Jonathan Strange & Mr. Norrell - Susanna Clarke - E-Book
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Jonathan Strange & Mr. Norrell E-Book

Susanna Clarke

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 1806. Seit Jahrhunderten gibt es keine Zauberei mehr in England. Doch während auf dem Festland der Krieg gegen Napoleon tobt, entdecken die Zaubereihistoriker, dass es noch einen praktizierenden Magier gibt: Mr. Norrell, ein Einzelgänger, der zurückgezogen in Hurtfew Abbey in Yorkshire lebt. Noch ehe sich Regierung und High Society von dieser Überraschung erholt haben, taucht ein zweiter Zauberer auf: der junge, charismatische Jonathan Strange. Die beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten, schließen sich im Dienste der Krone zusammen, um in den Krieg einzugreifen. Doch Strange wird von der dunklen, mysteriösen Magie des Rabenkönigs angezogen, des größten Zauberers aller Zeiten. Um mehr über ihn zu erfahren, riskiert er sogar die Freundschaft zu seinem Mentor. Doch Mr. Norrell hat ebenfalls ein magisches Geheimnis, das ihn und alles, was er sich aufgebaut hat, zerstören könnte, wenn es jemals ans Licht käme ...

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Seitenzahl: 1589

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Das Buch

Wir schreiben das Jahr 1806. Seit Jahrhunderten gibt es keine Zauberei mehr in England. Doch während auf dem Festland der Krieg gegen Napoleon tobt, entdecken die Zaubereihistoriker, dass es noch einen praktizierenden Magier gibt: Mr. Norrell, ein Einzelgänger aus Yorkshire. Noch ehe sich Regierung und High Society von dieser Überraschung erholt haben, taucht ein zweiter Zauberer auf, der charismatische Jonathan Strange. Doch Strange wird von der dunklen, mysteriösen Magie des Rabenkönigs angezogen, des größten Zauberers aller Zeiten. Um mehr über ihn zu erfahren, riskiert er sogar die Freundschaft zu Mr. Norrell. Der hat ebenfalls ein dunkles Geheimnis, das ihn und alles, was er sich aufgebaut hat, zerstören könnte, wenn es jemals ans Licht käme …

Die Autorin

Susanna Clarke wurde am 1. November 1959 in Nottingham geboren. 1981 machte sie ihren Abschluss in Philosophie, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften am St. Hilda’s College in Oxford, 1992 begann sie mit dem Schreiben. Ihr Debütroman Jonathan Strange & Mr. Norrell wurde mehrfach preisgekrönt, stand elf Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times und wurde als Fernsehserie adaptiert. Piranesi, ihr zweiter Roman, erscheint im Blessing Verlag. Susanna Clarke lebt und arbeitet in Derbyshire.

Susanna Clarke

JONATHANSTRANGE&Mr. NORRELL

Roman

Aus dem Englischen von Anette Grube und Rebekka Göpfert

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der OriginalausgabeJONATHAN STRANGE & MR NORRELLDer Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Neuausgabe 01/2021

Copyright © 2004 by Susanna Clarke

© der deutschen Übersetzung: Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin und München 2004

Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Printed in Germany

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock/Harry Kasyanov

Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-26543-4V001

In Erinnerung an meinen Bruder Paul Frederick Gunn Clarke, 1961–2000

INHALT

Teil I: Mr. Norrell

1 Die Bibliothek von Hurtfew

2 Das Old Starre Inn

3 Die Steine von York

4 Die Freunde der englischen Zauberei

5 Drawlight

6 »Zauberei ist kein achtbares Unterfangen, Sir«

7 Eine Gelegenheit, die sich wohl kein zweites Mal bieten wird

8 Ein Herr mit Haar wie Distelwolle

9 Lady Pole

10 Die Schwierigkeit, für einen Zauberer eine Aufgabe zu finden

11 Brest

12 Der Geist der englischen Zauberei drängt Mr. Norrell, Britannia beizustehen

13 Der Zauberer aus der Threadneedle Street

14 Die Farm des Gebrochenen Herzens

15 »Wie geht es Lady Pole?«

16 Verlorene Hoffnung

17 Das unerklärliche Auftauchen von fünfundzwanzig Guineen

18 Sir Walter berät sich mit Herren unterschiedlicher Berufsstände

19 Die Jungs vom Tagesanbruch

20 Der unwahrscheinliche Putzmacher

21 Die Karten von Marseille

22 Der Ritter der Stäbe

Teil II: Jonathan Strange

23 Das Schattenhaus

24 Der andere Zauberer

25 Die Ausbildung eines Zauberers

26 Reichsapfel, Krone und Zepter

27 Die Frau des Zauberers

28 Die Bibliothek des Herzogs von Roxburghe

29 Im Haus von José Estoril

30 Robert Findhelms Buch

31 Siebzehn tote Neapolitaner

32 Der König

33 Stell den Mond in meine Augen

34 Am Rand der Wüste

35 Der Herr aus Nottinghamshire

36 Alle Spiegel der Welt

37 Die Cinque Dragownes

38 Aus der Edinburgh Review

39 Die beiden Zauberer

40 »Darauf können Sie sich verlassen: Es gibt keinen Ort, der so heißt«

41 Starecross

42 Strange beschließt, ein Buch zu schreiben

43 Das ausgefallene Abenteuer des Mr. Hyde

44 Arabella

Teil III: John Uskglass

45 Vorwort zu Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei

46 »Der Himmel sprach zu mir …«

47 »’n schwatten Jung und ’n blauen Kerl – dat muss doch wat bedeuten«

48 Die Stiche

49 Wildheit und Wahnsinn

50 Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei

51 Eine Familie namens Greysteel

52 Die alte Dame von Cannaregio

53 Eine kleine, tote graue Maus

54 Eine kleine Dose von der Farbe des Kummers

55 Der Zweite wird seinen liebsten Besitz in der Hand des Feindes sehen …

56 Der schwarze Turm

57 Die schwarzen Briefe

58 Henry Woodhope stattet einen Besuch ab

59 Leucrocuta, der Wolf des Abends

60 Sturm und Lügen

61 Baum spricht zu Stein; Stein spricht zu Wasser

62 Ich kam in einem Schrei zu ihnen, der die Stille des winterlichen Waldes zerriss

63 Der Erste wird sein Herz in einem dunklen Wald unter dem Schnee begraben und dennoch sein Weh verspüren

64 Die zwei Versionen der Lady Pole

65 Die Asche, die Perlen, die Tagesdecke und der Kuss

66 Jonathan Strange und Mr. Norrell

67 Der Weißdornbaum

68 »Ja«

69 Strangeisten und Norrellisten

Teil I Mr. Norrell

Er sprach nur selten von Zauberei, und wenn er es tat, dann klang es wie Geschichtsunterricht, und kaum jemand hörte ihm zu.

1 Die Bibliothek von Hurtfew

Herbst 1806 bis Januar 1807

Vor Jahren gab es in der Stadt York eine Gilde von Zauberern. Sie trafen sich jeden dritten Mittwoch des Monats und lasen sich lange, langweilige Traktate über die Geschichte der englischen Zauberkunst vor.

Sie waren Gentlemen-Zauberer, das heißt, sie fügten niemandem mit Zauberei Schaden zu – taten aber auch niemandem etwas Gutes damit. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, keiner dieser Herren hatte je auch nur den kleinsten Zauber gewirkt, noch durch Zauber ein Blatt an einem Baum erzittern lassen, ein Staubkörnchen vom Weg abgebracht oder ein einziges Haar auf einem Kopf verwandelt. Aber abgesehen von dieser geringfügigen Einschränkung, standen sie in dem Ruf, zu den weisesten und zauberkundigsten Männern in ganz Yorkshire zu gehören.

Ein großer Zauberer sagte einmal über die Angehörigen seines Berufsstandes, dass sie »… sich das Hirn zermartern und den Kopf zerbrechen müssen, damit ein Mindestmaß an Gelehrtheit hineingeht, aber am liebsten streiten sie«1, und seit Jahren stellten die Zauberer von York die Wahrheit dieser Behauptung unter Beweis.

Im Herbst 1806 nahmen sie ein neues Mitglied auf, einen Gentleman namens John Segundus. Auf der ersten Versammlung, an der er teilnahm, erhob sich Mr. Segundus und hielt eine Rede. Als Erstes rühmte er die bemerkenswerte Tradition der Gilde; er zählte die vielen gefeierten Zauberer und Historiker auf, die irgendwann einmal der Gilde der Zauberer von York angehört hatten. Er deutete an, dass die Existenz dieser Gilde kein geringer Anreiz für ihn selbst gewesen sei, nach York zu kommen. Zauberer aus dem Norden, so erinnerte er seine Zuhörerschaft, würden seit alters her höher geachtet als Zauberer aus dem Süden. Mr. Segundus erklärte, dass er seit vielen Jahren Zauberei studiere und die Geschichte aller großen Zauberer vergangener Zeiten kenne. Er habe die neuesten Veröffentlichungen zu diesem Thema gelesen und auch selbst einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet, aber seit Kurzem frage er sich, warum die großartigen Zaubertaten, von denen er gelesen habe, sich nur auf den Seiten von Büchern fänden, aber nicht mehr auf den Straßen vollbracht und in den Zeitungen beschrieben würden. Mr. Segundus würde gern wissen, so sagte er, warum moderne Magier unfähig seien, die Zaubereien zu vollführen, über die sie schrieben. Kurzum, er wollte wissen, warum in England nicht mehr gezaubert würde.

Es war die gängigste Frage der Welt. Es war die Frage, die früher oder später jedes Kind im Königreich seiner Gouvernante, seinem Schulmeister oder seinen Eltern stellte. Aber die gelehrten Mitglieder der Gilde von York hörten sie gar nicht gern, und das aus gutem Grund: Sie waren ebenso wenig in der Lage, sie zu beantworten, wie irgendjemand sonst.

Der Präsident der Gilde von York (ein gewisser Dr. Foxcastle) wandte sich an John Segundus und erklärte, dass es sich um eine falsche Frage handelte. »Sie setzt voraus, dass Zauberer zum Zaubern verpflichtet sind – was natürlich Unsinn ist. Ich nehme an, Sie sind nicht der Ansicht, dass es Aufgabe der Botaniker ist, neue Blumen zu erschaffen. Oder dass die Arbeit von Astronomen darin besteht, die Sterne neu anzuordnen. Zauberer, Mr. Segundus, studieren die Zauberei, die vor langer Zeit betrieben wurde. Warum sollte irgendjemand mehr erwarten?«

Ein älterer Herr mit mattblauen Augen und mattfarbener Kleidung (der entweder Hart oder Hunt hieß – Mr. Segundus konnte den Namen nicht verstehen) sagte matt, es sei völlig bedeutungslos, ob jemand es erwarte oder nicht. Ein Gentleman zaubere nicht. Taschenspieler auf der Straße gäben vor, zu zaubern, um Kindern ihre Pennys zu stehlen. Zauberei (im praktischen Sinn) habe ihre wahren Ideale verraten. Sie sei verkommen und die Busenfreundin von unrasierten Gesichtern, Zigeunern, Einbrechern; sie frequentiere schmuddelige Buden mit schmutzigen gelben Vorhängen. Oh nein! Ein Gentleman könne nicht zaubern. Ein Gentleman könne die Geschichte der Zauberei studieren (kein Unterfangen könnte ehrenwerter sein), aber er dürfe selbst nicht zaubern. Der ältere Herr sah Mr. Segundus aus matten väterlichen Augen an und sagte, er hoffe, Mr. Segundus habe nicht versucht, selbst Zauberei zu betreiben.

Mr. Segundus errötete.

Aber die These des berühmten Zauberers erwies sich wieder einmal als zutreffend: Zwei Zauberer – in diesem Fall Dr. Foxcastle und Mr. Hunt oder Hart – konnten nicht einer Meinung sein, ohne dass zwei andere vom genauen Gegenteil überzeugt waren. Mehrere Herren bemerkten, dass sie voll und ganz mit Mr. Segundus übereinstimmten und keine Frage in der Erforschung der Zauberei so bedeutend sei wie diese. Unter den Anhängern von Mr. Segundus tat sich besonders ein Herr namens Honeyfoot hervor, ein angenehmer, freundlicher Mann von fünfundfünfzig Jahren mit rotem Gesicht und grauem Haar. Als die Auseinandersetzung immer erbitterter geführt wurde und Dr. Foxcastle Mr. Segundus zunehmend sarkastisch entgegentrat, wandte sich Mr. Honeyfoot mehrmals an ihn und flüsterte ihm Tröstliches zu wie: »Nehmen Sie sie nicht ernst, Sir. Ich bin voll und ganz Ihrer Meinung.« Und: »Sie haben völlig recht, Sir, lassen Sie sich nicht beeinflussen.« Und: »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Das haben Sie, Sir. Das Fehlen der richtigen Frage hat uns bislang zurückgehalten. Aber jetzt, da Sie hier sind, werden wir großartige Dinge vollbringen.«

Diese freundlichen Worte fanden einen dankbaren Abnehmer in John Segundus, dem der Schrecken deutlich anzusehen war. »Ich fürchte, ich habe mich unbeliebt gemacht«, flüsterte er Mr. Honeyfoot zu. »Das war nicht meine Absicht. Ich hatte auf das Einverständnis dieser Herren gehofft.«

Anfänglich neigte Mr. Segundus dazu, niedergeschlagen zu sein, aber ein besonders boshafter Ausbruch seitens Dr. Foxcastle empörte ihn dann doch ein wenig. »Dieser Herr«, sagte Dr. Foxcastle und starrte Mr. Segundus kalt an, »scheint unbedingt zu wollen, dass uns das gleiche unselige Schicksal ereilt wie die Gilde der Zauberer von Manchester.«

Mr. Segundus neigte sich zu Mr. Honeyfoot und sagte: »Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Zauberer von Yorkshire so halsstarrig sind. Wenn die Zauberei in Yorkshire keine Freunde hat, wo sollen wir sie dann noch finden?«

Mr. Honeyfoots Liebenswürdigkeit gegenüber Mr. Segundus endete nicht mit diesem Abend. Er lud Mr. Segundus in sein Haus in High Petergate ein, zu einem guten Abendessen in Gesellschaft von Mrs. Honeyfoot und ihren drei hübschen Töchtern, und Mr. Segundus, der ein alleinstehender Herr und nicht wohlhabend war, nahm dankend an. Nach dem Essen spielte Mrs. Honeyfoot auf dem Pianoforte, und Miss Jane sang auf Italienisch. Am nächsten Tag sagte Mrs. Honeyfoot zu ihrem Mann, dass John Segundus genau so sei, wie ein Gentleman sein solle, aber sie fürchte, es würde ihm nicht zum Vorteil gereichen, denn es sei nicht Mode, bescheiden, still und warmherzig zu sein.

Sehr rasch entwickelte sich Vertrautheit zwischen den beiden Herren. Bald verbrachte Mr. Segundus zwei oder drei Abende in der Woche im Haus in High Petergate. Einmal waren mehrere junge Leute anwesend, und selbstverständlich wurde getanzt. Das alles war sehr vergnüglich, aber hin und wieder schlüpften Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus hinaus, um über das zu reden, was sie wirklich interessierte – warum wurde in England nicht mehr gezaubert? Doch so ausführlich sie darüber auch diskutierten (oft bis zwei oder drei Uhr morgens), sie kamen der Antwort nicht näher; aber das war vielleicht nicht weiter ungewöhnlich, denn alle möglichen Zauberer, Altertumsforscher und Gelehrte stellten diese Frage seit mehr als zweihundert Jahren.

Mr. Honeyfoot war ein hochgewachsener, fröhlicher, lächelnder Herr voller Energie, dem es gefiel, stets etwas zu tun oder etwas zu planen, und er dachte nur selten darüber nach, ob dieses Etwas auch dem Zweck der Sache diente. Die gegenwärtige Aufgabe rief ihm die großen Zauberer des Mittelalters2 ins Gedächtnis, die auf Jahr und Tag mit einem oder zwei Elfendienern als Führer davonritten, wann immer sich ihnen ein scheinbar unlösbares Problem stellte, und war diese Zeit vorüber, hatten sie unweigerlich die Antwort gefunden. Mr. Honeyfoot sagte zu Mr. Segundus, dass sie seiner Meinung nach nichts Besseres tun könnten, als diesen großen Männern nachzueifern, von denen manche die abgeschiedensten Gegenden Englands, Schottlands und Irlands (wo die Zauberei am stärksten war) aufgesucht hatten, während andere überhaupt aus dieser Welt hinausgeritten waren, und heutzutage wusste niemand mehr, wo genau sie gewesen waren und was sie getan hatten, als sie dort angelangt waren. Mr. Honeyfoot schlug nicht vor, so weit zu gehen – ja, er wollte sich eigentlich gar nicht weit entfernen, denn es war Winter und die Straßen waren in miserablem Zustand. Aber er war fest davon überzeugt, dass sie irgendwohin gehen und irgendjemanden befragen sollten. Mr. Segundus gegenüber vertrat er die Meinung, dass sie beide ein wenig müde und ideenlos seien; der Vorteil einer frischen Ansicht sei nicht zu unterschätzen. Aber kein Ort, kein Mensch bot sich an. Mr. Honeyfoot war verzweifelt; und dann fiel ihm der andere Zauberer ein.

Ein paar Jahre zuvor waren der Gilde von York Gerüchte über einen anderen Zauberer in Yorkshire zu Ohren gekommen. Dieser Gentleman lebte in einem sehr entlegenen Teil des Landes, wo er (wie es hieß) Tag und Nacht damit verbrachte, in seiner wundervollen Bibliothek seltene Texte über Zauberei zu studieren. Dr. Foxcastle hatte den Namen und den Wohnort des anderen Zauberers herausgefunden und ihn in einem höflichen Brief eingeladen, Mitglied der Gilde von York zu werden. Der andere Zauberer hatte geantwortet, sich für die ihm erwiesene Ehre bedankt und sein großes Bedauern zum Ausdruck gebracht: Er könne leider nicht – die große Entfernung zwischen York und Hurtfew Abbey – die schlechten Straßen – die Arbeit, die er unter keinen Umständen vernachlässigen könne – etc., etc.

Die Zauberer von York hatten allesamt den Brief gelesen und ihre Zweifel daran geäußert, dass jemand mit einer so kleinen Handschrift einen auch nur mittelmäßigen Zauberer abgeben könne. Dann hatten sie den anderen Zauberer – mit leisem Bedauern um die wundervolle Bibliothek, die sie nie zu Gesicht bekommen würden – aus ihren Gedanken verbannt. Aber Mr. Honeyfoot erklärte Mr. Segundus, dass die Bedeutung der Frage »Warum wird in England nicht mehr gezaubert?« so erheblich sei, dass es ganz falsch wäre, irgendeine Möglichkeit außer Acht zu lassen. Wer wusste es schon? Es könnte sich lohnen, die Meinung des anderen Zauberers einzuholen. Und so schrieb er einen Brief des Inhalts, dass er und Mr. Segundus höchst beglückt wären, wenn sie dem anderen Zauberer am dritten Dienstag nach Weihnachten um halb drei Uhr nachmittags ihre Aufwartung machen dürften. Die Antwort kam prompt. Mr. Honeyfoot schickte in seiner gewohnten Gutherzigkeit und im Gefühl gegenseitiger Verbundenheit sofort nach Mr. Segundus und zeigte ihm den Brief. Der andere Zauberer schrieb in seiner kleinen Handschrift, dass er sich sehr über ihre Bekanntschaft freuen würde. Das genügte. Mr. Honeyfoot war begeistert und ging augenblicklich, um Waters, dem Kutscher, mitzuteilen, wann seine Dienste gebraucht würden.

Mr. Segundus blieb allein im Zimmer zurück, den Brief in der Hand. Er las: »… Ich muss gestehen, ich kann mir die Ehre, die mir so plötzlich zuteilwird, nicht erklären. Es ist schwer begreiflich, dass die Zauberer von York, die sich doch gegenseitig beste Gesellschaft leisten und sich der unschätzbaren Wohltat all ihrer gemeinsamen Weisheit erfreuen, die Notwendigkeit empfinden, einen einsamen Gelehrten, wie ich es bin, zu konsultieren …«

Der Brief hatte etwas leicht Sarkastisches; der Verfasser schien Mr. Honeyfoot mit jedem Wort zu verhöhnen. Mr. Segundus tröstete sich mit dem Gedanken, dass es Mr. Honeyfoot nicht aufgefallen sein konnte, sonst wäre er nicht in solcher Hochstimmung zu Waters gegangen. Es war ein so überaus unfreundlicher Brief, dass Mr. Segundus’ Wunsch, den anderen Zauberer kennenzulernen, sich in Luft auflöste. Wie auch immer, dachte er, ich muss fahren, weil Mr. Honeyfoot es wünscht – und was kann schon Schlimmes passieren? Wir werden ihm einen Besuch abstatten, enttäuscht werden, und damit hat es sich dann.

Am Tag vor dem Besuch herrschte stürmisches Wetter; der Regen übersäte die brachen braunen Felder mit großen schartigen Pfützen; die nassen Dächer sahen aus wie kalte steinerne Spiegel. Mr. Honeyfoots Kutsche holperte durch eine Welt, die mehr aus kaltem grauem Himmel und weniger aus fester tröstlicher Erde zu bestehen schien, als es normalerweise der Fall war.

Seit dem ersten Abend hatte sich Mr. Segundus bei Mr. Honeyfoot nach der Gelehrten Gilde der Zauberer von Manchester erkundigen wollen, die Dr. Foxcastle erwähnt hatte. Jetzt tat er es.

»Es war eine Gilde, die vor nicht allzu langer Zeit erst gegründet wurde«, sagte Mr. Honeyfoot. »Und ihre Mitglieder waren Herren der ärmeren Sorte, durchaus achtbare ehemalige Händler, Apotheker, Anwälte, pensionierte Mühlenbesitzer, die ein bisschen Latein gelernt hatten und so weiter, Leute, die man Halb-Gentlemen nennen könnte. Ich glaube, Dr. Foxcastle war froh, als sich die Gilde auflöste. Er findet es nicht richtig, dass Leute dieser Art Zauberer werden. Und doch, wissen Sie, waren ein paar sehr kluge Männer darunter. Sie hatten sich wie Sie zum Ziel gesetzt, die praktische Zauberei in die Welt zurückzubringen. Sie waren praktische Männer und wollten die Prinzipien der Vernunft und der Wissenschaft auf die Zauberei anwenden, so wie sie es in ihren Manufakturen getan hatten. Sie nannten es ›Rationale Thaumaturgie‹. Als ihr Vorhaben scheiterte, verließ sie der Mut. Nun, das kann man ihnen nicht verübeln. Aber ihre Enttäuschung brachte sie in allerhand Schwierigkeiten. Sie begannen zu glauben, dass es auf der Welt nie Zauberei gegeben habe und auch nie geben würde. Sie behaupteten, dass die Aureatischen Zauberer Betrüger gewesen oder selbst getäuscht worden waren. Dass der Rabenkönig eine Erfindung der Nordengländer gewesen wäre, um der Tyrannei des Südens zu entgehen (da sie selbst aus dem Norden waren, hatten sie einiges Verständnis dafür). Oh, ihre Argumente waren raffiniert. Ich weiß nicht mehr, wie sie die Existenz von Elfen erklärten. Sie lösten die Gilde auf, wie gesagt, und einer von ihnen, ich glaube, er hieß Aubrey, wollte alles niederschreiben und veröffentlichen. Aber als es so weit war, musste er feststellen, dass eine Art hartnäckiger Melancholie über ihn gekommen und er nicht in der Lage war, sich so weit aufzuraffen, dass er damit hätte beginnen können.«

»Der arme Mann«, sagte Mr. Segundus. »Vielleicht liegt es an der Zeit. Wir leben nicht in einer Zeit für Zauberei oder Gelehrsamkeit, nicht wahr, Sir? Händler prosperieren, Seefahrer, Politiker, aber nicht Zauberer. Unsere Zeit ist vorbei.« Er dachte einen Augenblick lang nach. »Vor drei Jahren«, fuhr er fort, »war ich in London, wo ich auf der Straße einen Zauberer getroffen habe, die herumziehende Gelbe-Vorhänge-Sorte von Mann mit einer merkwürdigen Narbe. Dieser Mann hat mich überredet, mich von einer hohen Summe Geld zu trennen – wofür er mir im Gegenzug versprach, mich in ein großes Geheimnis einzuweihen. Nachdem ich ihm das Geld gegeben hatte, sagte er, dass eines Tages zwei Zauberer die Zauberkunst in England erneut zum Leben erwecken würden. Ich glaube natürlich überhaupt nicht an Prophezeiungen, aber als ich über das, was er gesagt hatte, nachdachte, entschloss ich mich, die Wahrheit über unseren heruntergekommenen Stand herauszufinden – ist das nicht seltsam?«

»Sie haben völlig recht – Prophezeiungen sind ein großer Unsinn«, sagte Mr. Honeyfoot und lachte. Und als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen, sagte er: »Wir sind zwei Zauberer. Honeyfoot und Segundus«, sagte er, als wollte er prüfen, wie die beiden Namen in Zeitungen und Geschichtsbüchern aussehen würden. »Honeyfoot und Segundus – das klingt sehr gut.«

Mr. Segundus schüttelte den Kopf. »Der Mann kannte meinen Beruf, und es war zu erwarten, dass er so tun würde, als wäre ich einer der beiden Männer. Aber schließlich sagte er mir klipp und klar, dass dem nicht so sei. Zuerst schien es, als wäre er sich dessen nicht ganz sicher. Ich hatte etwas an mir … Er ließ mich meinen Namen niederschreiben und betrachtete ihn eine Zeit lang.«

»Vermutlich hat er gemerkt, dass bei Ihnen nicht noch mehr Geld zu holen war«, sagte Mr. Honeyfoot.

Hurtfew Abbey befand sich vierzehn Meilen nordwestlich von York. Nur der Name war altertümlich. Es hatte einst eine Abtei gegeben, aber das war vor langer Zeit gewesen; das derzeitige Gebäude war während der Regierungszeit von Königin Anne erbaut worden. Es war sehr stattlich, groß und solide und stand in einem Park voller gespenstisch aussehender nasser Bäume (der Tag war mittlerweile ziemlich neblig). Ein Fluss (der Hurt) floss durch den Park, und eine schöne, klassisch wirkende Brücke führte darüber.

Der andere Zauberer (der Norrell hieß) empfing seine Gäste in der Eingangshalle. Er war klein wie seine Handschrift, und er hieß sie mit leiser Stimme in Hurtfew willkommen, als wäre er es nicht gewohnt, seine Gedanken laut auszusprechen. Mr. Honeyfoot, der etwas schwerhörig war, hatte Mühe, ihn zu verstehen. »Ich werde alt, Sir – ein weitverbreitetes Übel. Ich hoffe, Sie werden es mir nachsehen.«

Mr. Norrell führte seine Gäste in einen schönen Salon, wo in einem Kamin ein vortreffliches Feuer brannte. Es waren keine Kerzen angezündet, aber durch zwei große Fenster fiel genügend Licht herein, um sehen zu können, obwohl es ein unfreundliches graues Licht war. Doch Mr. Segundus meinte immer wieder, dass ein zweites Feuer oder Kerzen im Raum brannten, und er wandte sich beständig auf seinem Stuhl um und schaute nach, wo sie sein könnten. Aber da war nichts, außer vielleicht einem Spiegel oder einer antiken Uhr.

Mr. Norrell sagte, er habe Mr. Segundus’ Bericht über den Werdegang von Martin Pales Elfendienern gelesen.3 »Eine ehrenwerte Arbeit, Sir, aber Sie haben Master Fallowthought weggelassen. Gewiss, ein unbedeutender Geist, dessen Nutzen für den großen Dr. Pale4 fragwürdig war. Nichtsdestotrotz ist Ihre kleine Geschichte ohne ihn unvollständig.«

Es herrschte Schweigen. »Ein Elfengeist namens Fallowthought, Sir?«, sagte Mr. Segundus. »Ich … ich will … ich will sagen, ich habe nie von der Existenz so eines Geschöpfs gehört – weder in dieser Welt noch in einer anderen.«

Mr. Norrell lächelte zum ersten Mal, aber es war ein nach innen gewandtes Lächeln. »Natürlich«, sagte er, »wie konnte ich es nur vergessen. Es steht alles in Holgarths und Pickles Geschichte ihrer eigenen Händel mit Master Fallowthought, die Sie wohl kaum gelesen haben. Ich beglückwünsche Sie – sie waren ein unappetitliches Paar, eher verbrecherisch als zauberisch. Je weniger man von ihnen weiß, desto besser.«

»Ah, Sir!«, rief Mr. Honeyfoot, der vermutete, dass Mr. Norrell von einem seiner Bücher sprach. »Uns ist Unglaubliches über Ihre Bibliothek zu Ohren gekommen. Alle Zauberer von Yorkshire wurden grün vor Neid, als sie von der großen Anzahl Ihrer Bücher hörten.«

»Wirklich?«, sagte Mr. Norrell kalt. »Das überrascht mich. Ich hatte keine Ahnung, dass alle Welt über meine Angelegenheiten Bescheid weiß … Vermutlich ist es Thoroughgood«, sagte er nachdenklich. Thoroughgood verkaufte im Coffee Yard von York Bücher und Kuriositäten. »Childermass hat mich mehrmals gewarnt, dass Thoroughgood eine Plaudertasche ist.«

Mr. Honeyfoot verstand nicht ganz. Hätte er so viele Bücher über Zauberei, hätte er liebend gern darüber geredet, sich Komplimente machen und die Bücher bewundern lassen; er konnte kaum glauben, dass Mr. Norrell nicht ebenso reagierte. Und um freundlich zu sein und Mr. Norrell die Befangenheit zu nehmen (denn er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass der Herr schüchtern war), sagte er: »Dürfte ich den Wunsch äußern, Sir, Ihre herrliche Bibliothek zu besichtigen?«

Mr. Segundus war überzeugt, dass Mr. Norrell ablehnen würde, aber stattdessen sah Mr. Norrell sie eine Weile unverwandt an (er hatte kleine blaue Augen, aus denen er aus einem geheimen Winkel in sich selbst herauszuspähen schien) und gewährte dann, nahezu huldvoll, Mr. Honeyfoots Wunsch. Mr. Honeyfoot war überaus dankbar und glücklich, weil er glaubte, Mr. Norrell einen ebenso großen Gefallen getan zu haben wie sich selbst.

Mr. Norrell führte die beiden Herren durch einen Flur – einen sehr gewöhnlichen Flur, dachte Mr. Segundus, Boden und Wände waren mit gut poliertem Eichenholz bedeckt, und es roch nach Bienenwachs. Dann kam eine Treppe, vielleicht waren es aber auch nur drei oder vier Stufen, darauf folgte ein weiterer Flur, in dem es kälter war und der Boden aus gutem Yorkstein bestand: alles nicht weiter bemerkenswert. (Oder kam der zweite Flur vor der Treppe oder den Stufen? Oder war da überhaupt eine Treppe gewesen?) Mr. Segundus gehörte zu den Glücklichen, die immer wissen, ob sie nach Norden, Süden, Osten oder Westen gehen. Es war kein Talent, auf das er besonders stolz war – er wusste es einfach, so wie er wusste, dass er den Kopf auf den Schultern trug –, aber in Mr. Norrells Haus ließ es ihn im Stich. Er konnte später die Abfolge von Fluren und Räumen, durch die sie gingen, nicht rekonstruieren, ebenso wenig konnte er bestimmen, wie lange sie brauchten, um in die Bibliothek zu gelangen. Und er konnte die Richtung nicht festlegen; ihm schien, als hätte Mr. Norrell eine fünfte Richtung auf dem Kompass entdeckt – nicht Osten, Süden, Westen oder Norden, sondern irgendwo ganz anders, und in diese Richtung führte er sie. Mr. Honeyfoot dagegen schien nichts Außergewöhnliches zu bemerken.

Die Bibliothek war vielleicht etwas kleiner als der Salon, den sie eben verlassen hatten. Im Kamin brannte ein vortreffliches Feuer, und es war behaglich und still. Aber wieder schien das Licht im Raum nicht mit den drei großen Sprossenfenstern, die aus jeweils zwölf Scheiben bestanden, in Einklang zu stehen, sodass Mr. Segundus erneut das unangenehme, aber hartnäckige Gefühl hatte, Kerzen oder mehr Fenster oder ein weiteres Feuer müssten das Licht spenden. Durch die Fenster blickte man hinaus auf eine weite Landschaft aus dämmrigem englischem Regen, und Mr. Segundus konnte weder etwas erkennen, noch hatte er eine Ahnung, wo im Haus sie sich aufhielten.

Der Raum war nicht leer; an einem Tisch saß ein Mann, der sich erhob, als sie eintraten, und den Mr. Norrell kurz als Childermass vorstellte, seinen Mann der Geschäfte.

Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus, die ja selbst Zauberer waren, musste nicht erklärt werden, dass die Bibliothek von Hurtfew Abbey ihrem Hausherrn kostbarer war als alle seine anderen Besitztümer; und es erstaunte sie nicht, dass Mr. Norrell ein wunderschönes Schmuckkästchen für seinen liebsten Schatz eingerichtet hatte. Die Bücherschränke, die die Wände des Raums bedeckten, waren aus englischen Hölzern und erinnerten an mit Schnitzereien verzierte gotische Bögen. Da waren Schnitzereien von Blättern (vertrocknete und eingerollte Blätter, als hätte der Künstler den Herbst darstellen wollen), von ineinander verschlungenen Wurzeln und Ästen, von Beeren und Efeu – alles wunderbar gearbeitet. Aber das Wunder der Bücherschränke war nichts verglichen mit dem Wunder der Bücher.

Das Erste, was ein Student der Zauberei lernt, ist, dass es Bücher über Zauberei und Zauberbücher gibt. Das Zweite, was er lernt, ist, dass ein vollkommen achtbares Exemplar von Ersterem bei einem guten Buchhändler für zwei bis drei Guineen zu haben ist und dass Letztere mehr kosten als Rubine.5 Die Sammlung der Gilde von York galt als vorzüglich, nahezu bemerkenswert; darunter befanden sich fünf Bände, die zwischen 1550 und 1700 geschrieben waren und sinnvollerweise als Zauberbücher gelten konnten (auch wenn eines aus nur wenigen zerfledderten Seiten bestand). Zauberbücher sind selten, und weder Mr. Segundus noch Mr. Honeyfoot hatten jemals mehr als zwei oder drei in einer privaten Bibliothek gesehen. In Hurtfew waren alle Wände mit Bücherschränken bedeckt, und alle Bücherschränke waren mit Büchern gefüllt. Und die Bücher waren allesamt, oder fast allesamt, alte Bücher, Zauberbücher. Gewiss, viele hatten makellose moderne Einbände, aber es waren ganz eindeutig Bücher, die Mr. Norrell neu hatte binden lassen (er schien schlichtes Kalbsleder zu bevorzugen, die Titel geprägt in ordentlichen silbernen Großbuchstaben). Aber viele Einbände waren alt, alt, alt, mit abgegriffenen Rücken und Ecken.

Mr. Segundus warf einen Blick auf die Buchrücken in einem nahen Regal; der erste Titel, den er las, lautete: Wie man der Dunkelheit Fragen stellet und ihre Antworten verstehet.

»Ein albernes Werk«, sagte Mr. Norrell. Mr. Segundus erschrak – er hatte nicht bemerkt, dass ihr Gastgeber neben ihm stand. »Ich würde Ihnen raten, keine Sekunde daran zu verschwenden.«

Also blickte Mr. Segundus zum nächsten Buch, wobei es sich um Belasis’ Instruktionen handelte.

»Sie kennen Belasis, nehme ich an?«, fragte Mr. Norrell.

»Nur aufgrund seiner Reputation, Sir«, sagte Mr. Segundus. »Ich habe oft gehört, dass er den Schlüssel zu vielen Dingen kannte, aber ich habe auch gehört – ja, alle Autoritäten stimmen darin überein –, dass alle Exemplare der Instruktionen vor langer Zeit zerstört wurden. Und doch steht es hier! Nun, Sir, das ist höchst außergewöhnlich! Es ist wunderbar!«

»Sie erwarten sehr viel von Belasis«, sagte Mr. Norrell. »Und vor langer Zeit war ich ganz Ihrer Meinung. Ich erinnere mich, mehrere Monate lang acht von vierundzwanzig Stunden dem Studium seines Werks gewidmet zu haben. Eine Aufmerksamkeit, die ich keinem anderen Autor erwiesen habe. Aber letztlich ist er eine Enttäuschung. Er ist mystisch, wo er verständlich sein sollte, und verständlich, wo er obskur sein sollte. Es gibt Dinge, die nicht in einem Buch stehen sollten, wo alle Welt sie lesen kann. Ich persönlich habe keine sehr hohe Meinung mehr von Belasis.«

»Hier ist ein Buch, von dem ich noch nie gehört habe, Sir«, sagte Mr. Segundus. »Die Vortrefflichkeiten der Christlich-Judäischen Magie. Was können Sie mir darüber sagen?«

»Ha!«, rief Mr. Norrell. »Das stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert, aber ich habe keine gute Meinung davon. Der Autor war ein Lügner, ein Trinker, ein Ehebrecher und ein Schurke. Ich bin froh, dass er so vollkommen in Vergessenheit geraten ist.«

Wie es schien, verachtete Mr. Norrell nicht nur lebende Zauberer. Er hatte auch alle toten geprüft und sie für unzulänglich befunden.

Mr. Honeyfoot ging zwischenzeitlich mit erhobenen Händen, als wäre er ein Methodist, der Gott pries, rasch von einem Bücherschrank zum nächsten; er blieb kaum lang genug stehen, um den Titel eines Buchs zu lesen, bevor sein Blick auf ein weiteres auf der anderen Seite des Raums fiel. »Oh, Mr. Norrell«, rief er. »So viele Bücher! Hier werden wir sicherlich die Antworten auf alle unsere Fragen finden.«

»Das bezweifle ich, Sir«, lautete Mr. Norrells trockene Antwort.

Der Mann der Geschäfte lachte kurz auf – ein Lachen, das ganz eindeutig Mr. Honeyfoot galt, aber Mr. Norrell ermahnte ihn weder mit Blicken noch mit Worten, und Mr. Segundus fragte sich, welche Art von Geschäften Mr. Norrell dieser Person anvertraute. Mit seinem langen Haar, das so fransig war wie Regen und so schwarz wie ein Donnerschlag, hätte er gut in ein windgepeitschtes Moor gepasst oder in eine rabenschwarze Gasse oder vielleicht in einen Roman von Mrs. Radcliffe.

Mr. Segundus nahm Die Instruktionen von Jacques Belasis heraus und stieß trotz Mr. Norrells schlechter Meinung davon sofort auf zwei außerordentliche Passagen.6 Dann wurde er sich bewusst, wie schnell die Zeit verging und der Mann der Geschäfte ihn mit einem schrägen dunklen Blick bedachte, und er schlug Die Vortrefflichkeiten der Christlich-Judäischen Magie auf. Es handelte sich nicht (wie er angenommen hatte) um ein gedrucktes Buch, sondern um ein Manuskript, eilig hingekritzelt auf die Rückseiten von Papierfetzen, vor allem Rechnungen von Bierschänken. Mr. Segundus las von wunderbaren Abenteuern. Der Zauberer aus dem siebzehnten Jahrhundert hatte seine spärliche Zauberkunst dazu benutzt, um gegen große und mächtige Feinde zu kämpfen. Es waren Kämpfe, auf die sich eigentlich kein menschlicher Zauberer hätte einlassen sollen. Er notierte die Geschichte seiner verstreuten Siege, als seine Feinde den Kreis um ihn schlossen. Der Autor war sich während des Schreibens sehr wohl bewusst gewesen, dass seine Zeit vorüber war und dass der Tod das Beste war, worauf er hoffen durfte.

Im Raum wurde es dunkler; die uralte Schrift verschwamm auf der Seite. Zwei Diener betraten die Bibliothek und zündeten unter dem strengen Blick des ungeschäftsmäßigen Mannes der Geschäfte Kerzen an, zogen die Vorhänge zu und warfen neue Kohlen ins Feuer. Mr. Segundus hielt es für angebracht, Mr. Honeyfoot daran zu erinnern, dass sie Mr. Norrell den Grund ihres Besuchs noch nicht eröffnet hatten.

Als sie die Bibliothek verließen, fiel Mr. Segundus etwas Merkwürdiges auf. Ein Stuhl stand vor dem Kamin, und neben dem Stuhl stand ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch lagen die in Leder gebundenen Deckel eines sehr alten Buches, eine Schere und ein dickes, grausam wirkendes Messer, wie ein Gärtner es zum Beschneiden benutzen mochte. Die Seiten des Buches fehlten. Vielleicht, so dachte Mr. Segundus, hat er sie weggegeben, um sie neu binden zu lassen. Aber der alte Einband sah noch gut aus, und warum sollte Mr. Norrell sich die Mühe machen und die Seiten entfernen und dabei riskieren, sie zu beschädigen? Ein geschickter Buchbinder war die geeignetere Person für diese Art Arbeit.

Als sie erneut im Salon saßen, wandte sich Mr. Honeyfoot an Mr. Norrell. »Was ich heute hier gesehen habe, Sir, bestärkt mich in der Überzeugung, dass Sie die Person sind, die uns helfen kann. Mr. Segundus und ich sind der Ansicht, dass moderne Zauberer sich auf einem Irrweg befinden. Sie verschwenden ihre Energie auf Nichtigkeiten. Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Sir?«

»Oh, aber gewiss«, sagte Mr. Norrell.

»Unsere Frage lautet«, fuhr Mr. Honeyfoot fort, »warum die Zauberei in unserem großen Land ihren einst großen Ruf verloren hat. Unsere Frage lautet, Sir, warum wird in England nicht mehr gezaubert?«

Mr. Norrells kleine blaue Augen wurden härter und leuchteten, und er kniff die Lippen zusammen, als wollte er eine große, heimliche Freude unterdrücken. Es war, so dachte Mr. Segundus, als hätte er lange Zeit darauf gewartet, dass ihm jemand diese Frage stellte, und als hätte er die Antwort darauf seit Jahren parat. Mr. Norrell sagte: »Ich kann Ihnen bei Ihrer Frage nicht helfen, Sir, denn ich verstehe sie nicht. Es ist die falsche Frage, Sir. In England wird noch gezaubert. Ich selbst bin ein ziemlich passabler praktischer Zauberer.«

1 Geschichte und Ausübung der englischen Zauberei von Jonathan Strange, Band I, 2. Kap., verlegt von John Murray, London 1816.

2 Besser gesagt, die Aureatischen oder die Zauberer des Goldenen Zeitalters.

3 Eine vollständige Beschreibung von Dr. Pales Elfendienern, ihrer Namen, ihrer Geschichte, ihrer Charaktere und der Dienste, die sie ihm leisteten von John Segundus, verlegt von Thomas Burnham, Buchhändler, Northampton 1799.

4 Dr. Martin Pale (1485–1567) war der Sohn eines Gerbers aus Warwick. Er war der Letzte der Aureatischen oder Zauberer des Goldenen Zeitalters. Auf ihn folgten weitere Zauberer (z. B. Gregory Absalom), aber ihr Ruf ist umstritten. Pale war jedenfalls der letzte englische Zauberer, der ins Elfenland reiste.

5 Zauberer streiten gemäß Jonathan Stranges These über alles, und viele Jahre und viel Gelehrtheit wurde auf die strittige Frage verwendet, ob dieser oder jener Band als Zauberbuch gelten kann. Die meisten Laien geben sich mit folgender einfacher Regel zufrieden: Bücher, die geschrieben wurden, bevor die Zauberei in England ein Ende fand, sind Zauberbücher, später geschriebene Bücher sind Bücher über Zauberei. Das Prinzip, von welchem die Faustregel der Laien abgeleitet wird, lautet, dass ein Zauberbuch von einem praktizierenden Zauberer geschrieben sein sollte und nicht von einem theoretischen Zauberer oder einem Historiker der Zauberei. Was könnte einleuchtender sein? Aber schon stecken wir in Schwierigkeiten. Die großen Meister der Zauberei, die wir die Aureatischen oder Zauberer des Goldenen Zeitalters nennen (Thomas Godbless, Ralph Stokesey, Catherine von Winchester, der Rabenkönig) schrieben nur wenig, oder es ist nur wenig überliefert. Thomas Godbless konnte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht schreiben. Stokesey lernte Latein in einer kleinen Dorfschule in seinem heimatlichen Devonshire, aber alles, was wir über ihn wissen, stammt von anderen Schriftstellern.

Zauberer schrieben erst Bücher, als die Zauberei am Untergehen war. Dunkelheit senkte sich herab, um den Ruhm englischer Zauberei zu verschlucken; die Männer, die wir die Silbernen oder Zauberer des Silbernen Zeitalters nennen (Thomas Lanchester 1518–1590; Jacques Belasis 1526–1604; Nicholas Goubert 1535–1578; Gregory Absalom 1507–1599) waren flackernde Kerzen im Zwielicht; sie waren zuerst Gelehrte und dann erst Zauberer. Gewiss, sie behaupteten, Zauberei zu betreiben, manche hatten sogar einen Elfendiener oder zwei, aber sie scheinen in dieser Beziehung nur wenig erreicht zu haben, und ein paar moderne Gelehrte bezweifeln, dass sie überhaupt zaubern konnten.

6 Die erste Passage, die Mr. Segundus las, handelte von England, dem Elfenland (das die Zauberer bisweilen »die Anderen Lande« nennen) und einem seltsamen Land, das angeblich auf der anderen Seite der Hölle liegt. Mr. Segundus hatte von dem symbolischen und magischen Band gehört, das diese drei Länder miteinander verbindet, aber nie zuvor hatte er eine so präzise Erklärung gelesen, wie sie hier dargeboten wurde.

Die zweite Stelle handelte von einem der größten englischen Zauberer, Martin Pale. In Der Baum des Lernens von Gregory Absalom gibt es eine berühmte Passage, die davon erzählt, wie der letzte der großen Aureatischen Zauberer, Martin Pale, durch das Elfenland reiste und einem Elfenprinzen einen Besuch abstattete. Wie die meisten seiner Gattung hatte der Elf viele verschiedene Namen, Ehrenbezeichnungen, Titel und Pseudonyme, aber weithin war er als der Kalte Henry bekannt. Der Kalte Henry hielt seinem Gast eine lange, ehrerbietige Rede. Die Rede war gespickt mit Metaphern und obskuren Anspielungen, aber was der Kalte Henry wohl sagen wollte, war, dass Elfen von Natur aus boshafte Geschöpfe waren, die nicht immer merkten, wenn sie etwas Falsches taten. Darauf erwiderte Martin Pale knapp und etwas rätselhaft, dass nicht alle Engländer gleich große Füße hätten.

Mehrere Jahrhunderte lang wusste niemand, was all das bedeutete, obschon diverse Theorien vorgeschlagen wurden – und Mr. Segundus war mit allen vertraut. Die bekannteste wurde zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts von William Pantler entwickelt. Pantler meinte, dass der Kalte Henry und Pale von Theologie gesprochen hatten. Elfen befinden sich (wie jeder weiß) außerhalb der Reichweite der Kirche; Christus ist nicht zu ihnen gekommen und wird es nie tun, und was am Tag des Jüngsten Gerichts aus ihnen werden wird, weiß keiner. Gemäß Pantler wollte der Kalte Henry von Pale wissen, ob Hoffnung bestünde, dass die Elfen wie Menschen auf ewig erlöst würden. Pales Antwort – dass Engländer unterschiedlich große Füße haben – war seine Art, ihm zu verstehen zu geben, dass nicht alle Engländer erlöst würden. Im Anschluss daran schreibt Pantler Pale die etwas merkwürdige Auffassung zu, dass der Himmel nur eine begrenzte Anzahl von Gesegneten aufnehmen könnte; für jeden Engländer, der verdammt sei, würde im Himmel ein Platz für einen Elfen frei. Pantlers Ansehen als theoretischer Zauberer beruht ausschließlich auf dem Buch, das er zu diesem Thema verfasste.

In den Instruktionen von Jacques Belasis las Mr. Segundus eine vollkommen andersartige Erklärung. Drei Jahrhunderte, bevor Martin Pale im Schloss des Kalten Henry auftauchte, hatte dieser einen anderen menschlichen Besucher, einen noch größeren englischen Zauberer als Pale – Ralph Stokesey –, der ihm ein Paar Stiefel daließ. Die Stiefel, so Belasis, waren alt – wahrscheinlich der Grund, warum Stokesey sie nicht mitnahm –, sorgten jedoch für große Aufregung bei den Elfen im Schloss, die englischen Zauberern große Verehrung entgegenbrachten. In der Klemme steckte vor allem der Kalte Henry, der fürchtete, dass die christliche Moral ihn auf unnatürliche, unverständliche Weise für den Verlust der Stiefel verantwortlich machen würde. Deswegen versuchte er, die schrecklichen Stiefel loszuwerden und sie Pale zu schenken, der sie jedoch nicht wollte.

2 Das Old Starre Inn

Januar bis Februar 1807

Als die Kutsche durch Mr. Norrells Tor hinausfuhr, rief Mr. Honey-foot: »Ein praktischer Zauberer in England! Und noch dazu in Yorkshire! Was für ein außergewöhnliches Glück wir hatten! Ah, Mr. Segundus, das haben wir Ihnen zu verdanken. Sie waren wach, als wir schliefen. Hätten Sie uns nicht dazu ermuntert, hätten wir Mr. Norrell vielleicht nie gefunden. Und ich bin sicher, dass er nie zu uns gekommen wäre, er ist ein bisschen zurückhaltend. Er hat uns keine Einzelheiten hinsichtlich seiner Errungenschaften in praktischer Zauberei genannt, nichts außer der schlichten Tatsache, dass er erfolgreich ist. Ich halte das für ein Zeichen von Bescheidenheit. Mr. Segundus, ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass unsere Aufgabe klar ist. Es obliegt uns, Sir, Mr. Norrells angeborene Schüchternheit und seinen Widerwillen gegen Lob zu überwinden und ihn im Triumph vor ein größeres Publikum zu führen.«

»Mag sein«, sagte Mr. Segundus zweifelnd.

»Ich behaupte nicht, dass es einfach sein wird«, fuhr Mr. Honeyfoot fort. »Er lebt ein wenig zurückgezogen und mag keine Gesellschaft. Aber er muss einsehen, dass er sein Wissen zum Wohl unseres Landes mit anderen teilen muss. Er ist ein Gentleman. Er kennt seine Pflicht und wird sie erfüllen, da bin ich sicher. Ach, Mr. Segundus! Sie verdienen den großen Dank aller Zauberer in unserem Lande.«

Aber was immer Mr. Segundus verdiente, es ist traurig, aber wahr, dass die Zauberer von England ausnehmend undankbare Männer sind. Hätten Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus die bedeutsamste Entdeckung der magischen Wissenschaft seit drei Jahrhunderten gemacht – na und? Als sie davon erfuhren, gab es kaum ein Mitglied der Gilde von York, das nicht absolut davon überzeugt gewesen wäre, es besser gemacht zu haben – und als am folgenden Dienstag eine außerordentliche Sitzung der Gelehrten Gilde der Zauberer von York abgehalten wurde, waren es nur wenige Mitglieder, die dies nicht auch ausdrücklich bekundeten.

Um sieben Uhr am Dienstagabend war der obere Saal des Old Starre Inn in Stonegate überfüllt. Die Neuigkeiten, die Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus mitgebracht hatten, schienen alle Herren der Stadt, die jemals in ein Zauberbuch geschaut hatten, anzuziehen – und York war damals noch, auf seine ganz eigene Weise, eine der zauberischsten Städte Englands; nur die Stadt des Königs, Newcastle, konnte vielleicht mit noch mehr Zauberern aufwarten.

Es drängten sich so viele Zauberer in den Saal, dass zumindest im Augenblick viele stehen mussten, obwohl die Kellner ständig weitere Stühle die Treppe hinaufschleppten. Dr. Foxcastle hatte einen ausgezeichneten Stuhl ergattert, groß und schwarz und mit eigentümlichen Schnitzereien versehen – und dieser Stuhl (der einem Thron ähnelte), der rote Samtvorhang dahinter und die Art, wie er mit über dem großen runden Bauch gefalteten Händen dasaß, verliehen ihm ein überaus amtliches Aussehen.

Die Dienstboten des Old Starre Inn hatten ein vorzügliches Feuer entfacht, um die Kälte des Januarabends zu vertreiben, und davor saßen ein paar uralte Zauberer – offenbar aus der Regierungszeit Georges II. –, alle in karierte Schals gewickelt, mit vergilbten Spinnwebgesichtern und begleitet von ebenso alten Dienern mit Medizinfläschchen in den Taschen. Mr. Honeyfoot begrüßte sie. »Guten Abend, Mr. Aptree. Guten Abend, Mr. Greyshippe. Ich hoffe, Sie sind wohlauf, Mr. Tunstall. Ich freue mich, Sie hier zu sehen, meine Herren. Ich hoffe, Sie sind gekommen, um mit uns zu feiern. Die vielen Jahre in der staubigen Wüste sind zu Ende. Ah, niemand weiß besser als Sie, Mr. Aptree, und Sie, Mr. Greyshippe, was für Jahre das gewesen sind, denn Sie haben viele davon durchlebt. Aber jetzt werden wir Zeugen, wie die Zauberei erneut Britanniens Ratgeberin und Beschützerin sein wird. Und die Franzosen, Mr. Tunstall! Was werden die Franzosen denken, wenn sie davon erfahren? Nun denn. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie auf der Stelle kapitulieren würden.«

Mr. Honeyfoot hatte noch eine Menge mehr in dieser Richtung zu sagen; er hatte eine Rede vorbereitet, in der er beabsichtigte, sie auf die wunderbaren Vorteile hinzuweisen, die Britannien aus dieser Entdeckung erwachsen würden. Aber es war ihm nicht gestattet, mehr als ein paar Sätze von sich zu geben, denn es schien, als würden die Herren schier bersten, weil sie alle eine eigene Meinung zu diesem Thema hatten, die sie unverzüglich jedem anderen Herrn im Saal mitteilen mussten. Als Erster unterbrach ihn Dr. Foxcastle. Von seinem hohen schwarzen Thron aus wandte er sich an Mr. Honeyfoot. »Ich bedaure sehr, Sir, mit ansehen zu müssen, wie Sie die Zauberei – die Sie, wie ich sehr wohl weiß, hoch achten – mit unwahrscheinlichen Geschichten und wilden Erfindungen in Verruf bringen. Mr. Segundus«, wandte er sich an den Herrn, den er als den Urheber des ganzen Ärgers betrachtete, »ich weiß nicht, was dort üblich ist, wo Sie herkommen, aber wir in Yorkshire halten nichts von Männern, die sich auf Kosten des Seelenfriedens anderer Menschen einen Namen machen wollen.«

Weiter kam Dr. Foxcastle nicht, denn er wurde von den lauten, wütenden Rufen der Anhänger von Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus zum Schweigen gebracht. Der nächste Herr, der sich Gehör verschaffte, wunderte sich, dass Mr. Segundus und Mr. Honeyfoot sich so hatten hinters Licht führen lassen. Mr. Norrell war ganz eindeutig verrückt – nicht anders als jene wild um sich starrenden Irren, die an Straßenecken standen und schrien, sie wären der Rabenkönig.

Ein Herr mit sandfarbenem Haar meinte im Zustand höchster Aufregung, Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus hätten darauf bestehen sollen, dass Mr. Norrell auf der Stelle sein Haus verlasse und geradewegs in einem offenen Wagen (obwohl es Januar war) im Triumphzug nach York fahre, damit der Herr mit dem sandfarbenen Haar Efeublätter auf seinen Pfad hätte streuen können;7 und einer der sehr alten Männer vor dem Feuer sprach mit großer Leidenschaft über irgendetwas, aber da er so alt war, war seine Stimme ziemlich leise, und in dem Moment hatte niemand die Muße herauszufinden, was genau er sagte.

Im Saal befand sich auch ein großer vernünftiger Mann namens Thorpe, ein Herr, der nur sehr wenig von Zauberei verstand, dafür jedoch umso mehr über gesunden Menschenverstand verfügte, eine Seltenheit bei einem Zauberer. Er war immer dafür gewesen, Mr. Segundus bei seinen Nachforschungen, wohin die praktische englische Zauberei verschwunden war, zu unterstützen, allerdings hatte Mr. Thorpe wie alle anderen nicht damit gerechnet, dass Mr. Segundus die Antwort so schnell finden würde. Aber jetzt, da sie eine Antwort hatten, war Mr. Thorpe der Meinung, dass sie sie nicht einfach ignorieren konnten. »Meine Herren, Mr. Norrell behauptet, dass er zaubern kann. Nun denn. Wir wissen ein bisschen was über Norrell – wir haben alle von den seltenen Texten gehört, die er angeblich besitzt, und allein aus diesem Grund wäre es falsch, seine Behauptung ohne sorgfältige Prüfung abzutun. Aber es gibt noch bessere Argumente zugunsten von Norrell. Zwei von uns – beide ernsthafte Gelehrte – haben Norrell persönlich kennengelernt und sind überzeugt zurückgekehrt.« Er wandte sich an Mr. Honeyfoot. »Sie glauben an diesen Mann – man sieht es Ihrem Gesicht an. Sie haben etwas gesehen, was Sie überzeugt hat. Wollen Sie uns nicht mitteilen, was es war?«

Nun, Mr. Honeyfoots Reaktion auf diese Bitte war vielleicht ein wenig sonderbar. Zuerst lächelte er Mr. Thorpe dankbar an, als hätte er sich genau das gewünscht: die Chance, die ausgezeichneten Gründe bekannt zu geben, warum er glaubte, dass Mr. Norrell zaubern konnte. Er öffnete den Mund, um zu sprechen. Dann hielt er inne, machte eine Pause, schaute sich um, als würden sich die ausgezeichneten Gründe, die vor einem Augenblick noch so unanfechtbar schienen, in seinem Mund in ein verschwommenes Nichts verwandeln und als könnten seine Zunge und seine Zähne nicht einen einzigen Grund in einem verständlichen englischen Satz formulieren. Er murmelte etwas von Mr. Norrells ehrlichem Gesicht.

Die Gilde von York hielt das für nicht sehr zufriedenstellend (und wären sie so privilegiert gewesen, Mr. Norrells Gesicht tatsächlich zu sehen, hätten sie es womöglich als noch weniger zufriedenstellend empfunden). Deswegen wandte Mr. Thorpe sich an Mr. Segundus und sagte: »Mr. Segundus, auch Sie haben Norrell gesehen. Was ist Ihre Meinung?«

Zum ersten Mal bemerkte die Gilde von York, wie blass Mr. Segundus war, und einigen Herren fiel ein, dass er ihnen, als sie ihn grüßten, nicht geantwortet hatte, als könnte er seine Gedanken nicht sammeln. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Sir?«, fragte Mr. Thorpe besorgt. »Doch, doch«, murmelte Mr. Segundus. »Es ist nichts. Ich danke Ihnen.« Aber er blickte so verloren drein, dass einer der Herren ihm seinen Stuhl anbot und ein anderer ihm ein Glas kanarischen Wein holte, und der leicht erregbare Herr mit dem sandfarbenen Haar, der Efeublätter auf Mr. Norrells Pfad hatte streuen wollen, hegte insgeheim die Hoffnung, Mr. Segundus wäre verzaubert und sie würden etwas Außergewöhnliches zu sehen bekommen.

Mr. Segundus seufzte und sagte: »Ich danke Ihnen. Ich bin nicht krank, aber in der letzten Woche habe ich mich sehr schwerfällig und töricht gefühlt. Mrs. Pleasance hat mir Pfeilwurz gegeben und einen heißen Trunk aus Süßholzwurzeln, aber das alles hat nichts geholfen – was mich nicht überrascht, denn ich glaube, der Sitz der Verwirrung ist mein Kopf. Aber es geht mir schon besser. Wenn Sie fragen, meine Herren, warum ich glaube, dass die Zauberkunst nach England zurückgekehrt ist, sollte ich sagen: Es ist so, weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Der Eindruck ist lebhaft, hier und hier.« (Mr. Segundus berührte seine Stirn und sein Herz.) »Und doch weiß ich, dass ich nichts gesehen habe. Norrell hat nicht gezaubert, als wir bei ihm waren. Deswegen vermute ich, dass ich es geträumt habe.«

Es folgte ein erneuter Ausbruch der Herren der Gilde von York. Der matte Herr lächelte matt und fragte, ob jemand aus dem Gesagten schlau würde. Dann rief Mr. Thorpe: »Guter Gott! Es ist absolut unsinnig, dass wir alle hier sitzen und behaupten, Mr. Norrell könne dies oder das tun oder nicht tun. Ich denke, wir sind alle vernunftbegabte Wesen, und die Antwort liegt auf der Hand. Wir werden ihn bitten, für uns zu zaubern, zum Beweis für seine Behauptung.«

Das klang so vernünftig, dass alle Zauberer einen Moment lang verstummten – was nicht heißen soll, dass der Vorschlag sich allgemeiner Beliebtheit erfreute, ganz im Gegenteil. Mehreren Zauberern (darunter Dr. Foxcastle) gefiel er überhaupt nicht. Wenn sie Mr. Norrell baten zu zaubern, bestand die Gefahr, dass er es tatsächlich tat. Sie wollten nicht, dass gezaubert wurde; sie wollten nur in Büchern darüber lesen. Andere waren der Ansicht, dass sich die Gilde von York der Lächerlichkeit preisgeben würde, wenn sie ihn auch nur darum bäten. Aber letztlich stimmten die meisten Zauberer mit Mr. Thorpe überein, der meinte: »Das Mindeste, was wir als Gelehrte tun können, meine Herren, ist, dass wir Mr. Norrell die Gelegenheit geben, uns zu überzeugen.« Und so wurde beschlossen, Mr. Norrell einen zweiten Brief zu schreiben.

Alle Zauberer waren sich einig, dass Mr. Honeyfoot und Mr. Segundus die Sache sehr schlecht gehandhabt hatten und zumindest in einem Punkt – Mr. Norrells wunderbare Bibliothek – beachtliche Dummheiten von sich gaben, denn einen verständlichen Bericht brachten sie nicht zustande. Was hatten sie gesehen? Bücher, viele Bücher. Eine bemerkenswerte Anzahl von Büchern? Ja, sie hatten sie im Augenblick, als sie davorstanden, für bemerkenswert gehalten. Seltene Bücher? Ah, wahrscheinlich. War ihnen gestattet gewesen, sie aus den Schränken zu nehmen und darin zu blättern? O nein! Mr. Norrell war nicht so weit gegangen, ihnen das anzubieten. Aber sie hatten die Titel gelesen? Ja, natürlich. Nun, wie lauteten die Titel der Bücher, die sie gesehen hatten? Sie wussten es nicht; sie konnten sich nicht erinnern. Mr. Segundus meinte, der Titel eines Buches habe mit einem »B« angefangen, aber mehr wusste er nicht zu berichten. Es war sehr sonderbar.

Mr. Thorpe wollte den Brief an Mr. Norrell selbst schreiben, aber im Saal befanden sich viele Zauberer, die Mr. Norrell im Gegenzug für seine Unverschämtheit ärgern wollten, und diese Herren waren zu Recht der Ansicht, dass der beste Weg, Mr. Norrell für seine Unverschämtheit zu bestrafen, darin bestand, Dr. Foxcastle den Brief schreiben zu lassen. Und so geschah es. In angemessenem zeitlichem Abstand erhielten sie eine wütende Antwort.

Hurtfew Abbey, Yorkshire1. Feb. 1807

Sir –

Zweimal wurde mir in den letzten Jahren die Ehre zuteil, einen Brief der Gilde der Zauberer von York zu erhalten, in dem Sie bekundeten, meine Bekanntschaft machen zu wollen. Nun kam ein dritter Brief, der das Missvergnügen der Gilde zum Ausdruck bringt. Die gute Meinung der Gilde von York scheint man ebenso schnell wieder verspielen zu können, wie man sie erwerben kann, und man erfährt nie, was im einen wie im anderen Fall der Grund ist. Als Antwort auf die spezielle Anschuldigung, die mir in Ihrem letzten Brief zur Last gelegt wird, nämlich dass ich meine Fähigkeiten übertrieben und mir Kräfte zugeschrieben habe, die ich unmöglich besitzen kann, habe ich nur Folgendes zu sagen: Andere Männer mögen ihren Mangel an Erfolg einem Defekt der Welt zuschreiben statt ihren eigenen armseligen Kenntnissen, aber die Wahrheit ist, dass Zauberei auch in diesen Zeiten möglich ist, genauso wie in allen anderen; wie ich selbst zu meiner eigenen vollständigen Zufriedenheit während der letzten zwanzig Jahre viele Male bewiesen habe. Aber was ist der Lohn dafür, dass ich meine Kunst mehr liebe als andere Männer, dass ich hart gearbeitet habe, um sie zu vervollkommnen? Es wird behauptet, ich wäre ein ›Fabulierer‹; meine professionellen Fähigkeiten werden verunglimpft, und mein Wort wird in Zweifel gezogen. Sie werden, wie ich annehme, nicht überrascht sein, wenn ich unter diesen Umständen nicht sehr geneigt bin, der Aufforderung der Gilde von York nachzukommen – schon gar nicht der Bitte, meine Zauberkunst vorzuführen. Die Gelehrte Gilde der Zauberer von York tritt am nächsten Mittwoch erneut zusammen, und an diesem Tag werde ich Sie von meinen Absichten in Kenntnis setzen.

Ihr ergebener Diener

Gilbert Norrell

Das klang alles auf unangenehmste Weise geheimnisvoll. Die theoretischen Zauberer warteten einigermaßen nervös darauf, was der praktische Zauberer ihnen als Nächstes übermitteln würde. Was ihnen Mr. Norrell als Nächstes übermittelte, war nichts Beunruhigenderes als ein Advokat, ein lächelnder, hüpfender, sich verneigender Advokat, ein sehr gewöhnlicher Advokat namens Robinson in ordentlichen schwarzen Kleidern und sauberen Glacéhandschuhen, mit einem Dokument, wie es die Herren der Gilde von York noch nie gesehen hatten: ein Vertragsentwurf, aufgesetzt gemäß dem lange vergessenen Codex der englischen Zauberei.

Mr. Robinson betrat den oberen Saal des Old Starre Inn Punkt acht Uhr und schien zu glauben, dass er erwartet würde. Mr. Robinson hatte eine Kanzlei und zwei Angestellte in der Coney Street. Er war vielen der Herren wohlbekannt.

»Ich muss Ihnen gestehen, verehrte Herren«, sagte Mr. Robinson und lächelte, »dass dieses Papier überwiegend der Feder meines Mandanten Mr. Norrell entstammt. Ich bin kein Fachmann für thaumaturgisches Recht. Wer ist das heutzutage schon? Dennoch, sollte ich mich an irgendeiner Stelle irren, so gehe ich davon aus, dass Sie so freundlich sein und mich korrigieren werden.«

Mehrere der Zauberer von York nickten weise.

Mr. Robinson war sozusagen eine glänzende Person. Er war so sauber und gesund und erfreut über alles, dass er ganz eindeutig strahlte – eine Eigenschaft, die man eigentlich nur Elfen oder Engeln zuschrieb, die bei einem Advokaten jedoch etwas beunruhigend wirkte. Er trat den Herren der Gilde von York gegenüber sehr ehrerbietig auf, denn er hatte keine Ahnung von Zauberei, aber er hielt sie für schwierig und glaubte, dass sie große geistige Konzentration erforderte. Neben seiner professionellen Bescheidenheit und der ungeheuchelten Bewunderung für die Gilde von York verfügte Mr. Robinson zudem über eine frohgemute Eitelkeit und erwartete, dass diese monumentalen Geister eine Weile lang nicht über esoterische Angelegenheiten nachgrübelten, sondern ihm zuhören mussten. Er setzte sich eine gold gefasste Brille auf die Nase, ein weiteres kleines Funkeln an dieser strahlenden Person.

Mr. Robinson erklärte, dass Mr. Norrell bereit wäre, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein Beispiel seiner Zauberkunst zu geben. »Ich hoffe, Sie haben keine Einwände, Gentlemen, wenn mein Mandant Zeit und Ort festlegt?«

Die Herren hatten keine Einwände.

»Dann wird es die Kathedrale sein, Freitag in vierzehn Tagen.«8

Mr. Robinson führte aus, dass Mr. Norrell, sollte er beim Zaubern versagen, seine Behauptung, ein praktischer Zauberer, ja, überhaupt ein Zauberer zu sein, öffentlich widerrufen und einen Eid schwören würde, nie wieder Behauptungen dieser Art aufzustellen.

»Soweit braucht er nicht zu gehen«, sagte Mr. Thorpe. »Wir verspüren nicht den Wunsch, ihn zu bestrafen. Wir möchten nur seine Behauptungen überprüfen.«

Mr. Robinsons strahlendes Lächeln verblasste ein wenig, als hätte er etwas sehr Unangenehmes zu überbringen und wüsste nicht recht, wie er es anstellen sollte.

»Warten Sie«, sagte Mr. Segundus, »wir kennen den zweiten Teil der Vereinbarung noch nicht. Wir haben noch nicht gehört, was er von uns erwartet.«

Mr. Robinson nickte. Mr. Norrell beabsichtigte, so schien es, von ausnahmslos allen Mitgliedern der Gilde von York dasselbe Versprechen zu fordern. Mit anderen Worten: Wenn er erfolgreich war, mussten sie die Gilde der Zauberer von York umstandslos auflösen, und keiner von ihnen durfte jemals wieder den Titel »Zauberer« führen. Das wäre, sagte Mr. Robinson, schließlich nur fair, da Mr. Norrell sich in diesem Fall als einzig wahrer Zauberer in Yorkshire erwiesen hätte.

»Und wird es eine dritte, unabhängige Partei geben, die das Urteil fällen wird, ob wirklich gezaubert wurde oder nicht?«, fragte Mr. Thorpe.

Diese Frage schien Mr. Robinson zu verwirren. Sie würden es ihm hoffentlich nachsehen, wenn er sich eine falsche Vorstellung gemacht habe, sagte er, er wolle ihnen keinesfalls zu nahe treten, aber er habe geglaubt, dass alle anwesenden Herren Zauberer wären.

O ja. Die Gilde von York nickte. Sie waren alle Zauberer.

Dann würden sie es doch sicherlich merken, sagte Mr. Robinson, wenn gezaubert würde. Gewiss gebe es niemanden, der besser für diese Aufgabe qualifiziert wäre.

Ein Herr fragte, welche Art von Zauber Mr. Norrell zu vollbringen gedachte. Mr. Robinson entschuldigte sich vielmals aufs Höflichste und erklärte umständlich, dass er sie nicht aufklären könne, er wisse es nicht.

Es würde die Geduld meiner Leser auf die Probe stellen, sollte ich die vielen verschlungenen Argumente darlegen, die schließlich dazu führten, dass die Herren der Gilde von York Mr. Norrells Vertrag unterschrieben. Viele taten es aus Eitelkeit; sie hatten öffentlich erklärt, dass sie nicht an Mr. Norrells Zauberkünste glaubten, sie hatten Mr. Norrell öffentlich aufgefordert, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, und unter solchen Umständen wäre es ausgesprochen töricht, wenn sie es sich jetzt anders überlegten – das glaubten sie zumindest.

Mr. Honeyfoot dagegen unterschrieb, weil er an Mr. Norrell glaubte. Mr. Honeyfoot hoffte, Mr. Norrell würde dank der Demonstration seiner Fähigkeiten öffentliche Anerkennung gewinnen und seine Kunst in Zukunft zum Wohle der Nation ausüben.

Manche der Herren ließen sich zur Unterschrift provozieren durch die Unterstellung (die von Mr. Norrell stammte und von Mr. Robinson übermittelt wurde), sie würden sich nicht als wahre Zauberer erweisen, wenn sie nicht unterschrieben.

Und so unterschrieben die Zauberer von York einer nach dem anderen an Ort und Stelle das Dokument, das Mr. Robinson mitgebracht hatte. Der Letzte war Mr. Segundus.

»Ich werde nicht unterschreiben«, sagte er. »Die Zauberei ist mein Leben, und auch wenn Mr. Norrell recht hat, wenn er sagt, ich wäre ein armseliger Gelehrter, was soll ich tun, wenn sie mir genommen wird?«

Schweigen.

»Oh!«, sagte Mr. Robinson. »Also, nun denn … Sind Sie sicher, Sir, dass Sie das Dokument nicht unterschreiben wollen? Sie sehen doch, dass alle Ihre Freunde unterschrieben haben. Sie werden ganz allein sein.«

»Ich bin ganz sicher«, erwiderte Mr. Segundus. »Danke.«

»Oh!«, sagte Mr. Robinson. »Nun, in diesem Fall muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, wie weiterhin verfahren wird. Mein Mandant hat mir keine Anweisungen gegeben, was zu tun ist, wenn nur manche der Herren unterschreiben. Ich werde morgen früh meinen Mandanten konsultieren.«

Dr. Foxcastle bemerkte gegenüber Mr. Hart oder Hunt, dass es wieder einmal das neue Mitglied sei, das für großen Ärger sorge.

Aber zwei Tage später stattete Mr. Robinson Dr. Foxcastle einen Besuch ab und überbrachte die Botschaft, dass Mr. Norrell bei dieser besonderen Gelegenheit nichts gegen Mr. Segundus’ Weigerung zu unterschreiben einzuwenden habe; der Vertrag sei geschlossen mit allen Mitgliedern der Gilde von York, außer mit Mr. Segundus.

In der Nacht, bevor Mr. Norrell zaubern sollte, schneite es in York, und am Morgen waren der Schmutz und der Dreck der Stadt verschwunden, alles war zu makellosem Weiß verwandelt. Die Geräusche von Hufen und Schritten waren gedämpft, und die Stimmen der Bürger von York wurden von einer weißen Stille verschluckt. Mr. Norrell hatte eine frühe Stunde genannt. Die Zauberer von York frühstückten zu Hause, jeder für sich allein. Sie sahen schweigend zu, wie ein Diener Kaffee einschenkte, ihnen warme Brötchen brachte, die Butter holte. Die Ehefrau, die Schwester, die Tochter, die Schwiegertochter oder die Nichte, die normalerweise diese kleinen Aufgaben übernahmen, lagen noch im Bett; und das angenehme häusliche Geplapper der Frauen, das die Herren der Gilde von York angeblich so verachteten, das in Wirklichkeit jedoch den leisen süßen Refrain in der Musik ihres Alltags bildete, war nicht zu hören. Und die Frühstückszimmer, in denen diese Herren saßen, waren anders als am Tag zuvor. Die winterliche Düsternis war verschwunden, stattdessen herrschte ein beängstigendes Licht – die Wintersonne, die von der schneebedeckten Erde vielmals reflektiert wurde. Auf dem weißleinenen Tischtuch lag ein blendendes Licht. Die Rosenknospen auf den hübschen Kaffeetassen der Tochter schienen nahezu darin zu tanzen. Die silberne Kaffeekanne der Nichte warf die Sonnenstrahlen zurück, und die lächelnden Porzellanschäferinnen der Schwiegertochter waren zu strahlenden Engeln geworden. Es war, als wäre der Tisch mit elfischem Silber und Kristall gedeckt.