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Ein Geschichtenbuch. Ojai, ein kleiner Indianerjunge, lauscht begierig, wenn sein Großvater oder sein Bruder von den lachenden Hirschen, dem Tintenfischmann oder dem gewaltigem Seewolf berichten. Es sind die Märchen und Geschichten der Indianer, die vor mehr als hundert Jahren an der Nordwestküste Nordamerikas lebten. Und wir begleiten Ojai. Erleben wie er einen Tintenfisch fängt. Erfahren warum man ihn "Frosch" ruft. Sehen wie er schreitet, als wäre er "Der Sohn der Sonne".
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2015
www.tredition.de
Geschichten aus dem Land der Zeder
erzählt von
Frank Engel
Mit Grafiken von
Ingolf Engel
und mit, an Motive indianischer Künstler der Vergangenheit und Gegenwart angelehntem, Buchschmuck von
www.tredition.de
© 2015 Frank Engel, Ingolf Engel
Umschlag, Illustrationen: Ingolf Engel, Frank Engel
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7323-4426-0
Hardcover:
978-3-7323-4427-7
e-Book:
978-3-7323-4428-4
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Für Sebastian.
Wir danken “Dem Manne, der die Kommas macht “, Rolf
Schwarzer, für die Absehlußdurchsicht der Texte.
INHALTSVERZEICHNIS
DAS LAND DER ZEDER (INGOLF ENGEL)
DER BÄR UND DER ZAUNKöNIG
DIE LACHENDEN HIRSCHE
DAS GESCHENK DER BISAMRATTE
DER BIBER und DAS FEUER
KAMSCHIWA UND DER TINTENFISCH
DER MANN, DER SEIN GESICHT NICHT WUSCH
DIE GROSSEN WALE
DER SOHN DER SONNE
DER FAULE JÜNGLING
WASkO, DER SEEWOLF
NACHWORT (INGOLF ENGEL)
ERLÄUTERUNGEN
QUELLENANGABEN
DAS LAND DER ZEDER
Das Land, wo unser Ojai vor mehr als hundert Jahren gelebt haben könnte, liegt an der Nordwestküste Nordamerikas. Es ist ein schmaler Küstenstreifen, der vom Inland durch hohe Berge abgeschnittenist. Begrenzt wird er von Südalaska und der Insel Vancouver. Im Pazifik, vor der Küste des Landes, gibt es eine Unmenge an Inseln. Eine warme Meeresströmung bewirkt ein recht mildes Klima. Es fällt aber auch sehr viel Regen.
Die unwegsame Bergkette, die schroff zum Meer abfällt, ist mit Tannen und Kiefern und eben der roten und gelben Zeder bewachsen. Die Zedern sind riesige Bäume, die eine Höhe von 40 Metern und eine Stärke von bis zu 5 Metern erreichen können.
Die Menschen, die hier leben, passen nicht in das Bild, welches man sich im allgemeinen von den Indianern macht. Oft haben die Männer kurzes Haar und auch Schnurrbärte. Die Frauen tragen lange Zöpfe.
Einen Teil des Jahres verbringen sie in Sommerlagern mit dem Sammeln von essbaren Pflanzen, Knollen und Wurzeln sowie dem Fischfang. Es werden Vorräte angelegt.
Im Winter ziehen sie in ihre, zum Teil riesigen, Plankenhäuser. Vom Zwang der täglichen Nahrungsbeschaffung befreit, fertigen sie schöne Dinge an, um ihr Leben auszuschmücken. Auf den Gebieten der Holzschnitzerei, der Malerei und der Weberei brachten sie wahre Meisterwerke hervor.
Nach der Entdeckung der Beringstraße 1728 landeten zunächst die Spanier an der Nordwestküste. Als die Gegend 50 Jahre später durch James Cook und George Vancouver kartographiert wurde, kamen Kaufleute aus aller Herren Länder. Sie brachten neben Glasperlen und Töpfen auch Handwerkszeug aus Eisen.
Die Nordwestküstenindianer sind eine Gruppe von über 50 Stämmen, die in ihrem Alltag und ihrer Kultur viele Gemeinsamkeiten haben.
Innerhalb dieser Gruppe heben sich manche hervor, die es in einem Bereich zu einer besonderen Meisterschaft gebracht haben. So waren die Haida die besten Holzschnitzer. Noch heute künden ihre Totempfähle davon. An der Küste stellten die Nootka und die Makah dem Wal aktiv nach und jagten ihn auf dem Meer, während die anderen Stämme nur auf das Stranden eines Wales hoffen konnten.
Die Decken der Chilkat, eines Unterstammes der Tlingit, sind weit bekannt. Sie werden aus Zedernbast, Hundehaaren, Bergziegenwolle und Federn gewebt. Traditionelle Muster und Farben finden hier Anwendung. All diese Stämme glaubten an Geister von Tieren, Pflanzen und Naturgewalten. Sie glaubten auch, dass die Menschen Reichtum ansammeln müssten, um ihn den höheren Mächten zu opfern.
Im Sommer trugen die Männer außer bei Festen kaum Kleidung. Die alten Männer gingen sogar nackt. Dies ist für Indianer ebenso ungewöhnlich wie der Umstand, dass sie barfuß liefen. Die Frauen hatten meist Kleider aus Zedernbast an.
Lebensgrundlage dieser Indianer ist Fang und Verarbeitung von Fischen. Lachs und Kerzenfisch wandern in riesigen Schwärmen die Flüsse hinauf, um zu laichen. Sie werden mit Reusen, Fischwehren, Netzen und Schöpfkörben gefangen. Überall hängen im Sommer Lachse auf Trockengestellen.
Die Indianer glaubten, dass die Lachse zauberkundige Menschen aus einem Dorf im Meer seien. Als Lachse brachten sie den Menschen Nahrung. Wenn man sie verspeist hatte, gingen ihre Geister ins Meer zurück. Neben dem Lachs und dem Kerzenfisch wurden auch Heilbutt und Hering in Massen gefangen.
Die Wintersesshaftigkeit ermöglichte es den Indianern, recht angenehm zu leben. Ihre Häuser wurden aus Zedernplanken erbaut, die an den Kanten übereinander lagen. Verbunden wurden sie mit Fichtenrindenstreifen. Die großen Häuser konnten bis zu zehn Familien beherbergen. Von außen sind die Häuser oft mit Tiergestalten oder Menschenabbildungen bemalt. Manchmal sind Monstergestalten zu sehen, in deren Maul die Tür eingelassen ist.
Im Inneren sind die Pfosten oft reich verziert. Es gibt Regale mit Vorräten und Gebrauchsgegenständen. Diese sind meist schön gestaltet und mit Tiergestalten oder Fabelwesen verziert.
Die Kanus wurden aus Zedern gefertigt. Sowohl die kleinen Jagdkanus, die 3 Mann fassten, als auch die etwa 10 Meter langen Transportkanus sowie die bis zu 17 Meter langen und mit Segeln aus Zedernbast bestückten Reisekanus, welche neben 2 Tonnen Last auch noch 37 Menschen aufnahmen, waren aus je einem einzigen Stamm geschnitten.
Am bekanntesten sind wohl die bis zu 30 Meter hohen Totempfähle. Mit ihren übereinander gestapelten Tier-, Menschen- und Geistergestalten stellten sie den Rang und die Herkunft ihres Besitzers dar.
Wer reich war, genoss großes gesellschaftliches Ansehen. Um diesen Reichtum messen zu können, gab es drei allgemein anerkannte Wertmaßstäbe. Zum einen waren es Decken (Blankets), welche einen festen Geldwert hatten, dann sogenannte Kupfer und Sklaven.
Die Kupfer waren schwere schildartige Gegenstände, welche graviert und bemalt waren. Ein jeder hatte einen Namen und wurde als Zeichen großen Reichtums weiter vererbt. Es kam vor, dass für einen solchen Kupfer über 7000 Blankets oder 10 Sklaven gezahlt wurden.
Die Sklaven waren weniger wegen ihrer Arbeitskraft so wertvoll, sondern weil ihr bloßes Dasein anzeigte, dass ihr Besitzer so reich war, Sklaven zu halten. Er konnte Sklaven auch töten und neue kaufen.
Will ein Häuptling sein Ansehen mehren, so richtet er ein Potlatch aus. Hier werden, im Rahmen eines üppigen Festes, Reichtümer zerstört. „Weggeben“ nennen es die Indianer. Nachdem in Fülle Speisen gereicht, gesungen und getanzt wurde, begann das Zerstörungswerk. Decken wurden verbrannt,
Öl ins Feuer gekippt, man zerschlug Kanus und zerbrach Kupfer. Im Rausch der Vernichtung wurden auch Sklaven getötet.
Alle Stämme der Nordwestküste verehren bestimmte Wesen, die ihnen, nach ihrem Glauben, ihre Kultur und Lebensweise gebracht haben. War es bei den Tlingit der Rabe Jelch, welcher den Menschen die Sonne, den Mond, die Sterne und das Feuer brachte, so leiten sich die Haida von Adlern und Raben ab. Glaubt man den Legenden, so wurde ein Geheimbund der Kwakiutl von einem Menschenfressergeist gegründet. Die Indianer der Nordwestküste hatten keine größeren Streitigkeiten mit den weißen Eindringlingen auszufechten. Sie trieben Handel, schickten ihre Kinder auf Schulen und gründeten Genossenschaften zum Fang von Fisch und dessen Verarbeitung.
Heute fahren sie mit großen Schiffen aufs Meer hinaus.
DER BÄR UND DER ZAUNKÖNIG
Der Zaunkönig hatte sich aus dem Zweig einer Zeder und einem winzigen Stück Kupfer einen ganz ordentlichen Speer angefertigt. Da war er dann auch sehr stolz drauf.
„So, Frau“, sagte er, „ich werde mich jetzt auf die Jagd begeben.“
Die Zaunkönigin lächelte gutmütig. Ach, dachte sie bei sich, was wirst du tapferer, kleiner Kerl mit deinem winzigen Speer schon erlegen. Um Fliegen und Würmer zu jagen, ist doch dein Schnabel Waffe genug.
Der Zaunkönig kam an einen See mit klarem Wasser. Dicht am Ufer wimmelte es nur so von silbrig glitzernden Fischen. Ja, der Zaunkönig stemmte entschlossen die Flügel in die Hüften, solch einen Fisch werde ich mir fangen!
Da stand plötzlich wütend brummend ein sehr erwachsener dicker Bär vor ihm.
„He, Zaunkönig, was suchst du hier? Mach gefälligst, dass du wegkommst!“ „
Alter Brummbär“, entgegnete der Zaunkönig,“ sei mal nicht so unfreundlich an diesem schönen Tag! Lass uns hier an diesem schönen See doch lieber gemeinsam fischen.“
Der Bär ließ sich aufs äußerste verblüfft und geräuschvoll auf sein breites Hinterteil fallen.
„Was denn? Wie denn? Fischen willst du?!“, fragte er und schüttelte ungläubig seinen dicken Schädel.
„Hier an meinem See willst du fischen?!“
„Dein See ? Ich höre wohl nicht richtig?!“, protestierte der kleine Zaunkönig. „
Dieser See gehört allen. Niemand, auch du mit deinem Maul voller Zähne und deinen großen Tatzen nicht, kann mir verbieten, hier zu fischen!“
„Wage es nicht!“, drohte ihm der Bär mit erhobener Pranke.
Der Zaunkönig zeigte ihm einen Vogel.
„Lass mich in Ruhe“, sagte er sehr aufgebracht, „ich habe heute nämlich noch nicht gefrühstückt.“
Dann trat er mit seinem Speer entschlossen an das schattige Ufer des Sees.
Da hieb der große, dumme Bär wütend mit seiner Pranke nach ihm. Der Zaunkönig aber sprang flink zur Seite. Sein neuer Speer freilich lag zerbrochen im Gras.
Ärgerlich ging der Zaunkönig daran, sich einen neuen Speer zu schnitzen. Als er schon wenig später wieder an den See kam, wartete der Bär bereits auf ihn. Er zerbrach auch den zweiten Speer des Zaunkönigs und warf die Stücke lachend ins Wasser.
Dem dritten, dem vierten, dem fünften, dem sechsten und dem siebenten Speer erging es nicht anders.
Der Zaunkönig aber gab nicht auf!
„Dieser dumme Bär glaubt wohl, dass er sich alles erlauben kann, weil er ein Stückchen größer ist als ich!“, schimpfte der Zaunkönig vor sich hin, als wäre er ein Rohrspatz.
Es wurde bereits Abend, als der inzwischen sehr hungrige kleine Kerl mit seinem achten Speer an das Ufer des Sees kam.
Der Bär war noch immer dort. Er lachte höhnisch, als er den Zaunkönig kommen sah.
„He, Freund Zaunkönig, mir scheint, unser kleines Spielchen macht dir so richtig Freude!“
Doch dem Zaunkönig gefiel das böse Spiel überhaupt nicht, was man ja wohl verstehen kann. Ganz im Gegenteil!
Als der Bär auch den achten Speer zerbrochen in den See warf, wurde der Zaunkönig so richtig wütend. Noch nie in seinem Leben war er so wütend gewesen! Und seine Wut machte ihn zum Helden.
Er flog dem Bären in eins der Löcher seiner großen, breiten Nase und hackte, sicher vor den Pranken des Riesen, mit seinem spitzen Schnabel kräftig darin herum. Da hatte er des Bären empfindlichste Stelle getroffen! Bald wälzte sich der Bär vor Schmerzen auf dem Boden. Dicke Tränen liefen ihm aus den Augen, und aus seinem gequälten Riechorgan begann Blut zu tropfen.
„Komm heraus aus meiner Nase, du verdammter Quälgeist!“, bat der Bär stöhnend. „Komm doch, ich bitte dich, wieder heraus. Lass mich in Frieden. Nie wieder werde ich dir verbieten, an meinem See zu fischen. Von jetzt an soll dieser See uns beiden gehören.“
Der wütende Zaunkönig aber hörte nicht auf ihn.
Als es ganz dunkel geworden war, lag der große, dicke Bär reglos am Ufer des stillen Sees. Der Zaunkönig flatterte vergnügt nach Hause.
„Du kommst ja mit leeren Händen, großer Jäger!“, empfing ihn seine Frau mit freundlichem Spott.
„Ach, weißt du, ich habe einen Bären erlegt.“, antwortete ihr Mann und gab sich dabei Mühe, seine Stimme möglichst gleichgültig klingen zu lassen. „Das war gar nicht so schwierig, wie ich dachte. Schwierig wird es nur sein, ihn fortzuschaffen. Er liegt unten am See. Ich habe ihn nicht alleine hertragen können.“
1974
DIE LACHENDEN HIRSCHE
Es war einmal, da trafen sich am rechten Ufer des Nass - River die Wölfe in großer Zahl, um ein Fest zu feiern. Sie sangen ihre schaurigen Lie-der, tanzten ihre wilden Tänze und heulten zum Steinerweichen. Das lockte nach und nach immer mehr ihrer Artgenossen an. Die Festgesellschaft wurde größer und größer und der Gesang der Versammelten immer lauter und fürchterlicher. Die Tiere des Waldes und die Fische im Fluss flohen in wilder Angst. Damals sollen die Lachse gelernt haben, Stromschnellen, Wasserfälle und andere Hindernisse auf ihrem Weg springend zu überwinden. Selbst die Sonne am Himmel ergriff die Flucht vor dem Geheul der Wölfe. Neugierig nahm der Mond ihren Platz ein. Die Wölfe, hoch erfreut darüber, dass ihnen endlich jemand zuhörte, auch wenn es nur der alte, schwerhörige Mond war, heulten lauter und immer lauter, bis sie am Ende alle ganz fürchterlich heiser waren. Da begannen sie, sich wieder all die alten Geschichten zu erzählen von vergangenen Tagen und verjährten Heldentaten. Sehr genau nahmen sie es dabei jedenfalls mit der Wahrheit nicht. Ein jeder wollte ein noch viel größerer Held gewesen sein als der andere.
Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses aber kamen, nachdem es endlich stiller geworden war, und von den Wölfen anfangs unbemerkt, die Hirsche zur Tränke.
Immer wieder trug der Wind ein paar Fetzen der prahlerischen Reden der Wölfe zu ihnen herüber. Lauthals mussten die Hirsche über deren endloses Heldentatengerede lachen. Damals kannten die Hirsche noch keine Furcht. Schlimm war freilich, dass sie manchmal auch ganz grundlos lachten. Nicht alles, was die Wölfe so zum Besten gaben, war aufgeschnitten und geflunkert. Nie zuvor aber hatten die Führer der Hirsche ihren Rudeln von Heldentaten anderer Tiere berichtet. Helden konnten nur Hirsche sein! Niemals Wölfe! Nein, die Hirsche, sie konnten einfach nicht wieder aufhören zu lachen.
Die Wölfe aber spitzten die Ohren. Wütend spähten sie nach denen, die sich da über sie lustig machten. Noch verbarg dichter Nebel, welcher über dem Fluss lag, die Lacher vor ihren Blicken.
Die jungen Wölfe stürzten ans Ufer, schlugen wütend mit ihren Pfoten ins Wasser und heulten heiser, aber so laut sie konnten:
„Wer seid ihr?! Wer wagt es, die Tapfersten unseres Stammes zu verhöhnen?!“
Die Hirsche gaben keine Antwort, sie lachten nur immer noch übermütiger.
Da aber verflog plötzlich der Nebel, und die ergrimmten Wölfe konnten die lachenden Hirsche am anderen Ufer erkennen. Sie bemerkten, dass alle Hirsche mit einem Mal geschlossenen Maules lachten. Warum wohl? Lacht so vielleicht ein vernunftbegabtes Tier?
„Seht euch das an“, höhnten nun die Wölfe, „nicht einmal richtig lachen können diese albernen Geschöpfe, denen links und rechts Äste aus hölzernen Hirnen wachsen. He, ihr da drüben, reißt gefälligst das Maul auf, wenn ihr lacht! Nur so lacht man richtig. Wer lacht schon mit geschlossenem Mund?!“
Die Wölfe lachten und rissen dabei ganz gewaltig die stinkenden Hälse auf. Die hochmütigen Hirsche versuchten, es ihnen gleich zu tun. Als sie aber ihre Mäuler beim Lachen spreizten, so gut sie konnten, da sahen die Wölfe, was für jämmerliche Gebisse diese Grasfresser hatten, und beim Gedanken an so leicht zu erlegende Beute lief ihnen das Wasser im Maule zusammen.
„Packt sie! Auf sie, Brüder! Schlagt eure Zähne in ihre Kehlen!“, so schrien alle Wölfe, zum Kampf entschlossen, durcheinander. Schon stürzten sie sich in den Fluss und schwammen, die Zähne fletschend, behände auf das gegenüberliegende Ufer zu.
Da bekamen es die Hirsche dann doch ganz gewaltig mit der Angst zu tun.
So schnell sie nur konnten, suchten sie ihr Heil in der Flucht. Nie vorher und nie nachher sind sie so schnell gelaufen wie an diesem Tag. Die Wölfe aber blieben von diesem Tage an auf ihrer Fährte, und so jagen noch heute überall in den tiefen Wäldern grimmige Wölfe fliehende Hirsche.
Seit dem Fest am rechten Ufer des Nass - River wissen die Wölfe nun, dass die hochmütigen Grasfresser einen guten Grund haben, mit geschlossenem Maule zu lachen; sie wissen, dass die viel größeren Hirsche ihnen höchstens mit ihrem Geweih, nicht aber mit ihren kümmerlichen Zähnen gefährlich werden können.
1974
DAS GESCHENK DER BISAMRATTE
Nirgendwo treffen die Wellen des Stillen Ozeans auf eine so ausgedehnte Küste wie die westliche Küste Amerikas, und nirgends ist die amerikanische Küste so zerklüftet wie zwischen dem Kap Flattery, der nordwestlichsten Spitze der Vereinigten Staaten, und dem kleinen Ort Jakutat, wo der schmale Küstenausläufer des Bundesstaates Alaska, den die Amerikaner „Pfannenstiel“ nennen, seinen Anfang nimmt. Hunderte großer und kleiner Inseln liegen vor der von tausend Fjorden zerschnittenen Felsenküste. Die größte der Inseln ist die Vancouver - Insel, ein erst spät ins Meer abgesunkener Teil des Festlandes. Nur der Königin - Charlotte - Sund und zwei schmale Meeresstraßen, die Straße von Georgia und die Juan - de - Fuca - Straße, trennen die gebirgige, zu Kanada gehörende Insel vom nordamerikanischen Festland. Kein Wunder, dass in diesem Labyrinth von Inseln und Fjorden die ersten Weißen - spanische Seeleute, die 1592 hier landeten - gar nicht erkannten, dass sie sich auf einer Insel befanden, was erst zweihundert Jahre später der englische Seefahrer George Vancouver bemerkte. Das dichtbewaldete Felsengebirge im Inneren der Insel erreicht eine Höhe von über zweitausend Metern. Das Inselklima ist mild. Wenn auch die Sommer nicht so warm wie bei uns sind, sondern eher wie die Sommer in Schottland oder Norwegen, so sind dafür die Winter angenehmer als unsere, sie sind den Wintern an der Riviera ähnlich. Dafür regnet es noch viel häufiger als hierzulande, vor allem im Winter, aber auch im Sommer sind fast ein Drittel, in manchem Jahr sogar die Hälfte aller Tage, Regentage.
An der fjordreichen Küste der Insel leben Indianer dreier Völker: Im Südosten die Cowichan, im Südwesten die Nootka und im Norden die Kwakiutl. Diese Völker unterteilen sich in eine Vielzahl kleiner, ja winziger Stämme. Einer dieser Stämme - die Koskimo - hat seine festen Häuser am Quatsino - Sund errichtet, der sich im Nordwesten tief in das Inselinnere einschneidet. Die meisten Koskimo sind in dem kleinen Ort, den sie Hwades, die Weißen aber Koskimo Village nennen, der am rechten Ufer des Quatsino-Sundes liegt, zu Hause, dort genau, wo fast in der Mitte zwischen West- und Ostküste der Insel der nordwestliche Seitenarm des Sundes einmündet.