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Robert Lejeune hat die Predigten, Andachten und Schriften von Chrisoph Blumhardt (1842 - 1919) gesichtet und eine Auswahl in vier Bänden herausgegeben. Für die heutigen Leserinnen und Leser wurden die Texte überarbeitet, den Rechtschreiberegeln angepasst und mit Anmerkungen versehen, die das Verstehen erleichtern sollen. Die angefügte Zeilenzählung dient dem Gespräch in Seminaren und Hauskreisen und der Studienarbeit.
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Seitenzahl: 847
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Erster Band
Wiederauflage 20232
Herausgegeben von Jürgen Mohr
[Rotapfel Verlag, Erlenbach-Zürich und Leipzig
1937]
Verlag BoD
2023
für die Wiederauflage (2)
überarbeitet und mit Anmerkungen versehen
von Jürgen Mohr
BoD
2023
1. Jesus ist Sieger!
2. Unsere Freude - Jer 31, 14; Mt 9, 28
3. Die Majestät von Jesus Christus - 1 Chr 29, 14; Lk 24, 50 – 51
4. Die Herrlichkeit des Herrn - Hes 44, 4
5. Das Gedenken des Herrn - Ps 103, 14
6. Offene Tore - Jes 60, 11; Apg 4, 31
7. Der Trost Israels - Ps 68, 21; Lk 2, 25
8. Gottes-Beweise - Jer 10, 6
9. Harre auf den Herrn! - Ps 33, 20; Mt 28, 20
10. Die Freundlichkeit Gottes - Klg 3, 25
11. Unter den Gerichten Gottes - Ps 14
12. Der Name »Jesus« - Lk 2, 21
13. Ein Gedenktag - Ps 121, 3
14. Der Mensch der Sünde - 2 Th 2, 3 – 8
15. Er ist auferstanden!
16. Die Wohnungen Gottes - Ps 84, 2
17. Der Glauben schaffende Heiland - Jh 4, 47 – 53
18. Gottes Volk - Sa 8, 6 – 8
19. Die Gotteszeit - Sa 9, 16
20. Der Kampf der Zeugen Gottes - Mt 23, 34 – 39
21. Der dir alle deine Sünden vergibt - Ps 103, 2 – 3; Apg 13, 38 – 39
22. Feste mit Freuden - Esr 6, 22; Jh 10, 29
23. Der Segen Gottes - Ps 115, 12 – 14
24. Gottes Heere - Jos 5, 14
25. Bitten und Überwinden im Namen von Jesus - Jh 16, 23 – 33
26. Die Liebe Gottes - Jh 3, 16 – 21
27. Lebendiges Quellwasser - Jh 4, 10
28. Hefata! - Mk 7, 31 – 37
29. Die Gemeinde des Jesus Christus - Eph 4, 1 – 6
30. Wir haben einen Gott. - Ps 68, 21; Mt 24, 13
31. Herr Jesus, komm! - Off 22, 17
32. Begegne deinem Gott! - Am 4, 12
33. Schmähungen - Ps 69, 10
34. Der Knecht des Herrn - Ps 31, 17
35. Vor dem Heiland stehen - 1 Kö 10, 8; Heb 2, 9
36. Sodoms Unglück - 1 Mo 19, 19 – 20
37. Die ausgewählten Streiter - Ri 7, 4
38. Der sichtbare Gott - 2 Mo 24, 17; 2 Ko 5, 4
39. Der Friedensberg Zion - Mi 4, 1 – 3
40. Den Herrn anrufen - Rö 10, 13
41. Gottestaten - Ps 108, 14
42. Die Erfüllung der Zeit - Gal 4, 4
43. Meine Seele erhebt den Herr - Lk 1, 46 – 55
44. Lass dein Angesicht mit uns gehen! - 2 Mo 33, 15; Mt 6, 10
45. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. - Hi 19, 25
46. Wunder - Ps 45, 5
47. Der Herr mein Panier! - 2 Mo 17, 15
48. Suchet den Herrn! - Am 5, 6
49. Die Macht Gottes - Ps 12, 6; Jh 4, 48
50. Gottes Bundesgenossen - Dan 9, 19
51. Kraft zum Siegen - Ps 116, 6; Mt 17, 20
52. Das Schreien der Gottesfürchtigen - Ps 145, 19
53. Einträchtige Herzen - Hes 11, 19; Mt 5, 5
54. Verheißung und Erfüllung - Jer 3, 15; Apg 1, 7
55. Die bleibende Gemeinde des Jesus Christus - Ps 16, 8; Mk 16, 15
56. Protestleute gegen den Tod - Off 2, 8 – 11
57. Gemeinschaft - 1 Jh 1, 1 – 10
58. Leben in der Verheißung - Hab 2, 1 – 4
59. Zu den Füßen Gottes - 5 Mo 33, 3
60. Von der Zukunft des Jesus Christus - Lk 18, 1- 8
61. Auf Gott harren - Ps 62, 6; Mt 25, 34
62. Der Bund - 1 Mo 17, 1
63. Siehe, ich mache alles neu! - Off 2, 15
64. Der Volkstrost - Jes 49, 13
65. »Zu der Zeit…« - Jes 11, 10
66. Ein Kampf im Himmel - Off 12, 11
67. Weltreich und Gottesreich - Hes 34, 16
68. Herr, vernimm meine Stimme! - Ps 141, 1- 2; Lk 23, 27
69. Da Gott sein Antlitz verbarg - Ps 30, 7 – 8; 1 Jh 2, 28
70. Der Leuchter des Volkes Gottes - Ps 135, 14
71. Einstweilen - Jes 14, 27; 60, 20; Jak 5, 7; Mt 18, 19
72. Hörende Leute - Jes 55, 3; Mt 8, 26
73. Probezeiten - Jes 8, 17
74. Das Nest - Ps 84, 4
75. Das Gottes-Gewebe - 2 Mo 6, 2 – 3; Eph 2, 8
76. Das Vermächtnis eines Gottesmannes - 5 Mo 23, 5
77. Gottesdienst und Religion - Ps 30, 12
78. Der rechte Gott - 5 Mo 7, 9
79. Der Gott der Taten - Ps 79, 9
80. Ein Prophetenschrei - Jes 64, 1; Heb 2, 11
81. Das Ich Gottes im Menschen - Ps 121
Die Predigten und Ansprachen Christoph Blumhardts [1842 – 1919] sind auch nach über 100 Jahren von bleibender Aktualität. Der Schweizer Robert Lejeune hat sich im Auftrag der Familie und der Nachlassverwalterin, Schwester Anna von Sprewitz, der Aufgabe gestellt, die Manuskripte und Erstveröffentlichungen zu sichten und einen repräsentativen Querschnitt zu erstellen, den er in die akzentuierten Abschnitte einteilte:
Die Neuauflage will diese Sammlungen wieder zugänglich machen für das private Studium, für Gesprächskreise und Studienseminare.
Blumhardt sprach ohne ein Manuskript. Seine Reden wurden mitstenographiert und in den ersten Jahren seiner Bad Boller Tätigkeit in der Nachfolge seines Vaters von ihm selbst für den Erstdruck freigegeben und dann im Selbstverlag veröffentlicht. Robert Lejeune lagen diese Publikationen vor. Und aus den Folgejahren durchforschte er dann die Mitschriften der beiden qualifizierten Stenographinnen. Während der Zeit seiner parlamentarischen Tätigkeit (1900 – 1906) hatte Blumhardt es untersagt, dass seine Predigten mitgeschrieben wurden.
Als gebürtiger Schwabe lässt Blumhardt immer wieder schwäbische Wörter und Redewendungen einfließen. In den Mitschriften der Stenographinnen finden sich diese zwar noch, wurden aber bei der Transskription für den Druck fast ausnahmslos ins Hochdeutsche übertragen.
Die Neuauflage geht den umgekehrten Weg und übersetzt das vorliegende Hochdeutsch ins Schwäbische zurück und hebt dort Wörter und Redewendungen im Kursivsatz hervor, wo ein schwäbischer Ausdruck zu vermuten ist. Der Nuancenreichtum dieser Wörter ist für das Verständnis wichtig5.
Das schwäbische Diminutiv (Festle, Dächle, Käpple, Häärle ) hat ein größeres Bedeutungsspektrum (nicht nur Verniedlichung und Verkleinerung) als man bei der Wiedergabe im Hochdeutschen vermuten würde. Es drückt Bewertungen aus: wohlwollend, ironisierend (Lieblingsversle ), verächtlich (Teufele Stölzle, Trötzle, Trotzköpfle, Völkle ) oder scherzhaft (Frömmigkeitsfensterle, Sprüchle, Versle ). Es kann auch ein Lob und eine Anerkennung zum Ausdruck bringen, umgekehrt aber auch Verärgerung (Fündle, Menschenfündle ) oder einfach schwäbisches Understatement (Äckerle, Häusle, Sächle ).
Auch typische schwäbische Wörter: bruddeln, Bruddelgeist, schaffen, das Geschäft, gescheit, Gescheitheit, geschickt, halten, lottern, Krutscht oder Gruscht, Lotterei, passen, Schnitzer, surren umtriebig, Umtrieb, unangenehm, Unannehmlichkeit, ungeschickt, Unverstand, wacker, weislich, wohlweislich, wüst werden so kenntlich gemacht.
Darüber hinaus fallen schwäbische Redewendungen auf: deutsch sagen , jaholla! , grausig , grausemäßig , halten, hinlangen, einen Lebtag machen, nichtnagelsgroß, schiergar, werweißwas, wunderwas, waswunder.
Blumhardt redete als einfallsreicher Sprachschöpfer: aus „armer Tropf“ wird armes Tröpfle , aus Gemeinde Gemeindle und Christenhäufle , aus der biblischen Betrachtung eine Andächtelei eines Andächtlers , aus alternativen Heilmethoden werden Hilfle und Hilfsmittele , aus Humanität Liebesgedusel, das Theologiestudium wird als Gestudier abqualifiziert und die Theorie zur Phrasenmacherei ; die Beschäftigung mit Sterben und Tod der Menschen zur Sterberei .
Die Menschen in der Gefolgschaft der beiden Blumhardts nennt er Erlebensleute .
Eine weitere Eigentümlichkeit ist die Verwendung des besitzanzeigenden Genetivs: »Ihr Menschen seid Gottes.« »Ihr Menschen seid des Heilands.« Wenn Blumhardt vom einzelnen Menschen seiner Zuhörerschaft spricht, spricht er von »jedes (Gemeindeglied, Einzelne) von Euch«.
Darüber hinaus ist die Sprache Christoph Blumhardts geprägt vom Deutsch der Lutherbibel. Seinen Ansprachen liegen oft die tägliche Losung der Herrnhuter Brüdergemeine zugrunde6. Als roter Faden stellt sich die Verkündigung des wiederkommenden Jesus Christus und das Reich Gottes heraus.
An dieser Stelle soll auf die Forschungsarbeit Eberhard Kerlens hingewiesen werden, der in der Schule Rudolf Bohrens [1920 – 2010] die Predigten sprachanalytisch nach der Heidelberger Methode7 untersucht hat.8
Die beiden Blumhardts, der Vater Johann Christoph [1805 – 1881] und dessen Sohn Christoph Friedrich, haben die Blumhardt-Bewegung9 angestoßen, aus der die religiös-soziale und die dialektische Theologie10 hervorgingen und wesentliche Impulse bekamen. Ohne dass sie je ein wissenschaftliches theologisches Buch geschrieben haben, gaben sie den nachfolgenden Generationen neue Ideen, Sprache und Formulierungshilfen11. An dieser Stelle können die Namen von Karl Barth (1886 – 1968), Rudolf Bohren (1920 - 2010), Emil Brunner (1889 – 1966), Hermann Kutter (1863 – 1931), Jürgen Moltmann (1926), Leonhard Ragaz (1868 – 1945), Johannes Rau (1931 - 2006) und Eduard Thurneysen (1888 – 1974) beispielhaft für viele andere genannt werden.
Die Zeichensetzung und Rechtschreibung werden heutigen Regeln behutsam angepasst.
Jürgen Mohr
Reutlingen, im September 2023
1 Lejeune, Robert: Jesus ist Sieger! Predigten und Andachten 1880-1888, ZürichErlenbach/Leipzig 1937.
2 Lejeune, Robert: Sterbet, so wird Jesus leben! Predigten und Andachten 18881896. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1925.
3 Lejeune, Robert: Ihr Menschen seid Gottes! Predigten und Andachten, 1896 – 1900. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1936.
4 Lejeune, Robert: Gottes Reich kommt! Predigten und Andachten 1907 – 1917. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1932.
5 Fischer, Hermann: Schwäbisches Handwörterbuch / auf der Grundlage des „Schwäbischen Wörterbuchs“ von Hermann Fischer und Wilhelm Pfleiderer, bearb. von Hermann Fischer und Hermann Taigel, Tübingen, 19912
6 Die Losung wird jedes Jahr in Herrnhut aus ca. 1800 alttestamentlichen Bibelversen ausgelost. Der zugehörige Lehrtext stammt immer aus dem Neuen Testament und wird, thematisch passend, zur Losung ausgesucht.
7 Bohren, Rudolf; Jörns, Klaus-Peter: Die Predigtanalyse als Weg zur Predigt, Tübingen 1989.
8 Kerlen: Zu den Füßen Gottes; siehe Literaturverzeichnis.
9 Buess, Eduard/ Mattmüller, Markus; Prophetischer Sozialismus. Blumhardt -Ragaz - Barth, Freiburg/ Schweiz 1986.
10 Mohr: Studientexte. Siehe Literatur-verzeichnis
11 Mohr: Macht. siehe Literatur-Verzeichnis
Ihr lieben Leidtragenden und Freunde! Ich kann nicht viel reden, auch kann ich nicht viel darüber sagen, wie es künftig sein wird, wenn nun der liebe Vater nicht mehr da ist. Ich will euch aber ein ganz kurzes Geschichtchen erzählen, um euch und uns Mut zu machen für die fernere Zukunft, zugleich aber auch um euch einen letzten Eindruck zu geben von dem, was der liebe Vater war.
In Möttlingen, wo der Vater in heißem Streit mit der Finsternis gestanden ist, geschah es eines Tages, dass er über Feld war mit einer Anzahl Männer aus seiner Gemeinde. Er war so gedrückt und bewegt von dem Kampf, in dem er stand, dass ihm das Herz springen wollte bei den täglichen Erfahrungen von der schauerlichen Macht der Finsternis und dem furchtbaren Widerstand, den sie bewies. Da führte ihr Weg durch einen Wald und in diesem über einen großen freien Raum. Sie hielten still, und mein Vater sagte: »Ich habe unterwegs einen Vers gemacht, und den wollen wir jetzt zu unserer Stärkung singen.« Da hat er den Vers ihnen vorgesagt: »Jesus ist der Siegesheld.«13 Die paar Männer sangen mit kräftiger Stimme in den Wald hinein, trauten aber ihren Ohren kaum, als sie hörten, dass sie nicht allein sangen, sondern immer lauter und immer lauter wurde der Gesang im Unsichtbaren. Es war, als ob unsichtbare Heerscharen sich hergedrängt hätten und alle mitsängen. Voll Staunen und innerlich gehoben eilte der Vater mit den Männern nach Hause, wo ihnen wieder etwas Wunderbares begegnete. Denn als er ins Zimmer trat, brachte die mit seinen Kämpfen mit der Finsternis aufs engste verbundene Gottliebin Dittus14 ihm den nämlichen Vers entgegen. Es war, als ob die unsichtbaren Sänger, dem Vater vorauseilend, ihr den Vers zugebracht hätten.
So begreift ihr, wie dieses Versle uns lieb und unser Kampfes-und Siegeslied geworden ist. Wie oft haben wir Brüder15 es seither an der Seite unseres Vaters gesungen! Denn die Kämpfe sind wohl still geworden, aber aufgehört haben sie nicht. Alle Jahre von jener Zeit an haben wir Jesus, den Sieger, nötig gehabt. Und – Gott Lob und Dank – wir haben ihn täglich verspürt und vernommen, – nicht nur in unseren Herzen, nein, auch von außen her. Wir sind im Lauf der Jahre Zeugen geworden von wunderbaren Erweisungen Gottes unter uns, die alle immer wieder auf das hinausliefen: Jesus ist Sieger!
Ihr lieben Leute, – diesen Jesus brauchen wir alle Tage! Und wenn wir unseren Vater jetzt ins Grab legen, so denkt daran, dass es nur seine Hülle ist, – er selbst ist droben beim Siegesheiland. Und auch wenn er jetzt nicht mehr da ist – diesen Siegesheiland brauchen wir auch ferner. Und müssen ihn haben und werden ihn haben! Und diese Bitte habe ich an euch: Nehmt vom Grab des lieben Vaters den Eindruck und die gewisse Zuversicht mit fort: Jesus ist Sieger! Verzagt nicht! Haltet fest! Traut auf die Barmherzigkeit Gottes, die durchbrechen wird durch alle Finsternisse. Und bald, ja bald wird der Sieg offenbar, dass alle Feinde untertreten werden. Und dem können wir mit Jubel entgegengehen. Als Ausdruck dieses Siegesgefühls wollen wir darum jetzt singen:
Jesus ist der Siegesheld,
der all seine Feind besieget.
Jesus ist’s, dem alle Welt
bald zu seinen Füßen lieget.
Jesu ist’s, der kommt mit Pracht
und zum Licht führt aus der Nacht.16
12 Ansprache bei der Beerdigungsfeier für den Vater Johann Christoph Blumhardt am 28. Februar 1880.
13 Siehe dazu: Mohr, Macht, S. 242 ff.
14 Brodersen, Gottliebin geb. Dittus (Mammo) [1815 – 1872] aus Möttlingen. Die Ereignisse um Gottliebin führten zur dortigen Erweckung. 1844 -1847 Lehrerin in der Kleinkinderschule Möttlingen, 1852 Leitung der Hauswirtschaft Bad Boll, 1855 Ehe mit Theodor Brodersen. Siehe Johann Christoph Blumhardt: Briefe, Band 7, Verzeichnis und Register zu Band 1 – 6, S. 82.
15Karl Christian [1841 – 1892]; Christoph Friedrich [1842 – 1919]; Theophil [1843 -1918]; Nathanael II [1847 – 1921].
16 Blumhardt: Bibellieder, S. 273.
Ich will der Priester Herz voll Freude machen.
Jer 31, 14.18
In Israel hat es Priester gegeben, die für das Volk zu sorgen hatten, dass den Leuten ihre Sünden möchten vergeben werden. Dazu waren sie da. Und der Priester Herz wird traurig, wenn sie für nichts Priester sind, und es wird freudig, wenn sie wissen, wozu sie da sind. So geht es uns Pfarrern heutzutage auch. Wenn wir in unserem Pfarrhaus sitzen, und niemand kommt und fragt nach uns, so sind wir traurig. Da kann man uns geben, was man will, – das hebt den Sorgenstein nicht weg. Die einzige Freude, die man als Priester, als Knecht des Herrn, erleben kann, ist, wenn die Leute kommen und sich wirklich versöhnen lassen19. Wenn es ein Laufen gibt unter den Leuten, an dem man merkt: sie suchen etwas für ihre Seelen. Sind die Leute aber gleichgültig bezüglich ihres ganzen Wesens, dass sie nicht zu einem Verlangen kommen, sich von Sünden zu reinigen, da muss man Mitleid haben und wird traurig. Gegenwärtig ist es so. Man könnte sehr traurig werden, denn vieles bleibt liegen an Verkehrtheit und Sünde unter der christlichen Bevölkerung. Und die priesterlich Gesinnten haben nichts zu tun, weil die Leute nicht danach fragen, – wenigstens nicht in dem Maße, wie es nötig wäre.
Da muss man nun darauf achten, dass es heißt: »Ich will der Priester Herz voll Freude machen.« Man kann da also nichts anderes tun, als aufschauen zu dem, der gesagt hat: »Ich will es tun und die Herzen auf das lenken, was zum Heil dient!« Wir können nichts anfangen und treiben, wodurch die Bevölkerung wirklich bekehrt würde. – Das muss der liebe Gott tun. Und dass er das sagt: »Ich will es tun!«, das ist unser Trost. Da kann man mit gutem Mut beten: »Mach du’s!« So kann der Priester Herz auch in Zeiten der Traurigkeit freudig sein, wenn man es sich angelegen sein lässt, auf die Erfüllung dieser gegebenen Zusage zu hoffen.
Das ist unsere Boller Freude, die man uns so übelnimmt. Das ist unsere Boller Freude, dass wir warten. Und diese Boller Freude lassen wir uns nicht nehmen, und wenn uns die ganze Welt im Stich lässt. Wir nehmen es heilig. Und wir wissen, dass es nur der Herr kann. Und das treibt uns täglich in die Demut und in die Gottesfurcht. Man kann aber auch sagen: Es ist unsere Freude, dass der Heiland uns auch etwas »Priesterfreude« gibt. Wir schreien nicht in die Welt hinaus: »Kommt her!« Und doch kommen immer Leute, die versöhnt sein wollen und priesterlich bedient sein wollen. Und so kann man sagen: Es ist schon ein Anfang der Verheißung zu sehen an einem Mann wie Blumhardt, – ich sage es frei heraus – dass der Herr der Priester Herz voll Freude macht! Denn seine Worte, die es machten, dass alles zu ihm kam, die hat der liebe Gott gegeben. Und die darauffolgende Kraft, die Leute zu lösen, ehe sie es selber merkten, die hat der liebe Gott gegeben. Und der Zug20, dass Tausende sich versöhnen ließen, den hat der Herr gemacht. Und bis auf den heutigen Tag – dass wir bestehen, das hat der Herr gemacht. Und dessen dürfen wir unter aller Traurigkeit getrost sein. Und nicht nur hier, sondern auch in fernen Landen, in der Heidenwelt und überall, wo priesterlich Gesinnte sind, fängt es in unserer Zeit wieder an, dass die Leute sich einfinden zur Versöhnung. Und wenn in einem Artikel der evangelisch -lutherischen Kirchenzeitung21 unser Warten lächerlich gemacht wird, so sage ich: »Das ist unsere Kraft, – das Warten darauf, dass der Herr etwas tut.« Und wenn wir das nur in einem Winkel tun – das schafft mehr als alles »Gepredige « in der Welt. Man ehrt damit den Herrn auch viel mehr. Und darin dürfen wir fest sein. Denn wir stehen ganz auf dem Boden der Schrift und haben das »Schwert«22, das zu allen Zeiten durchgedrungen ist und alleKnoten zerhauen hat. Denn nie hat ein Mann etwas ausgerichtet in Sachen des Reiches Gottes ohne Aufblick zu Gott. Es ist nicht eine einzige menschliche Tat – auch in der Geschichte des Alten Testaments – da ein Mensch von sich aus etwas Großes geschafft hätte. »Ich will es tun!« sagt der Herr. Und Gott Lob, er wird es tun. Er wird noch durch alles hindurch Freude schaffen, indem er die Bitten seiner Knechte nicht zuschanden werden lässt. Gelobt sei sein Name!
Glaubt ihr, dass ich euch das tun kann?
Mt 9, 28.
Das war mein Hochzeitstext – den hat der Papa gewählt – wo es heißt: »Was wollt ihr, dass ich euch tun soll?« und die Antwort: »Herr, dass ich sehend werde.« Und dann heißt es: »Glaubt ihr, dass ich euch solches tun kann?« An den Text habe ich oft denken müssen. Ja, wir glauben, dass der Herr Blinde sehend machen kann, – uns, wo wir blind sind, und andere, wo sie blind sind, und alle Welt, wo sie blind ist. Das glauben wir und halten es fest, auch bezüglich der äußeren Übel. In jenem Artikel der Kirchenzeitung heißt es auch ironisch: »Blumhardt sah im gläubigen Gebet ein nahezu unfehlbares Mittel auch gegen äußere Mängel.« Nun, da hat der Verfasser recht. Ja, das glauben wir, dass auch die äußerlichsten Sachen können durch das Gebet verbessert werden, – dass wenn es nötig ist, und es schon regnet und hagelt, es aufhört, wenn man bittet, dass es nicht geschehe. So ist es mit dem Glauben: da kann alles möglich sein. Und es ist buchstäblich zu nehmen, wenn der Heiland sagt; »So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berg: ›Heb dich dorthin!‹, so wird er sich heben23; oder zu diesem
Maulbeerbaum: ›Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!‹, und er würde euch gehorsam sein.«8 Wenn es nötig ist, kann das geschehen, dass ein Baum oder ein Berg versetzt wird. – Das ist noch nicht einmal das Größte. Das ist nur etwas Äußeres. Es werden aber noch einmal viel größere Sachen geschehen! Wer einen Begriff davon hat, dass die Welt ein Gebilde aus Gottes Hand ist, der darf alles glauben. Und wenn die Erde noch dem Himmel gleichwerden soll, da muss viel geschehen. – Da muss der liebe Gott noch alles wunderbar verändern, dass auch die wilden Tiere noch zahm werden.9
»Glaubt ihr, dass ich solches tun werde?« – Ja, Gott sei Dank, dass wir einen Heiland haben, der es herrlich hinausführt. Und dass er es bald tut, darum bitten wir Tag und Nacht.
17 Morgenandacht, 24. April 1880.
18 Lutherbibel 1872.
19 »So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!« 2. Ko 5, 20.
20 Die Anziehung.
21 »Evangelisch-lutherische Kirchenzeitung« vom 12. März 1880.
22 »Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.« Heb 4, 12.
23 Mt 17, 20.
Der Herr lasse viel Freundlichkeit auf uns herunterkommen am heutigen Tag und schenke uns Freudigkeit – eine Lebensfreudigkeit in allerlei Elend und Armut, in die wir gestellt sind. Wir sind ja aber doch reich, weil der liebe Gott sich uns zur Seite stellt als der Gebende, und der Heiland sich nahe zeigt und willens ist, sich noch viel näher zu zeigen, bis wir ihn ganz haben.
Denn was bin ich? Was ist mein Volk, dass wir freiwillig so viel zu geben vermochten? Von dir ist alles gekommen, und von deiner Hand haben wir dir’s gegeben.
1 Ch 29, 14.
Da ist vom Tempelbau die Rede, wie David so gern etwas beitragen wollte, dass dem Herrn ein Haus gebaut werde. Wir können das jetzt zum Heiland richten, zu dem erhöhten Heiland, denn alles, was im Himmel und auf Erden ist, das ist sein. Seine Herrlichkeit aber wird er allermeist darin kundtun, dass er die Herzen zu sich neigt, wie dort auch das ganze Volk freiwillig war, dem Herrn zum Bau seines Hauses ungemein viel zusammenzubringen. Das ist die höchste »Majestät«, die es zu machen weiß, dass die Herzen sich zu ihm neigen. Ein Gewalthaber, der mit absoluter Macht alles niederschlägt, ist keine Majestät. Aber das ist eine »Majestät«, die die Herzen [be-]zwingt, freiwillig zu sein, wie es der Heiland vermag.
Aber freilich, kein Mensch denkt daran, dass der Heiland vom Himmel her noch eine solche »Majestät« ist. Der Herzen sind es sehr wenige, die freiwillig ihn »Majestät« sein lassen und Ehre, Lob und Dank ihm bringen, wie es ihm gebührt. Ja, von der Christenheit im Ganzen kann man sagen: freiwillig ist sie nicht mehr. Natürlich, ganz wegwerfen tut sie das Christentum nicht, – dazu hat es zu viel moralischen Wert und zu viel über das Heidentum Erhebendes. Aber die »Person« Jesus Christus als »König und Majestät« zu verehren, dazu kommen wenig Herzen. – Man ist ein bisschen losgeschält von seiner »Person«, obwohl man ein guter Christ ist. Das ist eigentlich der Jammer unserer Zeit. Darin besteht die Armut, dass man es selber auch so schwer hat, von einem wirklichen Gefühl der »Majestät« von Jesus Christus erfüllt zu sein, dass er der Herr ist, dass er hereingreift zu uns, dass er die »Person« ist, die tatsächlich herrscht und regiert bei uns. Sobald man das nicht wirklich im Bewusstsein hat, ist man immer am Boden. Jede Zeit- und Lebensveränderung macht uns dann fast kaputt. Da hängt man sich an Stützen, die man festhalten möchte. Und wenn es mit denen aufhört, ist man zerbrochen. Aber das sollte nicht sein! Die »Person« Jesus Christus soll als »Majestät« unser Herz erfüllen. Dann kann auf Erden geschehen, was will – es geht immer alles gleich fort.
Das beziehe ich auch auf unser Haus. Es soll nicht so sein, dass wir jetzt eigentlich am Boden liegen. Glaubt mir: Das tut der »Majestät« Jesus Christus im Himmel weh. Und ich habe es ein paarmal in der letzten Zeit empfunden. Wir würfen nicht [so] tun, wie wenn der Heiland für uns tot wäre, so schwach und arm und gering wir uns auch vorkommen. Der erhöhte Jesus Christus lebt und lebt für uns wie für die Väter. Und wir werden es noch erfahren: Je mächtiger und mutiger wir im Gefühl der »Majestät« Jesus Christus stehen, desto mehr geht es mit uns vorwärts! Und am heutigen Tage möchte ich alle bitten: Schwingt euch in dieses Siegesgefühl hinein, das auch die Traurigkeit nicht Herr werden lässt. Wir müssen höher stehen! Wir müssen in Wahrheit Siegesleute bleiben, weil wir etwas erfahren haben von der »Majestät« Jesus Christus, dass er es ist, der lebt, und mit ihm die Getreuen hüben und drüben. Er ist bei uns, und um ihn her eine Wolke von lauter Getreuen27. Die sind uns nicht gestorben, auch wenn sie gestorben sind. Der Papa28 ist uns nicht gestorben! Ganz felsenfest ist es von der ersten Minute an jubelnd in mir gewesen: Jesus Christus ist der Herr! Er lebt und um ihn her die Seinen. Und die Sache des Herrn muss siegreich fortgeführt werden! Und wenn es nur ein Würmle29 wäre, das so hinstände, so gälte alle Welt gegen dieses eine Würmle nichts.
So steht es. Und so wollen wir heute den Heiland ehren. Und wenn wir als eine kleine und doch große Schar die »Majestät«
Jesus Christus in uns spüren, so werden wir auch noch erfahren, wie durch die ganze Welt hin ein Eindruck davon werden wird. Denn die »Majestät« Jesus Christus muss noch überall anerkannt werden. Ja, dass wir es nur recht merkten und Mut behielten, dass wir im Voraus die ihn Ehrenden sind. Das lassen wir uns nicht nehmen.
Jesus führte sie aber hinaus nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.
Lk 24, 50 - 51.
Welch erschütternder Eindruck muss das für die Leute gewesen sein! Mit welchem Siegeseindruck werden die, die das gesehen haben, hingegangen sein! Da hat man können aus einer »Majestät« heraus reden, wie da auf einmal, wie der Herr noch segnet, die Allmacht Gottes sich erzeigt über diesem Herrn und es hinauf(!), hinauf(!) mit ihm geht und doch mit dem Eindruck: Er bleibt da, und wir haben ihn! Das ist das Große bei der Himmelfahrt, dass er dableibt, obwohl er hinaufgeht! Freuen wir uns! Der Herr wird noch Großes tun, dass wir uns noch wundern werden, wie herrlich und barmherzig er ist!
24 Lk 17, 6.
25 »Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Junge wird sie leiten.« Jes 11, 6.
26 Morgenandacht, 6. April 1880, Fest der Himmelfahrt von Christus.
27 Heb 12, 1.
28 Johann Christoph Blumhardt, der Vater.
29 Würmle: kleine, unbeachtete Kreatur.
Gott sei Dank, der uns zusammen erhalten hat, eine große Schar, die im Haus versteckt ist und die, wenn sie zusammenkommt, Erstaunen erregt. Denn wer ist es, der uns zusammengeführt hat? Und wer ist es, der uns erhält? Wir wissen es selber nicht – und wissen es doch, wie es zugeht. Der Herr ist wunderbar! Und im Kreis der Kinder vom Großpapa31, der keine Lücke hat und in welchen alle eingefügt sind und keines sich herausfügen lässt, möchten wir bleiben bis auf einen Tag, den wir bald erwarten. So stehen wir heute. Und unsere Geburtstage – und also auch meiner –, die in diesem Jahr ganz außerhalb des Mittuns von Papa gekommen sind, sollen uns Gedenktage seiner Hoffnungen sein und Aufforderungen zu warten, wie er gewartet hat. Wir sind jetzt eine stattliche Schar – »Jakobskinder«! – Und in eines jeden Herz ist es tief eingegraben. Und keine Welt und kein Teufel, nichts Hohes und Tiefes, nicht Leben und Tod32 , wird uns trennen von unserem Erbe, das wir von unserem lieben Vater haben. Ob wir auch zu Zeiten stillgemacht werden, so ist es umso lauter in unseren Herzen. Und die Trommelschläge und Posaunentöne33 des Kommenden werden uns fast schon hörbar. – So lebendig hat es der liebe Gott durch seinen Knecht, unseren Vater, in unserem Haus werden lassen. Deswegen sind wir fröhlich und machen fort. Und dass unser Fortmachen kein Totes ist, sondern in einem – wahrlich nicht von uns stammenden – Leben beruht, das dürfen auch die Freunde erfahren, die bei uns sind. Möchten alle, die mit unserem Haus in Berührung kommen, etwas von dem Leben verspüren, das uns geschenkt ist und das der Heiland noch zuführen möchte allem, was seufzt! Denn wir haben nichts für uns – wir müssen auf alles verzichten; uns darf nichts ankleben und träge machen – was wir haben, ist für alle. Und wir haben nur schon ein bissle voraus, was allen gehört, und müssen beschämt sein über das, was wir voraushaben. Über dem wollen wir auch Schweres vergessen und so manches, was noch drückend auf uns liegt. Es sei aus unseren Herzen weggenommen! Wir wollen fröhlich sein vor dem Herrn in dem, was er uns geschenkt hat!
Ich sah, und siehe, das Haus war erfüllt von der Herrlichkeit des Herrn, und ich fiel auf mein Angesicht.
Hes 44, 4.
Wenn uns das wird, dann ist es recht! – nämlich des Herrn Haus auf Erden. Das ist sein Tempel, der wohl im Himmel ist, der aber herunterragt auf die Erde und mit dem die ganze Erde ausgebaut werden soll. Der Prophet schaut, wie dies Haus der »Herrlichkeit des Herrn« voll werden soll. – Und da natürlich fällt man nieder und wird stumm.
Ja, soll es denn noch werden, dass wir alle hienieden34, die wir treu geglaubt haben, in dieser anbetungsvollen Weise, befriedigt über dem Gekommenen, auf unser Angesicht fallen dürfen? Wir seufzen danach, denn uns erfüllt das Weh der Welt, – auch das Weh des Hauses des Herrn. Da sind Verderbnisse eingerissen, die unendlich weit sich verbreiten und einen Schaden aufbringen, der Millionen Seelen schmachtend lässt. Und dieses Weh geht uns zu Herzen. Wir wissen auch keine Freude, nichts auf Erden, das unser Herz begehrte, als dass wir dieses Weh einmal gestillt sehen dürfen. Wir in Boll wissen keine andere Hilfe als die »Herrlichkeit des Herrn«. Es kostet Kampf in unserer Zeit, das zu sagen. Und weil wir es sagen, werden wir vorderhand »Schwärmer« genannt. Aber wir wissen keine andere Hilfe. Und das schreien wir in die Welt hinaus und wollen es bis zum letzten Atemzug – wahrlich nicht aus Eigensinn, sondern weil wir es wissen, dass nichts anderes hilft. Mögen die Menschen ausdenken, was sie wollen! Mögen sie Einrichtungen treffen, welche sie wollen! – Es ist alles umsonst! Nur die »Herrlichkeit des Herrn« kann etwas machen und hat von jeher im Reich Gottes alles ausgerichtet. Es ist nie etwas im Reich Gottes geworden, ohne dass man sagen könnte: Die »Herrlichkeit des Herrn« hat es getan. Es sind keine Entwicklungen, keine menschlichen Einrichtungen, die im Reich Gottes etwas zustande gebracht haben, sondern Taten Gottes, »Herrlichkeiten« vom Himmel herunter, – die machen es. Und auf die warten wir. Und wie sie bisher von Zeit zu Zeit aufleuchteten und wie in einzelnen gläubigen Herzen »Herrlichkeit« aufkeimt und die Leute felsenfest in das Reich des Herrn Jesus stellt, so wird einmal durch die ganze Welt hin eine Flut der »Herrlichkeit des Herrn« gehen und alles überfluten. Wir werden wie anbetend niederfallen, wenn so der Triumph unseres gekreuzigten Heilandes Jesus Christus auf Erden gefeiert wird!
Ja, Ihr Lieben, glaubt uns! – Ich sage: glaubt es uns! – Es ist nicht außerhalb der Schrift. Es ist der Kern und Stern der Schrift35, den wir so predigen. Es ist nichts Gesuchtes, sondern alles andere ist gesucht gegen diesen Punkt36. – So lauteres Schriftwort ist das, dass nur die »Herrlichkeit des Herrn« etwas ausrichtet zum Himmel hin und dass diese Herrlichkeit die Verheißung hat, dass sie soll die ganze Welt erfüllen. Glaubt es! – Der Herr hat dies Wort gegeben, und er wird mit seiner Macht und Gnade hinterher sein, dass, wenn wir auch nicht viel umherlaufen können und es verkündigen, es dennoch wird! Gott sei Lob und Dank!
30 Morgenandacht, 1. Juni 1880, Geburtstag Christoph Blumhardts.
31 Johann Christoph Blumhardt, der Vater [16.7.1805 – 25.2.1880]
32 Rö 8, 38 -39.
33 1 Th 4, 16; Off 10, 7.
34 veraltet: auf dieser Erde, im Diesseits.
35 Die Bibel: AT und NT.
36 Blumhardt verwendet den Ausdruck »der Punkt, das »Pünktle«, sehr oft. Siehe dazu Mohr: Bekenntnis, S. 279 ff. Der »springende Punkt« ist eine geläufige Formulierung. Aristoteles formuliert in der Historica animalum, dass sich im Weißen des Eies das Herz des werdenden Vogels anzeigt. Goethe spricht gern vom »Lebenspunkt« oder »Quellpunkt«.
Also heute ist der Geburtstag unserer lieben Großmama38 – sie wird 64 Jahre alt. – Und wie froh sind wir, dass wir den Geburtstag feiern dürfen, während die liebe Großmama dasitzt. Dass man auch Geburtstage hat, da die, die man feiern möchte, nicht mehr da sind, das fällt uns heute besonders ein, da der heutige Tag früher nie für sich gefeiert wurde, sondern immer zusammen mit dem 16. Juli, da der liebe Großpapa geboren ist. Der ist nun im Himmel; und wir sind hier zurück. Aber gottlob, die Vereinigung zwischen den Himmlischen und denen, die nach dem Himmel streben, sind nicht unmöglich. Wir haben einen Heiland, in dem wir vereinigt sind, die Dahingegangenen und wir. Heute strömt es förmlich auf uns her. Ich denke an eine ganze Schar von Möttlingen 25 her. Denn wo der Großpapa ist, ist eine große Schar Kämpfer, die seit dem Jahr 184339 hinübergegangen sind. Aber im Heiland sind die Dahingegangenen und die Zurückgebliebenen vereinigt. Und so ist es keine eigentliche Scheidung. Für unser irdisches Gefühl bleibt immer ein großes Weh, aber man kommt doch über das hinüber, sobald der Herr Jesus einem nahetritt. Es ist auch, wie wenn ein solches Zusammenkommen täglich stattfinde – derer die im Himmel sind und derer die noch auf Erden kämpfen –, dem Geist nach hat man sich doch. Und wir dürfen auch all unser Bemühen darauf richten, dass uns das werde, als das Einzige und Größte, das wir mit aller Macht festhalten. Ja, beim Heiland haben wir uns alle. Beim Heiland treffen wir wieder zusammen, auch heute schon: Kämpfer hüben, Kämpfer drüben, und Jesus Christus voraus, der »Siegesheld«40! Und wir wollen uns des Schmerzes entschlagen41. Wir wollen nicht rückwärts seufzen. – Vorwärts wollen wir seufzen. Auf´s Kommende wollen wir bitten und wegen des vergangenen Weh´s nicht seufzen. Vorwärts! Vorwärts(!) geht unser Sehnen, damit wir auch bald sichtbar vereinigt werden können beim Heiland und die große Schar42 mitsehen dürfen, die vereinigt sind durch sein Blut. Es kommt die Zeit! Dessen würfen wir gewiss sein. Und ich lasse es heute bei dem: Wir treffen uns täglich beim Heiland mit allen, auch mit denen, die schon himmlisch geworden sind. Und das ist unsere Freude! Es muss so werden, dass nicht nur alles hinübergeht, sondern es muss auch alles herüber zu uns. – Wir wollen hinstehen, dass der Himmel zu uns kommt. Und wir sind alle von dem Eindruck beseelt: es ist ein ganz Besonderes, das der liebe Gott getan hat, dass wir die Mama behalten haben. Es ist doch auch wichtig, dass Leute auf der Welt sind, die aus der alten Zeit stammen, – nicht lauter so junges Volk wie wir. Wie nahe steht einem doch Möttlingen auch heute. Durch den Schwarzwald glänzt bis heute noch etwas Festes. – Wo der Heiland einmal hingeguckt hat, da bleibt es hell! Das ist unsere Hoffnung, wenn es jemand wissen will! Die Leute wundern sich immer, warum wir so fest hoffen und nicht vom »Bald« lassen. Aber was wir empfangen haben durch Heilandsblicke43, das lässt einen nimmermehr vom Glauben [ab-] kommen. Es ist eine reine Unmöglichkeit, dass wir das Hoffen oder Glauben aufgeben oder die Zuversicht auf eine baldige Entwicklung der Freundlichkeit Gottes, weil man immer den Eindruck hat: Das Göttliche, das man empfängt, ist nicht für dich allein, es ist für alle. Göttliches macht nie egoistisch, es macht immer weltgroß. Ich kann es nicht einsperren und sagen: »Ich habe es, gottlob!« – das ist rein unmöglich. Mit Abraham hat es schon für alle Welt angefangen. Alle Propheten haben sich mit der ganzen Welt beschäftigt, nie mit dem Volk allein. Deswegen ist auch der Papa so groß gewesen; und wenn er Barmherzigkeit erfahren hat, konnte er nicht sagen: »Ich hoffe für mich Barmherzigkeit.«, sondern er hat sagen müssen: »Ich hoffe für alle Welt Barmherzigkeit.« Das ist das stille Merkmal des Göttlichen: es wird gleich weltgroß. Und dem können wir nacheifern, – dann kriegen wir auch etwas für die Welt.
Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.
Ps 103,14.
Ja, dass wir ein schwaches Gemächte44 sind und Staub45, das ist der erste Eindruck, den wir heute haben. Was wir hienieden sind, ist ein schwaches »Gebäu«46. Und es kann nicht eine Stütze gedachtwerden, die wir auf diesem schwachen »Gebäu« aufrichten möchten. Wir müssen es lassen und haben das erfahren, dass wir auf ein irdisches »Gebäu«, auf das menschliche »Gemächte«, keine Stütze stellen sollen, weil es irdisch ist und darum Staub. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben und die wir uns gefallen lassen, weil wir doch hinter diesem schwachen »Gemächte« – wenn wir des Heilandes47 sind – etwas Starkes sehen, etwas Gewaltiges, etwas, das stärker ist als die ganze Welt. Weswegen man auch wieder an einen Menschen hin darf, um von ihm zu lernen und an ihm den Glauben aufzurichten und an ihm etwas zu haben, wie wir es am Großpapa gehabt haben und an der Großmama.
Was ist denn hinter dem »Gemächte« und hinter dem Staub? – Was meint ihr? Da steht es: das Gedenken des Herrn! Er hat seine Leute, deren er gedenkt. Wenn er uns kennt als schwaches »Gemächte«, dann wird es inwendig stark. Dann wird das, was Staub ist, Hülle eines Festen und Gewaltigen; denn der Herr selbst ist da! Jesus Christus ist da! – Lass den Staub fallen! – der bleibt! Was der liebe Gott von sich hineinlegen kann in ein schwaches »Gemächte«, das ist unbeschreiblich wunderbar. So sind wir schwach und doch stark, Staub und doch Felsen. Und das will auch dieser Psalm sagen. Eben vorher hat es geheißen: »Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.« Hinter dem »Gemächte« ist etwas Starkes, – das, dass der liebe Gott uns kennt und daran denkt, dass wir Staub sind, das legt eine Lebenskraft in uns hinein, dass der Staub nur noch Schale wird von etwas Großem, Himmlischen, das der liebe Gott hineinlegt in die Seinen. Lass den Staub fallen, das »Gemächte« brechen! – Was der liebe Gott geschaffen hat, bleibt fest und zwar so fest, dass es nicht einmal mehr ein Sterben gibt, sondern nur ein Heimgehen. Man muss aber auch ein bissle daran glauben! Das Gefühl der unendlichen Schwachheit will einen oft übermannen – das weiß auch die liebe Großmama –, aber der Geburtstag sagt uns heute allen, dass wir an etwas Mächtiges glauben dürfen, das in unsere Schwachheit eingehüllt ist und das von dem Herrn kommt.
Ich möchte das heute anwenden auf unser ganzes Haus. Unser ganzes Wesen hier ist ja etwas ungemein Schwaches. Und es ist ganz besonders ein hinfälliges »Gemächte« geworden vor Augen mit dem, dass der Großpapa aus unserer Mitte geschieden ist. Da fehlt es hier und fehlt dort. Da hapert’s hier und hapert’s dort. Und die Frage: »Wie wird es weitergehen?« steht täglich vor unserem Sinn. Der Eindruck, dass wir, die wir hier zusammen sind, ein schwaches »Gemächte« sind und Staub, der ist vielen schon geworden. Aber merkwürdig! – Hinter dem »schwachen Zeug « steckt doch etwas. Es fällt nicht auseinander. Die Balken heben noch48 ineinander. Es hat noch Klammern, die das Auseinandergehende zusammenhalten. Und wenn man daran rütteln will, da merkt mancher: Hinter dem »Gemächte« da steckt etwas, das alles wieder zusammenhält. Und das dürfen wir heute auch glauben. Ja, jede menschliche Gemeinschaft, die den Herrn Jesus zu ihrem Mittelpunkt macht, und so auch wir – wir wollen fest darauf bauen und nicht gleich in allerlei Sachen, die uns Mühe machen, so viel Lebtag machen .49 Das ist nur das Äußere, das als ein Gemächte erscheinen muss und als Staub, damit das, was dahintersteckt, seine verborgene Kraft offenbaren kann. Es sieht alles so unvollkommen aus, und doch kommt man fort.
Nun, das sind so Gedanken, die heute uns bewegen. Wir fühlen uns heute wohl als ein zerbrechendes, fast zerbrochenes »Gebäu«, das Risse bekommen hat – tief hinein. Es sieht aus, als könne es nur kurze Zeit währen, so breche es vollends zusammen. Aber glaubt es: wenn es zerbricht, so steht ein Neues da, das heute schon existiert! »Der Herr gedenkt an uns.« Und mit seinem Gedenken wächst etwas, dass, wenn das Irdische vollends wegfällt, so steht das Himmlische da, über das wir uns freuen werden und mit uns die ganze Welt. Denn wenn der Heiland an einem Ort etwas wachsen lässt, so bekommen es alle. So freuen wir uns, als die Schwachen und doch stark14, als die Betrübten und doch fröhlich15! Ja, gelobt sei sein Name, der heute uns also reden macht!
37 Morgenandacht, 13. Juli 1880.
38 Doris (Johanna Dorothea Blumhardt, geborene Köllner [1816 -1886], Frau von Johann Christoph Blumhardt, siehe Briefe 7, S. 73 – 74.
39 1843: Das Jahr der Heilung von Gottliebin Dittus und der sich anschließenden Erweckung in Möttlingen.
40 Siehe Predigt Nr. 1.
41 entschlagen (veraltet, gespreizt) sich einer Sache entschlagen: auf etwas verzichten.
42 Off 7, 9.
43 Mt 5, 1.
44 Lutherbibel 1872.
45 1 Mo 3, 19.
46 Gebäude, Gebilde.
47 Genetiv des Besitzes, der Zugehörigkeit: wir gehören dem Heiland.
48 halten noch ineinander.
49 Lärm, Aufhebens machen.
Heute hat das Los53 die Gemeinde Möttlingen. Möttlingen hat für uns einen merkwürdigen Glanz. Da liegen unsere Ideale. Da ist uns ein unbeschreiblich großes Licht aufgegangen, das uns nimmermehr untergeht. Da war etwas von Gott gegeben, mitwirkend, das alle Welt in Erstaunen setzte und so groß war, dass es niemand verstand, weswegen es auch bald unter die Decke54 kam und darunter geblieben ist. – Aber fort ist es nicht! Deswegen dürfen wir fortglauben und forthoffen auf das hin, was der liebe Gott damals uns aufgetan hat, und nicht nur uns, sondern eine Menge Leute haben unterdessen etwas davon verschmeckt55 , dass sie auch mitglauben und mithoffen und auch von den Kräften etwas bekommen, die wir gern in Ansprung56 nehmen für die leidenden und betrübten Menschen alle. Denn darauf kommt es hauptsächlich an, dass wir erlösende Mitwirkung Gottes haben dürfen im Namen des Jesus Christus für die Gebundenen, die sich uns nähern. Und dass nach und nach dafür ein Verständnis werde und namentlich alle Diener des Wortes57mitglauben und mitbeten können in ihren Gemeinden und es miterkämpfen können, dass die Bande der Finsternis sich lösen mögen von den Menschen. Darauf kommt es an. Und wenn es einmal allgemeiner geworden ist, so wird man es erst merken, wieviel Gnade und Freundlichkeit von oben bereit ist. Das wäre Möttlingen, der Kampf- und Siegesplatz.
Deine Tore sollen stets offenstehen und weder Tag noch Nacht zugeschlossen werden.
Jes 60,11.
Das ist von Zion gesagt, wenn das Licht anfängt: »Mache dich auf und werde Licht! Zion, auf! Es kommt dein Licht! Und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!«58 Da wird dann geschildert, wie die Leute herkommen und ihre Reichtümer hereinbringen und sich mit den Zionsleuten59 vergnügen. Ganze Völker müssen da her, wenn sie das Licht aufgehen sehen. Und da darf das Tor nicht verschlossen sein Tag und Nacht. – Das heißt: die Zionsleute müssen bereit sein Tag und Nacht, jedermann aufzunehmen. Die Ansammlungen um den Herrn Jesus und um seine Stellvertreter auf Erden60, die dürfen kein Hindernis mehr erfahren, wenn die große Zeit61 hereinbricht, die wir erwarten.
Wir Möttlinger und Boller haben ein klein wenig davon gesehen, in Möttlingen im Jahr [18]43 und 44. Und ein klein bissle davon geht es bis auf den heutigen Tag noch fort, nur unter der Decke62. In Möttlingen dagegen war es ungeheuer ins Auge fallend, wie der liebe Gott Ansammlungen machen kann um Zionskräfte. – Damals waren es Tausende, auf die es mit Wohltaten förmlich hagelte. Das hat vielen zwar großen Ärger gegeben, die nicht leiden konnten, dass Kranke aller Art, sieche63 Leute, Lahme usw. zu unserem Vater kamen. Den Leuten allen wurde verboten, das Pfarrhaus zu betreten. Und es standen Wächter um das Haus, die niemand hereinlassen durften. Der Papa hat dann gesagt, sie sollen nur in die Kirche gehen und glauben, dass der Heiland ihnen da helfe, und sie würden gesund werden64. Und ich sage nicht zu viel: Hunderte sind gesund geworden, ohne den Papa gesehen zu haben. Einmal kam eine Frau aus Karlsruhe mit ihrem Arzt, die lag auf ihrem Bett wie ganz gelähmt; – auf einmal nach der Predigt konnte sie aufstehen und herumgehen. Das sind so ein bissle Zion-Zeiten gewesen. Und viel stille Zeichen geschahen auch noch, dass die Leute nicht hungrig und nicht müde wurden, wenn sie auch zehn, zwanzig Stunden weit herkamen. Als ich Vikar im Badischen65 war, haben die Leute noch davon erzählt, wie sie da – zwanzig Stunden weit – gekommen sind. Sie sind in der Nacht von ihrem Ort aufgebrochen und bis zur Kirchzeit gefahren. Und abends fuhren sie wieder von Möttlingen fort und waren voller Vergnügen. Ja, der Heiland kann eben etwas, wenn er sich daran macht, und kann es namentlich für die Elenden und Armen. Und wir dürfen darauf bauen, dass er die Tore aufmachen kann an Zion.
Schlimm ist nur, wenn es beim Sehnen der Leute bleiben muss und das Verlangen der Elenden nicht gestillt werden kann, weil die Tore verschlossen sind. Es gibt nämlich viele Tore an Zion. Aber wenn sie einmal alle aufgemacht sind, wenn alle Hindernisse vom Heiland weggeräumt sind und die Heilandskräfte an Sünde, Tod und Hölle hindürfen, dann ist die Vollendungszeit angebrochen. Das wird das eigentliche Zeichen der letzten Zeit sein, dass kein Mensch, kein Volk ist, an das der Heiland nicht hinkann. Wenn alle Hindernisse, alle Gebundenheiten des Herzens und Geistes weggeräumt sind, dann ist die letzte Zeit da, dann wird bald die ganze Erde krachen. Wir können heute schon etwas davon sehen. – Wer aufmerksam ist, merkt, dass alle Jahre ein Türle weiter aufgeht.
Man hatte freilich nicht gedacht, dass so viele Türen noch verschlossen seien! Wir Boller haben vor Jahren gemeint, es gehe viel schneller. Wir haben gedacht, dass die Tore nach kurzen Jahren aufgehen würden. Allein, die Riegel sind oft ein bissle hart. Und wir müssen mit Geduld und Glauben warten, bis ein Tor ums andere aufgeht. Und wenn es noch ein paar Jährle dauert – das macht uns nichts. Der Papa hat gemeint, er erlebe es noch. Man hat es ihm übelgenommen. Er ist aber gut gefahren dabei. Und wir dürfen das «Bald« nicht fahren lassen. Ein Tor um’s andere66 muss aufgehen. Eine Gebundenheit um die andere muss weg. Beten wir nur darum! Wenn wir beten, kommt es jedenfalls bald. Denn wer soll Herr auf der Erde sein? Materialisten, Spiritisten, Nihilisten, Sozialdemokraten – die sind die Herren noch lange nicht! Der Herr ist Meister. Und wenn wir den Herrn Jesus als den Meister recht annehmen und glauben, dass er es sei, und mit kindlichem Sinn hinweisen auf alle Gebundenen und sagen: »Sieh, lieber Heiland, da herrscht Tod und dort herrscht Tod. Und da ist ein Gebundenes und dort ist ein Gebundenes!» – Wenn wir da ganz kindlich auf ihn bauen und auf seine Siegeskräfte, so wird alle Tage ein Türle aufgehen. Und auch die großen, schweren Höllenpforten67 müssen aufgehen. Und alles muss weg, was die Finsternis aufgebaut hat, dass nicht ein einziges Fleckle68 auf der ganzen Schöpfung ist, da der Heiland nicht hinkann! Wenn es einmal so weit ist, dann freut euch!
Und als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt.
Apg 4, 31.
Es wird nichts im Reich Gottes ohne den Heiligen Geist. Das ist ein Grundsatz, den man sich merken muss. Die Apostel selber, trotz all ihres Wissens von den Taten des Herrn, hätten gar nichts ausgerichtet auf der Erde, wenn nicht der Heilige Geist, der Pfingstgeist, dazugekommen wäre, mit einer besonderen »Offenbarungstat im Fleisch«. – Das ist mein neuer Ausdruck, um es deutlich zu machen. Ich sage: Sowohl Gott der Vater, als der Sohn und der Heilige Geist ist »Fleisch« geworden. Gott der Vater wird im Alten Testament »Fleisch«, indem er mit Abraham als Mensch verkehrt69. Der Sohn ist »Fleisch« geworden, indem er eben in die Welt kam. Und der Heilige Geist wird »Fleisch«, indem er im Menschen wohnt, so dass wir lauter »Gottespersonen« werden. Ohne das wird nichts im Reich Gottes. – Erst wenn dies Letzte erkämpft war durch den Herrn Jesus, als er erhöht wurde von der Erde70, begann eine Wirksamkeit für das Reich Gottes. Aller Heilige Geist, der vorher da war, konnte nichts ausrichten. Der Heilige Geist war nämlich vorher auch schon da, im Alten Testament. Aber der Heilige Geist, der an Pfingsten kam, ist etwas ganz Neues. Mit diesem Kommen des Geistes sollte alles anders werden in der Menschheit. Und aufgrund dieser Erfahrung kann nun die christliche Gemeinde alles erwarten. Denn es ist eigentlich nichts anderes als Gott in uns. Diesem Heiligen Geist gegenüber gibt es absolut kein Hindernis – Raum, Zeit, Tod – alles hört auf. Dem Sinn nach ist er da mit Pfingsten. Und man darf deswegen die christliche Gemeinde so fest fundiert nehmen, dass niemals etwas Irdisches sie zugrunde richten kann, weil eben einmal der Heilige Geist auf die Erde gekommen ist. Und so wenig der Herr Jesus sich wieder von uns trennen lässt, so wenig lässt sich der Heilige Geist wieder von uns trennen.
Aber, Christenheit, er ist Gott! – Das merke dir! Wenn wir 35 törichte Leute sind und in alle möglichen Sünden hereinlaufen, meint ihr, dann bleibe der Heiland so bei uns, wie wenn wir brave Leute sind? Soll das Wort »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende«71 seine Geltung behalten, so müssen wir auch die Leute danach sein. Die Christenheit darf nicht auf Pfingsten pochen und sagen: »Oh, wir haben alles!« – Ja, wer bist du? Der Heilige Geist geht eben fort, wenn alles in Sünden dahingeht, – zwar nicht so, dass er die Christenheit aufgäbe, aber doch so, dass er nicht persönlich in ihnen wohnt. Und deswegen behauptet man in Bad Boll, der Heilige Geist sei nicht mehr da, und wir müssten um ihn beten.
Das ist das Pünktle , um das wir uns jahraus, jahrein verstreiten müssen, weil kein Mensch an den Heiligen Geist glaubt. Denn glaubte man wirklich an ihn, so könnte man es verstehen, dass diese Person sich nicht mit jedem lumpigen Christen verknüpfen kann! Wenn unsere christlichen Städte so im Leichtsinn dahingehen, da kann es wohl vorkommen, dass der Heilige Geist sich entfernt und wartet: »Wollen sie mich denn nimmer?« Auch der Heiland kann so auf uns herabsehen: »Ja, wollen sie mich denn nimmer?« So ist es mit dem Heiligen Geist; er kann sagen: »Habe ich denn die Apostel der ersten Kirche ganz umsonst so ausgerüstet, dass kein Mensch mich jetzt mehr will und jeder zufrieden ist mit der Erbärmlichkeit?«72 Man muss sich besinnen, ob man bitten soll: »O, heiliger Geist, kehr´ bei uns ein und lass uns deine Wohnung sein!«73 Man singt es wohl, aber man sollte es besser verstehen, dass er Geist aus Gott ist, der sich mit uns Menschen verbinden will, und dass dann alles möglich ist im Reich Gottes.
Oh, dass wir es bald erleben dürften. Und wir alle möchten es erleben dürfen. Denn dann wird alles wieder gut werden. Dann werden die zerstörenden Kräfte der Finsternis nicht mehr so viel Macht haben. Ja, endlich werden alle [zerstörenden Kräfte] an der ganzen Menschheit überwunden werden. So harren23 wir des Herrn!
50 2 Ko 12, 10.
51 2 Ko 6, 9 – 10.
52 Morgenandacht, 9. August 1880.
53 Es wurden Bibelworte ausgelost und zugeordnet.
54 2 Mo 34, 33.
55 an etwas Freude, Geschmack finden.
56 möglicherweise Hörfehler: Anspruch.
57 Pfarrer.
58 Jes 60, 1.
59 Einwohner von Zion.
60 Siehe dazu auch Kap. 20.4.4 Die Vertreter Gottes in Mohr: Macht, S. 263 ff.
61 Siehe dazu auch Kap. 20.4.1. Das Neue und die neue Zeit in Mohr: Macht, S. 255 ff.
62 Siehe Anm. 3
63 an einer schweren, langwierigen Krankheit leidend, hinfällig und gebrechlich.
64 Siehe dazu: Ising, Dieter: »Kampf « und Erweckung, S. 18ff, und Heilungen, S. 32ff. Einführung in Möttlingen Briefe 4.
65 1866 Vikar in Spöck, Dezember 1866 in Gernsbach.
66 nacheinander.
67 Mt 16, 18.
68 kleines Dörfchen.
69 1 Mo 18, 1 ff.
70 Apg 1, 1 ff.
71 Mt 28, 20.
72 Blumhardt, Johann Christoph: »…und unter uns gesagt, ich erwarte noch eine Ausgießung des heil[igen] Geistes. Diese muss kommen, wenn es mit unserer Christenheit anders werden soll. Ich spüre es, so ärmlich darfs nicht fortgehen. Die ersten Gaben und Kräfte, ach! die sollen wieder kommen! Und ich glaube, der liebe Heiland wartet nur darauf, dass wir drum bitten.« Brief an Christian Gottlob Barth, 25.2.1844, Brief Nr. 1185 in Briefe 3, S. 203.
73 EG 130.
Heute ist der letzte Tag des Kirchenjahres. Es ist ein saures gewesen. Und wie wenn es einem noch einmal hätte sagen wollen: »Passt auf und denkt dran!«, haben wir gestern fünf Todesnachrichten bekommen. Das Los aber heißt:
Wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, einen Herrn, der vom Tode errettet.
Ps 68, 21.
Das dürfen wir im Auge behalten, wenn wir in den Tod uns gestellt fühlen. Und am Schluss dieses Jahres können wir uns kaum anderen Gefühlen hingeben. Denn dieses Jahr ist doch gleichsam ausgefüllt vom Sterben – wenigstens für uns und unser Haus – und vom Nicht-mehr-Leben unseres Vaters. Und wenn wir jetzt wieder so eine »Sterberei « um uns haben, so werden wir auf´s Neue daran erinnert, wie herb es bei uns eingefallen ist. Es ist manchmal auch so, dass man sich selbst wie von einem Tod umgeben fühlt, wie von einer Mauer. Und man möchte eine Kraft haben, eine Lücke zu brechen durch diese Mauer hindurch. Es ist, wie wenn etwas am Leben fehlte. Man lebt zwar und strappelt76 auch, gibt sich nicht mir nichts, dir nichts hin, aber ich habe es oft empfunden – besonders in der letzten Zeit –, wie man in etwas hineingestellt ist und es mehr empfindet als früher, das man nicht besser bezeichnen kann wie als Tod. In unserem lieben Vater hat doch ein bisschen ein höheres Leben gelegen, das einem das Krasse der gegenwärtigen Zeit und das Ungöttliche nicht so schlimm hat erscheinen lassen. Es war etwas da, das man Leben nennen konnte. Und auch fremde Leute haben es mir vielfach gesagt, dass sie beim Anhören und schon beim bloßen Anblick dieses Mannes etwas empfunden haben, was sie nie empfunden hatten, nämlich Leben! Nun hat uns dieses Kirchenjahr den Mann fortgeführt. Und jetzt ist es, als wenn man mehr als früher Tod fühlte. Es fällt so vieles vom Tod Kommendes auf einen hinein, plötzliche Übel, schwere Verhältnisse und anderes. Jetzt haben wir uns bis zum letzten Tag hergeschnauft77 . Und jetzt fangen wir von vorne an. Und man könnte Angst haben: wie bringen wir es durch?
Aber je mehr es sich häuft als Tod, desto mehr müssen wir den Herrn, den Rettenden, festhalten. Der Teufel legt alles darauf an, dass man matt werden soll, wie wenn es mit der Erlösung nicht so ernst gemeint wäre. »Das ist so der Welt Lauf« sollen wir denken. – »Ihr könnt es auch nicht anders machen!« heißt es. Und so soll man nach und nach dahin gebracht werden, von den Hoffnungen, die man hat, ein wenig nachzulassen, es nicht mehr zu glauben, dass man sicher einer Erlösung entgegengehe, und zwar einer Erlösung, die dem Tod den Todesstoß gibt auf Erden. Es ist darauf abgesehen, dass man innerlich wankend wird. Und das ist noch ein böserer Tod als der leibliche. Und das sage ich euch: der schleicht gegenwärtig unter uns herum, dass man ihn auf Schritt und Tritt spüren kann. Ganz sachte soll man sich ins gewöhnliche Denken hineinrücken lassen, dass man denkt wie andere Leute auch, nach dem gewöhnlichen Weltlauf sich einzurichten, da Krankheit Krankheit bleibt, Unglück Unglück bleibt, Tod Tod bleibt, und alles so fortgeht. Und man sich darein schickt, wie wenn das sein müsste, und auf nichts weiter hofft. Das ist auch Tod. Und da streicht man eine schöne Farbe darüber und heißt es »christliche Ergebung«. Und man ergibt sich doch nicht, sondern fährt in der ganzen Welt herum, wenn etwas an einen kommt, und sucht Hilfe. Es wäre aber gescheiter, man suchte Hilfe beim lieben Gott. Und es ist mir das ein großes Anliegen am heutigen Tag, dass wir uns darauf vereinen, den lieben Gott als den Helfenden anzurufen: »Hilf du!« und den »Herrn Herrn« als den vom Tod Errettenden herzuziehen, namentlich gerade gegen diesen Tod, gegen das Einschlafen, gegen das Lahmwerden, weil so viel Tod da ist. Dagegen wollen wir kämpfen! Wir müssen die Fahne hochhalten. Und wenn tausend sinken zu unserer Rechten und zehntausend fallen zu unserer Linken78,wollen wir uns doch auf den Lebensboden gestellt denken, der noch eine Hilfe wider alles, was Tod heißt, bringt. Das Sterben muss auch einmal aufhören. Und der Heiland soll einmal zu seinem Ziel kommen, und – bald! Das dürfen wir hoffen und erbitten. Und Gott bewahre uns vor einer »Langweilerei«, in welcher unser Herz lahm wird, zu glauben und zu hoffen und treu zu bleiben! Mag uns Übel widerfahren was will – das darf uns nicht herausrücken aus einem Leben, das wir von oben haben und das uns zu den allergrößten Hoffnungen berechtigt. Ja wir sagen mit besonderem Nachdruck: »Wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, den Herrn, der vom Tod errettet.« – Wir haben ihn. Und noch in keinem Jahr haben wir es so erfahren, weil noch in keinem Jahr uns der Tod so gehauen hat wie in dem. Aber totgeschlagen hat uns der Tod nicht. Und das dürfen wir rühmend doch sagen: Wir haben einen Gott, der hat uns nicht gefehlt. Und umso mehr wollen wir ihn festhalten und auch sagen: Wir werden ihn haben, bis alles geschehen, was er vorhat!
Simeon wartete auf den Trost Israels.
Lk 2, 25.
Früher, so oft man den Namen Simeon