John Sinclair 2288 - Simon Borner - E-Book

John Sinclair 2288 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Zombies!, schoss es Kira Delling durch den Kopf. Das sind waschechte Zombies.
Die erste Hand griff nach ihr. Die Detektivin schrie vor Schmerz, als sich die Fingernägel in ihren Oberarm bohrten. Der Griff des Monsters erinnerte an eine Schraubzwinge, und es zog sie näher zu sich.
Gleichzeitig baute sich der mittlere Unheimliche direkt vor ihr auf. Nun konnte Delling die Narben in seinem Gesicht sehen - die offene Wunde am Kinn und die fehlenden Zähne in seinem schiefen Maul.
Nein, das waren keine Menschen.
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Inhalt

Cover

Im Reich des Kakus

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Im Reich des Kakus

von Simon Borner

Zombies!, schoss es Kira Delling durch den Kopf. Das sind waschechte Zombies.

Die erste Hand griff nach ihr. Die Detektivin schrie vor Schmerz, als sich die Fingernägel in ihren Oberarm bohrten. Der Griff des Monsters erinnerte an eine Schraubzwinge, und es zog sie näher zu sich.

Gleichzeitig baute sich der mittlere Unheimliche direkt vor ihr auf. Nun konnte Delling die Narben in seinem Gesicht sehen – die offene Wunde am Kinn und die fehlenden Zähne in seinem schiefen Maul.

Nein, das waren keine Menschen.

Jetzt nicht mehr!

Die Sterne waren fort.

Lena Rauhut sah zum dunklen Firmament hinauf und traute ihren Augen nicht. Der gesamte Himmel schien sich plötzlich gegen sie verschworen zu haben. Da oben hatten sich keine Wolken vor die Sterne geschoben, sondern die hellen Lichtpunkte waren schlichtweg verschwunden! Von einem Moment auf den anderen!

Dabei brauchte Lena sie doch.

Nur mit ihnen konnte sie sich noch retten ...

Abermals hörte sie das Knurren. Es kam aus den Schatten der Büsche und Bäume rings herum. Sie hatte gehofft, ihre unheimlichen Verfolger abgeschüttelt zu haben, aber der Eindruck trog. Sie klangen, als seien sie noch immer nah. Noch immer hungrig.

Lena schlang die blutenden Arme um den Oberkörper. Einmal mehr spürte sie die Angst in ihrer Brust – und die Schmerzen in ihren Gliedern.

»Lasst mich in Ruhe«, wimmerte sie.

Tränen verschleierten ihren Blick. Sie suchte in der Dunkelheit nach Bewegungen und Gestalten, die sie eigentlich gar nicht mehr sehen wollte – nie wieder. Gestalten, die direkt aus einem Albtraum stammen mussten.

»Bitte«, kam es ihr über die zitternden Lippen. »Ich ... ich habe euch doch gar nichts getan.«

Aber die Kreaturen kümmerte das nicht, das wusste sie. Sie kannten einzig und allein die Gier.

Wieder sah Lena zum Himmel hinauf. Hier draußen in der Nacht an der Kakushöhle wirkte jeder Baum wie der andere, jeder Busch nahezu identisch. Nie und nimmer würde sie ohne Hilfe der Sterne die Richtung finden, die zurück zur Straße führte.

Doch die Sterne waren fort.

Lena war allein.

Allein mit der Angst und dem Blut.

Und das Knurren wurde lauter ...

Mehrere Stunden zuvor

»Bist du so weit?«, fragte Karla Warnke. Die zweiundzwanzigjährige Studentin der Publizistik stand in der offenen Tür zu Lenas Zimmer im Studentenwohnheim. Sie lächelte. »Die Birne parkt direkt vor dem Haus, und ich weiß nicht, wie lange euer Hausmeister sich das gefallen lässt.«

Überrascht sah Lena auf. Sie stand am Bett, auf dem ihr aufgeschlagener Koffer lag. Mit Besuch hatte sie gar nicht gerechnet.

»Hi«, grüßte sie ihre Freundin. »Wo kommst du denn her?«

»Frag lieber, wo du bleibst.« Karla deutete zur Uhr auf Lenas Schreibtisch. »Wir müssen los, Mädchen. Schon vergessen?«

Es war Freitagnachmittag an der Johannes-Gutenberg-Universität. Die letzten Vorlesungen der Mainzer Uni waren für die Woche gehalten. Die meisten Studierenden, die Lena kannte, wappneten sich gerade für ein weiteres Wochenende voller Lernstress und spätabendliche Notbesuche in der Zentralbibliothek. Doch sie hatte dieses Mal andere Pläne – und der Grund dafür hieß Karla.

Der Zeltausflug ins Niemandsland der Eifel war Karlas Idee gewesen. Vor zwei Tagen hatte die Kommilitonin ihn vorgeschlagen, während eines gemeinsamen Mittagessens in der Mensa. Der Rest ihrer Clique hatte sofort dankend abgelehnt. Ein Wochenende im Nirgendwo, mit schlechtem Handyempfang und mit nichts als Schafen und Kühen als Gesellschaft? Das klang selbst außerhalb der Prüfungsphasen nicht nach einem Vergnügen. Doch Lena hatte begeistert zugestimmt – erst recht, als klar wurde, dass sonst niemand Ja sagen würde.

Zwei Tage allein mit Karla Warnke? Für diese Aussicht nahm Lena auch gern ein paar Schafe in Kauf.

Sie mochte die blonde Frau mit der modischen Kurzhaarfrisur und den karierten Hemden einfach – mehr als das. Und vielleicht bekam sie draußen im Nichts, fernab von Mainz und den anderen, endlich den Mut, sich Karla zu offenbaren.

Zuvor musste sie allerdings fertig packen. Was brauchte man eigentlich alles für die Eifel?

»Was, zur Hölle, nimmst du denn da mit?«, wunderte sich Karla. Sie war näher gekommen und unterzog den Kofferinhalt einer kritischen Prüfung. »Fünf Shirts? Drei Hosen? Und dann auch noch den ganzen Kosmetikkram? Willst du zelten oder umziehen, Lena?«

Die Angesprochene war total überrumpelt. »Äh ...«

»Hier. Lass mich mal.«

Karla nahm den Koffer und schüttete den gesamten Inhalt auf Lenas Bett. Dann griff sie in den Wust aus Klamotten, zog ein Shirt und eine lange Hose heraus und deutete zuletzt auf Lenas leichte Sommerjacke, die an der Tür hin.

»So. Das genügt völlig. Natur pur ist angesagt, schon vergessen? Wir brauchen nichts. Und jetzt komm, bevor euer Hausmeister meine Birne abschleppen lässt, weil sie seine Einfahrt blockiert.«

Die Birne war Karlas geliebter alter Golf. Sie hatte das beulenreiche Gefährt von ihrem großen Bruder übernommen, als dieser nach Japan auswanderte, und fuhr es mit absoluter Leidenschaft. Lena sah es am Straßenrand, als sie mit Karla – und mit erschreckend leichtem Gepäck – aus dem Wohnheim trat.

»Das Zelt ist schon im Kofferraum?«, fragte sie zögernd.

»Na klar. Zelt, Isomatten, die Schlafsäcke.« Karl lachte. »Ich hab sogar eine Kühlbox mit Proviant dabei. Hauptsächlich flüssiger Proviant, versteht sich. Falls die Natur uns nicht von sich aus becirct, trinken wir sie uns eben schön.«

Sie stiegen ein. Lena wusste genau, wen sie becircen wollte. Aber sie schwieg, wenigstens jetzt noch.

Die Fahrt verlief entspannt, bis zur Autobahnausfahrt. Nach gut zwei Stunden erreichten die Freundinnen die Eifel und verfuhren sich schon auf der erstbesten Landstraße.

»Wie soll man sich hier auch orientieren?«, schimpfte Karla. »Überall Felder und Wiesen und winzige Käffer mit maximal fünf Häusern.«

»Na ja, eher zehn«, meinte Lena.

»Das macht's nicht besser.«

Sie alberten herum, und es tat gut. Lena öffnete die Online-Landkarte auf ihrem Handy und gab gleich wieder auf. Der Empfang war tatsächlich unterirdisch. Sie mussten sich also auf Straßenschilder verlassen. Von denen gab es allerdings nur wenige.

»Der Eifler an sich kennt sich wohl ohnehin aus«, sagte Karla. »Und wer von außerhalb kommt, ist dem egal.«

Trotzdem hielt sie an einer Ortsausfahrt an, wo ihnen ein Passant begegnete.

»Entschuldigung? Wir suchen den Kartfels. Da soll's einen Zeltplatz geben ...«

Der Mann – ein tumber Geselle mit grauem Gesicht und schmutziger Latzhose – hob die Brauen. »Wat wollense denn da?«, fragte er ungläubig. »Um die Zeit würd ich dat lassn. Dat jefällt dem sicher net, wennse da zelten.«

Lena wusste nicht, was sie mehr amüsierte: der eigenwillige Dialekt oder die unverhohlene Warnung, die in den Worten des Mannes lag. Der erlaubt sich einen Spaß mit uns, hm?

»Wen meinen Sie?«, fragte Karla. »Meines Wissens hat der Platz keinen Besitzer.«

»Wat? Nee. Da kann zelten, wer immer et will.« Der Mann kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. »Aber dem Dunklen jefällt dat net. Der will keinen Besuch.« Dann zeigte er ihnen den Weg.

»Was war das denn für ein Scherzbold?«, murmelte Karla und fuhr weiter.

»Wie in einem alten Horrorfilm, meinst du nicht auch?«, amüsierte sich Lena. »Die Einheimischen warnen die Teenager vor der Gefahr, aber die Teenager hören nicht zu.«

»Der Dunkle«, wiederholte Karla spöttisch. »Ein bisschen origineller hätte Freund Hohlkopf aber schon sein dürfen. Was soll einen denn daran gruseln, hm?«

Sie erreichten eine Wiese am Fuß des Felsens. Obwohl das Gelände als Zeltplatz ausgewiesen war, hatten sie es für sich allein. Während Karla das Zelt aufbaute, sah Lena sich um.

Der Kartfels mit der darin befindlichen Kakushöhle war nahezu unberührte Natur. Der kleine Kiosk an seinem Fuß hatte geschlossen, und bis zur nächsten richtigen Ortschaft war es weit. Nur ein, zwei verlassen wirkende Aussiedlerhöfe flankierten das waldreiche Gelände in einigem Abstand.

»Sieht aus, als könnten wir ungehindert laut sein«, sagte Karla, als Lena zum Zelt zurückkehrte. »Schön, oder?«

»Ja«, antwortete Lena, und ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. »Echt schön.«

Verdammt, sie traute sich einfach nicht!

Seit Stunden saßen Lena und Karla nun schon am Lagerfeuer, und noch immer hatte Lena der Freundin nicht gestanden, was sie für sie empfand.

Ich bin doch kein feiges Huhn, tadelte sie sich. Raus damit, na los. Was soll schon passieren?

Die Nacht lag über der Eifel wie ein dunkles Tuch. Sterne funkelten am Himmel. Außer dem Prasseln des Feuers und dem gelegentlichen Heulen einer Eule drang absolut nichts an Lenas Ohren.

»Du, Karla«, begann sie schließlich.

Ihr Herz pochte wie wild. Was, wenn sie sich blamierte – ausgerechnet hier, fern der Heimat?

»Was hast du?«, erwiderte die Freundin. Sie reichte Lena die angebrochene Weinflasche. »Willst du noch einen Schluck?«

»Nee.« Lena winkte ab. »Eigentlich wollte ich ...«

Sie verstummte. Denn Karla riss plötzlich die Augen weit auf.

»Was ist das?«, keuchte die Publizistin. Sie deutete auf etwas in Lenas Rücken. »Großer Gott, was ...? Lena!«

Lena drehte sich um – und erschrak. Im Schein des Feuers konnte sie drei schlurfende Gestalten erkennen, mit abgerissenen Kleidern und eingefallenen Gesichtern. In den Augenhöhlen dieser Wesen schienen Höllenfeuer zu lodern, und ihre vor sich ausgestreckten Arme zuckten angriffslustig.

»Ist das ein Witz?«, murmelte sie.

Doch sie spürte, dass es keiner sein konnte. Instinktive Urängste erwachten hinter ihrer Stirn und bewiesen es ihr.

Denn weitere Gestalten erschienen. Sie kamen inzwischen aus allen Richtungen: aus dem Dickicht des nächtlichen Waldes und aus dem Tal des nahen Baches, aus den verwaisten Aussiedlerhöfen und aus dem Höhleneingang, der in den Fels des Kakusberges führte. Dorthin, wo ein grünes, unheimliches Licht zu flackern begann. Ein Licht, das krank wirkte und – daran hegte Lena keinen Zweifel – sicher auch krank machte.

Die vorderste Kreatur war fast am Feuer angekommen. Als sie den Mund öffnete, drangen dicke weiße Maden über ihre Lippen. Eine eitrige Wunde klaffte mitten in ihrer rechten Wange, und wo die linke Hand sein sollte, existierte nur noch ein schmutziger, verschorfter Stumpf.

Doch das Monstrum knurrte. Hungrig. Gnadenlos.

Einen Sekundenbruchteil später knurrten sie alle. Kehlige, gierige Laute hallten über die nächtliche Wiese. Sie ließen keinen Zweifel an dem, was ihre Verursacher wollten.

»Weg hier, Lena!«, rief Karla. Sie war aufgesprungen und kreidebleich geworden. »Schnell!«

Doch die parkende Birne war bereits von drei weiteren Ungeheuern in Menschengestalt umzingelt. Der Wagen bot ihnen keine Hilfe mehr.

Also rannten sie. Lena wusste nicht, wo sie hinlief oder was überhaupt geschah. Es war auch nicht wichtig. Sie mussten verschwinden, solange sie es noch konnten. Einzig und allein das zählte. Sie mussten zur Straße und darauf hoffen, dass ein Auto kam. Jemand, der helfen konnte.

»Hier entlang«, rief Karla. »Zu den Bäumen.«

Sie erreichten den Wald. Schon nach wenigen Metern zwischen den dunklen Bäumen verloren sie einander aus den Augen.

»Karla?«, rief Lena. Fragend sah sie sich um und fand doch nur Schwärze. »Wo bist du?«

Ihr Herz schlug bis zum Hals. Überall raschelte es, wisperte der Wind. Jeden Augenblick mochte eine Gefahr aus der Dunkelheit über sie herfallen, so kam es ihr vor. Und wo, zur Hölle, war Karla?

Hilflos stapfte sie durch die Finsternis, bis ...

Der Schrei war gellend und laut. Und er endete in einem kehligen Gurgeln!

Lena wirbelte herum und lief in die Richtung. Sie hatte die Stimme sofort erkannt. »Karla! Ich komme!«

Erst jetzt fiel ihr das Handy in ihrer Hosentasche wieder ein. Sie hatte sehr wohl Licht!

Mit zitternden Fingern zog sie das flache Gerät hervor und aktivierte die Taschenlampenfunktion. Einen Herzschlag später verfluchte sie sich dafür. Denn der Anblick dessen, was da keine drei Meter vor ihr lag, brannte sich ihr ins Gehirn – unauslöschbar wie eine Tätowierung.

Karla Warnke war über eine Wurzel gestolpert und lag blutend am Boden. Direkt über ihr kauerten zwei Monster – abgewetzte, verzehrte Gestalten mit eingefallenen Gesichtern und lodernd hellen Augenhöhlen.

Dämonen!

Karla war benommen vom Sturz, aber nicht ohnmächtig. Sie begriff, was gleich mit ihr geschehen würde.

Die Kreaturen packten ihren wehrlosen Leib mit ihren kalten, klauenartigen Händen. Sie öffneten die Münder – weiter, als es menschenmöglich schien.

Und Karla Warnke schrie erneut!

Gegenwart

Der Aussiedlerhof lag links des Kartfelsens und am anderen Ende des Wäldchens. Berthold Backes hieß sein Besitzer, und der pensionierte Landwirt lebte bereits seit seiner Geburt hier. Auch in dieser Nacht plagte ihn wieder die Blase.

»Verfluchtes Alter«, schimpfte der Rentner, als er in Hausschuhen und Unterhemd die leise knarrende Treppe hinunterging. »Jede Nacht dieselbe Leier.«

Warum, in aller Welt, befand sich die Toilette eigentlich im Erdgeschoss? Wenn das so weiterging mit der senilen Bettflucht, würde er in ein Nachttöpfchen machen müssen wie weiland seine Großeltern. Diese ständigen Treppenab- und –aufstiege im Halbschlaf waren jedenfalls kein Zustand.

Backes durchquerte gerade den schmalen Hausflur, als er eine Bewegung draußen im Hof bemerkte. Irgendjemand schlich da um seine alte Scheune herum! Im Fenster sah er es genau.

»Na warte«, knurrte der Alte.

Er griff sich einen besonders stabilen Regenschirm aus dem Behälter neben der Haustür. Dann trat er ins Freie. Der Druck auf seiner Blase war vergessen, wenigstens für den Moment.

»He!«, rief Backes. »Wer ist da? Wenn ich euch erwische, ihr Lausebengel!«

Nachtkälte schlug ihm entgegen, und mit einem Mal kam er sich schrecklich verwundbar vor. In Pantoffeln und Unterwäsche stand er da und starrte ins Dunkel.

Nichts rührte sich.

Oder?

Da! Eine Bewegung in den Schatten. Irgendetwas kam direkt auf ihn zu – schnell!

Backes bekam es mit der Angst zu tun. Dieser dunkle Schemen trieb ihm die Furcht in seine alten Knochen. Ruckartig riss er den behelfsmäßigen Prügel hoch und hielt sich den freien Arm abwehrend vors Gesicht.

»Keinen Schritt weiter!«, rief er. »Ich schlage sonst zu und ...«

Dann verstummte er. Denn was da aus den Schatten trat, war gar kein Halbstarker aus dem nahen Dorf, der sich in Backes' Scheune bedienen wollte, sondern eine blutüberströmte Frau.

Sie war jung, maximal Mitte zwanzig. Gras und dünne Zweige hingen in ihrem rotblonden Haar, und die Lider ihrer grünen Augen zuckten nervös. Das dünne Shirt auf ihren Schultern war an mehreren Stellen zerrissen – fast wirkte es, als hätten Raubtierklauen es zerfetzen wollen. In ihrem bleichen Gesicht sowie auf den Unterarmen klafften offene, längliche Wunden. Außerdem zitterte sie.

»Majuhsebetter!*«, rief Backes. »W...wer sind Sie?«

Die Angesprochene antwortete nicht. Sie reagierte sogar fast gar nicht und stand einfach nur da. Ihr Blick ging ins Leere und an Backes vorbei. Erst jetzt bemerkte der Rentner, dass ihr ein Schuh fehlte. Beide Knie unterhalb der kurzen dunklen Jeans waren aufgescheuert. Und kam ihm das nur so vor, oder erinnerten die halbkreisförmigen Verletzungen an ihren Unterschenkeln an Bissspuren?

Du fantasierst, tadelte er sich. Dabei ließ er den Schirm achtlos fallen. Wer sollte so ein junges Ding schon beißen? Das sieht nicht aus, als wäre es ein Hund gewesen. Eher wie ...

Mit einem Mal begriff er. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube.

»Nein«, keuchte der Alte. »Das ... das kann nicht sein.«

Doch die junge Frau stand direkt vor ihm, sichtlich traumatisiert. Und sie blutete.

»Komm, Mädchen«, sagte Berthold Backes. Sanft nahm er die Fremde an der Hand und führte sie zur offenen Haustür. »Ist schon gut. Ich weiß. Du bist jetzt in Sicherheit, hörst du? Ich kümmere mich um alles.«

Doch war sie das wirklich: in Sicherheit? Backes wusste es nicht. Als sie im Haus angekommen waren, schloss der die Tür hinter sich und verriegelte sie. Dann sah er erneut aus dem Fenster und vergewisserte sich, dass niemand der jungen Frau zu seinem Hof gefolgt war. Erst danach griff er zum Telefon und rief einen Krankenwagen.

Es dauerte nicht lange, bis die Mediziner eintrafen. Sie übernahmen die junge Frau, die noch immer kein Wort gesagt hatte, und fuhren sie fort. Backes sah dem Rettungswagen nach, bis seine Lichter in der Nacht verschwanden.

Dann ging er zurück ins Bett, blickte zur dunklen Zimmerdecke und tat, was er seit Kindertagen nicht mehr getan hatte: Er sprach ein Gebet.

Kira Delling schloss genervt die Augen. »Ich versichere Ihnen, da will Sie jemand über den Tisch ziehen«, wiederholte sie.

»Was?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang nicht gerade überzeugt. »Aber Tante Erika ist doch tot. Und dieser Marcel sagt, er könne mit Toten reden. Er habe mit ihr gesprochen – direkt mit ihr persönlich. Er sagt, sie habe eine wichtige Botschaft für uns. Eine wichtige Botschaft, Frau Delling!«

»Mhm.« Frustriert massierte sie sich die Nasenwurzel. Manche Klienten nahmen einfach keine Vernunft an – nicht einmal, wenn sie kurz vor dem Abgrund standen. »Und was will er Ihnen in Rechnung stellen, bevor er sie Ihnen mitteilt? Fünfhundert Euro? Oder gleich tausend?«

»Z...zweitausend«, gestand der Mann am Telefon. »Aber das geht Sie nun wirklich nichts an.«

Delling öffnete die Augen wieder. Fassungslos ließ sie den Blick durch ihr staubiges kleines Büro schweifen, doch da war niemand, der ihre Entrüstung mit ihr teilen konnte.

»Herr Schönborn«, sagte sie, »jetzt nehmen Sie doch Vernunft an. Dieser Marcel kann so wenig mit Toten sprechen wie Sie und ich. Was er aber sehr wohl kann, ist Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche ziehen.«

»Und das wissen Sie, weil ...?«, hakte ihr Gesprächspartner nach. Er klang nicht allzu überzeugt. Eher schon aggressiv. »Haben Sie ihn überprüft? Während wir hier sprechen?«

»Das muss ich gar nicht erst«, versicherte sie. »Ich weiß auch so, dass er Sie belügt.«

»Pff.« Schönborn grunzte pikiert. »Wissen Sie, was ich weiß? Dass Sie sich angegriffen fühlen. Dass Sie es einfach nicht ertragen, dass es noch einen Menschen in Mainz gibt, der mit den Mächten des Übernatürlichen in Kontakt steht. Sie sind neidisch auf Marcel und wollen ihn mir deswegen madig machen. Aber da sind Sie bei mir an der falschen Adresse, hören Sie? Ich glaube dem richtigen Experten, Sie falsche Vettel!«

Klick.

Schönborn legte auf, ohne dass Delling noch etwas erwidern konnte.

»Wen willst du hier überzeugen, du Schwachmat?«, murmelte sie, den tutenden Hörer in der Hand. »Du hast mich angerufen, schon vergessen?«

Kira Delling hasste Gespräche wie dieses. Sie häuften sich zum Glück nicht, aber sie waren auch keine Seltenheit. Seit sie vor einigen Jahren diesen seltsamen Fall mit den Magiern von Mainz lösen musste*, verirrten sich immer mal wieder irgendwelche Spinner in ihr Büro in der Mainzer Neustadt oder eben an ihren Telefonanschluss. Männer und Frauen, die sie für bewandert hielten, wenn es darum ging, seltsamen Spukphänomenen auf den Zahn zu fühlen. Menschen, die von ihr erwarteten, die ein oder andere Séance abzuhalten.

Dabei war Delling kein bisschen begabt in übersinnlichen Dingen. Seit dem Abenteuer mit John Sinclair und Suko von Scotland Yard hatte sie die Nase auch voll von Geistergeschichten. Sie hegte kein Interesse an weiteren, vielen Dank. Und in aller Regel ließen sich die »Fälle«, die die Spinner ihr antrugen, auch ohne Mühe als Missverständnisse oder perfide Bauernfängerei enttarnen.

Einmal hatte sie einen rheinhessischen Winzer davon überzeugen müssen, dass die Gestalt, die er des Nachts in seinem Weinberg heulen hörte, kein Geist war, sondern nur ein streunender Hund. Der Winzer hatte es erst glauben wollen, als sie sich gemeinsam auf die Lauer legten und den Köter auf frischer Tat ertappten.