Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Kunz und sein Schafhirt. Die drei Waffenschmiede. Von einem, der nicht schwören wollte. Die dankbaren Tiere. Der grünende Stab. Der fahrende Schüler. Der Wolkenritt von Worms nach Spanien. Der magische Briefbote. Der getreue Lautenschläger. Die Ausfahrt. Der rechte Eidam. Die Zauberwurzel. Die Vögel des Himmels werden es verraten. Der Wunschring. Die Sabbatfeier. König Liwjatan. Der Wasserkönig. Das Unglück. Der betrogene Teufel. Der ungeschickte Hexenmeister. Das Bethaus im Walde. Die Königin von Saba. Die verschlossene Truhe. Klein Jerusalem. Die beiden Fremden. Die verhexte Gans. Papst und Jude. Die Wunderlampe. Der Wundertäter Adam. Die geheimnisvollen Handschriften. Seelenwanderung. Noch ein Fall von Seelenwanderung. Das verzauberte Pferd. Auferweckung der toten Braut. Baal-Schem und der Zauberer. Wie Baal-Schem ins Heilige Land reisen wollte. Noch eine Reise ins Heilige Land. Das Gebet um Messias. Seelen der Märtyrer. Vom Disputieren. Rosse helfen nicht. Der gefährliche Geburtstag. Die Seuche von Stanow. Eine Märtyrerin. Blutschande. Der vergessene Brief. Baal-Schem als Ehestifter. Der gottgefällige Tanz. Von der Macht des Arztes. Starkes Gottvertrauen. Die verschmähte Braut. Das Gleichnis vom Ofenheizer. Das Gebet um Speise. Der Prozeß gegen Gott. Das Verdienst des Buchbinders. Die ausgeschüttete Suppe. Brot für Seelenheil. Vom Selbstlob. Der störrische Rabbi. Die wunderbare Lichtanzündung. Durch die Hinterpforte. Eine Bekehrung. Schwur gegen Schwur.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 311
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jüdische Märchen
Inhalt:
Geschichte des Märchens
Jüdische Märchen
Kunz und sein Schafhirt.
Die drei Waffenschmiede.
Von einem, der nicht schwören wollte.
Die dankbaren Tiere.
Der grünende Stab.
Der fahrende Schüler.
Der Wolkenritt von Worms nach Spanien.
Der magische Briefbote.
Der getreue Lautenschläger.
Die Ausfahrt.
Der rechte Eidam.
Die Zauberwurzel.
Die Vögel des Himmels werden es verraten.
Der Wunschring.
Die Sabbatfeier.
König Liwjatan.
Der Wasserkönig.
Das Unglück.
Der betrogene Teufel.
Der ungeschickte Hexenmeister.
Das Bethaus im Walde.
Die Königin von Saba.
Die verschlossene Truhe.
Klein Jerusalem.
Die beiden Fremden.
Die verhexte Gans.
Papst und Jude.
Die Wunderlampe.
Der Wundertäter Adam.
Die geheimnisvollen Handschriften.
Seelenwanderung.
Noch ein Fall von Seelenwanderung.
Das verzauberte Pferd.
Auferweckung der toten Braut.
Baal-Schem und der Zauberer.
Wie Baal-Schem ins Heilige Land reisen wollte.
Noch eine Reise ins Heilige Land.
Das Gebet um Messias.
Seelen der Märtyrer.
Vom Disputieren.
Rosse helfen nicht.
Der gefährliche Geburtstag.
Die Seuche von Stanow.
Eine Märtyrerin.
Blutschande.
Der vergessene Brief.
Baal-Schem als Ehestifter.
Der gottgefällige Tanz.
Von der Macht des Arztes.
Starkes Gottvertrauen.
Die verschmähte Braut.
Das Gleichnis vom Ofenheizer.
Das Gebet um Speise.
Der Prozeß gegen Gott.
Das Verdienst des Buchbinders.
Die ausgeschüttete Suppe.
Brot für Seelenheil.
Vom Selbstlob.
Der störrische Rabbi.
Die wunderbare Lichtanzündung.
Durch die Hinterpforte.
Eine Bekehrung.
Schwur gegen Schwur.
"Sollst leben!"
Die verkaufte Sünde.
Die Fürbitte des Trunkenbolds.
Rasche Reise nach Wien.
Bekehrung eines Angebers.
Von übertriebener Frömmigkeit.
Rabbi Mojsche-Lejb und das verlassene Kind.
Rabbi Mojsche-Lejbs Trauermusik.
Von der wahren Gastfreundschaft.
Von den falschen Messias.
Der Zaddik als Makler.
Die gestohlenen Brautkleider.
Die drei Geschichten des Rabbi Levi-Jizchok.
Der Gast aus dem Heiligen Lande.
Die Friedhofsvergrößerung.
Jüdische Märchen
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Kunz und sein Schafhirt.1
Die Leute pflegten einst zu sagen: "Du kommst dahinter, wie Kunz hinter das Vieh gekommen ist." Wie kam denn aber Kunz hinter das Vieh? Das will ich euch erzählen.
Es war einmal ein mächtiger König. Der hatte einen Minister2, der hiess Kunz. Und so oft der König von seinen Ministern einen Rat haben wollte und die Minister unter sich den Rat beschlossen hatten, da eilte der schlaue3 Kunz sogleich zum Könige und sprach: So und so haben wir4 beschlossen. Er that so, als ob er allein allemal den rechten Rat gefunden hätte und die anderen Minister allemal nur ihm folgten, weil sie selbst keinen finden könnten.
Die anderen Räte des Königs merkten gar bald, dass ihr Herr den Kunz besonders lieb und wert halte. Das verdross sie sehr, denn sie wussten, dass sie alle klüger waren, als unser Kunz und dem Könige bessere Dienste leisteten. Sie fassten sich also ein Herz und sprachen eines Tages zum Könige: "Herr König5! Nimm es nicht übel auf, aber wie du sonst uns immer fragst, so möchten wir dich heute eines fragen. Weshalb wohl6 ziehst du uns, deinen treuen Dienern, den Kunz so vor, der doch am wenigsten von uns allen taugt? Versuch es doch einmal mit uns, gieb jedem einzelnen Fragen auf und du wirst sehen, wie dir Kunz die Antwort schuldig bleibt."
Der König, der gegen jedermann gerecht sein wollte, liess nun seinen Liebling Kunz rufen und sprach zu ihm: "Mein lieber Kunz! Ich halte dich für den treuesten und klügsten Mann7 an meinem Hofe. Deshalb will ich dir etwas anvertrauen, was ich sonst keinem offenbaren möchte. Antworte mir zunächst auf die Fragen: ›Wo geht die Sonne auf?‹ und ›Wie weit ist der Himmel von der Erde?‹ Alsdann sage mir, was ich im Sinne habe8!"
Kunz war nicht wenig erschrocken. Doch rasch fasste er sich und sprach: "Gnädigster Herr! Das sind grosse, schwere Fragen. Man kann sie sobald nicht beantworten, man muss Zeit dazu haben. Darum bitt' ich dich: Gieb mir drei Tage Frist, so hoff' ich, die Antworten zu finden." "Gut", meinte der König, "das sei dir gewährt!"
Um sich von seinem Schreck zu erholen, eilte nun Kunz hinaus in's Freie auf eine Wiese, wo gerade sein treuer Hirte die Schafe weidete. Als der seinen Herrn so bekümmert und in Gedanken vertieft des Weges kommen sah, da grüsste er ihn geziemend und sprach: "Mein werter Herr! Ihr mögt es mir verzeihen, wenn ich euch anzureden wage. Aber ich sehe wohl, dass ihr ein9 gross' Anliegen auf dem Herzen habt. Vielleicht könnte ich euch raten. Denn das Sprichwort geht: Es giebt oft einer einen Rat, der selber keinen hat."
In seiner Herzensangst erzählt auch Kunz dem Schäfer, was der König von ihm wolle "Mein werter Herr!", so tröstet ihn der getreue Diener, "das soll eure Sorge nicht sein. Gebt mir nur einmal euren schönen Rock10 und ziehet indess' mein schlechtes11 Wamms an, so will ich statt eurer in die Stadt zum Könige gehen." Gesagt, gethan. Rasch hatten sie die Kleider getauscht, und bald sass der feine Kunz bei den Schafen, als ob er sein Leben lang mit dem Vieh wär' umgegangen.
Mein guter Schäfer eilte inzwischen nach der Stadt und mit verstellter Stimme sprach er zum Könige: "Herr König! Ich hab' mich inzwischen besonnen auf die drei Sachen, die du mich gefragt hast." Der König freute sich bereits, dass er sich in seinem Kunz doch nicht getäuscht habe und begann: "So sag' mir denn, mein Freund: Wo geht die Sonne auf?" Da sagte der Schäfer: "Im Osten12 geht sie auf und im Westen13 geht sie wieder unter." "Wie weit ist der Himmel von der Erde?" fuhr der König fort "So weit, als die Erd' vom Himmel ist", lautete die Antwort. Da fragte der König zum dritten: "Was hab' ich denn in meinem Sinn?" Der Schäfer erwiderte pfiffig: "Herr König! Das will ich dir sagen. Du meinst in deinem Sinn, dass ich Kunz, dein Minister, bin. Aber ich bin es nicht, sondern sein Schäfer, ein armer Wicht"
Da der König das hörte, da sprach er zu dem klugen Hirten: "Dieweil du Kunz so gut geraten hast, so sollst du fortan mein Rat sein, und er bleibe draussen und hüte die Schafe!" Also musste Kunz die Schafe hüten. Daher kommt das Sprichwort: Du kommst dahinter, wie Kunz hinter das Vieh. Also ging es Kunz, viel besser geh' es uns14!
Fußnoten
1 Maa. 227. H. I, 40. Ueber die Literatur der drei Fragen, wovon Bürgers "der Kaiser und der Abt" und "das Hirtenbüblein" bei Gimm allgemein bekannt sind, vgl. Hollands Nachweise in Kellers Fastnachtsspielen S. 1490 und in seiner Ausgabe der Schauspiele des Herzogs Julius S. 896, ferner Pröeble, G.A. Bürger, Leipz. 1856 S. 115 ff. (über "Bürgers Lenore und die ihr verwandten Stoffe in der europäischen und russischen Volksdichtung" schrieb J. Sozonovič [Warschau 1893] in russischer Sprache), Percy reliquies 167–168, Fürsts Orient II, 1864 S. 687 u. Benf. I, 439. Gri. III, 245 ff. erwähnt auch unser Märchen.
2o.jo'ec
3o. mein feiner.
4o. er hängt allemal die gedullo (Grösse, Ansehen) an sich.
5o.Adouni Melekh.
6o. du dein jo'ec Kunz men mekhabbed bist.
7o. den grössten chokhom (Weisen).
8 vgl. Sirach 1,3.
9o. eppes.
10o. gute schaub', vgl. Perles 4.
11o. böses.
12o.mizrach.
13o.ma'aribh.
14 H.: Selik.
Die drei Waffenschmiede.1
Vor alten Zeiten2 lebten in der Stadt Worms am Rheine drei wackere Brüder, Riesen von Ansehen. Die betrieben das edle Schmiedehandwerk. Da kam3 eines Tages von ungefähr ein greulicher Lindwurm4 vor die Stadt, der hatte einen so giftigen Atem, dass alles, was sein Hauch berührte, verdorren musste, und einen Rachen, dass er den grössten Ochsen lebendig verschlingen konnte. Er that den armen Bürgern grossen Schaden5. Denn wo er nur konnte, riss er mit seinem gewaltigen Ringelleibe die Häuser um und verschlang er Menschen und Tiere6.
Doch wenn man ihm täglich einen Menschen zur Speise von der Mauer herunterwerfen wollte, dann versprach er, die anderen alle zu verschonen. Dass sich keiner freiwillig dem Lindwurm ausliefern wollte, kann man sich wohl denken. Da bestimmte denn die Königin, welche nach dem Tode ihres Gemahls die Stadt Worms beherrschte, dass sie alle das Los ziehen wollten. Auf wen es falle, der solle dem Wurm vorgeworfen werden. Als nun die guten Wormser sahen, dass selbst die Königin für das Wohl der Stadt ihr Leben lassen wollte, gingen sie darauf ein und Tag für Tag erhielt der Lindwurm sein unglückliches Opfer und des Klagens und Weinens war kein Ende.
Doppelt gross aber wurde das Leid der Wormser, als das Los einstens auf die Königin selbst gefallen war. Schon wollte sie auch ihr Versprechen halten und sich dem Lindwurm ausliefern lassen. Da wurde dem argen Wurm ein Schnippchen geschlagen.
Unsere drei Waffenschmiede hatten sich nämlich einen Panzer geschmiedet, aus festem Stahl und über und über mit langen scharfen Messern bedeckt. Wen von ihnen das Los treffen würde, der sollte diesen Panzer anlegen und, sobald ihn der Wurm verschlungen, mit den spitzen, scharfen Messern ihm den Leib aufschlitzen.
Kaum hatte nun der eine der Brüder von dem Unglück der Königin gehört, da trat er vor sie hin und sprach: "Edle Frau Königin, ich will für dich das Leben wagen. Nur musst du mir versprechen, mein Ehgemahl zu werden, wenn ich lebendig zurückkomme." Die Königin willigte mit Freuden ein, und kaum hatte der Wurm den tapferen Schmied in seinem Rachen, da lag er auch schon mit gespaltenem Leib in seinem Blute.
Wie gross war der Jubel der Wormser, als sie den Helden gerettet und das böse Ungetüm verendet sahen! Nun atmete alles auf nach der langen Angst und Plage. Der mutige Schmied wurde der Ehegemahl der Königin und Beherrscher der Stadt und beide freuten sich noch lange ihres Glückes.
Zum ewigen Andenken aber erhielt die Stadt damals nach dem greulichen Wurm den Namen Worms und von dem wackeren Schmied einen Schlüssel zum Wappen. Und die führt sie noch heute.
Fußnoten
1 MN 14. Aehnliche Drachengeschichten bei Schw. 80 (Schw. 29,92 bespricht die Sage von Perseus und St. Georg, an den ein Siegel bei Levy, Siegel und Gemmen, Bresl. 1869. Taf. III und das Schiffszeichen der Thebaner erinnert) u. Benf. I, 752 f. Die Wundergläubigkeit der Wormser persiflirt die Anekdote: das Wormser nes (Wunder). Ein Mann will goumel benschen (für Rettung aus Gefahr danken, vgl. Perles 129), weil seiner Frau eines seiner Hemden von der Wäscheleine heruntergefallen. Welchen Schaden hätte er also nehmen können, wenn er darin gesteckt hätte! Vgl. Mitt. 63 n. 4.
2o. j Ma'ase warum die stadt Worms heisst.
3o. war gekommen zu fliehen.
4o. lintwurm aus der midbar (Wüste).
5o. alls was er hot gekrogen, hot er chorubh (zu schanden) gemacht.
6o.behemouth ein geschlunden.
Von einem, der nicht schwören wollte.1
Ein frommer Mann hatte niemals in seinem Leben geschworen und war dabei sehr gut gefahren und zu Geld und Gut gekommen. So nahm er denn auf seinem Sterbebette auch seinem Sohne das Versprechen ab, gleichfalls nie einen Eid zu leisten. Die bösen Nachbarn hatten dies erfahren, und kaum war der Vater gestorben, da kamen sie einer nach dem anderen zu dem Sohne und sprachen: "Dein Vater ist uns Geld schuldig geblieben. Bezahle uns oder wir müssen dich verklagen!" Der treue Sohn wollte jedoch lieber alles Geld hergeben, ehe es gegen sein Versprechen vor dem Richter geschworen hätte, dasr er ihnen nichts schuldig sei. So kam er denn nach und nach um sein ganzes Vermögen und schliesslich, als man ihm nichts mehr nehmen konnte, in Schuldhaft2.
Er hatte aber ein braves Weib, welches durch Wäschewaschen sich und ihre Kinder vor der äussersten Not zu schützen wusste. Und einst, als sie gerade am Meeresufer Wäsche wusch3, da legte ein fremdes Schiff an und der Schiffsherr, dem ihre Schönheit gar wohl gefiel, gab ihr Wäsche zu waschen und zahlte ihr den Lohn im voraus. Der war so reichlich, dass sie damit ihren Mann auslösen konnte.
Als sie aber die Wäsche abliefern wollte und soeben das Schiff bestiegen hatte, da liess der Schiffsherr das Schiff mit voller Kraft vom Land abstossen4, und die Kinder sahen mit Schrecken und erzählten es dem unglücklichen Vater, wie ihnen ihre teure Mutter auf's weite Meer hinaus entführt wurde. Was blieb nun dem armen Manne übrig? Er verdingte sich als Schafhirt und weidete eine Herde in der Nähe des Meeresufers, um zu sehen, ob nicht eines der ankommenden Schiffe sein teures Weib brächte.
Eines Tages musste er die Schafe kurze Zeit seinen Kindern zur Hut überlassen. Aber kaum hatte er sich entfernt, so kam dasselbe Schiff, welches die Mutter geraubt hatte, und nahm nun auch die Kinder mit. Der Vater konnte bei seiner Rückkehr nur noch sehen, wie die Kinder aus der Ferne ihm die Ärmchen entgegenstreckten. Was half da sein Jammern und Rufen?
In seinem Gram und Herzeleid warf er sich nieder und wünschte sich den Tod. Es war gerade unter einem Baume, in dessen Nähe gefährliche Schlangen hausten5 Gar manches Totengebein, das da unbeerdigt lag, erzählte von Menschen, die ihr giftiger Zahn getroffen hatte. Wie glücklich waren diese Toten doch jetzt im Vergleich zu ihm!
Schon wollte er sich in seiner Verzweiflung in die Wogen stürzen, da hörte er eine Stimme vom Himmel rufen: "Halt ein, Betörter! Dort unter jenem Baum liegt ein grosser Schatz verborgen, der kann dir helfen."
Das gab dem Armen neuen Mut. Er grub und fand einen Schatz, wie er ihn noch nie gesehen. Das war ein schöner Lohn seiner Treue.
Was that er nun damit? Er pachtete vom Könige das Amt, von jedem Schiffe, das dort einlief, den Zoll zu erheben. Und als er einst ein solches Schiff, wie es seines Amtes war, auf seine zollpflichtige Ladung hin untersuchen wollte, da fand er darin sein treues Weib und seine lieben Kinder wieder. Die Freude des Wiedersehens war so gross, dass sogar dem argen Schiffsmann von den Glücklichen verziehen wurde. Sonst hätte ihn seine Bosheit gewiss das Leben gekostet.
Fußnoten
1 Maa. 222. H. I, 14 f. Aehnl. Bodl. 3925 f. Vgl. Sirach 23, 9. B. meci'a 49. Choschen mischpat 87. Grätz VII, 97 u. sonst.
2o. wurde getafsent (gefangen).
3 Vgl. Gudrun 1054. 1165.
4 Vgl. Gudrun 444. Gri. III, 17.
5 Schätze, die unter Bäumen vergraben liegen: Gri. III, 351. Schlangen unter Bäumen: B P I, 539.
Die dankbaren Tiere.1
Ein frommer Mann im Lande der Väter hatte einen Sohn, namens Chanina. Dem gab er kurz vor seinem Tode den Auftrag, sobald die erste Trauer vorbei sei, auf den Markt2 zu gehen und um jeden Preis das erste, was ihm angeboten werde, zu kaufen und in Ehren zu halten.
Der Sohn that, wie ihm der Vater hefohlen hatte. Er kaufte eine silberne Dose, die er weit über den Wert bezahlen musste. Als er sie aber zu Hause öffnete, da fand er darin eine zweite Dose und in dieser einen Frosch3, der ganz vergnügt umhersprang. Chanina pflegte, wie er dem Vater versprochen hatte, den Frosch mit aller Sorgfalt. Doch der Frosch wurde immer grösser und grösser4, brauchte bald gar eine ganze Kammer für sich allein und kostete den braven Sohn das ganze Vermögen. Endlich entschloss er sich, dem unheimlichen Gast in aller Freundschaft die Wohnung zu kündigen.
Da sprach der Frosch: "Mein lieber Wirt! Nun soll dir erst zum Lohn für deine Güte in Erfüllung gehen, was nur immer dein Herz begehrt." Chanina bat, in der heiligen Lehre unterrichtet zu werden. Und kaum hatte ihm der Frosch einen Zettel eingegeben5, auf welchem einige Worte geschrieben standen, da kannte sein Schüler auch schon die ganze heilige Lehre und all' die siebzig Sprachen, ja sogar die Sprache der Tiere und Vögel.
Aber auch seine Wirtin wollte der dankbare Frosch belohnen. Er bat das Paar, ihm bis zum Walde das Geleit zu geben, und hier angelangt, rief der Frosch auf ein Zeichen alle Tiere und Vögel des Waldes zusammen und befahl ihnen, Edelsteine, soviel sie nur tragen könnten, seiner Wirtin in's Haus zu bringen und heilsame Kräuter, deren Wunderkraft er zugleich der Frau erklärte.
Alsdann sprach der Frosch: "Gott lohne euch die Mühe, die ihr mit mir gehabt! Und ihr habt mich nicht gefragt, wer ich bin6. Aber ich will es euch doch sagen. Ich bin des ersten Menschen Sohn, den ihm Lilit7 geboren hat in den hundert und dreissig Jahren, die er von Eva geschieden war. Gott hat mir die Macht gegeben mich in jede Form oder Gestalt zu kleiden, die mir behagt." Damit nahm er Abschied.
Nicht lange darauf geschah es, dass der König des Landes auf den Rat seiner Freunde sich entschloss, ein Weib zu nehmen. Da liess eines Tages ein Vogel, der gerade vorüberflog, aus seinem Schnabel ein wunderschönes, goldblondes Frauenhaar auf die Schulter des Königs hinabfallen8, und nur das Weib, dem dieses Haar gehörte, wollte der König zur Gemahlin haben. Die Wahl, wer diese Schöne suchen sollte, fiel auf unseren Chanina, der inzwischen vermöge seines Wissens und seines Reichtums zu grossen Ehren gelangt war. Er machte sich sogleich auf die Reise.
Unterwegs, als er ermattet unter einem Baume rastete, hörte er einen Raben9, der auf dem Baume sass, gar wehmütig über Hunger klagen. Sogleich reichte ihm Chanina von seiner Wegzehrung. Ebenso rettete er bald darauf einen Hund vom Hungertode, und als er an einem grossen Wasser vorüberkam, aus welchem die Fischer gerade einen grossen Fisch heraufzogen, da kaufte er ihnen den Fisch ab und liess ihn wieder in's Wasser.
Endlich fand er die Besitzerin jenes Haares, eine mächtige Königin, und unverzagt teilte er ihr seinen Auftrag mit. Sie versprach auch, ihm zu folgen, doch müsse er ihr zuvor zwei Bitten erfüllen. Zunächst wünschte sie zwei Krüglein10, das eine mit Wasser aus der Hölle, das andere mit Wasser aus dem Paradies gefüllt.
Als nun Chanina einst darüber nachdachte, wie er diese Bitte erfüllen könne, da flog jener Rabe herzu, dem er das Leben gerettet hatte, nahm die Krüglein und brachte sie gefüllt zurück. Die Königin prüfte sogleich die beiden Wassersorten. Zuerst goss sie von dem Höllenwasser auf ihre Hand, da wurde diese ganz verbrannt. Doch kaum netzte sie sie mit dem Wasser aus dem anderen Krüglein, da war sie wieder so heil, wie zuvor.
Nun stellte die Königin die zweite Bedingung Chanina sollte ihr einen Ring zur Stelle schaffen, den sie einst auf einer Seefahrt hatte in's Wasser fallen lassen. Wo sollte man den Ring suchen? Traurig und ratlos ging Chanina am Ufer des Meeres auf und ab. Da kam mit einem Mal jener Fisch geschwommen, dem er einst die Freiheit wiedergegeben hatte Kaum hatte ihm Chanina sein Leid geklagt, so schwamm er eiligst zu Liwjatan, dem gewaltigen Könige der Fische, und trug ihm vor, wie er Chanina nun so gern sich dankbar zeigen möchte. Liwjatan gebietet nun bei Strafe seiner allerhöchsten Ungnade11 dem Fische, der jenen Ring verschlungen, ihn sogleich herauszugeben. Ein Fischlein brachte ihn auch herbei und Chaninas Freund trug ihn seinem Retter zu. Doch wie er den Ring eben an's Land gespien hatte, da kam ein Eber und verschlang ihn. In demselben Augenblicke kam aber der Hund gelaufen, dem Chanina das Leben gerettet hatte, und im Nu war der Eber zerrissen und der Ring in Chaninas Händen. Nun musste die Königin ihr Versprechen halten und mit Chanina ziehen.
Schon sollte ihre Hochzeit mit dem Könige gefeiert werden, da fand man den getreuen Chanina eines Tages ermordet. Die Höflinge, die ihn von jeher beneidet hatten, die auch die Wahl für die gefahrvolle Botschaft auf ihn gelenkt und ihm gerade dadurch nun wider Willen zu den höchsten Ehrenstellen verholfen hatten, glaubten ihn bereits auf diese Weise aus dem Wege geräumt zu haben. Doch die Königin benetzte ihren treuen Diener nur mit einigen Tropfen ihres Paradieswassers und Chanina war wieder lebendig.
Der König, der dies gesehen hatte, wollte nun dieses Wunder durchaus auch an sich erproben. So sehr ihn seine Braut, die Königin, auch warnte, er liess sich totschlagen. Aber die Königin begoss ihn nun absichtlich nicht mit dem Paradies-, sondern mit dem Höllenwasser. Da wurde sein Leib ganz und gar zu Staub und Asche. Und nun wählte sich seine Braut, die schon längst statt des Wüterichs den braven Chanina12, nachdem inzwischen seine Frau gestorben war, liebgewonnen hatte, diesen zum Ehegemahl. So wurde er sogar der Nachfolger, seines Königs und herrschte an der Seite seiner Gemahlin über viele Völker.
Fußnoten
1 Maa. 132. Von der Danbarkeit der Tiere spricht auch das Märchen (bei Gri. III, 191): Die treuen Tiere. Dass die Tiere den Menschen durch ihre Treue beschämen, ist eine buddhistische Anschauung (B P I, 208). Maa. 159 erzählt von Samuel dem Frommen: Er fuhr einst zu Wasser. Da hörte er ein furchtbares Gebrüll. Als er diesem nachging, fand er einen Löwen, den ein "Fandel" verfolgte. "Das schiesst mit eitel feuer aus seinem maul, damit verbrennt es die anderen Tier', wo es sie antrefft." Doch vor dem Frommen flieht das Untier, und der Löwe wurde so zutraulich, dass er Samuel auf seinem Rücken zum Schiff zurücktrug und am liebsten mit ihm gefahren wäre. Ganz ähnlich berichtet die Sage von Heinrich dem Löwen (Gr. II, 243), von Andronikos u.a.
2o. Mark.
3 Vgl. "Der Froschkönig" bei Gri.
4 In der Ragnar Lodbroksage sowie in ihrem persischen Gegenstück (Benf. I, 565) wird ein Lindwurm in einem Ei bezw. einem Apfel gefunden, aufbewahrt und immer grösser, sodass er sein Lager verlassen muss und eine geräumigere Stätte einnimmt. Vgl. die Fütterung des verwunschenen Prinzen bei B P II, 144. – Ungeheure Frösche auch: H. I, 3. Der weissagende Frosch: Maass, d. deutsche Märchen S. 10.
5 Vgl. Ez. 3, 1 f. Daher das früher beliebte Verfahren, den Abeschützen das hebräische Alphabet auf Zucker einzugeben (Roqeach n. 296 bei Grätz VII, 93).
6 Erinnert an die Lohengrinsage.
7o. 'Alilat. Doch wohl ohne Beziehung auf das Arabische. Ueber Lilith und ihre Kinder vgl. Al. Kohuts "Angelologie" 87.
8 Ueber die Beziehungen zum Haar der Berenice vgl. Immermanns "Tristan und Isolde" (Die Schwalben). Bei Gri. III, 58 sind es drei goldene Haare vom Kopfe des Teufels, welche die Königstochter von ihrem Freier fordert.
9 Raben als redende, besonders als Schicksalsvögel oft in deutschen Sagen: Gri. III, 19. Vgl. 117.
10 Diesem Wasser des Lebens oder Paradieses- oder Himmelswasser begegnen wir bereits in der Alexandersage (vgl. Wünsches "Alexanders Zug nach dem Lebensquell" im Jahrb. f. jüd. Gesch. u. Lit. 1898 S. 112, 117, 123), im deutschen Märchen (bei Gri. III, 19, 114, n. 17 und 126) und in Konrads von Würzburg trojan. Krieg 10651 (vgl. Gri. III, 185).
11o. des Bannes. S. oben S. 26: "König Liwjatan."
12 Chanina, der (oben S. 26 "Der Wasserkönig") als Schwiegersohn Jehudas des Frommen bezeichnet wird, scheint, nach seinen Abenteuern zu schliessen, mit Chanina ben Chakhinaj ('Abot III, 4), mit Chanunja dem Frommen (s. Schem hag.) oder mit dem Wundermann Choni [Onias] (Ta'anit 19,23) oder seinem Enkel identisch zu sein, der auch mĕ'aggel (Kreisemacher, mathematicus, Hexenmeister) genannt wird (Vgl. Ehrmann S. 19, Löw 337 f.) I. Chanina auch (s. S. 26 "Der Wasserkönig) Name einer Frau (so auch Genendel).
Der grünende Stab.1
Einst kam zu Meister Jehuda, dem Frommen2, ein Mann, welcher den Glauben der Väter verlassen hatte, aber nun reuig umkehren wollte. Doch der Meister wies ihn zornig ab3 und sprach: "So wenig, wie dieser Stab in meiner Hand kann grüne Blätter sprossen, so wenig findest du Vergebung4." Nach wenigen5 Tagen begann aber der Stab wirklich zu grünen. Meister Jehuda liess den Büsser rufen und that ihm das Wunder kund. "Hast du nicht einmal", so fragte er ihn, "deinen einstigen Glaubensbrüdern einen grossen Dienst geleistet?"
Der Büsser wusste sich einer solchen That nicht zu entsinnen. "Nur einmal", erzählte er, "kam ich in eine Stadt, in welcher viele Juden wohnten. Sie alle sollten um's Leben kommen, weil man sie beschuldigt hatte, ein Christenkind ermordet zu haben, um das Blut zu religiösen Zwecken zu gebrauchen. Da wählte man denn mich, der ich die Satzungen des Judentums kannte und doch nicht zu den Juden hielt, zum Sachverständigen. Wie konnte ich anders, als der Wahrheit die Ehre geben? Daraufhin liess man von der Verfolgung der Juden ab."
Nun erkannte Meister Jehuda den Grund des Wunders.
Fußnoten
1 Maa. 178. H. II, 46. Vgl. IV M. 17,23; "Die drei grünen Zweige" bei Gri. III, 254 und die Tannhäusersage. Das Neuausschlagen eines Bäumchens als Wahrzeichen der Erlösung auch bei Grimm Mythologie 929. – Ueber Vorzeichen vgl. Komp. I, 296, wo der Hammer des Schulklopfers, ähnlich wie in Brentanos Gesch. vom braven Kasperl das Schwert des Nachrichters, von selbst zu schwingen anfängt, wenn der Rabbiner sterben soll, vgl. U 1898 S. 32. Das "Jahreverkaufen" in derselben Sage "Nicht sterben können" ist eine noch heut in Galizien übliche Unsitte.
2 Ueber diese fast mythische gewordene Figur vgl. Grätz Gesch. VI, Cassel Lehrbuch 370 und Güdemann Erziehungsw. Von seiner Mutter erzählt M N 8, was sonst von der Mutter Raschis berichtet wird, dass sie in Gefahr, überritten zu werden, sich ängstlich an die Mauer gedrückt und dass diese nachgegeben habe.
3o [anstatt] ihm theschubho zu setzen (eine Busse aufzuerlegen).
4o.kapporo
5 wie im Tannhäuser drei.
Der fahrende Schüler.1
In dem Hause "zu dem Springbrunnen" in Worms lebte einst ein frommer Mann, der hatte eine einzige Tochter, die ebenso fromm als schön war. Eines Abends, als sie in der Hausthür stand, ging ein fahrender Student2 vorbei und rief ihr zu, er werde des Nachts in's Haus kommen.
Mit den fahrenden Studenten stand es aber so: Ein Hexenmeister hatte einmal ein Zauberrad gemacht3. Auf dieses Rad konnten vor jedem Umdrehen zehn Menschen sich setzen. Aber bevor es einmal herum war, hatte der Meister jedesmal einen von ihnen um's Leben gebracht. Dafür hatten die anderen dabei die ganze Hexenkunst4 gelernt und konnten thun, was ihnen beliebte. Als später dieser Unfug überhandnahm, wurde das Rad vernichtet. Aber die fahrenden Studenten hatten ohnehin in jener Zeit grosse Freiheiten und thaten, was sie wollten.5
Um also den Anschlag des Studenten zu vereiteln, lud der Vater des Mädchens zehn Gelehrte ein, welche die ganze Nacht hindurch studiren und disputiren sollten. Mitten unter ihnen sass seine Tochter.
Als jedoch die Mitternacht herankam, schliefen die Gelehrten einer nach dem andern ein. So laut das Mädchen in seiner Angst auch rief, sie waren nicht zu wecken. Da trat der Student herein und sprach: "Siehst du, was all' dein Sorgen und Schreien nützt?" Doch das mutige Mädchen hatte zur Vorsorge ein Messer bereit gehalten und damit stiess sie den frechen Eindringling nieder. Es entstand ein grosser Lärm und Auflauf und alle Nachbarn lobten des Mädchens Beherztheit.
Doch wie sollte man nun die Gelehrten aus dem Schlafe wecken? Da sagte eine Frau, welche mit den anderen herbeigelaufen war, man solle doch im Rauchfang nachsehen, dort hätte der Student zehn Lichtchen angezündet, und wenn er sie nicht selbst wieder auslöschte, müssten die zehn Gelehrten bis an ihr Lebensende schlafen.
Die Lichtchen fand man, aber wie sollte der tote Student sie auslöschen? Da war einer unter dem Volkshaufen, der wusste Rat. Man führte mit dem Leichnam des Bösewichtes solche Bewegungen aus, dass ein Licht nach dem andern dadurch ausgelöscht und somit auch ein Gelehrter nach dem anderen aus dem Schlafe geweckt wurde.
Fußnoten
1 M N 22. Vgl. Keller, Fastnachtspiele, Stuttg. 1853 III 1489, 1223. – Bei Gr. I, 133 warnt ein fahrender Schüler eine Mutter vor dem "Wechselbalg". Auch die magyarische Volksdichtung hat eine solche stehende Figur im Garabonzias Diak. "Gewöhnlich ist der Begriff von Zauberei und Wetterbeschwörung damit verbunden" (Komp. VII, 132).
2o. fardiger.
3 Das Rad ist im Buddhismus Sinnbild der Herrschaft wie der Religion (B P I 487). Damit hängt wohl ursprünglich die Bedeutung des Glücksrades zusammen. Gr. I, 286 "Das Glücksrad" erzählt hiervon: Zwölf Landsknechte kommen traurig aus dem ditmarser Kriege. Unterwegs begegnen sie einem Grauröcklein, das ihnen die Kunst, reich zu werden, beizubringen verheisst. (Dieses "Grauröcklein" oder der "Graumantel" oder das "graue" oder "rote Männchen" [Gri. III, 210 ff. 407. Schw. 244] ist sonst der getreue Eckhart, der guten Rat erteilt; der "Grünrock" hingegen ist der Teufel [Gri. III, 190]. S. hingegen U 1898 S. 130) "Man heisst es das Glücksrad, das steht mir zu Gebot und wen ich darauf bringe, der lernt wahrsagen den Leuten und graben den Schatz aus der Erde; doch nicht anders vermag ich euch darauf zu setzen, als mit dem Beding, dass ich Macht und Gewalt habe, einen aus eurem Haufen mit mir wegzuführen ..." Als die nun ordnungsmässig aufgesessen, packte der Meister das Rad mit den Klauen, die er beides an Händen und Füssen hatte, und hub zu drehen an bis es umgedreht war, zwölf Stunden nacheinander und alle Stunden einmal. "Als sie nun zwölf Stunden ausgehalten hatten, rückte der Glücksmeister einen feinen jungen Menschen vom Rade, der eines Burgermeisters Sohn aus Meissen war und führte ihn mitten durch die Feuerflamrne mit sich hin." Die anderen "waren aber nach wie vor arm." Vgl. das altfranz. Adamsspiel (Wackernagel, das Glücksrad in Haupts Zeitschr. f. deutsches Alterthum VI, Leip. 1848, 134 ff). Deutsche Schüler im Dienst eines fränkischen Königs sind hier die auf das Glücksrad gesetzten und mit ihm abgeführten Menschen. ("Und banntest die Teufel in ein seltsam Glas," vgl. oben S. 28. Mischle chakhamim, Prag 1590, 10b: Das gilgal [Rad, ferner die bekannte Stätte des Götzendienstes] is sich oft umkehren, der arm wert reich un der reich arm weren. Vgl. Bachjas Comment. zu V M. 15, 10.)
4 Vgl. Roskoff I, 332.
5o. es is ein ma'ase gedruckt von 'Aqdomouth [Fürth 1694, vgl. Serapeum 1848 S. 419 No. 16?], das man am Schobhu'outh sagt; dort innen steht das ma'ase ganz aus von faridiger s.udent.
6 Aehnl. Motiv bei B P I, 147.
Der Wolkenritt von Worms nach Spanien.1
Der berühmte spanische Weise Nachmanides2 wusste lange Zeit trotz allen Scharfsinnes viele Stellen der Gotteslehre nicht zu erklären. Denn er kannte, wie alle seine Landsleute, damals noch nicht die Geheimkunst der Kabbalisten, von denen man sagte, dass sie allein jene schwierigen Stellen verstünden.
In einer Nacht nun, es war gerade die zweite Nacht vor dem Pesachfeste, wurde im Himmel ausgerufen: "Wer will den spanischen Meister in der Geheimkunst unterweisen und zugleich ihn und seine Stadt von dem Bösewicht befreien, der mit solcher Grausamkeit über sie herrscht?" Unter den frommen Seelen, die da jede Nacht im Himmel sich einfinden und am Morgen wieder in ihre Leiber zurückkehren, nachdem diese sich durch den Schlaf neu gestärkt haben, war auch die Seele des grossen Meisters der Geheimkunst Rokeach3 aus Worms. Die meldete sich und erhielt die Erlaubnis, die Geheimkunst4 dabei anwenden zu dürfen.
Am nächsten Morgen bereits machte sich unser Rokeach auf den Weg. Er bestieg eine Wolke, welche er mit Hilfe seiner Kunst herbeibeschworen hatte, und fort ging's in's ferne Spanien. Die Wolke flog so schnell, dass die frischgebackenen Osterbrote, welche der Meister der Vorsicht halber mitgenommen hatte, noch ganz warm waren, als er in der Stadt des Nachmanides landete5.
Des Abends ging er ins Gotteshaus, wo man gerade das Pesachfest begrüsste, und stellte sich in die Nähe des Meisters Nachmanides. Dieser bat den Fremden, als der Gottesdienst beendigt war und alle freudig zum Seder eilten, sein Gast zu sein. Der Rokeach erzählte nun auf dem Heimweg, dass er ein Wanderprediger sei, wie sie damals von Ort zu Ort zu ziehen pflegten, um in den jüdischen Gemeinden belehrende Vorträge zu halten, und sprach den Wunsch aus, am nächsten Tage im Gotteshause zu predigen. Doch als Nachmanides bei Tisch mit seinen Gästen gar eifrig die Haggada las und erklärte und er den Rokeach so stumm dasitzen sah, da bekam er von seinem Wissen keine hohe Meinung. In Wahrheit schwieg aber der Wormser Weise nur, weil er allein mit Hilfe seiner Kunst die Haggada richtig zu verstehen glaubte. Auch kamen ihm seine Osterbrote, die auf kabbalistische Art gebacken waren, bei Tische trefflich zu statten.
Als Nachmanides nun seinem Gaste die Ruhestätte anwies, warnte er ihn nachdrücklich, ja nicht ohne ihn das Haus zu verlassen. Denn der böse Fürst der Stadt liesse jeden töten, der in einer bestimmten verrufenen Gasse ergriffen würde, zu der nur der Fürst und sein Hof Zutritt hatten. Leicht könnte sich der Rokeach, wenn er allein ausginge, dahin verirren6 Kaum war alles zur Ruhe gegangen, da eilte unser Rokeach absichtlich in jene Gasse. Die Häscher des Fürsten ergriffen ihn und sogleich wurde auf des Fürsten Befehl gerade an dem Wege, der zum Gotteshause führte, ein grosser Scheiterhaufen errichtet, auf dem der fromme Rokeach am nächsten Morgen verbrannt werden sollte.