John Sinclair 2071 - Marc Freund - E-Book

John Sinclair 2071 E-Book

Marc Freund

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Beschreibung

Der Duschraum lag verlassen vor ihm. Das Gelächter und die zahlreichen Stimmen, die durcheinanderschnatterten wie aufgescheuchte Enten, sodass einem davon der Kopf dröhnte, waren verstummt.

Er blieb in der Tür stehen. Aus einigen Duschköpfen, die ringsum aus den Wänden ragten, tropfte noch vereinzelt Wasser auf den rauen Fliesenboden. Plitsch. Platsch.

Die Tropfen verdichteten sich zu einem Rinnsal, der sich in der Mitte des Raums in eine knöcheltiefe Pfütze aus Wasser und Schaumresten verwandelte. Irgendwo darin befand sich der verstopfte Abfluss. Aber da war noch mehr ...

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Seitenzahl: 142

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Inhalt

Cover

Impressum

Der kriechende Tod

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5931-2

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der kriechende Tod

von Marc Freund

Der Duschraum lag verlassen vor ihm. Das Gelächter und die zahlreichen Stimmen, die durcheinanderschnatterten wie aufgescheuchte Enten, sodass einem davon der Kopf dröhnte, waren verstummt.

Er blieb in der Tür stehen. Aus einigen Duschköpfen, die ringsum aus den Wänden ragten, tropfte noch vereinzelt Wasser auf den rauen Fliesenboden. Plitsch. Platsch.

Die Tropfen verdichteten sich zu einem Rinnsal, der sich in der Mitte des Raums in eine knöcheltiefe Pfütze aus Wasser und Schaumresten verwandelte. Irgendwo darin befand sich der verstopfte Abfluss. Aber da war noch mehr …

Der Mann mit dem blaugrauen Kittel eines Hausmeisters trat über die Schwelle und stellte seinen Werkzeugkasten ab.

Er fuhr sich mit der flachen Hand über das stoppelige Kinn und starrte auf die Wasserlache, auf der einige schillernde Seifenblasen ruhten. Ansonsten rührte sich nichts.

»Verdammte Saubande«, entfuhr es Christian Landmann.

Dies war nicht seine gewohnte Ausdrucksweise. Im Gegenteil. Er war jetzt bereits in seinem siebten Jahr an diesem Internat, und sein Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern konnte man getrost als ausgesprochen gut bezeichnen.

Natürlich gab es besonders unter den Jungen ein paar vorlaute Kandidaten, die gerne mal über die Stränge schlugen. Auch einige der älteren Mädchen hatten es faustdick hinter den Ohren. Aber alles in allem hatte Landmann seinen Sauladen, wie er das Robert-Koch-Internat sich selbst und seiner Schwester Bianca gegenüber gerne scherzhaft nannte, im Griff. Nun ja, soweit man das als Hausmeister eben behaupten konnte.

Landmann schob sich seine Brille, die gerade im Begriff war, abzurutschen, auf die Nase zurück und machte sich an die Arbeit.

Er öffnete den blauen Metallkasten und griff zielsicher nach einer Rohrzange und einer aufgerollten Drahtspirale, die er am späten Vormittag im Baumarkt erstanden hatte.

Damit bewaffnet näherte er sich der Pfütze und beugte sich hinunter.

Er streifte sich die gelben Gummihandschuhe über, die er sich in die Brusttasche seines Kittels gestopft hatte.

Seine Mundwinkel verzogen sich, als er in die inzwischen erkaltete Flüssigkeit griff. Seine Finger suchten nach dem quadratischen Metallrost, der lose auf dem Abfluss saß, und zogen ihn heraus. Angewidert legte der Hausmeister ihn beiseite.

Es war nicht das erste Mal, dass die Leitung des Internats ihn verständigt hatte, um hier nach dem Rechten zu sehen. Beim letzten Mal hatten die pubertierenden Mädchen den Abfluss absichtlich mit Tampons vollgestopft.

Christian Landmann hatte daraufhin geduldig den vollgesogenen Klumpen herausgeklaubt und in den Müll entsorgt. Der Schulleitung gegenüber hatte er den alten Abwasserleitungen die Schuld gegeben.

Was mochte es dieses Mal sein?

Landmann langte in die Öffnung hinunter. Seine Finger tasteten sich vorsichtig voran. Er spürte nichts. Möglich also, dass der Klumpen oder was immer es war, noch tiefer saß.

Der Hausmeister seufzte und ging auf die Knie. Er spürte augenblicklich, wie das kalte Wasser seine Kleidung durchdrang.

Er krempelte sich den rechten Ärmel auf und startete einen neuen Versuch.

Für einen Moment glaubte er, etwas zu fassen bekommen zu haben, doch dann entglitt es seinen Fingern wieder.

Was, zum Teufel, war das?

Er dachte an die Mädchen der sechsten und siebten Klasse, wie sie kichernd irgendeinen Müll hier reingestopft hatten. Allen voran sicher die rothaarige Vivien, die es neuerdings zu genießen schien, sich überall aufzuspielen und unbeliebt zu machen.

Landmann rammte seine Hand hinunter in die Öffnung und traf dieses Mal tatsächlich auf einen Widerstand. Selbst durch den Latex seines Handschuhs fühlte es sich seltsam weich und wabbelig an.

Plötzlich war es verschwunden, und ein schlürfendes Geräusch ertönte. Das Wasser begann wieder abzulaufen.

Zunächst noch zaghaft, aber immerhin.

Landmann zog die Hand heraus, betrachtete akribisch das noch immer leuchtende Gelb seines Handschuhs und wartete ab. Die Lache um ihn herum verringerte sich zusehends, bis sie weitestgehend vom Boden verschwunden war.

Nur im Abfluss selbst blieb ein Rest Sickerwasser stehen.

Landmann griff nach der langen Drahtspirale, mit der er dem verstopften Rohr zu Leibe rücken wollte.

Im trüben Wasser schimmerte etwas, das aussah, wie eine große Blase. Aber es war keine.

Es war ein Auge.

Landmann schrie vor Entsetzen auf und warf seinen Oberkörper nach hinten. Unsanft landete er auf seinem Hintern und stieß einen keuchenden Laut aus.

Bunte Lichter tanzten plötzlich vor seinen Augen. Wenn er die Lider schloss, erkannte er auf seiner Netzhaut ein Sägeblatt mit scharfen Zacken, das sich schneller und schneller zu drehen schien.

Unterzuckerung. Ausgerechnet jetzt.

Er ächzte, blieb platt auf dem Boden sitzen und fingerte mit seiner linken Hand ein Stückchen Traubenzucker aus seiner Kitteltasche.

Mit den Zähnen zog er das rote Bändchen der Plastikverpackung ab und spie es achtlos aus.

Durch den Sturz war das Täfelchen in mehrere Teile zerbrochen. Einige davon fielen hinunter und landeten auf den feuchten Fliesen. Landmann gelang es, noch ausreichend Traubenzucker aufzufangen und sich gierig in den Mund zu stopfen.

»Selbst schuld, wenn du nicht regelmäßig isst oder mal wieder das Trinken vergessen hast«, hörte er die Stimme seiner Schwester sagen.

Bianca.

Landmann schloss die Augen und lächelte. Sie wohnte in Goslar, der schönen kleinen Stadt im Harz, keine zehn Kilometer von hier.

Sie hatten eine tiefe Verbindung zueinander. Immer schon, selbst als sie noch Kinder gewesen waren.

Landmann blinzelte. Die zuckenden Bilder vor seinem inneren Auge verblassten nach und nach. Dieses Mal war es nur ein leichterer Anfall gewesen.

Das Auge, dachte er. Ganz sicher war es nur eine Einbildung gewesen. Ein erstes Warnzeichen, bevor das scharfe Sägeblatt aufgetaucht war.

Er nahm die Brille ab und wischte sich mit der linken Hand über das Gesicht. Noch ein kurzer Moment der Konzentration, dann konnte es weitergehen.

Auf allen vieren und seine Sehhilfe mit dem dunklen Horngestell wieder an vertrauter Stelle, kroch er wieder an den Abfluss des Duschraums heran.

Noch immer stand das Wasser fast bis zum oberen Rand. Insofern keine Veränderung. Aber das Auge war verschwunden.

Landmann lächelte erneut und schüttelte den Kopf. Es war inzwischen früher Nachmittag, und er freute sich auf seine Tasse Kaffee, die er sich in etwa einer Stunde aufbrühen würde.

Entschlossen packte er die Drahtspirale und wickelte sie ab.

Das Ende, an dem sich eine dreizackige Kralle befand, führte er in das Loch unter ihm ein. Langsam ließ er den Draht durch seine Hände gleiten, bis er auf einen Widerstand stieß.

Endlich. Jetzt musste er nur noch …

Landmann blinzelte, als er den kleinen Ruck verspürte. Es war nur eine kurze Bewegung des Drahts gewesen, aber der Hausmeister hatte sie deutlich gespürt.

Vorsichtig beugte er sich über die Öffnung. Es war nichts zu sehen. Nur die Spirale, die in dem leicht getrübten Wasser verschwand.

Jetzt lass dich nicht verrückt machen, dachte er. Sicher handelte es sich um einen weiteren Streich der Mädchen. Sie würden sich etwas anderes ausgedacht haben. Natürlich, sie konnten ja nicht ewig ihren alten Trick wiederholen.

Landmann wollte die Drahtspirale tiefer in den Abfluss einführen, als sie ihm mit brutaler Gewalt durch die Hände gezogen wurde. Der Hausmeister spürte ein sengend heißes Gefühl an den Handinnenflächen.

Er schrie vor Schmerz und Schreck auf. Gleichzeitig nahm er den Geruch von verschmortem Gummi wahr.

Die Spirale sauste mit einem surrenden Geräusch weiter in den Abfluss hinein, so als hätte Landmann einen fetten Fisch an der Angel.

Ungläubig starrte er auf den langen Draht, der sich immer weiter abwickelte. Die Handflächen des Hausmeisters waren blutig, dort, wo sich das Material des Werkzeugs in seine Haut gefressen hatte.

Dennoch packte Landmann plötzlich zu, aus einem Reflex heraus.

Er griff die Spirale mit beiden Händen, um die Vorwärtsbewegung zu stoppen. Und tatsächlich gelang es ihm.

Er spürte die Zugkraft, die jemand oder etwas am anderen Ende erzeugte.

Der alte Mann und das Meer, dachte Landmann. Das, was er hier gerade erlebte, war eine Neuinszenierung des Hemingway-Stoffs.

Der Hausmeister und … ja, wer eigentlich?

Landmann hielt den Draht fest in seinen Händen. Wer immer das andere Ende hielt, er verharrte offenbar in seiner Bewegung, wartete ab.

Vorsichtig rutschte der Mann mit dem Kittel noch weiter an die Öffnung des Abflusses heran. Er spähte zur Wasseroberfläche hinunter. Sie bewegte sich unmerklich.

Der Hausmeister atmete flach, konzentrierte sich. Er ignorierte den Schmerz, der vor allem in seiner linken Handinnenfläche tobte, und begann langsam an dem Draht zu ziehen. Vorsichtig.

Zentimeter für Zentimeter zog er zurück an Land. Es war nur ein schwacher Widerstand zu spüren.

Lächerlich, dachte Landmann, wenn mich einer so sehen würde.

Aber hier war um diese Zeit niemand mehr.

Er zog weiter. Es ging jetzt sogar sehr viel leichter. Landmann löste seine linke Hand und hob seinen Arm, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

Da riss ihn plötzlich ein gewaltiger Ruck nach vorne, direkt auf den Abfluss zu. Die Brille flog ihm aus dem Gesicht und landete klappernd irgendwo außerhalb seiner Reichweite. Mit dem Brustkasten voran schlug er hart auf dem Boden auf. Seine rechte Hand verkrampfte sich. Aus einem Reflex heraus packte er die Spirale noch fester.

In Sekundenschnelle tauchte seine Faust, die das letzte Ende des Drahts hielt, in den Abfluss.

Landmann schrie auf, als sein ganzer Arm bis zum Schultergelenk darin versank. Dann endlich ließ er los.

Er spürte, wie die letzten Zentimeter der Spirale an ihm vorbei sausten, bis der Draht endgültig verschwunden war.

Landmann lag atemlos auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht.

Er starrte auf die Rohrzange, die sich direkt auf Augenhöhe befand.

Sein Arm schien festzustecken.

»Meine Fresse noch mal«, flüsterte er. Landmann blinzelte. Er wollte gerade versuchen, sich irgendwie aus seiner unglücklichen Lage zu befreien, als er an den Fingern seiner rechten Hand eine Bewegung wahrnahm. Zunächst nur unmerklich, so als ob ihn unter Wasser etwas gestreift hätte.

Dann allerdings fühlte er etwas anderes. Weich. Kalt.

Er spürte, wie sich etwas über seine Finger und schließlich über die ganze Hand stülpte.

Landmann schrie auf.

Etwas hatte ihn gepackt. Etwas Großes, das unter der Erde hauste.

Der Hausmeister versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, doch im ersten Moment war ihm dies unmöglich.

Etwas fraß sich seinen Arm hinauf. Immer weiter, Stück für Stück.

Landmann stemmte seine linke Hand auf dem Fliesenboden auf. Am Rande der Ereignisse registrierte er, dass er dort rote Blutschlieren hinterließ. Dann drückte er seinen Oberkörper hoch, während er gleichzeitig versuchte, auf die Knie zu kommen.

Es gelang ihm unter Aufbietung seiner letzten Kräfte.

Noch immer steckte sein rechter Arm bis zum Anschlag in dem verdammten Abfluss. Und noch immer hatte er unter der Wasseroberfläche etwas an sich, was dort nicht hingehörte.

Er versuchte, die Finger zu bewegen. Doch alles, was er spürte, war etwas unbeschreiblich Glitschiges.

Landmann zählte in Gedanken bis drei. Und er zählte schnell.

Dann bäumte er seinen Oberkörper nach hinten. Es gab einen Ruck, und kurz darauf spürte er, wie er seinen rechten Arm wieder bewegen konnte.

Ohne lang zu überlegen, zog er ihn, so schnell er konnte, aus dem Wasser.

Als er den weißen Kopf mit dem weit aufgerissenen Maul und die beiden blinden Augen darüber erkannte, stieß Landmann einen gellenden Schrei aus.

Dort, wo sich sein Arm befinden sollte, hatte sich ein grässlicher, fetter Wurm hinauf geschlängelt. Die dünnen Lippen befanden sich bereits einige Zentimeter oberhalb der Ellenbeuge.

Das Ende des Monstrums befand sich immer noch im Wasser.

Landmann kreischte und versuchte, das Vieh in wilder Panik abzuschütteln.

Seine Füße stemmten sich gegen den Boden. Der Hausmeister zog und zerrte, doch das Wurmwesen schien davon vollkommen unbeeindruckt.

Landmann kam die Rohrzange in den Sinn. Sie lag nur einen Meter von ihm entfernt auf dem Boden. Aber genauso gut hätte sie am Ende des Universums auf ihn warten können. Sie blieb so oder so für ihn unerreichbar.

Er begann damit, mit seiner linken Hand auf das Wesen einzuschlagen. Zweimal traf er in seinem blinden Aktionismus den Schädel des Wurms, der tatsächlich aus Knochen zu bestehen schien.

Immer weiter kroch das Biest seinen Arm hinauf, während seine Finger irgendwo in dem fetten, weißen Leib steckten.

»Aufhören!«, schrie Landmann und zog noch einmal an dem Körper des Wurms.

Wasser spritzte aus dem Abfluss. Ansonsten zeigten seine Bemühungen keine Wirkung.

Der Hausmeister starrte in die blinden Augen des Wurms, die jetzt nur noch eine gute Handbreite von seiner Schulter entfernt waren.

Der Mann hieb weiter wie von Sinnen auf die Kreatur ein. Er musste erkennen, dass es keinen Sinn hatte.

Plötzlich ging eine Bewegung durch den Wurm, die in der Mitte seines Körpers begann und sich bis zum ekelhaften Schädel fortsetzte.

Die Kreatur schien ihn anzustarren, so als würde sie ihn erst jetzt bemerken. Dann zog sie die dünnen Lippen zurück und entblößte darunter mehrere Reigen nadelspitzer Zähne.

Landmann riss ungläubig die Augen auf.

Im nächsten Moment versank seine Welt in brüllendem Schmerz, getüncht von der Farbe Rot.

Oliver Thurein hängte den Schlüssel für das Gerätehaus beim Sportplatz neben die Pinnwand. Und damit ging wieder ein Arbeitstag zu Ende. Der vorletzte vor den Ferien.

Er öffnete das Fenster in dem muffigen kleinen Büro, das direkt neben der Turnhalle lag. Es war Nachmittag, und die Sonne stand noch immer am Himmel.

Der Sportlehrer packte das Netz mit den Fußbällen und wollte gerade diesen Teil des Gebäudes verlassen, als er von nebenan ein seltsames Geräusch hörte. Es hatte sich angehört wie ein Gurgeln, so als ob nebenan in den Duschräumen eine Badewanne leerlaufen würde.

Thurein verließ das stickige Büro und passierte eine der beiden großen Umkleideräume. Ringsum und in der Mitte des Raums waren lange Sitzbänke aufgestellt, die allesamt schon weit über dreißig Jahre auf dem Buckel haben mussten. Auch die braunen Fliesen stammten noch aus dieser Zeit, in der Thurein selbst Schüler dieser Schule gewesen war.

Er ging durch die Bankreihen hindurch und blieb an dem Durchgang zum Duschraum stehen. Seine Augen weiteten sich, und langsam entglitt das Ballnetz seiner rechten Hand. Die Bälle polterten dumpf zu Boden. Thurein nahm das Geräusch nicht wahr. Sein Blick irrte durch den gekachelten Raum, der über und über mit Blut besudelt war.

»Verflucht noch mal, was …« Die Worte blieben ihm im Hals stecken.

In der Nähe des Abflusses hatte sich eine dunkelrote, halb geronnene Lache gebildet. Darüber hinaus befanden sich nahezu überall Blutspritzer. Auf dem Boden, an den Wänden.

In der Nähe der Tür stand der blaue Werkzeugkasten des Hausmeisters. Nicht einmal die Metallbox war von den Spritzern verschont geblieben.

Am Rand des Abflusses lagen das viereckige Metallgitter und Landmanns Rohrzange. Von dem Hausmeister selbst hingegen fehlte jede Spur.

Thurein blinzelte. Noch immer begriff er nicht, was hier vorgegangen war. Wie hatte sich der Hausmeister nur derart verletzten können? Himmel, der Duschraum sah aus, als wäre der Mann hier komplett ausgeblutet.

»Landmann? Sind Sie hier?«, rief Thurein. Seine Stimme klang kratzig.

Niemand antwortete.

Als Thurein einen Schritt in den Raum wagen wollte, packte ihn plötzlich eine kräftige Hand von hinten.

Der Sportlehrer zuckte in seinem dunkelblauen Trainingsanzug zusammen und fuhr herum.

»Herr Nadler«, stieß er aus. »Mein Gott, haben Sie mich erschreckt.«

Der Direktor des Internats blickte den blonden Lehrer durchdringend an. »An Ihrer Stelle würde ich da nicht reingehen.«

Thurein sah den Mann fassungslos an. »Aber was ist hier denn überhaupt passiert? Wo ist Landmann?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Nadler, der einen grauen Anzug trug und sich mit einem weißen Taschentuch über die Stirn wischte. »Entweder der Mann hat sich verletzt, oder aber die Kinder haben es mit ihren Streichen dieses Mal wahrhaftig übertrieben.«

»Ein Streich?«, echote Thurein, der seinen Blick noch immer nicht von den beschmutzen Fliesen und Kacheln abwenden konnten. »Tut mir leid, aber das hier sieht mir nicht danach aus. Das da ist echtes Blut.«

»Sie haben Landmann nicht gesehen?«, hakte Nadler nach. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er seinen Angestellten ansah.

Thurein schüttelte energisch den Kopf. »Ich war gerade dabei, Schluss für heute zu machen. Normalerweise wäre ich hier gar nicht mehr hergegangen. Wenn ich das Geräusch nicht gehört hätte …«

»Was für ein Geräusch?«, fragte Nadler nach, nachdem der Lehrer nicht weitersprach.

Thurein zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es hörte sich an, als wäre es aus dem Abfluss gekommen.«

Wieder bedachte Nadler seine Lehrkraft mit einem kurzen Blick. Dann nahm er den anderen beiseite und drückte sich an ihm vorbei in den Duschraum.

Thurein beobachtete, wie sein Vorgesetzter mit langsamen Schritten auf den Abfluss zutrat, etwa einen halben Meter davor stehen blieb und seinen Oberkörper leicht nach vorne beugte.

»Nichts zu sehen«, sagte er. »Außer einer ganzen Menge Blut.«

»Was«, krächzte Thurein, »sollte es denn da auch zu sehen geben?«

Jetzt trat auch er langsam näher. Er wich den Blutspritzern am Boden aus, so gut er konnte.

Nadler hatte den rechten Arm erhoben und kratzte sich am Hinterkopf. »Wir werden feststellen müssen, wo Landmann steckt.«