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Lange Jahre hatte sie in vollkommener Finsternis verbracht. Unfähig, sich in dem engen Sarg zu rühren. So hatte sie sich irgendwann in ihr grässliches Schicksal gefügt und das getan, wozu sie noch imstande war: warten. Warten auf den Tag, an dem jemand kam, um sie zu erlösen, sie zu befreien.
Und als sie irgendwo über sich die Geräusche eines Spatens hörte, wusste sie, dass der Moment gekommen war.
Die Zeit ihrer Rache war angebrochen ...
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Die Wiedergängerin
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6627-3
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Wiedergängerin
von Marc Freund
Lange Jahre hatte sie in vollkommener Finsternis verbracht. Unfähig, sich in dem engen Sarg zu rühren. So hatte sie sich irgendwann in ihr grässliches Schicksal gefügt und das getan, wozu sie noch imstande war: warten. Warten auf den Tag, an dem jemand kam, um sie zu erlösen, sie zu befreien.
Und als sie irgendwo über sich die Geräusche eines Spatens hörte, wusste sie, dass der Moment gekommen war.
Die Zeit ihrer Rache war angebrochen …
Ich legte mein Besteck beiseite, lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und klopfte mir demonstrativ auf meinen Bauch.
»Wirklich nicht, Mrs. Ellenby, besten Dank auch. Die Lammkeule war ganz hervorragend, aber es passt einfach nichts mehr rein.«
»Er hat bloß Angst, dass ihm im nächsten Sommer die Badehose nicht mehr passt«, warf Bill ein und zwinkerte mir zu.
Holly Ellenby, eine gut aussehende Brünette von etwa fünfunddreißig Jahren, warf ihren Kopf in den Nacken und lachte kurz auf, während sie sich daranmachte, die Teller und Schüsseln abzudecken.
»Warte doch, Holly«, beeilte sich Sheila, die neben mir saß und soeben ihr Glas abstellte, »ich helfe dir beim Abräumen.«
Ich sah ihr nach, noch immer mit einem unglaublich erleichterten Gefühl, die Frau meines besten Freundes und somit auch meine Freundin wieder in unserer Mitte zu wissen. Und es war noch besser gekommen: Johnny, Sheilas und Bills Sohn und mein Patenkind, war zurückgekehrt!
Bei unserem letzten Fall war er wie aus dem Nichts plötzlich wieder aufgetaucht, in Glamis Castle, wo damals, vor gut anderthalb Jahren das Schicksal so grausam zugeschlagen und uns Sheila und Johnny entrissen hatte.1) Ein Dämon hatte Sheila getötet und war anschließend in eine andere Dimension geflohen, in die Johnny ihn verfolgt hatte. Seitdem war mein Patenjunge verschollen gewesen.
Nachdem Sheila ein zweites Leben geschenkt worden war2) hatten wir unser Glück schon kaum fassen können, doch dass jetzt mit Johnnys Rückkehr die komplette Conolly-Familie wieder vereint war, war einfach unbeschreiblich.
Eine gute Woche war es jetzt her, dass Sheila und Bill ihren Sohn wieder hatten in die Arme schließen können, und Johnny hatte noch immer viel von seinen Abenteuern in der anderen Dimension zu erzählen. Aktuell erholte er sich im Hause seiner Eltern von diesen Erlebnissen, die ihn doch merklich gezeichnet hatten.
Doch er würde sich nicht auf seinen vier Buchstaben ausruhen, so viel war sicher. Dafür kannte ich mein Patenkind zu gut. Johnny war immer voller Tatendrang gewesen, und das hatte sich auch nach seiner Rückkehr nicht geändert. Er war nur reifer geworden und wirkte irgendwie ernster. Er würde sein Leben neu ordnen und dann wieder richtig durchstarten.
»Machen Sie sich bereit für Hollys Spezialität, Mister Sinclair«, riss Michael Ellenby, der neben Bill Platz genommen hatte, mich aus meinen Gedanken.
Der Hausherr war Anfang Vierzig, schlank und wie genau wie Bill Conolly als Reporter tätig. Die beiden kannten sich offenbar seit Jahren, wenn auch nicht besonders gut.
»Sie machen mich neugierig«, antwortete ich, während die beiden Frauen den Tisch abräumten und sich in der Küche nebenan bereits um das Dessert kümmerten.
Ellenby beugte sich leicht nach vorne. »Birnenkompott mit selbst gemachter Vanillesoße.«
»Klingt gut«, sagte ich.
Über das Gesicht des Reporters huschte ein Lächeln. »Das Geheimnis dabei ist, dass Holly die Birnen vorher in Whisky eingelegt hat.«
»Das klingt noch besser«, antwortete ich.
Holly und Sheila kehrten mit den Dessertschalen zurück, die sie auf uns vier verteilten.
Ich sah mich suchend um. »Wo steckt denn nun der kleine Ellenby?«
»Noah ist gerade im Bad und putzt sich die Zähne«, erklärte Holly. »Er ist schon ganz aufgeregt, Sie kennenzulernen.«
»Ich bin bereit«, gab ich zurück und tauschte dabei einen kurzen Blick mit Bill.
Er hatte mich vor zwei Tagen angerufen, weil Michael Ellenby an ihn herangetreten war. Bills Kollege hatte über Umwege von mir erfahren und wusste offenbar zumindest so viel von meiner Arbeit, als dass ich mich mit übernatürlichen Dingen beschäftigte.
Die beiden Männer waren ins Gespräch gekommen, und Ellenby hatte Bill von ihrem kleinen Problem erzählt. Diesem Gespräch war eine Einladung zum Dinner bei den Ellenbys gefolgt. Und bisher hatte ich meine Entscheidung nicht bereut. Das Essen war wirklich vorzüglich gewesen, und die Aussicht auf das Dessert ließ mir bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Aber zuvor gab es da noch eine kleine Sache zu erledigen. Etwas, das selbst mir neu war und vor dem ich anfangs noch ein wenig Skrupel gehabt hatte. Nach einem Tag Bedenkzeit hatte ich jedoch diesem Treffen zugesagt.
»Wenn Sie wirklich bereit sind, werde ich Noah jetzt holen«, sagte Holly. Mir fiel auf, dass der heitere Tonfall aus ihrer Stimme gewichen war. Sie wirkte jetzt viel ernster als noch vor wenigen Minuten. Eine Falte zeigte sich zwischen ihren Augenbrauen.
»Es ist alles in Ordnung, Darling«, versicherte Michael Ellenby, der den sorgenvollen Blick seiner Frau aufgefangen hatte.
Sie lächelte flüchtig. »Ich weiß.«
Dann atmete sie tief durch und wandte sich ab.
Nachdenklich sah ich Holly hinterher. Sie schien sich diese Sache sehr zu Herzen zu nehmen. Aber da reagierte sie vermutlich nicht anders als Sheila, die ebenfalls durch und durch eine besorgte Mutter war.
Ellenby räusperte sich. Seine Hände waren in ständiger Bewegung.
»Meine Frau verspricht sich wirklich viel von Ihrem Besuch, Mister Sinclair. Es geht schon seit ein paar Wochen so, dass Noah abends nicht einschlafen kann, weil er Angst hat.«
Ich nickte dem Mann zu, bei dem auch ich jetzt die Zeichen der Beunruhigung erkannte.
»Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber versprechen kann ich Ihnen natürlich nichts.«
Ellenby hob abwehrend die Hände. »Natürlich nicht. Meine Frau und ich sind Ihnen jetzt schon dankbar, dass sie überhaupt gekommen sind.«
Von der Küche her drangen Geräusche an unsere Ohren.
Holly Ellenby trat über die Schwelle. Sie schob einen etwa achtjährigen Jungen vor sich her, auf dessen Pyjama sämtliche Mitglieder der Avengers prangten.
Noah Ellenby wirkte ein wenig blass, aber er hatte lebhafte, braune Augen, denen nichts zu entgehen schien. Sein Haar hatte die gleiche Farbe wie das seiner Mutter und zu einem Pony geschnitten.
Holly beugte sich zu ihrem Sohn hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Der Junge nickte und kam um den Tisch herum. Das erste Mal trafen sich unsere Blicke. Noah musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Du bist kein Geisterjäger«, sagte er.
Ich stutzte. »Warum glaubst du, dass ich keiner bin?«
Der Junge zuckte zweimal mit den Schultern. »Echte Geisterjäger tragen einen Schutzanzug und haben eine richtige Ausrüstung bei sich.«
Ich lächelte. Darauf hätte ich nun wirklich selbst kommen können.
»Und dein Auto?«, wollte Noah wissen.
»Was meinst du?«, tat ich wenig schuldbewusst.
Der Junge rollte mit den Augen. »Na, deine Karre. Du hast doch draußen bestimmt ein richtig cooles Einsatzfahrzeug. Oder?«
»Nicht wirklich«, gab ich gedehnt und ausweichend zurück. Als ich sah, dass seine Mundwinkel herabsackten, schob ich schnell hinterher: »Im Augenblick bin ich mit dem Rover da, den benutze ich immer, wenn ich Undercover unterwegs bin. Weißt du, was das heißt?«
»Na klaro«, sagte Noah in einem Ton, der mir signalisierte, dass ich ihn wohl für blöd verkaufen wollte. »Aber ich glaube, du sagst das nur, weil du gar kein richtiges Einsatzfahrzeug hast. Nicht so eins wie die echten Geisterjäger jedenfalls.«
»Was hältst du davon, wenn du mir mal dein Zimmer zeigst, Noah?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
Wieder das Schulterzucken. »Weiß nicht.«
Ich tat so, als sei mir gerade etwas sehr Wichtiges eingefallen. »Pass auf, ich zeig dir was.«
Mit einer betont langsamen Bewegung öffnete ich den oberen Knopf meines Hemds und zog mein Kreuz hervor, sodass er es sehen konnte.
»Wow«, stieß er aus und machte große Augen. »Das sieht cool aus. Ist das echt?«
Jetzt rollte ich mit den Augen. »Na klaro. Was denkst du denn?«
»Und was kann es?«, wollte er wissen. Er hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt, um keines der Symbole und Zeichen zu übersehen.
»Eine ganze Menge«, erklärte ich. »Vor allem verjagt es böse Geister, die sich in Kinderzimmerschränken verstecken.«
Ich warf einen unauffälligen Blick zu Holly Ellenby hinüber, die mir aufmunternd zunickte.
»Was hältst du davon, wenn wir es zusammen ausprobieren?«, schlug ich vor.
»Du meinst jetzt gleich?«
»Warum warten?«, fragte ich und erhob mich von meinem Stuhl.
Noah suchte den Blick seiner Mutter. »Mom?«
Holly Ellenby lächelte. »Geh nur. Es ist in Ordnung.«
»Willst du, dass wir mitkommen?«, fragte sein Vater.
»Nö«, antwortete der Junge. »Das schaffen wir schon allein.«
»Na dann mal los«, sagte ich und tauschte einen kurzen Blick mit seinen Eltern und den Conollys. Von allen Seiten erntete ich ermutigende Gesten.
Ich folgte dem Jungen durch die Küche und von dort durch einen breiten Korridor, der hell erleuchtet war und an dessen Wänden Radierungen hingen, die ich für echt und vor allem für wertvoll hielt.
Vor der zweiten Tür auf der rechten Seite machte Noah Halt und drehte sich zu mir um.
»Das ist mein Zimmer.«
Ich nickte bedeutungsvoll und versuchte, die knallbunte Aufschrift mit Noahs Namen auf der Tür zu übersehen. Darunter klebte ein Bild von einem Comic-Gespenst. Es war dick durchgestrichen und darunter hatte jemand Ich muss leider draußen bleiben geschrieben.
Der Junge bemerkte meinen Blick. »Ach das«, sagte er. »Das war Moms Idee. Aber ich finde es albern. Ist was für Babys, findest du nicht auch?«
Ich tat, als würde ich mir das Gespenst noch einmal genauer ansehen. Dann blinzelte ich dem Jungen zu. »Stimmt. Aber es beruhigt deine Mom, oder?«
Er nickte eifrig.
»Dann ist es gut so, wie es ist«, flüsterte ich mit verschwörerischem Unterton. »Willst du die Tür nicht öffnen?«
Etwas in seinem Gesicht veränderte sich. Die Fröhlichkeit war mit einem Mal dahin. Er hatte seine Lippen fest aufeinandergepresst.
»Und wenn er nun weiß, dass du hier bist? Und … und wenn er sich nun deswegen nicht zu erkennen gibt? Dann … dann wird er kommen, wenn du weg bist, und dann …«
Ich legte meinen Zeigefinger an meine Lippen und bedeutete ihm, still zu sein. Ich ging in die Hocke und sah dem Jungen direkt in die Augen.
»Selbst wenn er weiß, dass ich komme, hat er keine Chance, sich vor mir zu verstecken. Weißt du auch, warum?«
»Wegen dem da?« Noah deutete auf das Kreuz, das nun außerhalb meines Hemds an seiner Kette baumelte.
»Genau«, antwortete ich. »Das Kreuz hat die Macht, alle Geister und Dämonen aufzuspüren.«
»Wirklich alle?«, fragte Noah hoffnungsvoll.
»Keine Ausnahmen«, sagte ich entschlossen.
Nun ja, das war nicht ganz die Wahrheit, dachte ich. Aber ich würde mich hüten, dem Jungen das zu sagen. Es ging darum, ihm die panische Angst vor Geistern und somit vor dem Einschlafen zu nehmen. Ich wollte ihm auf keinen Fall neue Nahrung liefern.
Noah Ellenby atmete tief ein und nickte dann. »Okay!«
Seine kleine Hand griff nach der Türklinke und drückte sie hinunter.
☆
Die Tür schwang leise knarrend auf. Im Innern war es dunkel.
Noah trat als Erster über die Schwelle und tastete nach dem Lichtschalter rechts neben sich. Eine helle Deckenlampe flammte auf und tauchte das Zimmer des Jungen in warmes Licht.
Sorgsam schloss ich die Tür hinter mir und sah mich um. Es war das Zimmer eines Achtjährigen, das war unverkennbar. Die Wände waren gespickt mit Bildern und Postern. Ich sah Tiermotive, die allerdings in der Unterzahl waren. Anscheinend begann der junge Mann sich bereits für Musik zu interessieren. Ich sah mir für einige Sekunden das Poster einer Band an, die mir absolut nichts sagte. Die Mitglieder darauf konnten alle kaum älter als Noah selbst sein, schien es mir. Alles in allem konnte ich jedoch nichts entdecken, was mir Sorge bereitete oder was für die Albträume des Jungen verantwortlich sein könnte.
Erneut ließ ich mich auf die Knie nieder. »Okay. Wir sind jetzt unter uns, und du kannst ganz offen sprechen, Noah. Wo steckt das Wesen, von dem du glaubst, dass es dich jede Nacht besucht? Von wo kommt es für gewöhnlich?«
Noah streckte beinahe sofort seinen rechten Arm aus und deutete mit seinem Zeigefinger auf einen dunklen Kleiderschrank, der aussah, als handle es sich um ein uraltes Familienerbstück.
»Verstehe«, sagte ich und erhob mich.
Ich streifte die Kette mit dem Kreuz über meinen Kopf und drehte mich so, dass der Junge jeden meiner Schritte genau beobachten konnte. Mit meinem Talisman in meiner Rechten näherte ich mich dem Schrank und streckte meine linke Hand nach dem runden Knauf aus.
»Sei bloß vorsichtig«, flüsterte Noah.
Ich nickte ihm zu … und zog mit einem Ruck die Tür auf.
Der Junge stieß einen heiseren Laut aus, als mir ein Kleiderbügel entgegenflog und klappernd zu Boden fiel.
Ich hob beschwichtigend die Hände. »Nichts passiert, siehst du?« Mit meinem rechten Fuß schob ich den Bügel in seine Richtung, um mich ganz dem Innern des alten Schranks zu widmen.
Aber da war nichts außer sorgfältig zusammengelegten Shirts und Hemden auf den Regalbrettern und links daneben zwei Schuluniformen und eine Regenjacke, die an Bügeln hingen.
»Zeigt dein Kreuz was an?«, hörte ich die Stimme des Jungen hinter mir.
»Ich weiß noch nicht«, antwortete ich und tat so, als würde ich jedes Regal, jeden Quadratzentimeter der Seitenwände genau überprüfen.
Ich hielt die Waffe des Lichts in das Schrankinnere und fuhr mit der Hand hin und her.
Nach einer Weile drehte ich mich um und nickte dem Jungen zu. »Was immer dort war, ist jetzt weg. Für immer.«
»Wirklich?«, fragte er mit dünner Stimme. »Und du … du sagst das nicht einfach nur so?«
Ich streckte ihm meinen Talisman hin. »Dieses Kreuz lügt niemals, weißt du? Ich kann mich immer darauf verlassen. Wenn hier jemand oder etwas wäre, das hier nicht hingehört, würde es sich erwärmen und im schlimmsten Fall sogar …« Ich hielt absichtlich inne.
Noahs Augen waren wieder groß geworden. Sein Blick jagte zwischen mir und dem Kreuz hin und her.
»Was?«, schnappte er. »Was macht es, wenn es einen Geist aufspürt?«
»Es ist in der Lage, ein helles Licht zu verströmen«, antwortete ich.
»So wie ein Laserschwert aus Star Wars?«
»Na ja, so ähnlich vielleicht.«
»Kein Quatsch?«
»Kein Quatsch«, antwortete ich und ließ das Kreuz wieder unter meinem Hemd verschwinden. In der nächsten Bewegung schloss ich die Schranktür und schlug noch mal mit der flachen Hand dagegen. »Keine Geister in diesem Schrank. Das schwöre ich.«
Noah sah mich für einen Augenblick wie gebannt an. Dann ließ er die angesammelte Luft aus seinen Lungen entweichen.
»Gott sei Dank. Mom und Dad sagen immer, ich würde mir alles nur einbilden. Aber … das habe ich nicht!«
»Ich weiß, Junge«, sagte ich leise. »Du und ich, wir wissen es besser, richtig?«
Er nickte. Zögerlich noch, aber irgendwie auch befreit.
»Und du bist jetzt auch davon überzeugt, dass hier nichts lauert?«
»Ja.« Er lächelte.
Vom Korridor her näherten sich Schritte. Jemand klopfte gegen die Tür.
»Herein, wenn’s kein Werwolf ist«, rief Noah fröhlich.
Die Tür öffnete sich und Holly Ellenby steckte den Kopf ins Zimmer. »Höchste Schlafenszeit für kleine Jungs.«
Noah warf mir einen gespielt genervten Blick zu.
Ich ging zu ihm und strich ihm mit der Hand über den Kopf. »Schlaf gut, Noah. Vielleicht komme ich dich mal wieder besuchen.«
»Aber dann mit deinem Einsatzfahrzeug. Deinem richtigen.«
»Versprochen«, sagte ich und zwinkerte ihm zu.
Ich verließ das Zimmer und gesellte mich wieder zu den anderen. Nach einer Weile kehrte auch Holly Ellenby ins Wohnzimmer zurück.
Ihr Mann Michael schenkte Wein an die Frauen und noch einen Scotch an die Männer aus.
»Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind«, sagte Holly, nachdem sie ihr Glas abgestellt hatte. »Noah ist ganz ruhig und zufrieden eingeschlafen. Er wollte nicht mal, dass ich das Nachtlicht anschalte. Ich glaube, Sie haben ihn sehr beeindruckt.«
»Das freut mich«, gab ich zurück. »Er ist ein großartiger kleiner Kerl.«
»Wir wissen gar nicht, wie wir Ihnen danken sollen«, fügte Ellenby hinzu.
Ich trank mein Glas leer und hob die Hände. »Am besten gar nicht. Es hat mich sehr gefreut, sie drei kennenzulernen.«
»Ja, so ist er halt, unser John«, sagte Bill lachend. »Immer bescheiden.«
»Was dir auch manchmal nicht schaden könnte«, wandte Sheila ein und knuffte ihren Mann spielerisch mit ihrem Ellenbogen in die Seite.
»Autsch«, machte Bill und sah Hilfe suchend in meine Richtung. »John, tu doch was.«
»Tut mir leid, alter Junge. Ich könnte höchstens den Geist aus ihrem Wein vertreiben.«
Bill wollte etwas erwidern, als wir alle auf der Stelle zusammenzuckten.
Der Grund war ein markerschütternder Schrei aus dem Kinderzimmer.
☆