenthalt und ich schaue mich nur kurz um. Hier lagern viele Möbel, die obligatorischen Tücher in diesem Haus liegen über allem, Kartons und Verpackungen stapeln sich rechts und links in den Gängen. In der Enge und Hitze ist das nicht mein dritter Lieblingsort und ich steige in die kühleren Stockwerke zurück.

Nach diesem ersten Überblick schaffe ich meine Sachen ins Haus und deponiere sie im hinteren Bereich der Küche. Das nimmt seine Zeit in Anspruch. Die Treppe hoch und die Treppe runter, möglichst das morsche Geländer nicht berühren und nicht stolpern. Die Tücher habe ich schwungvoll von den Möbeln im Küchenbereich gezogen und nun liegen die Gespensterhüllen im Flur. Es sieht großartig aus, selbst mit meinem Durcheinander. Alles ist aus Holz, schlicht und ländlich, zum Teil alte Möbelstücke wie der Tisch und der Eckschrank, zum Teil neue Möbel. Die Einbaugeräte sind modern und fügen sich harmonisch in die Küche ein. Da haben Tante und Onkel eine vorzügliche Auswahl getroffen.

Als das Auto endlich leer und die Dachbox abgeschraubt und im Flur untergebracht ist, schaue ich auf die Uhr. Es ist schon sieben Uhr und ich habe keinen Strom, fällt mir siedend heiß ein. Ich bin verschwitzt und müde, mich juckt es am ganzen Körper und nun noch dieser Schreck.»Ups, das ist jetzt nicht gut, doch wo finde ich den Sicherungskasten?« Ich beginne Selbstgespräche zu führen, aber das ist eine Frage an das Haus, das sicherlich genau weiß, wo ich den Kasten finde. Ich schaue den leicht offenstehenden Kühlschrank fragend an, der weder kalt ist noch eine Beleuchtung aufweisen kann. Noch scheint die Sonne, aber ohne Licht, warmes Wasser und heiße Herdplatte wird es eine ungemütliche Nacht. Ich setze mich zum Überlegen auf einen Küchenstuhl und merke, dass ich nicht mehr aufstehen möchte. Im Haus habe ich keinen Stromkasten gesehen, also muss ich raus und dort nachschauen. Ich wandere suchend um das Haus, soweit es möglich ist, verbrenne mir die Beine an Brennnesseln, zerkratze sie an Brombeerranken und Disteln. Am Anbau verschwindet ein dickes Kabel im Haus, das wird das Stromkabel sein und ich bin erleichtert. Der Sicherungskasten könnte im Keller installiert sein und ich bahne mir leise fluchend den Weg zurück und schaue hinter dem Essbereich nach. Dort gibt es einen Vorratsraum, eine kleine Tür und eine winzige Treppe führt in den Keller. Mit dem Handylicht steige ich langsam die schmalen Stufen herunter. Der Keller ist so dunkel wie eine Grotte, doch direkt neben der Treppe findet sich der ersehnte Sicherungskasten. Ich würde gerne in die schweißnassen Hände klatschen, denn in diesem Kasten, einem Meisterwerk der modernen Elektrik, komme ich dem unbedingt umzulegenden Schalter auf die Spur, mit dem ich den Strom ins Haus fließen lassen kann. Wo ich einmal hier bin, sehe ich daneben einen leuchtend roten Absperrhahn der Wasserleitung aus der Wand ragen. Da lege ich gleichfalls Hand an und den Hahn um, es ist das französische Modell, also nicht Drehen, nur Umlegen. Strom und Wasser fließen jetzt, hoffe ich inbrünstig. Ich klettere das Treppchen hoch in den warmen Nachmittag und im Flur leuchtet das Deckenlicht. Zwar hängt hier nur eine Baulampe, aber dafür empfängt mich strahlende Helligkeit. Der Kühlschrank lässt sich willig anschalten und beginnt zu brummen. Nun zum Wasser. Der Wasserhahn in dem Spülbecken vor dem Fenster zum Hof gurgelt erst besorgniserregend, was Tartine aus seiner Ruhe weckt, aber endlich kommt frisches Wasser. Im Badezimmer lasse ich alle Wasserhähne laufen, halte mir zur Erfrischung die Hände und Arme unter das erste Wasser und schalte zum Schluss den Heißwasserboiler ein, der sich in einem Wandschrank findet. Die Dusche am Abend ist gesichert. »Danke!« Ich bin zufrieden und stolz auf mich, dass ich auch diese Hürden genommen habe und die Haustechnik reibungslos funktioniert.

Der Magen grummelt laut und ich spüre den nagenden Hunger. Wie lange habe ich nichts mehr gegessen? Seit dem zweiten Frühstück auf dem Rastplatz hat es außer Wasser und einem Rest Tee nichts mehr gegeben. Ich gehe im Geist die in den Kühlschrank geräumten Lebensmittel und mitgebrachten Vorräte durch. Ein Ausflug ins Dorf und Essengehen sind zu anstrengend, das spare ich mir für morgen auf und geduscht bin ich auch noch nicht. In einer kleinen Kiste stelle ich ein Abendessen zusammen, schneide das mitgebrachte Baguette auf und suche Besteck und Teller aus der Küchenkiste. Eine Portion Hundefutter kommt in den Napf und der Hund ist versorgt. Mit einem Stuhl vom Esstisch setze ich mich auf die Terrasse, die Kiste kommt auf die Mauer und ich genieße meine erste Mahlzeit im neuen Zuhause. Schwalben ziehen hoch am Himmel und der Abendstern erscheint hinter dem Haus, wie ich bei der Suche nach einem zweiten Bier und dem Blick aus dem Küchenfenster sehe. Ich bin allein mit Tartine, rede mit dem Haus und dem Hund, der das schon kennt, mit dem Kühlschrank und dem Wasserhahn und fühle mich pudelwohl in dieser traumhaften Umgebung.

Gedankenverloren räume ich die Küche auf und schließe die Türen. Hat der Onkel nicht den Nachbarn Bescheid gegeben, dass ich anreise? Es wäre einfacher gewesen, wenn das Tor vor meiner Ankunft offen gewesen wäre und mir jemand geholfen hätte. Aber ich habe es geschafft, auch ohne Hilfe, und wer weiß, was es mit den Nachbarn auf sich hat.

Doch da war noch eine Kleinigkeit neben Strom und Wasser. Das Bett! Ich habe kein Bett. Schlimmer als Schneewittchen, denn die hatte wenigstens Zwergenbetten. Doch wenn es für die letzte Nacht in Bonn mit dem Schlafen auf dem Boden ging, dann geht das auch ein weiteres Mal. Ich suche den Schlafsack, Decken und Kissen aus dem Gepäck und nutze die weißen Tücher als Unterbau für ein Behelfsbett in der Küche.

Meine wenigen ausgepackten Utensilien wirken im spärlich eingerichteten Badezimmer verloren, es sieht aus wie auf einer Baustelle. Aber die Dusche funktioniert, das Wasser ist angenehm warm und der klebrige Schweiß des ganzen Tages löst sich in dem frischen Zitronenduft des Shampoos auf. Ich freue mich darauf in den Schlafsack vor dem Küchenschrank zu kriechen, flechte die nassen Haare in einen Zopf und schlüpfe in ein bequemes T-Shirt. Auf dem Handy finde ich Nachrichten von der Familie, von Susa und Sylvie, die mir gute Nacht wünschen. Tartine schläft in seinem Korb und auch ich schlafe ein, eingehüllt in die Vorsommernacht, in die Nachtgeräusche von Käuzchen, Füchsen, den Hunden im Dorf und Grillen der Nacht und in Vorfreude auf den Morgen.

Kapitel 6

Mein Tag beginnt früh, denn bequem ist dieses »Bett« nicht. Vom Boden aus sehe ich mir die Küche von unten an, sozusagen aus der Glückshund-Perspektive. Es ist dämmrig, die Fensterläden nach vorne sind geschlossen und nur das Fenster zum Garten lässt die Morgensonne hinein. Tartine blinzelt mir aus dem Korb zu, streckt und reckt sich. Ich versuche urlaubsmäßig entspannt liegen zu bleiben, doch die Neugier übertrumpft die erzwungene Ruhe und ich schäle mich aus dem Schlafsack. Die Nacht auf dem Boden war nicht gut für meinen Rücken, merke ich beim Aufstehen. Steif gehe ich zu den Fenstern, stoße die Schlagläden auf und genieße: die wunderschöne Aussicht vorne, die wunderbare Aussicht hinten, die kühle Luft, die durch das Haus zieht. Ich spaziere einmal durch das ganze Haus und fühle mich wie in meinem Traum.

»Kaffee und Frühstück, das wäre jetzt das Richtige und überhaupt, guten Morgen, liebes Mas.« Ich richte mir ein einfaches Frühstück und nehme meinen Kaffeebecher und eine Schüssel Müsli mit auf die Lieblingsterrasse. Tartine war in der Gartenwildnis unterwegs und kommt nass und mit Kletten und Grassamen im Fell zurück. Er frühstückt eilig den Rest aus der Hundefutterdose, um erneut im Garten zu verschwinden. Ich bin zwischen der Sorge, dass ihm etwas zustößt und dem Wunsch, ihm Freiheit zu lassen hin und her gerissen. Am besten sehe ich mir das Grundstück an, wie groß es ist, wie es eingezäunt ist, wo der Weg am Ende des Gartens unter einem Rest eines Rosenbogens ohne Rosen hinführt. Wie weit ist es fußläufig zum Dorf und wo wohnt der Nachbar, der das Haus hüten soll? Es gibt so viel zu entdecken. Geräuschvoll schlürfe ich den Kaffee aus und suche eine lange Hose, Wanderschuhe und Socken. Das Grün ist taufeucht, wie Perlen hängen die Tropfen in der Morgensonne an den Lavendelbüschen und in den Spinngeweben. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Im Garten gibt es Inseln mit Blumen, die mir die Umrisse früherer Beete anzeigen. Die Vorstellung von einem prachtvollen provenzalischen Garten schwebt wie eine Traumwolke über mir. Grüne und bunte Ideen erfüllen diese Wolke, Bilder aus Gartenbüchern und Katalogen vermischen sich mit meinen Vorstellungen.

An der linken Hausseite erstreckt sich ein langer Schuppen mit schrägem Dach. An der Vorderseite ist er teilweise offen und vollgestellt mit Brennholz, Karren und alten Ackergeräten, Leitern, Dachziegeln und Baumaterialien. Ich komme von ihm aus wieder vor das Haus, wo das Auto im Schatten parkt. In der Mitte des Vorplatzes steht der für das Haus namensgebende Maronenbaum, ein Ess- oder Edelkastanienbaum, nicht sehr hoch, aber stämmig und rund gewachsen. Hier kann man eine Bank um den Stamm bauen, träume ich, in seinem Schatten im Sommer Kaffee trinken, im Herbst die Maronen aufsammeln und an frostigen Wintertagen im Ofen rösten. Ich schaue in das grüne, dichte Blätterdach und einmal um den Baum herum.

Rechts vom Haupthaus schließt sich der Anbau an und bildet einen Winkel mit dem Haus. Daneben steht ein Mauerstück mit dem besagten malerischen Tor, was momentan als solches nicht zu gebrauchen ist. Warum ist es zugewuchert und damit verschlossen? Wieder stellt sich die Frage nach den Nachbarn, die das Haus hüten sollen. Neben dem Anbau liegt Wildnis, alles ist voller Dornen und Ranken und dahinter sind große Weinfelder, die von Hecken umrahmt werden. Ich gehe zum Schuppen zurück und habe auf dieser Grundstücksseite leichteres Spiel bei meinem Rundgang. Hier ist eine Wiese mit Wildblumen und am Rand wachsen Olivenbäume, ältere, knorrige und schiefe, und einige jüngere und aufrechte Bäume. Eine Hecke dient als Begrenzung, die im hinteren Bereich dicht und ohne die Lücken wie vorne am Tor ist. Das Buschwerk ist undurchdringlich und wild gewachsen und sollte geschnitten werden. Dahinter wird ein Acker sein oder der Nachbar wohnen, aber durch die Hecke kann ich nichts erkennen. Der Hund raschelt im Gras, die Vögel singen, die Zikaden schlafen noch und warten auf die Sonnenwärme.

Bevor es auf dem Dachboden ungemütlich warm wird, beschließe ich, den Gartenrundgang zu beenden und eine zweite Exkursion auf den Speicher einzuschieben. Dort werde ich hoffentlich ein Bett und andere Möbelstücke finden. Hier oben ist es fast wie in einem Möbelgeschäft, nur ohne Durchsagen und Musik, und ich bin allein im Laden. In unzähligen Kisten stapeln sich Geschirr und Lampen und ich finde Kartons mit Fliesen und Kacheln, Körbe, Eimer, Töpfe von anno dazumal und verschlossene, geheimnisvolle Umzugskisten. Da werde ich Einiges für meinen Hausrat, die Ausstattung der Küche und der anderen Zimmer finden. Doch wo sind Betten? Ich räume lange umher und bahne mir neue Wege und Stichstraßen durch den Trödel und finde erleichtert die Einzelteile eines Bettes, schlicht und antik und hoffentlich vollständig. Es scheint breit zu sein, ausreichend mindestens für eine, wenn nicht für zwei Personen. Da das Bett in vier Einzelteile zerlegt wurde, schaffe ich es, diese zur Speichertür zu ziehen und mit einer großen Portion Geduld die Treppe herunterzutragen. Vor dem Aufbau des Bettes suche ich mir nach einem Rundgang durch alle Zimmer, Betrachten der jeweiligen Aussicht und Bedenken der Lage im Haus mein Schlafzimmer aus. Die Wahl fällt auf den Raum mit Aussicht in den Garten. Hier kann ich bei offenem Fenster vom Bett die Baumwipfel des Waldes und viel blauen Himmel sehen, was mir gefällt.

Das Verbinden der Einzelteile zu einem Bett gelingt dank der Erfahrungen im Zusammenbau von Möbeln einer bestimmten schwedischen Firma, die oftmals eine größere Herausforderung darstellten als dieses Exemplar. Es ist ein herrliches Bett, das ich mir genauso im Möbelgeschäft ausgewählt hätte. Vorsichtig ziehe ich es an Ort und Stelle und bewundere das Bett und mich selbst. Ein passender Lattenrost findet sich neben der Tür, stabil und in Folie gehüllt, doch die Matratze fehlt. Auf dem ganzen Speicher findet sich keine Matratze, stelle ich nach einer letzten Runde fest. Die Luft wird langsam, aber sicher warm und mir auch. Ende mit der Speichererforschung und hinab in die Küche.

Nun habe ich nur noch ein Matratzen-Problem, das es zu lösen gilt. Ein Ausflug ins Dorf und in den nächsten Ort steht unausweichlich an. Ich leide mit dem Auto, als es sich ein zweites Mal durch die Hecke quält und ich sehe in Gedanken meinen Bruder mit dem Kopf schütteln und missbilligend die Kratzer begutachten. Tartine schaut interessiert aus dem Autofenster, denn manchmal kommen wir an Hunden und Katzen vorbei, denen er freundlich auf seine Art mit einem leisen Wuff Hallo sagen kann. Wir queren im ersten Gang das Dorf und auch ich schaue neugierig nach beiden Seiten. An der Kreuzung zur Hauptstraße stehen unter ausladenden Platanen einige Stühle. An der Seite ist eine Bushaltestelle mit einem kleinen Haltestellenhaus. Ältere Dorfbewohner sitzen hier zusammen, beobachten jedes Auto, jeden Traktor, jedes Fahrrad und jeden vorbeikommenden Wanderer, lesen die Zeitung und schwatzen miteinander. Ein kleiner Treffpunkt im Dorf für die Senioren, luftig, gesellig und unterhaltsam und ich würde gerne einmal ihren Gesprächen lauschen. Sicher wissen sie viel von früher zu berichten, sie kennen das Dorf und seine Geschichten.Jetzt geht es auf der Hauptstraße in sanften Kurven bergab. Wir rollen durch Weinfelder, Gebüsch und Wald, es folgen eingezäunte Wiesen mit Eichenbäumen, Lavendelfelder, Kirschbaumplantagen und zwei Dörfer in Richtung Bagnols. Dort hoffe ich alle großen Geschäfte, die Hypermarchés und Giant Casinos, einen Baumarkt, und besonders einen Bettenladen zu finden. Und richtig, am ersten Kreisverkehr des Ortes liegt in einem Gewerbegebiet eine Ansammlung von Geschäften, die mir den Luxus eines Matratzen- und Bettenladen bieten. Ich teste ein Dutzend Matratzen wie die Prinzessin auf der Erbse, finde meine Matratze und der Angestellte verspricht mir eine Lieferung der Ware am Spätnachmittag. Diesen Punkt kann ich abhaken auf meiner Liste und das Thema Bett ist erledigt. Ich gönne mir einen kurzen Besuch im Supermarkt, der direkt gegenüber liegt, kaufe Dosenfutter für Tartine und versuche mich beim Durchstreifen der langen Gänge zu erinnern, welche Grundnahrungsmittel in meiner Küche fehlen.

Den Nachmittag verbringe ich mit Aufräumen und Einräumen und Warten auf die Matratze. Ich genieße jeden Augenblick, schaue aus den Fenstern, beobachte die Schmetterlinge und Vögel im Garten, mache wiederholt Pausen mit einer Tasse Tee auf der Terrasse und komme aus dem Strahlen nicht mehr raus. Hoffentlich klappt das mit der Matratze, denke ich und in diesem Moment sehe ich einen weißen Lieferwagen die Straße hochfahren. Ich sprinte los, denn der Wagen passt bei aller Liebe nicht durch die Heckeneinfahrt. »Hallo und bonjour und Entschuldigung, ich bin erst einen Tag hier und leider, es tut mir wirklich leid, kann man nicht einfach so auf den Hof vor dem Haus fahren. Wir müssen die Matratze dort vorne durch die Hecke tragen …«

Meine atemlose Begrüßung lässt den Fahrer schmunzeln. Er parkt den Wagen vor dem Tor, öffnet die hintere Tür, zieht mühelos, wie mir scheint, die große Matratze hervor, packt sie auf seine Schultern und stiefelt ohne Worte hinter mir her. Wir schaffen es mit vereinten Kräften durch die Hecke, dann über die Treppe und mit einigem Rangieren auch das Treppenhaus hoch bis zu meinem Bettgestell. »Voilà, das hätten wir geschafft«, ist endlich der erste Kommentar des Mannes. Bei einem Glas Wasser entsteht doch noch ein Dialog und ein erster und praktischer Kontakt. Der junge Mann hat, welch ein Zufall, einen gärtnernden Bruder, der mit seinen Arbeitskollegen meine Torsituation und den Heckenschnitt in Angriff nehmen wird. Der junge Mann heißt Jean. Einer von vielen Jeans, die ich kennenlernen werde, und er bekommt zur Unterscheidung von den anderen den internen Zusatz Matratzen-Jean und ein zweites kühles Wasser als Dankeschön.

Ich seufze zufrieden und lasse mich rücklings auf die Bettstelle fallen. Das ist ein Schritt nach vorne, kommt mir bei der Rückwärtsbewegung in den Sinn, und ich freue mich wie eine Prinzessin auf die Nacht im richtigen Bett. So vergeht der Nachmittag und die Sonne verabschiedet sich hinter dem Hügel. Das Radio in der Küche leistet Gesellschaft und informiert über die Ereignisse weltweit und vor allem national geprägt, was in Frankreich geschieht. Ich habe einiges aus den Kisten geräumt und mich eingerichtet. Es sieht gemütlich aus und auf der Anrichte liegt ein Erledigungszettel, den es in den nächsten Tagen abzuarbeiten gilt.

Am Abend bin ich früh in meinem neuen Schlafzimmer, es ist noch nicht ganz dunkel draußen. Eine Lampe steht auf dem Boden und verbreitet gemütliches Licht in dem sonst leeren Raum. Auf einer Weinkiste liegen das Handy und Bücher und neben mir steht der Hundekorb mit dem schlafenden Hund. Das Bett lockt mich mit der neuen und frisch bezogenen Matratze, meinem Kopfkissen, der Sommer-Bettdecke und der schönen, cremefarbenen Überdecke, die ich elegant zurückgeschlagen habe. Ich lese mit Mühen und Gähnen zwei Seiten in meiner Abendlektüre, kuschele mich in meine Decke, rieche den heimeligen Geruch, fühle den weichen Stoff, bin zuhause und schlafe.

Kapitel 7

An den nächsten beiden Tagen schneiden und häckseln die drei Gärtner, was das Zeug hält. Am dritten Tag sieht das Grundstück verändert aus: Das Tor liegt frei und es kann geöffnet und geschlossen werden, wozu es geplant und gebaut wurde. Die Anlieferung einer weiteren Matratze wird ein Kinderspiel sein. Die Wildnis auf der rechten Seite ist komplett gerodet, der Boden umgepflügt und der Garten hinter dem Haus in groben Zügen aufgeräumt. Die Hecken sind zurückgeschnitten und das anfallende Häckselgut ist unter den Bäumen verteilt. Ich habe den tatkräftigen Männern, einem Jacques, einem André und einem Paul, geholfen, sie mit Getränken versorgt und zwischendurch im Haus gearbeitet. Die frühen Morgenstunden verbrachte ich auf dem Speicher, habe herumgeräumt und viele Einrichtungsgegenstände »ausgegraben«. Die Männer hatten schweres Gerät zum Bewerkstelligen der Arbeit dabei und es waren zwei unruhige und laute Tage mit Traktorbrummen, Motorsägen- und Freischneidergekreische. Zwischendurch war, wie auf einer Baustelle, ein kleiner Bagger zu sehen, der seinen gelb leuchtenden Arm aus dem Gestrüpp reckte. Tartine war zwischen der Begeisterung über den Besuch und Trubel und dem Lärm und Gestank der Motoren zerrissen und am Abend so erschöpft, dass er direkt nach der letzten Portion Futter einschlief.

Am Sonntag wache ich in einem neuen Haus mit neuem Garten auf und freue mich. Keine Handwerker und keine Arbeit, kein Krach und Heulen der Motoren, ich werde heute chillen und den Tag genießen. Ich bin erst eine Woche in Salazac, habe viel erledigt und Haus und Garten zum Leben erweckt. Die Zeit ist rasch verflogen, die Tage prall gefüllt mit ungewohnter Arbeit und neuen Bekanntschaften. Für ein bisher eher faules Stadtmädchen eine Leistung. Ich bereue nichts, weder den Umzug noch die Neuorientierung. Gut, die Familie und Freunde fehlen mir, ein wenig, ein wenig viel.

Ich räkele mich trotz Muskelkater im Bett, das ein antikes Nachtschränkchen zur Gesellschaft und Vervollständigung des Ensembles bekommen hat. Neben dem altmodischen Wecker, der unten im Büro stand, steht das Foto von Johannes, der mich morgens lächelnd begrüßt und abends liebevoll in den Schlaf begleitet. Ich betrachte ihn verträumt und ein wenig melancholisch, um ihm dann beim Aufstehen einen Kuss auf die Lippen unter dem Glas zu drücken. Die Kommode gegenüber, die auf dem Möbelspeicher war, und die vorerst meinen Kleiderschrank darstellt, ist ein wahres Prachtstück. Sie ist aus dunklem Holz und hat eine auffallende mittlere Schublade, die mit Schnitzereien verziert ist, während die Schubladen über und unter ihr ohne Zierrat sind.

Meine Gedanken schweifen in den Garten, besser in die Baustelle des Gartens. Was stelle ich mit dem Feld an? Nutzgarten und Bauerngarten mit Gemüse oder Olivenbäume und Obstbäume? Ein Gewächshaus und/oder einen Hühnerstall? Ein Zaun um den Garten wegen der Rehe und Wildschweine und einen Zaun um das Hühnergehege wegen des Fuchses? Zahm müssen die Hühner werden, damit ich sie auf den Arm nehmen kann. Isabelle mit Huhn im Arm und einem Korb voll Ich-weiß-was-nicht-alles-Gemüse. Es gibt Eier und eigene Suppenhühner. Jetzt geht mir die Hühnerschar durch und am frühen Morgen bin ich am Suppe kochen? Obwohl bei der Gemüseflut, die ich in meinen Träumen erwarte? Wer soll das essen? Entweder eine große Familie, hoppla, oder viele hungrige Freunde zu Besuch und meine Familie. Ende der Reise in die Zukunft und auf in die Realität eines sonnigen Sonntages, raus aus den Federn.

Ich drehe eine Runde im Traum-Badezimmer, das immer noch spartanisch ausgestattet ist, was seine Vorzüge hat, denke man nur ans Putzen und Aufräumen. Die Aussicht und die Morgenluft, die durch das offene Fenster strömt, machen mich munter und Kaffeekochen und Frühstück zubereiten in der schon besser eingerichteten Küche lassen mich singen und summen. Ich genieße die Morgensonne auf der Terrasse und Tartine kontrolliert den Garten. Die Vögel zwitschern und sonst herrscht Ruhe, absolute Ruhe. Keine Autos, keine Traktoren, keine Stimmen, nur Natur.

Nach dem Frühstück gehe ich durch den Garten zum Waldabhang, um den Weg zu erkunden. Dieser Bereich ist mit stabilem Knotendraht umzäunt, der auch im oberen Teil zu finden ist, wo es keine Hecke gibt. Dadurch habe ich mit Sicherheit keine Wildschweine, freilaufende Hunde oder ähnliche Störenfriede zu fürchten und mein Hund kann nicht entwischen. Mir tun die Männer leid, die den Zaun gesetzt haben in diesem unwegsamen, steinigen Gelände. Ob der Onkel oder der Vorbesitzer den Zaunbau veranlasst hatten? Wem gehörte das Mas vorher? Wer hat hier vor langen Jahren gelebt? Fragen über Fragen spazieren mit in den Wald.

Der Pfad schlängelt sich hinter dem antiken Rosenbogen zwischen den Steineichen, den Buchsbäumen und Gebüsch bergab. Zwischen malerischen, niedrigen Mauern und bemoosten Felsen wächst ein bizarr gewachsener Baum zwischen Farn und Moos, hübscher kann es ein Landschaftsarchitekt nicht gestalten. Immer wieder bleibe ich stehen, mache Fotos und entferne Zweige und dicke Zapfen von dem Weg, auf dem lange niemand spaziert ist. Es geht weiter bergab. Wasser rauscht und der Pfad endet mit einem Mini-Mini-Strand am Bach. Hier fließt er über dicke Steine und staut sich in einem Becken, bevor er zwischen dichtem Gebüsch verschwindet. Ein eigener, wenn auch kleiner Strand und Pool! Tartine ist begeistert und steht bis zum Bauch im kühlen Nass. Das will nicht viel heißen bei seiner Größe und er bleibt auch in Ufernähe. Ich streife die Turnschuhe und Socken ab und teste unser Naturbad. Das Wasser ist kalt, im Kontrast zu der warmen Luft sogar eisig. Hier kann ich mich an Sommernachmittagen abkühlen und der Hund kann nach Herzenslust planschen. Tartine springt auf dem Rückweg munter vor mir her, schaut rechts und links des Pfades nach allen für ihn interessanten Details. Ich schnaufe wie ein Mops und vermisse schmerzlich eine bessere Kondition, doch die werde ich mit der Zeit bekommen.

Nach Stunden mit Auf- und Einräumen und weiteren Speicherentdeckungen sitze ich zum Abschluss des Tages auf der Terrasse, genieße den Abend und eiskalte Zitronenlimonade und freue mich auf die nächste Woche. Die Arme und Beine werden sommerlich braun, ich kann jeden Tag in einer kurzen Hose und in einem T-Shirt laufen und suche mir nur abends und morgens einen Pullover zum Überziehen. Die meist nackten Füße bedürfen abends einer gründlichen Wäsche, aber ich liebe es barfuß zu laufen, die warmen Steine auf der Treppe, die kühlen Fliesen im Flur und morgens den Tau im Gras zu fühlen.