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„Ciao Bella!“ Zwei kleine Worte, die ein Leben verändern ... In diesem Buch finden Sie Geschichten aus Johnnys geheimnisvoller Welt. Geschichten zum Lachen oder Weinen, zum Nachdenken oder Träumen. Es sind Geschichten, die das Leben schrieb. Sie sind wahr und doch erfunden. Urteilen Sie selbst ....
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Seitenzahl: 216
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Ingeborg Münch
JOHNNYSERZÄHLUNGEN
Books on Demand
WÄHREND ICH AN EINEM REGAL
MIT PLÜSCHTIEREN VORBEI GING,
HÖRTE ICH PLÖTZLICH HINTER MIR
EINE STIMME.
DIESE STIMME SAGTE:
”CIAO BELLA.”
DAS KLANG SO SEHR NACH ITALIENER,
DASS ICH MICH SPONTAN UMSAH.
ABER HINTER MIR WAR NIEMAND.
ICH BLICKTE NACH LINKS.
LINKSHÄNDER GUCKEN IMMER ZUERST
NACH LINKS…
Johnny … mein ganz besonderer Freund
Johnnys Wintermärchen
Auf dem Schiff „Mein bester Freund, seine Lädi und ich“
Briefe von Toffie
Aus dem Leben eines vier Monate alten Kaninchens
Aus dem Leben eines zehn Monate alten Kaninchens
Aus dem Leben eines vier Jahre alten Kaninchens
Bruno und der olle Geier Hansen
Cleopatras Dream
Da steh ich nun … (Ein-Frau-Stück)
Das ist die Geschichte von Schneewittchen und den sieben Zwergen und was passieren kann, wenn man als Kind beim Märchenerzählen nicht richtig aufgepasst und aus Märchen nichts gelernt hat
Das offene Fenster
Die Prophezeiung
Espresso, Amore mio?
Freitag, der 13.
Abschied eines Sterbenden
Heimweh nach dem Brunsbütteler Wasserturm
Weihnachten 1995
Die Garage
König Grizzly, Rama und Ramina
Morgens Frust und mittags Zweifel, abends essen in der Eifel
Münchhausen und sein treuer Page
Der große rote Omnibus, Onkel Sam und viele Kinder
P.S. Ich habe mein Eldorado gefunden …
Die Geschichte vom Sarotti-Mohr
Sie nannten ihn Bär
Sitz ordentlich, Kind!
Spuk im Marner Skatclubmuseum
Die Rettung
Wenn einer siebzig Jahre alt ist, hat er zehn Jahre Montage erlebt
„Meine“ Fünffingerlinde
Die Todesanzeige
Besuch in der Klinik
Heute ist Sonntag, ein ganz besonderer Sonntag. Denn es ist ein 29. Februar. Eigentlich ein schöner Sonntag. Es ist nachmittags um vierzehn Uhr fünfzig.
Es liegt feiner, weißer Schnee und die Sonne scheint, so als wollte sie sagen: "He Leute, Frühling in Sicht."
Da sticht mich der Hafer. Ich hole meinen alten Strandkorb heraus und stelle ihn in die Sonne. Denn ich liebe die Sonne. Dann mache ich es mir mit einer dicken Decke und einem noch dickeren Eis und einer Illustrierten in dem Strandkorb gemütlich. Ich esse genüsslich mein Erdbeer-Schokolade-Cappucchino-Eis und blättere und lese in aller Ruhe in der Zeitschrift. Mir ist überhaupt nicht kalt. Im Gegenteil, es ist so kuschelig warm unter der Decke, dass ich mir einbilden könnte, es wäre gar nicht mehr Winter. Herrlich! Ich habe das Gefühl, ich könnte den Frühling schon riechen. Das Leben kann doch schön sein.
Da fällt mein Blick auf einen Schreibwettbewerb zum Thema "Freundschaft".
"He, das ist doch was für mich, da mach ich gleich mit", denke ich übermütig.
Denn normalerweise schüttele ich solche Geschichten aus dem Ärmel, schreibe sie sozusagen mit links.
Also räume ich alles wieder ein und mache mich gleich ans Werk.
Aber heute sitze ich vor meinem Computer und die Sonne geht langsam unter. Es wird dunkel und der leere Bildschirm grinst mich unverschämt an. Er zieht eine Fratze. Er lacht hämisch. Ich tippe Wörter und lösche sie, tippe und lösche. Wenn ich auf einer alten Schreibmaschine schreiben würde, läge jetzt wahrscheinlich der ganze Fußboden voll zerknülltem Papier. Ich habe das Gefühl, ich sei in meinem Sessel festgewachsen. Wahrscheinlich setze ich schon Spinnweben an und habe Schwielen am Hintern. Vielleicht sollte ich Stützstrümpfe anziehen, wie die Reisenden auf Langstreckenflügen. Sonst bekomme ich noch Thrombose.
Ach, wäre ich doch bloß in meinem Strandkorb geblieben und hätte lieber noch ein Eis gegessen!
Der Bildschirm bleibt leer. Die Zeiger der Uhr rennen erbarmungslos, sie scheinen vor mir wegzulaufen. Ich kann sie beinahe verstehen, denn weglaufen würde ich jetzt auch am liebsten. Mich verlässt nämlich der Mut. Hilfe, mein Gehirn ist leer!
Da höre ich hinter mir ein leises "taps, taps, taps". Es ist für mich ein allzu bekanntes Geräusch. Das ist das Geräusch, das entsteht, wenn kleine nackte Pfoten auf den Teppichboden treffen.
Dann höre ich Geraschel und schon spüre ich eine kleine vertraute Pfote auf meiner Schulter und höre nichts weiter als ein: "Na, ich denke, ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht." Ich drehe mich um. Es ist Johnny. Er ist auf den Schreibtisch geklettert und schaut mir jetzt über die Schulter, und ich sehe in sein vertrautes Gesicht.
Johnny ist ein kleiner, immerhin fünfundvierzig Zentimeter großer Teddybär.
"Neunundvierzig Zentimeter bitte. Mache mich doch nicht immer kleiner als ich bin. Ich sag ja auch nicht, du wärest einhundertfünfundfünfzig Zentimeter."
"Entschuldigung, neunundvierzig Zentimeter."
In dem Punkt ist er sehr eigen.
Wie schon erwähnt, Johnny ist ein Teddybär. Er hat ein kurzes, dichtes Fell, das eine Farbe hat wie Milchkaffee. Sein Kopf ist ziemlich rund und er hat zwei ganz niedliche Ohren.
"Natürlich zwei, wie viele denn sonst?", mischt Johnny sich ein.
Er hat eine dicke Nase mit einem dunkelbraunen Kreis in der Mitte. Links und rechts auf der Nase hat er je sechs Punkte, einer in der Mitte und fünf drum herum. Und sein Mund sieht aus, als würde er nach innen küssen. So wie das Kussmündchen von Wum und Wendelin, nur andersherum. Außerdem hat Johnny die schönsten dunkelbraunen Kulleraugen, die ich kenne. Wenn ich da hineinsiehe, kann ich glatt darin versinken. Auf der Stirn hat er eine senkrechte Falte. Sie ist tatsächlich senkrecht, nicht waagerecht.
Johnny sagt immer: "Die kommt vom vielen Denken."
"Du nimmst mich nicht ernst."
"Doch!", antworte ich und streiche über seine Stirn.
Er hat an seinen Pfoten vier Finger und vier Zehen.
"An jeder Pfote vier", unterbricht er mich.
Mein Bär ist ziemlich eitel, deswegen passt er ganz genau auf, was ich schreibe.
"Vergiss nicht zu schreiben, dass ich nicht nackt herumlaufe. Man weiß schließlich, was sich gehört. Außerdem ist es im Winter ganz schön kalt."
Vergaß ich zu erwähnen, dass er ein Fell hat, wie alle anderen Bären auch und deswegen gar nicht nackt sein kann? Jedenfalls trägt er eine blaue Jeans mit Latz, ein kariertes Hemd, eine weiße Schaffellweste und eine richtige Jungs unterhose. Die Weste ist natürlich nicht aus echtem Fell, sie sieht nur so aus.
"Musstest du das mit der Unterhose erwähnen? Ist doch ziemlich intim", sagt er und fügt hinzu: "Vergiss meine Armbanduhr nicht."
Ja, Johnny trägt tatsächlich eine Armbanduhr, mit Quarzwerk, Zeigern und LED-Anzeige.
"Und Datum. Los, erzähl von meinem SchweiZER-OffiZIERS-MeSSER."
Dabei macht er mit dem linken Bein eine Bewegung als wollte er zum Stechschritt ausholen. Außerdem betont er jeweils die zweite Silbe der Wörter besonders, sodass diese lauter und höher klingen. SchweiZER-OffiZIERS-MeSSER! Es ist schwer zu beschreiben, man muss es einfach von ihm hören.
Und er hat ein rotes Original-Schweizer-Taschenmesser in seiner Tasche, die vorne auf den Latz genäht ist. Wenn er wütend ist, holt er es heraus, klappt es aus, streckt sein linkes Bein nach vorne und sagt: Ich hab ein SchweiZER-OffiZIERS-MeSSER.
Und Johnny ist Linkspföter und … er spricht, aber nur mit mir. Das hat mich leider schon in peinliche Situationen gebracht. Ich habe ihm nämlich geantwortet und die anderen dachten, ich führe Selbstgespräche.
Johnny hat eine schöne melodische Stimme. Wenn er allerdings aufgeregt oder wütend ist, überschlägt sie sich manchmal.
"Wolltest du nicht Kaffee kochen?"
Er sieht mich an, und macht eine typische Pfotenbewegung, so als ob man ein Glas an den Mund führt.
"Und wie wäre es mit einem Cognac?", fügt er noch hinzu.
Johnny hat nämlich ein Laster. Er liebt Alkohol. Nein, Alkoholiker ist er nicht. Nur einmal hatte er einen Schwips. Als er zum ersten Mal Bier getrunken hat, war er ein wenig zu gierig. Danach hat sich alles in seinem Kopf gedreht und er hat furchtbar gelitten.
Außerdem mag er Kettensägen und kann Blut sehen. Trotzdem würde er nie rohes Fleisch essen, auch keine Steaks.
"Ich bin doch kein Barbar", entrüstet er sich sofort.
Und wahrscheinlich ist er der einzige Bär, der rot werden kann. Wenn er sich schämt, oder ihm etwas peinlich ist, wird er richtig verlegen, wie ein Mensch. Dann glüht seine dicke runde Nase. In solchen Momenten finde ich ihn immer besonders süß.
"Kaffee!", höre ich ihn ungeduldig werden.
Deshalb stehe ich auf, gehe in die Küche und koche mir, Pardon, uns, einen schönen starken Kaffee. Ein paar Vollkornkekse finde ich auch noch. Wenigstens etwas. Ich begebe mich zurück in die Höhle des Bären. Den Cognac lasse ich sicherheitshalber im Schrank. Johnny guckt beleidigt und beißt in einen Keks.
Warum ich plötzlich an "Die Feuerzangenbowle" denken muss, weiß ich auch nicht so genau. Das ist doch der Filmklassiker, in dem die Schüler Martin, Johnny und Matz mit ihrem Lehrer Justus Lernen zu einem Abenteuer machen und das Hohelied der Freundschaft singen. Und wo der Lehrer den berühmten Satz sagt: "Wat is'n Dampfmaschien? Da stelle mer uns ma janz dumm und saaren, en Dampfmaschien, dat is'ene jroße runde schwarze Raum. Un de jroße runde schwarze Raum, der hat zwei Löcher, dat eine Loch, da kömmt de Dampf erein un dat andere Loch, dat krieje mer später …"
An einen großen schwarzen Raum mit einem besonders großen schwarzen Loch in meinem Leben kann ich mich noch sehr gut erinnern.
Damals habe ich mich oft so gefühlt, als hätte mich das große schwarze Loch aufgesaugt und würde mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Aber es stieß mich nicht wieder hinaus, es hielt mich fest. Alles riss und zerrte an und in mir. Ich schwankte zwischen Ohnmacht, Wut und Verzweiflung. In meinem Kopf tobte ein Orkan. Ich hatte furchtbare Gedanken.
Nachts, wenn ich wach in meinem Bett lag, patrouillierten scharfe Rasierklingen über meinen Pulsadern auf und ab und ganze Blisterpackungen Tabletten mit grauenhaftem Geschmack öffneten sich von alleine und füllten große Wassergläser.
Die Papiertaschentuchindustrie erlebte durch mich einen neuen Aufschwung. Ich erwartete fast, dass deren Aktien stiegen.
Und ich hatte Rachegedanken, die so grausam waren, dass mir vor mir selber graute. Genüsslich stach ich zu, würgte und ohrfeigte. Dann wieder schämte ich mich für diese Gedanken und fasste, wie ich dachte, vernünftige Entschlüsse.
Stundenlang probte ich klärende Gespräche, die dann doch nie geführt wurden. Dann wieder schrieb ich E-Mails, in denen ich um die Beantwortung meiner Fragen bat, oder E-Mails, in denen ich einer gewissen Person die Freundschaft kündigte. Abgeschickt habe ich diese Zeilen nie.
Stattdessen hörte ich auf den Rat anderer und ich verhielt mich ruhig und gefasst, oder besser gesagt, ich bemühte mich. Das klappte aber nicht immer, denn ich litt wie ein Hund. Ich durchlitt fürchterliche Höllenqualen.
Und wenn Johnny nicht gewesen wäre, würde ich wahrscheinlich heute nicht hier sitzen.
Einmal, als ich mich nachts wieder mal schlaflos hin und her wälzte und mein Bett unter den Bergen nasser Taschentücher zusammenzubrechen drohte, war er es, der mich zum Lachen brachte. Er lag neben mir. Und normalerweise hasst er es, wenn ich ihn nachts aufwecke, weil ich mal wieder nicht schlafen kann. Schließlich braucht er seinen Schönheitsschlaf.
Da richtete er sich plötzlich auf, stützte sich auf seine linke Pfote und sagte ganz trocken: "Haste ihn dir eejentlich schon ma inne zu jroße Boxershorts mit Mickymäusen druff, vorjestellt? Mit seene Haare uffe Beene?"
Ich musste so doll lachen, dass ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckte und einen Hustenanfall bekam.
Aber Johnny hatte ja recht.
Das ist alles schon einige Jahre her. Diesen Exfreund habe ich überlebt. Er war es einfach nicht wert, dass ich seinetwegen so gelitten habe. Und noch weniger meine ehemals beste Freundin. Die beiden hatten nämlich ihre Gefühle füreinander entdeckt.
Heute sehe ich sie manchmal auf der Straße. Die Straßenseite wechsele ich ihretwegen schon lange nicht mehr. Im Gegenteil, wenn ich die zwei sehe, denke ich, dass mir einiges erspart geblieben ist, nicht nur an Gewicht.
Und wer auch immer damals zu mir gesagt hat: "Lass die beiden ziehen!", denjenigen könnte ich nachträglich küssen, er hatte ja so recht.
Ich glaube sogar, dass es mein Johnny war.
Was schon alles im Namen der Freundschaft angerichtet wurde! Leute, die vorgeben, jemandes Freund zu sein, meinen es nicht immer ehrlich.
Dazu fällt mir ein gewisser Judas Ischariot ein und sein Bruderkuss. Oder Sekten und deren Gurus, die sich ja alle so furchtbar lieb haben. Ganz zu schweigen von gewissen Politikern, die sich so gerne öffentlich geküsst haben, und deren Lieblingswort "Freundschaft" war, und die dann kalt lächelnd mit ihren "Freunden" Sibirien bevölkerten, und ihre anderen Freunde sogar durch eine hohe Mauer schützten. Ach ja, nicht zu vergessen die vielen Agenten, die ihren "besten Freunden" kleine Kameras schenkten, damit sie damit heimlich spannende Fotos für sie machen konnten.
Und wie oft sind gerade die sogenannten besten Freunde wie vom Erdboden verschluckt, wenn man in Not gerät und sie am dringendsten braucht?!
"Sei doch nicht immer so gefrustet", unterbricht Johnny mich, "du hast doch mich."
Da hat er allerdings recht.
Ich nehme ihn spontan in den Arm, was er natürlich gleich wieder ausnutzt.
"Duuu", so wie er das Du lang zieht, weiß ich gleich, was kommt. "Auf unsere Freundschaft könnten wir doch heute Abend anstoßen."
"Womit, mit Waldmeisterbrause?", necke ich ihn.
"Mannoo, das weißt du ganz genau."
Er stampft mit seinem kleinen Fuß energisch auf. Ich finde, man kann den Protest an der Intensität des dabei entstehenden Geräusches erkennen.
"Wir können es uns doch so richtig gemütlich machen, mit der Decke auf die Couch, was Leckeres zum Naschen und ein gaaanz klitzekleines Gläschen?"
Dabei sieht er mich wieder so süß an und zieht sein berühmtes Schnütchen.
"O.k. überredet, aber nur ein Glas."
Da bekomme ich einen ganz dicken feuchten Smack von ihm.
"Schlawiner."
Diesem Bären kann ich einfach nichts abschlagen und schon gar nicht böse sein. Das konnte ich noch nie.
Am 20. Oktober lebt er schon neunzehn Jahre bei mir. Wir feiern diesen Tag immer als seinen Geburtstag, weil wir ja nicht wirklich wissen, wann er geboren wurde.
Wir beide sagen immer: "geboren", weil er "fertiggestellt oder genäht" nicht mag. Was ich sehr gut verstehen kann.
Damals ging ich durch einen Spielzeugladen, weil ich ein Geschenk für meine kleine Nichte suchte. Während ich an einem Regal mit Plüschtieren vorbei ging, hörte ich plötzlich hinter mir eine Stimme.
Diese Stimme sagte: "Ciao Bella."
Das klang so sehr nach Italiener, dass ich mich spontan umsah. Aber hinter mir war niemand. Ich blickte nach links. Linkshänder gucken immer zuerst nach links.
Da fiel mein Blick auf ein ganzes Regal voll kleiner Bären, die alle gleich aussahen, alle mit Latzjeans und kariertem Hemd.
Und dazwischen saß ein kleiner milchkaffeefarbener Bär, der mir ein Äuglein kniff.
Peng!! Da war es um mich geschehen! Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich prustete los vor Lachen. Es war aber auch zu komisch. Da saß ein kleiner Stoffbär und machte mich an wie ein italienischer Macho. Und das mit Latzjeans und kariertem Hemd mit kurzen Puffärmeln. Aber sein Hemd war lässig aufgeknöpft, sodass man seine befellte Brust sehen konnte. Fehlte nur noch das Goldkettchen. Aber so was trägt er zum Glück nicht.
Johnny hat ein Faible fürs italienische. Das kommt, wie er immer behauptet, davon, dass seine Großmutter väterlicherseits aus einem kleinen Dorf in Piemont kam. Was sich natürlich besonders darin zeigt, dass er die kleinen Pralinen mit der echten Piemontkirsche zu jeder Tagesund Nachtzeit essen könnte. Wenn ich ihn ließe.
"Ciao Bella," sagt er heute noch zu mir.
Meistens, wenn ich einkaufen geh, dann möchte er nämlich etwas mitgebracht haben. Zum Beispiel was Spannendes, was Leckeres und was zum Spielen. Sagte ich schon, dass Johnny leidenschaftlich gerne Fernsehen guckt? Besonders Werbung liebt er. Da kann er sich immer köstlich amüsieren. Aber manchmal entdeckt er dabei leider auch etwas, das er gerne haben möchte.
Mein Bär fährt auch leidenschaftlich gerne Auto. Dann schnalle ich ihn auf dem Beifahrersitz an. Das erfordert immer einige anschnalltechnische Kunststücke, weil er eigentlich seiner Größe wegen auf einen Kindersitz gehört.
"Musst du das jetzt wieder erwähnen? Nur weil du Glück gehabt hast. Vier Zentimeter kleiner und du wärst die einzige Fahrerin mit Kindersitz", beschwert er sich sofort.
Er ist sichtlich beleidigt und schmollt.
"Sei doch nicht immer so empfindlich! War doch nicht so gemeint."
"Dann schreib es auch nicht."
"Für mich bist du doch der Größte. Das weißt du doch.
Und die paar Zentimeter, alles nur Äußerlichkeiten."
Johnny schnieft ganz laut.
"Darf ich jetzt weiterschreiben, oder soll ich es löschen?"
"Na gut, will ich mal nicht so sein. Aber ein Trostpflaster bräuchte ich schon."
Ich habe verstanden.
"In Ordnung, wie wäre es mit einer Überraschung?"
"Au ja, Überraschungen liebe ich. Soll ich dir einen kleinen Tipp geben?"
"Ich sagte Überraschung."
Ich weiß nämlich genau, was so ein Tipp von ihm heißt.
"Na gut. Aber nicht vergessen."
Er scheint versöhnt. Aber vergessen wird er es nicht. Er wird mich daran erinnern. Da bin ich mir sicher.
Wenn er dann angeschnallt ist, fahren wir los. Proviant dürfen wir übrigens nie vergessen. Denn kaum sind wir hinter der nächsten Kurve, hat er Hunger und Durst.
Wie gesagt, er fährt leidenschaftlich gerne mit dem Auto. Aber die Tatsache, dass er keinen Führerschein hat, hält ihn nicht davon ab, sich auf dem Beifahrersitz wie ein Macho zu benehmen.
"Fahr schneller", ist noch eine seiner harmlosesten Äußerungen.
"Was ist das für ein Landei da vorne? Frau am Steuer, Ungeheuer. Fahr nicht soweit rechts. Nun überhol doch endlich, da kommt heute kein Auto mehr. In die Parklücke käme ich dreimal rein, und so weiter, und so weiter."
Meist höre ich da gar nicht hin. Da sitzt neben mir ein kleines Wesen, kommt nicht mal mit den Füßen vom Sitz runter und spuckt große Töne.
Einmal hatten wir auf der Autobahn einen Unfall. Das kam so: Wir, das heißt ich, hatte einen wichtigen Termin. Ich hatte schon den ganzen Tag Kopfschmerzen, konnte aber nicht absagen. Und ich hatte es eilig. Plötzlich bremste das Auto vor mir, mitten auf der Überholspur. Ich weiß bis heute nicht warum. Es war nichts zu sehen. Jedenfalls habe ich zwar gebremst, aber es machte Bums und mein Auto war vorne kaputt. Eigentlich waren wir unschuldig. Aber wer auffährt, ist ja bekanntlich immer schuld.
Und ich in meinem Schreck sagte zu ihm: "Als Schutzengel hast du versagt. Wofür nehme ich dich eigentlich mit?" Johnny sagte keinen Mucks. Er war ganz blass.
Später tat mir das Ganze sehr leid. Und ich habe ihn ganz fest in den Arm genommen und mich entschuldigt.
Und als alles vorbei war, habe ich ihm als Entschädigung einen roten Pullover mit langen weiten Ärmeln und rote Schuhe gestrickt. Die Schuhe haben sogar Schnürsenkel.
Als er den Pullover zum ersten Mal trug, zog er den Ärmel über seine Pfote, sodass er wie eine Trompete aussah und machte: "Pöööööt."
Inzwischen haben wir ein neues Auto.
"Ein Suzuki Swift 1.3 GS mit Sportsitzen und 68 PS und in Rot wie mein Pullover!", ruft Johnny begeistert.
Er zwickt mich. "Los schreib das auf."
Johnny ist eben männlich.
"Mit einer italienischen Großmutter", mischt er sich ein.
Offensichtlich kann er auch noch meine Gedanken lesen. Denn an das italienische Temperament habe ich tatsächlich gerade gedacht.
Er nennt das Auto immer: "Il Suzi, mio automobile rosso piccolo."
Als er das zum ersten Mal sagte, war ich ganz überrascht.
"Du kannst ja italienisch."
Johnny scharrte unbeholfen mit den Zehen seines rechten Fußes über den Boden und guckte mich dabei ganz verlegen an. Dabei wurde er rot wie eine Piemontkirsche.
Als er sich wieder gefasst hatte, sagte er ganz vorwurfsvoll: "Hast du meine italienische Großmutter väterlicherseits vergessen?"
Eins zu null für Johnny.
Damals hatte er auch seinen roten Pullover an. Seitdem hat er den Spitznamen "Johnny Rötel".
Natürlich hätte er lieber ein gewisses rotes italienisches Auto gehabt. Aber das kann ich mir nun mal nicht leisten.
Eigentlich hätte Johnny ja Giovanni oder so heißen müssen. Er hat seinen Namen aber von Johnny Castle. Weil ich damals nämlich gerade "Dirty Dancing" gesehen habe. Mehrmals natürlich. Und für Patrick Swayze als Johnny Castle schmolz ich dahin. Ich war jedes Mal hin und weg und wünschte mir regelmäßig, ich wäre diese Baby. Und deshalb hat ein kleiner halbitalienischer Bär, der manchmal ein kleiner Macho ist, den Namen Johnny.
"Sag mal, weißt du eigentlich wie spät es ist?", unterbricht er mich, und zeigt mir demonstrativ sein rechtes Handgelenk mit seiner Uhr. Er trägt seine Uhr rechts, genau wie ich.
"Es ist gleich halb acht, und ich habe Hunger. Du nicht?", und ohne eine Antwort abzuwarten, redet er weiter. "Wie wäre es mit Pizza?"
"Pizza ist eine gute Idee. Ich mache uns welche. Thunfisch oder Hähnchen?"
"Thunfisch. Und können wir sie mit den Fingern essen, wie in den amerikanischen Filmen? Biiiitte."
"O.K. überredet."
Ich weiß, dass er das liebt. Machen wir aber nicht allzu oft, weil ich finde, Manieren müssen sein.
"Duuu", meldet sich Johnny wieder. "Da kommt doch jetzt der Film über die Grizzlys. Darf ich den gucken?"
"Meinetwegen."
Johnny klettert auf demselben Weg vom Tisch, auf dem er gekommen ist, und rennt los.
Während ich die Pizza in den Ofen schiebe, fällt mir etwas ein:
Ich werde Johnny zu seinem neunzehnten Geburtstag eine Italienreise schenken. In ein kleines Dorf in Piemont. Wir fahren mit dem Auto hin.
Und wer weiß? Vielleicht bleiben wir ja für immer da.
Denn ich liebe die Sonne und hier hält mich eh nichts mehr.
So kann nur ein einsamer Mensch reden?
Im Gegenteil!
Ich bin nicht einsam.
Schon 18 Jahre, 4 Monate und 9 Tage nicht mehr.
Denn ich habe JOHNNY!
Und wer einen Freund hat, braucht sich vor nichts zu fürchten!
Draußen hat es wieder angefangen zu schneien.
Und Johnny lächelt mich glücklich an.
Und ich bin glücklich.
Das Leben ist schön …
Denn ich habe einen ganz besonderen Freund …
So, so! Ein Wintermärchen soll es diesmal sein.
Wie fang ich denn da am besten an?
„Es war einmal“, oder „Es begab sich zu einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat“?
Was ist eigentlich ein Wintermärchen?
Manch einer würde sagen: eine weiße Landschaft mit in der Sonne glitzerndem Schnee, eine romantische Schlittenfahrt oder Après-Ski in den Bergen.
Kinder würden sagen: ein Märchen, wo ein Schneemann drin vorkommt, oder eine lustige Schneeballschlacht.
Kaum zu glauben, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist.
Und was hat sich in dieser Zeit in der Welt zum Positiven geändert? Immerhin hat Deutschland zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin. Und wir haben nach vierhundertachtzig Jahren wieder einen deutschen Papst. Aber ansonsten? Nichts!
Und da soll ich einen Aufsatz über ein Wintermärchen schreiben können?
Märchen, gibt es die in unserer modernen Zeit eigentlich noch? Gute Frage!
Wenn eine Bürgerliche von einem Prinzen geheiratet wird, dann sagt man: „Ein Märchen wird wahr“.
Aber, auch was mit einer Märchenhochzeit beginnt, endet heute nicht mehr automatisch mit dem Satz: „Und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende.“
Wenn ich da nur an die arme englische Prinzessin denke, die einmal Kindergärtnerin war.
So ein richtiges Märchen ist das ja auch nicht. Denn erstens war sie eine Kindergärtnerin aus reichem Haus und kein Aschenputtel, und zweitens hatte diese Geschichte, wie ja jeder weiß, kein wirkliches Happyend.
Und Märchen haben immer ein Happyend.
Sind die Romane der Hedwig Courths-Mahler Märchen oder die ganzen Berg-, Heimat- oder Arztromane?
Warum nicht?!
Märchen sind doch eigentlich in Erfüllung gegangene Sehnsüchte und Träume. Und wer hat die nicht? Ich habe eine Menge davon.
Nur leider warte ich immer noch auf deren Erfüllung.
Genau! Da haben wir doch den Kasus Knacktus! Märchen haben ein Happyend und Träume warten noch darauf. Aber manchmal gehen sie eben leider nicht in Erfüllung.
Nehmen wir zum Beispiel Martin Luther King und seine weltberühmte Rede, die er am 28. August 1963 auf den Stufen des Lincoln Memorial hielt.
Er sagt vor den zweihunderttausend Teilnehmern des Marsches auf Washington: „I have a dream“.
Dieser Satz ist Legende.
Martin Luther King hat die Verwirklichung seines Traumes nicht mehr erlebt, weil ein, ich behaupte: „Wahnsinniger“, ihn erschossen hat.
Und ich wage noch zwei ketzerische Fragen: Wo war Gott in diesem Moment? Hing er gerade seinen Träumen nach?
Die Träume Martin Luther Kings sind bis heute die Sehnsüchte einer Generation, die die Welt besser haben wollte. Aber was hat sich seitdem geändert? Eigentlich nicht viel. O.K. Diese damalige junge Generation hat heute graue Haare und die USA hat zum ersten Mal einen farbigen Präsidenten und eine farbige First Lady. Und die „Schwarzen“ dürfen inzwischen im Bus einen Sitzplatz haben. Aber es gibt immer noch Rassenhass, Glaubenskriege und Mauern in den Köpfen der Menschen.
King wünschte sich, dass alle, Schwarze und Weiße, Moslems und Christen, Linke und Rechte an einem „Tisch der Brüderlichkeit“ sitzen.
Mancherorts gibt es vereinzelt solche Tische.
So auch in unserer Familie, die seit Jahrzehnten mit einer Familie aus dem Osten befreundet ist. „Ost und West an einem Tisch“ war für uns schon Realität, als es dort noch Grenzanlagen und sozialistische Bruderküsse gab. Und heute, wo die Leute Wörter, wie zum Beispiel „Ossis“ und „Wessis“ benutzen, sitzen wir einfach an diesem Tisch, wie in alten Zeiten.
„Apropos, alte Zeiten, wolltest du nicht ein Wintermärchen schreiben?“, hörte ich plötzlich hinter meinem Stuhl die vertraute Stimme meines alten Freundes Johnny.
„Ja, schon, aber was bitte soll ich deiner Meinung nach schreiben?“, antwortete ich und drehte mich nach ihm um.
„Du musst was richtig Schmalziges schreiben. Du weißt schon, von der armen blonden Bettelprinzess, die ein reines, edles Gemüt hat. Und der Cousin dritten Grades, ein junger, gut aussehender Edelmann, verliebt sich gleich in sie. Es ist die große, leidenschaftliche Liebe auf den ersten Blick. Der Cousin kann sich aber gegen seine böse, dunkelhaarige Mutter, welche die Bettelprinzess durch eine gemeine Intrige um ihr Erbe gebracht hat, nicht wehren. Sagen wir mal, dass die leibliche Mutter der Bettelprinzessin traurigerweise bei der Geburt gestorben ist. Das ist in Märchen immer so. Und die Böse, die ist in Wirklichkeit nur eine Zofe bei Hofe gewesen. Doch sie ist intrigant bis in die schwarzen Haarspitzen.