Jelch, der Rabe und Ka - uschti, der Lachs - Frank Engel - E-Book

Jelch, der Rabe und Ka - uschti, der Lachs E-Book

Frank Engel

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Beschreibung

Und wieder begeben wir uns auf eine Zeitreise zu den Indianern an der Nordwestküste Nordamerikas vor über 100 Jahren. Wir sitzen mit ihnen am Lagerfeuer in einem ihrer riesigen Langhäuser aus Zedernholzplanken und lauschen den Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Auch ein Wiedersehen mit Ojai, dem kleinen Indianerjungen wird es geben. Legen wir uns mit ihm auf das Dach des Langhauses und lassen uns von Schreitet - über - alles - hinweg den Bauch wärmen, während Ojai von seinem Bruder Jagolas berichtet wird, wie die Menschen das Seeungeheuer zu einem Fest einluden.

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Geschichten aus dem Land der Zeder

erzählt von Frank Engel

Mit Illustrationen von Ingolf Engel

Und mit, an Motive indianischer Künstler der Vergangenheit und Gegenwart angelehntem, Buchschmuck von Frank Engel und Ingolf Engel edcom 2022

Für David und Christin

Wir danken „Dem Manne, der die Kommas macht”, Rolf Schwarzer, für die Abschlußdurchsicht der Texte.

Inhalt

EIN FEST FÜR GUNAKADET

JELCH UND DIE GROẞE MUSCHEL

JELCHS GEBURT

CHETL UND AGISCHANAK

DER BIBER UND DAS STACHELSCHWEIN

WIE JELCH EINEN WAL FING

DIE ROTE FEDER

TRAGUEDI UND DER ADLER

DIE FALLE AM BÄRENSTEIN

DIE BRENNENDEN LACHSE

KA - USCHTI

WIE DIE TIERE UND BÄUME AUF DIE WELT KAMEN

EBBE UND FLUT

JELCH UND DAS BAUMHARZ

WIE JELCH DIE DOHLEN ANSCHWÄRZTE

GUNARHNESEMGYET

DIE MÖWE UND DER NORDWIND

JELCH, DER BÄRENTÖTER

DAS SCHLAFENDE DORF

ERLÄUTERUNGEN

NACHWORT

QUELLEN

EIN FEST FÜR GUNAKADET

Wie sehr hatte sich Ojai, der kleine Koskimo vom Quatsino - Sund, doch eine freundliche Sonne an einem strahlendblauen, wolkenlosen Himmel, ein bisschen Trockenheit und wohlige Wärme gewünscht. Nun aber liegt er ausgestreckt und missmutig auf der hölzernen Plattform vorm Eingang des Donnervogel - Raubwal - Hauses, ohne die wärmenden Strahlen einer mittäglichen Sonne auf seinem nackten Rücken überhaupt zu bemerken.

Er schmiedet finstere Rachepläne.

Wie sie alle über ihn gelacht hatten! Sogar die Mädchen. Und ausgedacht hatte sich natürlich alles wieder dieser hinterhältige, fiesliche Babawaju. Dieser elende Stinker! Eine Keule vor den gemeinen Kopf braucht der! Die Erde soll ihn verschlucken, wo sie am tiefsten ist! Wie die Feindschaft zwischen ihm und dem nur einen Winter älteren Jungen aus dem Nachbarhaus einmal angefangen hatte, wüsste Ojai nicht zu sagen. Ihn jedenfalls, da ist sich der Junge ganz sicher, trifft keine Schuld. Eigentlich ist er überzeugt davon, dass sie schon als Feinde auf die Welt gekommen sind. Und Feinde werden sie - das steht spätestens nach diesem Vormittag fest - für den Rest ihres Lebens bleiben.

Jemand stupst dem Jungen mit dem Fuß gegen den Hintern. „Na, Ojai“, lacht Jagolas, „da hat dich Babawaju aber mal wieder schön aufs Kreuz gelegt!“

Der weiß es also auch schon!, flucht Ojai innerlich. Na prima! Großartig ist das!

Bald wird es die ganze Welt wissen! Übermorgen lacht vielleicht schon die Große Mutter in England über mich! Ojai haut wütend mit der Faust auf den Boden.

„Komm, steh auf, du Faulpelz, und hilf mir!“, sagt der ältere Bruder gut gelaunt.

„Wir werden ein paar Dachplanken zur Seite legen, damit uns ‚Schreitet - über - alles - hinweg‘ ins Haus scheinen kann.“

„Keine Lust!“, entgegnet Ojai mürrisch. „Ich bin doch sowieso zu nichts zu gebrauchen.“

„Unsinn! Ein, zwei oder sogar drei Jungen in deinem Alter, denke ich, gibt es sicher irgendwo auf dieser Welt, die noch ungeschickter sind als du“, schmunzelt Jagolas.

Und dann lacht er wieder, dieser Bruder! Gemein!

Ojai knirscht mit den Zähnen.

„Los, kleiner Frosch, komm jetzt. Wenn wir fertig sind, legen wir uns ganz gemütlich aufs Dach, lassen uns die Sonne auf die Bäuche scheinen, und ich erzähle dir eine Geschichte, ... eine Geschichte vom Ungeheuer Gunakadet.“

„Na gut, überredet, Nola.“ Nola nennen die Jüngeren die älteren Brüder bei den Kwakiutl. Ojai rappelt sich auf. Gerade als er dem Bruder auf die Leiter folgen will, klatscht ihm ein Batzen tropfnasser Tang in den Nacken.

Babawaju! Wer sonst?!

Nun ist Ojai nicht mehr zu halten! Wie von zwei Moskitos an empfindlicher Stelle gleichzeitig gestochen, wirft er sich mit einem Ruck herum und stürzt mit einem wütenden Schrei auf seinen lachenden Gegner zu. Nur noch einen, höchstens zwei Schritte vor ihm, duckt sich Ojai blitzschnell und rammt dem Lacher seinen Kopf in den Bauch. Da lacht Babawaju nicht mehr. Er fuchtelt mit den Armen in der Luft herum und stürzt in eine schlammige Pfütze hinter sich. Ojai tritt ein paar Mal mit dem Fuß nach ihm, bis Babawaju seinen rechten Fuß zu fassen bekommt und Ojai ebenfalls platschend in den aufgewühlten Modder fällt. Die Jungen ringen miteinander.

„Diese Pfütze, Stinktier, wird dein Grab!“, stößt Ojai kurzatmig hervor. Doch da bekommt Babawaju ihn an der Schulter zu fassen. Plötzlich kniet er auf Ojais Rücken und drückt lachend dessen Gesicht in den Schlamm, der nach etwas noch ekligerem aussieht als bloß nach in Wasser aufgeweichtem Lehm.

„Mein Grab?! Ha!“, höhnt Babawaju. „Du wirst es jetzt auffressen, mein Grab! Weh!

Na los, Kröte, lass es dir schmecken!“

Jagolas ist vom Dach gesprungen und bringt die beiden auseinander. Ojai spuckt erst einmal einen Mund voll Schlamm in Babawajus Richtung und japst dann nach Luft wie ein Ertrinkender. Babawaju tritt ihm gegen das Schienbein, was dem großen Zeh seines Schlammfußes selbst nicht gut bekommt. Der Schmerz durchzuckt wie ein Blitz seinen Körper. Aber Babawaju beißt die Zähne fest zusammen. Kein Laut kommt über seine Lippen. Jagolas hat beiden Jungen derb in die langen Haare gegriffen und schüttelt ihre Köpfe:

„Hört endlich auf, ihr hohlschädligen Tölpel. Vertragt euch! Benehmt euch wie Männer!“

Diese Sprüche immer!, denkt Ojai. Benehmt euch wie Männer! Vertragt euch! Mit diesem Stinker jedenfalls nie!

„Auch Männer haben Feinde!“, brüllt Ojai. „Auch Männer kämpfen!“

„Aber Männer suhlen sich nicht in Schlammpfützen!“, erwidert Jagolas. Ojai stampft mit dem Fuß auf und schreit:„Doch, machen sie! Jawohl!!“, und bekommt dafür eine Kopfnuss verpasst, wenn auch eine von der mehr freundschaftlichen Art. Jagolas kann auch anders!

„Komm jetzt endlich aufs Dach, du Erdferkel! Schließlich wollen wir die Sonne und nicht erst den Mond in unser Haus zu Gast bitten.“

„Schlammfresser! Schlammfresser!“, brüllt Babawaju aus sicherer Entfernung.

Kröte! Erdferkel! Schlammfresser! Ach, meine armen Ohren, was ihr euch heute schon alles habt anhören müssen, denkt Ojai mit einem tiefen Seufzer. Nein, das ist nicht sein Tag. Nein, wirklich nicht!

Nach getaner Arbeit neben Jagolas ausgestreckt auf dem Dach liegend - der Sonne ein Stück näher -, geht es Ojai wieder besser. Ein bisschen jedenfalls. Wenn nur der auf seiner Haut trocknende Schlamm nicht so fürchterlich jucken würde! Nun werde ich heute auch noch ins Wasser müssen!, denkt er finster. Und alles wegen Babawaju! Die Wut überkommt den Jungen erneut. Ruckartig richtet er sich auf.

„Bleib liegen“, beruhigt ihn sein Bruder, „ich denke, ich soll dir was erzählen...“

„Na, von mir aus. Dann kriegt Babawaju seine Abreibung eben etwas später. Aber kriegen wird er sie! Den mach ich fertig!“

„Die Geschichte, die ich dir erzählen will“, beginnt Jagolas, „ist eine gute Geschichte, eine Geschichte, aus der man etwas lernen kann. Und lernen, kleiner Frosch, willst du doch noch was, oder? ... He, was ist?!... Sag jetzt: Ja!“

„Jaaa...“

„Die Geschichte handelt davon, wie Menschen, die lange vor uns lebten, Gunakadet zu einem Fest einluden.“

Ojai runzelt die Stirn.

„Was denn“, wundert er sich, „ein Fest für Gunakadet?“

Gunakadet ist ein schreckliches, riesengroßes Ungeheuer, das im Dunkel der Wälder, aber auch im Wasser der Flüsse und in der Tiefe des Meeres zu Hause sein kann. Es hat den Kopf eines Wolfes und den Körper eines gewaltigen Wales. Weiter im Norden bei den Haida - Indianern wird das Untier, wir erinnern uns, Wasko genannt.

Und ein solches Monster sollten Menschen einst zu einem Besuch geladen haben?

Na, Ojai ist jedenfalls gespannt. Und Jagolas erzählt:

„Einmal wurden zwei große Kriegskanus, vom Festland, dem heutigen Fort Rupert gegenüber, zurückkehrend, an der Mündung des Quatsino - Sundes von der Dunkelheit überrascht. Jedes der beiden Boote war mit achtundzwanzig tapferen Männern und zwölf gefangenen Sklaven besetzt. Die unerschrockenen Krieger der Koskimo hatten nicht einen einzigen Mann auf ihrem siegreichen Kriegszug verloren.“

„Das muss aber wirklich schon sehr lange her sein“, unterbricht Ojai den Bruder, „denn solange ich auf der Welt bin, haben wir Koskimo noch keinen einzigen Krieg gemacht.“

„Da hast du recht; dass die Koskimo gefürchtete Krieger waren, ist wirklich schon sehr lange her ...“, entgegnet Jagolas mit ein bisschen Bedauern in der Stimme, doch dann fügt er nachdenklich hinzu:

„Aber weißt du, Ojai, in Frieden zu leben, ist auch nicht schlecht, weil... Kriege sind gefährlich, sind einfach unberechenbar, und nie sterben in diesen Kriegen nur Leute, die es verdienen, tot zu sein. Im Krieg sterben, da kann man gar nichts machen, auch Freunde, sogar Mütter ... und kleine Brüder.“

Die beiden schweigen eine Weile. Dann erzählt Jagolas weiter:

„Die Männer beschlossen, gleich dort, wo der Quatsino - Sund seinen Anfang nimmt, zu übernachten und erst bei Tagesanbruch nach Hwades weiterzufahren.

Das eine der Boote machten die Männer an einer Felsnadel fest, die wie ein langer einsamer Finger aus dem Wasser ragte, das andere Kanu wurde an Land gepaddelt und am überhängenden Ast einer knorrigen alten Fichte sorgfältig angebunden. Diejenigen, welche ihr Boot an der Felsnadel im Wasser festgemacht hatten, zogen es vor, gleich im Kanu die Nacht zu verbringen, die anderen achtundzwanzig, unter ihnen der Anführer des Zuges, stellten eine Wache auf und legten sich, ohne erst noch ein Feuer zu entzünden, zum Schlafen unter die Fichte, an deren überhängenden Ast ihr Boot gebunden war. Wie der Anführer der Krieger hieß, habe ich vergessen, nennen wir ihn - aus Hwades war er jedenfalls - wie unseren Großvater. Ja, in unserer Geschichte soll er Maled heißen.“ Ojai lässt ein leises unzufriedenes Knurren hören.

„Was hast du?“, fragt ihn der Bruder, schon verstehend lächelnd, weil ihm natürlich klar ist, dass es dem Kleinen an seiner Seite sehr viel besser gefiele, wenn er den tapferen Anführer der Koskimo - Krieger Ojai nennen würde.

„Nichts hab ich ...“, sagt Ojai sehr traurig und mehr zu sich als zu ihm. „Ist schon gut...“

„Ach, jetzt verstehe ich!“, neckt Jagolas ihn weiter. „Du findest wohl, der Anführer sollte besser meinen Namen tragen? Jagolas, da hast du recht, wäre tatsächlich ein guter Name für einen tapferen Mann. Aber weil dein älterer Bruder nicht nur sehr stark, sehr mutig und sehr klug ist, sondern auch noch von ganz außergewöhnlicher Bescheidenheit, lassen wir es lieber dabei, dass der Anführer der Krieger in unserer Geschichte den Namen Maled trägt.“

Nach einer kurzen Pause fragt er:

„Oder wollen wir ihn vielleicht... Ojai nennen?“Ojai winkt bescheiden ab. Und Jagolas erzählt weiter:

„Spät in der Nacht wachte Maled, von einem unheimlichen Gefühl geweckt, plötzlich auf. Wie von Geisterhand geformt, erhob sich vor seinen vor Schreck weit aufgerissenen Augen in der Mitte des Sundes aus ganz ruhigem Wasser eine riesige brausende Welle. Schneller als ein von Wölfen gehetzter Hirsch raste die Woge zum Ufer.

Maled hechtete gedankenschnell nach dem überhängenden Ast der knorrigen alten Fichte und klammerte sich mit aller Kraft daran fest. Als das Wasser der Geisterwelle über ihn kam, schwanden ihm die Sinne. Noch immer an den rettenden Ast geklammert, erwachte er erst am späten Morgen des nächsten Tages aus einer tiefen Ohnmacht.

Da war er ganz allein.

Die Kanus und alle seine Leute waren verschwunden. Er lief am Strand herum und schrie aus Leibeskräften, aber niemand, außer seinem eigenen Echo, antwortete ihm. Nirgendwo fand Maled Fußspuren, kein einziges an Land gespültes Paddel fand er und nicht das winzigste Bruchstück eines Bootes. So musste er glauben, dass alle seine Männer Opfer der unheimlichen nächtlichen Welle geworden waren.

Doch nur das an der Fichte befestigte Kanu und die am Ufer schlafenden Koskimo - Krieger hatte die Woge mit sich genommen; die Männer, welche ihr Boot an die

Felsnadel im Wasser gebunden hatten, hatten von der Riesenwelle überhaupt nichts bemerkt. Sie erwachten ausgeruht am nächsten Morgen, lange schon vor ihrem bewusstlosen Anführer, glaubten, die Leute vom anderen Boot hätten es nicht mehr erwarten können, sich in Hwades ihrer furchtlosen Kriegstaten zu rühmen, und wären schon vorausgefahren. Da waren sie ziemlich ärgerlich, ergriffen ihre Paddel, trieben ihr Kanu mit aller Kraft voran, um die anderen einzuholen, und wunderten sich dann sehr, als sie schließlich als erste im heimatlichen Dorf ankamen. Vier Tage lang wartete man nun in Hwades sorgenvoll, hoffend und bangend, aber vergeblich auf das zweite große Kriegskanu und seine tapfere Mannschaft, dann machten sich alle Männer und die größeren Jungen des Dorfes auf, um nach den Verschwundenen zu suchen.

Als sie zum Lagerplatz an der Mündung des Sundes kamen, fanden sie dort allein den Anführer der Krieger. Vier Tage und vier Nächte hatte Maled - seine Söhne und Neffen waren unter den Verschwundenen - in Trauer gefastet. Nur mühsam kamen ihm jetzt die Worte von den Lippen, als er, von den anderen umringt, berichten musste, was sich in der verhängnisvollen Nacht ihrer Ankunft am Sund zugetragen hatte.

‚Nein, Freunde‘, endete er seinen traurigen Bericht, das war keine Welle, glaubt mir, das war ein gewaltiges Ungeheuer, hoch aufgetürmtes Wasser war ihm nur Hülle.

Auch wenn ich weit und breit keine Spuren finden konnte, bin ich mir ganz sicher:

Niemand anders als Gunakadet, der Wolfswal, war es, der unsere Männer mit sich in die Tiefe des Meeres genommen hat.‘

Da waren sie erst einmal ganz schön fassungslos, die Männer und die Jungen von Hwades. Siebenundzwanzig ihrer besten Krieger, die den Gefahren der Kämpfe unbeschadet entkommen waren, sollten hier, fast vor der Tür ihres Hauses, der Laune eines walwänstigen Ungeheuers zum Opfer gefallen sein? Das schrie nach Rache!

Die Jungen ergriffen ihre Paddel, liefen zum Ufer und schlugen wütend auf das Wasser des Sundes ein:

‚He, Gunakadet, wo steckst du, hinterhältiges Untier?! Zeige dich! Komm heraus!

Kämpfe mit uns! Oder wagst du dich, wie die Weiber, nur an schlafende Gegner?‘

Die Männer ließen sich vom Zorn der Jungen anstecken:

‚Sterben wirst du, Gunakadet! Dein fetter Speck soll über unseren Feuern brutzeln!‘

Maled aber schüttelte den Kopf: ‚Ich glaube, Männer, der Speck von Ungeheuern ist ungenießbar. Gegen Gunakadet haben wir doch keine Chance. Wir werden nur noch mehr unserer Leute verlieren ...‘

‚Was ist denn in dich gefahren?!‘, ereiferte sich der Häuptling, ‚hat das Ungeheuer nicht nur deine Söhne und deine Neffen, sondern auch all deine Tapferkeit mit sich unter Wasser genommen? Wir sind weit über zweihundert und sollten in einem Kampf mit Gunakadet nicht siegreich sein können?! Bei den Haida auf den Inseln im Norden haben mutige Männer es ganz alleine mit Seewölfen aufgenommen. Wo hätte man je gehört, dass ein Haida mutiger wäre als einer von uns?! Besinne dich, Maled! Als einer der Tapfersten hast du unsere Männer in den Krieg geführt, willst du jetzt heimkehrend deine Waffen zur Seite legen und den Weibern bei der Wäsche und beim Kochen helfen?‘

Maled starrte schweigend auf das Wasser des Sundes.

‚Lasst ihn!‘, sagte der Häuptling. ‚Wir werden Gunakadet auch ohne ihn besiegen.

Nehmt eure Waffen, Männer, und folgt mir!‘

Da richtete Maled sich plötzlich auf:

‚Haltet ein! Kommt her und hört mir zu! Ich hatte einen Traum vergangene Nacht...‘

Mit Träumen ist nicht zu spaßen. Die Männer und die Jungen versammelten sich im Kreis um ihn, und Maled begann mit geschlossenen Augen zu erzählen:

‚Mir träumte von einem Fest in Hwades. Gäste waren gekommen, ganz seltsame Wesen, Bewohner des Meeres, wie noch keines Menschen Auge sie je sah. Und ihr Häuptling war ... Gunakadet.

Wir sangen ihre und unsere Lieder, wir tanzten mit ihnen um ein hell loderndes Feuer, und mit uns tanzten die siebenundzwanzig verschwundenen Männer...

Lasst es uns in Frieden versuchen. Bitten wir das Ungeheuer Gunakadet zu einem Fest!‘

Da waren sie zum zweiten Mal an diesem Tage ziemlich fassungslos, die Männer und die Jungen von Hwades.

Schließlich begann einer, der, wenn ich mich nicht irre, Babawaju hieß, laut zu lachen:

‚Hat man denn so etwas schon gehört?! Ein Fest für Gunakadet! Leute, Maled ist verrückt geworden! Flieht, bevor er euch beißt!‘

Da begannen auch die anderen zu lachen.

Der Häuptling aber war ein Mensch mit Verstand ...“

„Wie unser Negetze!“, unterbricht Ojai den Bruder. Jagolas verzieht missmutig sein Gesicht, aber er behält für sich, was er vom Verstand des Häuptlings hält, darüber redet er nur mit seinen Freunden Kechelaga und Tschilsomaht.

„Du weißt, Ojai, ich kann es nicht leiden, wenn du mich beim Reden unterbrichst.

Eine Geschichte muss sein wie fließendes Wasser vom Berge, das nicht aufgehalten werden will.“ Ojai hält sich beide Hände vor den Mund. Jagolas ist zufrieden und erzählt weiter:

„Der weise Häuptling also sprach:

‚Einen Versuch ist es jedenfalls wert. Sollte Gunakadet unsere Männer noch nicht gefressen haben, was ja sein kann, macht er sie vielleicht tatsächlich denen zum Geschenk, die ihn zu sich als Gast baten, ... und wenn nicht, können wir ihn ja immer noch erschlagen.‘ Die tatendurstigen Männer murrten, und Babawaju flüsterte seinem Nachbarn zu:

‚Der Wahnsinn geht um am Quatsino - Sund, nun hält er schon sein zweites Opfer gepackt!‘

Maled und der Häuptling aber fuhren in einem kleinen Kanu, nur von acht Kriegern begleitet und, wenn man von ihren Paddeln einmal absieht, ganz ohne Waffen zur Mündung des Sundes und dann auf das offene Meer hinaus. Maled stand am Bug des Bootes. Laut schallte seine Stimme über die Wellen:

,Gunakadet! Gunakadet! Gunakadet!‘

Doch das Ungeheuer zeigte sich nicht.

Schließlich kamen sie, es dämmerte bereits, zu einer felsigen Insel. Die Männer waren erschöpft und hungrig.

‚Lasst uns hier an Land gehen!‘, schlug der Häuptling vor, der auch nicht mehr der Jüngste und schon tüchtig müde war.

Doch bevor sie am Ufer der Insel anlegten, wollte es Maled noch ein letztes Mal versuchen: ‚Gunakadet, zeige dich! Wir kommen, um dich zu einem Fest zu bitten.

Nimm unsere Einladung an!‘

Da spaltete sich genau vorm Bug ihres Kanus die Insel in zwei Hälften.

‚Seht ihr‘, freute sich Maled, ‚Gunakadet bittet uns zu sich!‘

‚Na, ich weiß nicht‘, murmelte der Häuptling, ‚das Ganze sieht mir doch sehr nach einer Falle aus ...‘ ‚Eine Falle ist es! Genau! Lasst uns umkehren!‘, riefen die acht Krieger und tauchten schnell ihre Paddel wieder ins Wasser.

‚Dann werde ich Gunakadet eben allein aufsuchen!‘, sagte Maled, zu allem entschlossen. ‚Kehrt ihr ruhig um ... und helft den Weibern bei der Wäsche und beim Kochen. Ich jedenfalls werde dem walbäuchigen Seewolf unsere Einladung überbringen, selbst wenn ich zu ihm schwimmen muss!‘