Ja, es ist ein Zauberort - Alfred Kerr - E-Book
SONDERANGEBOT

Ja, es ist ein Zauberort E-Book

Alfred Kerr

0,0
14,99 €
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit Alfred Kerr durch Italien.

Der einflussreiche Kritiker und Feuilletonist des 19. Jahrhunderts war ein leidenschaftlicher Italien-Reisender. Die Menschen, »glutvoll und fein; zart und lustig; königlich und sanft«, lassen ihn Land und Landschaft als einen magischen Ort erleben, wo er allein »des Vorrats wegen« den herrlich süßen, zerrinnenden Teig des Pomeranzenkuchens lieber gleich in rauen Mengen isst. Mehr als einmal fragt er sich: Ist dies hier ein Nachgeschmack des Paradieses – oder ein Vorgeschmack? 

Eine zauberhafte Reise in ein Land, wo die Lagune perlmuttern glitzert und in den Lüften das Wunder webt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover for EPUB

Über das Buch

Mit Alfred Kerr durch Italien 

Der einflussreiche Kritiker und Feuilletonist des 19. Jahrhunderts war ein leidenschaftlicher Italien-Reisender. Die Menschen, »glutvoll und fein; zart und lustig; königlich und sanft«, lassen ihn Land und Landschaft als einen magischen Ort erleben, wo er allein »des Vorrats wegen« den herrlich süßen, zerrinnenden Teig des Pomeranzenkuchens lieber gleich in rauen Mengen isst. Mehr als einmal fragt er sich: Ist dies hier ein Nachgeschmack des Paradieses – oder ein Vorgeschmack? 

Eine zauberhafte Reise in ein Land, wo die Lagune perlmuttern glitzert und in den Lüften das Wunder webt.

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlage.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Alfred Kerr

Ja, es ist ein Zauberort

Italienische Reisen

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Venezianisch

Rakéel’

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

Chioggia bei Venedig

I.

II.

III.

IV.

Abermals Chioggia

I.

II.

III.

IV.

Die Stunden auf Dschosa

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

Sturm in Venedig

I.

II.

III.

IV.

Wieder Lagunensturm

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Demütiges San Lazzaro

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Der neue Campanile

I.

II.

III.

Hesperisch

Der Fuhrmann am Gardasee

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Die Schönheitsinseln — Mercede

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

Roma

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

Teutones in pace

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

Florentinischer Juli

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Padua

I.

II.

III.

IV.

V.

Vorhof Liguriens — Zwischenspiel: Genf

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

Ligurien

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

Genua

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Neapel

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

Messina

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Eine Insel heißt Korsika …

Vorspiel: Sardinien

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

Der Eintritt in Korsika

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

… bis ihn seine Rosa weckt

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

Der Menschenschlag

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

Die Luft um Ajaccio

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

Der zweite Sohn von dreizehn Kindern

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

Piana

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

Evisa

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

Calacuccia

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

Corte; Calvi

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

Bastia

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

Nachspiel: Elba

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

Widmung an die Begleiterin — Für Julia

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

Editorische Notiz

Impressum

Venezianisch

Rakéel’

I.

Es wuchs vor meinem Fnster

Ein leuchtender Feigenbaum …

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die weiße Etsch rauschte vorbei,

Die feuchte Erde roch nach Wein.

Die Welt mit allen Büschen

Wuchs mir ins Fenster hinein.

Wo war das gewesen? Es war … Wo die deutsche Sprache noch herrscht. Wo sie lichter blüht als im dünnen Tieflande. Das lag hinter mir.

II.

… Dann kam ich in die Stadt. Wunderstadt, verfallene; mit nächtlicher Schönheit am Meer, im Leuchten zerbröckelnder Trauer; Hochzeit von Schwermut und Anmut. Es geschah zum dritten Mal, dass ich hinkam. Wochen hatt’ ich einstens dort gelebt. Nächtlich strahlte sie; tiefer, prachtreicher, verstorbener – unsterblicher. Der Löwe von Erz schrie schlafend über die Säule hin, über die Wasser, und schlug mit den Flügeln. Schwarze Särge zogen durch die Flutgassen zu verschollenen Häusern – ihre Marmorstufen gingen in friedverstohlene Finsternis; Steinköpfe starrten vom Gesims.

III.

So will ich der Wahrheit gemäß berichten, was mir damals in Venedig zustieß. Ein Vorfall ohne Merkwürdigkeit. Vielleicht hat er nur Wert für den Mann, der ihn erfuhr: nicht für andre, die von ihm hören … Für diesen Fall bestände die Entschuldigung bloß hierin: dass wir noch am ehesten solche Dinge erzählen können, an denen wir Anteil genommen. (Und dass es am anständigsten ist, keine andren Dinge zu erzählen, als eben solche) … Es kommt nicht darauf an, dass ich, ich, ich die Dinge erlebt habe. Sondern allein: dass jemand Dinge erzählt, die er erlebt hat … Zudem ist nichts an den paar Tatsachen geeignet, ihren Erzähler in romantisches Licht, oder in heldenhaftes Licht, zu setzen. Vielmehr ließe sich vermuten, dass von dem Erzählten die meiste Helligkeit auf die Stadt und auf die Seele der Stadt fallen werde.

IV.

In einer Tasche des alten Reisebuchs steckten Gasthofs-Rechnungen aus dem Jahr 1894 … und zwei Briefe.

Die Briefe waren von einer venezianischen Bürgerstochter, im Jahr darauf, 1895, nach Deutschland gerichtet, dann dort hineingeschoben worden. Der eine begann: Gentile signor … (hier kam der Vorname), und schloss fröhlich: cordiali saluti di lei devotissima R. Es stand hierin Folgendes: Die kleine Base der Schreiberin sei heute zu ihr gekommen und habe versichert, den Empfänger auf dem Markusplatz gesehn zu haben; ob es wahr sei, dass er in Venedig oder ob er in Berlin sitze.

… Seltsam, nach Jahren so einen Brief im Reisebuch zu finden. Dieses entzückende Mädchen aus einer Kleinbürgerfamilie hatte mich damals venezianisch sprechen gelehrt. An vielen Abenden trafen wir uns, und sie brachte – weil sie auf andre Art nicht hätte fortgehn dürfen – immer die achtjährige Base mit, bei deren Mutter sie wohnte. Das Kind besorgte manchmal, an der Markuskirche nachmittags wartend, unsre Zettelchen mit Verabredungen. Alles das war wundersam heiter; doch mit jenem Ernst, wovon in dieser Stadt noch auf die herrlichste der Herrlichkeiten ein voller Abglanz fällt. Rakéele, venezianischer Rakéel’, hatte schönes schwarzes trocknes Haar und war ein großes, zartes Mädchen mit sehr dunklen Augen. Ihr Körper schien ahnungslos zu leuchten, wenn sie sich streckte, oder mit geschmeidigem Liebreiz das lange Schultertuch der Venezianerinnen halb in Gedanken zurechtschob … Noch seh’ ich ihre Gestalt im Dunkel, als wir einmal bei Regen rasch im finstren Torgang einer ausgestorbenen Kirchgasse Unterschlupf suchten. Sie stand im Dunkel neben mir, die Kleine aß abseits an ihrem Kuchen.

Auch seh ich sie, wie wir draußen bei einem Weinwirt einkehrten, in einem kaum beleuchteten entlegenen Stadtteil – unter freiem Himmel saßen wir drei an einem Tisch, der auf die alten Quadern hinausgeschoben war, und vor uns stieg aus dem weiten Wasser die Steininsel mit Zypressen: der Kirchhof. Auch damals saß sie neben mir. Und noch oft.

V.

Das war sechs Jahre her. Es trieb mich nun, eines Abends, das Haus zu suchen, welches der Schluss jenes Schreibens genannt. Ich wollte fragen, ob vielleicht jemand wisse, was aus einem Mädchen, namens Soundso, geworden, die vor sechs Jahren dort bei ihren Verwandten gewohnt. Von der Abendmusik ging ich aus dem Gewühl, kreuz und quer, durch umgitterte Ufergänge, mattfarbige Winkel mit alten Brunnen, an erleuchtet verhangenen Schänken vorbei … und fand die Gasse, nicht weit von der Kirche zur Schönen Heiligen Maria oder Santa Maria Formosa.

Als ich klingelte (diese schmalen alten Häuser werden von oben geöffnet), fragte mich eine fünfzigjährige Frau, die außen, neben dem ehernen Türlein gestanden, was ich wolle; sie rief, wie zu ihrer Unterstützung: »Rakéel’, vien’ a basso!« Und als Rakéele in dem dunklen Haustor erschien, wo ihr Gesicht nicht erkennbar war und das meine auch nicht, sprach ich mit leiser Stimme. »Ich glaube nicht zu irren …«

Sie nannte meinen Namen.

VI.

Nach einer Weile brachte sie Licht und hieß mich hinaufkommen; die Tante stieg hinter mir die steinernen Stufen empor. Wir saßen zu dritt in Rakéeles Zimmer, dem einzig bewohnten dieses mittleren Stockwerks. Bloß die Kerze brannte. Das Zimmer war geräumig, ein Fenster stand offen, das Gesumm aus den abendlichen Nachbarstraßen drang herein. Die Tante, nach den verblüffenden ersten Erkundigungen, schlug die Tür zu und stieg in ihre Wohnung. Rakéele saß neben mir.

Sie war kaum verändert. Sie hatte noch ganz das Unsagbare, den Liebreiz. Den lustigen Mund unter den melancholischen Augen. Nur dass sie damals achtzehn war und heute vierundzwanzig.

Ein Kind von weniger als einem Jahr schlief im eisernen Wiegengestell an dem zweiten, geschlossenen Fenster; ein rundes kleines Mädchen. Auf meine Frage, wem das gehöre, erwiderte sie schlicht: è mia – es ist meins.

Als ich sie anblickte, wie sie jetzt dastand, bloß ohne den Glorienschein, und als ich die Stimme hörte, mit der sie die Worte sprach, die Stimme, die mir so wohvertraut war, da ergriff ich ihre linke Hand, welche dem Herzen am nächsten ist, und küsste sie bis zur Handwurzel. Wir traten ans Fenster, ich blies das Licht aus, und indem wir uns über die Brüstung lehnten und in die stiller werdende Gasse hinabsahen, redeten wir von der Vergänglichkeit der Zeit und von unsren einstigen Zusammenkünften vor sechs Jahren. Die Base von damals war ein großes Mädel geworden und zu Besuch in Chioggia. Jedes Wort wusste Rakéele, das wir damals gesprochen. In ihrer alten lustigen und sanften Art holte sie das hervor. Fein wie eine Prinzessin; lustig wie Colombine; schön wie eine Heilige; still wie eine Venezianerin.

Sie fragte nach meinem Leben in Berlin, nach den Gewohnheiten dieser Stadt. Dann, als wir vom Fenster in das Zimmer zurückgetreten waren und im Dunkel nebeneinanderstanden, erzählte sie vom Vater des Kindes, einem Sizilianer, den sie drei Jahre kannte – Schiffsingenieur auf der Strecke nach Alessandria in Ägypten. Sie hoffte, dass er sie heiraten würde. Die Verwandten waren bitterböse, als das Kind kam. Am meisten die Mutter, die anderwärts beim Bruder wohnte. Sie plauderte fort. Sie gehe täglich zur Messe, komme sonst nicht aus dem Haus (wegen der Kleinen) und stehe manchmal bis nachts um zwölf an diesem Fenster und schaue so auf die Gassen. Einmal im Monat kam er zurück. Zuweilen ging sie mit dem Kinde gern in den Markusdom, – die Kleine sei noch kein Jahr, könne aber schon richtig das Kreuz schlagen.

Das erzählte sie, lächelnd und ernst, wie damals. Ich fragte, ob sie ihn lieb habe. Sie hatte ihn gerngehabt, und sogar für ihn die »Krankheit« durchgemacht, die Eifersucht. Jetzt nicht mehr so. Sie kannte schon seine Fehler. Das sagte sie mit ernsterer Stimme.

Ein kindhaftes Wesen sprach.

VII.

Am nächsten Abend ging ich im Dunkel wieder zu ihr. Rakéel’ wartete. Das Licht brannte. Sie saß auf dem Sofa, angetan mit ihrem schönsten Kleid, an einer schmalen Glaskette hing der Fächer, den sie langsam gegen ihr Gesicht bewegte. Bei Sternenschein verließ ich das Haus. Dies war der vorletzte Abend meines Aufenthaltes in Venedig.

VIII.

Am letzten Abend um halb elf stiegen wir fröhlich und leise die Treppe hinunter. Sie war in ihrer alten, süßen Tracht, in das lange dunkle Schultertuch geschmiegt, ohne Hut. Auf den kleinen Plätzen lag Ruhe. Am Haltestand der Schönen Heiligen Maria gingen die Stufen ins Wasser; wir riefen und stiegen ein. Der Mensch fragte, wohin. Sie antwortete wie ehemals, mit feiner Stimme: ein biss’l Luft schöpfen – per respirar’ un po’ d’aria! Es ging zuerst unter Marmorbrückchen und durch Seitenwege leicht in die große, dunkle Flutgasse mit den Palästen, dann aber hinaus in die schwermutvolle, fernere Lagune. Bei der langgestreckten braunen Häuserinsel der ganz Armen, der Giudecca, sahen wir noch Gestalten ins Wasser springen und baden. Gegen Mitternacht näherten wir uns dem ummauerten Klostereiland, wo die armenischen Mönche hausen und ihre Bibeln drucken; nur ein Fenster war hell. Um halb eins legten wir weit draußen bei stillen Moloquadern an, der Gondelführer lief in das verschlafene Wirtshaus mit den wenigen späten Gästen unter freiem Himmel und holte willig ein Eisgetränk von Granatsaft, sowie einen weißen, moussierenden, kalten Wein. Gegen halb zwei fuhren wir langsam zurück. Rakéele saß neben mir. Sie berührte wieder entlegene Worte, die wir vor Jahren gesprochen hatten. Meine eignen waren mir entfallen, doch ich wusste jedes, das sie gesagt, und die Stellen, wo sie es gesagt. Die Milchstraße glomm über uns. Ehrfürchtig äußerte der Gondelführer, ob es z. B. in Deutschland möglich sei, diese Sternbilder zu erblicken. Rakéele wusste nicht, ob sie ihrem Landsmann beistimmen solle; doch legte sie still ihre Hand auf die meine und ließ sie drei-, viermal sacht niederfallen … Als wir durch das letzte Brückchen vor der Schönen Heiligen Maria glitten, sagten wir lächelnd: es sei unsre, unsre Seufzerbrücke.

An ihrem Haus umschlang sie mich noch einmal und wünschte mir mit leiser Stimme Glück. Es war sehr spät. Sie sah zum Fenster, als dächte sie jetzt an die Kleine. Das Laternenlicht fiel auf ihre dunklen Augen. Dann schlüpfte sie still ins Haus.

IX.

… Verborgen in einer Wasserstadt; in Gässchen; vom Weltgeschehen abseits: leben Geschöpfe, glutvoll und fein; zart und lustig; königlich und sanft.

Venezianische.

Sehen die Welt, wenn sie einmal auf den Markusplatz kommen. Oder wenn sie am Fenster bis spät in die Nachbargasse blicken. Das Leben verrauscht; wir wissen nichts von ihnen – bis zufällig ein Einzelner irgendwohin zurückkehrt: von dannen er in einer hohen, atmenden Stunde, vor Jahren, ausging.

Kränze gleiten. Sommergesänge in Höhen und Tiefen. Sterne leuchten und stürzen durch den Weltenraum. Und der glückliche Schmerz bleibt: dies alles nicht nehmen, es mit der Gurgel trinken, es mit den Zähnen essen zu können – und nicht selber zu bleiben, was man heute noch, heute noch, heute noch war.

So ist das Leben. Questa è la vita. Such is life. C’est la vie, c’est la vie, c’est la vie.

Chioggia bei Venedig

I.

Die Bewohner lallen: sie sagen nicht Kiodscha; sie haben diese feinere, zierlichere Art des Veneto-Dialekts. Sie flöten Dzôsa (Kiôhdsa?); gleichwie an irgendeiner friesischen Küste die Konsonanten kindlich ausgesprochen werden. Die Sassen dieser Insel sind Fischer. So verwegen, dass sie mit ihren Barken bis Griechenland fahren.

Mein Freund und ich wollen dieser Tage mit.

II.

Vorläufig sind wir gestern mit dem paduanischen Studenten und seiner Geliebten, Alba, sowie mit dem andren paduanischen Studenten und seiner Geliebten, welche leider Ida heißt, auf einem Segelboot über das Adriatische Meer gekreuzt. Ida sang; Alba, Aube, die Morgenröte, war stiller.

Zwölf Flaschen hatten die Halunken in einem Schaff mit Eiswasser mitgenommen. Wir tranken sie aus mit ihnen und sahen aus dem Grünblauen bald dieses, bald jenes Dorf der Westküste mit seinem Kirchturm oder Campanile, weiß in Farben, emporsteigen, wir sprachen über den Idealisten Kant, über den Positivisten Comte, über Gabriele D’Annunzio, welchen die Studenten für einen jammervollen Macher hielten, es war anno 1898, auch über die Liebesverhältnisse jüngerer italienischer Männer, und über Alba und Ida, doch vorwiegend über Alba, Aube, die Morgenröte, mit ihrem beschattenden Haar.

III.

Und es befand sich auf dem Schiff ein Mann namens Nicola. Dies war sein Vorname. Alle Bewohner der Insel Chioggia oder Dzôza-Kiôhdsa kannten selbigen; denn er war ein Kommissionär, ein Figaro, ein Factotum; die padovanischen Studenten tauften ihn auf meine Bitte Sancho Pansa. Er war dick, hatte sinnlich ein breites Maul, eine flache Nase, und aß, da er die Gastfreundschaft edler Männer genoss, für siebzehn und eine halbe Person. Auf zwanzig Tage, sprachen wir, isst sich Nicola heute voll. Und so geschah es.

IV.

Zuletzt aber, in einer Osteria, welche sich »Zu den Antiche Nazioni« nannte, kam er in Krach mit beiden Geliebten der paduanischen Studenten, und er drohte, der Alba, Aube oder Morgenröte, einen Teller an den Kopf zu schleudern.