Island Sisters (Liebesgeschichten von Walker Island, Buch 1-3) - Bella Andre - E-Book

Island Sisters (Liebesgeschichten von Walker Island, Buch 1-3) E-Book

Bella Andre

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Beschreibung

"Ich wurde von der Romantik mitgerissen!" ~ 5 Sterne Drei herzerwärmende Geschichten aus der Bestsellerreihe "Walker Island" Kommen Sie auf einen Besuch nach Walker Island, wo Sie atemberaubende Ausblicke auf den Nordwestpazifik bekommen. Finden Sie Männer, die zu faszinierend sind, um ihnen zu widerstehen ... und fünf eng verbundene Schwestern, die alle dabei sind, ihre wahre Liebe zu finden! Für immer deine Liebe Hanna Walker hat vier Jahre auf dem Festland in Seattle verbracht. Als sie auf die heimatliche Walker Island zurückkehrt, um eine Dokumentation über die berühmt-berüchtigte Peterson-Walker-Fehde der frühen Fünfziger Jahre zu drehen, muss sie schockiert feststellen, dass die ganze Sache immer noch die Gemüter erregt und heftige Gefühle auslöst. Vor allem, was Joel Peterson betrifft, der für sie absolut tabu sein sollte … in ihren Träumen jedoch immer wieder auftaucht. Diese Liebe ist wie keine Morgan Walker, die Maskenbildnerin der Stars, hätte nie gedacht, dass sie New York City einmal verlassen würde, um nach Walker Island zurückzukehren. Doch als sie in ihrer eigenen Umstyling-Show im Fernsehen auftreten soll, beschließt sie, dass es der perfekte Zeitpunkt ist, um ihre Bio-Makeup-Linie auf den Markt zu bringen – aus Blumen und Pflanzen, die auf einem Grundstück der Familie Walker angebaut werden. Obwohl sie durchaus begeistert von der Idee ist, ein paar Wochen mit ihren Schwestern und ihrer Großmutter zu verbringen, die sie ansonsten kaum mehr zu Gesicht bekommt, sieht sie einem möglichen Wiedersehen mit Brian Russell äußerst besorgt entgegen. Obwohl sie sich sieben Jahre zuvor getrennt hatten, hat sie ihn dennoch niemals vergessen können. Nicht für einen einzigen Tag ... Liebe aus heiterem Himmel Es gab eine Zeit, in der sich Rachel Walker nach Abenteuern sehnte – und diesen auch auf der Spur war. Doch nachdem ihr damaliger Freund herausgefunden hatte, dass sie schwanger war, ließ er sie sitzen. Also zog sie einen Schlussstrich unter ihre wilden Jahre und kümmerte sich alleine um ihre Tochter Charlotte. Sie schwor sich, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Als Rachel für ihre Schwester beim Dreh einer Fernsehsendung mit dem Profisurfer Nicholas Quinn auf Walker Island einspringen muss, befürchtet sie folglich nicht im Geringsten, dass sie ihr Herz an ihn verlieren könnte. Erst als sie ihn zum ersten Mal lächeln sieht, wird ihr klar, dass ihr Herz am Ende doch nicht völlig unzugänglich für Verheißungen in Sachen atemloser Aufregung ist ... "Liebesgeschichten von Walker Island" Für immer deine Liebe Diese Liebe ist wie keine Liebe aus heiterem Himmel Alles aus Liebe Für immer in Liebe vereint "MARRIED IN MALIBU" Wellen der Gefühle Die Sommerhochzeit Braut ohne Schuhe Hochzeit im Mondschein "VIER HOCHZEITEN UND EIN FIASKO" Liebe ganz unerwartet Mit der Liebe flirten Schon mal was von Liebe gehört? Kennst du die Regeln der Liebe? Gib dich der Liebe hin "Muss man gelesen haben! Lucy Kevin hat es wieder mal geschafft! Sie schreibt von der ersten Seite an so mitreißend, dass man das Buch erst wieder aus der Hand legen kann, wenn man durch ist. Ms. Kevin ist eine wirklich talentierte Autorin. Wenn Sie bisher noch keines ihrer Bücher gelesen haben, haben Sie wirklich etwas verpasst. Sie sollten sie auf jeden Fall ausprobieren. Sie werden es nicht bereuen. "Ich liebe dieses Buch. Es erinnert mich an Nora Roberts Hochzeits-Reihe. Ich kann es kaum erwarten, dass Phoebe endlich die wahre Liebe findet. Das Rose Chalet ist ein interessanter Ort, um Menschen, die zunächst so gar nicht füreinander bestimmt zu sein scheinen, zusammenfinden zu lassen." "Was für ein mitreißendes Lesevergnügen für uns romantische Liebesromanfans. Ich habe jede Minute geliebt und habe bis tief in die Nacht hinein gelesen. Ich kann den zweiten Band der Reihe kaum erwarten."

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Inhaltsverzeichnis

Für immer deine Liebe

Liebesgeschichten von Walker Island

Buch 1

Diese Liebe ist wie keine

Liebesgeschichten von Walker Island

Buch 2

Liebe aus heiterem Himmel

Liebesgeschichten von Walker Island

Buch 3

Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache

Über die Autorin

Für immer deine Liebe

Liebesgeschichten von Walker Island

Buch 1

Lucy Kevin

Für immer deine Liebe

Liebesgeschichten von Walker Island, Buch 1

© 2022 Bella Andre schreibt als Lucy Kevin

Übersetzung: Birgit Bichler – Language+ Literary Translations, LLC

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Besuchen Sie Walker Island, wo atemberaubende Ausblicke auf den pazifischen Nordwesten der USA, unwiderstehliche Kerle … und fünf bildhübsche, eng miteinander verbundene Schwestern auf Sie warten, von denen jede letztlich ihre einzig wahre Liebe findet.

Hanna Walker hat vier Jahre auf dem Festland in Seattle verbracht. Als sie auf die heimatliche Walker Island zurückkehrt, um eine Dokumentation über die berühmt-berüchtigte Peterson-Walker-Fehde der frühen Fünfziger Jahre zu drehen, muss sie schockiert feststellen, dass die ganze Sache immer noch die Gemüter erregt und heftige Gefühle auslöst. Vor allem, was Joel Peterson betrifft, der für sie absolut tabu sein sollte … in ihren Träumen jedoch immer wieder auftaucht.

Joel will auf keinen Fall, dass Hanna längst Vergangenes wieder ausgräbt. Als er jedoch erkennt, dass sie fest entschlossen ist, ihr Vorhaben um jeden Preis umzusetzen, weiß er, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als sich mit ihr zusammenzutun. Obwohl er sich felsenfest vornimmt, seine wachsende Zuneigung für Hanna im Zaum zu halten, muss Joel sich im Laufe der gemeinsamen Nachforschungen über die wahre Geschichte ihrer Familien bald schon eingestehen, dass die Liebe eine unaufhaltsame Macht ist … und dass manchmal zwei Menschen einfach füreinander bestimmt sind.

KAPITEL 1

Hanna Walker stand an Deck der Fähre und genoss die aufspritzende Gischt auf ihrem Gesicht und den Wind, der ihr Haar zersauste, während sie versuchte, ihre Videokamera trotz der Schaukelbewegungen des Bootes ruhig zu halten. Als die Insel, die ihrer Form nach einem Butternusskürbis glich, in Sicht kam, verlagerte sie ihre Aufmerksamkeit vom Meer und dem blauen Himmel auf Walker Island.

Zuhause.

Sie hatte vier Jahre lang an der University of Washington in Seattle auf ihren Abschluss in Filmwissenschaften hingearbeitet, aber jedes Mal, wenn sie auf die Insel zurückkehrte, fühlte sie sich immer noch wie zu Hause. Es war ihr während der vergangenen Jahre nicht gelungen, sich von Schule und Teilzeitjob so oft loszueisen, wie sie sich das gewünscht hätte, aber in ihrer Vorstellung war die ganze Walker-Bande stets überaus lebendig.

Da war ihre Großmutter Ava, eine bestechend schöne Frau von achtzig Jahren, die ihr Tanzstudio mit einem derart unbändigen Elan leitete, als wäre sie nur halb so alt gewesen. Ihr Vater Tres, der seine Brille bei der Benotung von Arbeiten seiner Englisch-Schüler oder der Planung einer seiner Klassenfahrten mindestens drei Mal täglich auf seinem Kopf „verlor“. Ihre älteste Schwester Emily, die alle im Hause mit einem riesigen Frühstück versorgte, bevor sie sich in einen ihrer arbeitsreichen Tage als Vertrauenslehrerin an der kombinierten Junior High School und High School der Insel stürzte. Ihre zweitälteste Schwester Rachel, die für eine Versicherungsagentur arbeitete und stets mindestens drei Dinge gleichzeitig erledigte, während ihre fünfjährige Tochter Charlotte sie ausgelassen umkreiste. Ihre mittlere Schwester Paige, die sich stets elegant in Trikot und Strumpfhosen präsentierte und in Grandmas Studio Tanzunterricht gab. Nur ihre Schwester Morgan, die mit ihren fünfundzwanzig Jahren nur zwei Jahre älter als Hanna war, sollte diesmal nicht mit von der Partie sein. Stattdessen würde sie sich den Aufnahmen für ihre gefragten Makeover-Videos in New York City widmen. Oder möglicherweise mit ihren Makeup-Pinseln irgendwo in Los Angeles oder Paris Wunder wirken, indem sie irgendwelchen Leinwandstars einen atemberaubenden Look verpasste, bevor diese sich auf einer Premierenfeier mit Strahlelächeln deluxe in Szene setzten, damit auch die Fotografen auf ihre Kosten kamen.

Genau solche Aufnahmen sollte ich jetzt auch machen, ermahnte Hanna sich selbst. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit gerade noch rechtzeitig zurück auf das Wasser, um eine an der Oberfläche auftauchende Walmutter mit ihrem Kalb zu filmen, deren Fontäne aus dem Atemloch mindestens viereinhalb Meter hoch in die Luft schoss. Hanna fing das Spiel der Tropfen bis ins kleinste Detail ein und machte sich die Sonneneinstrahlung zunutze, um den kurzzeitig auftauchenden Regenbogen, der den feinen Sprühnebel durchbrach, auf Bild zu bannen. Gleich darauf erblickte sie weitere Wale derselben Herde, die Seite an Seite mit den anderen durchs Wasser glitten, und verfolgte sie mit ihrer Kamera, bis die Walmutter erneut in die Tiefen des Ozeans abtauchte.

Während der nächsten paar Monate würde es auf der Insel am hektischsten sein, denn zu dieser Jahreszeit war sie sowohl von Touristen als auch von Forscherteams bevölkert, die aus aller Welt anreisten, um die Walwanderungen zu beobachten. Der Sommer war neben den Weihnachtsferien eine jener Zeiten, in denen das Leben auf Walker Island am stärksten pulsierte. Der einzige Nachteil eines Heimaturlaubs während der Sommermonate bestand darin, dass ihr Vater dann üblicherweise mit seinen Schülern auf Europareise war, um den Kids die Schauplätze der großen Weltliteratur näherzubringen.

Hanna hielt Ausschau nach weiteren Walen im Wasser, doch diese waren vorläufig von der Bildfläche verschwunden. Und vielleicht war das in Anbetracht dessen, dass sie Professor Karlson im Geiste zu ihr sprechen hörte, als befände er sich neben ihr auf dem Boot, auch gut so.

„Mir ist klar, dass du ein Motiv umsetzen kannst, Hanna. Jetzt musst du mir – und auch dir selbst – noch beweisen, dass du dem Ganzen etwas Seele einhauchen kannst.“

Sie hatte lange schon den Überblick darüber verloren, wie oft sie versucht hatte, weiter in die Tiefe zu gehen. Jeder dieser Versuche hatte einzig und allein darin geendet, dass er ihr sagte, sie wäre noch nicht weit genug zum emotionalen Kern ihres Objekts vorgedrungen. Unglücklicherweise hatte er ihr das letztmalig zu verstehen gegeben, als sie ihre Bewerbung für den Master-Studiengang im Fach Dokumentarfilme einreichte.

„Wenn du in das Programm aufgenommen werden willst, dann musst du mir schon mehr zeigen, als dass du eine Kamera halten oder mal eben eine Geschichte erzählen kannst. Du musst mir dein Innerstes zeigen, Hanna. Das ist zwar der schwierigste Teil an der Sache, es unterscheidet aber auch einen echten Dokumentarfilmer von allen anderen.“

Sie hatte Glück gehabt, dass er sie vorläufig in den Aufbaustudiengang aufgenommen hatte. Bedingung für diese Aufnahme war, dass sie ihm zeigen musste, dass sie der Herausforderung gewachsen war, eine Doku zu drehen, die sie selbst wirklich bewegte und deshalb auch das Potenzial hatte, andere zu bewegen.

Damals spürte Hanna, dass es Zeit war, nach Walker Island zurückzukehren. Wenn Professor Karlson nämlich etwas ,mit Herz‘ sehen wollte, dann musste sie dorthin gehen, wo ihr Herz zuhause war.

Auf der Fähre fand sie zwei gegenüberliegende Sitzplätze, die frei waren. Sie positionierte ihre Videokamera auf einem von beiden und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite. Morgan war zwar die einzige der Walker-Schwestern, die für ihre Makeup-Clips regelmäßig vor die Kamera trat, doch auch Hanna hatte während ihres Studiums an genügend Filmprojekten teilgenommen, dass sie sich vor der Linse ziemlich wohl fühlte. Im Hintergrund würde der Zuseher genug vom Meer und von der Insel sehen, um zu verstehen, dass sie sich auf einer Fähre im pazifischen Nordwesten befand.

„Ich befinde mich auf der Heimfahrt nach Walker Island. Bevor wir in den Hafen einlaufen, möchte ich ihnen einen kurzen Einblick in die Geschichte der Insel geben.“ Hanna wusste, dass sie – wenn nötig – vermutlich einige Teile davon herausschneiden würde müssen, aber sie hätte gegen Ende ihres Projekts immer noch ein paar bessere Bilder hineinarbeiten können, die zum Ton passten.

„Auf der Insel gibt es seit mindestens dreihundert Jahren Indianersiedlungen und auch heute noch existieren zahlreiche, wichtige archäologische Funde von Snohomish-Siedlungen. 1921 verlor mein Urgroßvater William Walker seine familiengeführte Farm nördlich von Seattle. Er war so ungeheuer verzweifelt, dass er über das Meer davonsegelte und beabsichtigte, nie mehr wieder zurückzukehren oder eine Farm zu bewirtschaften. Doch als sein Boot an der Küste von Walker Island angeschwemmt wurde – wo er verschiedenste Arten von wilden Heidelbeeren und Brombeeren fand, die doppelt so prall und geschmacksintensiv waren als alle auf dem Festland angebauten – deutete er das als ein Zeichen dafür, dass er es nochmals versuchen sollte. Und es sollte nicht nur ein Neustart in Sachen Landwirtschaft sein, sondern er wollte auch die Walker-Familie neu gründen. Sein Entschluss stellte sich im Nachhinein als Glücksfall heraus, denn dank des Mikroklimas, das auf vielen Inseln im pazifischen Nordwesten herrscht, überlebten seine Farmen sowohl die Weltwirtschaftskrise als auch die große Jahrhundertdürre mit ihren Staubstürmen. Das Hauptproblem, mit dem sich mein Urgroßvater konfrontiert sah, war der optimale Abtransport der Beeren von der Insel. Zum Glück präsentierte sich die Lösung in Gestalt einer vor Ort ansässigen Muschelzüchterfamilie namens Peterson, die ihm dabei half und die später auch das größte Schifffahrtsun­ternehmen auf Walker Island leitete und die Inselfähren betrieb.“

Hanna fuhr mit der Erzählung der Geschichte, die sie auswendig konnte, vor der Kamera fort. „Mein Großvater William Walker II., der sich immer weit mehr für Bildung als für die Führung einer Beerenfarm interessierte, errichtete auf der Insel die kombinierte Junior High und High School. Darüber hinaus war auch seine Hochzeit mit Poppy, der einzigen Tochter der Petersons, geplant. Durch die Vermählung wollte man sowohl die wirtschaftlichen als auch die privaten Beziehungen der beiden Inselfamilien konsolidieren und besiegeln.“

Hanna hatte die Überfahrt mit der Fähre zwischen Seattle und Walker Island schon so viele Male unternommen, dass sie bei der Fahrt rund um die Südspitze der Insel bereits wusste, dass der Kapitän gleich die Passagiere über den Lautsprecher auffordern würde, zu ihren Autos im Deck unter den Passagierräumen zurückzugehen. Die sechzig Sekunden, die ihr bis zur lautstarken Durchsage noch blieben, nutzte sie, um zu sagen: „Dieser Dokumentarfilm wird die Geschichte und problematischen Ereignisse nacherzählen, die daraufhin folgten. So etwa wurde die Verlobung widerrufen, das Beerengeschäft an den größten Marmeladenhersteller der Vereinigten Staaten verkauft und zwischen den Petersons und den Walkers entbrannte ein erbitterter Streit, der Jahrzehnte andauerte.“

Gerade als der Kapitän seine Durchsage startete, schnappte sich Hanna ihre Kamera und lief das Deck entlang zur Fußgängerwartezone, von wo aus sie beim Anlegen der Fähre eine Totalaufnahme von Hafen machen konnte.

Ein paar Minuten später und nachdem Hanna die Fähre verlassen hatte, lächelte ihr ein Mann zu, der einen Hut mir der Aufschrift ,Walker Island Walbeobach­tungstouren‘ trug. „Hallo, Hanna. Schön, dich wieder mal auf der Insel zu sehen. Deine Großmutter spricht seit Wochen von nichts anderem mehr als von deiner Rückkehr.“

Jonas organisierte schon seit vielen Jahren solche Touren und Hanna kannte ihn ziemlich gut. „Toll, wieder hier zu sein“, sagte sie mit einem Lächeln. „Wie geht es Jenny?“

„Großartig.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Wir haben vor kurzem erst ein kleines Mädchen namens Madison bekommen.“ Er zog rasch ein Foto des niedlichen Säuglings hervor, welches Hanna und auch alle anderen ringsum mit Ooh- und Aah-Rufen kommentierten.

„Sie ist zauberhaft, Jonas. Gratuliere.“

Während sie beiseite trat, damit alle Interessierten ihre Karten für die Wal-Tour kaufen konnten, bemerkte sie mit Staunen, wie schön es doch war, wieder zu Hause zu sein. So sehr sie Seattle auch liebte, mit Walker Island konnte es die Stadt nicht aufnehmen.

Da sie wusste, dass alle in ihrer Familie während der nächsten paar Stunden vermutlich mit Arbeit eingedeckt sein würden, beschloss sie, noch etwas zusätzliches Bildmaterial von der Insel zu sammeln, solange der Himmel noch wolkenlos war. Sie filmte eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die gerade auf dem Weg zu den Gezeitentümpeln waren. Eine der Frauen, die schon mehrmals Gastvorträge an der High School der Insel gehalten hatte, erkannte Hanna und winkte ihr zum Gruß. Danach machte sie ein paar Aufnahme von einem der vielen einheimischen Künstler, der gerade an einem Ölgemälde vom Hafen arbeitete, und willigte sogar ein, Modell zu stehen, falls es ihr gelang, im Lauf der folgenden Wochen ein paar Stunden hie und da abzuzweigen.

Sobald sie für ihren Geschmack genügend Material für einen typischen Sommertag auf Walker Island zusammengetragen hatte, legte sie ihre Kamera aus der Hand, um den Leiter des lokalen Geschichtsvereins anzurufen. Benjamin Neale war auch Betreiber des außerordentlich beliebten Eisstands, weshalb es sie nicht wunderte, dass sie lediglich seine Mailbox erreichte. „Mister Neale, hier spricht Hanna Walker. Ich wollte nur nachfragen, ob ich immer noch die lokalen Archive einsehen kann, so wie wir es vor ein paar Wochen besprochen haben. Ich bin eben erst auf der Insel angekommen und würde mich über Ihren Rückruf bei Gelegenheit freuen.“

Hanna hatte ihre Nachricht gerade beendet, als sie spürte, wie eine kleine Hand an ihrer Hose zerrte. Ein kleiner Junge, ungefähr im Alter ihrer Nichte, hatte sich von seiner Touristenfamilie entfernt und sah zu ihr hoch.

„Bist du berühmt?“

Hanna schenkte ihm ein Lächeln. „Wie kommst du darauf, dass ich berühmt bin?“

„Es scheint, als würden dich alle hier kennen“, sagte der Junge, „du musst also berühmt sein. Noch dazu hast du diese rosa Strähnen im Haar wie ein Rockstar.“

„Ich bin nicht berühmt“, gab Hanna ihm schmunzelnd zu verstehen. „Meine Schwester Morgan ist ein wenig berühmt, aber nur, weil sie manchmal im Fernsehen auftritt. Die Leute kennen mich hauptsächlich, weil ich eine Walker bin.“

„Wow“, sagte der Junge mit hörbar beeindruckter Stimme, „soll das etwa heißen, dass Walker Island dir gehört?“

Hanna lachte. „Nein, ganz so ist das nicht.“

Und während sie darüber nachdachte und der Junge zu seiner Familie zurücklief, um ihnen ausführlich Bericht zu erstatten, wurde ihr bewusst, dass es keinesfalls so war. Ihr Urgroßvater hatte die ganze Insel vielleicht für kurze Zeit allein für sich gehabt, doch ihr ganzes Leben war wie das jeder anderen Familie gewesen und sie taten das, was alle auf der Insel taten, um über die Runden zu kommen.

Die Walkers hatten sich nie vor harter Arbeit gescheut. Ihre Schwestern hatten allesamt bei der Beerenernte mitgeholfen, als sie noch jünger waren, und sie selbst musste sich durchs College kämpfen, so wie alle anderen auch. Nur weil ihr Urgroßvater der erste Siedler auf der Insel gewesen war, waren sie lange noch keine Mitglieder irgendeines Königshauses oder sonst irgendetwas Besonderes.

Und obwohl Hanna hie und da darüber nachdachte, wie es wohl gewesen wäre, an einem Ort aufzuwachsen, der nicht nach ihrer Familie benannt worden war, und der nicht so klein war, dass alle sie zumindest vom Sehen her kannten, wusste sie eines ganz bestimmt: Es hätte sich anderswo nicht wie Zuhause angefühlt.

Gerade in jenem Moment klingelte ihr Telefon und sie freute sich wahnsinnig darüber, dass Mister Neale mitten im Eisgeschäft Zeit gefunden hatte, um sie zurückzurufen.

„Hallo, Hanna. Ich wollte Sie nur wegen Ihres Besuchs in den Archiven zurückrufen. Es tut mir leid, aber es gab ein kleines …“ Er räusperte sich, bevor er fortfuhr. „Nun ja, es gibt da ein kleines Problem hinsichtlich Ihres Projekts.“

„Ein Problem?“ Hanna gefiel gar nicht, was sie da hörte. Ihre Großmutter sollte zwar die Hauptperson in ihrer Doku sein, aber die Interviews mit ihr mussten durch sorgfältige Recherchen untermauert werden. Sie brauchte sowohl Namen als auch Daten. Und Dokumente. Wichtige Komponenten, die dem Werk genug Tiefe verleihen sollten, damit sie sich einen Platz im Masterstudiengang für Filmemacher sichern konnte. „Wo liegt das Problem?“

Mister Neale räusperte sich erneut und fühlte sich spürbar unbehaglich. „Es tut mir leid, aber ein Mitglied unseres Komitees hat Ihren Antrag auf Nutzung der Archive blockiert.“

„Warum sollte das jemand tun?“ Hanna hatte angenommen, dass es sich bei ihrem Antrag auf Zugang zu den Archiven um eine reine Formsache handelte.

„Ich fürchte, dass ich Ihnen leider nichts Näheres dazu sagen kann, Miss Walker.“

„Wissen Sie denn vielleicht, bis wann das Problem aus dem Weg geräumt sein wird?“, fragte sie und hoffte dabei, dass sich ihre Stimme geduldig anhörte. „Ich habe nämlich wirklich nur diesen Sommer Zeit, um die Dokumentation abzuschließen. Und ich muss diese Dokumentation unbedingt abschließen.“

„Tut mir leid“, entgegnete er und fairerweise muss man sagen, dass er sich tatsächlich anhörte, als würde es ihm leid tun. „Joel Peterson hat jedoch deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht möchte, dass Sie für eine Dokumentation Zugang zu den Archiven erhalten. Ich muss jetzt aber zurück an die Arbeit. Sieht aus, als würde gleich ein ganzer Trupp Kinder eintrudeln. Machen Sie’s gut, Hanna.“

Während sie ihr Telefon wieder in die Tasche schob, versuchte sie zu verstehen, was der Vorsitzende des Geschichtsvereins ihr eben mitgeteilt hatte. Warum hätte Joel sie bloß von den Archiven fernhalten wollen?

Joel war ein Schulkamerad ihrer Schwester Rachel gewesen und folglich sieben Jahre älter als Hanna. Sie erinnerte sich daran, wie sie während eines Footballspiels am Spielfeldrand gesessen und ihm beim Spiel zugesehen hatte. Er war Quarterback und schien stets unantastbar, sobald er in Ballbesitz war. Noch dazu war er der attraktivste Junge, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Seit der High School hatte sie ihn im Lauf der Jahre immer wieder auf der Insel gesehen, nahm jedoch an, dass sie in seinen Augen immer noch Rachels kleines Schwesterchen war. Als Erwachsene hatten sie sich ja auch noch nie miteinander unterhalten.

Und es war ganz klar an der Zeit, das zu ändern. Sie hätte freilich nach Hause gehen und sich wieder einleben können, aber es war besser, Joel zuerst ausfindig zu machen und Ordnung in das ganze Chaos zu bringen. Wenn sie erst einmal miteinander redeten, davon war sie überzeugt, würde sich seine Weigerung, ihr Zugang zu den Archiven zu gewähren, als bloßer Fehler herausstellen.

Nebenbei musste sie zugeben, dass es sie interessierte, wie der hübsche Junge vom Football-Platz geraten war.

KAPITEL 2

„Guten Morgen, Margaret“, sagte Joel als er das Büro der Reederei Peterson betrat. Margaret war früher die Sekretärin seines Vaters gewesen, und Joel kannte sie schon über dreißig Jahre. Damals war er gerade dabei, sich die Grundkenntnisse des Betriebs anzueignen, von dem er immer wusste, dass er ihn einmal erben würde. „Was steht heute auf dem Programm?“

„Es gibt ein paar Nachrichten auf Ihrem Schreibtisch, die Sie sich noch vor Ihrem Treffen mit Frank Williams vom Verband der Muschelzüchter um elf Uhr ansehen sollten. Und wenn ich das nebenbei anmerken darf“, sagte sie liebevoll lächelnd, „Ihre Krawatte passt hervorragend zu Ihrem Hemd.“

Margaret hatte sie ihm ein paar Wochen zuvor anlässlich seines Geburtstags geschenkt. Und obwohl er sich beim Tragen einer Krawatte immer fühlte, als hätte er eine Schlinge um den Hals, lächelte Joel zurück. „Danke, Margaret. Und bitte geben Sie mir Bescheid, wenn Frank da ist.“

Er ging in sein Büro. Vor ihm war es das Büro seines Vaters und davor das seines Großvaters gewesen. Joel hatte die gerahmten Zeitungsfotos der beiden anlässlich der Verleihung von Branche­nauszeichnungen und den großen, massiven Zedernholz­schreibtisch am Fenster behalten, von dem aus man einen direkten Ausblick auf das Wasser hatte. Joel schwang die Tür hinter sich zu und lockerte dann die Krawatte, damit er wieder richtig atmen konnte.

„Wenn wir keine entsprechende Leistung bringen“, sagte sein Vater oft, „wie können wir dann erwarten, dass die Leute uns respektieren?“

Peterson Shipping war zwar nicht das größte Schifffahrtsun­ternehmen weltweit, der Betrieb erforderte jedoch konstante Aufmerksamkeit. Als Kind war Joel nicht in der Lage gewesen zu verstehen, weshalb sein Vater an so vielen Samstagen arbeiten musste. Nun verstand er es.

Den Ozean interessierten keine Wochentage und einen Skipper, der in Inselnähe in Schwierigkeiten geriet, wohl auch nicht.

Joel begann, seine E-Mails und Nachrichten durchzugehen. Die der Bootskapitäne waren natürlich zuerst dran. Wenn man sich nämlich nicht um seine Boote und die Crews kümmerte, verdiente man es nicht, eine Reederei zu führen. So einfach war das.

Nun ja, vielleicht nicht unbedingt einfach. Rund um die Insel war nichts einfach. Es gab üblicherweise mindestens drei oder vier Beschwerden, die auf ihn warteten. Die dringlichste Reklamation an diesem Tag betraf einen zwielichtigen Bootsführer, wegen dem er der Hafenmeisterei in Kürze einen Besuch abstatten würde müssen. Das Gute an der Sache war, dass er irgendwann tatsächlich aus dem Büro kommen und zum Hafen hinunter gehen konnte.

Als Joel noch ein Kind war und während der Ferien zusammen mit seinem Vater in kleinen Booten um die Insel segelte, schien ihn die Aussicht auf die Führung des Unternehmens Peterson Shipping zu einem wahren Glückskind zu machen. In Wahrheit war es aber so, dass Joel Saison um Saison immer weniger Zeit auf Schiffen und mehr Zeit mit Papierkram und dem Versenden von E-Mails verbrachte.

Er begann, das Protokoll der letzten Versammlung des Verbands der Muschelzüchter durchzulesen, als eine letzte Nachricht von Margaret bei ihm einging. Zuerst sah er den Namen – Hanna Walker – und dann erst, dass Benjamin Neale erneut wegen ihrer Anfrage zwecks Besichtigung der lokalen Archive angerufen hatte.

„Hanna Walker möchte eine Dokumentation darüber machen, was zwischen Ihrer Familie und den Walkers vorgefallen ist“, hatte Benjamin ihm einige Wochen zuvor mitgeteilt. „Sie möchte Zugang zu den Archiven. Derzeit hat niemand anderer im Vorstand irgendwelche Einwände dagegen …“

„Nein“, hatte Joel gesagt. „Auf gar keinen Fall.“

Und das war’s dann auch, nahm er zumindest an. Jetzt aber lag ihm eine weitere Nachricht von ihr vor. Was wollte die Jüngste der Walker-Schwestern denn mit ihrer Doku erreichen? Alte Wunden wieder aufreißen? Alte Auseinandersetzungen erneut vom Zaun brechen?

Joel beabsichtigte nichts davon. Die Vergangenheit sollte Vergangenheit bleiben.

Ihr Großvater hatte den Peterson-Walker-Zusammenschluss in den Sand gesetzt und seine Großtante Poppy hatte sich das Leben genommen. Warum wollte irgendwer all die alten Geschichten wieder aufwärmen?

Sinn machte nur, dass Hanna offensichtlich vorhatte, all ihr zur Verfügung stehendes Know-how im Umgang mit einer Videokamera einzusetzen, um die Vergangenheit neu zu erfinden. War es nicht so, dass die Leute tendenziell alles glaubten, was ihnen über den Bildschirm als Wahrheit präsentiert wurde? Ein paar Wahrheiten gemischt mit ein paar Lügen und schon würde die Walker-Familie weit besser dastehen als sie es in Wirklichkeit war. Durch den Zugang zu den Archiven würde Hanna vermutlich in der Lage sein, genug Informationen zu sammeln, um ihre notdürftig fabrizierte Version der Wahrheit, die sie verkaufen wollte, glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Joel konnte das nicht riskieren. Und er würde es nicht riskieren.

Das war er seiner Familie schuldig.

Er kannte fast alle ihrer älteren Schwestern aus der Schule, aber in seiner Erinnerung war Hanna Emily, Rachel, Paige und Morgan stets wie ein kleiner Schatten gefolgt. Natürlich war es nicht so, dass Joel in der Schule jemals wirklich viel mit den Walkers zu tun gehabt hätte. Schließlich war er ein Peterson.

Er schüttelte den Kopf, nachdem er sich gerade wieder dem Sitzungsprotokoll zum Thema Kennzahlen in der Muschelaussaat zugewandt hatte, als er hörte, wie Margaret draußen vor seiner Türe mit jemandem debattierte.

„Es tut mir leid, aber Mister Peterson darf jetzt nicht gestört werden. Er muss gleich zu einem Meeting …“

„Verstehe“, sagte eine andere Frau, „aber wenn gerade niemand bei ihm ist, kann ich ja ein paar Minuten zu ihm. Es gibt da nur ein kleines Missverständnis zwischen uns, das geklärt werden muss.“

Joel konnte nicht einmal mehr seine Krawatte zurechtrücken, da rannte die Frau bereits die Tür zu seinem Büro ein. Sie war verhältnismäßig klein, feingliedrig und ungeheuer gutaussehend, wenn auch auf eine etwas eigenwillige Art und Weise. Ihr blondes Haar war mit hellrosa Strähnchen durchsetzt und ihre Augen blitzten blau und ungestüm unter ihrem Pony hervor. Sogar in Cargohosen und einer Jeansjacke konnte man nicht übersehen, dass sie eine hinreißende Figur hatte.

Als Quarterback an der High School, Sohn des örtlichen Reederei-Magnaten und späterer Leiter des Familienunternehmens hatte Joel eine gute Ration an Beziehungen mit attraktiven Frauen abbekommen. Doch da war etwas einmalig Anziehendes an der Art, mit der diese Frau auf seinen Schreibtisch zumarschierte. So als würde nichts und niemand auf der Welt sie davon abhalten zu bekommen, was sie wollte.

Natürlich waren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei andere Aspekte ziemlich offensichtlich, die beide die Anziehung, die Joel zunächst empfand, abschwächen hätten sollen. Erstens war sie wahrscheinlich erst Anfang zwanzig und das war viel zu jung für ihn. Der zweite Aspekt war aber noch viel wichtiger.

Sie war eine Walker.

Hanna Walker.

Mag sein, dass sie die jüngste Walker-Schwester war, aber schon lange kein kleines Mädchen mehr. In keinerlei Hinsicht.

„Oh, wow“, sagte sie und ihre Augen weiteten sich, als sie plötzlich innehielt und ihn anstarrte. „Du würdest vor der Kamera eine fabelhafte Figur machen.“

„Hanna …“

„Du kennst mich noch.“ Sie klang überrascht. „Ich war mir nicht sicher. Ich bin schließlich erwachsen geworden.“

Ja, dachte er, das bist du wirklich. Sie war ihm so nahe, dass er den frischen Meeresduft, der von ihr ausging, riechen konnte. Er nahm an, dass sie eben erst mit der Fähre gekommen sein musste. Er wusste, dass sie gekommen war, um ihn zu überreden, sie in die Archive zu lassen. Doch allein der Blick in ihr hübsches Gesicht brachte seine Gehirnzellen derart durcheinander, dass er es nicht mehr schaffte, sie zu ordnen und ihr mitzuteilen, dass er seine Meinung nicht ändern würde, als sie bereits näher kam … und sein Innenleben mit jedem ihrer Schritte zusehends durcheinan­derwirbelte.

„Ich habe eben mit Mister Neale gesprochen, Er hat mir gesagt, dass du nicht möchtest, dass ich Zugang zu den Archiven bekomme. Ich war aber der Meinung, dass da etwas nicht stimmen kann. Ich meine, warum solltest du das sagen? Und da Mister Neale heute voll und ganz mit seinem Eisladen beschäftigt ist, dachte ich mir, ich komme einfach vorbei und spreche direkt mit dir. Und weißt du was, du würdest bei Aufnahmen echt gut rüberkommen. Vielleicht können wir ja einen Beitrag in die Dokumentation einbauen, bei dem du über die gegenwärtige Situation der Petersons ein paar Generationen nach Beendigung der großen Familienfehde sprichst? Und wir könnten auch ein paar Aufnahmen über die Muschelzucht machen. Denn obwohl ich weiß, dass sie nicht wirklich relevant für unsere Familiengeschichten ist, ist sie doch ein wichtiger Bestandteil der Inselkultur und ein bedeutender Wirtschaftszweig.“ Sie hielt gerade noch inne, um Luft zu holen, und fügte rasch hinzu: „Es wäre also großartig, wenn du Mister Neale Bescheid sagen könntest, dass es sich lediglich um eine kleine Verwechslung gehandelt hat. Noch besser wäre es, wenn du heute noch mit ihm sprechen könntest. Ich muss nämlich unverzüglich mit den Arbeiten zu meiner Dokumentation beginnen, damit ich das ganze Material noch überarbeiten und vor Ende des Sommers einreichen kann.“

Joel war offen gestanden fassungslos angesichts Hannas leidenschaftlichen Engagements. Er hatte gehofft, dass ihr Interesse an der Walker-Peterson-Fehde nicht von Dauer sein würde. Doch als sie sich noch näher auf ihn zu bewegte – nahe genug, damit er zusätzlich zur Meeresbrise auf ihrer Haut auch den Lavendelduft ihres Shampoos wahrnehmen konnte – wurde ihm klar, dass er dem Ganzen auf der Stelle ein Ende setzen musste. Und zwar restlos.

„Es gibt keine Verwechslung.“ Er drückte sich von seinem Schreibtisch weg und begab sich auf die andere Seite des Raumes, weg von all ihrer unglaublichen Schönheit und Leidenschaft. „Ich werde dir keinen Zugang zu den Geschichtsarchiven gewähren.“

„Aber warum nicht?“

Wie nur, fragte er sich, konnte sie seine Antwort nur so ernsthaft überraschen? „Hat dir deine Großmutter nicht den Grund genannt?“

Zum ersten Mal seit sie sein Büro betreten hatte wirkte sie etwas verunsichert. „Ich habe noch nicht wirklich mit Grandma darüber gesprochen“, gestand Hanna. „Das Interview mit ihr ist einer der Höhepunkte der Doku. Wenn ich ihr erzählen würde, was ich demnächst vorhabe, könnte das ihre spontane Reaktion beeinträchtigen. Bei Dokumentarfilmen ist es überaus wichtig, dass man die echten Reaktionen der Menschen einfängt.“

„Oh, du kannst mir glauben“, sagte Joel zu ihr, „sobald du das deiner Großmutter gegenüber zur Sprache bringst, bekommst du eine echte Reaktion. Sicherlich sind dir die Einzelheiten des Inselskandals bekannt, nicht wahr?“ Details eines Konflikts, die Joel solange er sich zurückerinnern konnte eingetrichtert worden waren.

„Ein paar davon“, entgegnete sie. „Obwohl ich nicht alles wissen kann, solange ich nicht die Möglichkeit bekomme, mir die Archive richtig anzusehen.“

„Nein“, sagte er erneut. „Und wenn du erst einmal mit deiner Großmutter gesprochen hast, wirst du bestimmt verstehen, weshalb ich dein Doku-Projekt nicht unterstützen kann.“

Noch bevor Hanna weiter über ihr Anliegen debattieren konnte, öffnete Margaret die Tür. „Frank Williams ist jetzt hier, Joel. Soll er ein paar Minuten warten?“

Hanna kam ihr zuvor. „Nein, ist schon in Ordnung. Ich muss ohnehin nach Hause, damit meine Familie weiß, dass ich wieder hier bin.“ Im krassen Gegensatz zu ihrem ungestümen Auftritt von vorhin gab sie sich nun überaus höflich und sagte: „Danke, dass du dir Zeit genommen hast, Joel.“

Als sie sich umdrehte und mit aufrechtem Oberkörper und erhobenen Hauptes hinausspazierte, musste Joel ganz einfach wieder ihre Anmut bewundern. Nur mit äußerster Mühe konnte er die strahlende Vorstellung von ihr aus seinem Kopf verbannen, als er dem Leiter des Verbands der Muschelzüchter die Hand schüttelte, und versuchte, sich auf die Besprechung zu konzentrieren, um mitzubekommen, welche Änderungen sie umsetzen wollten. Mit seinen Gedanken war er jedoch die ganze Zeit an einem völlig anderen Ort.

Er dachte immer noch an Hanna …

KAPITEL 3

„Hanna?“ Ava Walker trat gerade in jenem Moment aus der Eingangstür, in dem Hanna das Haus betreten wollte. „Wann bist du angekommen, Liebes? Wir hätten dich doch an der Fähre abgeholt.“

Es gab Leute, die behaupteten, Ava wäre in ihrer Jugend eine echte Schönheit gewesen. Hanna dachte immer schon, dass diese Leute falsch lagen. Ihre Großmutter war immer noch wunderschön. Mit regelmäßiger Bewegung und gesunder Ernährung bewahrte sie sich ihre glänzende Form und ihre Körperhaltung glich immer noch der einer Tänzerin. Darüber hinaus war da immer noch dieses sagenhafte Feuer in ihren strahlend blauen Augen.

„Ich bin mit der Fähre um zwei gekommen, wollte aber keinen von euch von der Arbeit abhalten. Außerdem war es ein so herrlicher Tag, dass ich ihn nutzen wollte, um Bildmaterial von der Stadt zu sammeln.“

Sie hatte die Zeit in der Stadt total genossen … das heißt, bis sie in den Büros der Reederei Peterson auf Joel getroffen war. Hanna hatte sich immer darüber gefreut, wenn sie während Schulferien auf die Insel zurückkehren konnte. In diesem Moment konnte sie jedoch an nichts anderes denken als daran, wie Joel ihre Doku-Pläne völlig zunichte gemacht hatte.

„Was ist los, Hanna?“ Während Ava die Frage stellte, griff sie nach Hannas Hand. „Du scheinst total aufgebracht.“

„Nein, es ist …“ Hanna schüttelte den Kopf. Wenn ihre Großmutter gerade dabei war, das Haus zu verlassen, hätte sie nicht genug Zeit, um ihr alle Einzelheiten zu erzählen. „Wir können später darüber reden, wenn du jetzt das Studio für die Nachmittagskurse aufsperren musst.“

„Das hat Paige schon erledigt“, versicherte Ava ihr. „Und ich bin mir sicher, sie kommt auch noch ein Weilchen länger ohne mich zurecht, während du mir erzählst, was los ist.“ Sie legte ihren Arm um Hannas Hüfte und sagte: „Komm, lass uns ins Haus gehen.“

Gemeinsam gingen sie zurück ins Haus und geradewegs in die Küche. Das große alte Haus, in dem bereits viele Generationen von Walkers gelebt hatten, war zwar kein Herrenhaus, bot jedoch ausreichend Platz für fünf energiegeladene, ständig herumlaufende Kinder. Die Küche war der größte Raum im Haus. Sie war mit einem riesigen Esstisch ausgestattet, an dem die gesamte Familie zu den Mahlzeiten Platz fand.

Hanna überraschte es nicht, als sie einen Mann in Karohemd und Jeans erblickte, der sich unter dem Waschbecken zu schaffen machte. Michael Bennet hatte als Teenager einige Jahre bei den Walkers gelebt, nachdem er seine Eltern verloren hatte. Für Hanna war er immer wie ein großer Bruder gewesen. Das traf auch auf all ihre Schwestern zu. Na ja, auf alle mit Ausnahme von Emily, die immer wenn sie den dunkeläugigen und dunkelhaarigen Mann sah, der ständig ihren Weg kreuzte, ihre Gefühle nur schwerlich zu verbergen vermochte …

Als er sie erblickte, sprang Michael augenblicklich hoch und umarmte sie herzlich. „Ich dachte, du wärst in Seattle und wir wären dich für alle Zeit los. Offensichtlich habe ich mich damit geirrt.“

„Weiß Emily, dass du an ihrer Spüle herumfummelst?“ Hanna konterte mit einem breiten Grinsen und umarmte ihn ebenso fest.

„Nein, aber jetzt weiß sie es“, sagte Hannas älteste Schwester, die in der Küchentür stand.

Hanna hatte oft gedacht, dass Emily die hübscheste von ihnen allen war, wenn sie an manchen Tagen auch zu beschäftigt schien, um einen Riesenaufwand in punkto Aussehen zu betreiben. Heute hatte sie ihre Haare zusammengebunden und trug kein Makeup, was Morgans Maskenbildnerinnen-Seele zutiefst erschüttert hätte. Emily war stets weit mehr als nur eine große Schwester gewesen. Nachdem ihre Mutter verstorben war, hatte sie sich der Herausforderung gestellt und sich um alle anderen Geschwister gekümmert.

„Willkommen zuhause, Hanna“, sagte Emily, während auch sie sie umarmte, bevor sie sich Michael zuwandte. „Du hast deine Mannschaft hoffentlich nicht bei Mrs. Hellman zurückgelassen, nur um unser Spülbecken zu reparieren, stimmt‘s?“

„Ava hat mich gebeten, es mir anzusehen. Und jetzt“, sagte er, als er den Wasserhahn aufdrehte und Wasser ins Becken strömte, „musst du es nicht mehr tun.“

Hanna beobachtete, wie sich die Emotionen im Gesicht ihrer großen Schwester abzeichneten. Emily schien Gefallen an Michaels Nähe zu finden und konnte sichtlich nicht genug davon bekommen, bevor sie alles wieder zunichte machte.

„Danke“, sagte Emily schließlich. „Dafür, dass du es gerade rechtzeitig repariert hast, damit ich das Abendessen für alle vorbereiten kann. Möchtest du hierbleiben und mit uns essen?“

Michaels Augen waren erfüllt von demselben Verlangen, dass Hanna eben erst in den Augen ihrer Schwester wahrgenommen hatte, während er Emily dabei zusah, wie sie zielstrebig auf den Kühlschrank zusteuerte und drei Paprikaschoten herausnahm. „Nur, wenn es für alle reicht.“

Aber nun mal Spaß beiseite. Wie viele Jahre würden die beiden dieses Spiel wohl noch miteinander spielen? Hanna war von ihnen beiden enttäuscht, setzte sich zu ihrer Großmutter an den Küchentisch und sagte: „Sie kocht immer genug für alle.“ Da sowohl Michael als auch Emily verwundert über ihren Tonfall zu sein schienen, entschuldigte sie sich auf der Stelle. „Tut mir leid. Es war nicht abfällig gemeint.“

Ihre Großmutter griff nach ihrer Hand. „Was ist los, Hanna? Was stimmt nicht?“

Sie wusste, dass sie sich besser fühlten würde, wenn sie sich alles von der Seele redete. Gleichzeitig hasste sie es jedoch, gleich nach ihrer Ankunft nach Hause mit Klagen über ihren Film – und Joel – allen die Stimmung zu verderben.

Als sie nicht augenblicklich ihr Herz ausschüttete, drückte Großmutter ihre Hand. „Was auch immer für Probleme du hast, ich bin mir ganz sicher, dass wir alle zusammen eine Lösung finden, wenn du uns sagst, worum es geht.“

„Wenn Joel Peterson dabei etwas zu sagen hat, dann sicher nicht“, antwortete Hanna mit mehr Nachdruck als sie beabsichtigt hatte. „Um ehrlich zu sein, war ich gerade eben bei ihm im Büro.“

„Du hast dem jungen Peterson einen Besuch abgestattet?“, sagte Ava und zog dabei ihre Augenbrauen vor lauter Überraschung nach oben.

„Er ist kein kleiner Junge mehr, Grandma“, sagte Emily und stellte als kleine Vorspeise einen Teller mit Crackern, Käse und Obst auf den Tisch. „Er ist der Chef der Reederei Peterson und nur ein paar Jahre jünger als ich.“

„Was hat Joel denn getan, dass du so verärgert bist?“, fragte Michael, während er zwei Scheiben reifen Cheddar auf einen Cracker lud.

„Ich wurde nur vorläufig in den Masterstudiengang aufgenommen und muss jetzt eine Arbeit abliefern, mit der ich mir meinen Studienplatz auch wirklich verdiene. Etwas mit Herz.“ Hanna gab ihrem unbändigen Verlangen danach, ihre Hand vor lauter Frust auf die Tischplatte zu knallen, nicht nach. Im Zuge so manchen Wutanfalls in ihrer Jugend hatte sie gelernt, dass der Tisch der Walkers viel härter war als ihre Hand. „Da Joel mir jetzt aber den Zugang zu den Archiven verweigert, kann ich mein Projekt völlig vergessen.“

„Weshalb wolltest du überhaupt Zugang zu den Archiven?“, fragte Ava.

Hanna dachte über Joels abschließende Worte nach. Er schien den Eindruck zu haben, dass ihre Großmutter keinen Gefallen daran finden würde, wenn sie ihr von ihrem Vorhaben erzählte. Damit konnte er ja wohl nicht richtig liegen, oder doch? Die Fehde zwischen den Petersons und den Walkers gehörte längst der Vergangenheit an. Und dennoch hatte Hanna irgendwie das Gefühl, dass die Geschichte erzählt werden musste.

„Ich möchte eine Dokumentation über den Bruch zwischen den Petersons und den Walkers machen.“

„Bist du verrückt?“, fragte Emily.

Hanna starrte ihre ältere Schwester schockiert an. Bist du verrückt war exakt einer jener Sprüche, den Vertrauenslehrerinnen besser nicht von sich geben sollten. Zudem hatte ihre Schwester ihr immer Beistand geleistet. Egal was Hanna auch brauchte, Emily – und der Rest der Schwestern – hatten ihr in der Vergangenheit stets geholfen. Beziehungsweise konnte man fast behaupten, dass sie manchmal sogar versuchten, ihr zu viel zu helfen.

„Die Inselfehde ist das perfekte Thema für eine Dokumentation. Es gibt dabei eine Geschichte und Spannungen und ich habe mit dem Archiv eine großartige Informationsquelle. Noch dazu ist Grandma die einzig noch lebende Person, die weiß, was tatsächlich geschah.“

„Nun ist es aber so, dass Joel nicht will, dass du Zugang zu den Archiven bekommst“, gab Ava behutsam zu bedenken.

„Ist vermutlich auch besser so“, sagte Emily, als sie ihr Messer in die Paprikaschote bohrte. „Es gibt eine Unmenge anderer Dinge auf der Insel, über die du berichten könntest.“

„Was denn zum Beispiel?“, fragte Hanna ihre Schwester und konnte sich gerade noch eine weitere abfällige Bemerkung verkneifen. „Die Walwanderungen?“

„Sicher, warum auch nicht?“

„Ich habe kein Interesse an einer Wildtierdoku“, gab Hanna beharrlich von sich. „Und selbst wenn es so wäre, hätte ich keine Möglichkeit, mir die dafür nötige, sündhaft teure Kameraausrüstung zu beschaffen.“

„Okay, dann machst du eben keine Dokumentation über Wale. Wie wär’s mit dem Verschwinden der Snohomish von unserer Insel vor zweihundert Jahren? Zu diesem Thema hat nie zuvor jemand ganze Arbeit geleistet und erklärt, was tatsächlich vor sich gegangen ist. Du könntest dich auch mit den Theorien beschäftigen, die dahinterstecken.“

„Du hast recht“, sagte Hanna. „Man sollte in jedem Fall eine Dokumentation über der Verschwinden der Snohomish machen. Aber ich bin nicht die richtige Person, um die Geschichte zu erzählen. Denn was ich wirklich will – und unbedingt tun muss, wenn ich mir meinen Platz im Aufbaustudiengang irgendwie sichern will – ist, einen Film über etwas zu drehen, das mit mir zu tun hat. Einen Film über ein Thema, das mir wirklich am Herzen liegt und mich bewegt.“

„Wenn es dir wirklich ein Herzensanliegen wäre“, sagte Emily. „dann würdest du Grandma nicht in die Sache hineinziehen. Du stichst damit in ein Wespennest. Und wozu soll das gut sein? Für irgendeine Dokumentation? Glaubst du wirklich, die Leute wollen sich einen blöden Streit zwischen zwei Familien ansehen, der längst vergangen ist? Möchtest du jemanden verletzen, Hanna?“

Hanna konnte sich nicht daran erinnern, ihre Schwester ihr gegenüber jemals so aufgebracht erlebt zu haben. Gelegentlich war sie entnervt, ja, aber niemals derart wütend. „Nein, natürlich möchte ich niemand verletzten!“, feuerte sie zurück. „Aber …“

„Das reicht jetzt, ihr beiden.“

Ava erhob zwar nicht ihre Stimme, aber Hanna und Emily verstummten beide unverzüglich. Es war genauso wie in ihrer Kindheit, wenn Rachel und Morgan sich in den Haaren lagen, um im Mittelpunkt zu stehen. Grandma war auch damals als einzige in der Lage gewesen, ihnen Einhalt zu gebieten. „Was ist los, Emily und Hanna? Möchtet ihr wirklich einen Streit vom Zaun brechen?“

Hanna schüttelte den Kopf. Emily tat es ihr gleich.

„Ich möchte nur nicht, dass Hanna etwas tut, das dich verletzt“, sagte Emily.

„Das werde ich auch nicht tun“, wiederholte Hanna mit Nachdruck. „Ich möchte nur ein Interview mit dir führen Grandma. Ich möchte dadurch herausfinden, was damals wirklich geschah und wie du dich dabei gefühlt hast.“

„Und ich möchte, dass meine Enkelinnen ihre Träume verwirklichen können, auch wenn es schmerzt.“ Sie schenkte jeder von ihnen ein zaghaftes Lächeln. „Als Morgan uns verließ, um ihre TV-Karriere auf dem Festland zu verfolgen, hatten wir allesamt gemischte Gefühle. Daran kann ich mich noch genau erinnern. Es tat weh, sie nicht mehr um sich zu haben, aber zumindest wissen wir alle, dass sie das tut, was sie liebt. Ihr alle solltet das tun, was ihr liebt.“

Als Emily ihren Mund öffnete, um wieder etwas von sich zu geben, legte Michael sanft eine Hand auf ihren Arm. Was auch immer es war, das in diesem Moment lautlos zwischen ihnen ablief … es brachte Emily dazu, sich wieder auf das Gemüse zu konzentrieren, das sie gerade schnitt.

„Wenn diese Dokumentation dazu beiträgt, dass du deine Träume nach und nach verwirklichen kannst“, sagte Ava zu ihr, „dann unterstütze ich dich. Genauso wie es deine Schwestern tun werden.“

„Danke, Grandma. Du bist die Beste“, sagte Hanna und schlang ihre Arme um ihre Großmutter. Ohne Zugang zu den Archiven würden ihr zwar viele Informationen fehlen, aber dank des Interviews mit Ava würde sie hoffentlich die meisten Probleme aus dem Weg räumen. Außerdem musste sie sich dann auch keine Gedanken mehr über Joel machen. „Wenn du wieder aus dem Studio zurückkommst, Grandma, werde ich meine Kamera aufgebaut haben, und dann …“

Ava hielt eine Hand hoch. „Ich will zwar, dass du deinen Träumen nachgehst, aber ich werde dir nicht das Interview geben können, dass du dir vorstellst, Liebes.“

„Warum nicht?“

„Ich habe vor langer Zeit ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen, das ich nicht brechen kann.“

„Wenn ich dich aber weder befragen noch in die Archive kann, wie soll ich dann meine Arbeit zustande bringen?“

„Du wirst einen Weg finden“, sagte Ava mit absoluter Zuversicht. „Und vielleicht … wer weiß, wenn du deine Doku erst einmal gemacht hast, dann wird vielleicht auch die Zeit reif sein, dass man diese Geschichte erzählt. Und egal welche Stolpersteine man dir in den Weg legt, ich möchte, dass du mir versprichst, dass du deine Träume lebst, Hanna.“

„Natürlich werde ich das machen, aber …“

Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, war ihre Großmutter aufgestanden. „Ich werde jetzt am besten hinunter ins Tanzstudio gehen. Schön, dass du wieder hier bist.“ Ava gab Hanna noch einen Kuss auf die Wange und ging.

KAPITEL 4

Joel war nicht in seinem Büro. Zum Glück war die Insel jedoch klein genug und sie brauchte keine dreißig Minuten, um ihn unten am Hafen zu finden, wo er sich gerade mit dem Kapitän eines Muschelboots unterhielt. Augenblicklich fiel ihr auf, dass der Hafen viel besser zu ihm passte als sein Büro. Genau genommen konnte sie sich unschwer vorstellen, wie er ein Boot steuerte und die Gischt auf ihn niederprasselte.

Da Hanna ihre Kamera bei sich hatte, zoomte sie ihn soweit heran, bis nur mehr sein Gesicht und das Meer zu sehen waren, wobei sich das tiefblaue Wasser im Hintergrund bewegte und die Sonne auf seine dunklen Haare schien.

„Hanna? Was machst du da?“

Sie senkte die Kamera. „Ich hatte recht mit meiner Annahme“, sagte sie mit einem Lächeln.

„Mit welcher Annahme?“

„Du machst dich einfach blendend vor der Kamera.“

Anstatt zurückzulächeln sagte Joel aber: „Du solltest niemanden einfach so ohne sein Einverständnis filmen.“

„Ich gehe niemals ohne Ankündigung und hole auch immer die Erlaubnis zur Verwendung der Clips ein“, versicherte sie ihm. „Normalerweise ist es aber von Vorteil, die Leute zuerst zu filmen und danach zu fragen, denn dann verhalten sie sich authentisch und verstecken sich nicht hinter ihrem Schutzpanzer wie die meisten von uns.“

„Ich verstecke mich hinter keinem Panzer.“

Hanna sah demonstrativ auf seine Krawatte. In seinem Büro hatte er sie schon halb abgenommen. Sie kannte Männer, an denen eine Krawatte elegant wirkte, ja sogar modisch.

Joel schien sie jedoch eher einzuengen.

„Wenn du meinst. Jedenfalls habe ich mit meiner Großmutter über den Dokumentarfilm gesprochen und sie sagte, dass ich meine Träume verwirklichen soll.“

„Unabhängig davon, wen du damit verletzt?“

Joel trat vom Rand des Hafenbeckens zurück. Hinter ihm legte das Muschelboot ab und Hanna hatte den Eindruck, als starrte er ihm fast schon sehnsuchtsvoll hinterher.

War er tatsächlich so erpicht darauf, sich von ihr loszueisen?

Wie auch immer. Da sie keinen Zugang zu den historischen Quellen hatte, die sie brauchte, und ihr aufgrund des Versprechens ihrer Großmutter vor vielen Jahren auch der Aufhänger für ihr Interview abhandengekommen war, musste sie Joel was die Archive betraf unbedingt umstimmen.

„Darf ich zumindest versuchen, dich zu überreden?“, schlug Hanna vor. „Vielleicht bei einem Kaffee?“

Joel schüttelte den Kopf. „Ich muss auch noch mit anderen Skippern sprechen. Ich kann nicht einfach abhauen und über die Archive diskutieren. Ich habe einen Betrieb zu führen.“

Er wandte sich von ihr ab und zog schleunigst in Richtung eines anderen Bootes davon, als Hanna plötzlich wieder vor ihm auftauchte. Um an ihr vorbeizukommen, hätte er schwimmen müssen.

„Wovor hast du so große Angst, Joel?“

„Ich werde dir genau sagen, wovor ich Angst habe. Davor, dass du mit deinem egoistischen Wunsch irgendeine Doku zu fabrizieren meine Familie verletzt.“

„Egoistisch?“ Hanna konnte ihre Wut nicht zurückhalten. „Das ist nicht fair.“

„Was damals in den 50er-Jahren passiert ist, war nicht fair“, konterte Joel. „Ich sage es dir also nochmal, dass ich nicht zulassen werde, dass du meine Familie verletzt.“

„Glaubst du wirklich, dass ich das tun werde?“ Etwas in ihr wollte ihm eine reinhauen, weil er so dickköpfig war. Ein etwas besorgniserregender Teil in ihr wollte ihn küssen. Das Dumme daran war, dass es ihm, egal was sie auch tat, überhaupt nicht ausmachen würde.

„Ich weiß echt nicht, wie du dich verhalten würdest“, antwortete Joel. „Du hast die Insel so jung verlassen und bist als … als jemand anders zurückgekehrt. Denn trotz all deiner gegenteiligen Beteuerungen hast du soweit ich weiß vor, die Geschichte ins Gegenteil zu verkehren und dem Ansehen meiner Familie zu schaden. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Nicht, wenn es um meine Familie geht. So und jetzt geh mir bitte aus dem Weg, wenn du nicht nass werden willst.“

Er streifte sie im Vorbeigehen und kam ihr dabei so nahe, dass seine Hand ganz kurz die ihre berührte, wodurch in der Sekunde Wonneschauer über ihre Haut fuhren.

„Wenn du mir schon nicht abnimmst, dass ich nicht gekommen bin, um gegenüber deiner Familie wieder das Kriegsbeil auszugraben, warum erzählst du mir dann nicht wenigstens deine Version der Geschichte?“ Hanna rief ihm hinterher. „Wen würde das verletzen?“

Sein geringfügig zögerlicher Schritt war der einzige Hinweis für sie, dass er überhaupt versucht war, mit ihr über seine Familie zu sprechen. Das reichte ihr jedoch, um weiter Druck zu machen. „Ich weiß, dass du noch mit deinen Skippern sprechen musst, aber auch ich habe den Abschluss an der Filmakademie nicht umsonst gemacht. Ich kann unterwegs problemlos ein paar Takes machen.“

„Und wenn du dabei ins Wasser fällst?“

„Mach dir bloß keine Sorgen, ich kann schwimmen. Du musst dir deinen Anzug sicher nicht nass machen, um mich zu retten.“

Er runzelte die Stirn. „Glaubst du wirklich, dass ich mir Gedanken über meinen Anzug machen würde, wenn du ins Wasser fällst?“

Nun ja, diese Aussage seinerseits war überraschend nett. „Der Anzug ist schön“, antwortete sie, obwohl sie spürte, wie ihre Wangen sich angesichts seiner Blicke röteten.

Noch bevor sie sich allzu nahe kommen und zu vertraut miteinander werden konnten, trat er einen Schritt zurück. „Nun gut. Ich werde dir erzählen, was passiert ist.“

Sie konnte ihren siegreichen Jubel gerade noch unterdrücken und hielt ihre Kamera aufmerksam auf ihn gerichtet, während sie am Hafenbecken entlanggingen.

„1951 hatten die Petersons und die Walkers ein sehr enges Verhältnis. Zwar waren die beiden Familien bereits seit der Besiedlung der Insel miteinander befreundet gewesen, aber Anfang der 50er-Jahre hatte sich diese Freundschaft für Poppy Peterson und William Walker II. zu weit mehr entwickelt. Zwischen den beiden war nicht nur die Liebe entflammt, sondern durch ihre Heirat wäre es auch zur Verbindung der beiden größten Unternehmen auf der Insel gekommen, nämlich der Muschelfarm der Petersons und der Beerenfarm der Walkers.“

Er griff nach ihrem Arm und half ihr dadurch, einem Touristen aus dem Weg zu gehen, der gerade den Hafen fotografierte. Just in dem Moment, in dem sie auf Tuchfühlung gingen, hörte er auf zu sprechen. Was sie in seinen dunklen Augen sah, als diese sie durch die Kamera anblickten, nahm ihr den Atem.

Er zog seine Hand rasch wieder zurück und sagte weiter: „Die ganze Insel freute sich auf die große Hochzeit und laut der Informationen, die ich darüber gelesen habe, waren alle der Ansicht, sie wären ein fantastisches Ehepaar. Dass ihre Heirat noch dazu eine für die lokale Wirtschaft positive Unternehmensfusion mit sich bringen würde, war lediglich eine Draufgabe. Unglücklicherweise verhielt es sich dann aber so, dass dein Großvater mit der Auflösung der Verlobung alles zunichte machte.“

Durch die Linse ihrer Kamera konnte Hanna erkennen, wie die Wut in Joels Augen aufblitzte.

„Er hatte deine Großmutter in Seattle kennengelernt. Und irgendwie konnte sie ihn davon überzeugen, dass weder seine Gefühle für Poppy noch alles andere, das zwischen den beiden Familien und ihren Unternehmen abgemacht worden war, eine Rolle spielte. Sie überredete ihn nicht nur dazu, sie an Poppys Stelle zu heiraten, sondern brachte ihn überdies auch dazu, seine Beerenfirma für billiges Geld zu verschleudern.“

An dieser Stelle von Joels Version der Geschichte fühlte Hanna, dass sie ihre eigene Wut zurückhalten musste. Er war so unfair, wenn er tatsächlich glaubte, dass alles allein die Schuld ihrer Großmutter war. Aber wie konnte er sich überhaupt so sicher sein, wenn er niemals mit Ava über irgendetwas davon gesprochen hatte? Und was noch weit schlimmer war … wie hätte je irgendjemand die Wahrheit herausfinden können, wenn das Versprechen ihrer Großmutter diese daran hinderte, die Sache richtigzustellen?

„Meine Großtante Poppy fühlte sich angesichts dessen, was die Walkers ihr angetan hatten, völlig bloßgestellt“, sagte Joel mit tiefer, emotionsgeladener Stimme, „sodass sie absichtlich ohne Crew und bei schlechtem Wetter in einem Boot aufs Meer hinaus fuhr. Seit damals war in meiner Familie nichts mehr wie zuvor.“

Hanna schaltete instinktiv ihre Kamera aus. Sie und Joel waren nun beide unangenehm berührt und es hätte sich nicht mehr richtig angefühlt, wenn sie weiter filmte.

„So, jetzt ist es raus.“ Seine Stimme klang nun knapp und harsch. „Das ist passiert. Eine Dokumentation kann nichts an den Tatsachen ändern. Und es wird sicher auch nichts daran ändern, was William II. und Ava meiner Familie angetan haben.“

„Doch was wäre, wenn du nicht hundertprozentig richtig liegst im Hinblick darauf, was passiert ist und weshalb es passiert ist? Und was ist mit all dem, das du weggelassen hast? Denn du hast ganz sicher nicht erwähnt, dass Grandma Großvater geliebt hat, als er noch am Leben war. Ich habe hautnah erlebt, wie sehr sie sich zugetan waren, als ich noch ganz klein war. Um sich den Wünschen seiner Familie derart zu widersetzen, müssen sie sich schon sehr geliebt haben.“

Joel schüttelte den Kopf, so als würde die Liebe gar nichts daran ändern. „Und was ist mit dem Verkauf der Beerenfirma? Glaubst du, dass es dabei um Liebe ging oder um Geld?“

„Großvater hat das Geld für den Bau und die Ausstattung der örtlichen Schule verwendet, denn dafür brannte sein Herz, genau wie bei meinem Vater und meiner Schwester“, betonte Hanna. „Und wissen wir, ob er deiner Familie die Möglichkeit geboten hat, das Unternehmen zu erwerben? Können wir wirklich wissen, wie jeder der Beteiligten reagiert hat? Und hat er außerdem nicht auch sichergestellt, dass die neuen Eigentümer des Unternehmens während der Beerenernte Einheimische anstellten, damit die Jobs nicht von der Insel verschwinden?“

„Genau wie ich mir dachte, versuchst du, alles zu verdrehen.“

„Nein, ich stelle nur Fragen. Fragen, auf die ich in den Archiven die Antworten finden kann, Joel.“ Als sein Gesichtsausdruck dabei war ihr zu verraten, dass er ihre Bitte erneut abschmettern würde, so wie jeder gute Seemann es getan hätte, schlug sie augenblicklich einen anderen Kurs ein. „Ich mache morgen früh ein Interview mit Milton Forsythe.“

„Im Meeresschutzbüro?“

Hanna nickte. „Mister Forsythe hat die Fehde zwar nicht selbst miterlebt, aber sein Vater fungierte während der ganzen Zeit als Vermittler zwischen unseren beiden Familien. Ich würde mich freuen, wenn du mich begleiten würdest.“

„Du würdest was?“ Verwunderung verwandelte sich in Misstrauen, als er fragte: „Warum das denn?“

„Ich möchte wirklich Zugang zu diesen Archiven, Joel. Und dazu muss ich dir erst beweisen, dass du mir vertrauen kannst.“

„Du glaubst also, wenn ich mit dir zu Milton gehe, ändere ich meine Meinung?“

„Ja, das hoffe ich“, sagte Hanna. „Komm mit mir. Überzeuge dich selbst davon, dass ich ihm keine Worte in den Mund lege. Und dass ich fair bin. Wenn du danach zufrieden bist, erwarte ich aber auch, dass ich Zugang zu den Archiven bekomme.“

Joel schien nachzudenken. „Und wenn ich das nicht bin?“

„Dann wirst du natürlich auch nicht deine Meinung ändern und ich werde nach irgendeiner anderen Lösung suchen, um an die Antworten zu kommen, die ich benötige.“

„Dann versprichst du mir also nicht, dass du die Finger von der Vergangenheit lassen wirst?“

„Wenn mir etwas am Herzen liegt, kann ich es nicht einfach vergessen. Diese Dokumentation wird zustande kommen. Fragt sich nur, ob mit oder ohne dich.“

Einen Augenblick lang zweifelte sie, ob sie vielleicht zu weit gegangen war. Joel erweckte in der Tat den Anschein, als würde er gleich ohne mich sagen. Aber das war ganz bestimmt nicht die Antwort, die sie hören wollte.

Glücklicherweise stimmte Joel aber zu und sagte schließlich: „In Ordnung. Ich werde dich zu Mister Milton begleiten.“

KAPITEL 5

Miltons Wohnung war aufgrund ihres besonderen Charakters ein richtiges Museum. Sie war bis oben hin voll mit Relikten aus Jahrzehnten professioneller Walbeobachtung und enthielt alles, von der Sammlung von Rückenflossen bis zur ramponierten Schwimmweste aus einem ausrangierten Boot. Von seinem Wohnzimmer aus hatte man auch eine der schöneren Aussichten der ganzen Insel, denn man blickte über eine kleine Sandbucht direkt aufs Wasser.

„Wenn du jeden Morgen den Ozean sehen kannst“, sagte er ihnen, während sie die Aussicht bewunderten, „und sich die Wale direkt vor deinem Fenster tummeln, dann fühlst du dich, als wärst du ein fester Bestandteil von allem. So wie eure beiden Familien zu dieser Insel gehören.“

Obwohl Hanna froh darüber war, dass Joel wie versprochen und trotz seiner offensichtlichen Abneigung ihrem Vorhaben gegenüber mit ihr zum Interview gekommen war, hatte sie Bedenken, dass er ihr womöglich in die Quere kommen würde, wenn sie die Fragen stellte, die sie stellen musste. Zum Glück hatte Joel Milton lediglich herzlich gegrüßt, ihm ein paar Fragen zu den Meeresschutzbooten gestellt und dann Hanna ungestört ihre Kamera aufbauen und ihre Fragen stellen lassen.

Wenn überhaupt, dann war Milton es, der im Verlauf des Interviews die Sache etwas kompliziert machte. Natürlich tat er das nicht bewusst. Da er sein Augenmerk immer wieder auf die Geschehnisse des Jahres 1951 richten musste, hatte er kaum Gelegenheit, all die Geschichten über die Rettung gestrandeter Wale, Tauchgänge und die neuesten Forschungsergebnisse der mit den örtlichen Universitäten zusammenarbeitenden Wissenschaftler an den Mann bzw. an die Frau zu bringen.

„Die meisten Forscher sind ganz okay“, sagte er und nahm ein Schlückchen von seinem Kaffee. Hanna hatte von ihrem gekostet, ihn dann aber höflich beiseite gestellt. Milton hatte offensichtlich ein besseres Händchen für Wale als für Kaffee. „Man trifft aber immer wieder auch auf welche, die meinen, nur weil sie einen Doktortitel haben, hätten sie mehr Ahnung als wir, die wir unser ganzes Leben hier auf der Insel verbracht und mit dem Meer gearbeitet haben.“

„Was wissen Sie über die Peterson-Walker-Hochzeit, Milton?“, fragte Hanna, um das Gespräch wieder in die geplante Richtung zu lenken. „Könnten Sie vielleicht ein paar Ihrer Erinnerungen an diese Zeit mit uns teilen?“

„Ich war damals noch ein kleiner Junge, kann mich aber noch recht gut an die Vorbereitungen erinnern, die überall auf der Insel stattfanden. Alle wollten natürlich an der geplanten Hochzeit teilhaben, aber es ging den Leuten nicht nur darum zu feiern. Die Inselbewohner freuten sich wirklich für eure Familien. Die Verbindung schien in jeder Hinsicht Sinn zu machen.“ Er hielt kurz inne, während er zwischen Hanna und Joel hin- und hersah und die Kamera völlig ignorierte. „Wenn ich es mir aber so recht überlege, dann wette ich, dass dies hier eines der ersten Male ist, dass ein Peterson und eine Walker sich wieder unter ein- und demselben Dach befinden.“

„Wir waren zusammen auf der Schule“, gab Hanna zu bedenken.

„Und gestern platzte Hanna plötzlich in mein Büro“, fügte Joel hinzu.

Milton schob ihre Kommentare beiseite. „Ach, das zählt ja nicht. Was ich damit sagen will ist, dass dies hier das erste Mal in über sechs Jahrzehnten sein muss, dass Mitglieder eurer Familien aus freien Stücken im selben Raum waren. Ich muss zugeben, dass ich ganz schön überrascht war, als Hanna mir erzählte, dass ihr heute beide kommen würdet. Von Poppys Selbstmord an waren eure beiden Familien nie mehr völlig einer Meinung, egal worum es ging, nicht wahr?“

Hanna hatte plötzlich das Bild vor Augen, wie Joels Großtante Poppy als junge Frau völlig verzweifelt aufs Meer hinaus segelte. Da es aber immer noch so viele Dinge gab, von denen sie nichts wusste, war ihre Vorstellung ziemlich vage. Sie wusste ja nicht einmal, wie Poppy wirklich ausgesehen hatte. Bevor sie jedoch alle nötigen Informationen einholen konnte, musste sie sicherstellen, dass Joel mit ihren Fragen leben konnte.

„Ich würde Milton gerne ein paar Fragen über Poppy stellen, Joel. Aber nur, wenn das okay für dich ist.“

Ihre Frage schien ihn zu überraschen. Und es schien ihn sogar ein wenig zu freuen, dass sie daran gedacht hatte, ihn zu fragen. „Ich habe nichts dagegen“, versicherte er ihr.

Es war nur so, dass Hanna nicht recht wusste, ob sie ihm glauben sollte, zumal sie begriffen hatte, wie wichtig Joel die Familiengeschichte der Petersons war. Und Poppys offensichtlicher Selbstmord war sicherlich der empfindlichste Teil an der ganzen Sache.

Nun hatte sie die Möglichkeit, endlich ein paar Antworten zu bekommen. Da sie Joel aber nicht verletzen wollte, stellte sie ihre erste Frage mehr als nur zögerlich: „Können Sie uns erzählen, woran Sie sich in Bezug auf Poppy erinnern, Milton?“

„Sie verschwand eine Woche nach der Hochzeit von William Walker II. und Ava und über Einzelheiten verlor niemand ein Wort. Und das nicht allein, weil beide Familien mit dem Verlust klarkommen mussten, sondern weil jeder auf der Insel befürchtete, seinen Job zu verlieren.“

Hanna versuchte sich zurück in die beginnenden 50er-Jahre und in die Lage der Inselbewohner zu versetzen. Ein guter Filmemacher brauchte Einfühlungsvermögen; aber was war Einfühlungsvermögen anderes als reine Vermutung? Hätte sie sich tatsächlich je vorstellen können, wie es war, in Bezug auf ihren Lebensunterhalt zwischen zwei Familien gefangen zu sein, die so gut wie den gesamten Arbeitsmarkt auf der Insel kontrollierten?

„Auch die Gerüchteküche brodelte ziemlich heftig“, fügte Milton hinzu.

„Um welche Gerüchte ging es?“

Von Miltons unbehaglichem Gesichtsausdruck konnte sie schließen, dass sie vermutlich nichts Näheres darüber hören würde wollen. Wenn man aber eine Dokumentation machen wollte, musste man auch in solchen Situationen aufs Ganze gehen. Sie musste alles filmen, selbst wenn einige der neuen Erkenntnisse schmerzhaft waren.

„Wie ich vorher schon sagte, drehten sich einige der Gerüchte natürlich um die Beerenfirma deiner Familie“, erklärte Milton. „Alle dachten, dass dein Großvater verkaufen würde, Hanna, aber keiner ahnte zum damaligen Zeitpunkt, wie er den Deal aushandeln würde. Ich nehme an, die Angst aufgrund der Ungewissheit war riesengroß und angesichts der realen Situation übersteigert. Vielleicht haben sie auch deshalb …“

Als er zu sprechen aufhörte, forderte sie ihn auf fortzufahren. „Sie müssen sich keine Sorgen machen. Sie werden meine Gefühle mit nichts, was Sie sagen, verletzten, das verspreche ich.“

„Nun gut“, fuhr er schließlich fort, „sie haben so viel entsetzliche Dinge über Ava gesagt.“

Ihr Herz schlug dumpf in ihrer Brust, als Joel sagte: „Hanna, ich weiß, dass du diese Doku machen willst, aber das hier musst du dafür nicht unbedingt wissen.“

Sie wusste jedoch ganz genau, wie großartig ihre Großmutter war. Und das hieß einzig und allein, dass jede Abscheulichkeit nur eine Lüge war.

Und wie hätte sie eine Lüge anfechten können, wenn sie nicht wusste, was genau man sich damals erzählt hatte?

Sie atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen, und fragte: „Was wurde damals denn herumerzählt?“

Milton war sichtlich peinlich berührt, als er ihr darüber erzählte: „Sie soll in einem Nachtclub getanzt haben. Die Lokale waren damals natürlich ganz anders als jene, in denen die Tänzerinnen heute auftreten, weit seriöser, zuweilen auch viel eleganter. Und trotzdem kannst du dir vielleicht vorstellen, was die Leute sich hinter vorgehaltener Hand über Ava erzählt haben. Sie alle waren ja der Ansicht, dass sie sich nicht nur den Walker-Erben geangelt hatte, sondern dachten auch, dass sie ihn dazu zwingen wollte, das Unternehmen zu verkaufen.“