Jan der Faulpelz - Jürgen Lange - E-Book

Jan der Faulpelz E-Book

Jürgen Lange

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Beschreibung

Jan ist Überlebenskünstler, aber nicht etwa im Dschungel, sondern in einer Kleinstadt im Sauerland. Viel Tratsch einerseits und das Fehlen jedweder Geheimnisse andererseits ergeben eine explosive Mischung. Unter diesen Bedingungen scheint ein Faulpelz zum Scheitern verurteilt zu sein. Gezwungenermaßen nimmt es Jan daher eher philosophisch, und so hat er zu allen Lebensfragen eine Antwort parat. Wie so oft im Leben hängt die Frage, ob er selber erfolgreich ist, vom eigenen Standpunkt ab.

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Meinem Bruder Jan,

für all die langen Gespräche,

die uns zu dem gemacht haben,

was wir heute sind.

Inhaltsverzeichnis

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 20, Wolke Sieben

Der Faulpelz

Das Recht auf Arbeit

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 22, Kiosk

Handytelefonieren

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 23, Parkbank

Mobile Gesellschaft

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 24, Parkbank

Orientierungshilfen in unserer Gesellschaft I: Religion

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 26, Parkbank

Arbeit für einen Faulpelz

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 27, Parkbank

Lustgewinnmaximierung

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 35, Parkbank

Kindergarten

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 40, Parkbank

Schule

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 50, Parkbank

Abitur

Mittwoch, der 12. Mai, 12 Uhr 30, unter der Parkbank

Die Bundeswehr

Mittwoch, der 12. Mai, 12 Uhr 40, Parkbank

Mittwoch, der 12. Mai, 14 Uhr, Wohnung

Orientierungshilfen in unserer Gesellschaft II: Politik

Mittwoch, der 12. Mai, 14 Uhr 2, Wohnung

Romantik als Lebensprinzip

Mittwoch, der 12. Mai, 14 Uhr 30, Parkbank

Ein dreiseitiges Paradoxon

Mittwoch, der 12. Mai, 14 Uhr 32, Wohnung

Mittwoch, der 12. Mai, 15 Uhr 15, Wohnung

Der Ton macht die Musik

Schichtarbeiter: Ich liebe dich

Mittwoch, der 12. Mai, 17 Uhr 30, Reisebüro Fernweh

Deutsche Tugenden, Teil 1

Mittwoch, der 12. Mai, 20 Uhr, Wohnung

Deutsche Tugenden, Teil 2

Samstag, der 15. Mai, 20 Uhr 5, Knopfmuseum

Der Sinn des Lebens

Sonntag, der 16. Mai, 13 Uhr 30, Wohnung

Wo bist du?

Montag, der 17. Mai, 10 Uhr 30, Reisebüro Fernweh

Es war heiß. Rauch lag in der Luft. Die Glut breitete sich aus und, wie es aussah, konnte nichts und niemand das Feuer stoppen. Unersättlich fraß es sich durch alles, was sich ihm in den Weg stellte, und verwandelte es in graue Asche. Mal loderten die Flammen hell auf, mal wurden sie gebremst und kamen fast zum Stillstand. Doch gerade, wenn es schien, als ob das Feuer erloschen sei, ging es an einer anderen Stelle weiter. Unaufhaltsam bahnten sich die Flammen ihren zerstörerischen Weg.

Urplötzlich veränderte das Papier seine Farbe, ohne dass jeman vorhersagen konnte, an welcher Stelle dies als nächstes geschehen würde. Zuerst wurde es gelblich und dann immer dunkler. Sobald das Papier Feuer fing, veränderten sich seine Farbe, Form und Struktur: Aus dem glatten, makellosen Weiß wurde in Bruchteilen einer Sekunde eine unförmige Masse verschiedener Grauschattierungen.

Der Rauch stieg schnell und gerade nach oben. Aber schon nach einer kurzen Strecke des Weges wurde der Aufwärtsdrang der Rauchpartikel abrupt gebremst. Als ob sie plötzlich daran zweifelten, welches der kürzeste Weg in den Himmel sei, verteilten sie sich gleichzeitig auf verschiedene Haupt- und Nebenrouten. Was sie an senkrechter Fahrt verloren, gewannen sie an horizontalem Drehmoment. Aus einer geraden wurden mehrere geschwungene Linien, um unmittelbar danach zunächst Verwirbelungen zu bilden und sich dann in Luft aufzulösen.

Je weiter sich die Glut durch den Tabak voran fraß, desto höher stieg der Aschenturm an der Spitze der Zigarette. Kein Architekt wäre in der Lage, derart gegen die Gesetze der Schwerkraft zu bauen. Der gesamte Vorgang verlief wie das Leben selbst: unvorhersehbar, ungebremst und unumkehrbar.

Mittwoch, der 12. Mai, 11 Uhr 20, Wolke Sieben

Jan saß regungslos auf einer Bank im Stadtpark. Sonnenstrahlen hüllten ihn in eine wohlige Wärme und machten ihn etwas schläfrig. Die rechte Hand ruhte auf auf dem Oberschenkel, der linke Arm auf der Rücklehne der Bank. Eine Zigarette steckte zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger. Den Kopf in den Nacken gelegt und mit geschlossenen Augen genoss er das Jetzt und Hier. Außer Vogelgezwitscher nahm er kaum etwas wahr.

In einiger Entfernung schlugen Absätze rhythmisch mit harten, trockenen Schlägen in den Asphalt; erst kaum hörbar, leise, dann immer lauter, immer störender. Noch weiter weg waren ein paar Autos zu hören. Eine Gruppe Spatzen wagte sich bis an seine Füße heran und verlangte Futter. Aber hier war nichts zu holen, so gaben sie schließlich auf. Erst jetzt konnte Jan auch einige spielende Kinder und einen Hund im Park wahrnehmen.

Der Gegenpol zu diesem stillen Glück hieß Erna Schulte, die wie ein grollendes Gewitter auf das hier beschriebene Stillleben zukam. Erna war der Prototyp einer notorisch unzufriedenen, einsamen Person, die aus nichts wirkliche Befriedigung schöpfen konnte. Sie war allein und ungeliebt. Ihre Lebensaufgabe bestand darin, andere für ihre eigene Unzufriedenheit verantwortlich zu machen. Für diese Aktivität konnte diese zierliche Person ungeahnte Energien freisetzen. Ständig diskutierte sie im Treppenhaus und beschwerte sich lautstark vor, während und nach dem Gottesdienst.

Der Ausdruck von Zufriedenheit in Jans Gesicht löste eine magische Anziehungskraft auf Erna Schulte aus. Wie magnetisiert strebte sie auf ihren Gegenpol zu. Die Ruhe, die er ausstrahlte, verursachte in Frau Schulte genau die gegenteilige Reaktion. Das konnte sie nicht ertragen und musste ihrer Wut Luft machen, wenn sie nicht platzen wollte. In Sekundenschnelle verwandelte sich die graue Maus in ein brutales Urzeitmonster, welches, wie bei Monstern so üblich, mit dem Maul angriff.

„He, du Schmarotzer! Wohl nichts zu tun, ha?“

„Nein, Frau Schulte.“

„Kannst wohl nur rumsitzen und faulenzen, oder was?

„Richtig. Das sehen Sie doch.“

„Kannst du nicht arbeiten, wie alle ordentlichen Leute?“

„Ja, klar. Aber über wen könnten Sie sich dann beschweren?“

„Auch noch frech werden! Das ist ja wohl die Höhe! Du willst doch gar nicht arbeiten. Du liegst nur anderen Leuten auf der Tasche. Schmarotzer, Faulpelz!“

„Nein, nein, das stimmt nicht. Niemand gibt mir Geld, ohne dass ich dafür arbeiten müsste. Oder möchten Sie mich vielleicht unterstützen?“

Das wollte Frau Schulte nicht oder vielleicht konnte sie es auch nicht. Jedenfalls tat sie es nicht, und damit war die Diskussion überraschend schnell beendet. Während Frau Schulte weiterging, hörte Jan noch einzelne Wörter wie „stinkfaul“, „arbeitsscheu“ und „asozial“. Jedes für sich ein schlagender Beweis dafür, dass die Welt sowohl für Frau Schulte als auch für Jan den Faulpelz in Ordnung war. Es war ein schöner Tag.

Der Faulpelz

Eigentlich ist die Bezeichnung Faulpelz ein Schimpfwort für eine faule Person. Jemand, der nicht arbeiten will, obwohl er es könnte, ist ein Faulpelz, eben faul, das Gegenteil von fleißig. Im Wörterbuch könnte unter dem Eintrag Faulpelz etwa das Folgende zu finden sein:

Faulpelz, der <Faulpelzes, Faulpelze> ist eine umgangssprachlich abwertend gemeinte, harmlose Bezeichnung für eine Person, die träge ist und keine Lust zu arbeiten hat.

Wenn es dagegen nach dem Protagonisten dieser Geschichte geht, dann ist dies nur die halbe Wahrheit. Sicherlich hat der Begriff Faulpelz normalerweise eine eher negative Bedeutung. Jan jedoch war der festen Überzeugung, dass damit nur ein Teilaspekt dieses Ausdrucks zutreffend beschrieben wird. Er empfand Faulpelz nicht als Beleidigung, sondern als Beschreibung seiner Lebenseinstellung. Nach seiner Auffassung kam in dem Wort Faulpelz nicht nur die Verachtung der Mehrheit gegenüber einem ihrer Meinung nach unnützen Mitglied der Gesellschaft zum Ausdruck, sondern auch der Neid und die Angst der biederen Bürger. Genau wie Erna Schulte entwickelten sie Neid, weil sie es entweder nie gelernt hatten oder weil sie nie den Mut aufgebracht hatten, ein Faulpelz zu sein. Gleichzeitig verunsicherte sie Jans Anblick, denn die Existenz einer alternativen Lebensphilosophie stellt ja automatisch die eigene Ansicht in Frage. Der Prozess des Aufeinandertreffens zweier antagonistischer Weltanschauungen lief im Falle von Erna Schulte vermutlich unbewusst ab. Erna reflektierte nicht, sie agierte und zwar aggressiv.

Der unbedarfte Leser könnte nun argumentieren, dass Jan sich die Nachbarin mal vorknöpfen sollte, ihr die Sache mit dem Arbeiten mal richtig erklären sollte, auf Toleranz, Verständnis und Einsicht ihrerseits hoffen sollte, damit sie nachher in Frieden miteinander oder wenigstens doch nebeneinander leben könnten. So oder ähnlich könnte der unbedarfte Leser argumentieren, weil er Erna Schulte nicht kennt. Denn nichts liegt der Realität ferner als der Glaube, man könnte Erna Schulte in ihren Ansichten verändern, und nichts liegt Erna Schulte ferner als Toleranz, Verständnis und Einsicht.

Der Umstand, dass Erna mit ihren Ansichten in der Bahnhofstraße keineswegs alleine stand, führte Jan wiederum zur Entwicklung einer Strategie, um mit den Sticheleien seiner Mitmenschen umgehen zu können. Er nannte es „social suvivaltraining“, was etwa so viel heißt wie Überleben in der Gesellschaft und darin bestand, mit dem geringstmöglichen Aufwand an Energie und dem größtmöglichen Ertrag an guter Laune die alltäglichen Peinlichkeiten seiner Mitmenschen zu überstehen. Ja, das Leben ist eine Tour de France: Jeden Tag gibt es eine neue Etappe, wobei Jan das Zeitfahren regelmäßig ausfallen ließ und eine Begegnung mit Erna Schulte beim besten Willen nicht mehr als eine Bergetappe der dritten Kategorie darstellte.