Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band - Jean Paul - E-Book

Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band E-Book

Jean Paul

0,0
1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Sammelband "Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band" bietet einen facettenreichen Einblick in das Werk eines der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Romantik. Jean Paul, bekannt für seinen einzigartigen literarischen Stil, kombiniert hochpoetische Sprache mit tiefgründigen philosophischen Reflexionen. Seine Romane zeichnen sich durch eine ausgeprägte Ironie und einen unverwechselbaren Humor aus, der das komplexe Innenleben seiner Protagonisten in den Vordergrund rückt. In epischen Erzählungen entfaltet sich eine Welt voller Skurrilitäten und tief greifender Emotionen, die die Leser zum Nachdenken anregen und zugleich unterhalten. Jean Paul, geboren als Johann Paul Friedrich Richter, prägte die literarische Landschaft des frühen 19. Jahrhunderts und reflektierte die gesellschaftlichen und philosophischen Umbrüche seiner Zeit. Sein eigener turbulenter Lebensweg, einschließlich der Herausforderungen, die er als Autor im Schatten der Klassiker erlebte, wie Goethe und Schiller, führte ihn dazu, Konzepte von Identität und Existenz in seinen Romane intensiv zu erforschen. Sein Streben nach einem humanistischen Ideal und die Auswirkungen der Aufklärung sind in seinem Gesamtwerk omnipräsent. Dieses Buch ist nicht nur für Literaturwissenschaftler, sondern auch für jeden Leser, der in die Tiefen menschlicher Emotionen und in die Komplexität des Lebens eintauchen möchte, ein Muss. Es bietet die Möglichkeit, in eine unverwechselbare Welt einzutauchen und die Vielschichtigkeit der menschlichen Erfahrung durch die Augen eines Meisters der Literatur zu erleben. Jean Pauls Romane sind eine literarische Entdeckungsreise, die den Leser nachhaltig bereichern werden. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jean Paul

Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band

Bereicherte Ausgabe. Romantische Meisterwerke und tiefgründige Charakterstudien in einem Band
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Einführung, Studien und Kommentare von Nolan Shepherd
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547812791

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Historischer Kontext
Synopsis (Auswahl)
Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Diese Ausgabe bündelt unter dem Titel Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band das erzählerische Hauptwerk eines der eigenständigsten Prosaautoren der deutschen Literatur. Ziel ist es, die gesamte Spannweite seiner Romanpoetik in einer kompakten Gesamtschau zugänglich zu machen: von frühen Entwürfen über groß angelegte Entwicklungsromane bis hin zu späten satirischen und experimentellen Unternehmungen. Die Sammlung führt Leserinnen und Leser über Jean Pauls Werkwege hinweg zusammen, sodass stilistische Reifungen, thematische Verschiebungen und formale Wagnisse unmittelbar nachvollziehbar werden. Sie richtet sich an Erstleser, die Orientierung suchen, ebenso wie an Kenner, die die Romane als zusammenhängendes Projekt lesen möchten.

Obwohl der Band Romane versammelt, zeigt sich darin eine bemerkenswerte Textsortenvielfalt im Rahmen des Romangenres. Neben weit ausgreifenden Erzählkompositionen stehen romanhafte Lebensläufe, Idylle- und Schulmeistergeschichten, satirische Reisebilder, gelehrte Spielarten und komische Gesellschaftsbilder. In vielen Werken werden Briefe, Predigten, Tagebucheinträge oder gelehrte Exkurse in die Romane integriert, ohne dass es sich um separate Brief- oder Tagebuchbände handelt. Gedichte und Dramen gehören nicht zum Umfang dieser Edition. Die Spannweite reicht von dicht gezeichneten Bildungs- und Kleinstadtwelten bis zu phantastisch überhöhten Szenarien; stets bleibt der Roman das strukturierende Grundgerüst, das Jean Paul mit hybriden Formen elastisch erweitert.

Als Ensemble offenbaren die enthaltenen Werke ein Netz wiederkehrender Themen. Im Zentrum stehen die Bildung und Selbstfindung empfindsamer, oft widersprüchlicher Charaktere; ihre Wege kreuzen gesellschaftliche Erwartungen, freundschaftliche Bündnisse, Liebesbindungen und moralische Bewährungsproben. Häufig prallen bürgerliche Lebensordnungen und enthusiastische Überschüsse aufeinander, aus denen Komik ebenso entsteht wie Schwermut. Reisen, Studienjahre und Aufenthalte in Heil- und Badeorten werden zu Bühnen der Beobachtung, auf denen soziale Rituale, wissenschaftliche Moden und pädagogische Systeme spielerisch durchleuchtet werden. Nicht zuletzt erkundet Jean Paul die Frage nach innerer Freiheit und Trost: Wie lässt sich im Alltäglichen das Erhabene aufscheinen, ohne die Wirklichkeit zu verfehlen?

Stilistisch verbindet Jean Paul funkelnde Einfälle mit weit ausholenden Reflexionen. Digressionen, Vorreden, Zwischenkapitel und Fußnoten bilden ein eigenes Erzählregister, das den Lesefluss nicht hemmt, sondern stetig neu akzentuiert. Der Witz reicht von der sanften Ironie bis zur scharf gezogenen Satire; er steht neben Passagen großer Zartheit und Nachdenklichkeit. Kühn gebaute Vergleiche, Neologismen und überraschende Bildketten entfalten eine sprachliche Architektur, die zugleich verspielt und präzise ist. Die Erzählerinstanz bleibt sichtbar und suchend, lädt ein, widerspricht, relativiert und stellt Bezüge her. So entsteht eine Prosa, die Erkenntnislust mit Empfindsamkeit, Beobachtung mit Imagination verschränkt.

Charakteristisch ist ferner die Offenheit der Romanarchitektur. Jean Paul montiert Rahmen- und Binnenerzählungen, fügt Gleichnisse, Miniaturen und gelehrte Abhandlungen ein und lässt Episoden zyklisch wiederkehren. Motive spiegeln sich quer durch die Werke: Doppelgänger- und Freundschaftskonstellationen, Erfinder- und Gelehrtentypen, musikalische und poetische Künste als Lebensmodelle, das Reisen als Erkenntnispraxis. Solche Wiederaufnahmen stiften Kohärenz über einzelne Bücher hinweg, ohne deren Eigenart zu glätten. Der Band lädt dazu ein, Querlinien zu verfolgen: wie eine Idee in anderem Milieu anders klingt, wie Tonlagen sich verschieben, wie das Komische den Ernst nicht auslöscht, sondern tragfähig macht.

In ihrer Gesamtheit zeigen diese Romane, wie beweglich das Genre an der Schwelle zwischen Aufklärung und Romantik gedacht werden kann. Jean Paul erprobt Möglichkeiten des Erzählens, die das Subjekt, die Gesellschaft und die Sprache selbst zum Thema machen. Indem er Reflexion und Handlung, Satire und Seelenkunde verschränkt, erweitert er den Spielraum des Romans nachhaltig. Die Sammlung macht dieses Experimentieren als kontinuierlichen Prozess sichtbar und dokumentiert zugleich die poetische Gedächtnisarbeit eines Autors, der sein Werk im Dialog mit sich selbst fortschreibt. So entstehen Maßstäbe, die über den Entstehungskontext hinaus anregend und produktiv bleiben.

Wer den Band aufschlägt, betritt eine Welt, in der das Nachdenken selbst zum Ereignis wird. Die Romane verlangen Aufmerksamkeit, belohnen jedoch mit einer Fülle von Stimmen, Szenen und Beobachtungen, die das Gewöhnliche erhellen und das Außergewöhnliche erden. Als kompakte Ausgabe schafft die Sammlung einen verlässlichen Zugang: Sie bündelt verstreute Stoffe, ordnet sie in einen sinnfälligen Zusammenhang und lädt zur kontinuierlichen wie selektiven Lektüre ein. Damit verfolgt sie ein doppeltes Ziel: die historische Eigenart der Texte zu bewahren und zugleich ihre heutige Lesbarkeit herauszustellen – als lebendige Prosa, die neugierig macht und bleibt.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Jean Paul, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, wurde am 21. März 1763 in Wunsiedel geboren und starb am 14. November 1825 in Bayreuth. Sein Vater war Pfarrer in Joditz und Hof; der frühe Tod 1779 brachte die Familie in Armut. 1781 begann er in Leipzig das Studium der Theologie, wandte sich jedoch der Literatur zu. Sein Werk erstreckt sich von den frühen 1790er Jahren bis in die 1820er. Lebensstationen wie Hof, Weimar, Berlin und Bayreuth durchziehen die Texte als Erfahrungsräume einer klein- und mitteldeutschen Welt. Diese biografische und geographische Konstellation prägt den Blick auf Pfarrer-, Schulmeister- und Gelehrtenmilieus, die viele Romane und Erzählungen bevölkern.

Die Epoche seiner Produktion umfasst den Übergang von Aufklärung und Empfindsamkeit zum Sturm und Drang, zur Weimarer Klassik und Frühromantik. Entscheidende Debatten wurden durch Immanuel Kant ausgelöst, dessen Kritik der reinen Vernunft 1781 (zweite Auflage 1787) die ästhetische und moralische Reflexion neu fundierte; in Jena wirkte Johann Gottlieb Fichte seit 1794. In Weimar prägten Goethe und Schiller die literarische Landschaft. Jean Paul stand neben diesen Schulen und schuf eine idiosynkratische Mischform. Programmschriften wie Vorschule der Ästhetik 1804 und Levana oder Erziehlehre 1807 rahmen die erzählerische Produktion und verbinden poetische Experimentierlust mit ethischen und pädagogischen Fragen, die sich durch das gesamte Œuvre ziehen.

Seine Romane reagieren auf eine europäische Erzähltradition, die von Miguel de Cervantes über Henry Fielding bis zu Laurence Sterne reicht. Sterne publizierte Tristram Shandy 1759 bis 1767, dessen Abschweifungen, Spiel mit Herausgeberfiktionen und Fußnotenmodell bei Jean Paul produktiv weitergeführt werden. Charakteristisch sind Erzählerkommentare, Pseudonyme, Maskenspiele und alterierende Tonlagen zwischen Satire, Rührung und Groteske. Die oft mehrbändige Anlage, die Einfügung von Vorreden, Zwischentiteln und Exkursen sowie der Wechsel zwischen Lebenslauf, Reisebericht und gelehrter Abhandlung sind formale Konstanten, die über mehrere Bücher hinweg auftreten und die Grenzen zwischen Roman, Essay und Kompendium bewusst verwischen.

Der literarische Markt im deutschsprachigen Raum expandierte um 1800. Die Leipziger Buchmesse blieb ein Knotenpunkt, Leihbibliotheken verbreiteten Lektüre in Leipzig, Berlin und anderen Städten, und Periodika wie die in Jena gegründete Allgemeine Literatur-Zeitung ab 1785 strukturierten Kritik und Öffentlichkeit. Jean Pauls Ruhm setzte in der Mitte der 1790er Jahre ein, was Honorare, Widmungen und Verlagswechsel erleichterte. 1796 suchte er die Nähe zu Weimar und Jena, 1800 bis 1801 hielt er sich in Berlin auf, 1801 heiratete er Karoline Mayer, 1804 ließ er sich dauerhaft in Bayreuth nieder. Diese Mobilität spiegelt sich in Motiven des Reisens, des Salons und der gelehrten Geselligkeit.

Die politischen Erschütterungen der Zeit prägen die oft doppelte Tonlage von utopischem Entwurf und skeptischer Satire. Nach der Französischen Revolution 1789 erfassten die Koalitionskriege Mitteleuropa; 1806 zerfiel das Heilige Römische Reich, Preußen erlitt bei Jena und Auerstedt eine Niederlage, Berlin stand unter französischer Besatzung. Der Wiener Kongress 1814 bis 1815 leitete die Restauration ein; die Karlsbader Beschlüsse von 1819 verschärften Zensur und Universitätsaufsicht in vielen deutschen Staaten. Diese Ereignisse bilden einen Hintergrund für Reflexionen über bürgerliche Freiheit, patriotische Rhetoriken, Angst vor Autoritarismus und die Zerbrechlichkeit privater Existenzen, die sich durch mehrere Romane und Erzählungen ziehen.

Parallel zum politischen Wandel boomten Naturwissenschaften und Technik. Seit der Montgolfière 1783 beflügelten Luftfahrtvisionen Phantasie und Satire; populäre Astronomie machte Himmelsereignisse wie den Großen Kometen von 1811 zu Medienereignissen in Kalendern und Intelligenzblättern. Medizin, Mineralogie und Mechanik erreichten die gebildete Öffentlichkeit über Vorlesungen in Jena, Halle und Berlin. Jean Paul parodiert und reflektiert diese Wissensformen, indem er Professoren, Ärzte, Sammler und Experimentatoren auftreten lässt, deren gelehrter Enthusiasmus und pedantische Monomanie zugleich bewundert und ironisiert werden. So werden wissenschaftliche Diskurse, gelehrte Symposien, Badeorte und Kurgesellschaften zu Bühnen, auf denen soziale Rollen und Erkenntnisansprüche komisch gebrochen erscheinen.

Die religiös-sittliche Kultur des protestantischen Deutschlands bildet einen weiteren Resonanzraum. Pietistische Frömmigkeit, lutherische Gemeindepraxis und aufgeklärte Moral verbanden sich in den Häusern von Pfarrern und Schulmeistern, wie sie der Autor aus Hof und der Umgebung kannte. Pädagogische Reformen von Johann Bernhard Basedow und Johann Heinrich Pestalozzi, Debatten über Volksbildung und weibliche Erziehung sowie der Alltag der Lateinschulen liefern Stoff für lebensnahe Detailbeobachtungen. Immer wieder stehen Lebensläufe von armen Studiosi, Kandidaten des Predigtamts, Notaren und Hauslehrern im Zentrum, deren prekäre Ökonomie, Heiratspläne und Bildungsideale die soziale Textur einer entstehenden bürgerlichen Gesellschaft kennzeichnen.

Die Werke zirkulierten zwischen Klassik und Romantik und entzogen sich doch beiden Schulen. Zeitgenössisch wurde Jean Paul in Weimar zunächst reserviert aufgenommen, gewann jedoch bald eine breite Leserschaft. Spätere Autoren wie E. T. A. Hoffmann, der 1814 bis 1822 in Berlin publizierte, griffen die Verbindung von Groteske und Sentiment auf. Nach dem Tod 1825 erschienen Nachlassstücke, und in den 1820er Jahren wurden Fragmente ediert; das Fragment Selina wurde 1827 veröffentlicht. Im 19. Jahrhundert schwankte die Bewertung zwischen Bewunderung und Unbehagen, bevor das 20. Jahrhundert, etwa mit Thomas Manns essayistischen Würdigungen, die formale Kühnheit erneut hervorhob.

Synopsis (Auswahl)

Inhaltsverzeichnis

Die unsichtbare Loge

Früher Bildungsroman um Gustav, dessen Lebensweg von einer geheimnisvollen ‚Loge‘ lenkend begleitet wird. In Briefen und Episoden verbindet der Text Pädagogiksatire, Empfindsamkeit und Gesellschaftsbilder.

Hesperus oder 45 Hundposttage

Weiträumiger Gesellschafts- und Liebesroman, der das Leben eines jungen Intellektuellen und seines Kreises über 45 ‚Posttage‘ verfolgt. Er mischt sentimentale Leidenschaft, Komik und scharfe Beobachtungen des Provinzlebens.

Siebenkäs

Roman um den armen Advokaten Siebenkäs und seinen doppelgängerhaften Freund Leibgeber, der bürgerliche Zwänge, Freundschaft und den Wunsch nach einem freieren Leben verhandelt. Berühmt für eingeschobene Traum- und Ideallandschaften sowie philosophische Exkurse.

Titan

Großangelegter Bildungs- und Hofroman über den Aufstieg eines jungen Mannes zwischen Ideal, Liebe und höfischer Intrige. Das Panorama der Kleinstaaterei dient der Kritik an Machtstreben, Schwärmerei und moralischer Selbstüberhebung.

Flegeljahre

Doppel-Bildungsroman der ungleichen Zwillinge Walt und Vult, deren Wege zwischen Kunst, Musik und bürgerlicher Existenz auseinanderlaufen. Ironisch-fragmentarisch erzählt und bewusst offen gehalten.

Schulmeister-Erzählungen (Leben des Quintus Fixlein; Leben Fibels)

Zwei mock-biographische Dorfgeschichten über provinzielles Gelehrtentum, Amtsalltag und bescheidene Glückssuche. Humorvoll-idyllisch und zugleich satirisch auf pädagogische Pedanterie und Standesrituale.

Reisesatiren und phantastische Exkurse (Dr. Katzenbergers Badereise; Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch; Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz)

Drei Reiseparodien führen einen pedantischen Arzt, einen ängstlichen Feldprediger und einen Luftschiffer durch Kurbäder, Kleinstädte und den Luftraum. Aus der Bewegung heraus seziert Jean Paul Wissenschaftsmoden, Ängste und die deutsche Kleinstaaterei.

Späte Novellen und Fragmente (Der Komet; Selina)

Der Komet karikiert die gesellschaftliche Hysterie um ein Himmelszeichen und verknüpft sie mit Liebes- und Provinzintrigen. Selina ist ein spätes, fragmentarisches Prosastück, das erzählerische Szenen mit Reflexionen über Trost und Seelenunsterblichkeit verbindet.

Jean Paul: Sämtliche Romane in einem Band

Hauptinhaltsverzeichnis
Die unsichtbare Loge
Flegeljahre
Hesperus oder 45 Hundposttage
Siebenkäs
Titan
Leben Fibels
Der Komet
Selina
Dr. Katzenbergers Badereise
Leben des Quintus Fixlein
Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz

Die unsichtbare Loge

Eine Lebensbeschreibung

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil
Entschuldigung
Vorrede zur zweiten Auflage
Vorredner
1. Sektor
2. Sektor
3. Sektor
4. Sektor
5. Sektor
6. Sektor
7. Sektor
8. Sektor
9. Sektor
10. Sektor
11. Sektor
12. Sektor
13. Sektor
14. Sektor
15. Sektor
16. Sektor
17. Sektor
18. Sektor
19. Sektor
20. Sektor
21. Sektor
22. Sektor
23. Sektor
24. Sektor
25. Sektor
26. Sektor
Zweiter Teil
27. Sektor
28. Sektor
29. Sektor
30. Sektor
31. Sektor
32. Sektor
33. Sektor
34. Sektor
35. Sektor
36. Sektor
37. Sektor
38. Sektor
39. Sektor
40. Sektor
41. Sektor
42. Sektor
43. Sektor
44. Sektor
45. Sektor
46. Sektor
47. Sektor
48. Sektor
49. Sektor
50. Sektor
51. Sektor
52. Sektor
53. Sektor
54. Sektor
55. Sektor
Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal
Ausläuten

Der Mensch ist der große Gedankenstrich im Buche der Natur

Auswahl aus des Teufels Papieren

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis

Entschuldigung

Inhaltsverzeichnis

bei den Lesern der sämtlichen Werke in Beziehung auf die unsichtbare Loge

Ungeachtet meiner Aussichten und Versprechungen bleibt sie doch eine geborne Ruine. Vor dreißig Jahren hätte ich das Ende mit allem Feuer des Anfangs geben können, aber das Alter kann nicht ausbauen, nur ausflicken, was die kühne Jugend aufgeführt. Ja man setze sogar alle Kräfte des Schaffens ungeschwächt, so erscheinen ihnen doch nicht mehr die vorigen Begebenheiten, Verwicklungen und Empfindungen des Fortsetzens wert. Sogar in Schillers Don Carlos hört man daher zwei Zeiten und zwei Stimmen. –

Noch ein Werk, die biographischen Belustigungen unter der Hirnschale einer Riesin, steht in der Reihe dieser Sammlung ohne Dach und Baurede da – aber es ist auch das letzte; – und sind denn zwei unausgebaute Häuserchen so gar schwer zu verzeihen in einem Korso von Gebäuden aller Art – von Gartenhäusern – großen Sakristeien, wenn auch ohne Kirchen – Irren- und Rathäusern – kleinen Hörsälen – vier Pfählen – Dachstuben – Erkern – und italienischen Kellern? – Wenn man nun fragt, warum ein Werk nicht vollendet worden, so ist es noch gut, wenn man nur nicht fragt, warum es angefangen. Welches Leben in der Welt sehen wir denn nicht unterbrochen? Und wenn wir uns beklagen, daß ein unvollendet gebliebener Roman uns gar nicht berichtet, was aus Kunzens zweiter Liebschaft und Elsens Verzweiflung darüber geworden, und wie sich Hans aus den Klauen des Landrichters und Faust aus den Klauen des Mephistopheles gerettet hat – so tröste man sich damit, daß der Mensch rund herum in seiner Gegenwart nichts sieht als Knoten, – und erst hinter seinem Grabe liegen die Auflösungen; – und die ganze Weltgeschichte ist ihm ein unvollendeter Roman. –

Baireuth, im Oktober 1825.

Jean Paul Friedrich Richter.

Vorrede zur zweiten Auflage

Inhaltsverzeichnis

Wer einigen wohlwollenden Anteil an den kleinen Haus-, ja Studierstubenfesten der Schriftsteller nimmt: der läuft gewiß ihre Vorreden zu zweiten Auflagen mit Vergnügen durch; denn in diesen feiern sie ihr Buch-Jubiläum und haben darin fast nichts zu sagen als das Angenehmste, nämlich von sich. Wenn der Schriftsteller in der Vorrede zur Probier-Auflage sich so gar matt und scheu handhaben muß und aus weit getriebner und doch unentbehrlicher Bescheidenheit so viele Besorgnisse und Zweifel (sie betreffen seine Gaben) an den Tag zu legen hat: wieviel ungebundner und heiterer geht es dagegen her nach dem Übergange des Jubel-Autors aus der streitenden Kirche der ersten Vorrede in die triumphierende der zweiten, und der Jubilarius bringt sich selber ohne Angst sein Ständchen und sein vivat und vivam!

Gegenwärtiger Schreiber ist auf diesem Bogen selber im Begriffe, zu jubilieren und ein Familienfest mit einem seiner liebsten Kinder – eben dem gegenwärtigen Buche, seinem romantischen Erstling – zu begehen, und redet hier zur zweiten Auflage vor.

– Aber mitten im Feste erwägt er wohl, daß ein Autor wie er auf diese Weise am Ende mehr Vorreden als Bücher macht – z.B. zu einem dreimal aufgegangnen Hesperus drei Vorreden als Morgenröten – und daß folglich beinahe des Redens mehr ist als des Machens. Das Alter spricht ohnehin gern von sich; aber nachteilig genug vermehren sich eben mit den Jahren die neuen Auflagen und mithin die Vorreden dazu, worin man allerlei über sich vorbringt.

Das wenige, was ich hier von mir selber zu sagen habe, beschränkt sich auf das gewöhnliche vorrednerische Eigenlob und auf den als Lobfolie untergelegten Eigentadel.

Stehende Verbesserungen aller meiner Auflagen blieben auch hier die Land- oder Buch-Verweisungen von faulen Tag- oder Sprachdieben oder Wortfremdlingen und die Ausrottung falscher Genitiv-S und Ungs. – Ferner auf allen Blättern, wo es nottat, wurden Lichter und Schatten und Farben gehoben oder vertieft, aber nur schwach; und da bloß meistens in komischen Stellen. Denn wenn ich hätte – um mit dem Lobe fortzufahren – an den ernsten stärken oder ändern wollen, welche die Natur und die Liebe und das Große in uns und über uns malen: so hätt' ich es in meinem spätern Alter nicht zu machen vermocht, indem ich bei jenen Stellen schon Gott danken muß, daß ich sie nur das erste Mal gemacht. Diese Not wird sich erst recht zeigen – so daß ich lieber und leichter nach den vier gedruckten Flegeljahren noch so viele neue, als ich Jahre habe, gäbe –, wenn ich einmal den dritten oder Schlußband dieser Loge bauen muß; und ich wünschte herzlich, irgendein anderer Nachahmer von mir als ich selber übernähme die Last.

Denn die Gründe liegen offen da. Der Verfasser dieses blieb und arbeitete nach den im 19ten Jahre geschriebnen Skizzen noch neun Jahre lang in seiner satirischen Essigfabrik (Rosen- und Honigessig lieferte aus ihr die Auswahl aus des Teufels Papieren), bis er endlich im Dezember 1790 durch das noch etwas honigsauere Leben des Schulmeisterlein Wutz1 den seligen Übertritt in die unsichtbare Loge nahm: so lange also, ein ganzes horazisches Jahrneun hindurch, wurde des Jünglings Herz von der Satire zugesperrt und mußte alles verschlossen sehen, was in ihm selig war und schlug, was wogte und liebte und weinte. Als es sich nun endlich im achtundzwanzigsten Jahre öffnen und lüften durfte: da ergoß es sich leicht und mild wie eine warme überschwellende Wolke unter der Sonne – ich brauchte nur zuzulassen und dem Fließen zuzusehen – und kein Gedanke kam nackt, sondern jeder brachte sein Wort mit und stand in seinem richtigen Wuchse da ohne die Schere der Kunst. Gerade ein lange zugedrücktes übervolles Herz bewahrt in seiner Flut mehr das Richtige und Gemäßigte als ein immer offen gelaßnes, sich leer rinnendes in seiner Ebbe, das Wellensprünge machen muß für die nächste Buchhändlermesse. Ach! man sollte alles Beste, zumal des Gefühls, nur einmal aussprechen! – Die Blüten der Kraftbäume sind schmal und haben nur zwei einfache Farben, die weiße und rote, Unschuld und Scham; hingegen die Blumen auf ihren dünnen Stengeln sind breiter als diese und schminken sich mit brennenden Farben. – Aber jedes erste Gefühl ist ein Morgenstern, der, ohne unterzugehen, bald seinen Zauberschimmer verliert und durch das Blau des Tags verhüllt weiterzieht .....

Ich gerate hier beinahe in dasselbe blumige Unwesen durch Sprechen darüber; aber eben wieder aus der angeführten Ursache, weil ich über die jungfräuliche Kraft und Schönheit, womit frische Gefühle zum ersten Male reden, schon so oft und besonders in Vorreden gesprochen (ich verweise in dieser zur zweiten Auflage der Mumien auf die neueste zur zweiten Auflage der grönländischen Prozesse); und so beweiset sich der Satz schon dadurch, wie er sich ausspricht.

Man wird vielleicht dem Verfasser es nachsehen, daß er seinen ersten Roman zwei Jahre zu früh geschrieben, nämlich schon in seinem 28ten; aber im ganzen, gesteht er selber, sollte man Romane nicht vor dem Jahre schreiben, wo der alte Deutsche seinen spielte und ihn sogleich in Geschichte durch Ehe verwandelte, nämlich im 30ten Jahre. An Richardson, Rousseau, Goethe (nicht im lyrischen Werther, sondern im romantischen Meister), an Fielding und vielen bewährt sich der Satz. – Der Verfasser der unsichtbaren Loge hatte von Lichtenberg so starke Bußpredigten gegen die Menschenunkunde der deutschen Romanschreiber und Dichter gelesen und gegen ihre so große Unwissenheit in Realien ebensowohl als in Personalien, daß er zum Glück den Mut nicht hatte, wenigstens früher als im 28ten Jahre das romantische Wagstück zu übernehmen. Er fürchtete immer, ein Dichter müsse so gut wie ein Maler und Baumeister etwas wissen, wenn auch wenig; ja er müsse (die Sache noch höher getrieben) sogar von Grenzwissenschaften (und freilich umgrenzen alle Wissenschaften die Poesie) manches verstehen, so wie der Maler von Anatomie, von Chemie, Götterlehre und sonst. – Und in der Tat hat sich niemand so stark als Goethe – der unter allen bekannten Dichtern die meisten Grundkenntnisse in sich verknüpft, von der Reichspraxis und Rechtslehre an durch alle Kunststudien hindurch bis zur Berg- und Pflanzen- und jeder Naturwissenschaft hinauf – als den festen und zierlichen Pfeiler des Grundsatzes hingestellt, daß erst ein Dichter, welcher Licht in der einen und andern Sache hat, sich kann hören lassen, so daß sichs hier verhielte mit den Dichtungen wie mit den Pflanzen, welche bei aller Nährung durch Wärme, Feuchte und Luft doch nur Früchte ohne Geschmack und Brennstoff bringen, wenn ihnen das Sonnenlicht gebrach.

Glücklicherweise hat sich freilich seitdem – seit dem eingegangnen Predigtamte Lichtenbergs und anderer Prosaisten – sehr vieles und zwar zum wahren Vorteile der Dichter geändert. Menschenstudien vorzüglich werden ihnen von Kunstverständigen und Leihlesern willig erlassen, weil man dafür desto mehr im Romantischen von ihnen erwartet und fodert. Daher sind sogenannte Charaktere – wie etwa die vorkömmlichen bei Goethe, oder gar bei Shakespeare, ja wie nur bei Lessing – gerade das, wodurch sich die neueren Roman- und Drama-Dichter am wenigsten charakterisieren, sondern es ist ihnen genug – sobald nur sonst gehörige Romantik da ist –, wenn die Charaktere bloß so halb und halb etwa etwas vorstellen, im ganzen aber nichts bedeuten. Ihre Charaktere oder Menschen-Abbilder sind gute Konditor- oder Zuckergebilde und fallen, wie alle Kandis- und Marzipanmänner, sehr unähnlich, ja unförmlich, aber desto süßer aus und zerlaufen mild auf der Zunge. Ihre gezeichneten Köpfe sind gleichsam die Papierzeichen dieser höhern Papiermüller und bedürfen keiner größern Ähnlichkeit mit den Urbildern als die Köpfe der Könige von Preußen und Sachsen auf dem preußischen und sächsischen Konzept-Papiere, die und deren Unähnlichkeit man erst sieht, wenn man einen Bogen gegen das Licht hält. Da nun gerade neue Charaktere so schwer und ihrer nur so wenige zu erschaffen sind, wenn man sich nicht zu einem Shakespeare steigern kann, hingegen neue Geschichten so leicht zu geben, zu deren Zusammensetzungen schon vorgeschriebene Endreime der Willkür die organischen Kügelchen oder den Froschlaich darbieten: so wird durch stehende Wolkengestalten von Charakteren, welche unter dem Anschauen flüssig aus- und einwachsen und sich selber eine Elle zusetzen und abschneiden, dem Dichter unglaubliche Mühe und Zeit, die er fruchtbarer an Begebenheiten verwendet, im Schaffen erspart, und er kann jede Messe mit seinem frischen Reichtum neuer Geschichten und alter Charaktere auftreten; er ist der Koch Andhrimmer (in der nordischen Mythologie) und hat den Kessel Eldhrimmer und kocht das Schwein Sährimmer, das jeden Abend wieder lebendig wird, und bewirtet damit die Helden in Walhalla jeden Tag.

Dieser romantische Geist hat nun in Romanen und Trauerspielen eine Höhe und Vollkommenheit erreicht, über welche hinaus er ohne Selbstverflüchtigung schwerlich zu gehen vermag, und welche man in der ganz gemeinen Sprache unbedenklich schon Tollheit oder Wahnwitz nennen kann, wenn auch nicht in der Kunstsprache. Von den Trauerspielen an des ohnehin nicht verstandreichen Werners bis hinauf zu dem Yngurd und der Albaneserin des verstandüberreichen Müllners regiert ein seltner, luftiger, keines Bodens bedürftiger Wahnwitz die Charaktere und dadurch sogar einen Teil der Geschichte, deren Schauplatz eigentlich im Unendlichen ist, weil verrückte und verrückbare Charaktere jede Handlung, die man will, motivieren und rücken können. Sogar bei den größten Genien anderer Völker und früherer Zeiten sucht man Kunst-Verrückungen und Anamorphosen und Anagrammen des Verstandes, wie z.B. in des gedachten Proselyten Luther oder Attila, umsonst. Sogar ein Sophokles glaubte, von seinen erbsüchtigen Kindern des Alterwahnwitzes angeklagt, sie durch ein so verstandreiches Trauerspiel wie der Ödipus zu Boden zu schlagen; aber in unserer Zeit würde wohl ein deutscher Sophokles vor Gericht den Beweis seines Verstandes durch kein anderes Gedicht führen als durch eines, worin er seinen Haupt-Charakteren den ihrigen genommen hätte.

Dieser romantische Kunst-Wahnwitz schränkt sich glücklicherweise nicht auf das Weinen ein, sondern erstreckt sich auch auf das Lachen, was man Humor oder auch Laune nennt. Ich will hier der Vorreden-Kürze wegen mich bloß auf den kraftvollen Friedrich Hoffmann berufen, dessen Callotische Phantasien ich früher in einer besondern Vorrede schon empfohlen und gepriesen, als er bei weitem weniger hoch, und mir viel näher stand. Neuerer Zeit nun weiß er allerdings die humoristischen Charaktere – zumal in der zerrüttenden Nachbarschaft seiner Morgen-, Mittag-, Abend- und Nachtgespenster, welche kein reines Taglicht und keinen festen Erdboden mehr gestatten – zu einer romantischen Höhe hinaufzutreiben, daß der Humor wirklich den echten Wahnwitz erreicht; was einem Aristophanes und Rabelais und Shakespeare nie gelingen wollen. Auch der heitere Tieck tat in frühern Werken nach diesen humoristischen Tollbeeren einige glückliche Sprünge, ließ aber als Fuchs sie später hangen und hielt sich an die Weinlese der Bacchusbeeren der Lust. – –

Dieses wenige reiche hin, um zu zeigen, wie willig und freudig der Verfasser den hohen Stand- und Schwebepunkt der jetzigen Literatur anerkenne. Unstreitig ist jetzo die Belladonna (wie man die Tollkirsche nennt) unsere Muse, Primadonna und Madonna, und wir leben im poetischen Tollkirschenfest. Desto erfreulicher ist es, daß auch die Lesewelt diese poetische Hinaufstimmung auf eine freundliche Weise begünstigt durch ihre Teilnahme, und daß sie, wie das Morgenland, Verrückte als Heilige ehrt, und was sie sagen, für eingegeben hält. Überhaupt eine schöne Lorbeer- und Kirschlorbeerzeit! – –

Bei allen neuen zweiten Ausgaben wird es dem Verfasser, der sie so gern zu recht verbesserten machen möchte, von neuem schmerzhaft, daß keine seiner Dichtungen ein um- und eingreifendes Kunsturteil über Charaktere und Geschichte und Sprache jemal hat erobern können. Mit einem allgemeinen Lobe bis zur Übertreibung und mit einem ähnlichen Tadel bis zu einer noch größern ist einem rechtschaffenen Künstler nicht gedient und geholfen. Natürlicherweise wurden zweite Auflagen noch weniger beurteilt und geprüft als erste, und der Verfasser sah jeden Abend vergeblich auf ein Lob seiner Strenge gegen sich selber auf. Wie gern er aber bessert und streicht – noch mehr als ein Wiener Schauspieldirektor, der bloß fremde Stücke zerstückt – und wie emsig er aus jedem bedornten oder gestachelten Tadel, sei er entweder Rose oder Wespe, den Honig der Besserung saugt, dies könnte ein Kunstrichter erfahren, ohne mehr Bücher zu lesen als zwei, nämlich die zweite Ausgabe neben der ersten; ja sogar aus einem einzigen könnte er alles wegbekommen, wenn er einen Herrn Verleger bloß um gefällige Vorzeigung des letzten, mit weisen Runzeln und mit Druck- und Dintenschwärze zugleich durchfurchten Alt-Exemplars ersuchte: der Mann würde im Buchladen sich wundern über das Bessern, ihm so gerade gegenüber.

Aber, wie leider gesagt, gegenwärtig wird in Deutschland wenig Belletristisches rezensiert, und die Taschenkalender sind hier wohl die einzigen Ausnahmen von Belang, nämlich ihre verschiedenen kleinen Aufsätze und die verschiedenen kleinen Urteile dazu.

Es ist eigentlich ziemlich spät, daß ich erst nach 28 Jahren sage, was die beiden Titel des Buchs sagen wollen. Der eine »unsichtbare Loge« soll etwas aussprechen, was sich auf eine verborgne Gesellschaft bezieht, die aber freilich so lange im Verborgnen bleibt, bis ich den dritten oder Schlußband an den Tag oder in die Welt bringe. Noch deutlicher läßt sich der zweite Titel »Mumien« erklären, der mehr auf meine Stimmung, so wie jener mehr auf die Geschichte, hindeutet. Überall werden nämlich im Werke die Bilder des irdischen Vorüberfliegens und Verstäubens, wie ägyptische Mumien und griechische Kunst-Skelette, unter den Lustbarkeiten und Gastmahlen aufgestellt. Nun soll aber die Poesie mehr das Entstehen als das Vergehen zeigen und schaffen und mehr das Leben auf den Tod malen als das Gerippe auf das Leben. Der Musenberg soll als der höchste, alle Wolken überflügelnde Berg, der uns sowohl den Himmel als die Erde heller schauen läßt und zugleich die Sternbilder und den blumigen Talgrund uns näher bringt, dieser soll der Ararat der im Wasser arbeitenden und schiffbrüchigen Menschheit sein; wie sich in der Mythe2 Deukalion und Pyrrha aus der Sündflut auf dem Parnassus erretteten. So verlangt es besonders unser Goethe und dichtet darnach; die Dichtkunst soll nur erheitern und erhellen, nicht verdüstern und bewölken. – Und dies glaub' ich auch; ja ohne eine angeborne unwillkürliche – was man eben Hoffnung und Erinnerung nennt – wäre keine Wirklichkeit zu ertragen, wenigstens zu genießen. –

Aber ebenso gewiß ist es, daß gerade die Jugend, diese lebendige Poesie, mitten unter ihren Blütenästen (für sie aber schon Fruchtäste) und auf ihren sonnigen warmen Anhöhen nichts lieber dichtet und gedichtet liest als Nachtgedanken; und nicht nur vor der liebekranken Jungfrau, sondern auch vor dem liebestarken Jüngling – der darum einem Schlachttode weit begeisterter entgegenzieht als ein Alter – schweben die Gottesäcker als hangende Gärten in Lüften, und sie sehnen sich hinauf. Die Jugend kennt nur grüne blumige Grabhügel, aber das Alter offne Gräber ohne grünende Wände.

Diese jugendliche Ansicht komme nun dem Verfasser, der in einem für ihn noch jugendlichen Alter schrieb, bei seinen zu häufigen Grablegungen und seinen Nachtstücken der Vergänglichkeit in diesem Werke zugute. – Indes ist hier eben eine nicht zu furchtsame Rechtfertigung notwendig; denn da wir doch einmal alle in der immer vernichtenden und vernichtet-werdenden Zeit fortschwimmen und wir auf den kleinen Gräbchen jeder Minute in das große der letzten Stunde steigen müssen: so kann hier kein scheues Seitwärtsschielen der Poesie – was etwa bei Übeln gelten könnte, die nur einzelne und nur zeitweise ergreifen –, sondern bloß ein tapferes Aufwärtsschauen dichterisch und erquickend werden. Die Poesie mache nur keck die Erdgruft auf, aber sie zeige auch, wie sie zwischen zwei Halbhimmeln liegt und wie wir aus dem zugedeckten uns dem aufgedeckten zudrehen. – Und wenn wir nur als spielende Eintagmücken, eigentlich Einabendmücken in den Strahlen der untergehenden Sonne uns sonnen und dann senken: so geht nicht bloß die Mücke, auch die Sonne unter; aber im weiten Freien der Schöpfung, wo kein Erdboden sich dazwischenstellt, haben Sonnen und Geister keinen Untergang und kein Grab.

Und so mögen denn diese zwei Mumien, weniger mit neuen Gewürzen zur Fortdauer einbalsamiert als hie und da mit den Zeichen-Binden anders eingewickelt, sich wieder der frühern Zuziehung und Einladung zu den Gastmahlen der Leser zu erfreuen haben! Und die dritte oder Schlußmumie soll nachgeschickt werden – als die dritte Parze im schönen griechischen Sinne –, wenn nicht den Mumien-Vater selber vorher das Schicksal zur großen Mumie macht. Also im einen und im andern Falle kann es an einer dritten Schlußmumie nicht fehlen.

Baireuth den 24ten Jun. 1821.

Jean Paul Fr. Richter.

1. Es steht am Ende des zweiten Bandes der Loge; wurde aber früher als diese gemacht; und das Schulmeisterlein zog denn als Logemeister und Altmeister und Leithammel meinen romantischen Helden Gustav, Viktor, Albano etc. voran.

2. Ovid. Metamorph. VI.

Vorredner

Inhaltsverzeichnis

in Form einer Reisebeschreibung

Ich wollte den Vorredner anfangs in Sichersreuth oder Alexandersbad bei Wonsiedel verfertigen, wo ich mir das Podagra wieder in die Füßen hinunterbaden wollte, das ich mir bloß durch gegenwärtiges Buch zu weit in den Leib hinaufgeschrieben. Aber ich habe mir meinen Vorredner, auf den ich mich schon seit einem Jahre freue, aus einem recht vernünftigen Grunde bis heute aufgespart. Der recht vernünftige Grund ist der Fichtelberg, auf welchen ich eben fahre. – Ich muß nun diese Vorrede schreiben, damit ich unter dem Fahren nicht aus der Schreibtafel und Kutsche hinaussehe, ich meine, damit ich die grenzenlose Aussicht oben nicht wie einen Frühling nach Kubikruten, die Ströme nach Ellen, die Wälder nach Klaftern, die Berge nach Schiffpfunden, von meinen Pferden zugebröckelt bekomme, sondern damit ich den großen Zirkus und Paradeplatz der Natur mit allen seinen Strömen und Bergen auf einmal in die aufgeschlossene Seele nehme. – Daher kann dieser Vorredner nirgends aufhören als unweit des Ochsenkopfs, auf dem Schneeberg.

Das nötigt mich aber, unterweges mich in ihm an eine Menge Leute gesprächsweise zu wenden, um nur mit ihm bis auf den Ochsenkopf hinauf zu langen; ich muß wenigstens reden mit Rezensenten – Weltleuten – Holländern – Fürsten – Buchbindern – mit dem Einbein und der Stadt Hof – mit Kunstrichtern und mit schönen Seelen, also mit neun Parteien. Es wird mein Schade nicht sein, daß ich hier, wie es scheint, in den Klimax meiner Pferde den Klimax der Poeten verflechte .....

Der Wagen stößet den Verfasser dermaßen, daß er mit Nro. 1, den Rezensenten, nichts Vernünftiges sprechen, sondern ihnen bloß erzählen will, was sein guter grauer Schwiegervater begeht – nämlich alle Tage seinen ordentlichen Mord und Totschlag. Ich geb' es zu, viele Schwiegerväter können hektisch sein, aber wenige sind dabei in dem Grade offizinell und arsenikalisch als meiner, den ich in meinem Hause – ich hab's erst aus Hallers Physiologie T. II. erfahren, daß Schwindsüchtige mit ihrem Atem Fliegen töten können – statt eines giftigen Fliegenschwamms mit Nutzen verbrauche. Der Hektiker wird nicht klein geschnitten, sondern er gibt sich bloß die kleine Mühe, den ganzen Morgen statt einer Seuche in meinen Stuben zu grassieren und mit dem Schirokkowind seines phlogistischen Atems aus seiner Lunge der Fliegen ihre anzuwehen; aber die Rezensenten können sich leicht denken, ob so kleine Wesen und Nasen, die sich keinen antimephitischen Respirator vom Herrn Pilatre de Rozier applizieren können, einen solchen abscheulichen Schwaden auszuhalten fähig sind. Die Fliegen sterben hin wie – Fliegen, und statt der bisherigen Mücken-Einquartierung hab' ich bloß den guten giftigen Schwiegervater zu beköstigen, der mit ihnen auf den Fuß eines Mücken-Freund-Hein umgeht. Nun glaub' ich, den ordentlichen guten Rezensenten einem Schwiegervater von solchem Gift und Wert gleichsetzen zu dürfen; ja ich möchte jenen bei der Hand anfassen und, auf den grassierenden Phthisiker hindeutend, ihn anfeuern und fragen: »ob er nicht merke, daß er selber gar nicht zu verachten sei, sondern daß er – wenn der Hektikus, mit seinen Lungenflügeln das feinste und nötigste Miasma unter die Fliegen wehend, ein edles seltenes Glied in der naturhistorischen Welt vorstelle – ein ebenso nützliches in der literarischen ausmache, wenn er, in der Gelehrtenrepublik auf- und abschleichend, das summende Insektengeflügel mit seinem ätzenden Atem so treffend anhauche, daß es krepiere wie eine Heuschreckenwolke –; ob er dieses und noch besseres, möcht' ich den Rezensenten fragen, nicht merke und nicht daraus schließe, daß der Vorredner zu der unsichtbaren Loge dies zehnmal weitläufiger haben werde?« –

Er hat es aber natürlicherweise viel kürzer, weil ich sonst auf den Ochsenkopf hinaufkäme mitten in der Vorrede, ohne nur der Weltleute gedacht zu haben, geschweige der andern.

Diese wollen nun die zweite Nummer und Sprosse meines Aufklimmers abgeben – Campe wirft nicht ungeschickt durch dieses Wort den Klimax aus seinen und meinen Büchern –; allein ich werde wenig mehr bei ihnen anzubringen haben als eine Rechtfertigung, daß ich mich in meinem Werke zu oft anstellte, als macht' ich mir aus der Tugend etwas und aus jener Schwärmerei, die so oft den Namen Enthusiasmus trägt. Ich besorge wahrhaftig nicht, daß vernünftige Leute meine Anstellung gar für Ernst ansehen; ich hoffe, wir trauen beide einander zu, daß wir das Lächerliche davon empfinden, statt der Namen der Tugenden diese selber haben zu wollen – und heutzutage sind die wenigsten von uns zu den tollen Philosophen in Lagado (in Gullivers Reisen) zu rechnen, die aus Achtung für ihre Lunge die Dinge selber statt ihrer Benennungen gebrauchten und allemal in Taschen und Säcken die Gegenstände mitbrachten, worüber sie sich unterhalten wollten. Aber ob man mir nicht eben dies verdenken wird, daß ich Namen so oft gebrauche, die nicht viel modischer als die Sache selber sind und deren man sich in Zirkeln von Ton, so wie der Namen »Gott, Ewigkeit«, gern enthält, darüber lässet sich disputieren. Inzwischen seh' ich doch auf der andern Seite auch, daß es mit der Sprache der Tugend wie mit der lateinischen ist, die man jetzo zwar nicht mehr gesprochen, aber doch geschrieben duldet und die deswegen längst aus dem Mund in die Feder zog. Ich berufe mich überhaupt auf einsichtige Rezensenten, ob wir dichtenden Schriftsteller ohne tugendhafte Gesinnungen, die wir als poetische Maschinen gebrauchen so wie die ebenso fabelhafte Mythologie, nur eine Stunde auszukommen vermögen und ob wir nicht zum Schreiben hinlängliche Tugend haben müssen als Wagenwinde, Steigeisen, Montgolfiere und Springstab unsrer (gedruckten) Charaktere – widrigenfalls gefallen wir keiner Katze; und es ergeht den armen Schauspielern auch nicht anders. Freilich Autoren, die über Politik, Finanzen, Höfe schreiben, interessieren gerade durch die entgegengesetzten Mittel – Eben damit kann sich ein Schreiber decken, der in seine Charaktere das, was die Poeten und Weiber ihr Herz nennen, eingeheftet; es muß drin hangen (nicht nur in geschilderten, auch in lebenden Menschen), es mag Wärme haben oder nicht; ebenso versieht der Büchsenmacher die Windbüchsen so gut mit einer Zündpfanne wie Feuergeschoß, ob gleich nur mit Wind getrieben wird .... Es kann wahrlich um den ganzen Fichtelberg kein so kalter pfeifen als gerade im Holzweg, wo eben mein Wagen mitten im Auguste geht ....

Mit Nro. 3, den Holländern, wollt' ich mich in meinem Kasten zanken wegen ihres Mangels an poetischem Geschmack: das war alles. Ich wollte ihnen vorwerfen, daß ihrem Herzen ein Ballenbinder näher liege als ein Psalmist, ein Seelenverkäufer näher als ein Seelenmaler, und daß das ostindische Haus keinem einzigen Poeten eine Pension auswerfen würde als bloß dem alten Orpheus, weil seine Verse Flüsse ins Stocken sangen und man also sein Haberrohr und seine Muse anstatt der belgischen Dämme gebrauchen könnte. Ich wollte den Niederländern den kaufmännischen Unterschied zwischen Schönheit und Nutzen nehmen und ihnen es hinunterschreiben, daß Armeen, Fabriken, Haus, Hof, Äcker, Vieh nur das Schreib- und Arbeitszeug der Seele wären, womit sie einige Gefühle, worauf alle Menschentätigkeit auslauft, errege, erhebe und äußere, daß den indischen Kompagnien Schiffe und Inseln dazu dienten, wozu den poetischen Reime und Federn taugten, und daß Philosophie und Dichtkunst die eigentlichen Früchte und Blüten am Baume des Erkenntnisses ausmachten, aber alle Gewerb- und Finanz- und Staat-Wissenschaften und Kameralkorrespondenten und Reichsanzeiger bloß die einsaugenden Blätter wären und der Splint, der Wurzeln-Efeu und das unter dem Baume treibende Aas. – Ich wollt' es sagen; ließ es aber bleiben, weil ich besorgte, die Deutschen merkten es, daß ich unter Holländern bloß – sie selber meine; denn wie käm' ich auch sonst unter die mit Tee ausgelaugten belgischen Schlafröcke? – Ich habe ohnehin wenig mehr zu fahren und viel noch abzufertigen.

Ich untersag' es den europäischen Landständen, mein Werk Nro. 4 einem Fürsten zu geben, weil er sonst dabei einschläft; welches ich – da ein fürstlicher Schlaf nicht halb so spaßet wie ein homerischer – recht gern geschehen lasse, sobald die europäischen Landstände das Gesetz wie ein Arcuccio1 so über die Landeskinder wölben, daß sie der Landesvater im Schlafe nicht erdrücken kann, er mag sich darin werfen, wie er will, auf die Seiten, auf den Rücken oder auf den Bauch.

Da hundert Buchbinder Nro. 5 mich unter den Arm und in die Hände nehmen werden, um mich ganze Wochen früher zu lesen als zu beschneiden und zu pressen – gute Rezensenten täten gewiß das Widerspiel –: so müssen die guten Rezensenten auf die Buchbinder warten, die Leser auf die Rezensenten und ich auf die Leser, und so darf ein einziger Unglückvogel uns alle verhetzen und in den Sumpf ziehen; aber wer kanns den Buchbindern verbieten als ich, der ich in dieser Nachricht an Buchbinder mein Buch für dergleichen Binder eigenhändig konfisziere?

Mit dem Einbein, der sechsten Nummer, viel zu reden, wie ich verhieß, verlohnt der Mühe gar nicht, da ich das Ding selber bin und noch überdies der einbeinige Autor heiße. Die Höfer (die Einwohner der Stadt Hof, der 7ten Nr.), worunter ich hause, mußten mich mit diesem anti-epischen Namen belegen, weil mein linkes Bein bekanntlich ansehnlich kürzer ist als das andre und weil noch dazu unten mehr ein Quadrat- als Kubikfuß dransitzt. Es ist mir bekannt, Menschen, die gleich den ostindischen Hummern eine kurze Schere neben der langen haben, können allerdings sich mit der chaussure behelfen, die ihre Kinder ablegen; aber es ist ebenso unleugbar, daß das Zipperlein einem solchen Mann dennoch an beiden Füßen kneift und diesen den verdammtesten spanischen Stiefel anschraubt, den je ein Inquisit getragen.

Ich hätte gar nicht sagen sollen, daß ich mit meinem lieben Hof in Voigtland schriftlich am Fichtelberge sprechen wollte, da ichs mündlich kann und mein eigener Kerl daraus her ist. Mein Wunsch und Zweck in einem solchen Werke wie diesem ist und bleibt bloß der, daß diese betagte und bejahrte Stadt den Schlaf, den ich ihr darin mit den harten Federn einer Gans einflößen will, auf den weichen dieses Tiers genießen möge .....

– Endlich hab' ich nun den Ochsenkopf. –

Diese Zeile ist kein Vers, sondern nur ein Zeichen, daß ich droben war und da viel tat: meine Sänfte wurde abgeschnallet und ich mit geschlossenen Augen hineingeschafft, weil ich erst auf dem Schneeberg, der Kuppel des Fichtelgebirgs, mich umsehen will .... Unter dem Aussteigen strömte vor meinem Gesicht eine ätherische Morgenluft vorüber; sie drückte mich nicht mit dem schwülen West eines Trauerfächers, sondern hob mich mit dem Wehen einer Freiheitfahne .... Wahrhaftig ich wollte unter einem Luftschiffe ganz andre Epopöen und unter einer Täucherglocke ganz andre Feudalrechte schreiben, als die Welt gegenwärtig hat ....

Ich wünschte, Nro. 8, die Kunstrichter würden in meiner Sänfte mitgetragen und ich hätte ihre Hände; ich würde sie drücken und sagen: Kunstrichter unterschieden sich von Rezensenten wie Richter von Nachrichtern – Ich würde ihnen gratulieren zu ihrem Geschmack, daß er, wie der eines Genies, dem eines Kosmopoliten gleiche und nicht bloß einer Schönheit räuchere – etwa der Feinheit, der Stärke, dem Witze –, sondern daß er in seinem Simultantempel und Pantheon für die wunderlichsten Heiligen Altäre und Kerzen dahabe, für Klopstock und Crebillon und Plato und Swift .... Gewisse Schönheiten, wie gewisse Wahrheiten – wir Sterbliche halten beide noch für zweierlei – zu erblicken, muß man das Herz ebenso ausgeweitet und ausgereinigt haben wie den Kopf .... Es hängt zwischen Himmel und Erde ein großer Spiegel von Kristall, in welchen eine verborgne neue Welt ihre großen Bilder wirft; aber nur ein unbeflecktes Kindes-Auge nimmt sie wahr darin, ein besudeltes Tier-Auge sieht nicht einmal den Spiegel .... Nur einen öffentlichen Richter, den mein Herz verehrt, schenke mir dieses Jahr, und wär' er auch wider mich parteiisch; denn ein parteilicher dieser Art fället ein lehrreicheres Urteil als ein unparteiischer aus der Wochentag-Kaste.

Über den Plan eines Romans (aber nicht über die Charaktere) muß man schon aus dem ersten Bande zu urteilen Befugnis haben; alle Schönheit und Ründe, mit der die folgenden Bände den Plan aufwickeln, nimmt ja die Fehler und Sprünge nicht weg, die er im ersten hatte. Ich wüßte überhaupt keinen Band und kein Heft, worin der Autor recht hätte, den Leser zu ärgern. Die Nähe des Schneeberges hindert mich, es zu beweisen, daß die französische Art zu erzählen (z.B. im Candide) die abscheulichste von der Welt und daß bloß die umständliche, dem Homer oder Voß oder gemeinen Manne abgesehene Art die interessanteste ist. Ferner käm' ich auf dem Schneeberg an, eh' ichs nur halb hinaus bewiesen hätte, daß wir Belletristen (ein abscheulicher Name!) insgesamt zwar den Aristoteles für unsern magister sententiarum und seine Gebote für unsre 39 Artikel und 50 Dezisionen halten sollten – daß wir aber doch für nichts von ihm so viele Achtung zu tragen hätten als für seine drei Einheiten (die ästhetische Regeldetri), gegen die nicht einmal Romane sündigen sollten. Der Mensch interessiert sich bloß für Nachbarschaft und Gegenwart; der wichtigste Vorfall, der in Zeit oder Raum sich von ihm entfernt, ist ihm gleichgültiger als der kleinste neben ihm; so ist er, wenn er die Vorfälle erlebt, und mithin auch so, wenn er sie lieset. Darauf beruht die Einheit der Zeit und des Orts. Also der Anfang in der Mitte einer Geschichte, um daraus zum anfangenden Anfang zurückzuspringen – das zeitwirre Ineinanderschütteln der Szenen – Episoden – so wie das Knüpfen mehrer Hauptknoten, ja sogar das Reisen in Romanen, das den Maschinengöttern ein freies, aber uninteressantes Spiel erlaubt – – kurz alle Abweichungen von dem Tom Jones und der Klarissa sind Sekunden und Septimen im Aristotelischen Dreiklang. Das Genie kann zwar alles gutmachen; aber Gutmachen ist nicht aufs beste machen, und glänzende verklärte Wundenmale sind am Ende doch Löcher am verklärten Leibe. Wenn manche Genies die Kraft, die sie aufs Gutmachen übertretner Regeln wenden müssen, in der Befolgung derselben arbeiten ließen: sie täten mehr Wunder als der heilige Martin, der ihrer nicht mehr bewerkstelligte als zweihundertundsechs – Goethe in seiner Iphigenie und Klinger in seiner Medea tuns vielleicht dem heiligen Martin zuvor ....

– – Gegenwärtig trägt man das Einbein (mich) über den Fichtelsee und über zwei Stangen, die statt einer Brücke über diese bemooste Wüste bringen. Zwei Fehltritte der Gondelierer, die mich aufgeladen, versenken, wenn sie geschehen, einen Mann in den Fichtelsumpf, der darin an seinem Vorredner arbeitet und der mit acht Nummern Menschen gesprochen und dessen Werk zum Glück schon in Berlin ist .... Berge über Berge werden jetzo wie Götter aus der Erde steigen, die Gebirge werden ihre Arme länger ausstrecken und die Erde wird wie eine Sonne aufgehen und dann wird ihre weiten Strahlen ein Menschen-Blick verknüpfen und meine Seele wird unter ihrem Brennpunkt glühen ..... Nach wenigen Schritten und Worten ist die Vorrede aus, auf die ich mich so lang gefreuet, und der Schneeberg da, auf dem ich mich erst freuen soll. – Es ist gut, wenn ein Mensch seine Lebensereignisse so wunderbar verflochten hat, daß er ganz widersprechende Wünsche haben kann, daß nämlich der Vorredner dauere und der Schneeberg doch komme.

– – In diesen Gegenden ist alles still, wie in erhabnen Menschen. Aber tiefer, in den Tälern, nahe an den Gräbern der Menschen steht der schwere Dunstkreis der Erde auf der einsinkenden Brust, zu ihnen nieder schleichen Wolken mit großen Tropfen und Blitzen, und drunten wohnt der Seufzer und der Schweiß. Ich komme auch wieder hinunter, und ich sehne mich zugleich hinab und hinauf. Denn der irre Mensch – die ägyptische Gottheit, ein Stückwerk aus Tierköpfen und Menschen-Torsos – streckt seine Hände nach entgegengesetzten Richtungen aus und nach dem ersten Leben und nach dem zweiten: seinen Geist ziehen Geister und Körper. So wird der Mond von der Sonne und Erde zugleich gezogen, aber die Erde legt ihm ihre Ketten an, und die Sonne zwingt ihn bloß zu Ausweichungen. Diesen Widerstreit, den kein Sterblicher beilegt, wirst du, geliebter Leser, auch in diesen Blättern finden; aber vergib ihn mir wie ich dir. Und ebenso habe für unverhältnismäßige Ausbildung die Nachsicht des Menschenkenners. Eine unsichtbare Hand legt den Stimmhammer an den Menschen und seine Kräfte – sie überschraubt, sie erschlafft Saiten – oft zersprengt sie die feinsten am ersten – nicht oft nimmt sie einen eilenden Dreiklang aus ihnen – endlich wenn sie alle Kräfte auf die Tonleiter der Melodie gehoben: so trägt sie die melodische Seele in ein höheres Konzert, und diese hat dann hienieden nur wenig getönet. – – –

.... Ich schrieb jetzt eine Stunde nicht; ich bin nun auf dem Schneeberg, aber noch in der Sänfte. Erhabne Paradiese liegen um mich ungesehen, wie um den eingemauerten Menschengeist, zwischen dem und dessen höherem Mutterland der dunkle Menschenkörper innen steht; aber ich habe mich so traurig gemacht, daß ich in das schmetternde Trommeten- und Laubhüttenfest, das die Natur von einem Gebirge zum an dern begeht, nicht hineintreten will: sondern erst wenn die Sonne tiefer in den Himmel gesunken und wenn in ihren Lichtstrom der Schattenstrom der Erde fällt, dann wird unter die stummen Schatten noch ein neuer beglückter stiller Schatten gehen. – – Aufrichtiger zu sprechen, ich kann bloß von euch – ihr schönern Leser, deren geträumte, zuweilen erblickte Gestalten ich wie Genien auf den Höhen des Schönen und Großen wandeln und winken sah – nicht Abschied nehmen; ich bleibe noch ein wenig bei euch, wer weiß, wann und ob die Augenblicke, wo unsre Seelen über einem zerstiebenden Blatte sich die Hände geben, je wiederkommen – vielleicht bin ich hin, vielleicht du, bekannte oder unbekannte teuere Seele, von welcher der Tod, wenn er vorbeigeht und die unter Körnern und Regentropfen gebückte Ähre erblickt, bemerkt: sie ist schon zeitig. – Und gleichwohl was kann ich jenen Seelen in den Augenblicken des Abschieds, die man so gern mit tausend Worten überladen möchte und eben deswegen bloß mit Blicken ausfüllt, noch zu sagen haben oder zu sagen wissen, als meine ewigen Wünsche für sie: findet auf diesem (von uns Erdball genannten) organischen Kügelchen, das mehr begraset als beblümet ist, die wenigen Blumen im Nebel, der um sie hängt – seid mit euren elysischen Träumen zufrieden und begehret ihre Erfüllung und Verkörperung (d.h. Verknöcherung) nicht; denn auf der Erde ist ein erfüllter Traum ohnehin bloß ein wiederholter – von außen seid, gleich eurem Körper, von Erde, und bloß innen beseelt und vom Himmel; und haltet es für schwerer und nötiger, die zu lieben, die euch verachten, als die, die euch hassen – und wenn unser Abend da ist, so werfe die Sonne unsers Lebens (wie heute die draußen) die Strahlen, die sie vom irdischen Boden weghebt, an hohe goldne Wolken und (als wegweisende Arme) an höhere Sonnen; nach dem müden Tage des Lebens sei unsre Nacht gestirnt, die heißen Dünste desselben schlagen sich nieder, am erkälteten hellen Horizont ziehe sich die Abendröte langsam um Norden herum, und bei Nord-Osten lodere für unser Herz die neue Morgenröte auf ......

.... Nun tritt auch die Erdensonne auf die Erdengebirge und von diesen Felsenstufen in ihr heiliges Grab; die unendliche Erde rückt ihre großen Glieder zum Schlafe zurecht und schließet ein Tausend ihrer Augen um das andre zu. Ach welche Lichter und Schatten, Höhen und Tiefen, Farben und Wolken werden draußen kämpfen und spielen und den Himmel mit der Erde verknüpfen – sobald ich hinaustrete (noch ein Augenblick steht zwischen mir und dem Elysium), so stehen alle Berge von der zerschmolzenen Goldstufe, der Sonne, überflossen da – Goldadern schwimmen auf den schwarzen Nacht-Schlacken, unter denen Städte und Täler übergossen liegen – Gebirge schauen mit ihren Gipfeln gen Himmel, legen ihre festen Meilen-Arme um die blühende Erde, und Ströme tropfen von ihnen, seitdem sie sich aufgerichtet aus dem uferlosen Meer – Länder schlafen an Ländern, und unbewegliche Wälder an Wäldern, und über der Schlafstätte der ruhenden Riesen spielet ein gaukelnder Nachtschmetterling und ein hüpfendes Licht, und rund um die große Szene zieht sich wie um unser Leben ein hoher Nebel. – – Ich gehe jetzo hinaus und sink' an die sterbende Sonne und an die entschlafende Erde.

Ich trat hinaus – –

Auf dem Fichtelgebirg, im Erntemond 1792.

Jean Paul

1. Das ist ein Gehäuse in Florenz – in Krünitz' ökon. Enzykl. 2. B. ists abgebildet –, worin die Mutter bei Strafe das Kind unter dem Säugen legen muß, um es nicht im Schlummer zu erquetschen.

Erster Sektor

Inhaltsverzeichnis

Verlobung-Schach – graduierter Rekrut – Kopulier-Katze

Meines Erachtens war der Obristforstmeister von Knör bloß darum so unerhört aufs Schach erpicht, weil er das ganze Jahr nichts zu tun hatte als einmal darin der Gast, die Santa Hermandad und der teure Dispensationbullen-Macher der Wildmeister zu sein. Der Leser wird freilich noch von keiner so unbändigen Liebhaberei gehört haben, als seine war. Das wenigste ist, daß er alle seine Bediente aus dem Dorfe Strehpenik verschrieb, wo man durch das Schach so gut Steuerfreiheit gewinnt als ein Edelmann durch einen sächsischen Landtag, damit er (obwohl in anderem als katonischen Sinne) ebenso viele Gegner als Diener hätte – oder daß er und ein oberysselscher Edelmann in Zwoll mehr Postgeld verschrieben als verreiseten, weil sie Schach auf 250 Meilen nicht mit Fingern, sondern Federn zogen – Auch das kann man sich gefallen lassen, daß er und die Kempelsche Schachmaschine Briefe miteinander wechselten und daß des hölzernen Moslems Konviktorist und Adjutant, Herr v. Kempele, ihm in meinem Beisein aus der Leipziger Heustraße im Namen des Muselmanns zurückschrieb, dieser rochiere – Man wird seine Gedan ken darüber haben, daß er noch vor zwei Jahren nach Paris abfuhr, um ins Palais royal und in die Société du Salon des Echecs zu gehen und sich darin als Schachgegner niederzusetzen und als Schachsieger wieder aufzuspringen, wiewohl er nachher in einer demokratischen Gasse viel zu sehr geprügelt wurde, da er im Schlafe schrie: gardez la Reine – Bloß frappieren kanns einen und den andern, daß seine Tochter ihm nie einen neuen Hut oder eine neue Soubrette, die ihn ihr ansteckte, anders abgewann als zugleich mit einem Schach – – Aber darüber wundert und ärgert sich alles, was mich lieset, Leute von jedem Geschlecht und jedem Alter, daß der Obristforstmeister geschworen hatte, seine Tochter keiner andern Bestie in der ganzen Ritterschaft zu geben, als einer, die ihr außer dem Herzen noch ein Schach abgewänne – und zwar in sieben Wochen.

Sein Grund und Kettenschluß war der: »Ein guter Mathematiker ist ein guter Schachspieler, also dieser jener – ein guter Mathematiker weiß die Differentialrechnung zehnmal besser als ein elender – und ein guter Differentialrechenmeister versteht sich so gut als einer aufs Deployieren und Schwenken1 und kann mithin seine Kompagnie (und seine Frau vollends) zu jeder Stunde kommandieren – und warum sollte man einem so geschickten, so erfahrnen Offizier seine einzige Tochter nicht geben?« – Der Leser hätte sich gewiß sogleich ans Schachbrett hingesetzt und gedacht, der Zug einer solchen Quaterne aus dem Brette, wie die Tochter eines Obristforstmeisters ist, sei ja außerordentlich leicht; aber er ist verdammt schwer, wenn der Vater selbst hinter dem Stuhle passet und der Tochter jeden Zug angibt, womit sie ihren König und ihre Tugend gegen den Leser decken soll.

Wers hörte, begriff gar nicht, warum die Frau Obristforstmeisterin, welche lange Gesellschaftdame einer Gräfin von Ebersdorf gewesen, bei ihrem feinen Gefühl und ihrer Frömmigkeit eine solche Jägerlaune dulde; sie hatte aber eine herrnhutische durchzusetzen, welche begehrte, daß das erste Kind ihrer Tochter Ernestine für den Himmel sollte groß gezogen werden, nämlich: acht Jahre unter der Erde – »Meinetwegen achtzig Jahre«, sagte der Alte.

Ob man gleich in jedem Falle Teufelsnot mit einer Tochter hat, man mag Abonnenten an sie anzulocken oder abzutreiben haben: so hatte doch Knör bei der Sache seinen wahren Himmel auf Erden – unter so vielen Schachrittern, die sämtlich seine Ernestine bekriegten und verspielten. Denn mit einem Kopfe, in den der Vater Licht, und mit einem Herzen, in das die Mutter Tugend eingeführt hatte, eroberte sie leichter, als sie zu erobern war; daher ärgerte und spielte sich an ihr eine ganze Brigade ehelustiger Junker halb tot. Und doch waren unter ihnen Leute, die auf allen nahen Schlössern den Namen süßer Herren behaupteten, weil sie keine – Matrosensitten hatten, wie man in Vergleichung mit dem Seewasser unser schales süßes nennt.

Aber ich und der Leser wollen über die ganze spielende Kompagnie wegspringen und uns neben den Rittmeister von Falkenberg stellen, der bei dem Vater steht und auch heiraten will. Dieser Offizier – ein Mann voll Mut und Gutherzigkeit, ohne alle Grundsätze als die der Ehre, der, um sich nichts hinter seine Ohren zu schreiben, die sonst bei einiger Länge das schwarze Brett und der Kerbstock empfangner Beleidigungen sind, lieber andre Christen hinter die ihrigen schlug, der feiner handelte, als er sprach, und dessen Kniestück ich nicht zwischen diesen zwei Gedankenstrichen ausbreiten kann – warb in dieser Gegend so lange Rekruten, bis er selber wollte angeworben sein von Ernestinen. Er haßte nichts so sehr als Schach und Herrnhutismus; indessen sagte Knör zu ihm: »abends um 12 Uhr fingen, weil er so wollte, die sieben Spiel-Turnierwochen an, und wenn er nach sieben Wochen um 12 Uhr die Spielerin nicht aus dem Schlachtfelde ins Brautbette hineingeschlagen hätte: so tät' es ihm von Herzen leid, und aus der achtjährigen Erziehung brauchte dann ohnehin nichts zu werden.«

Die ersten 14 Tage wurd' in der Tat zu nachlässig gespielt und – geliebt. Allein damals hatten weder andre gescheite Leute noch ich selber jene hitzigen Romane geschrieben, wodurch wir (wir habens zu verantworten) die jungen Leute in knisternde, wehende Zirkulieröfen der Liebe umsetzen, welche darüber zerspringen und verkalken und nach der Trauung nicht mehr zu heizen sind. Ernestine gehörte unter die Töchter, die bei der Hand sind, wenn man ihnen befiehlt: »Künftigen Sonntag, so Gott will, werde um 4 Uhr in den Herrn A–Z, wenn er kommt, – verliebt.« Der Rittmeister biß im Artikel der Liebe überhaupt weder in den gärenden Pumpernickel der physischen – noch in das weiße kraftlose Weizenbrot der parisischen – noch in das Quitten- und Himmelbrot der platonischen, sondern in einen hübschen Schnitt Gesindebrot der ehelichen Liebe: er war 37 Jahre alt.

Sechzehn Jahre früher hatt' er sich einen Bissen vom gedachten Pumpernickel abgeschnitten: seine Geliebte und sein und ihr Sohn wurden nachher vom ehrlichen Kommerzien-Agenten Röper geheiratet.

Wir Belletristen hingegen könnens recht sehr bei unsern Romanen gebrauchen, daß es unserem Magen und unserer Magenhaut guttut, wenn wir in einem Nachmittage jene vier Brotsorten auf einmal anschneiden; denn wir müssen aller Henker sein, um allen Henker zu schildern; wie wollten wirs sonst machen, wenn wir im nämlichen Monat aus dem nämlichen Herzen, wie aus dem nämlichen Buchladen (ich ärgere hier Herrn Adelung durchs Wort »nämlichen«) Spottgedichte – Lobgedichte – Nachtgedanken – Nachtszenen – Schlachtgesänge – Idyllen – Zotenlieder und Sterbelieder liefern sollen, so daß man hinter und vor uns erstaunt übers Pantheon und Pandämonium unter einem Dache – mehr als über des Galeerensklaven Bazile nachgelassenen Magen, in welchem ein Mobiliarvermögen von 35 Effekten hausete, z.B. Pfeifenköpfe, Leder, Glasstücke und so fort.

Wenn die beiden jungen Leute am Schachbrett saßen, das entweder ihre Scheidewand oder ihre Brücke werden sollte: so stand der Vater allemal als Markör dabei; es war aber wirklich nicht nötig – nicht bloß weil der Rittmeister so erbärmlich spielte und seine Gegenfüßlerin so philidorisch; auch darum nicht, weil ihr die weibliche Kleiderordnung ohnehin verbot, matt oder verliebt zu werden (denn am Ende kehren Weiber und Ruderknechte allzeit eben den Rücken dem Ufer zu, an das sie anzurudern streben) – sondern aus einem noch sonderbarern Grunde war der Auxiliarforstmeister zu entraten: die Ernestine wollte nämlich um alles gern schachmatt werden, und eben deswegen spielte sie so gut. Denn aus Rache gegen das zögernde Schicksal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm abhängen, absichtlich entgegen und wünschet sie doch. Die beiden kriegenden Mächte wurden zwar sich einander immer lieber, eben weil sie einander einzubüßen fürchteten; gleichwohl stands in den Kräften der weiblichen nicht, nur einen Zug zu unterlassen, der gegen ihre doppelseitigen Wünsche stritt: in fünf Wochen konnte der Werbeoffizier nicht einmal sagen: Schach der Königin. Die Weiber spielen ohnehin dieses Königspiel (wie andre Königspiele) recht gut ... Da aber das eine Digression der Natur zu sein scheint und doch keine ist: so kann eine schriftstellerische daraus gemacht werden, aber erst im 20ten Sektor; weil ich erst ein paar Monate geschrieben haben muß, bis ich den Leser so eingesponnen habe, daß ich ihn werfen und zerren kann, wie ich nur will.

Wäre die Liebe des Rittmeisters von der Art der neuern gigantischen Liebe gewesen, die nicht wie ein aufblätternder Zephyr, sondern wie ein schüttelnder Sturmwind die armen dünnen Blümchen umfasset, welche sich in den belletristischen Orkan gar nicht schicken können: so wäre das wenigste, was er hätte tun können, das gewesen, daß er auf der Stelle des Teufels geworden wäre; so aber wurd' er bloß – böse, nicht über den Vater, sondern über die Tochter, und nicht darüber, daß sie das Schachbrett nicht zum Präsentierteller ihrer Hand und ihres Herzens machte, oder daß sie gut gegen ihn spielte, sondern darüber, daß sie so sehr gut spielte. So ist der Mensch! – und ich ersuche den Menschen, meinen Rittmeister nicht auszulachen. Freilich – hätt' ich die weiblichen Reize und die Rolle Ernestinens gehabt und hätt' ich ihm, indes er seine Kontraapproche aussann, ins betretne Gesicht geschauet, auf dessen gerundetem Munde der Schmerz über unverdiente Kränkung stand, der so rührend an Männern von Mut aussieht, sobald ihn nicht die Gichtknoten und Hautausschläge der Rache verzerren: so wär' ich rot geworden und wäre wahrhaftig geradezu mit der Königin (und mir dazu) ins Schach hineingefahren: denn was hätt' ich da geliebt als strenge Selberbüßung?

Beinahe hätte am 16. Junius Ernestine diese Büßung geliebt, wie man aus ihrem Briefe sogleich ersehen soll. Denn allerdings ist eine Frau imstande, zweimal 24 Stunden lang eine und dieselbe Gesinnung gegen einen Mann (aber auch gegen weiter nichts) zu behaupten, sobald sie von diesem Manne nichts vor sich hat als sein Bild in ihrem schönen Köpfchen; allein steht der Mann selber unkopiert fünf Fuß hoch vor ihr: so leistet sie es nicht mehr – ihre wie eine besonnete Mückenkolonne spielenden Empfindungen treibt auseinander, widereinander und ineinander ein Fingerhut voll Puder am besagten Mann zu viel oder zu wenig – eine Beugung seines Oberleibs – ein zu tief abgeschnittener Fingernagel – eine sich abschälende schurfichte Unterlippe – der Puder- Anschrot und Spielraum des Zopfs hinten auf dem Rock – ein langer Backenbart – alles. Aus hundert Gründen schlag' ich hier vor den Augen des indiskreten Lesers Ernestinens Brief an eine ausgediente Hofdame in der Residenzstadt Scheerau auseinander: sie mußte jede Woche an sie schreiben, weil man sie zu beerben gedachte und weil Ernestine selber einmal so lange bei ihr und in der Stadt gewesen war, daß sie recht gut eilftausend Pfiffe mit wegbringen konnte – drei Wochen nämlich.

»Die vorige Woche hatt' ich Ihnen wirklich nichts zu schreiben als das alte Lied. Unser Gespiele ennuyiert mich unendlich, und es dauert mich nur der Rittmeister; es hilft aber bei meinem Vater kein Reden, sobald er nur jemand haben kann, den er spielen sieht. Wär's nicht besser, der gute Rittmeister ließe seinen Kutscher, der den ganzen Tag in unserer Domestikenstube schnarcht, aufwecken und anspannen und führ' ab? Seit dem Sonntage martern wir uns nun an einer