John Sinclair 2030 - Marc Freund - E-Book

John Sinclair 2030 E-Book

Marc Freund

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Beschreibung

Es versprach ein wundervoller Tag zu werden. Soeben brachen die ersten Sonnenstrahlen durch den morgendlichen englischen Frühnebel. Die See war ruhig, spülte seichte Wellen an den Strand, der um diese Zeit noch verlassen dalag und auf den täglichen Ansturm der Badegäste und Touristen wartete.


An der Uferpromenade war das Summen eines Elektromotors zu hören. Toby Thornton, der Milchmann, befand sich mit seinem dreirädrigen Karren auf seiner Tour durch den Ort. Hinter ihm klirrten leise in sorgsam aufeinander gestapelten Trays volle und leere Flaschen. Nichts schien die Idylle des erwachenden Tages trüben zu können.
Doch so ganz stimmte das nicht, denn für Toby Thornton sollte er zur Hölle werden ...

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EPUB

Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Hinter Mildreds Tür

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4904-7

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Hinter Mildreds Tür

von Marc Freund

Es versprach ein wundervoller Tag zu werden. Soeben brachen die ersten Sonnenstrahlen durch den morgendlichen englischen Frühnebel. Die See war ruhig, spülte seichte Wellen an den Strand, der um diese Zeit noch verlassen dalag und auf den täglichen Ansturm der Badegäste und Touristen wartete.

An der Uferpromenade war das Summen eines Elektromotors zu hören. Toby Thornton, der Milchmann, befand sich mit seinem dreirädrigen Karren auf seiner Tour durch den Ort. Hinter ihm klirrten leise in sorgsam aufeinander gestapelten Trays volle und leere Flaschen. Nichts schien die Idylle des erwachenden Tages trüben zu können.

Doch so ganz stimmte das nicht, denn für Toby Thornton sollte er zur Hölle werden …

Noch ahnte der Mann im weißen Kittel und der Schirmmütze, die er sich keck in den Nacken geschoben hatte, jedoch nichts davon. Er bog von der Uferpromenade ab, die Ebscombe Street hinauf. Hier standen einige alte Villen, die sich noch in Privatbesitz befanden, während ringsum scheinbar jeder verfügbare Fleck mit Hotels bebaut worden war. Der Einfluss der nahe gelegenen Stadt Brighton war eben auch hier deutlich spürbar.

Toby lieferte seine Flaschen aus, nahm das Leergut wieder mit, und tat dies alles mit einem Lächeln und einem fröhlichen Lied auf den Lippen. So war es all die Jahre schon gegangen, in denen er diesem Beruf nachging. Er hatte nie etwas anderes sein wollen und falls doch, erinnerte er sich nicht mehr daran.

Bei der Ebscombe Street handelte es sich um eine Allee, die von hohen Pappeln gesäumt wurde, deren Blätter leise im Wind raschelten. Der Elektrokarren schnurrte die Straße hinauf, das letzte Haus, kurz unterhalb des Hügels, gehörte Mildred Beatty. Sie war eine alleinstehende ältere Dame, die nach Tobys Einschätzung nur selten Besuch bekam. Verwandtschaft hatte sie so gut wie keine, bis auf einen Neffen, soweit er wusste.

Hin und wieder hielten sie einen kleinen Plausch, denn die alte Dame war offenbar eine bekennende Frühaufsteherin. Sie sprachen meist über das Wetter, die ankommenden oder abfahrenden Touristen, die im Sommer den Strand und das nahe gelegene Seebad bevölkerten.

Toby Thornton ließ seinen Karren vor der großen alten Strandvilla ausrollen. Um das Gebäude verlief eine kniehohe Mauer aus Felssteinen, die lediglich durch eine grün lackierte eiserne Gartenpforte unterbrochen wurde.

Derselbe Ablauf wie jeden Morgen. Zwei Trays mit jeweils sechs Flaschen Milch rechts neben dem Durchlass abstellen, um den Griff der Pforte mit beiden Händen zu packen und die kleine Tür mit Kraft nach innen zu schieben. Sie hing schon seit mehreren Jahren leicht schief in den Angeln und scharrte über den Fußboden, wo sie sich im Laufe der Zeit eine Kerbe in den Zementuntergrund gescharrt hatte. Dabei gab sie ein quietschendes Geräusch von sich, das für Toby zu den morgendlichen Lauten seines Alltags inzwischen dazugehörte wie das Rauschen der Brandung, das allgegenwärtig im Hintergrund war.

Die Pforte war offen, Toby ging noch einmal hindurch, um die Milchflaschen von der Mauer zu klauben. Er pfiff sein Lied weiter und sang in Gedanken den Text mit. Er war bereits bei der dritten Strophe angelangt, als er die Flaschen vor der ebenfalls grün gestrichenen Haustür abstellte.

Er hatte noch den Kopf gesenkt, als er plötzlich spürte, dass etwas an diesem noch jungen Morgen anders war. Die Tür hatte sich geöffnet.

Sein Blick fiel auf flauschige, blaue Hauspantoffeln, an denen lange, künstliche Federn befestigt waren. Eine davon bewegte sich leicht im Wind. Darüber folgte der fleischige Ansatz ihrer Waden, die scheinbar direkt über den Fußknöcheln begannen. Tobys Blicke wanderten weiter über den Saum eines seidenen Morgenrocks, der in der etwas üppigen Leibesmitte der Frau mit einem Gürtel aus demselben Material zusammengehalten wurde.

Toby richtete sich gänzlich auf und blickte in das Gesicht einer Frau, die beinahe die Siebzig erreicht hatte. Zumindest sah sie schon seit Jahren so aus. Wie alt sie in Wirklichkeit war, mochte wohl nur sie selbst wissen.

»Guten Morgen, Misses Beatty«, sagte Toby freundlich und legte zum Gruß Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand an den Schirm seiner Mütze.

»Hallo, Mister Thornton«, kam es von der Türschwelle zurück.

Die alte Frau hatte eine etwas rauchige Stimme, so als hätte sie in ihrem Leben schon die eine oder andere Flasche echt schottischen Whiskys getrunken.

Vermutlich pur und ohne Eis, dachte Toby, während er die Hände in seine Hüften stemmte.

»Schöner Morgen heute«, sagte er.

Mildred Beatty sah an ihm vorbei, die Straße hinunter und zur Küste hinüber, hinter der gerade die Sonne aufging.

»Im Radio haben sie für heute Nachmittag Regen angesagt«, antwortete sie nachdenklich. »Ich glaube allerdings nicht daran. Diese Brüder lügen, wo sie nur können. Früher, als Herbie noch lebte, war das anders.«

Früher, als ihr Mann Herbie noch lebte, war alles irgendwie anders gewesen. Das war dreißig Jahre her, und die Zeiten hatten sich seitdem in der Tat geändert. Nur in der Ebscombe Street hatte man diesen Eindruck nicht. Dieselben Fassaden, dieselben Gesichter, dieselben Abläufe.

Toby wollte sich bereits abwenden, als er hinter der Frau einen dunklen Schatten wahrnahm, der sich langsam näherte. Er schälte sich aus der Dunkelheit heraus, wuchs zu etwas Bedrohlichem heran. Toby erkannte zwei grünlich leuchtende Punkte, wie Augen, die ihn böse anfunkelten.

Der Milchmann blinzelte irritiert. Er wollte etwas sagen, doch seine Kehle schien plötzlich wie zugeschnürt. Er spürte eine Gefahr, die von dem Schatten ausging. Eine entsetzliche Gefahr, die näher und näher kam, auf die alte Frau zu, die noch immer offenbar keine Ahnung hatte, was sich hinter ihr abspielte.

Toby hörte ein tiefes, grollendes Knurren, das gleichermaßen entsetzlich und … hungrig klang.

Der Schatten bäumte sich hinter Mildred Beatty auf, etwas blitzte aus dem Dunkel heraus, und das Glühen der Augen bekam nun eine eindeutig bedrohliche Wirkung.

»Um Gottes willen, passen Sie auf!«, schrie Toby, als der Schatten in der Finsternis zum Sprung ansetzte.

Der Milchmann wollte nach der alten Frau greifen, doch im selben Moment wusste er, dass es zu spät war. Er würde zu langsam sein.

Toby streckte die Hand nach Mildred Beatty aus, während aus seiner Kehle ein krächzender Schrei drang.

Und plötzlich passierte etwas. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde veränderte sich der Schatten, als er sich über die Türschwelle und hinein ins Licht bewegte.

Ein fetter roter Kater mit struppigem Fell tapste behäbig heran und strich um die Beine der alten Frau.

Mildred Beatty blinzelte den Milchmann an. Den Kater hingegen schien sie gar nicht wahrzunehmen. »Was ist mit Ihnen? Ist Ihnen nicht gut?«

Toby ließ die angestaute Luft aus seinen Lungen entweichen. »Doch, doch«, antwortete erleichtert. »Mir geht es gut. Ich dachte nur für einen Moment …«

»Ja?«, fragte Mildred Beatty, als der Milchmann nicht weitersprach.

Toby schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Vielleicht bin ich nur ein bisschen überspannt, das ist alles. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag, Misses Beatty.«

Damit wandte sich Toby Thornton ab und war plötzlich froh, diesen Schritt getan zu haben. Er wollte weg von hier, und das so schnell wie möglich. Er wusste nicht, was er da vorhin in Wirklichkeit gesehen hatte, er wusste nur, dass da wirklich etwas gewesen war und dass er sich nichts eingebildet hatte.

Er kam genau zwei Schritte weit, als er plötzlich einen heftigen und äußerst schmerzhaften Stich im rechten Oberarm spürte.

Vor Überraschung schrie er auf und wirbelte auf der Stelle herum.

Unmittelbar vor ihm stand Mildred Beatty, mit deren schulterlangem grauen Haar der Wind spielte. In ihrer rechten Hand hielt sie eine lange, spitze Nadel, mit der sie offensichtlich zuvor ihre Frisur festgesteckt hatte.

Im Blick der alten Frau lag etwas Lauerndes.

Toby blickte ungläubig auf seinen rechten Oberarm. Auf dem Ärmel seines weißen Kittels war ein kleiner roter Punkt zu sehen. Der Milchmann starrte darauf, spürte den Schmerz, der von dieser Stelle ausging. Aber da war auch noch etwas anderes. Ein gewisses Taubheitsgefühl ging von diesem Punkt aus. Ein Gefühl, das beinahe angenehm war, weil es den Schmerz vergessen ließ. Nur widerwillig löste Toby Thornton seinen Blick von dieser Stelle und sah die alte Frau vor sich an.

»Was haben Sie gemacht?«

»Es tut mir leid, dass es Sie trifft«, sagte Mildred, »aber ich wusste mir auf die Schnelle keinen anderen Rat. Ich musste etwas tun.«

»Wovon, zum Teufel, reden Sie?«, fragte Toby.

Er starrte die Alte an und sah sie doch nicht. Irgendetwas stimmte mit seinen Augen nicht. Mildred Beatty wirkte auf einmal verschwommen, er konnte sie nicht mehr klar fixieren. Die Umgebung, das Haus, der Garten, alles hatte plötzlich begonnen, sich zu drehen. Zuerst ganz langsam, als wäre er gerade in ein Karussell für Kinder eingestiegen. Dann jedoch wurden diese Bewegungen immer schneller. Er tat einen Schritt nach vorne. Es fühlte sich an, als wäre er in ein tiefes Loch getreten.

Von irgendwoher drang ein furchtbares Geräusch an seine Ohren. Eine entfernte innere Stimme sagte ihm, dass es sich um das Maunzen des Katers gehandelt haben musste, aber für Toby hörte es sich in diesem Augenblick vollkommen anders an. Es war das hungrige Fauchen eines Tigers gewesen, was da an seine Ohren gedrungen war. Noch etwas nahm er wahr: das Pochen und Pulsieren hinter seinen Schläfen. Ihm wurde übel.

Aus dem Karussell war inzwischen eine Achterbahn geworden, die in rasender Geschwindigkeit direkt ins Bodenlose zu rasen schien.

Toby wollte nach Mildred Beatty greifen, doch seine Hände fassten ins Leere. Sein Oberkörper schien plötzlich das Zehnfache zu wiegen.

Toby Thornton taumelte nach vorne und stolperte über die Türschwelle in das dunkle Haus der freundlichen alten Dame.

Zwei Sekunden später fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

***

Der Elektrokarren rollte wieder.

Er fuhr die Straße hinunter und bog in die Grocery Lane ein, die parallel zur Ebscombe Street verlief. Wer um diese noch immer frühe Zeit aus dem Fenster blickte oder zufällig gerade die Tür öffnete, konnte einen Milchmann sehen, wie er seiner Arbeit nachging. Eine Gestalt in einem weißen Kittel, den Kragen hochgeschlagen und die Schirmmütze tief in die Stirn gezogen.

Es war ein alltäglicher Vorgang. Und wenn jemand zufällig aus dem Fenster blickte, dann sah er zumeist nicht genauer hin.

Der Milchmann fuhr die Straße hinauf, nahm kurz vor ihrem Ende eine Abzweigung, die an die steile Böschung eines Sees führte.

Dort stieg er von seinem Karren, legte einen der schwereren Steine vom Ufer auf das Gaspedal und ließ den Karren mit voller Geschwindigkeit auf den Abhang zurasen.

Ein Klirren und Poltern war zu hören, bevor der Karren im See trieb.

Am Ufer entledigte sich der Milchmann seines Kittels und warf ihn ins Wasser.

Mildred Beatty betrachtete die träge dahin treibenden Gegenstände einen kurzen Augenblick. Dann wandte sie sich von der Stelle ab.

Sie wusste, dass irgendwem das Fehlen des Milchmanns auffallen würde. Vielleicht hatte er Familie, dann würde es recht schnell gehen. In anderen Fällen würde es vielleicht ein wenig länger dauern. In jedem Fall jedoch durfte sie sich nicht darauf verlassen, dass niemand Fragen stellte. Irgendwer tat das immer. Und genau deswegen war es gut, dass sie die Tour des Mannes zu Ende gefahren hatte. Nun, zumindest bis an diesen Punkt. Niemand würde auf den Verdacht kommen, dass Toby Thorntons letzte Fahrt direkt vor ihrer Haustür geendet hatte.

Mildred Beatty beeilte sich, die Uferböschung und das Areal hinter der Grocery Lane zu verlassen. Sie musste zurück nach Hause. Dort gab es noch so viel zu erledigen.

***

Sein erstes Empfinden war Kälte. Er wurde wach, weil er fror.

Seine Augenlider flatterten. Es gelang ihm, seinen Kopf zur Seite zu drehen. Auf einem einfachen Hocker lag ein Bündel, das ihm vertraut vorkam. Es waren seine Sachen. Die Hose, halb umgekrempelt und sein kariertes Hemd. Hätte er heruntersehen können, hätte er festgestellt, dass die Hälfte der Knöpfe abgerissen und auf dem Fußboden verteilt war. Wie es schien, hatte man ihm seine Kleidung mehr oder weniger vom Körper gerissen.

Toby Thornton versuchte, seine Arme und Beine zu bewegen, doch vergeblich. Sie rührten sich keinen Millimeter. Wieder bewegte er seinen Kopf, dieses Mal so weit es ging, nach oben.

Seine Arme waren nach oben gestreckt, während seine Handgelenke von zwei starken, ledernen Riemen gehalten wurden.

Er lag mit dem Rücken auf einem großen Metalltisch. Und er war nackt.

Die Kälte des Metalls lähmte ihn, abgesehen von den Schauern, die in unregelmäßigen Abständen über seinen Körper zogen.

Irgendwo über ihm an der Decke hing eine einfache Lampe mit einem staubigen Schirm. Die Glühbirne darunter war fleckig von Fliegendreck.

Der Raum selbst war nicht eben klein und er schien von oben bis unten gekachelt zu sein, was unangenehme Assoziationen in dem Milchmann weckte. Er hatte Räume in dieser Art schon einmal gesehen. In seiner Zeit als junger Mann, wo er noch in einer Fleischerei gearbeitet hatte.

Toby Thornton ächzte. Seine Kehle schien ihm wie zugeschnürt. Er verspürte einen nahezu unmenschlichen Durst.

»Hilfe«, krächzte er. »Wo … wo bin ich hier?«

Die Antwort kannte er, auch wenn sich sein Geist gegen diese Erkenntnis sträubte.

Mildred Beatty.

Er musste sich im Haus der alten Frau befinden, das er noch nie zuvor in seinem Leben betreten hatte.

Der Raum hatte kein Fenster, war vollkommen abgeschottet. Toby hob den Kopf, der als einziger Körperteil nicht gefesselt zu sein schien. Er blickte seinen Körper hinab bis zu seinen Füßen.

Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er am Tischende das kreisrunde Sägeblatt mit den scharfen Zacken erkannte. Es lauerte, schien ihn höhnisch anzugrinsen.

»Nein«, entfuhr es ihm. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern gewesen.

»Misses Beatty«, rief er lauter. »Um Himmels willen, was … was haben Sie mit mir vor? Misses Beatty?!«

Zunächst rührte sich nichts. Das Haus schien vollkommen still zu sein. Dann jedoch vernahm er von irgendwoher ein Scharren.

Etwas kratzte an einer Tür, als wollte es zu ihm herein.

Toby warf den Kopf hin und her und versuchte, seinen Körper aufzubäumen. Es war zwecklos. Die Riemen fesselten ihn gnadenlos an den Tisch und gaben keinen Deut nach.

Zu dem scharrenden Geräusch gesellte sich jetzt noch ein anderes, das wie ein klagendes Maunzen klang.

Der dicke rote Kater schoss Toby in den Sinn. Er erinnerte sich daran, wie das gut genährte Tier um die Beine seines Frauchens gestrichen war.

Das Maunzen wurde dringlicher, fordernder. Und nach und nach reihten sich mehr und mehr Stimmen in diesen klagenden Chor ein.

Etwas schlug gegen die Tür, ein dumpfer Laut. Auch das Kratzen wurde lauter. Sie wollten zu ihm. Sie wollten ihn!

»Großer Gott«, flüsterte Toby. Plötzlich war ihm nicht mehr kalt. Er hatte dieses Gefühl ausgeblendet. Sein Kopf ruckte hin und her, in der Hoffnung, einen Ausweg für seine hoffnungslose Lage zu finden. Nichts.

Seine Blicke geisterten über die gekachelten Wände. An der rechten befanden sich mehrere Fleischermesser und ein großes Hackebeil, dessen Klinge rostbraun verfärbt war.

Darunter erkannte Toby dunkle Spritzer an den beigefarbenen Kacheln.

Ein neues Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein dumpfes Poltern wurde laut. Doch dieses Mal kam es nicht von nebenan, wo scheinbar eine ganze Meute von Tieren lauerte, sondern von oben.

Toby starrte an die Decke, konnte jedoch nichts erkennen.

Doch das Poltern wurde lauter. Ein klagender Laut ertönte, der dem Milchmann einen weiteren Schauer über den Körper trieb. Es klang, als würde jemand in einen langen Schacht hineinrufen.

Sein Blick irrte abermals in Richtung Decke. In der rechten oberen Ecke befand sich in einer viereckigen Öffnung ein rostiges Gitter. Vermutlich handelte es sich um einen Lüftungsschacht.

Dahinter war etwas aufgetaucht. Ein Schatten.

Etwas kratzte an dem Gitter. Dann tauchte eine Pfote mit langen Krallen auf. Sie blieb an der Vergitterung hängen, löste sich wieder, nur um kurz darauf erneut zu versuchen, das Hindernis zu überwinden.

Toby Thornton beobachtete das Schauspiel mit einer grausigen Faszination.

Wieder ertönte das Maunzen. Es klang angestrengt und wütend. Das Tier sah sich kurz vor seinem Ziel.

Dann änderte es seine Taktik. Der Kater stemmte seinen massigen Körper von innen gegen das Gitter, und zu Tobys Entsetzen erkannte er, wie sich die untere Ecke bereits aus der Verankerung löste. Putz und kleine Gesteinskrümel rieselten auf den Boden.

»Nicht doch«, flüsterte der Milchmann. Er räusperte seine Stimmbänder frei und rief nach der alten Dame, dieses Mal lauter und fordernder. Doch wo immer sie auch stecken mochte, sie antwortete nicht.

Stattdessen machte sich der fette rote Kater in dem Schacht weiter bemerkbar. Er hatte offenbar erkannt, dass seine neue Methode, das Gitter zu überwinden, gute Aussichten auf Erfolg hatte.

Das Tier stemmte sich abermals dagegen.