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Bei Johnny Bonk steht die Welt in einer Woche zwei Mal Kopf, geht drei Mal unter und wird vier Mal gerettet. Seine Mutter arbeitet neuerdings als Produkttesterin für Nahrungsmittel und terrorisiert ihre Familie unbeabsichtigt mit den schrecklichsten Gerichten. Johnnys Vater ist Geschichtsprofessor und forscht über Werkzeuge in der Steinzeit und demoliert bei seinen Renovierungsprojekten Stück für Stück das ganze Haus. Als dann auch noch Johnnys bester Freund Luis, genannt Rocketboy, eine Invasion von Außerirdischen entdeckt haben will, von der auch Johnnys Familie betroffen sein soll, bricht endgültig Chaos aus. Und da ist die Woche noch nicht einmal zur Hälfte rum.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Für G.
„Ich hab’s ja gewusst: Es gibt sie wirklich!“, flüstert Luis mir zu. Er kippt dabei fast vom Stuhl, so weit beugt er sich zu mir herüber.
„Was gibt es wirklich?“, frage ich leise zurück.
„Außerirdische!“ Luis’ Lippen berühren mein Ohr.
„He, Luis, nicht so feucht“, murmele ich und wische mein Ohr mit dem Ärmel ab. Luis ist mein bester Freund. Aber am Ohr lutschen muss er mir ja deshalb noch lange nicht.
Völlig unbeirrt schlabbert Luis mich weiter an: „Ich meine, guck sie dir an, Johnny. Eindeutig extraterrestrisch.“ Er wirft einen Blick in die Runde. „Rocketboy“, wispert er. „Nenn mich Rocketboy.“
Luis wechselt seine Interessen wie andere Leute ihre Unterhosen. Erst letzte Woche wollte er noch Ozeanforscher werden. Er nannte sich Aquaman und alles war ozeanisch. Seit ein paar Tagen allerdings lautet sein offizieller Spitzname Rocketboy. Sein aktueller Berufswunsch ist Astronaut und ‚extraterrestrisch‘ sein neues Lieblingswort.
Mit „sie“ meint er in diesem Fall übrigens meine Eltern und Hannah, meine fünf Jahre ältere Schwester.
Es ist Mittagszeit und wir alle sitzen gemeinsam am Küchentisch.
Mama strahlt in die Runde und schwingt ihren Kochlöffel. „Stellt euch vor, ich habe eine ganze Kiste mit Gemüse-Grünkern-Hafer-Bratlingen zum Testen bekommen. Sehen die nicht lecker aus? Und so gesund!“
Entsetzt starre ich auf die drei bräunlichen Haufen, die sie mir auf den Teller geschaufelt hat.
Ich bin ja schon einiges gewohnt, seit meine Mutter Produkttesterin geworden ist. Erst letztens mussten wir drei Tage hintereinander rosarote Feenkuchen-Backmischungen essen. Mir klebte noch tagelang die Zunge am Gaumen, so süß war das Zeug. Und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob die sogenannten Feenflügel, die man zur Zierde darauf kleben sollte, wirklich essbar waren.
Über das neue Frühstücksmüsli möchte ich gar nicht erst reden. Selbst Mama weiß nicht, was diese kleinen gelben und schwarzen Kügelchen darin sind.
Aber kackbraune Klopse mit grünen Stückchen? Das geht eindeutig zu weit. Bei anderen Leuten gibt es Sonntagsbraten. Bei uns gibt es außerirdische Sonntags-Klopse!
Luis spricht aus, was ich denke: „So was isst doch kein Mensch“, raunt er mir zu. Er spießt einen braunen Klops auf seine Gabel und hält ihn hoch.
„Guten Appetit“, flötet Mama.
Hannah schiebt sich einen Bissen in den Mund. Ich beobachte sie von der Seite.
Sie kaut.
Ich warte.
„Hm, gar nicht schlecht“, nuschelt sie mit vollem Mund. „Kernig. Und gemüsig. Lecker!“
Klar! Was habe ich auch erwartet von jemandem, der Rosenkohlsuppe und Artischocken zu seinen Leibgerichten zählt?
Und Papa? Dem kann man sowieso alles vorsetzen. Bei den Feenkuchen hat er nicht mal mit der Wimper gezuckt. Jetzt verschlingt er gerade einen ganzen Klops in einem Stück und brummt zufrieden. Dabei klebt sein Blick auf einem Büchlein, das aufgeschlagen neben seinem Teller liegt. Es ist die Bedienungsanleitung für seine neue Schlagbohrmaschine. Papa ist Professor für Geschichte an der Universität. Aber seit er ein Forschungssemester eingelegt hat, um eine Arbeit über die Werkzeugnutzung der Neandertaler zu schreiben, hat er einen Werkzeugfimmel entwickelt. Und anstatt zu schreiben, verbringt er seine Zeit entweder im Baumarkt, um Werkzeug zu kaufen, oder hier zu Hause, um es zu benutzen. Er sagt, er könne nicht immer nur am Computer sitzen und Bücher wälzen, nein, er müsse etwas Richtiges tun.
Unser Haus wird immer mehr zur Baustelle.
Papa nennt das Instandsetzung.
Mama nennt es Selbstverwirklichung.
Ich nenne es Zerstörung.
Luis grinst. Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen und wippt mit dem Kopf auf und ab.
„Siehste“, haucht er in mein Ohr. „Absolut extraterrestrisch.“
„Und was ist mit mir?“, frage ich. „Wenn die alle außerirdisch sind, dann muss ich es ja auch sein.“
„Tarnung“, erwidert Luis. „Du bist nur Tarnung. Und Forschungsobjekt.“ Er nickt vor sich hin. „Terrestrisches Forschungsobjekt“, wiederholt er leise. „Ich habe da so eine Theorie. Erzähl ich dir später.“ Laut sagt er: „Sehr lecker, Frau Bonk. Danke, dass ich mitessen darf.“
Er macht Kaubewegungen, während Mama „oh, ist mir ein Vergnügen, Luis, sehr nett von dir“ gurrt. Dann breitet Luis seine Serviette auf den Knien aus und lässt einen Bratling in seinen Schoß plumpsen. Einen Augenblick später hält er das Ding unter den Tisch. Ich höre ein leises Schnappen. Luis zwinkert mir zu. Ich lächle ihn an und schiele unter den Tisch.
Da liegt Apollo, Luis’ Hund. Eigentlich ist das der Hund seiner Mutter. Aber seitdem Luis’ kleine Schwester Adele geboren wurde, hat seine Mutter kaum noch Zeit, mit dem Hund spazieren zu gehen. Deshalb kümmert sich jetzt hauptsächlich Luis um ihn. Und wenn von den Anwesenden jemand außerirdisch aussieht, dann ist das auf jeden Fall Apollo. Apollo ist eine Promenadenmischung. So klein, dass er in jede Damenhandtasche passt. Er hat riesige Augen, die viel zu groß für sein Gesicht sind. Seine Ohren sind abstehende Dreiecke, an deren Enden ein paar lange Haare in die Höhe ragen. Seine Körperhaare hingegen sind so kurz, dass man meinen könnte, er sei nackt. Und Apollos Schwanz erst! Der ist der Grund, warum er gelegentlich für eine Riesenratte gehalten wird. Apollo ist auf jeden Fall das hässlichste Tier, das ich jemals gesehen habe.
Es dauert nicht lange und Luis’ Teller ist leer. Jetzt bin ich dran. Ich lege meine Serviette auf den Schoß und mache Kaubewegungen. Luis guckt mich von der Seite an. Ich kann regelrecht spüren, wie er mit seinen Augenbrauen wackelt, und muss kichern. Kichern und Trockenkauen regt vielleicht die Speichelproduktion an! Prompt verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke und bekomme einen Hustenanfall.
Luis klopft mir auf den Rücken. Dabei fällt die Serviette auf den Boden. Als ich sie aufhebe, sehe ich gerade noch Apollos Hinterteil mitsamt wippendem Rattenschwanz aus der Küchentür verschwinden.
Alle starren mich an.
Alle sind mit dem Essen fertig.
Nur auf meinem Teller liegen sie noch: drei außerirdische Klopse!
„Johnny, mein Schatz“, fragt Mama, „schmeckt es dir etwa nicht?“
Dabei schaut sie mich mit ihren großen Augen an. Es ist ihr Schmeckt-dir-mein-mit-Liebe-zubereitetes-Essen-etwa-nicht-Blick, der mir augenblicklich ein schlechtes Gewissen macht.
„Doch, doch“, versichere ich ihr, „aber ich, äh …“, schnell lege ich meine Hände auf den Bauch und verziehe mein Gesicht, „ich habe Bauchschmerzen.“
„Ach, Schätzchen, dann leg dich ruhig hin. Ich mache dir einen leckeren Tee“, sagt Mama und mein Gewissen wird noch ein wenig schlechter.
Sie steht auf und fängt an im Küchenschrank herumzukramen. „Ich hatte doch letzte Woche erst diesen Tee getestet, der gegen allerlei Beschwerden …“
Luis packt mich am Arm und zieht mich aus der Küche. In meinem Zimmer setzen wir uns aufs Bett.
„Also“, beginnt Luis, „die Sache ist doch klar. Deine Familie ist hier auf der Erde, um die Menschheit zu erforschen.“
„Aha“, murmele ich und überlege, wie ich an etwas Essbares herankomme, ohne dass Mama es merkt.
„Dein Vater“, fährt Luis fort, „oder Historyman, wie ich ihn nenne, studiert die Geschichte der Menschheit. Deine Mutter …“
„Was, kein Spitzname?“, unterbreche ich ihn.
„Doch, doch“, murmelt Luis, „deine Mutter, oder besser gesagt die Checkerin, checkt unsere Produkte aus.“
„Ausgerechnet unsere Lebensmittel“, seufze ich, „sinnvoller wäre ja, wenn sie unsere Technologie erforschen würde, oder? Smartphones, Notebooks, Taschenlampen.“
Luis zuckt mit den Schultern. „Kommt bestimmt noch“, meint er. „Außerdem will deine Schwester, also Aliengirl“, Luis zwinkert mir zu, „nach der Schule Journalistik studieren. Damit kann sie dann später ihre Artgenossen im All auf dem Laufenden halten, als eine Art Auslandskorrespondentin. Eben nur von einem anderen Planeten.“
„Du glaubst also“, hake ich nach, „dass meine Eltern mich adoptiert haben, um die Menschheit zu enträtseln?“
„Na klar.“ Luis kichert. „Die Alternative wäre ja viel schlimmer.“
„Was denn für eine Alternative?“
„Na, wenn deine Eltern keine extraterrestrischen Wesen sind, dann haben sie einen Knall. Und so was ist auf jeden Fall vererbbar.“
Ich schnappe mir das Kopfkissen und werfe es nach Luis. Prustend duckt er sich und kugelt vom Bett. Wir lachen wie zwei Hyänen mit Schluckauf. Luis will das Kissen gerade zurückpfeffern, da geht die Tür auf und Mama kommt herein. Sie stellt mir eine Tasse mit einer hellgelben, stinkenden Flüssigkeit auf den Nachttisch. Schnell verwandele ich mein Lachen in eine Leidensmiene inklusive tragischem Stöhnen.
„Das wird dir guttun“, säuselt sie und verschwindet wieder. Apollo winselt und kratzt an der Tür.
„Ich glaube, er muss mal.“ Luis steht auf. „Sollte sowieso nach Hause. Bis morgen, wir sehen uns in der Schule.“
Luis schlägt die Tür hinter sich zu.
Gerade als ich überlege, ob ich die eklige Brühe von Mama einfach aus dem Fenster kippen soll, klingelt es unten an der Haustür. Wahrscheinlich ist Luis noch was Wichtiges zu seiner Theorie eingefallen.
Ich renne los, aber Hannah ist schneller. Als ich die Trillerpfeifenstimme höre, mache ich eine Vollbremsung und schleiche schnell ein paar Schritte rückwärts. Dabei stolpere ich über einen Karton mit Badezimmerfliesen und falle auf den Hintern. Ich beiße mir in den Unterarm, um nicht laut zu brüllen, und starre auf den Karton. Hilfe, was hat Papa jetzt schon wieder vor?
„Wo ist dieser Junge mit seiner Riesenratte?“, keift da die Trillerpfeifenstimme. Unverkennbar: unsere Nachbarin Frau Fuhrmann. Oder, wie wir sie nennen, die Furie. Den Namen hat natürlich Luis erfunden. Luis hat für alles und jeden einen Spitznamen.
„Sie meinen Luis und seinen Hund?“, höre ich meine Schwester seelenruhig nachfragen.
„Genau den“, schreit Frau Fuhrmann.
„Ist gerade gegangen“, erwidert Hannah.
„Das habe ich wohl gesehen!“ Die Furie ist völlig außer sich. „Hol deinen Bruder. Dann muss er eben die Sauerei wegmachen.“
„Worum geht es denn, Frau Fuhrmann?“
Ich bewundere meine Schwester. Sie bleibt völlig gelassen.
„Ich sag dir, wovon ich spreche, Schätzchen!“ Die Stimme der Furie überschlägt sich fast. „Dieses kleine Hundemonster hat gerade genau vor mein Gartentor gekotzt!“
„Johnny“, ruft Hannah. „Komm mal!“
Panisch blicke ich mich im Flur um. Wohin? Ich muss mich verstecken. Ich habe nicht die geringste Lust, Apollos außerirdische Klopskotze wegzumachen.
„Johooonny!“ Hannah kommt näher.
Außerdem, Apollo ist schließlich nicht mein Hund. Es ist auch nicht mein Gartentor und überhaupt, wieso immer ich?
„Johnny Bonk“, schrillt es von der Haustür. Als hätte die Furie meine Gedanken gelesen, schreit sie: „Komm sofort raus. Sonst haltet ihr zwei doch auch zusammen wie Pech und Schwefel, du und dein toller Freund. Wie Zwillinge! Da kannst du ruhig mal seinen Dreck wegmachen.“
Zwillinge? Ich glaube, ich spinne. Unterschiedlicher können zwei Typen gar nicht aussehen. An mir ist alles hell: Haut, Haare, Augen. Im Prinzip bin ich so blass wie Vanillejoghurt. Luis hat schwarze Haare und dunkle Augen wie sein italienischer Vater. Und im Sommer schimmert seine Haut wie Bronze. Meine hingegen schimmert gar nicht, sondern glüht nur knallrosa, wenn ich mich nicht alle 15 Minuten mit Sonnencreme einkleistere.