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Jolanda, die Elfenprinzessin ist nach ihrem erlebten Abenteuer nach Eilisvors, ins Elfenland zurückgekehrt. Aber nichts ist mehr so wie es vorher war. Ihre Freundschaft zu Jakob, dem Waldelf hat sich verändert und scheint irgendwie belastet. Durch immer wiederkehrende Alpträume beunruhigt spürt sie, dass der Drache Oklamar in ernsthafter Gefahr ist. Als sie dann noch diese merkwürdige Drachenschuppe an ihrem Oberarm bemerkt, weiß sie, dass seltsame Dinge vor sich gehen. Während Jakob bei Aufräumarbeiten eine mysteriöse geheimnisvolle Kiste findet, folgt Jolanda einer Einladung von Mikeldeju, dem Zwergenprinz. Sie reist mit ihrem Vater, König Isedom ins Zwergenland, auf die Burg König Morohs. Gemeinsam mit ihren Freunden begibt sie sich ein weiteres Mal auf ein gefährliches Abenteuer...
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2020
Für Thomas, Irmi, Heidi, Matthias und Marion und alle Freunde der Elfen...
Alpträume
Unordnung vererbt sich
Die Einladung
Die geheimnisvolle Kiste
Das Zerwürfnis
Sesam öffne dich
Die Reise zum Zwergenland und andere Entdeckungen
Ein peinliches Gespräch
Die Neuigkeit
Nächtliche Überraschungen
Der geheime Plan
Im Labyrinth
Ein guter Rat
Eine lehrreiche Reise
Angelvergnügen
Die Zwergenolympiade
Schlechte Träume
Im Labyrinth der Kerker
Jakob
Das Fischerdorf Lirrimar
Der Hexenstock
Auf offener See
Die Macht Zahiras
Auf der Dracheninsel
Da waren es nur noch vier
Oklamar
Rückkehr der dunklen Macht
In der Falle
Das magische Ritual der Elemente
Zurück im Zwergenland
Zahira
Zurück auf der Burg
Jolanda schreckte hoch! Benommen öffnete sie ihre Augen und setzte sich auf. Schon wieder dieser Alptraum! Sie schüttelte benebelt den Kopf und rieb sich müde über das Gesicht, als könnte sie sich dadurch von den Bildern des Traumes befreien, die sie Nacht für Nacht heimsuchten. Langsam schälte sie sich aus ihrer warmen Daunendecke und schwang die Beine aus dem Bett. Während sie noch mit den nackten Füßen nach den Hausschuhen angelte, entzündete sie die Öllampe, die neben ihrem Bett auf einem kleinen Schemel stand.
Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es früher Morgen war. Es war noch dunkel, aber die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt. Nur der Mond stand noch voll und rund am Himmel und verbreitete sein angenehmes warmes Licht bis in ihr Zimmer hinein. Die Elfenprinzessin gähnte herzhaft und streckte sich, danach sprang sie aus ihrem Bett und verschwand im Badezimmer.
Während sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, um die letzte Müdigkeit zu vertreiben, ging sie in Gedanken immer wieder die Bilder des Traumes durch. Aber auch heute wollte es ihr einfach nicht gelingen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ungeduldig schüttelte sie ihren Kopf, so dass ihr schönes, langes Haar dabei wild hin und her flog. »Was willst du mir nur damit sagen?«, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild.
Schon mehrmals hatte sie versucht mit Jakob darüber zu sprechen, aber der Waldelf wollte von ihren Träumen einfach nichts wissen. Seit ihrem Abenteuer im letzten Jahr, zusammen mit den Zwergen, reagierte er auf das Thema Drachen äußerst empfindlich. Jolanda konnte einfach nicht verstehen, was in ihn gefahren war. Früher hatte sie mit ihrem besten Freund über alles reden können, aber nun gab es etwas, das zwischen ihnen stand. Wenn sie miteinander Zeit verbrachten, war es anscheinend wie immer. Sie lachten und alberten miteinander, aber irgendetwas hatte sich zwischen ihnen verändert. Jolanda konnte es spüren, aber nicht greifen. Oder war es nur für sie so und Jakob empfand es ganz anders?
Nachdenklich beendete sie ihre Morgenwäsche und ging zurück in ihr Zimmer und warf sich der Länge nach auf ihr Bett. Sie starrte zur Zimmerdecke und grübelte erneut über die vergangenen Ereignisse in der Nacht.
Sie saß auf dem Rücken von Oklamar dem Drachen und flog mit ihm durch die Lüfte. Sie fühlte sich sicher und geborgen zwischen seinen großen, weit ausgebreiteten Flügeln und genoss den Flug in vollen Zügen. Sie spürte die Kraft des Drachen unter sich und die Freiheit und Leichtigkeit um sich herum. Sie war so glücklich! Doch dann kam starker Wind auf. Dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne und absorbierten beinah alles Licht, es wurde stockfinster. Blitze zuckten am Himmel und in der Ferne grollte der Donner. Oklamar taumelte; er versuchte erst noch gegen den Wind anzukommen, aber irgendwann verließen ihn seine Kräfte. Er wurde vom Sturm gepackt und mitgerissen. Sie fiel ins Leere. Sie wollte schreien, brachte aber kein Wort über ihre Lippen. Verzweifelt und stumm fiel sie in die Tiefe.
Der Drache brauchte ihre Hilfe, das konnte sie spüren…
An dieser Stelle wachte sie gewöhnlich immer schweißgebadet auf. Nachdenklich kaute sie an ihrer Unterlippe. Seit kurzem tat sie das ständig und ihr Vater schimpfte immer mit ihr, wenn er es zufällig sah. Ein lautes Magengrummeln riss sie aus ihren Gedanken. Sie hatte Hunger!
»Also gut!«, sagte sie leise zu sich selbst. »Was sein muss, muss sein!«.
Langsam kämpfte sie sich in die Höhe und verließ ihr Zimmer.
»Jakob! Jakob! Bist du hier?«
Jakob schaute genervt von seinem Buch auf. »Hat man denn nie seine Ruhe!«, grummelte er leise vor sich hin.
Er lag mit seinen Kleidern im Bett auf dem Bauch und las ein Buch. Er hatte es bei seinem Großvater in der Bibliothek entdeckt und verbrachte momentan fast jede freie Minute damit, es zu lesen. Es hatte völlig vergessen und verstaubt in einem Bücherregal gelegen. Bei der schon teils verblichenen Niederschrift handelte es sich um ganz alte Magie, Naturrituale und Heilung mit Heilkräutern längst vergessener Zeiten. Dieses Buch hatte ihn von der ersten Seite an gefesselt und er konnte es kaum noch aus den Händen legen.
Aber heute wollte es ihm einfach nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Immer wieder merkte er beim Lesen, dass er gedanklich abschweifte. Dadurch musste er jede Seite zweimal lesen und das strengte ihn sehr an. Er dachte an Jolanda. Immer wieder an sie! Endlos analysierte er das gestrige Treffen, aber er kam zu keinem Ergebnis.
»Irgendwie hat sie sich verändert!«, dachte er. »Aber was war es? Was hat sich verändert?« Er grübelte schon den ganzen Vormittag darüber nach, ohne Ergebnis.
Und jetzt wurde er schon wieder gestört! Der Stimme nach zu urteilen, handelte es sich bei dem Störenfried um seinen Vater. Was wollte der schon wieder? Konnte man denn niemals seine Ruhe haben! Entnervt legte er sein Buch zur Seite und stand auf. Er ging zur Tür, öffnete sie und streckte seinen Kopf hinaus.
Ungeduldig rief er: »Was gibt es?« Kurze Stille; dann hörte man Fußgetrampel auf der alten Holzstiege, die zu seinem Zimmer führte.
Der Oberkörper seines Vaters erschien in der breiten Luke am Treppenende. »Onkel Garol entrümpelt gerade den alten Schuppen!«, sagte er etwas außer Atem.
Als er den fragenden Gesichtsausdruck seines Sohnes sah, fügte er rasch hinzu: »Du weißt schon! Der alte Schuppen, der auf der anderen Seite unseres Labors steht! Wir brauchen dringend mehr Platz! Und Opa kommt mal wieder nicht in die Pötte!« Ärgerlich fügte er nach einer kleinen Pause hinzu: »Er verspricht mir schon seit zehn Jahren, den Schuppen aufzuräumen. Das meiste stammt nämlich noch von der Zeit damals, als er die Leitung der Kräuterverarbeitung innehatte.
Keine Woche war vergangen, ohne dass er mit irgendeinem neuen Plunder ankam. Stets hatte er behauptet, dass es ganz wertvolle Sachen waren, die er sich für teures Geld hat andrehen lassen. Und immer landeten die vermeintlichen Schätze letztendlich in dem alten Schuppen!«, erinnerte sich German mit deutlicher Empörung in der Stimme.
»Opa hat halt eine Schwäche für den Trödel! Und manches war doch auch ganz nützlich!«. Jakob hatte das Gefühl, seinen Großvater in Schutz nehmen zu müssen.
Er liebte Geronimo sehr und hatte schon seit frühester Kindheit viel Zeit mit ihm verbracht, da seine Eltern oft bis spät abends arbeiten mussten.
»Nenne mir mal ein Teil, das irgendwann mal für irgendetwas nützlich war!«, konterte German bissig.
Jakob dachte angestrengt nach und dann erhellte sich plötzlich sein Gesicht. »Der Teekocher mit integriertem Kräutermischapparat und Rezeptvorschlägen für Teemischungen aller Art. Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen! Weißt du noch?«
»Oh ja!«, sagte German hämisch. »Daran kann ich mich noch gut erinnern. Das Ding ist nach ein paar Mal benutzen in unserer Küche explodiert und hat seine feinen Teemischungen im ganzen Raum verteilt. Deine Mutter war tagelang mit Putzen beschäftigt! Ja, daran erinnere ich mich noch sehr gut!« Mit entrüstetem Gesichtsausdruck ließ er seinen Blick durch Jakobs Zimmer gleiten. »Bei dir im Zimmer könnten wir demnächst auch einmal entrümpeln, wenn ich mich hier so umsehe!«
»Das sind eindeutig die Gene von Opa!«, sagte Jakob grinsend. »Das ist angeboren, da sind meine Erbanlagen schuld! Da kann ich also gar nichts dafür!«
Nun musste sein Vater doch etwas lächeln.
Er streichelte seinem Sohn kurz über den Kopf und verwuschelte seine eh schon nach allen Seiten wegstehenden Haare und fragte dann wieder ernst: »Was ist jetzt? Hilfst du deinem Onkel beim Entrümpeln?«
Jakob seufzte und schaute noch einmal kurz sehnsuchtsvoll zu seinem Buch, welches aufgeschlagen auf dem Bett lag. »Also gut, ich helfe ihm!«
Isedom saß am Tisch und sah seine Tochter über seine Kaffeetasse hinweg schweigend an.
»Sie sieht ihrer Mutter von Tag zu Tag ähnlicher!«, dachte er und eine Mischung aus Wehmut und Stolz überkam ihn. »Was hast du denn an deinem ersten Ferientag so vor?«, fragte er nebenbei.
»Och, nichts Besonderes! Vielleicht treffe ich mich dann mit einer Freundin. Wir haben letzte Woche kleine Einhornfohlen entdeckt und wollten mal schauen, ob sie noch da sind!«
Ihr Vater schaute sie nachdenklich an: »Was ist denn mit Jakob? Ich habe den Eindruck, dass er dich in letzter Zeit weniger besucht!? Habt ihr euch gestritten?«
Jolanda erstarrte kurz, dann zwang sie sich zu einem Lächeln. Es war ihr unangenehm, dass ihr Vater bemerkt hatte, dass zwischen ihr und Jakob etwas nicht in Ordnung war. Sie wollte auf gar keinen Fall mit ihm darüber reden. Nicht bevor sie nicht selbst wusste, was eigentlich los war.
»Nein, alles in Ordnung! Er hat die letzte Zeit nur viel zu tun gehabt!« Sie spürte wie sie rot wurde.
In diesem Moment wurden sie durch einen hereinkommenden Diener gestört und Jolanda blieben weitere Unannehmlichkeiten erspart.
Der Bedienstete verbeugte sich pflichtbewusst vor dem Elfenkönig: »Eure Majestät! Eine Nachricht für die Prinzessin!«, und mit einer leichten Verneigung übergab er Jolanda eine Papierrolle.
Sie bedankte sich und der Diener quittierte es mit einem leichten Kopfnicken und verließ eilig den Raum. Neugierig entfaltete sie das Papier und las die wenigen Zeilen, die mit schwungvoller und sauberer Schrift zu Papier gebracht worden waren. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer und es kribbelte leicht in ihrem Bauch, als sie die Unterschrift las.
»Wer hat denn geschrieben?«, wollte ihr Vater neugierig wissen.
»Mikeldeju!«, gab Jolanda ihm zur Antwort und vertiefte sich erneut in den Brief. Ohne aufzublicken sagte sie: »Er möchte wissen, ob wir… also Jakob und ich, nicht für ein paar Tage zu ihm aufs Schloss kommen wollen. Darf ich, Vater?« Angespannt hielt die Prinzessin die Luft an und fixierte ihren Vater mit hoffnungsvollem Gesichtsausdruck.
Isedom seufzte. Er mochte Mikeldeju, Sohn von König Moroh, einem langjährigen Freund der Familie. Aber dass seine Tochter schon wieder allein mit Jakob ins Zwergenland reisen wollte, erfüllte ihn mit Unruhe. Nach den letzten Ereignissen im vergangenen Jahr hätte er sie jetzt in den Ferien lieber in seiner Nähe gewusst. Jolanda spürte den innerlichen Kampf, der sich in ihrem Vater abspielte.
Und so stand sie auf und ging langsam zu ihm hinüber. Sie stellte sich hinter ihn, umarmte ihn und drückte ihre Wange an seine. »Bitte Papa! Du wolltest mir doch vertrauen! Ich bin fast erwachsen!«
Isedom seufzte abermals: »Das ist es ja gerade! FAST ERWACHSEN!« Dann gab er sich aber einen Ruck und setzte sich auf. »Maximal eine Woche und du meldest dich täglich über einen Boten!«
»Einverstanden!«, Jolanda strahlte: »Papa, du bist der Beste!«
Als Jakob am Schuppen eintraf, war sein Onkel bereits vollauf damit beschäftigt, schwere Kisten und alte Leinensäcke mit unbekanntem Inhalt nach draußen ins Freie zu schleppen.
Beim Anblick seines Neffen hielt er in seiner Arbeit inne und sagte grinsend: »Schön, dass du mir helfen willst, Jakob. Dein Großvater hat sich verkrümelt. Wahrscheinlich kann er es nicht mit ansehen, dass sein Hab und Gut auf dem Müll landet. Er tut mir wirklich leid, aber ich kann deinen Vater schon verstehen. Das meiste hier ist tatsächlich alter Plunder!«
Jakob trat näher und begutachtete die vielen Kisten, die Garol schon hinausgeschleppt hatte. »Was kann ich tun?«, fragte er seinen Onkel und rollte sich dabei die Ärmel seines Hemdes hinauf.
»Ich werde erst einmal diese Sachen hier«, er deutete auf den Berg vor ihnen, »wegbringen. Du könntest im Inneren des Schuppens weiter machen. Wenn du mir die Sachen vor die Tür trägst, kann ich kurz überprüfen, was wir noch brauchen können. Den Rest, also die nutzlosen Dinge, packe ich auf den Karren hier!«, und er zeigte hinter sich, wo bereits ein alter, kastenförmiger Wagen mit eisenbeschlagenen Holzrädern bereitstand. »Ich denke, so kommen wir am schnellsten voran!«
»Einverstanden!«, sagte Jakob und betrat das alte Gebäude durch eine schäbig aussehende Holztür, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.
Drinnen schlug ihm ein muffiger, abgestandener Geruch entgegen. Er musste kurz stehen bleiben, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Als er besser sehen konnte, bemerkte er unter einer fingerdicken Schicht Staub einen gigantischen Berg von Kisten, Körben, Säcken und anderem undefinierbarem Trödel. Halb beeindruckt, halb entsetzt, blieb er stehen. So langsam dämmerte ihm, was sein Vater gemeint hatte. Mit solch einem Ausmaß hatte Jakob nicht gerechnet. Er seufzte kurz und machte sich dann beherzt ans Werk.
Eine lange Zeit dachte er nicht groß nach, so vertieft war er in seine Arbeit. Er werkelte vor sich hin und genoss die Ruhe und die Ablenkung durch die monotone Tätigkeit. Endlich klärten sich seine Gedanken und die quälenden Zweifel ließen ein wenig nach. Die ständigen Gefühlsschwankungen wegen Jolanda hatten ihn viel Kraft gekostet und ihn mürbe gemacht.
Nach einer längeren Zeit, in der er Truhen, Körbe, Bretter und anderen Trödel und Unrat nach draußen befördert hatte, machte er eine kleine Pause und setzte sich erschöpft auf eine alte Kiste. Er griff zu seiner Trinkflasche und gönnte sich einige Schlucke kaltes Quellwasser. Die kühle Flüssigkeit spülte den Staub weg, den er eingeatmet hatte. Er streckte sich und spürte einen leichten Schmerz in seinen Schultern und Armen, wahrscheinlich würde er am nächsten Tag gewaltigen Muskelkater bekommen. Er überlegte, dass ein warmes Bad in den heißen Quellen nach der Arbeit vielleicht genau das richtige sein könnte.
Die heißen Quellen waren bei vielen Bewohnern von Eilisvors eine beliebte Badestätte geworden. In der Nähe des Steinbruchs sprudelte das heiße Wasser durch einen Spalt im Boden fortwährend mit starkem Druck aus dem Erdinneren nach oben. Durch die lange Zeit und die Witterungsverhältnisse hatte die Natur zwei steinerne Becken hervorgebracht. Die Waldelfen hatten hier und da noch ein bisschen nachgeholfen und einen Ort der Ruhe und Erholung geschaffen.
Jakob schaute sich das erste Mal etwas genauer im Schuppen um und sein Blick fiel auf eine Kiste, die etwas abseits in einer Ecke stand. Eigentlich war sie ihm nur aufgefallen, weil sie merkwürdige Muster auf dem Deckel und den Seitenteilen aufwies. Sie war nicht groß, aber so interessant, dass Jakob hinging und sie vorsichtig aus dem Rest des Trödels hervorzog.
Er strich sachte über den Deckel, um die Staubschicht zu entfernen. Obwohl er nicht wusste, was sich in der Kiste befand, überkam ihn eine seltsame Unruhe und es kribbelte im Bauch. Neugierig sah er sich den Deckel etwas genauer an. Dort hatte jemand mit großer Sorgfalt Muster und Zeichen auf das alte Holz gemalt. Das Ganze ergab eine Art Pentagramm.
Jakob hob die Kiste etwas an, um sich auch die Seitenteile genauer anzuschauen. Auch dort befanden sich auf jeder Seite Pentagramme. Sie ähnelten dem auf dem Deckel, waren aber mit anderen Nummern und Farben versehen. Beim Anheben hatte er festgestellt, dass der kleine Kasten nicht besonders schwer war und er war versucht, ihn augenblicklich zu öffnen. Nervös und aufgeregt drehte er ihn nach allen Seiten um, fand aber weder ein Schloss noch ein Schlüsselloch.
»Bist du noch da?«, sein Onkel streckte den Kopf durch die Tür.
Vor Schreck ließ Jakob die Kiste fallen und richtete sich schnell auf. Während er antwortete, schob er die kleine Truhe mit seinem Fuß hinter ein altes Holzfass.
»Ich bin hier!«, sagte er hastig und winkte unnötigerweise dämlich mit seiner Hand.
Garol richtete den Blick in seine Richtung und sagte: »Du warst wirklich sehr fleißig! Wir schaffen noch eine Karrenladung von hier weg und dann reicht es für heute.«
»Alles klar!«, antwortete Jakob schnell und lief zielstrebig auf die andere Seite des Schuppens zu und begann, mit scheinbar großem Eifer hastig einige Dinge zusammen zu klauben. Auf keinen Fall wollte er, dass sein Onkel diese Kiste in die Finger bekäme. Warum er sich so energisch weigerte, seinen Fund an seinen Onkel weiterzugeben, wusste er selbst nicht so genau. Es war einfach ein Gefühl, er konnte es gar nicht so genau beschreiben.
Während er seine Last ein weiteres Mal ins Freie hinausschleppte, dachte er fieberhaft darüber nach, wie er seinen Fund unbemerkt an Garol vorbeischmuggeln konnte. Er wartete ab, bis sich dieser erneut mit seinem Karren in Bewegung gesetzt hatte, dann eilte er zurück ins Schuppeninnere. Er griff sich die Kiste und rannte los. Auf dem gesamten Weg nach Hause blieb er nicht ein einziges Mal stehen und schaffte es atemlos, aber unbemerkt ins Höhleninnere.
Er stieg eilig die Stiege hinauf und verschwand in sein Zimmer. Hastig schloss er die Tür ab. Danach versteckte er seinen gefundenen Schatz erst einmal unter seinem Bett, er würde sich später darum kümmern.
Er war gerade wieder am Schuppen angekommen, als er seinen Onkel mit dem Karren schon um die Ecke biegen sah.
Jolanda war aufgeregt. Nach dem Gespräch mit ihrem Vater war sie auf ihr Zimmer geeilt und hatte ihren großen Rucksack unter dem Bett hervorgeholt. Schon morgen wollte sie mit Jakob aufbrechen. Ach, Jakob! Ihr fiel der Waldelf wieder ein. Gleich nach dem Packen würde sie zu ihm gehen. Dass er mit ihr zusammen verreiste, stand außer Frage. Sie war gespannt, wie er auf die Einladung reagieren würde. Wahrscheinlich war er genauso aufgeregt wie sie selbst. Ihm hatte es mindestens ebenso gut im Schloss von König Moroh gefallen wie ihr.
Sie hatten einige spannende und fröhliche Tage bei Mikeldeju und seinem Vater im Zwergenland verlebt. Sie dachte mit Freude an den prunkvollen Ball zurück, den König Moroh zu Ehren von Morgrim, Mendri, Jakob und ihr hatte abhalten lassen. Hunderte von strahlenden Kerzen und Lichtern, die spürbare Dankbarkeit, die vielen lieben Worte, ausgehend von der gesamten Bevölkerung, weil sie Mikeldeju aus den Händen der grausamen Hexe Zahira gerettet hatten. Sie erinnerte sich an die Burg mit ihren vielen geheimen Ecken und Türen. Der Zwergenprinz hatte ihr und Jakob viele der Geheimtüren und unterirdischen Gänge gezeigt, die sich durch das gesamte alte Gemäuer zogen. Sie bildeten ein Labyrinth sagenhafter Größe und waren ein perfekter Ort für Such- und Fangspiele aller Art! Und nicht zuletzt erinnerte sie sich an den schönen Prinzen. An die Blicke, die er ihr während des Aufenthaltes immer wieder zugeworfen hatte.
Sie war etwas verliebt, auch wenn sie sich das noch nicht richtig eingestehen wollte. Bei diesen Gedanken durchströmte sie ein warmes Gefühl und es kribbelte ganz leicht in der Magengegend. Und jetzt wollte er sie wiedersehen! Immer noch lächelnd packte sie fertig, zog sich dann an und verließ eilig ihre privaten Gemächer.
Am Tor traf sie auf einen der Bediensteten und rief ihm zu: »Ich bin bald zurück!«, und schnell setzte sie nach, »falls mein Vater mich suchen sollte!« Noch bevor jemand Antwort geben konnte, war sie schon durch das schwere Holztor verschwunden.
Sie lief den schmalen Wiesenweg entlang, der zum Wald der tausend Illusionen führte. Wootroga war ihr zweites Zuhause geworden, dort wohnte Jakob mit seiner ganzen Familie in einem weit verzweigten Höhlensystem. Von außen konnte man oft nur kleine, manchmal mit Gras bewachsene Kuppeln ausfindig machen. Bei näherem Hinsehen, entdeckte man erst die Fenster, Schornsteine und Eingänge der gemütlichen Behausungen.
Das Dorf der Waldelfen lag am Rand des Waldes und unmittelbar daneben hatten sich die Bewohner ihre Arbeitsstätte errichtet. Waldelfen stellten Arzneimittel und alle möglichen Produkte aus Kräutern her. In einem aufwändigen Destillationsverfahren und anderen schwierigen Arbeitsschritten wurden die über die Landesgrenze hinaus beliebten Salben, Tees, Tinkturen und Tabletten hergestellt. Die Logistik übernahmen die Waldgnomen, die sich in der Nachbarschaft angesiedelt hatten und zu wichtigen Mitarbeitern im Kräuterwerk geworden waren.
Sie traf ihren Freund vor dem Eingang seines Zuhauses. Er saß in der Sonne und las. »Hallo!«, sagte sie etwas atemlos und ließ sich neben ihm auf die alte Holzbank fallen.
Überrascht schaute er von seinem Buch auf: »Hallo!«, antwortete er etwas steif. »Was willst du denn hier?« Jolanda fand, dass seine Antwort fast etwas ärgerlich klang. Gerade so, als wollte er sie gar nicht hier haben.
Sie verdrängte ihre aufkommenden Gedanken und fragte: »Was machst du denn gerade?« In diesem Moment wurde ihr schon bewusst, wie dumm diese Frage war.
Die Antwort kam prompt: »Ein Buch lesen!«, und er hielt ihr ein großes, sehr alt aussehendes Buch unter die Nase.
Sie schaute auf den Titel und las: »Wald und Wiesenkräuter - Das große Handbuch aus der Natur«
»Klingt interessant!«, sagte sie etwas langsam und krampfte dabei befangen ihre Finger ineinander.
Jakob legte sein Buch aufgeschlagen neben sich auf die Bank und schaute sie an. »Gibt es etwas Neues, oder wieso besuchst du mich schon am frühen Morgen?«
Es sollte eigentlich locker klingen, hörte sich aber fast wie ein Vorwurf an. Jakob merkte es und schaute verlegen auf den Boden. Wieso fiel es ihm so schwer, normal mit ihr umzugehen? Er ärgerte sich über sich selbst.